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Im sinkenden Abend, der nach der Gluthitze des Sommertages kühlenden Tau breitete, begannen auf dem Palatin der Palast des Septimius Severus und der flavische Palast hier und dort ganz allmählich in roten, blauen, gelben Lichtern aufzublitzen, die sich wie Girlanden vom nachtdunklen Himmel abhoben, während zwischen den strengen Säulen und unter der gleichmäßigen Rundung der Bogen die duftenden Nebel aus den Gefäßen aufstiegen, rötlich, bläulich, grünlich, violett, um dort, wo nicht einmal der Atem des Windes sich bemerkbar machte, kerzengerade emporzustreben mit ihrem stets dünneren und dünneren Dunst, der sich in der Nacht verlor. Vor dem Palast, unter den Arkaden, über die Area Palatii schwärmte das Volk, dicht zusammengestaut, um zu schauen. Aber auf daß die Paläste unangetastet blieben, reihten sich allenthalben die Wachen der Argyraspiden und Chrysaspiden, die mit ihren silbernen und goldenen Schilden auf wiehernden Rossen die festlich erleuchteten Paläste umschlossen wie mit einem riesengroßen Gürtel, an dem jede einzelne Gemme ein flammenblitzender Schild war. Stimmengewirr stieg aus der Menge auf, Lachen, Spotten, Fluchen. Zischen, Pfeifen, ironischer Jubel erdröhnte und ergoß sich über den Palasthügel. Von dorther begann aus den Gebäuden eine gleichsam rasende Musik zu erschallen und plötzlich, die Musik und das Tosen der Menge übertönend, ein tolles Gebrüll von wilden Tieren.
»Hört! Hört! Die Panther, die Tiger, die Löwen! Ob er sie wohl losläßt? Wenn er sie auch losläßt, sie sind zahm, sie beißen nicht... Doch, sie beißen wohl, wenn sie gereizt werden, und laufen ganz frei durch den Palast!«
Die Stimmen spotteten, johlten, fluchten; entsetzlich klang das Johlen durch die sternenübersate Nacht, entsetzlich hallte es von den Palästen wider wie das Brausen einer dunkeldrohenden wilden See, vor der die Pferde der Schildträger sich schon aufbäumten, so daß die Unvorsichtigen, die zu nahe kamen, zerstampft wurden. Hinter der Wache der Berittenen führten breite Stufen empor zu den girlandengeschmückten Säulengängen unter den Arkaden, wo schon Hunderte von Gästen umherirrten. Es war noch früh am Abend, zu Beginn des Festes. Rechtzeitig waren die Gäste gekommen, da späterhin der Weg für Sänften und Lecticä zu den Treppen der Haupteingänge nicht mehr frei sein würde. Der Kaiser war noch nicht erschienen.
Eine kühle Erwartung hing in den Sälen, in den Säulenhallen und in den ungeheuren Nymphäen. In vier riesengroßen Becken schlossen Krokodile die Augen vor dem blendenden Licht, und dieser ganze ungeheure Raum, der sich von einer Seite des Palatins bis zur anderen hinzog und mit dem größten Teil des Septimius-Severus-Palastes den flavischen Palast bildete, war noch leer, aber schon erleuchtet; Echos hallten und hallten zurück; Nomenklatoren riefen Namen aus; Cubicularii erteilten Befehle; Musikanten stellten sich auf; ein mißgestalteter Narr trippelte allein und verlassen quer durch das Triklinium. Die Gäste kamen langsam, vereinzelt, schleiften kostbare persische Mäntel über das Mosaik; strenge Togen öffneten sich und ließen leichtere Festgewandung erkennen. Die Männer erschienen in kurzer ärmelloser Tunika, hochbeschuht, die Frauen in seitlich geöffneter Stola, in der sie nackt waren oder bekleidet, je nachdem sie die weichen Falten zusammenlegten oder auseinanderfallen ließen. Eine freie Laune belebte die strengeren, einförmigen Sitten von einst, man folgte allen asiatischen Moden, jede Ausschweifung in der Kleidung war erlaubt und zwei Senatorenfrauen, die Seite an Seite lachend daher geschritten kamen, in breiten Miedergürteln aus goldenem Laub und Beinkleidern aus Rosen, mit Tragbändern aus Edelsteinen, die an den Gürteln befestigt waren, das Haar assyrisch getürmt, erregten kaum eine leise Verwunderung, obgleich sie viel eher Dirnen und Tänzerinnen als römischen Matronen glichen.
Die kühle Erwartung, die anfangs zwischen den Säulen gehangen hatte, ward schwül, steigerte sich zu einem Fieber, weil Antoninus auf sich warten ließ. Dicht gedrängt standen die Massen der Gäste und schauten nach dem Portikus, durch den er kommen würde, bis plötzlich ein sklavischer Jubel ertönte; bis plötzlich, durchdringend schrill, Tuben erklangen und ein toller Schwärm mißgestalteter Zwerge erschien, die übereinander purzelten, und die prätorianische Wache und die Magier, die Sonnenpriester, die Dirnen, die Sonnenkinder, die Blumen streuten über das schon mit Goldpuder bedeckte Mosaik, und, inmitten seiner Günstlinge, Antoninus, schlank von Wuchs, die enthaarten Glieder ephebengleich, nackt, mit gelocktem Haar, beschuht und geschminkt, nur mit seinen Juwelen aus fabelhaft großen äthiopischen Smaragden angetan. Grün umglitzerten ihn die Steine der Halsschnur, des Gürtels, der Armspangen, die sich breit um Puls und Oberarm legten; grün blitzte auf seinem blonden Haar die Tiara und grüne Funken spielten über seine Finger, über die breiten Schuhriemen, über die Spangen unter seinem Knie. Gleichsam mit all den Smaragden inkrustiert, erschien er wie eine schimmernde Statue aus Elfenbein, schienen unwirklich, märchenhaft seine makellos geformten Glieder und der lange, silberseidene Mantel, der von seiner Halsschnur sich herabsenkte und mit Smaragden auf den Achseln befestigt war, bildete nur den leuchtenden Hintergrund. Den sklavischen Jubel beantwortete er mit lächelndem Gruß. Er schien gealtert. Denn obwohl seine Augen noch wie einst mit jenem verwirrenden Dirnenblick lockten, waren sie verändert, sprach Traurigkeit aus ihnen und Bitternis, die die schmalen Lippen niemals zu äußern schienen. Auch sein Körper verriet nun eine größere Disharmonie, die jedem auffallen mußte, der ihn vor kaum zwei Jahren gesehen hatte, als keinerlei Ausschweifung ihm etwas schien anhaben zu können und er sich des Morgens nach einer Orgie frisch wie eine Blume in den Thermen zeigte.
Doch nun, da der Kaiser lächelnd durch die sklavisch jauchzende Menge schritt und mit Kußhänden grüßte, rundete sich sein Antlitz wie einst, wiegte sich sein Körper mit dem ganzen perversen, zweideutigen Zauber von einst, und die Überreife seines Typus – des schon etwas welken Lustknaben – schien verschwunden, aufgelöst in eine, obwohl echt empfundene, doch halb künstlich erscheinende Ausgelassenheit, die ihm die Sehnen spannte und ihn stählte.
Umringt von seinen Klienten, starrte Gordianus ihn an und meinte, Antoninus sei bezaubernd, anbetungswürdig wie einst, obwohl die Wangen des Kaisers weniger rund, seine Glieder hagerer und seine Augen oft recht müde waren. Anbetungswürdig sei er geblieben. Und siehe, jetzt begann er ganz unerwartet zu tanzen, betrat, sich um sich selbst drehend, das Triklinium und der silberne Mantel, der ihn umhüllte, rauschte und sein Lachen erscholl heiter, ungezwungen, glücklich, während er lebhaft grüßend Kußhände warf, Namen rief und behend die Stufen zum Sigma emporschritt.
Die Harfen erklangen und die Gäste legten sich nieder. »Der Kaiser scheint sehr heiter,« sagte Sertorius zu Ganadasa, der an seiner Seite lag. »O,« sagte der Inder schwärmerisch mit seiner seltsam ekstatischen Stimme, in der etwas wie der Groll der Unzufriedenheit, wie die Ironie der Enttäuschung zitterte, »ihn nur anstarren, nur anstarren dürfen!«
»Ist es wahr, daß Hierokles...?« fragte Sertorius.
»Der Gemahl des Kaisers fiel in Ungnade,« sprach Ganadasa orakelnd.
»Das ist wahrhaftig zu verstehen,« murmelten die Klienten.
»Wir haben Seine Ewigkeit in den Thermen gesehen, nackt, ohne ein einziges Juwel... sein Körper war über und über bedeckt mit braunen und blauen Flecken.«
»Hierokles hat starke Fäuste, der Verruchte!« sagte der Inder. Aus seiner Stimme klang es wie verhaltene Freude.
»Er ist verbannt,« sagte Sertorius.
»Hierokles verbannt?« meinte spöttisch der Inder. »Antoninus ist in ihn vernarrt trotz alledem. Nein, er ist nicht verbannt, er ist hier.«
»Hier?« fragten die Klienten einstimmig, plötzlich furchtsam geworden, denn sie hatten, erfüllt von einem Haß, den alle teilten, des Kaisers Gemahl geschmäht.
»Hierokles ist hier,« sagte der Inder Ganadasa.
»Aber er kam nicht in Begleitung des Kaisers.«
»Nein, er fiel in Ungnade... Seht nur,« sagte Ganadasa eifersüchtig, »um den Kaiser stehen wie immer Gordus, Protogenes, Murissimus: das sind die Getreuen, weil sie sich körperlich so sehr für des Kaisers Gunst eignen. Aristomachos, Antiochianus sind seine Getreuen, weil in ihren Soldatenherzen nur eine einzige Sehnsucht, eine einzige Liebe lebt: Antoninus... Antoninus, der sich wohl hüten wird, diese Sehnsucht jemals zu stillen.«
»Oder doch nur sehr selten...« meinten die Klienten kichernd.
»Niemals!« fuhr Ganadasa auf, toll vor Eifersucht. »Niemals!«
Haß blitzte aus seinen Augen. Doch er faltete die Hände, stöhnte wie im Schmerz und sprach schwärmerisch:
»O, ihn anstarren, ihn nur anstarren dürfen! Antoninus, mein Antoninus, o unerreichbarer Berg des Lichtes, der du stets am Horizont meiner Ekstase wie eine glitzernde Verheißung aufsteigst! Antoninus, mein Antoninus...«
Plötzlich begann er zu schluchzen, faltete die Hände und betete; doch drüben auf dem hohen Sigma hatte sich Antoninus, in seinen silbernen Mantel gehüllt, auf die Polster hingestreckt, deren lange Quasten über die Stufen herabhingen. Ein geheimnisvoll weitschweifiger Ritus vollzog sich rings um ihn. Eunuchen hielten ihm ein Dach aus Pfauenfedern über den Kopf, das sie, ihm Kühlung zufächelnd, hin und her bewegten, und Sonnenpriester knieten, einander ablösend, auf den Stufen der Erhöhung, um den Kaiser anzubeten, während er beim Gelage saß; Sonnenkinder schwenkten ihm Weihrauch zu. Er, des Ritus nicht achtend, schien ihn als eine herkömmliche, ganz selbstverständliche Ehrenbezeigung anzusehen, lachte laut auf mit Protogenes und blinzelte gefallsüchtig durch den Saal, aus dem aller Augen ihm entgegenstarrten.
»Der Kaiser ist wirklich sehr heiter,« wiederholte Sertorius.
»Um Hierokles scheint er nicht zu trauern.«
»Oh!« sagte Ganadasa stöhnend, die Hände in schmerzlicher Anbetung gefaltet. »Er trauert, er trauert. Die Mutter der Götter trauerte um Attis, Venus trauerte um Adonis, Antoninus trauert um Hierokles, ob der Ungnade, in die er selbst seinen Gemahl gestürzt hat.«
»Der Elende!« flüsterten die Klienten, »er wird den Kaiser noch töten!«
»Er peinigt ihn – er prügelt ihn zu Tode!«
»Antoninus, weh ihm!« stöhnte Ganadasa. »Und trotz alledem trauert Antoninus um Hierokles...«
»Sieh doch, edler Gordianus, sieh!«
»Was?« fragte der Patrizier.
»Da! Da!... Da kommt Hierokles!«
»Ja... da ist er!«
Der einstige Wagenlenker war eingetreten, doch keinerlei Gefolge umringte ihn. Er stand da, an eine Säule gelehnt, die mächtigen Arme über der Brust verschränkt. Spöttisch blickten seine Augen aus den halb geschlossenen Lidern und ein spöttisches Lächeln umspielte seine vollen Lippen. So an die Säule gelehnt, blickte er herausfordernd, furchtlos, dreist und überlegen auf Antoninus. Ein Stimmengewirr hatte sich im Triklinium erhoben, als Hierokles eingetreten war, aller Augen richteten sich auf ihn. Doch da war keiner, der ihm entgegenging, kein Cubicularius, der ihm einen Platz anwies. Fremd stand er dort und allein, spöttisch lächelnd wie ein Eindringling, der eigenmächtig blieb, ungeachtet aller Ungnade. Man blickte neugierig auf Antoninus, um zu sehen, ob auf des Kaisers Körper Spuren der Mißhandlungen zu entdecken seien. Doch die spähenden Blicke gewahrten nichts. Die Glieder des Kaisers, geschminkt, gepudert, elfenbeinweiß, zeigten zwischen dem grünen Gefunkel seiner Smaragde keinerlei blaue Male. Harfen ertönten, Tamburine rasselten, Trommeln dröhnten. Die ersten Erfrischungen wurden herumgereicht von tanzenden Mädchen und der Tafeldienst vollzog sich nach dem Rhythmus der Musik. Die Üppigkeit des Banketts setzte die Römer, die doch an vieles gewöhnt waren, in Erstaunen. Über die Tafel, vor der der Kaiser auf goldenem Polster lag, war eine goldene Decke gebreitet, eine Verschwendung, die sich schon Mark Aurel gestattet, die man aber sonst nur selten gesehen hatte; über die Tafeln der vornehmsten Günstlinge hatte man silberne Decken gebreitet. Das Tafelgerät mit seinen verschieden geformten Schalen, Tellern, Gläsern, Krügen, Amphoren, Kühlfässern bestand diesmal aus grünlichem Glas. Bei jedem Bankett wurde ein anderes Gerät benutzt. Als der Kaiser eines Tages in Saphiren erschienen war, war das Gerät blau, als ihn Topase schmückten, war es bernsteingelb gewesen. Zum erstenmal erblickten die Gäste silberne Feuerbecken, auf denen die Speisen warm gehalten wurden und mit obszönen Motiven bedeckte zentnerschwere Silbervasen, in denen der Rosenwein, den man bereits kannte, mit duftigem Harz, Minze und Polei gemischt wurde. Zum erstenmal wurden Haschees aus Fisch gereicht, die in salzigen, grünlichen Brühen schwammen, und Austern, Krabben und Hummern, die man bisher für nicht eßbar gehalten hatte. Diese Speisen nötigten Verwunderung ab, und lächelnd kosteten die Gäste sie und erkundigten sich nach dem Namen derer, die sie erfunden oder zubereitet hatten, denn man wußte, daß ein jeder, der ein neues Gericht erfand oder zubereitete, eine hohe Belohnung erhielt.
Auf seinem goldenen Sigma streckte sich Antoninus. Er lachte froh und ausgelassen. Er hatte Hierokles bemerkt, der dort stand, an die Säule gelehnt, mit spöttischem Lächeln, und ungeachtet dieses spöttischen Lächelns war Antoninus glücklich, daß Hierokles den Mut gehabt hatte, zu erscheinen; insgeheim bewunderte er ihn um seines Mutes willen. Er liebte Hierokles noch immer, er wußte, daß er ihn immer lieben würde, er wußte, daß er Hierokles niemals würde von sich stoßen können. Jetzt stellte er sich so, als sähe er seinen Gemahl nicht, doch jedes Lächeln, jede Gebärde war Gefallsucht, dazu bestimmt, ihn zu ermutiger, noch mehr zu wagen, vielleicht gar ruhigen Schrittes das erhabene Sigma zu betreten. Doch Hierokles blieb ruhig stehen, spöttisch lächelnd... Jetzt taten auch die Gäste so, als sähen sie ihn nicht. Dichter Dunst erfüllte das ungeheure Triklinium, Dunst von Wein, Lampen, Essenzen, menschlichem Atem; und von den höheren Estraden des Saales schien die Musik durch die Wolken hindurch zu tönen wie aus olympischen Sphären. In diesem beginnenden Festgelage war, da die groben Lüste noch schlummerten, Grazie, und eine köstliche Frische machte sich bemerkbar, als zehn numidische Sklaven auf ihren Köpfen in großen Schalen Berge von Schnee herbeischleppten und sie auf die Tafeln setzten, wo sie langsam zerschmolzen.
Unten auf den ersten Stufen, die zu dem erhöhten Sigma führten, hockten die mißgestalteten Narren und Zwerge und blickten, mit dem Kopf wackelnd, zu Antoninus auf, der ihnen der Reihe nach eine Auster in den geöffneten Mund warf. So sicher zielte der Kaiser, daß er nicht ein einziges Mal fehlschoß; die Narren verschlangen die Auster und strichen sich dann über den Magen mit possierlicher Gebärde. Das steigerte des Antoninus Heiterkeit, die war wie die eines Kindes. Denn er konnte lachen über ein Nichts und sich freuen und ausgelassen glücklich sein. Trompetenschall kündete das Nahen der erhabenen Frauen Semiamira und Severa. Vorangetragen ward ihnen das Feuer. Sie kamen zugleich, ohne Betonung eines Vorranges, und nahmen Platz zu Füßen des kaiserlichen Sigmas auf massiv goldenen Schemeln. Semiamira liebte diese Feste; Severa blieb kalt wie Marmor. Man erzählte sich, daß sie noch Jungfrau sei, daß der Kaiser sie verstoßen, doch die Flamme und das Palladium in der Larenkapelle des Palastes verwahrt habe. Wiederum erklangen schrill die Tuben und die alte Mäsa nahm mit leutseligem Lächeln für einen Augenblick Platz an der Tafel des Kaisers, froh, daß ihrem Liebling Antoninus die Zeit nicht allzu lang ward und daß er sich entschlossen hatte, ein großes Gelage zu veranstalten.
Über die Pyramidenstufen des Sigmas tanzend, bedienten die Dirnen den Kaiser unter unablässiger Anbetung und dem Weihrauchschwenken der Sonnenkinder und Sonnenpriester. Auch die Magier waren eingetreten; tiefernst stellten sie sich zwischen den Priestern rings um die Sigmastufen auf, ließen die Hymnen ertönen und beteten. Tief und eintönig durchdröhnte ihre schwere Litanei den stets höher steigenden Festesjubel... Hoch oben auf dem Sigma achtete Antoninus dieses ganzen Ehrendienstes kaum. Sehr wählerisch geworden, kostete er kleine Bissen von Kameelfersen, von Kämmen, die man lebenden Hähnen ausgerissen hatte, und Zungen von Flamingos und Nachtigallen, die gegen die fallende Krankheit schützen sollten: eine Unmenge kleiner Schalen aus Gold und grünem Glas wurden ihm dargereicht und er kostete, den kleinen Finger zierlich emporstreckend, kleine Bissen, um darauf seine Finger am Haar der Sonnenkinder abzuwischen, die vor ihm knieten. Er war bei diesen Tafelgenüssen so sinnlich geworden, daß sie ihn beinahe ernsthaft stimmten. Mit seinen Günstlingen besprach er die Vorzüge dieser Gerichte, als plötzlich ein Gebrüll ertönte. Es entstand ein Aufruhr. Denn obwohl man wußte, daß sie zahm waren, fürchteten die Gäste doch die Löwen, Tiger und Panther, die an rosengeschmückten Messingketten von den Beluarii hereingeführt wurden, fürchteten sie den Schlag einer Pranke oder den Biß eines Maules. Antoninus klatschte in die Hände. Vor seinem Sigma führten die Bestien ihre Künste aus. Sie wurden belohnt mit einem Pfau oder einem Flamingo.
An der Tafel des Gordianus wunderten sich die Parasiten über die seltsamen Gerichte, die die tanzenden Mädchen ihnen reichten. Da gab es Ferkelzitzen, die anfangs sehr merkwürdig schmeckten, doch köstlich, nachdem man sich an sie gewöhnt hatte. Aber da waren auch Erbsen, unter denen Goldkörner versteckt lagen; und die Parasiten suchten danach mit gierigen Fingern, um sie dann in einem Zipfel ihres Gewandes zu verbergen. Da gab es Linsen mit Edelsteinen durchmengt und Reis, in dem sich Perlen fanden; lächelnd blickte Gordianus herab auf seine Klienten, deren Finger gierig nach den Perlen und Juwelen suchten. Fisch und Trüffeln waren statt mit weißem Pfeffer mit gestampften Perlen bestreut. Das erschien den Klienten seltsam. Niemand hatte so recht den Mut, sich die Speisen schmecken zu lassen, aber um so öfter füllten die tanzenden Mädchen die Amphoren, denn allgemein mundete der Rosenwein. Ein Scherz, den schon des Antoninus Onkel Geta liebte, bestand darin, daß eine Reihe von Gerichten auf die Tafel kam, deren Namen alle mit dem gleichen Buchstaben begannen, so daß diesmal Piscis, Perna, Porcellus, Pullus, Perdix, Pavus, Pastete, Schweinefleisch, Huhn, Rebhuhn, Pfauenbraten, herumgereicht wurden. Doch allen diesen Gerichten mißtraute man: der Fisch glitzerte stellenweise wie von zerriebenem Glas; die Pastete bestand aus bemaltem Holz, das Rebhuhn verbarg unter seinen Federn eine Fledermaus, die wohl plötzlich auffliegen konnte; der Pfauenbraten indessen war von einer solchen Üppigkeit, daß alle lüstern nach den ungeheuren Schüsseln ausschauten, auf denen vier Pfauen lagen, mit fächerförmig ausgebreiteten Schweifen, mit Augen aus Edelsteinen und Kronen aus Juwelen und garniert mit Papagei- und Flamingohirnen, mit Drosselköpfen und Kiebitzeiern. Also endlich gab es etwas zu essen, das köstlich mundete – sofern man die Schüsseln nicht vorübertrug und vor den erstaunten Gästen nur ein Gedeck ausbreitete, in das der Pfauenbraten in grellen Farben kunstvoll eingestickt war.
Um die Aufmerksamkeit des Hierokles auf sich zu lenken, steigerte Antoninus seine Heiterkeit mehr und mehr. Während er die Arme um den Nacken des Protogenes schlang, den er an diesem Tage sehr begünstigte, gewahrten seine umherirrenden Augen alles, was rings um ihn vorging, und er rief seinen Günstlingen zu:
»Sieh, Gordus, sieh doch nur, und du, Murissimus, sieh dort jene Tafel, an der sechs langweilige Senatoren liegen! Sie glauben, einen Pfauen braten zu bekommen, und die Mädchen haben nur ein Gedeck vor ihnen ausgebreitet, in das das Gericht eingestickt ist. Seht Gordianus, umgeben von dem Schwarm seiner Klienten! Seht nur, wie sie gierig in den Erbsen wühlen und im Reis und in den Linsen, um Gold, Juwelen und Perlen zu erhaschen! Wenn sie unter zehn falschen Perlen eine echte finden, so können sie sich freuen! He, Gordianus!« rief er, »heda!«
»Eure Ewigkeit befiehlt?« fragte Gordianus, sich erhebend.
»Wenn sie unter zehn falschen Perlen eine echte finden, können sie sich freuen, vielleicht auch nur eine unter zwölf oder fünfzehn, Aber eine kostbare Perle findet sich im Reis, ich selbst habe sie hineingemengt. Laß sie suchen, Gordianus! Ich trinke auf deine Mäßigkeit. Wie mundet dir mein Rosenwein? Wie mein Mastixgetränk ? Weißt du, Aristomachos, daß mein tugendhafter Vetter Alexianus ganz vernarrt ist in Mastix- und Rosenwein? Trunken hat er ihn gemacht zur Verzweiflung seiner ehrwürdigen Erzieher! Narren, tanzt mit den Löwen! Schnell, Narren, schnell, reitet auf den Löwen wie Kupido. Fürchtet euch nicht, meine Gäste, sie beißen nicht. Gebt ihnen einen Drosselkopf, sie fressen aus der Hand. Laßt ein Bad von Düften herabsprühen! Und mehr Musik! Mehr Musik!«
»Laßt ein Bad von Düften herabsprühen!« wiederholten befehlend die Cubicularii. Plötzlich ergoß sich aus der ungeheuren Wölbung des Trikliniums, wie aus riesengroßen Zerstäubern, ein Sprühregen von Düften in irisierenden Fontänen. Der Duft ergoß sich über die Gäste und regnete auch auf das hohe Sigma des Kaisers. Im Saal war es, als regne es minutenlang, und allmählich ward es ein feiner Sturzregen, zu viel, zu reichlich – denn es bildeten sich Lachen auf dem Mosaikboden und ungenießbar wurde der Wein, ungenießbar wurden die Pfauengerichte und die Kissen der Sigmas wurden durchtränkt und die Atmosphäre so durchschwängert, daß den Anwesenden der Atem verging. Jetzt flehten Stimmen, halb lachend, doch im Grunde ernst, den Antoninus an:
»Antoninus, ewiger Antoninus, laß uns nicht in den Düften ersticken. Genug, genug, Antoninus!«
»Genug, genug, Eure Ewigkeit!« riefen die Günstlinge flehend. Doch Antoninus lachte laut auf. Über ihm fielen die Essenzen gleich Sturzbächen herab.
»Genug, genug!« rief Semiamira verstimmt, »mein Haar ist naß, mein ganzer Körper trieft!«
»Heiße Küsse werden ihn dir trocknen, Mutter!« rief Antoninus. Er gab ein Zeichen: der Regen ließ nach. Die Gäste atmeten auf. Einige der Lampen waren erloschen, man entzündete sie von neuem. Als sei nichts geschehen, klangen schwer und unaufhaltsam die Litaneien der Magier, die anbetend vor Antoninus knieten. Der Anblick seiner von Essenzen triefenden Gäste erheiterte ihn derart, daß er sich laut lachend auf seinem Sigma wälzte. Da seine Juwelen ihm lästig wurden, begann er sie abzulegen, reichte sie Narr, der zu seinen Füßen kauerte, und er schien in der Trunkenheit, die seine Sinne zu umnebeln begann, nicht mehr dessen zu achten, daß die blauen Male, die Spuren von Hierokles Mißhandlung, nun sichtbar wurden. Unterhalb seiner Schulter zeigte sich ein breiter roter Striemen, den die Halsschnur bisher verborgen hatte; an seinen Armen, an seiner Hüfte zeigten sich dunkle Male. Narr bat ihn flüsternd, die Juwelen nicht abzulegen, auf daß die Schmach nicht sichtbar werde. Doch Antoninus schien ihn nicht mehr zu hören. Als der Kaiser die Juwelen abzulegen begann, erhoben sich die Gäste, um seinen Körper zu sehen: einer zeigte dem andern die Male. Auch Semiamira war ungehalten, so sehr sogar, daß sie ihrer Würde vergaß und nicht mehr saß, so wie es den Frauen geziemte, sondern sich plötzlich zwischen eine Gruppe junger Zenturionen warf, deren begehrliche Hände sich nach der Serenissima ausstreckten ... Mit Severa war die alte Mäsa verschwunden, lächelnd und froh, daß Antoninus sich seines Lebens freute und nicht mehr, wie während einer geraumen Zeit, im Turm der Gemmen sich einschloß, wo er Gifte, Dolche und seidene Stränge sammelte: das Arsenal für seinen einstigen Selbstmord, wie er zu sagen pflegte. Doch als Aristomachos die Spuren der Mißhandlungen auf dem Körper des Kindes gewahrte, das er anbetete, fühlte er, wie eine blutrote Raserei in seinem derben Soldatenkopf aufstieg. Sich erhebend rief er aus:
»Antoninus! Antoninus! Wer hat es gewagt, deinen Körper zu entweihen?«
»Wer? Was?« antwortete Antoninus lallend; sein Blick war verschwommen, seine Zunge lispelte. »Wer? Was? Entweihen? Ich bin die Sonne, mich kann nichts entweihen. Ich gebe mich allen ...«
»Antoninus!« wiederholte Aristomachos brüllend: »Sage mir, wer es getan hat ...«
»Natürlich Hierokles,« sagten die Günstlinge, eifersüchtig und verbittert. »Wer außer ihm würde es wagen, Hand an den Kaiser zu legen, nicht in liebender Anbetung, sondern im Zorn, wie zur Mißhandlung eines Sklaven?«
Aristomachos raste wie ein Trunkener.
»Ich will es aus seinem eigenen Munde hören!« schrie er und stieß die Günstlinge zur Seite. »Sprich, sprich, Antoninus, hat Hierokles es gewagt, dich zu entweihen?«
Der Knabe gewahrte, ernüchtert, die gefährliche Trunkenheit des eifersüchtigen Tribunen. Er ergriff seine Hand. »Ich habe mit Hierokles gerungen ...« sagte er beschwichtigend, »und er hat mich natürlich besiegt ... und ich habe mich verletzt ...«
Wie ein Stier schnaubte der Tribun. Er befreite sich aus dem Griff des Knaben, der ihn zu beschwichtigen versuchte. Hochrot war er vor Wut, seine trunkenen Augen traten aus den Höhlen. Fluchend warf er eine Tafel um – Amphoren und Schalen rollten klirrend über das Sigma –, und rannte dann, schwerfällig und zugleich behend, die Stufen hinab ...
»Aristomachos!« rief Antoninus, plötzlich ganz ernüchtert. »Was willst du tun?«
Doch der Tribun hörte ihn nicht mehr. Fluchend eilte er weiter und weiter, brach sich Bahn durch die unerschütterliche Anbetung der Magier und Sonnenpriester. Er strauchelte an einer Tafel, an der Semiamira lag inmitten ihrer jungen Liebhaber, und zwischen den aufblickenden Gästen und den unablässig tanzenden und dienenden Dirnen näherte er sich, von Raserei geblendet, Hierokles, der noch immer an die Säule gelehnt dastand, spöttisch lächelnd, die Arme verschränkt.
»Aristomachos!« rief Antoninus von seinem Sigma herab. Der Tribun hörte ihn nicht mehr. Er stand Hierokles gegenüber, die Fäuste geballt, und dem verstoßenen Gemahl des Kaisers schleuderte er die Worte ins Gesicht:
»Was tust du hier?«
»Was tust du hier?« gab Hierokles hochmütig zurück.
»Ich bin Gast des Kaisers, ich liege an seiner Tafel.«
»Und ich stehe aufrecht, an eine Säule gelehnt, und schaue ihn an.«
»Geh!«
»Niemals.«
»Der Kaiser hat dich aus seinen Augen verbannt!«
»Er wird mich in seine Arme zurückrufen.«
»Wenn du dich nicht sofort davon machst, morde ich dich, würge ich dich mit meinen Fäusten!«
»Das möchte ich sehen.«
Mit geballten Fäusten stürzten die beiden Männer aufeinander los, packten sich wie Ringkämpfer, wälzten sich übereinander auf dem Mosaikboden. Die Gäste schrieen: »Mord! Mord!« Arme wurden emporgestreckt, eine rasende Neugier wurde wach, wer von diesen beiden eifersüchtigen Liebhabern des Kaisers Sieger bleiben würde. Der Kampf war ein Schauspiel, unerwartet und ganz elementar, und übte daher einen besonderen Reiz aus. Atemlos schaute Gordianus zu. Die beiden Männer, groß, stark, von kräftigem Gliederbau, der Lenker schlanker, der Tribun robuster, packten sich gegenseitig am Kinn, um die Schultern, rollten übereinander, rissen sich die Gewänder vom Leib, keuchten, schnaubten, schlugen sich mit unerbittlichen Fäusten. Jetzt lag Hierokles unten, doch er befreite sich aus des Aristomachos Griff, überwältigte den Tribunen mit seiner größeren Kraft und seinem schwereren Gewicht, schlug hämmernd auf seinen Kopf, dann wand sich Aristomachos zwischen des Hierokles Beinen hindurch und umklammerte diesen. Sie rangen und rangen, schienen aneinander geschmiedet, ließen sich dann wieder los, rasend, von Haß geblendet. Des Aristomachos Fäuste schlugen ins Leere: Plötzlich erhoben sich beide mit einem Ruck, blieben atemlos stehen, halb kauernd, stets auf der Hut, die Hände vorgestreckt, wie Ringkämpfer, um einander von neuem anzugreifen. Die Menge verwünschte Hierokles, jauchzte Aristomachos zu. Rufe erschallten: »Töte ihn, Aristomachos! Töte den Elenden, den Frevler, der es gewagt hat, in seinem Zorn Antoninus zu berühren! Weg mit dem Karier! Weg mit dem Wagenlenker!«
Doch plötzlich ertönt von dem hoch gelegenen kaiserlichen Sigma ein schriller Schrei. Antoninus sieht, wie Aristomachos seine Fäuste um die Kehle des Hierokles schraubt und ruft in tödlicher Angst:
»Aristomachos, laß ab! Laß Hierokles los oder ich werfe dich den Löwen vor! Ich will nicht, daß du Hierokles tötest. Wenn du ihm nur ein Haar krümmst, verbanne ich dich aus meinen Augen, aus meinem Herzen, aus meiner Liebe! Laß ihn los, Aristomachos!« Des Antoninus Stimme schrillte schmerzlich, gebieterisch, flehend durch den Dunst des Saales. Der Knabe hatte sich erhoben, nur noch mit der Mitra bekleidet, und seine veilchendunklen Augen traten aus den Höhlen. Seine Züge waren verzerrt, seine zitternden Hände irrten ohnmächtig über die gestürzte Tafel, als wolle er Aristomachos von ferne zurückhalten.
Aristomachos ließ Hierokles los. Beiden strömte das Blut aus Nase und Augen. Noch standen die Männer einander gegenüber, haßerfüllt; ihre Waden waren gestrafft, die Hände hielten sie vorgestreckt. Doch Antiochianus, Gordus und Protogenes waren von der Estrade herabgeeilt, umringten Aristomachos, führten ihn nach dem Vomitarium, damit er sich dort an den Waschbecken säubere. Fluchend ließ er sich mitschleppen. Hierokles blieb und lächelte spöttisch. Er fuhr sich mit dem Zipfel seines Mantels über das Gesicht und stand mit verschränkten Armen ruhig da, an die Säule gelehnt. Ja, er wagte es sogar, einem Mädchen zuzubrüllen:
»Bring Wein und Schnee, damit ich mich reinigen kann!«
Das Mädchen hatte nicht den Mut, zu widersprechen. Es war Hierokles sogar behülflich und bot ihm einen Becher Wein, den er langsam leerte. Dann schleuderte er ihn in die Mitte des Saales gegen das Sigma. Als sei nichts geschehen, so stand Hierokles da, hochmütig, in seinen besudelten Mantel gehüllt. Auch die Gäste taten so, als sei nichts vorgefallen. Harfenmusik schwebte vom oberen Umgang herab; die Zwerge ritten zwischen den Tafeln hindurch auf Löwen und Tigern.
Hoch oben auf seinem Sigma war Antoninus ernüchtert in die Polster zurückgesunken, während Sklaven die Ordnung wiederherstellten und auf Schalen aus Murra Schnee zur Kühlung vor den Kaiser stellten. Antiochianus und Protogenes waren zurückgekehrt.
»Ich glaubte,« sagte Antoninus keuchend, während Narr ihn mit Schnee kühlte, »ich glaubte, Aristomachos werde den Hierokles töten.«
»Und wenn er ihn getötet hätte?« fragte Murissimus.
»O nicht doch ... nicht. ..«
»Wenn er ihn getötet hätte?« riefen fragend die anderen, die den Kaiser umringten.
»Er ist verbannt, und wagt es dennoch, das Triklinium zu betreten!«
»Dir, Antoninus, vor die Augen zu kommen!«
»Spöttisch zu dir herüberzublicken, zu dir, Antoninus!«
»Heiß ihn gehen.«
»Prätorianer sollen ihn hinaustreiben!«
»Laß ihn den Löwen vorwerfen!«
»Wir hassen ihn alle!«
»Alle! Wir hassen deinen Gemahl, Antoninus, weil du ihn uns vorziehst. Wir hassen ihn, deine Mutter haßt ihn, deine ehrwürdige Großmutter haßt ihn!«
»Das Heer haßt Hierokles.«
»Weil das Heer, Antoninus, dich anbetet und deine allzu große Nachgiebigkeit nicht dulden kann!«
»Er hat es gewagt, dich zu züchtigen wie einen Sklaven!«
»Dich, dich, Antoninus, der du uns teuer und heilig bist. Von ihm duldest du, was du nicht einmal von deinem Vater, dem Bassianus Caracalla, dulden würdest, so er noch lebte!«
»Ich fürchtete ...« antwortete noch keuchend Antoninus, »ich meinte ... Aristomachos würde Hierokles töten. Heilige Sonne, wenn Aristomachos ihn getötet hätte! Ich hätte ihn ... ich hätte ihn ... ich weiß nicht, was ich ihm hätte antun lassen! Musik! Musik! Mehr Musik! Mein Hierokles, wo ist er? Noch steht er da. Er ist mutig und tapfer, ich bete ihn an. Hinweg von mir, ihr alle ...! Keinen von euch liebe ich so, wie ich Hierokles liebe! Hierokles, der mir Gemahl ist und Stufe zu meiner Vervollkommnung!«
Sehnsüchtig hatte Antoninus die Arme ausgebreitet, doch so dicht umringten ihn die Günstlinge, daß seine Bewegungen unbemerkt blieben, sowie seine schmachtenden Rufe ungehört verhallten, übertönt von den Klängen des rauschenden Festes. Die Günstlinge um den Kaiser riefen wirr und erbost durcheinander:
»Was, Antoninus, er vergreift sich an dir, und du rufst ihn zurück? Nein, das dulden wir nicht! Wir dulden ihn nicht länger in unserer Mitte. Wir alle wollen dir Gemahl sein, ihn aber dulden wir nicht länger ...«
»Ihr duldet ihn nicht?« rief Antoninus höhnisch. Schrill lachte er auf. »Seid ihr Heliogabal oder bin ich Gott und Kaiser? Sklaven seid ihr! Hinweg von mir! Bist du mir getreu, Antiochianus? Und du, Aristomachos? Du, der du den Hierokles beinahe gemordet hättest? So zwingt denn diese Sklaven, diese Elenden, Protogenes, Gordus, Murissimus, daß sie sofort auf die untersten Stufen hinabsteigen und dort bleiben, bis meine Gnade sie – vielleicht – wieder emporruft zu meiner Erhabenheit. Komm, Hierokles, komm, ich bin dein!«
Die Rufe des Kaisers hallten durch den rötlichen Dunst, der das ungeheure Triklinium erfüllte wie der Ruf eines Gottes aus einer Wolke. Unbeirrbar ertönte die Anbetung der Magier und inmitten dieser Anbetung richtete sich der Knabe hoch auf, nackt, die Mitra auf dem blonden Haupt, die Arme nach dem Wagenlenker ausstreckend, in einem Paroxysmus von Hysterie und Sehnsucht. Die drei Günstlinge hatte er von sich gestoßen und Gordus und Protogenes sahen wohl ein, daß ihnen in diesem Augenblick nichts anderes zu tun blieb, als sich zu fügen. Antiochianus selber trat Hierokles versöhnlich entgegen und reichte ihm die Hand, um ihn zu Antoninus zu geleiten. Die Gäste begannen, zu Tausenden und aber Tausenden zusammengestaut, plötzlich wie trunken Hierokles zuzujubeln. Es war wie eine große Raserei der Freude. Die ganze sklavische Vergötterung des übermächtigen Günstlings brandete donnernd auf und alle Schranken fielen. Nur die Magier beteten an, unbeirrbar... Der Kaiser hatte Hierokles in seine Arme geschlossen und lag nun schluchzend an seiner Brust, während Hierokles ihn versöhnlich auf Mund und Augen küßte, ihm die Wangen streichelte, ihn auf seinen Schoß niedersitzen hieß und ihm zärtlich zusprach. Dann, als die Wärme seiner Liebkosungen Antoninus zu beruhigen begann, befahl er den Dirnen, daß sie ein unbekanntes Fischgericht auftrügen, Hydogarum genannt, und Hirne von fünfzig Straußvögeln in der Form weniger kleiner Pasteten. Antoninus selbst neigte die mit Rosenwein gefüllte Amphora über des Hierokles Trinkschale. Er hatte Narr befohlen, daß er ihm einen Spiegel vorhalte, und während Hierokles aß, schminkte er sich, ordnete sein Haar unter der Mitra, legte seine Smaragde wieder an, befahl, daß man ihm einen anderen Mantel, einen seegrünen, mit goldenen Palmen bestickten, an der Halsschnur befestige und saß dann ruhig gegen Hierokles gelehnt, der Antoninus umschlungen haltend, aß und trank, der Gäste spottend.
Im Triklinium fieberte die Trunkenheit der Gäste wilder und wilder. Vielleicht war Gordianus der einzige, der nicht berauscht war. Für ihn war das Fest eine Augenweide und rauh stieß er Ganadasa, der dem Kaiser Kußhände zuwarf, von sich.
Ruhig und beschaulich blickte Gordianus sich rings um. Er hatte dem Kampf des Tribunen mit dem Lenker zugeschaut wie in einer Arena, hatte gehört, wie der Kaiser seine Liebe klagte und Hierokles leidenschaftlich zurückrief. Gordianus meinte, daß Rom nie, niemals das gesehen habe, was es jetzt sah. Nicht unter Nero, nicht unter Tiberius, nicht unter Caligula, nicht unter Commodus. Welchem Ziel wälzte sich die Zeit entgegen? Der Philosoph, der trotz seinem lachenden Epikureertum den Dingen auf den Grund zu gehen versuchte, schauderte plötzlich: ob es nicht gut sei, alles was gewesen war, und alles, was war? Durchaus gut und der Vervollkommnung dienend? War das, was vorausgegangen war, nicht Vorspiel gewesen für des Antoninus Kommen? Würde Antoninus nicht Mann-Jungfrau sein, Mittler zwischen Licht und Welt? Wie göttlich übermütig war das Kind, anbetungswürdig menschlich in seiner unbewußt schamlosen Liebe zu dem Geliebten! Es war wie eine Offenbarung. So hatten stets die Unsterblichen Sterbliche geliebt, scheinbar durch Leidenschaft besiegt, doch durch ihre Leidenschaft zugleich selbst dem Endziel der Welt nähergeführt. Vielleicht war das alles gut ... Die liebenswerte Unbewußtheit des göttlichen Knaben, der, vom Festesrauschen umwogt, seinen Geliebten umarmte auf erhabenem Thron, wie ein asiatischer Gott inmitten zarter Wolken, und die Orgie, die, diesem Vorbild folgend, wilder und wilder fieberte; die Matronen, die sich, mit Hüllen aus Rosen angetan, in lesbischem Taumel umarmten, die Mutter des Kaisers, Augusta Semiamira, vor Seligkeit erschauernd inmitten junger Zenturionen. Vielleicht war das alles gut. Glücklich sie, die ihre Sinne dem Rausch hingeben und sich von den Fesseln der Erde befreien konnten.
Er sah sich um, beobachtete, genoß auf seine Art. Antoninus erschien ihm so verführerisch, so ausschweifend, wie nur ein Gott es sein kann.
Pötzlich aus seinen Gedanken gerissen, ward Gordianus unter den schon trunkenen Gästen einer Erregung gewahr. Der Kaiser, an des Hierokles Seite sitzend, erteilte Befehle. Die Günstlinge durften sich wieder nähern. Eunuchen trugen mit Muscheln gefüllte Schalen die Lager der Gäste entlang und jeder Gast nahm eine Muschel, auf der eine Nummer des Glückspiels vermerkt war, das inzwischen begonnen hatte. Begehrlichkeit grinste aus den trunkenen Fratzen, über die die gelockerten Rosenkränze herabhingen.
»Rufus Claudius!« riefen die Nomenklaturen aus, »Rufus Claudius!«
»Der Präfekt der Vorratskammern!«
»Welche Nummer zieht der berühmte Rufus Claudius?« Der also Genannte war ein Barbier, ein gedrungener, untersetzter Mann, den des Kaisers jähe Laune zu einer der höchsten Würden erhoben hatte: ein Barbier, der dem Kaiser den ersten Bartwuchs entfernte und ihm die Glieder zu enthaaren verstand wie keine der Ankleiderinnen.
»Rufus Claudius!«
»Welche Nummer?« riefen die Nomenklatoren.
»Dreitausendfünfundvierzig!« ertönte donnernd der trunkene Baß des Rufus Claudius durch das Triklinium und er reichte seine Muschel einem Verifikator.
»Dreitausendfünfundvierzig!« wiederholte der Verifikator und die Nomenklatoren verkündeten: »Zehn Pfund Gold für den berühmten Rufus Claudius...«
»Und ein Viergespann von kappadokischen Stuten mit goldenem Zaumzeug...«
»Und einen syrischen Mantel aus doppelter Seide...«
»Und...«
Ein Jubel erhob sich. Was Rufus Claudius außerdem noch gewann, war nicht mehr vernehmlich, doch man brachte ihm die zehn Pfund Gold auf Schalen; Sklaven führten das Viergespann der Stuten durch das Triklinium zwischen den Lagern und Tafeln hindurch; der seidene Mantel wurde dem Barbierpräfekten umgehangen; die anderen Geschenke stellte man rings um ihn auf.
»Das alles bekommt ein einziger,« murmelten eifersüchtig Sertorius und die Klienten, »weil er zur Bedienung der weiblichen Sonne als Mann recht geeignet zu sein scheint.«
Lachend flüsterten sie einander laszive Anspielungen auf den Präfekten der Vorratskammern zu.
Doch die Nomenklaturen riefen weiter:
»Matthias, Vir Clarissimus, Senator!«
»Der einstige Bordellwirt aus Emesa!« murmelten die Klienten, die Gordianus umringten.
»Er, der mit Ganadasa...«
»Antoninus zum Thron geführt hat...«
»Mit dem Ägypter Horus...«
»Dem Parther Xibaran und einem Juden...«
»Die allesamt verschwunden sind...«
»Ihre Dienste brauchte Mäsa nicht länger...«
»Doch Matthias und Ganadasa wußten sich in ihren Stellungen zu behaupten. Ganadasa, höre! Der Name deines Genossen Matthias wird ausgerufen.«
»Sicherlich fallen ihm prächtige Geschenke zu!«
»...Matthias, Vir Clarissimus!« brüllten die Nomenklatoren, »welche Nummer?«
»Fünfhundertdrei!« schrie der einstige Bordellwirt, von der Laticlavia der Senatoren purpurn umhüllt; er warf seine Muschel dem Verifikator zu.
»Für den Senator, den Vir Clarissimus Matthias zehn tote Maulesel ...«
Eine johlende Freude raste durch das Triklinium. Man hörte rufen:
»Was, was gewinnt der Vir Clarissimus Matthias?«
»Und außerdem zehn Pfund unverfälschtes Blei ...«
Ein Händeklatschen, ein Johlen, ein Schreien, ein Brüllen, ein Schwenken von Händen und Armen und Tüchern.
»Und außerdem die herrliche Dirne Domitia, eine Schönheit von achtzig Wintern ...«
Eine wiehernde Schadenfreude brach sich Bahn, während die zehn toten Maulesel, mit den steifen Pfoten aneinander gebunden und an Stöcken von Sklaven geschleift, feierlich angebracht wurden, quer durch das rasende Gejohle der von ihren Sigmata herunter rollenden Gäste. Rings um den fluchenden Matthias wurden die Kadaver in weitem Kreise hingelegt. Seine Tafelgenossen entwichen. Er selbst, rot vor Zorn, wollte es hindern. Doch schon wurden ihm auf Schalen die zehn Pfund reinen Bleis dargeboten, und als die Dirne Domitia, die Bordellhalterin, rosenumkränzt auf einer Sänfte emporgehoben ward, dann gestützt von Eunuchen grinsend herabstieg und die Hände ironisch verliebt dem Matthias entgegenstreckte, sahen sie alle, wie Antoninus lachte, lachte, lachte, inmitten seiner toll ausgelassenen Günstlinge, die, selbst mit Hierokles ausgesöhnt, die Lotterie nach dem Willen des jungen Kaisers lenkten.
Und nun riefen die Nomenklatoren:
»Ganadasa!«
»Der Inder!«
»Der berühmte Gymnosophist vom Ganges!«
»Der auf seinen Nabel starrt ...«
»Der sich sieben Monate lang von einem einzigen Reiskorn genährt hat ...«
»Dessen Antlitz, wie eine Sonnenblume, sich dorthin wendet, wo die Glorie Heliogabals erstrahlt ...«
»Ganadasa, der Inder, welche Nummer?«
»Zweitausendsiebenhundertachtundfünfzig!« ertönte schrillfragend die scharfe Stimme des Inders voll banger Erwartung und bebender Hoffnung.
»Eine Schüssel voll lebender Frösche ...«
»Und ein Gefäß mit Skorpionen gefüllt ...«
»Und ein Korb mit heiligen Schlangen aus dem Lande der Marser ...«
Ganadasa stieß einen Schrei aus, nicht nur vor Enttäuschung, sondern auch vor Angst, Abscheu und Verzweiflung. Im nächsten Augenblick schon wurden Schüssel, Korb und Gefäß vor ihn hingestellt. Die Frösche sprangen heraus, aus dem Gefäß krabbelten die Skorpione, aus dem Korbe schossen die heiligen Schlangen über den Tisch, über das Sigma, über die Schultern und den Schoß des Ganadasa. Fluchend versuchte er zu entfliehen, riß sich den Mantel vom Leibe. Seine Angst- und Verzweiflungsschreie übertönten das Johlen der Gäste. Ja, er wagte es sogar, die Faust zu ballen gegen Antoninus. Der aber lachte. Ganadasas Tafelgenossen versuchten, aufgeschreckt, die Frösche, Skorpione und Schlangen totzutreten; sogar der gemessene Gordianus, der in unmittelbarer Nähe saß, mußte sich hastig erheben und einen Skorpion zertreten, weil seine Klienten ihm nicht rasch genug beistanden. Doch sein eigener Name wurde gerufen.
»Der edle Gordianus Antonius ...«
»Quaestor Procurator Aerarii Majoris, welche Nummer?«
»Zwei!« rief Gordianus ruhig lächelnd, indem er dem Verifikator seine Muschel zuwarf.
»Dem sehr edlen Gordianus Antonius,« fuhren die Nomenklatoren fort, »dem Freunde schöner Frauen die schönste Jungfrau, die das Schicksal barg ...«
»Sie dem Gordianus zu bewahren .. .«
»Außerdem vier Eunuchen, die ihre Tugend bewachen sollen.«
»Auf daß Gordianus sicher sei, daß er allein sie pflücke.«
Gordianus lächelte überrascht; da nahten auch schon vier Eunuchen und Sklaven, kostbar gekleidet, und geleiteten in ihrer Mitte, während die Gäste Rufe der Bewunderung ausstießen und mit Tüchern und Mantelzipfeln schwenkten, ein sehr junges Mädchen, eine Georgierin, deren Glieder so weiß und makellos waren wie der leuchtendste Marmor; verlegen trat sie näher, jugendlich schüchtern; rabenschwarz war das hochgetürmte Haar, von bläulichem Schimmer überblaut, an den Schläfen von einem juwelengeschmückten Band gehalten. Ihr Körper war von einem dünnen Silbernetz kaum verhüllt. Schüchtern, trippelnden Schrittes, näherte sie sich Gordianus, der sie überrascht empfing und sie an seiner Seite niedersitzen hieß, während er ausrief:
»Ewiger Heliogabal, danke in meinem Namen dem gnadenreichen Schicksal für das herrlichste Tafelgeschenk, das mir jemals zuteil ward!«
Der Kaiser winkte ihm zu. Und schon wurden andere Namen ausgerufen, in rascher Folge ...
Gordus, Protogenes, Murissimus hatten den Kaiser mit Antiochianus, Hierokles und dessen Blutsfeind Aristomachos – für den Augenblick versöhnt – die Lotterie weiter leiten lassen; sie selbst waren herabgeschritten, hatten sich dem Sigma der Serenissima genähert, hatten Semiamira, die noch inmitten der jungen Centurionen lag, gewichtig zugewinkt; und die Kaiserin-Mutter folgte den drei Günstlingen hinter die Säulen des Peristyls, und sie flüsterten wie bei einer Verschwörung:
»Augusta, Augusta, was kann man tun? Hierokles ist wieder in des Kaisers Gnaden aufgenommen!«
»Niemals hätten wir das gedacht!«
»Kaum drei Tage hat die Verbannung dieses Elenden gewährt, der es wagte, den Kaiser zu mißhandeln!«
»Ich hasse Hierokles!« sprach die Serenissima, »aber ... ich fürchte ihn ... Ist der Mann gekommen?«
»Er ist hier ...«
»Wer ist es?«
»Der Sohn eines Koches, Aurelius Zotikus, aus Smyrna gebürtig. Man hat ihm den Beinamen ›Koch‹ gegeben: Magirus.«
»Doch er ist Athlet ...«
»Größer als Hierokles und straffer gebaut. Er ist der schönste Mann, den wir finden konnten ...«
»Die Eunuchen hielten schon seit Wochen Umschau in den Thermen ...«
»Wo ist er?« fragte die Serenissima.
»Er wartet ...«
»Laß ihn kommen, Gordus ...«
Gordus winkte von der Höhe der Terrasse herab in das Dunkel der Gärten: zwei Eunuchen geleiteten den Mann, den Magirus Aurelius Zotikus. Die Serenissima musterte ihn von Kopf bis zu den Füßen und sprach dann zu Gordus:
»Er ist nicht übel ...«
»Er ist der schönste Athlet, den wir finden konnten.«
»Er ist nicht übel,« wiederholte Semiamira. »Doch niemals wird er sich dazu eignen, an des Hierokles Stelle zu treten.«
»Der Kaiser liebt diesen Typus,« flüsterte Murissimus.
»Ja, manchmal, in einer flüchtigen Laune,« sagte Semiamira, »aber dieser Zotikus wird niemals des Antoninus Gemahl sein können, ich kenne meinen Sohn.«
»Dann,« sagte Protogenes, während er die Fäuste ballte, »dann töte ich Hierokles! Dann vergifte ich ihn!«
Hastig packte die Serenissima ihn beim Arm.
»Still, still! Ich fürchte mich ... nicht so laut ... ich meinte, Hierokles sei hinter uns her geschlichen ... ich fürchte diesen Mann zu sehr, um ihn töten zu lassen. Nein, Protogenes, vergifte ihn nicht, er hat eine geheime Kraft ... er würde uns auch über den Tod hinaus beherrschen. Der Kaiser muß tun, was Hierokles will. Selbst Mäsa neigt sich vor ihm ... Er hat allein durch seine geheime Kraft den Antoninus gezwungen, ihn mit lauter Stimme zurückzurufen.«
»Was erwartet man von mir, Serenissima?« fragte der Magirus mit lebensfrohem Lächeln.
»Seine Ewigkeit, der Kaiser Antoninus Heliogabal,« sprach Semiamira, »ernennt dich zum Cubicularius.«
»Was für eine Stellung ist das ?«
»Das werden deine Gefährten dir schon sagen, du scheinst mir für diese Stellung recht geeignet zu sein.«
Krampfhaft packte sie Zotikus beim Arm und flüsterte ihm zu:
»Wenn du tust, was ich will, was wir wollen, wenn du es erreichen kannst, daß der Kaiser seinen Gemahl Hierokles verstößt und statt seiner dich aufnimmt ... dann will ich dir alles geben, was du nur verlangst, alles, ohne Vorbehalt.«
Des Magirus brutal-schönes Antlitz strahlte vor Freude und Zufriedenheit.
»Führt ihn hinein!« befahl Semiamira; sie selber eilte zurück in das Triklinium, zu ihrem Sigma. Das Jauchzen und Johlen im Festsaal war betäubend; auf Bänken und Lagern und Tafeln standen, sinnlos trunken, die Gäste, um besser sehen zu können, denn von Trommeln und Sistrenmusik begleitet, marschierte eine Legion von Frauen herein, nackt, zu zweien, zu vieren, dann wieder zu zweien, und die Gäste erkannten sie, winkten ihnen zu, riefen ihre Namen. Die Frauen nickten, lachten, kicherten, wiegten sich in den Hüften, wanden die Brüste und beantworteten Grüße, während sie in dem geschulten Schritt der Legionäre in den Saal schritten, die Tafeln entlang, rings um das Thronsigma. Alle zugleich verneigten sich mit erhobenen Armen vor dem Kaiser, der lachte... Aufrecht stand er da, während Hierokles gesättigt, ruhig, zufrieden, mit spöttischem Lächeln auf die goldenen, mit Safran bestreuten Polster hingestreckt, mit halb geschlossenen, von Freude und Sattheit schweren Augen zusah. Nach dem Gruß, den sie dem Kaiser dargebracht, marschierten die Frauen weiter durch den Saal und den Gästen ward es klar, daß die Tabernen und Bordelle der Subura leer sein mußten, daß außerhalb des Palatiums in Rom keine einzige Dirne sein konnte, denn alle Huren hatte der Kaiser geladen, teilzunehmen an seinem Gelage, und zu Tausenden waren sie gekommen. Sie schritten durch das Triklinium, wie ein nicht endenwollender, blendender Aufmarsch wogender Nacktheit: ein endloses Heer von Weiblichkeit, als wolle der Kaiser, der selbst die Männlichkeit mehr begünstigte, in seiner Mann-Jungfräulichkeit an diesem Abend auch das Weib ehren. Begehrlich streckten die Gäste ihre Hände aus, doch der Kaiser rief von seinem hohen Sigma herab, in seiner leichten Trunkenheit ein wenig unsicher, doch mit hoher, heiterer und hell tönender Stimme:
»Commilitonen! Mitkämpfer! Ihr alle ...«
»Dii te servent!« riefen die Tausende von Dirnenstimmen, schrill und hoch, wie ein Heeresruf. »Mögen die Götter dich behüten, Augustus, Antoninus, ewiger Heliogabal! Unser Mitkämpfer, unsere Mitkämpferin!«
Es war ein ungeheurer Jubel. Denn wie zu einem Heer sprach Antoninus zu den Huren, feuerte ihren Mut an zu dem Kampf, der alsbald losbrechen würde zwischen ihnen und seinen Gästen, und ungeachtet seiner Trunkenheit schillerten seine geschliffenen Worte von Witz und Geist wie die eines Rhetors. So wohlklingend war sein Latein und von so bilderreicher Pracht, daß er mit seinen Worten bezauberte. Entzückt hörte ihm Gordianus zu und rief bei den letzten Worten des Kaisers begeistert aus:
»Aber er ist unglaublich, mein Antoninus, er ist unglaublich in allem, was er tut. Hört, hört doch nur, das gewählte Latein! Seine Aussprache ist frei von jedem Akzent. Heliogabal ist mehr als ein Gott, er ist ein Künstler, ein Dichter, ein Genius!«
Strahlenden Auges war Gordianus gleich den anderen zum Sigma emporgestiegen; Antoninus sah seine Bewunderung und rief ihm lachend zu:
»War es gut so?«
»Mein Antoninus,« antwortete Gordianus, »es war herrlich! Zum Schmeichler bin ich nicht geboren, doch wahrlich, deine Redegabe ist nicht weniger meisterhaft als deine Tanzkunst.«
»Ich habe mir meine Ansprache selbst ausgedacht,« rief Antoninus selbstgefällig aus; und beinahe herausfordernd, als könne Gordianus an seinen Worten zweifeln, fügte er hinzu: »Kein Rhetor hat mir geholfen!«
Der Jubel war ohrenzerreißend. Antoninus, berauscht, warf Kußhände nach allen Seiten, doch diese ganz unerwartete Ekstase über etwas, das er im Grunde für nichts achtete, das ihm nichts als eine köstliche Begabung erschien, nahm sein schon überreiztes Hirn derart gefangen, daß das ganze Triklinium sich plötzlich vor ihm in rasendem Kreis zu drehen begann. Er wankte und stürzte über Hierokles.
»He!« brüllte der Wagenlenker, während er das Kind in seinen Armen auffing.
Heliogabal lag bewußtlos da; Narr und die Dirnen kühlten ihm Schläfe und Pulse mit Schnee aus Schalen von Murra. Durch die beißende Kälte gewann er sogleich das Bewußtsein wieder, lachte wie ein Irrer, stand auf, entwand sich den Armen des Hierokles, gedachte des Gordianus, wollte ihn stolz umschlingen, wankte wieder, strauchelte den Sigmathron hinunter, drängte sich durch die Schar der Günstlinge, die ihn zurückhalten wollten, bis ihm, dem von Wein und Stolz trunkenen jungen Kaiser, plötzlich ein lebensfroh lächelnder, brutal-schöner Kopf auffiel auf einem massigen Athletenkörper, der sich muskelstark zwischen Gordus, Murissimus, Protogenes reckte... Nach der übermenschlichen Anstrengung, zu der er in der Trunkenheit seine Stimme gezwungen hatte, um der Hurenlegion gewählt und in zierlicher Rede zuzusprechen, fragte Antoninus zaudernd.
»Wer... wer bist du ?«
»Niemand, Eure Ewigkeit.«
»Was ?... Du bist doch jemand! Wer bist du?«
»Ein neuer Cubicularius.«
»Ich habe dich noch nie gesehen... Wie heißest du du?«
»Aurelius Zotikus, o göttlicher Augustus. Der Magirus.«
»Also bist du ein Koch? Kannst du neue Gerichte ersinnen? Dann will ich dich belohnen.«
»Nein, Augustus, ich bin kein Koch, aber ich war der Küchenjunge meines Vaters in Smyrna. Für die Kochkunst habe ich keinerlei Begabung, doch ich habe andere Talente.«
»Andere Talente?« antwortete Antoninus mit trunkenem Lachen. »Andere Talente? Du Unverschämter!«
Er lachte auf, warf sich zurück, stieß die Dirnen beiseite, ballte die Faust gegen Narr.
»Antoninus,« flüsterte der neue Cubicularius, »komm mit ins Bad.«
»Ins Bad?«
»Nach dem Bad feiern wir von neuem ein Fest.«
»Ja, ja, ins Bad.«
»Gestatte mir, daß ich meinen neuen Dienst antrete.«
»Ja, ja, ich gestatte es, dir gestatte ich alles.«
Trunken lallte der junge Kaiser, wankend warf er sich dem Zotikus an den Hals. Der Magirus fing ihn in seinen Armen auf und trug ihn, der leicht war wie eine Feder, das Sigma herab, während Antoninus schreiend befahl:
»Zum Bad! Zum Bad!«
Ein Aufzug bildete sich: Bläser, Ankleiderinnen, Narr, einige wenige Cubicularii, in deren Mitte Zotikus einherschritt, den Kaiser gestreckt auf seinen Armen tragend.
»Sie gehen zum Bad, sie gehen zum Bad,« flüsterten die Günstlinge einander zu. »Zotikus tritt seinen neuen Dienst an.«
»Antoninus!« rief Hierokles, plötzlich ganz ernüchtert. »Er hört nicht! Antoninus! Hörst du mich nicht? Wohin geht er? Ins Bad mit seinem neuen Cubicularius?« Spöttisch lachte er auf.
»Meinetwegen mag Antoninus sich vergnügen und baden, so viel er will. Ich gönne es ihm, ich bin ein Gemahl, so gnädig, wie meine Gemahlin es ist. Ich gestatte alles, alles, ihm und mir selber.«
Er befahl, daß drei junge Knaben, Söhne römischer Edler, sich nähern sollten, auf daß sie ihm zu willen seien. Durch den ungeheuren Raum des Trikliniums trieb der goldene Dunst wie eine Wolke, gebildet aus Weihrauch, Atem, Speisedampf, Fackelqualm, und dieser Dunst lichtete sich in der Richtung der weiten Nymphäen, wo Fontänen Rosen- und Mastixwein ausspieen. Am Rande jener Becken, zwischen den zertretenen Arum- und Lilienbeeten, lagen die Gäste, Schalen in der Hand, und schlürften und schwelgten und zwischen ihnen lagen Dirnen und oftmals geschah es, daß in einer wilden Umarmung ein Paar in das Vasculum taumelte und unter den Weinstrahl geriet, so daß das blutrote Naß aufspritzte, während das Paar in der jähen Purpurkühle dieses von Rosen- und Poleiduft gewürzten Bades die Umarmung weiter genoß. Sobald der Kaiser weggetragen war, hielten die Magier und Oberpriester in ihrer Anbetung inne und Hierokles blieb allein mit den drei Knaben, hoch auf dem kaiserlichen Sigma, bedient von einem Schwarm von Sklaven und Sklavinnen, nun, da er in Gnaden wieder aufgenommen war.
Zu den Gästen gesellten sich die zahllosen Huren Roms und in dem Dunst des Saales verschwammen die Gebärden der Leidenschaft zu unwahrscheinlicher Fabel, zum Mythus irrealer Lüste. Kaum, daß sie sich in Wirklichkeit abzuspielen schienen. Sie muteten an wie eine zaubergleiche Beseelung der Darstellungen auf den Friesen und Flurmosaiken, wo die aneinander geschmiedeten Geschöpfe vordem Niegedachtes, Niegeschautes, Niegeträumtes verkörperten.
Der Kaiser kam zurück. Den Arm hatte er um des Zotikus Nacken gelegt, während Zotikus des Antoninus Hüfte umschlang. Er ging schleppenden Schrittes, wie ein Weib nach einer Liebesnacht. Er hatte nach dem gemeinschaftlichen Bad mit seinem Günstling sich eilig schminken und das Haar aufstecken lassen, er glich einem griechischen Erosbild und erschien nun in seinem silbernen, mit Smaragden übersäten Mantel, so wie zu Anfang des Festes. Des Zotikus Umarmung hatte seine Trunkenheit zum Paroxysmus gesteigert; das Bad hatte ihn ernüchtert, er fühlte sich schwer und zugleich leicht, zum Schweben leicht; in seinen Schläfen hämmerte es, etwas Bitteres lag auf seiner Zunge und seine veilchendunklen Augen starrten fast wehmütig. Zwischen den gefärbten Brauen runzelte sich seine Stirn, nervös zuckend.
»Antoninus,« flüsterte Zotikus, »heiter und ausgelassen warst du soeben noch, und jetzt...«
Der Kaiser gebot ihm Schweigen.
»Ich bin so, wie ich bin,« sagte Antoninus, »doch ich bin sehr zufrieden... beunruhige dich nicht... du bist nur ein einfacher Bursche, aber du verstehst das Spiel und deine Tollheit hat die meine entflammt... Sieh jetzt doch ihre Tollheit, ihre schmutzige Tollheit. Ich finde meine Gäste sehr abstoßend, sie sind nicht wie Festgenossen, sie sind wie Schweine.«
»Sie sind roh, nicht wahr, Antoninus? Und du bist ein ganz feiner, kleiner Mann.«
»Sie sind wie die Schweine, sie erbrechen sich hinter den Säulen. Sie zerschlagen Glaswerk, von dem die geringste Schale mehr wert ist, als ihre eklen Köpfe es sein würden, wollte ich sie als Sklaven verkaufen lassen ... Sie sind weder geistreich noch lustig, auch sind sie keine Feinschmecker; sie sind nicht einmal so wollüstig-sinnlich aufgepeitscht, daß sie zu den höchsten Genüssen gelangen könnten; sie sind einfach erbärmlich. Ich kann es nicht länger mit ansehen. Gordianus scheint gegangen zu sein. Er hat recht!... Komm, mein neuer Freund, mein heiterer Spielgenosse, mein gesunder Athlet, mein lieber Dummkopf, mein Maulesel, mein Hengst – wie soll ich dich noch nennen? Komm, komm mit mir hinaus in die Säulengänge, wir wollen nach den Sternen schauen. Kannst du in den Sternen lesen? Nein, nicht wahr, du schöner Dummkopf, wie heißt du doch gleich? Zotikus, ein plebejischer Name. Aber ich habe dich doch lieb und ich mag deinen breiten, lachenden Mund und deine einfache, robuste Art ... Vielleicht schicke ich dich für ein paar Monate auf die Sklavenschule und das Pädagogium. Ja, lach du nur ... ich liebe dein Lachen und deine Zähne. Umschlinge mich fester, ich wanke, ich weiß nicht, wie mir ist. Ich schwebe, ich schwebe ... ich will frische Luft atmen, die Sterne will ich sehen. Ha, endlich, endlich! Wer ist das da zu Pferde?«
»Die Argyraspiden und Chrysaspiden, die Wache der Prätorianer, mein Antoninus.«
»Arme Teufel, haben sie da schon die ganze Nacht gestanden? Stunden- und stundenlang? Was ist das dort hinten? Ist das das Volk? Meine armen Prätorianer, sie sollen zurück in ihre Kaserne. Morgen werde ich ihnen ein Donativum geben und heute abend bekommt ein jeder von ihnen eine Dirne. Es sind ihrer zu viele im Palast. Jawohl, lach du nur, laß mich einen Augenblick hier allein, sie werden mich nicht stehlen. Geh zu Antiochianus und überbringe ihm meinen Befehl: die Palastwache soll heimreiten, jeder Reiter mit einer Dirne. Geh, spute dich, Smyrnäer, und finde mich dann hier wieder.« Der Magirus eilte dröhnenden Schrittes davon.
»Sardanapal!« erklang es von ferne.
Antoninus trat hinaus in die Säulengänge.
Sie lagen verlassen da und erstreckten sich in endloser Länge nach links und nach rechts. Wie ein Ornament, das den Palast einfaßte, war dieser Gürtel der Argyraspiden und Chrysaspiden, jede Gemme dieses Ornaments und dieses Gürtels ein länglicher, vergoldeter oder versilberter Schild. Die Pferde stampften ungeduldig, hinter ihnen war viel Volk. Es ergoß sich über die Area Palatii wie ein dunkler Schwärm, von dem sich hier und dort ein Schattenbild abhob, jetzt, da sich über der Campagna, hinter dem Sabinergebirge, ein bleicher Lichtschein zeigte.
»Sardanapal!«
Was rufen sie? dachte Antoninus.
»Hurenkind! Frevler! Asiat! Asiat!«
Regungslos stand der Knabe, allein in den endlosen Gängen, zart und weiß in seinem silbernen Mantel, der, an der Halsschnur befestigt, von seinen gerundeten Schultern herabwallte.
»Asiat! Bist du ein Römer? Bist du ein Mann?«
Antoninus regte sich nicht. Er hörte nicht alles. Er wußte nicht, ob sie ihn sahen, erkannten, aber er begriff, daß sie ihm nicht zujubelten, daß sie den Palast und die Wache der Berittenen schmähten. Er fühlte, wie er erschauerte. Fieberte er? Wie kalt wurde ihm plötzlich! Auch begann die Morgenbrise sich zu erheben und er stand nackt da in seinem silbernen, mit Smaragden übersäten Mantel. Einen Zipfel warf er sich über die Schulter. »Schandbube! Hurenkind! Götterdieb! Er stiehlt die Götter aus den Tempeln! Frevler! Asiat!«
Sie schmähten ihn. Warum taten sie das? Beteten sie ihn nicht mehr an? Warum riefen sie: Hurenkind? War er nicht der Sohn des Caracalla? Wie kalt war ihm, wie kalt plötzlich. Gewiß war das Bad daran schuld, und die Morgenkühle. Da kam Zotikus zurück.
»Antoninus, dein Befehl wird ausgeführt, die Berittenen ziehen heim, jeder Reiter hat eine Dirne auf seinem Sattel.«
Antoninus lachte wie toll.
»Freuen sollen sie sich!« rief er aus.
»Das Donativum ist für morgen verheißen.«
»Gut. Du kannst besser Botendienste verrichten, als ich dachte, ganz so dumm bist du nicht. Mein neuer Freund, mich friert, fühl meine Hände.«
»Du bist kalt wie Eis, mein Antoninus,« sagte der Magirus. Mit seinen Fäusten wärmte er des Antoninus Finger.
»Ja, ja, wärme mich, wärme mich, so.«
»Höre, Antoninus, sie rufen.«
»Ja, sie rufen. Laß sie rufen, sie rufen immer, einmal dies, einmal jenes. Komm, mein neuer Freund, mich hungert, ich habe Durst, komm!«
Ganz dicht schmiegte sich Antoninus an Zotikus und ließ sich, von ihm umschlungen, halb geschleppt, halb getragen, weiter führen von dem Magirus, der lächelte.
»Ihr Götter!« rief Antoninus aus, als er das Triklinium betrat, »wie abstoßend! Mein Fest will ich noch lange nicht beenden, doch dies Widerwärtige will ich nicht länger sehen. Zum Glück kenne ich noch Mittel, um all dies Scheußliche zu verdecken. Trage mich, Athlet, auf deiner Schulter, so wie der Faun einst Liber trug, denn durch dies Ekelhafte zu gehen, ist mir unmöglich. Trage mich zurück zu meinem Sigma.«
Der Magirus hob den Kaiser auf seine Schulter und trug ihn die Stufen zum Sigma empor. Von den goldenen Kissen war Hierokles herabgeglitten. Er schlief, laut schnarchend.
»Mein neuer Freund, sieh, da liegt mein Gemahl, meiner Untreue achtet er nicht. Sei du mein Geliebter: mein Gemahl sieht uns nicht, er schläft. Wärme mich in deinen Armen. Mich friert. Magier, Magier, wo seid ihr? Betet mich an, damit mir warm wird! Weihrauch! Fackeln! Düfte! Neue Speisen! Purpurrausch von Rosenwein! Ein wilder, brennender Hymnus sei rings um mich! Ich bin die Sonne, die friert! O Welt, wärme mich mit deiner Liebe, deiner Anbetung, deiner Leidenschaft. Ihr, Gordianus und Murissimus, und du, Protogenes, du Wüterich, und du, Aristomachos, mein guter, braver, sind die Blumen bestellt ...? Wein! Wein! Wein! Und dann Blumen! Blumen! Die Blumen sollen herabregnen auf alles, was häßlich ist!«
Erschauernd war Antoninus auf die goldenen Kissen gesunken. Er zog Zotikus an seine Seite und umschlang ihn. Den einen Fuß hatte er auf die Brust des Hierokles gesetzt, leicht nur, auf daß er den Schlafenden nicht wecke: er griff nach der Trinkschale, die Narr ihm darreichte und füllte, und so war er in Wort und Haltung Mime und Künstler, so wollte er sich selbst berauschen durch dichterische Phrasen und eine Gebärde der Schönheit.
Denn unter den Gästen war keiner, der ihn hörte, keiner, der ihn sah. Sie alle waren ihrem eigenen Taumel hingegeben. Die Magier beteten an, schwer stiegen die Weihrauchdämpfe empor... Doch während der Qualm sich hob, verschob sich langsam die ungeheure Wölbung der Kuppel des Trikliniums; es war wie eine seltsame Vision, in schwindelnder Trunkenheit geschaut. Die Bogen verschoben sich ganz langsam durch die Dunstwolken hindurch; die Fächer und Rosetten öffneten sich, es war, als bohrten sich viereckige und runde Prospekte in dies Himmelsgewölbe. Doch statt Sternen begannen Blumen herabzufallen, Rosen, Veilchen, Ranunkeln und sogleich sich entblätternde Mandelblüten, ein farbiger Schnee, der in bunten Flocken niederflatterte ... bis, einem ungeduldigen Ruf des Kaisers gehorchend, ein Sturzschnee von blanken Lilien sich über sein Sigma ergoß, mit so jäher und überwältigender Üppigkeit, daß sie lawinengleich das Sigma, die Tafel und Hierokles bedeckten, daß ihre Blütenblätter in des Antoninus Haar hängen blieben, in seinem Schoß, an seinem Becher – so dicht senkte sich die jähe Blütenüppigkeit herab, daß die Gäste, trunken vor Lust und Sinnesrausch, verstummten, nicht wissend, ob sie Wirklichkeit schauten oder ob sie einem Wahn, einem Spuk anheimgefallen waren. Da plötzlich schneiten zugleich in allen vier Ecken des ungeheuren Raumes und in so ungeheurer Fülle, daß es wie ein Rauschen klang, die Blumen wie bunter Schnee herab; große dunkle Veilchen, sternengleiche Maßliebchen, Narzissen, strahlende Sonnenblumen, Tuberosen, einen betäubenden Duft verbreitend; Gardenien, wie aus Marmor gemeißelt; Daturen mit schwankenden Glocken... sie fielen, fielen, fielen, so daß es den trunkenen Augen der Gäste märchenhaft erschien, märchenhaft, weil es in einer Jahreszeit so vielerlei Blumen nicht geben konnte, weil sie erblüht zu sein schienen in tausend Zaubergärten, in einer magischen Welt, wo die Blütezeit aller Blumen ewig sein mußte. Es war, als ließen die Daturen den Glockenhymnus ihrer berauschenden Düfte erklingen, als strömten die Tuberosen das verderbenbringende Aroma ihrer Seele in schweren Tropfen aus, als stießen die Narzissen, die Maßliebchen, die Veilchen, sterbend, zerdrückt, vernichtet, zertreten, die Seufzer ihrer Zärtlichkeiten aus, die in dieser Verzweiflung zu einer magischen Macht der Betäubung wurden, denn zwei sich umarmende, trunkene Frauen erblichen, bedeckt, begraben, überduftet, betäubt, und starben röchelnd. Es erhob sich ein Knabe; er lachte wie im Wahn, schlug mit den Händen um sich, stürzte entnervt auf einen Hügel dunkler Veilchen, darin er versank wie in einem samtenen Bett.
Doch auf dem kaiserlichen Sigma war Antoninus ein anderer geworden. Ihn fror nicht mehr, glühendes Fieber raste durch seine Schläfen; er hatte sich über des Zotikus breite Knie geworfen und blickte mit bebendem Lächeln und lockenden Augen zu ihm empor. Seine Hand hing schlaff herab über den trunken schnarchenden Hierokles, wühlte in den Lilien, die über seinen Gemahl herabgeschneit waren. Die Magier beteten an, unbeirrbar, doch vor Ekstase erschauernd, und ihre Knie lasteten auf der Brust der betäubten Sonnenpriester und Sonnenkinder.
Doch da die Berittenen zu den Kasernen zurückgetrabt waren, jeder Reiter mit seiner Dirne, war der Pöbel bis in den Portikus vorgedrungen. Weiter wagte er sich nicht, der Blumenregen ängstigte ihn. Nur wenige Trunkene, die den Mut hatten, in diesen Taumel einzudringen, stahlen Edelsteine, glitzernde Gefäße, hoben schwere Amphoren an die Lippen. Bis Antoninus ihrer gewahr ward.
Er war nicht mehr er selbst.
Nach seiner zweiten Trunkenheit hatte ihn gleichsam der Wahnsinn gepackt. Narr, der sich geweigert hatte, die Trinkschale zu füllen, hatte er diese wild an den Kopf geschleudert, so daß das schwarze Gesicht blutüberströmt war und der Neger vor Schmerz laut aufschluchzte. Antoninus hatte in seiner wahnsinnigen Trunkenheit seltsam verworrene Visionen: den Sternenturm zu Emesa sah er und Hydaspes. Doch der Sternenturm ragte mit seinem Fundament in den Himmel, und Hydaspes war zugleich Hierokles. Es war wie ein wacher Traum und dennoch sah Antoninus während dieses Traumes auch die Wirklichkeit, sah das Volk und den Pöbel durch den Portikus eindringen, das nämliche Volk, das ihn soeben geschmäht hatte. In ihm lebte ein so tolles Schmachten, um jeden Preis die Anbetung und Liebe dieses treulosen Volkes zurückzugewinnen, sich diesem ganzen Volk hinzugeben, so wie er sich im Symbol, im Dienst und im Tanz und in mancher heiligen Zeremonie hingegeben hatte – dem Volk in der Tat Mann-Jungfrau zu sein, so wie Hydaspes sich ihn wünschte. So außer sich geriet er durch dieses wahnsinnige Schmachten, daß er in seiner trunkenen, abirrenden Frömmigkeit keine Grenzen mehr empfand und mit weit ausgebreiteten Armen laut ausrief:
»Kommt alle zu mir, alle!«
Viele Eindringlinge, der verworfenste Pöbel, Diebe, die die ganze Nacht die erleuchteten Paläste umschlichen, hatten sich eingedrängt; doch sie zauderten, verwundert. Da rief der Kaiser mit schriller, hoher Stimme, die Arme weit ausbreitend, zum zweitenmal:
»Kommt alle zu mir, alle!«
Aus seiner Stimme klang es wie ein Flehen, wie ein Schluchzen, begehrt, geliebt, angebetet zu werden. Doch Antoninus war – weil sie nicht kamen, nicht begriffen, nicht wagten, nicht wollten – herabgestiegen vom Sigma, stieß die nun gleichfalls trunkenen Magier und die erschöpften Sonnenpriester zur Seite, trat achtlos auf die Bewußtlosen, eilte durch das Triklinium. Überall lagen die Gäste, trunken ... Er näherte sich einem inneren Portikus, wo kleine Cubicula eingerichtet waren, ein üppiges Bordell für jene, die die Scham davon abhielt, auf den Tafellagern ihre Lüste zur Schau zu stellen. Antoninus riß die Vorhänge zurück. Zornige Schreie erklangen von Matronen, von Senatoren, die sich dorthin zurückgezogen hatten. Doch endlich fand Antoninus einen leeren Raum, und auf der Schwelle stehend, rief er, so schrill und so laut er nur konnte, während er dem eindringenden Volk winkte:
»Kommt zu mir, alle, alle! Kommt, ich bin das Licht, das allen strahlt, ich bin der Mann und die Jungfrau, ich gebe mich hier wie dort für einen Aureus, für fünfzehn Sesterzen, für drei As, für nichts, für nichts. Kommt, kommt zu mir alle!«
Tanzenden Schrittes drehte er sich um sich selbst; wiegte sich in den Hüften, winkend, rufend, lächelnd, die Arme reckend, den Schoß wiegend nach dem Rhythmus der Huren, die auf den Schwellen der Häuser in der Subura lockend sich darbieten. Der Pöbel, der Abschaum näherte sich ... rauhe Stimmen riefen, schrien, johlten; die Thronwache der Prätorianer, berauscht, wußte nicht, was tun, hörte nicht mehr des Antiochianus Befehle ... Doch aus den inneren Säulenhallen, durch die Nymphäen aus dem weiter abgelegenen Frauenhof, eilte ratlos eine weiße Gestalt herbei, hastig, zwei-, dreimal strauchelnd. Und dann warf sich Mäsa Antoninus zu Füßen und rief:
»Mein Kind, Antoninus, mein Liebling, komm zu dir! Die Argyraspiden und Chrysaspiden hast du heimgeschickt, das Volk dringt in den Palast ein. Mein Kind, was tust du? Du rufst das Volk? Rufe nicht mehr, du bist berauscht, du weißt nicht mehr, mein Augapfel, was du tust, was du rufst! Ihr Götter, er weiß nichts mehr, er ist wahnsinnig! Bleibt alle dort, alle! Ich bin Mäsa, die Clarissima! Hörst du mich nicht, Antoninus? Ich befehle dir, still zu sein! Du bist keine Hure! Ich flehe dich an, mein Liebling, sei still! Hörst du mich nicht? Soll ich dich mit der Sandale schlagen?«
Sie stand vor ihm, während er sich wand und drehte, während er lächelnd lockte. Weil er ihrer nicht achtete, nicht ihres Flehens, nicht ihrer Befehle, stützte sie sich gegen den Türpfosten, riß die Sandale vom Fuß und erhob sie drohend gegen den Kaiser.
»Du altes Weib!« schrie er schrill auf, » mich mit der Sandale schlagen? Mich, das Licht, die Sonne?«
Er stürzte sich auf sie, entriß ihr die Sandale und versetzte ihr damit einen klatschenden Schlag.
Sie zuckte zusammen und verstummte, während ihre Augen aus den Höhlen traten und sie vor Schmerz und Entsetzen die Arme abwehrend ausstreckte.
Doch plötzlich schien sie emporzuwachsen wie eine Flamme des Zornes und mit einer wild befehlenden Stimme, die durch die ernüchterte Schwüle des ungeheuren Trikliniums dröhnte, rief sie: »Antiochianus! Aristomachos! Ich, Mäsa, befehle euch: Führt den Kaiser augenblicklich hinweg in seine Gemächer und schließt ihn ein!«
Ihr Arm, ihr Finger blieben gestreckt. Die Palla war ihr von den Schultern herabgeglitten und in ihrem weißen Gewand stand sie da wie eine zornflammende Schreckensgöttin, erhaben und Ehrfurcht heischend. Ihre dunklen Augen, schwarz funkelnd wie Kohlen, befahlen, ungeachtet der hervorspringenden Tränen: ihre gestreckten Finger befahlen: ihre ganze ehrfurchtgebietende Gestalt befahl und Aristomachos, Antiochianus kamen näher. Sie bedeckten Antoninus, der sich wehrte, mit einem Mantel und trugen den Kaiser hinweg zu seinen Gemächern: sein Schreien verlor sich in den Säulenhallen.
Die Prätorianer hieben ein auf das Volk und Blut floß hier, dort, überall. Ein beginnender Brand lohte auf in einem Winkel des Trikliniums, Sklaven löschten ihn, indem sie Wein aus den Amphoren in die Flammen gossen. Mammäa, gleichfalls im Nachtgewand, war aus dem Frauenhof herbeigeeilt.
»Mutter! Mutter!« rief sie händeringend.
Die alte Frau floh hinweg von ihr.
»Laß mich! Laß mich!« schrie sie gellend. Sie eilte weiter, weiter, strauchelnd, schluchzend, während sie verzweiflungsvoll die Hände vors Gesicht schlug.
»O Mutter, er hat dich geschlagen! Antoninus hat dich geschlagen! Das würde Alexander nie, nie getan haben!«
»Laß mich, laß mich!« rief Mäsa aus und warf sich in Semiamiras Arme.
Die Serenissima war herbeigeeilt, in halb geöffnetem Festgewand, wirr die ungeordneten Haare.
»Das würde Alexander nie getan haben!« ertönte nochmals Mammäas Stimme. Semiamira schalt und fluchte und führte die Mutter triumphierend mit sich.
»Antoninus, mein Antoninus!« rief Mäsa schluchzend aus, während die Augusta sie dem Bereich der Mammäa entführte.
»Was hast du getan!«
Ihre klagende, schluchzende, verzweifelte Stimme löste sich in weiche Zärtlichkeit.
Im Triklinium löschten die Sklaven die Lampen und die schwelenden Duftfässer; sie weckten die schnarchenden Gäste mit Fußtritten, ihnen beinahe befehlend, daß sie gehen sollten.
Draußen lohte, in den ersten Morgenstunden, die Glut eines sommerlichen Tages.