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Achtzehntes Kapitel

Inmitten der Verstimmungen im Palast, von Semiamira sowohl wie von Mammäa bedrängt, strebte die Clarissima Mäsa vergeblich eine Versöhnung an. So schwärmerisch liebte sie Antoninus, daß sie Mammäa nicht recht geben konnte, obwohl sie mit jedem Tag Alexianus – Alexander, wie er in der letzten Zeit viel genannt ward – mehr zum Römer aufwachsen, ihn mehr zum Mann und zum Fürsten heranreifen sah, als Antoninus in seiner Vielfältigkeit es jemals sein würde. Doch die Clarissima liebte auch Alexander, und erfüllt von der unbestimmten Angst, daß Antoninus weder Söhne bekommen, noch in späteren Jahren die Macht in Händen behalten werde, wußte sie zu erwirken, daß Antoninus im Senat seinen Vetter Alexianus – Aurelius Alexander – feierlich als seinen Sohn adoptierte, wiewohl er selbst erst sechzehn, Alexander kaum dreizehn Jahre zählte. Diese Adoption brachte etwas wie Ruhe und Beschwichtigung, und eigentlich waren Semiamira und Antoninus die ersten, die nach endlosen Gesprächen von neuem eine Verstimmung heraufbeschworen: in der Umgebung der Mammäa – so berichtete man ihnen – belächele man im Kreise der Philosophen und Pädagogen, die Alexander erzogen, die Ehe des Kaisers, der Antonina, verspotte man den Gemahl, und als dieser, Hierokles, hiervon hörte, forderte er sogleich drei, vier Verbannungen. Antoninus gab nach und befahl Aristomachos und Antiochianus, die ihn abgöttisch anbeteten, dem Verlangen seines Gemahls zu willfahren, obwohl Mäsa, erzürnt, es hindern wollte. Doch sie war die Schwächere, seitdem sie die Ehe nicht verhindert hatte, eine Ehe, die sie als Syrierin, als Tochter der Sonne, guthieß, die sie aber als römische Matrone mißbilligen mußte, wenn auch auf ihr Drängen hin der Senat sie gebilligt und ihrer Vollziehung beigewohnt hatte. So blieb sie auch in diesem Augenblick die Schwächere. Die Verbannungen wurden vollzogen, ungeachtet der heftigen Einwände der Mammäa, und Hierokles blieb Sieger zum Entsetzen vieler. Doch die Schwächere wollte Mäsa nicht bleiben und darum suchte sie Antoninus auf zur vertraulichen Stunde der Siesta, im geheimen Innersten seiner Gemächer, wo er einen Brief des Hydaspes las und wieder las. Sie sagte ihm, während sie seine Hand sanft streichelte:

»Mein herrlicher Antoninus, ich war diesen Morgen entzückt während des Dienstes und des Tanzes, es wollte mir scheinen, mein Kind, als sähe ich bei dem Rhythmus deiner Bewegungen das Paradies vor meinen Augen sich auftun. Und dennoch bin ich von traurigen Gedanken erfüllt heimwärts gegangen, denn ich dachte bei mir: wie muß es Antoninus wehe tun, daß er nicht Gott ist und Hoherpriester dessen, den er auf Erden verkörpert, und wie unwillkommen muß es ihm sein, irdische und kaiserliche Macht in Händen zu halten, während sein schillernder Geist nur von göttlichen Dingen träumt...«

Antoninus, noch ganz erfüllt von des Hydaspes Schreiben, verstand nicht ganz, wozu Mäsas weiche Stimme ihn überreden wollte, und während die Clarissima auf seinem Lager saß, auf dem er sich aufgerichtet hatte, nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, drückte ihn an sich und blickte ihm lächelnd in die Augen.

»... Während sein schillernder Geist nur von göttlichen Dingen träumt...« wiederholte Mäsa mit Nachdruck und fügte langsam hinzu: »Ich dachte, mein Antoninus, ob es nicht vielmehr der Wille der Gottheit sei, daß du dich allein den göttlichen Dingen widmest, sei es hier, sei es zu Emesa.«

Der Kaiser war aufgesprungen.

»Was meinst du?« fragte er hart und kalt.

»Ich bin eine alte Frau, Antoninus,« sagte Mäsa, »Gaben sind mir sicherlich beschieden und voll Hingebung herrsche ich für dich, habe ich den Sitz eingenommen im Senat – was niemals zuvor einer Frau gelang – und nehme liebevoll für dich alle Staats- und Regierungsgeschäfte wahr. Doch wenn ich morgen sterbe, mein Kind, wer wird dir dann zur Seite stehen? Wer wird dich, während du in göttliche Dinge versunken bist, auf die irdischen Dinge verweisen...? Darum, Antoninus, dachte ich...«

»Was dachtest du, großmütterliche Hoheit?«

»Leiste feierlich Verzicht auf eine lästige Macht, die dir nicht lieb ist, leiste Verzicht zugunsten deines Sohnes, den du annahmst, zugunsten des Cäsar, des Alexander, und...«

»Und...?«

»Sei nur Heliogabal, es sei hier, es sei zu Emesa...«

 

Nicht Kaiser mehr sein, nur Heliogabal zu Emesa... Hydaspes wiedersehen, den geliebten Tempel wiedersehen, den geliebten Gott aus der römischen Verbannung zurückführen nach dem geliebten Ort, wo er heilig war, wo er hinabgestiegen war zur Erde... Zu Emesa leben, zu Emesa tanzen, zu Emesa den Dienst zelebrieren... Während eines kurzen Augenblickes leuchtet in der Seele des Knaben eine namenlose Freude, mit Küssen möchte er die alte Frau bedecken. Doch nicht länger als einen einzigen Augenblick währet das; so kurz ist diese Sekunde der Wonne, so kurz die blitzartige Glücksvision, daß die Clarissima sie nicht einmal zu ahnen vermag, denn sie sieht nur des Antoninus veilchendunkle Augen angsterfüllt auf sich gerichtet, sie hört nur seine flehentlichen Worte:

»Warum, ehrwürdige Großmutter, soll ich nicht mehr Kaiser sein dürfen? Warum soll ich zurück nach Emesa? Habe ich etwas getan, das dir nicht behagt? Liebst du Alexianus mehr als mich? Bin ich nicht mehr dein Liebling? Liebt das Volk mich nicht mehr als Alexianus? Liebt das Heer mich nicht mehr? Drängt sich das Volk nicht zuhauf, mich zu sehen, so oft ich mich zeige? Tanze ich weniger gut als zu Emesa? Gebe ich mich ihnen nicht hin, meine Seele, meinen Körper, so völlig, wie ich mich nur geben kann? Werde ich nicht noch mehr geben? Das ganze Licht und allen Glanz des Heliogabal, auf daß sie schon hier auf Erden im Himmel schwelgen? O, hätte ich Hydaspes nur an meiner Seite... Doch warum, Ehrwürdige, soll ich verzichten zugunsten des Alexianus?«

»Ich meinte, mein Kind...«

»Weil ich in göttliche Dinge vertieft bin? Aber kannst du mich denn nicht die irdischen lehren? Kann ich dir nicht versprechen, ein fleißiger Schüler zu sein? Wirst du nicht vielleicht länger leben als ich, ehrwürdige Großmutter? Wer vermag dir zu sagen, wie jung ich vielleicht sterben werde und wie lange du mich überleben wirst? So könntest du allzeit für mich die irdischen Dinge lenken. Warum willst du mich entthronen? Nein, nein, laß mich Kaiser bleiben! Sieh, ich habe Rom liebgewonnen, ich liebe Rom jetzt mehr als Emesa. Ich würde sterben zu Emesa, fern von Rom!«

Befangen stößt er diese letzten Worte hervor, wagt es nicht einzugestehen, daß er Hierokles, seinen Gemahl, anbetet, wagt seinen Verdacht, daß Hierokles ihn nur zu lieben vorgibt, weil er, Antoninus, Kaiser ist und allgewaltig, nicht auszusprechen; wagt nicht zu sagen, wie sehr er argwöhnt, daß Hierokles selbst nach dem kaiserlichen Purpur, zum mindesten nach der Macht und der Würde eines Cäsaren trachtet, wagt es nicht laut werden zu lassen, wie es ihm beinahe Gewißheit ist, daß Hierokles ihm niemals nach Emesa folgen würde, und daß er, Antoninus, dort ohne des Hierokles Liebkosungen langsam dahinsiechen müßte. Das alles wagt er nicht auszusprechen, teils aus Eitelkeit – weil Hierokles der Erste ist, der ihn nicht um seiner selbst willen liebt –, teils aus ängstlicher Vorsicht, um nicht die Wahrheit völlig zu enthüllen, des Hierokles geheimste Seele, den Ehrgeiz, das Streben, dieses Mannes, das er, Antoninus, erraten hat... Hierokles will Cäsar sein an des Alexianus Statt, den sie niemals Alexander nennen werden, weder er selbst, noch Hierokles, noch Semiamira... Nein, niemals! Und flehentlich, verwirrt, wiederholt er die Worte:

»Ich liebe Rom jetzt mehr als Emesa... ich würde sterben zu Emesa, fern von Rom...«

»Also endlich liebst du Rom mehr als Emesa?« ruft die alte Frau jubelnd aus. Sie ist schlau, sie durchschaut Senatoren und Höflinge, doch Antoninus durchschaut sie nicht, weil sie verblendet ist durch ihre Liebe. Sie glaubt wahrlich, daß Antoninus Rom, ihr geliebtes Rom, mehr liebt als Emesa. Sie glaubt daran, daß in der zwitterhaften Seele dieses Kindes sich etwas für Rom und die Weltherrschaft geregt hat, sie weiß es nicht, wie sehr er Hierokles liebt, und sie kennt nicht den Ehrgeiz dieses Mannes, weil sie ihn zu sehr verachtet. Sie betet nur ihren Antoninus an und schwer genug ist es ihr geworden, ihm vorzuschlagen, er möge sich künftighin nur den göttlichen Dingen hingeben.

»Also endlich, endlich liebst du Rom mehr als Emesa!«

Sie hat Antoninus umarmt. Nein, niemals wird sie Antoninus zugunsten des Alexianus entthronen können. Dieses Enkelkind liebt die Clarissima, sie weiß selbst nicht, warum – fast möchte sie glauben, aus Frömmigkeit – viel inniger als Alexianus. Sie küßt ihn, sie tröstet ihn, sie streichelt ihn, während der Kaiser weint, klagt, schluchzt, wie eine hysterische Frau.

»Ja... ich liebe Rom... mehr als Emesa... Jetzt... doch in Rom hat mich keiner mehr lieb!«

»Still, Antoninus, das Volk betet dich an, das Heer betet dich an!«

»Du hast mich nicht mehr lieb!«

»Ich? Aber ich bete dich ja an, mein Kind. Jeder, jeder betet dich an, deine Mutter... und so viele...!«

»Alexianus nicht.«

»Alexander wird dich wieder liebhaben, wenn du als der Ältere und Verständigere zuerst dich ihm näherst...«

Nicht fügt der Kaiser hinzu: »Hierokles hat mich nicht lieb.« – aber er denkt es, weint und schluchzt bei diesem Gedanken... Wenn er ausruft: »Niemand in Rom hat mich mehr lieb!« meint er nur: Hierokles, obwohl er mein Gemahl ist, hat mich nicht lieb um meinetwillen; er gibt nur vor, mich zu lieben, weil er Cäsar werden will, Kaiser vielleicht an meiner Statt. Er weint wie ein Weib.

»Antoninus, mein herrlicher Antoninus, wenn du Rom mehr liebst als Emesa, dann wirst du mein Kaiser bleiben für alle Zeit, was immer Mammäa für ihren Sohn sich auch wünschen möge!«

Nein, sie kann nicht anders, sie muß zu ihrem Antoninus stehen, den sie anbetet. Und künftighin soll alles ihrem Wunsch sich fügen, dem Wunsch der herrschenden, in Wahrheit allgewaltigen Clarissima. Doch Antoninus, der Kaiser, wird wie ein göttliches Symbol weiter erstrahlen, Antoninus, nicht Alexander.


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