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Fünftes Kapitel

Drei Monate waren verflossen seit jenem Abend, an dem nach Opferdienst und Tanz der junge Bassianus im Triumph ins Lager eingezogen war, und in jenen drei Monaten hatte sich dank Mäsas glänzender Staatskunst und ihren reichen Gaben das Ansehen des neuen Kaisers gefestigt. Das ganze Heer des Julianus lief zu ihm über, betete ihn an und rief ihn aus als Antoninus Heliogabalus, das heilige Sonnenkind. Er bezauberte sie, weil er schön war. Sie riefen ihn aus, sie strömten ihm zu, denn von verwirrendem Zauber war dieser Priester der Sonne. Sie alle aus Norden und Süden, Römer und Kleinasiaten, aber auch Germanen, Gallier, Briten, Sarmaten, Pannonier, huldigten der Schönheit, der allmächtigen, allbeherrschenden Schönheit, die zwei Jahrhunderte des stetig sich ausbreitenden Christentums nicht hatten vernichten können. Heidnisch waren diese Tausende von Seelen und die aus dem Süden unterwiesen jene, die vom Norden kamen, im Ehrendienst der Schönheit, in der Lehre der göttlichen Lebensfreude; kaum daß die Christen unter ihnen ein paar hundert Brüder zählten, hatten diese schon nichts mehr gemein mit Christus selber, über dessen sonnenklares Leben die Legende schon manches Gewebe gesponnen hatte, so daß sie kaum noch wußten, wer er gewesen und was er gelehrt hatte, ob sein Antlitz weiß oder dunkel war, ob er aus Indien gekommen oder aus Ägypten und ob nicht auch Buddha und Horus seine Namen gewesen. Heidnisch waren diese Zehntausende und sie huldigten der Schönheit. Doch niemals beteten sie sie an in Gestalt eines Weibes, sondern nur in Gestalt eines Knaben, eines Kindes, mit mystisch-sinnlicher Glut in der Erinnerung an Adonis, Hermaphroditos, Hylas, Attis. Zugleich mit diesen Halbgöttern beteten sie den obersten Gott Heliogabal an in der Inkarnation von Caracallas Sohn, wollten sie in seinen Mysterien schwelgen und so waren sie zu Zehntausenden nach Emesa geströmt, zum Sonnentempel, der jetzt verlassen dalag, und durch dessen Gärten nur bisweilen der verzweifelte Schrei der Pfauen gellte.

Bassianus war zum Kaiser ausgerufen worden, weil er schön war und anbetungswürdig. Mäsa hatte mit ihren Schätzen alle bestochen; aber wären gleich reiche Gaben um des Alexianus, nicht um des Bassianus willen geflossen, niemals hätten sie dasselbe bewirkt. Alle sahen das Kind wie einen Gott über den Türmen des Lagers leuchten gleich der Morgenröte: nackt, mit der Mitra auf dem Haupt, in mannweiblicher Gestalt; denn so, das wußten alle mehr oder minder sicher, war die Mittlerform zwischen Mensch und Gottheit. Sie waren auf die Knie gesunken und hatten die Hände zu ihm erhoben; für sie – die Überläufer – gab es nur noch diesen einen, der ihr Kaiser sein konnte und ihr Gott, und sie hatten sich danach gesehnt, ihn zu berühren, weil er das Glück brachte und ansehnliche Vorteile und höchste Gunst.

Nach den ersten, fiebrigen Tagen befielen den Knaben Bassianus in der sicheren Abgeschlossenheit des Lagers eine Langeweile und das Gefühl seltsamer Zwecklosigkeit. Seine Großmutter Mäsa duldete es nicht, daß er die geheimen Gemächer des Prätoriums verließ, duldete nicht, daß er sich zeigte und hielt ihn vor den Augen des Heeres verborgen. Ihm ward die Zeit lang, ihm fehlte alles. Mit der Langeweile überkam ihn auch schon das Heimweh und er befahl, man solle ihm den Schwarzen Stein in das Prätorium bringen. Mäsa wollte nicht widersprechen und gebot, daß man den Schwarzen Stein mit viel Gepränge und unter feierlichen Zeremonien in das Lager bringe, daß man ihn im Saale des Prätoriums aufstelle und ihm diene. Unter schwerem persischem Baldachin, umringt von assyrischen Teppichen, zelebrierten die Priester, vom Duft brennenden Weihrauchs umhüllt, an jedem Tage den Dienst und opferten sieben Lämmer. Allein Bassianus blieb unlustig und übte sein hohepriesterliches Amt nicht aus, sondern lag auf seinen gelbseidenen Polstern vor dem Stein, ließ sich anbeten und von Vasthi und den Ankleiderinnen salben und enthaaren und mit Düften besprengen. Flöten- und Harfenspielerinnen waren um ihn, aber die Musik entnervte ihn und er jagte die Mädchen fort, stieß sie beiseite, vor Langweile die Hände ringend. Verzweifelt fragte er Mäsa, wie lange dies Dasein wohl dauern solle. Kaum acht oder zehn Tage hatte es gewährt, allein Bassianus gähnte auf seinen tyrischen Kissen, gefangen gehalten von der Großmutter, die nicht duldete, daß er sich zeige. Er schmachtete nach dem Heer, wie das Heer nach ihm. Er schloß sich stundenlang mit Narr ein, und Narr war der einzige, den Mäsa ihm gönnte. Hörte er draußen in den Straßen des Lagers die Menge toben, die seinen Namen ausrief, dann klopfte ihm das Herz bis in den Hals hinauf, dann hungerte und dürstete ihn nach ihrer Huldigung, nach der Liebkosung und Anbetung dieser ungeheuren Schar von Römern, Asiaten, Barbaren.

Mäsa, von Bangen erfüllt, hielt ihn zurück. Da plötzlich bemerkte Bassianus die heimliche Angst der Frauen, der Mäsa, Semiamira und Mammäa, denn noch wußte man nicht, wie sich Macrinus in Antiochia verhalten werde. Der Kaiser Macrinus und dessen Sohn, der Cäsar, das Kind Diadumenos, waren noch von ihrem Heer, den prätorianischen Kerntruppen, umgeben, obgleich die Truppen des Julianus schon zu Antoninus übergegangen waren. Noch war die Zukunft ungewiß und dunkel, noch war Antoninus nur Gegenkaiser, von Gnaden des syrisch-phönizischen Heeres. Noch war keine Botschaft dem Senat in Rom gesandt, der entscheidende Schlag mußte erst geführt werden.

Wohl aber hatte Macrinus an den Senat geschrieben, voller Verachtung für den Knaben Bassianus, und sich beklagt über die Truppen, die sich von der reichen Mäsa hatten bestechen lassen. Der Senat indes antwortete nicht, sondern war vorsichtig genug, sich abwartend zu verhalten. Nur Fulvius Diogenius hatte bei Verlesung des kaiserlichen Klagebriefes ausgerufen:

»Wir alle, alle wünschen, daß sich ein Sohn des Caracalla finde... wohl war Macrinus Konsul, jedoch seine Begabung ist gering und weder er selbst achtete sich hoch, noch taten es die andern.«

Freilich erbleichten um dieses Wortes willen die anderen Senatoren, denn im Orient war noch nichts entschieden.

 

Inzwischen hatten sich die beiden Heere, nachdem sie zuerst zaudernd und untätig verharrten, um hundertachtzig Stadien von Antiochia einander genähert.

Macrinus setzte alle Hoffnung auf seine prätorianischen Kohorten. Aber seine allzeit zaghafte Natur, seine zögernde Unschlüssigkeit, die ihn auch so lange von Rom ferngehalten hatte, stand seiner Sache hemmend im Wege, während die Mütter an dem entscheidenden Tage von dem Mute der Verzweiflung gepackt wurden: alle drei Mütter, Mäsa, Semiamira, Mammäa – wenngleich diese nur an ihr Kind dachte – entstiegen ihren Sänften, als sie sahen, daß die Truppen wichen, warfen sich den Fliehenden entgegen und machten ihnen mit so wilder Leidenschaftlichkeit ihre Feigheit zum Vorwurf, daß jene von neuem vordrangen... Allein dem syrisch-phönizischen Heere, das, in diesem Augenblick schwankend, weder Mut noch Kraft zeigte, war vor allem der Knabe Bassianus – Antoninus Heliogabalus – das heilige Sonnenkind, eine göttliche Offenbarung. Denn sie schauten ihn, wie in einer Vision, zu Pferde, den Körper von goldener Chlamys umwallt, auf den goldenen Locken eine Sonnenmitra, und ein Schwert, das zu flammen schien, in der zarten Hand.

Wer hätte es wagen können, einem solchen Sonnenhelden zu widerstehen?

Macrinus gewiß nicht.

Dieser hehrste Augenblick seines Lebens umgab Bassianus Antoninus in den Augen, in der Seele seiner Anhänger mit einer Aureole. Dieser einzige Augenblick sollte einmal im Leben ihn anfeuern zu Mut und Tapferkeit, zu kriegerischer und kaiserlicher Tatkraft. Und sicherlich vollzog sich dies seiner Seele Fremde infolge einer mystischen Suggestion von außen her, durch unsichtbaren Einfluß des Hydaspes.

Er erkannte sich selber nicht.

Er, der weichliche Knabe, jagte seinem Heere voran und sammelte mit schrillem Schrei seine schon fliehenden und sich zerstreuenden Truppen um sich.

Sie kamen zurück, sie umdrängten ihn!

Sie sahen ihn lachen, jubeln, strahlen: sie hörten seine hellen Rufe ertönen.

Sie sahen seine Chlamys aufleuchten wie eine Flamme, wie eine Flamme sahen sie das Schwert blitzen in seiner Hand, wie eine Flamme lodern sahen sie seine Begeisterung.

Jetzt wußten sie, daß er ein Gott war.

Macrinus floh nach Antiochia zurück und weiter – denn überall, wo er erschien, wußte man schon um seine Niederlage. Er floh bis nach Chalkedon.

Er hatte seinen Sohn, Diadumenos, zu Artabus, dem Fürsten der Parther, gesandt, aber die Soldaten des Antoninus holten Sohn und Vater ein und töteten beide...

 

Das war vor drei Monaten geschehen und die Zeit der Stürme hub an: es war nicht ratsam, die See zu kreuzen. Der Kaiser, die Mütter, ihr Priester- und Frauenhof, alle mußten in Nikomedia an der Propontis überwintern. Antoninus Heliogabalus, dem Mäsa in der Staatsleitung zur Seite stand, sandte einen Brief an den römischen Senat und berief sich auf seine Rechte, auf seinen Großvater Septimius Severus, auf seinen Vater Caracalla – wie ungewiß auch diese Blutsverwandtschaft sein mochte – und nach dem Heere riefen Volk und Senat den jungen Kaiser Antoninus aus.

Nach dem kurzen Bürgerkrieg begann für das Heer die wohlige Ruhe, für Mäsa indes die fieberhafteste Ungeduld, weil es sie nach Rom zog, für Semiamira die gedankenlose Hingabe an jede wollüstige Laune, für Mammäa düsteres Grübeln und nagender Ehrgeiz für ihr Kind Alexianus, den man neben Antoninus Augustus zum Cäsar ausgerufen hatte. Für den neuen Antoninus aber die Langeweile, gepaart mit dem Heimweh nach allem, was er zurückgelassen. Er war seiner bluteigenen Sphäre entrückt und seine gequälten Nerven ließen ihn aufkreischen wie eine Katze in der Nacht; er wälzte sich auf den aufgehäuften tyrischen Polstern und rang verzweifelt die weißen Hände, ohne selbst zu wissen, warum. Er dachte an alles, was da drüben war, fern von ihm, an Emesa, den Tempel, den Turm, den Kultus, der die Blume seiner Seele zu köstlichem Blühen geweckt hatte.

Hydaspes hatte er nicht wiedergesehen, seit seine Hand dessen Hand entglitten war und man ihn auf den goldenen Schild gehoben hatte. Im Palast zu Nikomedia herrschte die Üppigkeit. In Truhen hatte man herübergebracht, was zu der Einrichtung für den Winteraufenthalt des reisenden Hofes benötigt ward. Der Schwarze Stein, das Mannessymbol des Gottes Heliogabal, von dem Antoninus sich nicht hatte trennen können, hatte keinen Tempel, reckte sich in der Aula des Palastes empor; die Magier und mit ihnen ein Schwarm von Sonnenpriestern, Sonnenkindern, Harfenspielerinnen, Dirnen und Tänzerinnen zelebrierten an jedem Morgen von neuem den Dienst und Antoninus, mit goldenem Mantel und dem Purpurgewand des Opferoberpriesters angetan, opferte Lämmer und Böcke. Er tanzte und das Volk strömte herbei, um den Sonnenkaiser tanzen zu sehen.

Aber es war nicht der ungeheure Tempel, in dem Zehntausende zusammenströmten; es blieb der intime Tanz im Palast, der Antoninus nicht zu befriedigen vermochte.

 

Waren Kult und Tanz vorüber, so schleppte der lange Tag sich hin. Antoninus lag auf seinen Kissen, starrte vor sich hin, gähnte und rang die Hände. Mäsa saß an seiner Seite und erzählte ihm von Rom, rief seine Kindheitserinnerungen wach, sagte ihm, daß er Römer werden müsse und nicht allzusehr Asiat bleiben dürfe. Sie zeigte ihm Panzer, Tunika und Toga, die Riemenschuhe, die Chlamys, den purpurnen Kaisermantel – die ganze einfach-vornehme römische Kaisergewandung, die unter ihrer Aufsicht nach klassischen, seit Jahrhunderten gültigen Vorbildern angefertigt worden war. Er nannte das Metall schwer, den Stoff grob, die Gemmen geschmacklos geschnitten; er verwarf alles, ließ syrische und tyrische Seide kommen, befahl, daß man Gewänder nach persischer und phönizischer Art anfertigen, daß man die Ärmel weiter schneiden, die Schleppe länger fließen lassen solle und ersann mit seinen Goldschmieden neue Mitren, neue Schnüre, neue Gürtel mit Rubinschloß.

Mäsa verwarf, aber er beharrte. Er behauptete seinen eigenen Willen, seinen eigenen Geschmack gegen den der Großmutter, die ihn anbetete, und sie kämpfte mit sich selber, wollte ihm wehren und gab dennoch nach, stark, wenn sie allein war, doch schwach ihm gegenüber.

»Mein herrlicher Antoninus,« hub Mäsa an, während sie ihn streichelte, »wie dürftest du dich wohl in Rom in einer weitärmeligen seidenen Samara mit Mitra zeigen? Was sollen die Römer denken, wenn du in barbarisch-asiatischer Gewandung erscheinst? obwohl sie schöner ist als die römische und deiner göttlichen Schönheit besser ansteht als Panzer oder Tunika oder Toga, mein Liebling!«

»Sag, Großmutter,« sprach er mit seiner gekünstelt hellen Stimme – den Kopf lehnte er an Mäsas Schulter und sie war entzückt von der so seltenen Liebkosung – »warum sollte ich mich nicht malen lassen in dem hohenpriesterlichen Gewand, in dem ich Dienst und Tanz vor dem heiligen Schwarzen Stein feiere? Eine Gesandtschaft kann dann, bevor ich selbst komme, das Bildnis als ein Geschenk nach Rom bringen, damit die Römer wissen, wie ich mich kleide.«

»Gut, mein Kind,« antwortete Mäsa, die freudiger dreinschaute und seinem Einfall beistimmte. »Dann wird es gewiß das Beste sein, daß das Gemälde im Senatsgebäude aufgehängt wird über dem Siegesaltar, damit die Senatoren und Priesterkollegien Weihrauch brennen und Wein spenden vor dem Bildnis meines göttlichen Antoninus.«

Entzückt schaute sie ihn an...

Leidenschaftlich umarmte sie ihn, bedeckte sein Antlitz mit Küssen, streichelte seine Schultern, drückte ihn selig an sich. Ja, er hatte gute Einfälle: die orangefarbene Samara würde ihn prächtig kleiden. Er hatte vielerlei Gaben, er übte sein Latein und sprach diese Sprache korrekt und zierlich. Alles, was er tat und dachte, war anmutig, künstlerisch, genial und göttlich.

Entzückt schaute sie ihn an... Matt, mit müdem Lächeln, reckte er die Glieder: dann stand er jählings auf, warf die Samara ab, stand nackt da, schloß die Fersen zusammen, hob die Arme, beugte, schlank, geschmeidig, biegsam, seinen Oberkörper nach vorn, nach hinten, zur Seite, nach rechts, nach links und machte die Vorübungen zum Tanz, während rings um ihn die Gewandschneider und Goldschmiede entzückte Rufe ausstießen, da sie das Wunder der unvergleichlichen Linienharmonie seines Körpers schauten.

Während dieser Übungen starrten seine veilchendunklen Augen, weit geöffnet, auf den Schwarm seiner entzückten Sklaven, Sklavinnen und Freigelassenen.

Er dachte an Emesa.

Dort war der Tempel geschlossen.

Ihm war, als sähe er den Turm, als sähe er Hydaspes einsam auf der höchsten Terrasse hinausstarren in den Sonnenuntergang. Ihm war, als höre er die vergessenen Pfauen unheilvoll kreischen.

Er wand sich in der Vorübung zum Tanz – denn tanzen mußte er, immerdar: sein Mund bebte, er biß sich in die Lippen. Während die Sklaven, Sklavinnen und Freigelassenen mit bewundernden Ausrufen und mit Händeklatschen seine geschmeidigen Bewegungen begleiteten, fühlte er, wie seine Augen sich mit Tränen füllten.

In Eribolos, dem Hafen von Nikomedia, takelten tausend Matrosen die Triremen der kaiserlichen Flotte auf, die Antoninus Heliogabalus nach Brundisium führen sollte.


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