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Ulenspiegel, Lamme und Nele hatten, wie ihre Freunde und Gefährten, den Klöstern die Schätze wieder weggenommen, die diese durch Prozessionen, falsche Wunder und andern römischen Mummenschanz dem Volk geraubt hatten. Dieses Verfahren widersprach zwar den Befehlen des Schweigers, des Prinzen von Oranien, doch das so gewonnene Gold wurde dazu verwendet, die Kriegskosten zu decken. Lamme Goedzak begnügte sich nicht damit, sich des Geldes der Klöster zu bemächtigen, sondern plünderte auch ihre Keller und Vorratskammern und holte Schinken, Würste, Bier und Wein daraus hervor. Gern unterzog er sich der Mühe, ein ganzes Wehrgehenk von Geflügel auf der Brust zu tragen, Gänse, Truthühner, Kapaune und Hennen, und überdies zog er noch etliche klösterliche Kälber und Schweine an einem Strick hinter sich her. »Das ist Kriegsrecht!« sagte er.
Wohlzufrieden mit jedem seiner Raubzüge, brachte er alles aufs Schiff, damit man dort Gelage und festliche Schmausereien veranstaltete, doch klagte er immer darüber, daß der Küchenmeister in der Wissenschaft der Soßen und Frikassees so schlecht beschlagen sei.
Eines Tages sagten die Geusen nach einem siegesbewußten Trunk zu Ulenspiegel: »Du hast ja immer die Nase im Wind, weißt, was auf dem Festland vorgeht, und kennst das Abenteuerleben des Krieges, singe uns doch davon! Lamme wird die Trommel dazu schlagen, und unser niedlicher Pfeifer soll im Takt zu deinem Lied die Flöte blasen.«
Und Ulenspiegel sagte:
»An einem klaren, frischen Tag im Monat Mai will Ludwig von Nassau in Bergen einrücken, kann aber weder sein Fußvolk noch seine Reiterei finden. Einige Verschworene halten ein Tor offen und eine Zugbrücke herabgelassen, damit er die Stadt einnehme. Aber die Bürger bemächtigten sich des Tors und der Brücke. Wo sind die Soldaten des Grafen Ludwig? Die Bürger wollen die Brücke aufziehen. Graf Ludwig stößt ins Horn.«
Und Ulenspiegel sang:
»Wo ist dein Fußvolk und Reiterei?
Im Walde verirrt, zertreten sie
Maiglöckchen und trockene Zweiglein.
Die liebe Sonne leuchtet herab
Auf ihre roten, kampflustigen Gesichter
Und ihrer Rosse schweißfeuchte Kruppen.
Graf Ludwig stößt schmetternd in sein Horn:
Sie hören ihn. Schlagt leise die Trommel.
In scharfem Trab, die Zügel verhängt,
Rast es wie Blitze und Sturmeswolken,
Ein Wirbel von klirrendem Eisen.
Die schweren Reiter, sie fliegen dahin,
In Eile den Sieg zu erretten.
Es hebt sich die Brücke . . . die Sporen gepreßt
In die Flanken der schäumenden Rosse!
Sie hebt sich . . . die Stadt ist verloren für uns!
Nun sind sie vorm Tor. Ist's schon zu spät?
Reitet wie Teufel! Die Zügel verhängt!
Guitoy de Chaumont mit seinem Hengst
Springt auf die Brücke und drückt sie herab.
Die Stadt ist genommen! Höret ihr?
Auf dem Straßenpflaster von Bergen,
Rast es wie Blitze und Sturmeswolken,
Ein Wirbel von klirrendem Eisen!
Es lebe Guitoy de Chaumont und sein Hengst!
Stoßt ins Horn der Freude, schlaget die Trommel!
Im Heumond sind wir, es duften die Wiesen,
Die Lerche steigt singend zum Himmel auf.
Es lebe der freie Vogel!
Schlaget die Trommel des Ruhmes!
Es lebe Chaumont und sein Hengst! Zu trinken!
Die Stadt ist genommen! . . . Es lebe der Geuse!«
Und die Geusen auf den Schiffen sangen: »Christus, sieh herab auf deine Soldaten! Stähl unsere Waffen, o Herr! Es lebe der Geuse!«
Nele ließ lächelnd die Pfeife ertönen, und Lamme schlug die Trommel. Und die Becher von Gold wurden zum Himmel emporgehoben, und die Hymnen der Freiheit stiegen zum blauen Tempel Gottes auf. Melodisch plätscherten die Wellen rund um das Schiff wie singende Sirenen.
Es war an einem drückend heißen Tag im Monat August. Lamme war in tiefe Trübsal versunken, seine Trommel schwieg und seine Schlegel ragten untätig aus der Öffnung des Schnappsackes hervor. Ulenspiegel und Nele ließen sich, glücklich in ihrer Liebeswonne, von der Sonne bescheinen.
Die in den Mastkörben untergebrachten Späher pfiffen oder sangen vor sich hin, während ihre Augen den Horizont absuchten, um eine Beute zu erspähen. Wenn Très-Long sie fragte, ob sie etwas gesichtet hätten, antworteten sie: »Nichts.«
Lamme war bleich und niedergeschlagen und seufzte ganz erbärmlich.
»Woher kommt es, daß du so betrübt bist?« fragte Nele.
Und Ulenspiegel sagte:
»Du magerst ab, mein Sohn.«
»Ja«, sagte Lamme, »ich bin betrübt und mager. Mein Herz verliert seinen Frohsinn und mein freundliches Gesicht seine Frische. Ja, lacht nur über mich, ihr, die ihr euch nach tausend Gefahren wiedergefunden habt! Macht euch nur lustig über den armen Lamme, der wie ein Witwer lebt, trotzdem er verheiratet ist, während diese da« – und er zeigte auf Nele – »ihren Mann mit Küssen von dem Strick befreien mußte, der ja doch einmal sein letztes Liebchen sein wird! Sie hat gut daran getan, Gott sei gelobt! Aber sie soll nicht über mich lachen. Ja, du mußt nicht über den armen Lamme lachen, Nele, meine Freundin. Meine Frau lacht für zehn. Ach! ihr Weiber habt kein Herz für unsere Leiden! Ja, mein Herz ist betrübt, denn es ist mit dem Schwert der Verlassenheit geschlagen. Und niemand wird ihm neue Kräfte geben, wenn nicht sie.«
»Oder ein Frikassee«, sagte Ulenspiegel.
»Ja«, sagte Lamme, »wo ist das Fleisch auf diesem trübseligen Schiff? Auf den Schiffen des Königs gibt es viermal in der Woche Fleisch, wenn nicht gerade Fastenzeit ist, und dreimal Fisch. Was die Fische betrifft, Gott verdamm' mich, wenn ihr Hanf, ich meine ihr Fleisch, etwas anderes bewirkt, als daß es nutzlos mein Blut brennen macht, mein armes Blut, das sich demnächst in Wasser verwandeln wird! Sie haben Bier, Käse, Suppe und gute Getränke. Ja, sie haben alles, was ihren Mägen wohlgefallen mag: Biskuit, Roggenbrot, Bier, Butter, geräuchertes Fleisch, getrockneten Fisch, Käse, Senfsamen, Salz, Bohnen, Erbsen, Grütze, Essig, Öl, Talg, Holz und Kohlen. Uns hat man verboten, Bürgern, Äbten und Edelleuten, wer immer es sei, das Vieh wegzunehmen. Wir essen Heringe und trinken Bier aus den kleinsten Bechern. Ach! ich habe nichts mehr: weder Frauenliebe, noch guten Wein, noch Dobbele-Bruinbier, noch gute Nahrung. Wo sind hier unsere Freuden?«
»Ich will es dir sagen, Lamme«, entgegnete Ulenspiegel. »Aug um Auge, Zahn um Zahn. In Paris haben sie in der Bartholomäusnacht zehntausend freie Herzen durchbohrt, allein in der Stadt Paris. Und der König selbst hat auf sein Volk geschossen. Erwache, Flame! Gebrauche deine Axt ohne Gnade, das sind unsere Freuden! Schlage den spanischen und römischen Feind, wo immer du ihn findest. Laß den Fraß. Sie haben ganze Karren voll toter und lebender Opfer ins Wasser geworfen. Tote und Lebende, hörst du, Lamme? Die Seine war neun Tage lang rot, und Wolken von Raben ließen sich auf die Stadt herab. In La Charité, Rouen, Toulouse, Lyon, Bordeaux, Bourges, Meaux gab es entsetzliche Metzeleien. Siehst du die Rudel satter Hunde sich neben den Leichen ausstrecken? Ihre Zähne sind schon müde. Der Flug der Raben ist so schwer, weil ihre Mägen voll sind vom Fleisch der Opfer. Hörst du die Stimmen der Seelen, die um Rache und Mitleid schreien, Lamme? Erwache, Flame! Du sprichst von deiner Frau – ich glaube nicht, daß sie untreu ist, aber ich halte sie für verrückt, und sie liebt dich noch, armer Freund! Sie war nicht unter jenen Damen des Hofes, die in der Nacht des Gemetzels mit ihren feinen Händen die Leichen entkleidet haben, um zu sehen, wie groß oder klein ihre Geschlechtsglieder waren, und dann vor Geilheit lachten. Ermuntere dich, mein Sohn, trotz Fisch und kleinen Bechers! Wenn der Nachgeschmack des Herings schal ist, so ist es der Gestank dieser Gemeinheit noch mehr. Die getötet haben, lassen sich's an der Tafel gut sein und zerlegen mit ihren schlecht gewaschenen Händen fette Gänse, um die Flügel, Füße und Bürzel den edlen Damen von Paris anzubieten, die eben erst anderes Fleisch berührt hatten, kaltes.«
»Ich werde nicht mehr klagen, mein Sohn«, sagte Lamme. »Der Hering ist eine Fettammer für den Mann der Freiheit, und das Becherchen Bier ein Glas Malvasier.«
Und Ulenspiegel sang:
»Weinet nicht, Brüder,
Zwischen Trümmern und Blut
Blühet die Rose der Freiheit.
Wenn Gott mit uns ist, wer ist wider uns?
Wenn die Hyän' triumphiert,
Kommt die Stunde des Leun.
Ein Prankenschlag streckt sie entweidet zu Boden.
Aug um Auge, Zahn um Zahn. Es lebe der Geuse!«
Und die Geusen auf den Schiffen sangen:
»Der Herzog bereitet uns dieses Los.
Aug um Auge, Zahn um Zahn,
Wunde um Wunde. Es lebe der Geuse!«
In einer schwarzen Nacht, während der Orkan aus der Tiefe der Wolken heulte, stand Ulenspiegel mit Nele auf dem Deck des Schiffes. »Alle unsere Feuer sind ausgelöscht«, sagte er, »wir sind Füchse, die nächtlicherweile dem Gevögel der Spanier auflauern, das heißt ihren zweiundzwanzig reichbeladenen Kreuzern, auf denen die Laternen leuchten, die für sie Sterne des Unheils sind. Wir fallen über sie her.«
Nele sagte:
»Das ist eine Nacht der Zauberer. Der Himmel ist schwarz wie der Höllenmund, und die Blitze leuchten wie das Lachen Satans. Der Sturm heult tief in der Ferne, und die Möwen fliegen schreiend auf und nieder; das Meer wälzt seine phosphoreszierenden Wogen wie Schlangen von Silber. Thyl, mein Geliebter, komm in die Welt der Geister. Nimm das Traumpulver . . .«
»Werde ich auch die Sieben sehen, Liebchen?«
Und sie nahmen von dem Traumpulver.
Nele schloß Ulenspiegel die Augen, und Ulenspiegel schloß Nele die ihren. Da sahen sie ein grauenhaftes Schauspiel: Himmel, Erde und Meer waren voll arbeitender Männer, Frauen und Kinder, die durcheinanderkrochen wie Aale in einem Korb.
Sieben Männer und Frauen saßen in der Mitte des Himmels auf Thronen, aber ihre Gestalten waren so unklar zu sehen, daß Nele und Ulenspiegel nur die leuchtenden Sterne genau unterscheiden konnten, die ihre Stirnen zierten.
Das Meer stieg bis zum Himmel hinauf und trug auf seinen schäumenden Wogen eine unzählbare Menge von Schiffen, deren Maste und Tauwerke gegeneinanderschlugen, sich ineinander verfingen, zerrissen und zersplitterten, durch die Wucht der sturmgepeitschten Wasser. Plötzlich erschien ein Schiff inmitten der anderen, dessen Bug aus flammendem Eisen bestand, während sein stählerner Kiel einem Messer glich. Das Wasser schrie und stöhnte, als dies Schiff darüberglitt, auf dessen Hinterteil der grinsende Tod saß, in einer Hand seine Sichel, in der anderen eine Peitsche, mit der er nach den Sieben schlug. Der eine von ihnen war ein hagerer, hochgewachsener, schweigsamer Mann mit leidenden Zügen. In einer Hand hielt er ein Zepter, in der anderen ein Schwert. Neben ihm saß ein rotwangiges Mädchen rittlings auf einer Ziege, ihre Brüste waren nackt, ihr Kleid offen, und ihre Augen glänzten. Sie reckte sich unzüchtig nach einem alten Juden hin, der Nägel auflas, und nach einem dicken, aufgedunsenen Mann, der jedesmal, wenn sie ihn aufrichtete, wieder hinfiel, während eine magere Frau wuterfüllt auf beide einschlug. Der dicke Mann vergalt die Schläge nicht, die auf ihn niederprasselten, ebensowenig wie das rotwangige Mädchen. Mitten unter diesen Fünfen stand ein Mönch, der Würste verzehrte. Ein Weib, das auf der Erde lag, wand sich wie eine Schlange zwischen den andern hindurch. Sie biß den alten Juden wegen seiner alten Nägel, den aufgedunsenen Mann wegen seines Wohlergehens, das rotwangige Mädchen wegen des Leuchtens ihrer feuchten Augen, den Mönch wegen seiner Würste und den Mageren wegen seines Zepters. Und bald schlugen alle aufeinander los.
Als sie vorbeikamen, wurde die Schlacht auf dem Meer, im Himmel und auf der Erde noch fürchterlicher. Es regnete Blut. Die Schiffe waren von Axthieben, Arkebusen- und Kanonenschüssen zerschmettert. Ihre Trümmer flogen durch die raucherfüllte Luft. Auf der Erde stießen Armeen wie erzene Mauern gegeneinander. Städte, Dörfer, blühende Felder verbrannten, und Schreien und Weinen erscholl überall. Die Glockentürme zeichneten sich mit ihren zackigen Silhouetten von dem Flammenmeer ab, bis auch sie, wie gefällte Eichen, dröhnend zusammenstürzten. Schwarze Reiter, zahlreich und dichtgedrängt wie Ameisenzüge, galoppierten, Schwert und Pistole in der Hand, daher und metzelten Männer, Frauen und Kinder nieder. Einige schlugen Löcher ins Eis und stießen lebende Greise hinab, andere schnitten den Frauen die Brüste ab und streuten Pfeffer auf die Wunden, wieder andere hängten Kinder in Schornsteinen auf. Die des Tötens müde waren, vergewaltigten ein Mädchen oder eine Frau, tranken, spielten mit Würfeln oder wühlten in Haufen Goldes, der Beute ihrer Plünderung.
Die sieben Sterngekrönten riefen: »Erbarmen für die arme Welt!«
Und die Phantome lachten, und ihre Stimmen glichen dem Schreien von tausend Seeadlern. Und der Tod schwang seine Sichel.
»Hörst du sie?« sagte Ulenspiegel. »Das sind die Vögel, denen die armen Menschen zur Beute fallen. Sie leben von kleinen Vögeln, die bescheiden und gut sind.«
Die sieben Sterngekrönten riefen: »Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit!«
Das Schiff glitt über die Wogen und schnitt Schiffe, Männer, Frauen und Kinder entzwei. Die Klagen der schreienden Opfer hallten über die See: »Erbarmen!«
Das rote Schiff fuhr über sie alle hinweg, und die Phantome lachten und schrien wie Seeadler.
Der Tod aber grinste und trank das Wasser, das rot war von Blut.
Als das Schiff im Nebel verschwunden war, nahm die Schlacht ein Ende, und die sieben Sterngekrönten verschwanden.
Ulenspiegel und Nele sahen jetzt nichts mehr als den schwarzen Himmel, das tosende Meer, die dunklen Wolken, die über dem phosphoreszierenden Wasser dahinjagten, und ganz in der Nähe rote Sterne.
Das waren die Laternen der zweiundzwanzig Kreuzer. Das Meer und der Donner grollten dumpf. Und Ulenspiegel ließ die Glocke »Wacharm« leise ertönen und rief: »Der Spanier! Der Spanier! Er steuert gegen Vlissingen!« Und der Ruf pflanzte sich über die ganze Flotte fort.
Und Ulenspiegel sagte zu Nele:
»Ein graues Gezelt spannt sich aus über Himmel und Meer. Die Laternen blinken nur mehr schwach, das Morgenrot leuchtet auf, der Wind nimmt zu, die Wellen schlagen schäumend über die Schiffsbrücken. Sieh, ein heftiger Regen geht nieder, doch er hört auch schon wieder auf – strahlend erhebt sich die Sonne und vergoldet die Wogenkämme: es ist dein Lächeln, Nele, frisch wie der Morgen und sanft wie das Licht.«
Die zweiundzwanzig Kreuzer kommen vorbei. Auf den Schiffen der Geusen werden die Trommeln geschlagen, die Pfeifen erklingen, und Lumey ruft: »Im Namen des Prinzen, drauf und dran!« Und der Unter-Admiral Ewont Pietersen Worst ruft: »Im Namen des Herrn von Oranien und des Admirals, drauf und dran!« Und auf allen Schiffen, wie sie da heißen: »Johanna«, »Der Schwan«, »Anne-Mie«, »Der Geuse«, »Das Kompromiß«, »Egmont«, »Hoorne«, »Wilhelm der Schweiger«, überall rufen die Kapitäne: »Im Namen des Herrn von Oranien und des Admirals, drauf und dran!« »Drauf und dran! Es lebe der Geuse!« rufen die Soldaten und Matrosen.
Das Schiff des Herrn de Très-Long, die »Briele«, auf dem sich Ulenspiegel und Lamme befanden, rammte, von der »Johanna«, dem »Schwan« und dem »Geusen« gefolgt, vier Kreuzer. Die Geusen warfen alles, was spanisch war, ins Wasser und nahmen die Niederländischen gefangen, sie leerten die Schiffe wie Hühnereier und ließen sie, des Mastes und der Segel beraubt, in die Reede treiben. Dann nahmen sie die Verfolgung der achtzehn Kreuzer auf. Von Antwerpen her wehte ein kräftiger Wind, unter dem Druck der Segel, die gebläht waren wie die Backen eines Mönchs vom Wind, der aus der Küche kommt, neigte sich die Mauer der schnellen Schiffe im Wasser des Flusses. Die Kreuzer flogen über das Wasser, die Geusen verfolgten sie bis in die Reede von Middelburg, wo sie in das Feuer des Forts gerieten.
Dort entspann sich eine blutige Schlacht. Die Geusen warfen Enterhaken auf das Deck der spanischen Schiffe, und bald streuten sie die abgehauenen Arme und Beine nur so umher, daß man sie nach dem Kampf korbweise ins Wasser werfen mußte. Die Geusen wurden von den Forts beschossen, spotteten aber ihrer mit dem Schrei: »Es lebe der Geuse!« Sie rafften in den Kreuzern Pulver, Geschütze, Kugeln und Getreide zusammen, steckten die geleerten Schiffe in Brand und ließen sie rauchend und flammend in der Reede zurück, während sie sich nach Vlissingen wandten.
Von dort sandten sie Geschwader aus, um die Deiche von Zeeland und Holland zu durchbohren und beim Bau neuer Schiffe mit Hand anzulegen, insbesondere neuer Vlieboote von hundertvierzig Tonnen, die bis zu zwanzig gußeiserne Kanonen trugen.
Die Schiffe sind von Schnee bedeckt. Weithin ist die Luft ganz weiß, es schneit ohne Unterlaß auf das schwarze Wasser herab, auf dem die Flocken schmelzen.
Alle Wege auf dem Lande sind weiß, und die schwarzen Silhouetten der entlaubten Bäume haben weiße Polster. Kein Laut unterbricht die Stille, außer dem Läuten der fernen Glocken von Haarlem, die die Stunde anzeigen, und dem fröhlichen Glockenspiel, dessen Töne in der flockenerfüllten Luft ersticken.
Glocken, läutet nicht mehr, laßt eure einfachen, sanften Weisen nicht mehr erklingen! Don Fadrique naht, der Sohn des Blutherzogs. Haarlem, o Stadt der Freiheit, er marschiert gegen dich, gefolgt von fünfunddreißig Fähnlein Spaniern, deinen tödlichen Feinden, zweiundzwanzig wallonischen und achtzehn deutschen Fähnlein, achthundert Reitern und gewaltiger Artillerie. Hörst du das Klirren der Mörderwerkzeuge auf den Karren? Falkonette, Feldschlangen und großmäulige Mörser, alles das ist für dich, Haarlem. Läutet nicht mehr, ihr Glocken, laß deine Töne in der flockenerfüllten Luft verstummen, Glockenspiel!
»Wir werden läuten, wir Glocken, und ich, das Glockenspiel, ich werde meine munteren Töne in der schneegefüllten Luft erklingen lassen! Haarlem ist die Stadt der tapferen Herzen, der mutigen Frauen. Ohne Furcht sieht Haarlem von der Höhe seiner Kirchtürme die schwarze Masse der Henker sich näher winden wie ein Heer höllischer Ameisen. Denn Ulenspiegel, Lamme und hundert Meergeusen sind in ihren Mauern, und ihre Flotte kreuzt auf der See.«
»Mögen sie nur kommen!« sagen die Bewohner, »wir sind ja nur Bürger, Fischer, Seeleute und Frauen. Der Sohn des Herzogs von Alba sagt, er will sich keiner andern Schlüssel als seiner Kanonen bedienen, um in die Stadt einzudringen. Wenn er kann, öffne er die schwachen Tore, er wird Männer dahinter finden. Läutet, ihr Glocken, laß deine fröhlichen Töne durch die flockenerfüllte Luft klingen, Glockenspiel!
Wir haben nur schwache Mauern und altertümliche Gräben. Vierzehn Kanonen speien ihre sechsundvierzig Pfund schweren Kugeln gegen das Cruys-Tor. Setzt Menschen ein, wo es an Steinen fehlt! Die Nacht kommt, alles arbeitet fieberhaft, und bald ist es, als hätte hier niemals eine Kugel eingeschlagen. Auf das Cruys-Tor haben sie sechsundachtzig Kugeln geschossen, auf das Sankt-Johanns-Tor sechshundertfünfundsiebzig. Doch die Schlüssel öffnen nicht, denn hinter dem ersten Bollwerk erhebt sich ein zweites. Läutet, ihr Glocken, laß deine fröhlichen Töne durch die flockenerfüllte Luft klingen, Glockenspiel!«
Die Kanonen beschießen den Wall ohne Unterlaß, die Steine zersplittern, ganze Mauerstücke stürzen ein. Nun ist die Bresche breit genug, um eine Kompanie in Reih und Glied durchzulassen. »Sturm! Tötet, tötet!« schreien sie. Jetzt kommen sie heran, zehntausend an der Zahl. Laßt sie ihre Sturmbrücken und Leitern über die Gräben legen. Unsere Kanonen sind bereit. Das ist der Trupp der Todgeweihten. Begrüßt sie, Kanonen der Freiheit! – Und sie grüßen: die Kettenkugeln und brennenden Pechkränze fliegen pfeifend durch die Luft, zerschmettern, zerschneiden, verbrennen und blenden die Stürmer, die alsbald erlahmen und in wilder Unordnung fliehen. Fünfzehnhundert Tote füllen den Graben. Läutet, ihr Glocken, laß deine fröhlichen Töne durch die flockenerfüllte Luft klingen, Glockenspiel!
»Erneuert den Sturm!« – Sie wagen es nicht. Sie schießen wieder aus ihren Kanonen und graben Minen. Aber wir auch, wir kennen die Kunst des Minengrabens. Zündet an den Docht unter ihnen und dann lauft, wir werden ein schönes Schauspiel sehen. Vierhundert Spanier fliegen in die Luft. Das ist nicht der Weg zu den ewigen Flammen. Oh! welch schöner Tanz zum Silberklang unserer Glocken und zur fröhlichen Musik unseres Glockenspiels!
Sie wissen wohl, daß der Prinz über uns wacht, denn täglich treffen auf sorgsam gehüteten Wegen Züge mit Getreide und Pulver bei uns ein; das Getreide für uns, das Pulver für sie. Wo sind denn nun ihre sechshundert Deutschen, die wir getötet und im Wald von Haarlem ersäuft haben? Und wo die elf Fähnlein, die wir fingen, und die sechs Kanonen und fünfzig Rinder, die wir erbeutet haben? Früher hatten wir einen Mauergürtel, jetzt haben wir zwei. Sogar die Frauen kämpfen, und Kennau führt ihre tapfere Truppe. Kommt, ihr Henker, kommt in unsere Straßen, die Kinder werden euch mit ihren Messerchen die Fußgelenke durchschneiden. Läutet ihr Glocken, laß deine fröhlichen Töne durch die flockenerfüllte Luft klingen, Glockenspiel!
Aber das Glück ist nicht mit uns. Die Flotte der Geusen auf dem See ist geschlagen. Geschlagen sind auch die Truppen, die Oranien uns zu Hilfe schickte. Frost herrscht, bitterer Frost. Neue Hilfe tut not. Fünf Monate lang halten wir stand, Tausend gegen Zehntausend. Nun müssen wir mit den Henkern verhandeln. Wird er unseren Vorschlägen Gehör schenken, der Sohn des Blutherzogs, der uns den Untergang geschworen hat? Alle Soldaten sollen die Stadt verlassen und in die feindlichen Linien eine Bresche schlagen. Doch die Frauen stehen an den Toren, denn sie fürchten, daß man sie allein zurücklassen wird, die Stadt zu bewachen. Läutet nicht mehr, ihr Glocken, laß deine fröhlichen Töne nicht mehr erklingen, Glockenspiel!
Nun ist's Juni, das Heu duftet, das Korn bräunt sich in der Sonne, die Vögel singen. Und wir leiden seit fünf Monaten Hunger. Die Stadt ist in Trauer, wir werden alle Haarlem verlassen, die Arkebusiere als Wegbahner an der Spitze, die Frauen, die Kinder und der Magistrat dahinter, von der Infanterie beschützt, die die Bresche bewacht.
Ein Brief, ein Brief vom Blutherzöglein! Ist es der Tod, was er ankündigt? Nein, es ist das Leben für alles, was in der Stadt weilt. O unverhoffte Milde – o Lüge, vielleicht! Wirst du wieder singen, fröhliches Glockenspiel? – Sie ziehen in die Stadt ein.
Ulenspiegel, Lamme und Nele hatten sich die Kleider deutscher Soldaten angelegt, die mit ihnen, sechshundert an der Zahl, im Kloster der Augustiner eingeschlossen waren.
»Heute werden wir sterben«, sagte Ulenspiegel ganz leise zu Lamme und drückte Neles lieblichen Leib, der vor Furcht bebte, an seine Brust. »Ach! meine Frau«, sagte Lamme, »ich werde sie nicht wiedersehen! Aber vielleicht werden uns die Kleider der deutschen Soldaten das Leben retten?« Ulenspiegel schüttelte den Kopf, um zu bedeuten, daß er nicht an Gnade glaube. »Ich höre keinen Lärm einer Plünderung«, sagte Lamme.
Ulenspiegel erwiderte: »Vertragsgemäß haben sich die Bürger von Plünderung und Hinrichtung durch Zahlung von zweihundertvierzigtausend Gulden losgekauft. Hunderttausend Gulden sollen sie binnen zwölf Tagen zahlen und den Rest in drei Monaten. Den Frauen wurde befohlen, sich in die Kirchen zurückzuziehen. Ohne Zweifel soll das Gemetzel seinen Anfang nehmen. Hörst du, wie die Schafotte zusammengenagelt und die Galgen aufgerichtet werden?«
»Ach! wir müssen sterben«, sagte Nele, »ich habe Hunger.«
»Ja«, sagte Lamme ganz leise zu Ulenspiegel, »das Blutherzöglein hat gesagt, daß wir gefügiger sein werden, wenn man uns ausgehungert zum Sterben führt.«
»Ich hab' so argen Hunger«, sagte Nele.
Abends kamen Soldaten und verteilten für je sechs Mann ein Brot. »Dreihundert wallonische Soldaten wurden auf dem Markt gehenkt«, sagten sie. »Bald ist an euch die Reihe. Die Geusen vermählten sich schon immer mit dem Galgen.«
Am folgenden Abend kamen sie wieder mit ihrem Brot und sagten: »Vier Patrizier sind enthauptet worden, und zweihundertneunundvierzig Soldaten hat man, je zwei und zwei aneinandergefesselt, ins Meer geworfen. Die Krabben werden dies Jahr fett sein. Ihr andern seht nicht gut aus, seit dem siebenten Juli, dem Tag, an dem ihr hierherkamet. Diese Niederländer sind Feinschmecker und Trunkenbolde, wir Spanier haben mit zwei Feigen zum Abendbrot genug.«
»Deshalb müßt ihr wohl bei den Bürgern vier Mahlzeiten mit Fleisch, Geflügel, Puddings und Eingemachtem essen?« entgegnete Ulenspiegel, »und deshalb braucht ihr auch Milch, um die Leiber eurer Mustachos zu waschen, und Wein, um die Füße eurer Pferde darin zu baden?«
Am achtzehnten Juli sagte Nele: »Ich habe feuchte Füße – was ist das?« »Blut, das von der Straße hereinsickert«, sagte Ulenspiegel.
Am Abend kamen wieder die Soldaten mit ihrem Brot für sechs und sagten: »Wo der Strick nicht mehr ausreicht, macht das Schwert die Arbeit. Dreihundert Soldaten und siebenundzwanzig Bürger, die man faßte, als sie aus der Stadt fliehen wollten, gehen jetzt, ihre Köpfe in der Hand, in der Hölle spazieren.«
Am nächsten Tag drang von neuem Blut in das Kloster. Die Soldaten kamen, aber nicht, um Brot zu bringen, sondern nur, um die Gefangenen zu betrachten und zu sagen: »Die fünfhundert Wallonen, Engländer und Schotten, die gestern geköpft wurden, sahen besser aus. Diese hier haben ohne Zweifel Hunger, aber wer stirbt denn vor Hunger, wenn nicht die Geusen?«
Und in der Tat, bleich, abgezehrt, verfallen und in kaltem Fieber schauernd, glichen sie Phantomen.
Am sechzehnten August traten die Soldaten um fünf Uhr abends lachend ein und gaben ihnen Brot, Käse und Bier. Und Lamme sagte: »Das ist das Todesmahl!«
Um zehn Uhr kamen vier Fähnlein, die Kapitäne ließen die Klostertore öffnen und befahlen den Gefangenen, in Viererreihen hinter den Pfeifern und Trommlern einherzugehen, bis man sie haltmachen lassen würde. Einzelne Straßen waren gerötet, als sie dem Galgenfeld zuschritten.
Auf den Wiesen sah man hier und dort Pfützen von Blut, und auch rund um die Mauern war alles gerötet. Von allen Seiten kamen Rabenschwärme herbei, die Sonne ging am Dunstrand des Horizontes unter, und an dem noch hellen Himmel blinkten schüchtern die ersten Sterne auf. Plötzlich vernahm man ein klagendes Geheul.
»Die da schreien, sind die Geusen vom Fort von Fuicke, außerhalb der Stadt«, sagten die Soldaten, »man läßt sie verhungern.«
»Uns auch«, sagte Nele, »wir gehen dem Tod entgegen.« Und sie weinte.
»Die Asche schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel.
»Ach«, sagte Lamme auf flämisch – die Soldaten der Eskorte verstanden diese stolze Sprache nicht. – »Ach! wenn ich diesen Blutherzog alle Stricke, Galgen, Folterbänke, Zerrgerichte und Peinstiefel fressen lassen könnte, bis ihm die Haut platzt! Wenn ich ihn das Blut saufen lassen könnte, das er vergossen hat, und noch dazu das, das aus seiner zerfetzten Haut und aus seinen von Holz- und Eisensplittern zerrissenen Gedärmen herausspritzte! Und wenn er dann noch nicht verreckte, risse ich ihm das rohe, giftige Herz aus der Brust und ließe es ihn fressen, dann würde er gräßlich in den schwefligen Abgrund stürzen, wo der Teufel es ihn fressen und wieder fressen ließe, die ganze lange Ewigkeit hindurch!«
»Amen«, sagten Ulenspiegel und Nele.
»Aber siehst du nichts?« fragte sie ihn.
»Nein«, sagte er.
»Ich sehe am westlichen Horizont fünf Männer und zwei Frauen in der Runde sitzen«, sagte sie, »der eine ist in Purpur gekleidet und trägt eine goldene Krone. Er scheint das Oberhaupt der andern zu sein, die ganz zerlumpt und heruntergekommen sind. Vom Osten sehe ich einen andern Trupp von sieben Personen kommen. Auch sie werden von einem angeführt, der in Purpur gekleidet ist, aber keine Krone trägt. Sie gehen auf die im Westen zu und kämpfen in den Wolken . . . aber jetzt sehe ich nichts mehr.«
»Die Sieben«, sagte Ulenspiegel. Nele sagte: »Ich höre im Busch neben uns eine hauchzarte Stimme sagen:
›Durch Krieg und durch Flammen,
Durch Lanzen und Schwerter
Suche.
Im Tod und im Blut,
In Trümmern und Tränen
Finde.‹«
»Andere als wir werden Flandern befreien«, sagte Ulenspiegel. »Die Nacht wird finster, und die Soldaten zünden die Fackeln an. Wir sind dem Galgenfeld nahe. Oh, süße Geliebte, warum bist du mir gefolgt? Hörst du nichts mehr, Nele?« »Doch«, sagte sie, »Waffengeklirr im Korn. Und dort, auf diesem Hügel, der den Weg überragt, auf dem wir gehen, siehst du das rote Licht der Fackeln sich auf Stahl spiegeln? Ich sehe feurige Punkte von Arkebusenlunten. Schlafen unsere Wächter, oder sind sie blind?
Hörst du diesen Donnerschlag? Siehst du die Spanier, von Kugeln durchbohrt, fallen? Hörst du den Ruf: ›Es lebe der Geuse?‹ Sie kommen den Pfad heraufgestürmt, die Pfeifer voran. Sie kommen mit Äxten den Abhang herab. Es lebe der Geuse!«
»Es lebe der Geuse!« riefen Lamme und Ulenspiegel.
»Da sind Soldaten, die uns Waffen geben«, sagte Nele, »nimm, Lamme, nimm, mein Geliebter! Es lebe der Geuse!« »Die Arkebusen hören nicht auf zu schießen«, sagte Nele, »sie fallen im Schein der Fackeln wie Fliegen. Es lebe der Geuse!« »Es lebe der Geuse!« riefen die Retter. »Es lebe der Geuse!« schrien alle Gefangenen und Ulenspiegel. »Die Spanier sind in einem eisernen Ring. Tötet, tötet! Keiner darf übrigbleiben! Kein Erbarmen, der Krieg kennt keine Gnade. Und jetzt packen wir unser Zeug und laufen bis Enckhuyzen. Wer hat die Kleider von Tuch und Seide der Henker? Wer hat ihre Waffen?« »Alle, alle !« riefen sie, »es lebe der Geuse!«
Und in der Tat erreichen sie zu Schiff Enckhuyzen, wo die mit ihnen befreiten Deutschen bleiben, um die Stadt zu schützen.
Lamme, Nele und Ulenspiegel finden die Schiffe wieder, und von neuem singen sie auf dem freien Meere: »Es lebe der Geuse!« Und sie kreuzen auf der Reede von Vlissingen.
Nun war Lamme wieder guter Dinge. Freudig ging er an Land und machte Jagd auf Rinder, Schafe und Hühner, als ob es Hasen, Hirsche und Fettammern gewesen wären. Doch ging er nicht allein auf diese nahrhafte Jagd. Es war ein heiteres Schauspiel, die Jäger, Lamme an der Spitze, von ihrem Beutezug zurückkehren zu sehen, wie sie das große Vieh an den Hörnern hinter sich herzogen, das kleine vor sich hin stießen, mit Haselruten Gänseherden trieben und trotz des Verbotes Hühner und Kapaune an den Haken ihrer Gürtel trugen.
Da gab es ein Schmausen und Feiern auf den Schiffen! Und Lamme sagte: »Der Duft der Soßen steigt zum Himmel auf und erfreut die Engel, die sagen: ›Das ist das Beste vom Fleisch!‹«
Eines Tages begegnet den kreuzenden Geusenschiffen eine Handelsflotte aus Lissabon, deren Kommandant nicht weiß, daß Vlissingen in die Hand der Geusen gefallen ist. Man befiehlt ihr, Anker zu werfen, und schon ist sie umstellt. Es lebe der Geuse! Trommeln und Pfeifen geben das Zeichen zum Entern. Die Kaufleute haben Kanonen, Piken, Äxte und Arkebusen.
Steine und Kugeln regnen auf die Schiffe der Geusen herab. Ihre Arkebusiere schießen, durch die Holzschanzen rund um den Hauptmast gedeckt, mit sicherer Hand und ohne eigene Gefahr. Die Kaufleute fallen wie die Fliegen.
»Rafft zusammen, was Platz hat«, sagte Ulenspiegel zu Lamme und Nele. »Da gibt es Gewürze, Juwelen, wertvolle Eßwaren, Zucker, Muskat, Gewürznelken, Reale, Dukaten und Lämmer aus glänzendem Gold, mehr als fünfhunderttausend Stück! Der Spanier wird die Kriegskosten bezahlen. Laßt uns trinken! Singen wir die Geusenmesse – kämpfen wir!«
Ulenspiegel und Lamme hielten sich wie Löwen, während Nele im Schutz der Holzschanze die Pfeife ertönen ließ.
Die ganze Flotte wurde besiegt, und als man die Toten zählte, waren es auf seiten der Spanier tausend, bei den Geusen dreihundert, unter ihnen der Koch des Vlieboots Briele.
Ulenspiegel bat, vor Très-Long und den Matrosen sprechen zu dürfen, der Admiral gewährte ihm das gerne, und er hielt folgende Ansprache:
»Herr Kapitän und ihr, Kameraden, wir haben gewaltig viel Nahrungsmittel geerbt, und Lamme, dieser gute Fettwanst hier, findet, daß der arme Tote – Gott hab ihn selig! – nicht gelehrt genug war in der Wissenschaft der Frikassees. Ernennen wir ihn an seiner Statt zum Koch, und er wird euch himmlische Ragouts und paradiesische Soßen bereiten.«
»Das wollen wir tun«, sagten Très-Long und die andern. »Lamme wird Schiffskoch. Und als solcher wird er den großen Holzlöffel führen, um den Schaum von seinen Soßen abzuschöpfen.«
»Herr Kapitän, Kameraden und Freunde«, sagte nun Lamme. »Ihr seht mich vor Freude weinen, denn ich verdiene eine so hohe Ehrung nicht. Wenn es euch dennoch gefällt, euch an meine Wenigkeit zu halten, so übernehme ich das edle Amt des Meisters in der Kunst der Frikassees auf dem tapferen Vlieboot Briele. Doch bitte ich euch untertänigst, mir die oberste Befehlsgewalt über die Küche zu erteilen, solcherart, daß euer Koch, der ich sein werde, mit Recht, Gesetz und Gewalt jedermann verhindern kann, das Teil des andern aufzuessen.«
Très-Long und die andern riefen:
»Heil Lamme! Du wirst Recht, Gesetz und Gewalt haben!«
»Aber«, sagte Lamme, »ich habe noch eine andere untertänige Bitte: ich bin fett, groß und stark, mein Wanst ist tief, mein Magen weit. Meine arme Frau – Gott gebe sie mir wieder! – gab mir immer zwei Portionen statt einer: gewährt auch ihr mir diese Gunst!«
Très-Long, Ulenspiegel und die Matrosen sagten:
»Du sollst die zwei Portionen haben, Lamme.«
Doch plötzlich wurde Lamme melancholisch und sagte:
»Meine Frau, mein süßes Liebchen! Wenn irgend etwas mich über deine Abwesenheit hinwegtrösten kann, so wird es die Erinnerung an meine Tätigkeit in deiner himmlischen Küche unseres friedlichen Heims sein.«
»Du mußt den Eid leisten, mein Sohn«, sagte Ulenspiegel. »Man bringe den großen Holzlöffel und den großen Kupferkessel.«
»Bei Gott, der mir helfen möge«, sagte Lamme, »schwöre ich Treue dem Prinzen von Oranien, genannt der Schweiger, der für den König die Provinzen Holland und Zeeland regiert. Treue dem Herrn von Lumey, dem Kommandierenden Admiral unserer hehren Flotte, und Herrn Très-Long, dem Vizeadmiral und Kapitän der Briele. Ich schwöre, nach besten Kräften, den Bräuchen und Gewohnheiten der großen Köche folgend, die uns schöne Bücher mit Bildern über die hohe Kunst der Küche hinterlassen haben, ich schwöre, nach besten Kräften das Fleisch und Geflügel zuzubereiten, das uns Fortuna zukommen lassen wird. Ich schwöre, besagten Herrn Très-Long, Kapitän, und seinen Stellvertreter, meinen Freund Ulenspiegel, und euch alle, Maats, Piloten, Steuermänner, Kameraden, Soldaten, Kanoniere, Kellermeister, Kapitänspage, Wundarzt, Trompeter, Matrosen und alle andern zu ernähren. Wenn der Braten zu blutig, das Geflügel zu wenig gebräunt ist, wenn die Suppe einen schalen Geruch hat, der die Verdauung stört, wenn der Duft der Soßen euch, meine Einwilligung vorausgesetzt, nicht veranlaßt, mir die Küche einzurennen, wenn ich alle eure Gesichter nicht heiter und zufrieden mache, werde ich auf meine erhabenen Funktionen verzichten, erkennend, daß ich unfähig bin, fürderhin den Küchenthron einzunehmen. So wahr mir Gott helfe in diesem Leben und im anderen!«
»Es lebe der Koch!« riefen sie, »der König der Küche, der Kaiser der Frikassees! Und sonntags soll er statt zweier Portionen drei haben.«
So wurde Lamme der Koch der Briele. Und während die köstlichen Suppen in den Töpfen kochten, stand er stolz an der Küchentür und trug seinen großen Holzlöffel wie ein Zepter. Und sonntags bekam er seine drei Rationen.
Wenn die Geusen mit dem Feind ins Gefecht kamen, blieb er gern in seinem Soßenlaboratorium. Doch ab und zu stieg er auf die Brücke hinauf und feuerte ein paar Arkebusenschüsse ab, dann stieg er wieder hinab, um seine Soßen zu überwachen.
So war er ein treuer Koch und ein tapferer Soldat, und jedermann liebte ihn.
Aber niemand durfte in seine Küche eindringen, sonst war er wie der Teufel und schlug mit seinem Holzlöffel auf Hieb und Stich ohne Erbarmen drein. Und man nannte ihn seither Lamme den Löwen.
Die Schiffe der Geusen durchschneiden in Sonne, Regen, Winter und Sommer den Ozean und die Scheide. Mit vollen Segeln fliegen sie dahin wie Schwäne, Schwäne der weißen Freiheit.
Weiß für die Freiheit, blau für die Größe, orangerot für den Prinzen, das ist die Flagge der tapferen Schiffe.
Alle Segel gesetzt! Die tapferen Schiffe, von den Wellen geschaukelt, bespritzt vom Schaume der Wogen!
Sie eilen dahin, sie fliegen über den Fluß, rasch wie Wolken im Nordwind, die stolzen Schiffe der Geusen. Hört ihr, wie ihr Bug die Welle durchfurcht? Gott ist mit den Freien! Es lebe der Geuse!
Hulken, Vlieboote, Bojer, Krusteven sausen dahin, rasch wie der Wind, der das Gewitter bringt, wie die Wolke, die den Blitz im Schoß trägt. Es lebe der Geuse!
Bojer, Krusteven und flache Schiffe gleiten über den Fluß, und die Wellen stöhnen, wenn die Schiffe sie zerteilen mit ihrem Schnabel, auf dem die mörderischen Feldschlangen stehen. Es lebe der Geuse!
Alle Segel gesetzt! Die tapferen Schiffe, von den Wogen geschaukelt, vom Schaum überspült!
Tag und Nacht, in Regen, Frost und Schnee eilen sie dahin. Christus lächelt zwischen Wolken, Sonne und Sternen auf sie herab. Es lebe der Geuse!
Den Blutkönig erreichte die Nachricht von den Siegen der Geusen. Der Tod nagte schon an diesem Henker, und sein Körper war voll von Würmern. Er wanderte wild und verbissen durch die Korridore von Valladolid und schleifte seine geschwollenen Füße und seine bleischweren Beine dahin. Er sang niemals, der grausame Tyrann. Wenn der Tag anbrach, lachte er nicht, und wenn die Sonne wie ein Lächeln Gottes sein Königreich erleuchtete, war keine Freude in seinem Herzen.
Aber Ulenspiegel, Lamme und Nele sangen wie die Vögel, obgleich sie ihre Leder riskierten, nämlich Lamme und Ulenspiegel, Nele aber ihre weiße Haut; und wenn die Geusen einen Scheiterhaufen löschten, war ihre Freude größer als die des finsteren Königs, wenn er eine Stadt verbrannte.
Zu dieser Zeit setzte Wilhelm der Schweiger, der Prinz von Oranien, Herrn Lumey von der Mark wegen seiner großen Grausamkeiten ab und ernannte Herrn Bouven Ewontsen Worst an seiner Stelle zum Admiral. Auch sorgte er dafür, daß den Bauern das Korn bezahlt werde, das die Geusen ihnen weggenommen hatten, und daß ihnen das Geld zurückgezahlt wurde, was ihnen als Zwangsabgabe abgenommen worden war. Ferner gestand er den Römisch-Katholischen die freie Ausübung ihrer Religion ohne Verfolgung und Erniedrigung zu wie allen andern.
Auf den Schiffen der Geusen jauchzen die Flöten, stöhnen die Sackpfeifen, glucksen die Flaschen, klingen die Gläser und blinken die eisernen Waffen.
»Wohlan! Schlagt die Trommel des Sieges, die Trommel der Freude«, sagte Ulenspiegel. »Es lebe der Geuse! Der Spanier ist besiegt, der Drache bezähmt. Uns gehört das Meer, Briele ist genommen. Unser ist die Küste von Nieuwpoort über Ostende und Blankenberghe, die Inseln von Zeeland, die Mündungen der Maas, der Schelde und des Rheins bis Helder. Unser ist Texel, Vlieland, Terschelling, Ameland, Rottum und Borkum. Es lebe der Geuse!
Unser Delft und Dordrecht! Die Henker geben Rotterdam auf. Wie ein Löwe nimmt das freie Gewissen mit den Krallen und Zähnen der Gerechtigkeit die Grafschaft Zutphen und die Städte Deutekom, Doesburg, Ghor, Oldenzeel und auf der Weluwe Hattem, Elburg und Harderwijk. Es lebe der Geuse!
Das ist das Wetterleuchten, das ist der Blitz: Kampen, Zwolle, Hasselt und Steenwijk fallen in unsere Hände mit Oudewater, Gouda und Leyden. Es lebe der Geuse!
Unser sind Buren und Enckhuyzen. Noch haben wir Amsterdam, Schoonhoven und Middelburg nicht. Aber Geduld bringt Rosen. Es lebe der Geuse!
Laßt uns den Wein Spaniens trinken, aus den Kelchen, aus denen sie das Blut der Opfer tranken. Über Ströme, Flüsse und Kanäle eilen wir der Zuidersee zu, wir haben Nord-Holland, Süd-Holland und Zeeland, wir werden noch Ost- und Westfriesland nehmen. Briele wird die Zuflucht unserer Schiffe sein, das Nest der Hennen, welche die Freiheit ausbrüten. Es lebe der Geuse!
Höret in Flandern, dem geliebten Vaterland, den Schrei nach Rache erschallen. Man fegt die Waffen und schleift die Schwerter. Alles regt sich und zittert wie die Saiten der Harfe im warmen Windhauch, dem Hauch der Seelen, die aufsteigen von den Scheiterhaufen, aus Gräbern und aus den blutigen Leichen der Opfer. Im Hennegau, in Brabant, Luxemburg, Limburg, Namur und Lüttich, der freien Stadt, keimt der blutgedüngte Same. Die Ernte ist reif für die Sichel. Es lebe der Geuse!
Unser ist die weite Nordsee, unser sind die guten Kanonen, die stolzen Schiffe, die kühnen, gefürchteten Seeleute, die Landstreicher, Heerespriester, Edelleute, Bürger und Handwerker, die vor der Unterdrückung fliehen. Unser ist alles, was sich zusammengetan hat, das Werk der Freiheit zu vollenden. Es lebe der Geuse!
Philipp, Blutkönig, wo bist du? Alba, wo bist du? Du schreist und lästerst, gekrönt mit dem heiligen Hut, dem Geschenk des Heiligen Vaters. Schlaget die Trommel der Freude! Es lebe der Geuse! Laßt uns trinken!
Der Wein fließt in die goldenen Kelche, trinkt fröhlichen Muts! Die Priestergewänder auf den Schultern der rauhen Männer sind getränkt von roter Flüssigkeit, die Banner Roms und der Kirche flattern im Wind auf unseren Masten. Ewige Musik ertöne euch, ihr kreischenden Pfeifen, ächzenden Dudelsäcke und wirbelnden Ruhmestrommeln. Es lebe der Geuse!«
Ein schneidender Regen fiel. Die Geusen kreuzten in der Zuidersee. Und eines Tages ließ der Admiral alle seine Kapitäne und auch Ulenspiegel durch den Klang der Trompete auf sein Schiff rufen. Er wandte sich zunächst an Ulenspiegel und sagte zu ihm: »Der Prinz will deiner guten Pflichterfüllung und deinen treuen Diensten Anerkennung zollen und ernennt dich zum Kapitän des Schiffes ›Die Briele‹. Ich übergebe dir hier ein Pergament, auf dem die Betrauung geschrieben steht.«
»Dank sei Euch, Herr Admiral«, antwortete Ulenspiegel, »ich werde all meine geringen Kräfte anspannen und habe große Hoffnung, daß es mir gelingen wird, Flandern und Holland – ich meine damit die Süd- und Nord-Niederlande – dem Spanier zu entreißen.« »Das ist gut gesprochen«, sagte der Admiral.
»Und jetzt«, fügte er hinzu, indem er sich an alle wandte, »will ich euch sagen, daß das katholische Amsterdam Enckhuyzen belagern will. Kreuzen wir durch den Kanal ›das Y‹, den sie noch nicht verlassen haben, und stürzen wir uns auf jedes ihrer Schiffe, das in der Zuidersee sein tyrannisches Takelwerk sehen läßt.« Sie antworteten: »Wir werden sie zerlöchern. Es lebe der Geuse!«
Als Ulenspiegel auf sein Schiff zurückgekehrt war, ließ er seine Matrosen und Soldaten sich auf dem Deck versammeln und teilte ihnen den Beschluß des Admirals mit.
Sie antworteten: »Wir haben Flügel, unsere Segel, Schlittschuhe, die Kiele unserer Schiffe, Gigantenhände, unsere Enterhaken. Es lebe der Geuse!«
Die Flotte segelte ab und kreuzte eine Seemeile vor Amsterdam, so zwar, daß niemand aus dem Kanal heraus- oder in ihn hineinfahren konnte, den die Geusen nicht passieren lassen wollten. Am fünften Tage hörte der Regen auf, der Wind blies noch schärfer vom klaren Himmel. Die von Amsterdam rührten und regten sich nicht.
Plötzlich sah Ulenspiegel Lamme auf dem Deck auftauchen und mit wuchtigen Schlägen seines Kochlöffels hinter dem »Truxmann« des Schiffes herjagen, einem jungen Burschen, der als Dolmetscher für die französische und flämische Sprache diente, aber vom Schmausen noch mehr verstand als vom Reden.
»Taugenichts!« rief Lamme, während er auf ihn einschlug, »glaubst du, ungestraft von meinen Frikassees essen zu können, ehe es an der Zeit ist? Klettre lieber auf den Mast hinauf und schau aus, ob sich auf den amsterdamschen Schiffen nichts rührt, dann wirst du was Rechtes getan haben!«
Doch der Truxmann entgegnete:
»Was gibst du mir dafür?«
»Verlangst du, bezahlt zu werden, ohne etwas getan zu haben?« sagte Lamme. »Wenn du nicht gleich hinaufsteigst, werde ich dich auspeitschen, Spitzbubenbrut, und dein Französisch wird dich nicht davor bewahren!«
»Es ist eine schöne Sprache«, sagte der Truxmann, »die Sprache der Verliebten und der Krieger.«
Damit kletterte er den Mast hinauf.
»Nun, Nichtstuer?« fragte Lamme von unten.
»Ich sehe weder in der Stadt noch auf den Schiffen etwas«, antwortete der Truxmann. Und als er herabgestiegen war, sagte er:
»Und nun bezahle mich.«
»Behalte, was du gestohlen hast«, sagte Lamme, »doch unrecht Gut gedeiht nicht, du wirst es sicherlich erbrechen.«
Nun kletterte der Truxmann wieder auf die Spitze des Mastes und rief plötzlich:
»Lamme! Lamme! Ein Dieb schleicht sich in deine Küche!«
»Ich habe ja den Schlüssel in meiner Tasche«, antwortete Lamme. Ulenspiegel nahm Lamme beiseite und sagte zu ihm:
»Mein Sohn, diese große Ruhe in Amsterdam erschreckt mich. Sie haben sicher geheimnisvolle Pläne.«
»Ich habe auch schon daran gedacht«, sagte Lamme. »Das Wasser friert in den Krügen und Fischbehältern, das Geflügel ist hart wie Holz, Reif bedeckt die Würste, die Butter gleicht einem Stein, das Öl ist ganz weiß und das Salz so trocken wie Sand in der Sonne.«
»Das ist der nahende Frost«, sagte Ulenspiegel, »sie werden in großer Anzahl kommen und uns mit Artillerie angreifen.«
Ulenspiegel ging auf das Admiralsschiff und teilte Worst seine Befürchtungen mit. Der antwortete:
»Der Wind weht von England her, es wird Schnee geben, aber es wird nicht frieren. Kehre auf dein Schiff zurück.«
Und Ulenspiegel kehrte an Bord der »Briele« zurück.
Die Nacht brachte starken Schneefall. Der Wind drehte sich und blies von Norwegen her, das Meer fror ein und ward glatt wie ein Fußboden. Der Admiral sah die Bescherung mit großer Sorge. Er fürchtete, daß die Amsterdamer aufs Eis kommen würden, um die Schiffe zu verbrennen, und befahl den Soldaten, ihre Schlittschuhe vorzubereiten, für den Fall, daß sie außerhalb der Schiffe kämpfen mußten. Die Kanoniere sollten die Kugeln neben den Lafetten aufhäufen, die Geschütze laden und die Lunten ohne Unterlaß brennend erhalten.
Aber die von Amsterdam kamen nicht. Und so warteten die Geusen sieben Tage.
Am Abend des achten Tages verlangte Ulenspiegel, daß man den Matrosen und Soldaten ein kräftiges Mahl vorsetze, damit sie gegen den schneidenden Wind gewappnet wären.
Doch Lamme sagte:
»Es ist nichts mehr da als Biskuit und Dünnbier.«
»Es lebe der Geuse!« sagten sie, »das wird uns eine Fastenmahlzeit werden in Erwartung der Schlacht!«
»Die noch auf sich warten lassen wird«, sagte Lamme. »Die Amsterdamer werden schon kommen, unsere Schiffe zu verbrennen, aber nicht heute nacht. Zuvörderst müssen sie sich rund ums Lagerfeuer setzen und dort etliche Schoppen gekochten Weins mit Madeirazucker trinken – Gott gebe ihnen welchen! Nachdem sie solcherart bis Mitternacht mit Ausdauer, Klugheit und vollen Schoppen beraten haben, werden sie beschließen, morgen zu entscheiden, ob sie uns in der kommenden Woche angreifen sollen oder nicht. Morgen werden sie von neuem gekochten Wein mit Madeirazucker trinken – Gott gebe ihnen welchen! –, dann werden sie noch einmal mit aller Ruhe, Geduld und vollen Schoppen beschließen, daß sie sich an einem andern Tag versammeln müssen, um festzustellen, ob das Eis einen großen Männertrupp tragen kann oder nicht. Dann werden sie etliche gelehrte Männer Versuche anstellen lassen, die ihre Schlußfolgerungen auf dem Pergament beschlafen werden. Wenn sie dann zu einem Resultat gekommen sind, werden sie wissen, daß das Eis eine halbe Elle dick, also stark genug, um einige hundert Männer samt Kanonen zu tragen. Dann werden sie sich wieder versammeln, um mit Ruhe, Geduld und vollen Schoppen gekochten Weins zu beraten und zu erwägen, ob es wegen des Lissabonner Schatzes, den wir ihnen geraubt haben, konvenabler ist, gegen uns anzustürmen oder unsere Schiffe in Brand zu setzen. Verwirrt und unentschlossen, werden sie sich dafür entscheiden, unsere Schiffe zu kapern und nicht zu verbrennen, gleichwohl sie uns damit ein arges Unrecht antun.«
»Du sprichst gut«, sagte Ulenspiegel, »aber siehst du nicht die Feuer in der Stadt aufflammen und Laternenträger geschäftig hin und her eilen?«
»Sie frieren«, sagte Lamme. Und seufzend fügte er hinzu: »Alles ist aufgegessen. Kein Rindfleisch, kein Geflügel, kein Wein mehr. Weder Dobbelbier, noch Zwieback, noch Dünnbier! Wer mich liebt, folgt mir.«
»Wo gehst du hin?« fragte Ulenspiegel. »Niemand darf das Schiff verlassen.«
»Mein Sohn«, sagte Lamme, »du bist jetzt unser Herr und Kapitän. Ich werde das Schiff nicht verlassen, wenn du nicht willst, doch geruhe immerhin zu bedenken, daß wir vorgestern die letzte Wurst gegessen haben, und daß in solch harten Zeiten das Küchenfeuer die Sonne der tapferen Kameraden ist. Wer wünschte hier nicht, köstlichen Soßendampf wittern zu können und den göttlichen Duft des Getränkes, das aus den Blüten Frohsinn, Lachen und Bescheidenheit gebraut ist? Also Kapitän und treuer Freund, ich wage es, zu sagen: Meine Seele verzehrt sich, wenn ich nichts zu essen habe, ich, der nur die Ruhe liebt und höchst ungern tötet, es sei denn eine fette Gans, ein gut gemästetes Huhn oder einen Truthahn, und der doch alle Mühsal des Schlachtenlebens mit dir teilt. Sieh dort die Lichter in jener reichen Farm, die voll ist von großem und kleinem Vieh. Weißt du, wer dort wohnt? Der friesische Schiffer, der Herrn Andelot und achtzehn andre arme Freunde verraten und nach Enckhuizen gebracht hat, das damals noch dem Alba treu war; sie alle wurden auf dem Roßmarkt zu Brüssel enthauptet. Dieser Verräter, der sich Slosse nennt, hat vom Herzog zweitausend Gulden für seinen Verrat bekommen. Um diesen Blutpreis hat der Judas den Wirtschaftshof gekauft, den du da siehst, und sein Vieh, und die Felder ringsum, die Ähren und Früchte tragen, und so wird er jetzt reich durch den Boden und das Vieh.«
Ulenspiegel erwiderte:
»Die Asche schlägt an meinem Herzen. Die Stunde Gottes hat geschlagen.«
»Und die Stunde der Mahlzeit gleichfalls«, sagte Lamme. »Gib mir zwanzig Burschen mit, tapfere Soldaten und Matrosen, und ich werde den Verräter holen.«
»Ich will ihr Führer sein«, sagte Ulenspiegel. »Wer die Gerechtigkeit liebt, folge mir. Nicht alle, meine treuen Freunde, nur zwanzig, wer sollte das Schiff bewachen? Laßt die Würfel entscheiden. – Da seid ihr zwanzig ja, kommt. Die Würfel haben gut gesprochen. Zieht eure Schlittschuhe an, und macht euch in der Richtung der Venus auf, die über dem Hof des Verräters leuchtet.
Kommt, ihr zwanzig, dem Licht folgend, gleitet vorwärts, die Axt über der Schulter. Der Wind pfeift und treibt weiße Schneewirbel vor sich her. Kommt, ihr Tapferen!
Singt nicht und sprecht nicht, geht schweigsam ganz geradeaus, dem Stern zu. Eure Schlittschuhe kreischen auf dem Eis. Wer stürzt, steht wieder auf.
Wir stoßen an die Küste – kein menschlicher Schatten auf dem weißen Schnee, kein Vogel in der eisigen Luft. Zieht die Schlittschuhe aus.
Nun sind wir am Land, hier sind die Wiesen, zieht die Schlittschuhe wieder an. Wir sind in der Nähe des Hofes, haltet den Atem an.«
Ulenspiegel klopft an das Tor, Hundegebell ertönt. Er klopft noch einmal, ein Fenster öffnet sich, der Baes steckt den Kopf heraus und fragt:
»Wer bist du?«
Er sieht nur Ulenspiegel, die anderen sind hinter dem Waschhaus versteckt.
Ulenspiegel antwortet:
»Herr von Boussu fordert dich auf, dich sofort zu ihm nach Amsterdam zu begeben.«
»Wo ist dein Geleitbrief?« fragte der Mann, indem er herabkommt und ihm die Tür öffnet.
»Hier«, antwortete Ulenspiegel, und zeigt auf die zwanzig Geusen, die sich hinter ihm durch die Tür drängen.
Und Ulenspiegel sagt:
»Du bist Slosse, der verräterische Schiffer, der die Herren Andelot, Battemberg und andere Reformierte in einen Hinterhalt gelockt hat. Wo ist der Blutpreis?«
Der Mann antwortete schlotternd:
»Ihr seid Geusen, gebt mir Pardon! Ich wußte nicht, was ich tat. Ich habe hier kein Geld, aber ich werde euch alles geben.«
Lamme sagte:
»Es ist dunkel, gib uns Talg- oder Wachskerzen.«
»Die Talgkerzen hängen dort.«
Als eine Kerze angezündet war, sagte einer der Geusen, der am Herd stand: »Es ist kalt, zünden wir ein Feuer an. Da liegen schöne Reisigbündel.«
Und er zeigte auf einen Bord mit Blumentöpfen, in denen verdorrte Pflanzen staken. Einen von ihnen packte er an den dürren Blättern und schüttelte den Topf hin und her; da fiel der Topf herab und ließ Dukaten, Gulden und Reale auf den Boden hüpfen.
»Da ist der Schatz«, sagte der Geuse und zeigte auf die anderen Blumentöpfe. Als man sie leerte, fanden sich zehntausend Gulden darin.
Der Baes schrie und weinte bei diesem Anblick. Die Knechte und Mägde kamen auf sein Geschrei in ihren Hemden herbeigelaufen. Die Männer, die ihren Herrn rächen wollten, wurden gefesselt, und die Frauen, sonderlich die jungen, verbargen sich schamhaft hinter ihnen.
Lamme trat einen Schritt vorwärts und sagte:
»Verräter, wo sind die Schlüssel zur Vorratskammer, zum Pferde-, Vieh- und Schafstall?«
»Unverschämte Plünderer«, sagte der Baes, »man wird euch henken!«
Ulenspiegel entgegnete ihm:
»Das ist die Stunde Gottes! Gib die Schlüssel heraus.«
»Gott wird mich rächen«, sagte der Baes und gab Lamme die Schlüssel.
Nachdem die Geusen den Hof geleert hatten, kehrten sie auf ihren Schlittschuhen zu den Schiffen zurück, den luftigen Wohnstätten der Freiheit.
»Ich bin der Koch«, sagte Lamme, der den Zug anführte, »ich bin der Koch! Stoßt sie vor euch her, die Schlitten, die mit Wein und Bier beladen sind. Treibt die Pferde, Rinder, Schweine, Schafe und das gackernde und schnatternde Gevögel vor euch her. Die Tauben gurren in den Körben, und die mit Krumen gemästeten Kapaune wissen in ihren engen Holzkäfigen nicht, wie ihnen geschieht. Das Eis knirscht unter unseren Schlittschuhen. Jetzt sind wir auf den Schiffen. Morgen wird es Küchenmusik geben! Laßt die Flaschenzüge herab und schnallt den Pferden, Kühen und Ochsen Gurte um den Bauch. Es ist ein schönes Schauspiel, sie so am Bauch aufgehängt zu sehen. Morgen werden wir mit den Zungen an den Frikassees hängen. Der Flaschenzug hebt sie ins Schiff, die lebenden Karbonaden. Werft mir Poularden, Gänse, Enten und Kapaune, wie sie euch gerade in die Hand kommen, in den Schiffsraum hinab. Wer wird ihnen den Hals umdrehen? Der Koch. Die Tür ist verschlossen, ich habe den Schlüssel in meiner Tasche. Gott sei gelobt in der Küche! Es lebe der Geuse!«
Dann begab sich Ulenspiegel auf das Schiff des Admirals und nahm Dierick Slosse und die andern Gefangenen mit, die aus Furcht vor dem Strick jammerten und weinten.
Das Geräusch der Schritte lockte den Admiral Worst aus seiner Kajüte, und als er im Licht der Fackeln Ulenspiegel und seine Begleiter sah, sagte er:
»Was willst du von mir?«
Ulenspiegel erwiderte:
»Wir haben heute nacht den Verräter Dierick Slosse auf seinem Hof gefangengenommen. Er war es, der die Achtzehn in den Hinterhalt gelockt hat. Hier ist er. Die andern sind unschuldige Knechte und Mägde.« Dann übergab er ihm einen Schnappsack und fügte hinzu:
»Diese Gulden blühten in den Blumentöpfen im Haus des Verräters, es sind zehntausend.«
»Ihr habt unrecht getan, das Schiff zu verlassen«, sagte Worst, »doch um des guten Erfolges willen sei euch verziehen. Die Gefangenen und der Guldensack sind willkommen, nach Seemannsrecht und -brauch bekommt ihr tapferen Männer ein Drittel der Beute, eines gehört der Flotte und das dritte Drittel dem Prinzen von Oranien. Den Verräter henkt sogleich.«
Nachdem die Geusen den Befehl vollzogen hatten, machten sie ein Loch in die Eisdecke und warfen den Körper Dierick Slosses hinein.
»Ist rings um die Schiffe Gras aufgesprossen?« fragte Worst, »ich höre Hühner gackern, Schafe blöken und Rinder brüllen . . .?«
»Das sind unsere Gefangenen für den Schlund«, sagte Ulenspiegel, »sie werden ihr Lösegeld in Frikassees bezahlen, und der Herr Admiral wird das Beste davon haben. Und was diese Knechte und Mägde da betrifft, unter denen sich ein paar artige und saubere Frauenzimmer befinden, so möchte ich sie auf mein Schiff zurückführen.«
Nachdem Ulenspiegel das getan hatte, hielt er folgende Rede:
»Gevattern und Gevatterinnen, ihr seid hier auf dem besten Schiff, das es gibt. Wir verbringen unsere Zeit mit Gelagen, Schmausereien und Ergötzlichkeiten ohne Ende. Wenn es euch gefällt fortzugehen, dann zahlt Lösegeld, wenn ihr bleiben wollt, werdet ihr leben, essen und arbeiten wie wir. Und was die jungen lieblichen Mädchen unter euch angeht, gebe ich ihnen als Kapitän Erlaubnis, frei über sich zu verfügen, und sage ihnen, daß es mir eins ist, ob sie ihre Freunde, die mit aufs Schiff gekommen sind, behalten wollen oder ob sie einen der hier anwesenden tapferen Geusen wählen wollen, um ihm in ehelicher Gemeinschaft anzugehören.«
Aber alle waren ihren Freunden treu außer einer, die lächelnd Lamme ansah und ihn fragte, ob er sie wolle.
»Dank euch, Liebchen«, sagte er, »aber ich bin anderwärts gebunden.«
»Er ist verheiratet, der Gute«, sagten die Geusen, als sie sahen, daß das Mädchen gekränkt war.
Doch sie wandte Lamme den Rücken und wählte sich einen andern, der wie er einen tüchtigen Wanst und ein gutes Mondgesicht hatte.
An diesem Tag und an den folgenden Tagen gab es an Bord der Schiffe großes Schmausen und Trinken. Und Ulenspiegel sagte:
»Es lebe der Geuse! Blase, Nordwind, wir erwärmen die Luft mit unserem Atem. Unser Herz ist voll Feuer für das freie Gewissen! Laßt uns Wein trinken, die Milch der Männer. Es lebe der Geuse!«
Auch Nele trank aus einem großen goldenen Humpen; mit vom Wind geröteten vollen Backen blies sie die Pfeife. Und trotz der Kälte schmausten und tranken die Geusen fröhlich auf dem Deck der Schiffe.
Plötzlich sah die Mannschaft der ganzen Flotte an der Küste die dunklen Umrisse eines Trupps, dessen Waffen im Lichte einiger Fackeln erglänzten, doch nach kurzer Zeit wurden die Fackeln gelöscht, und es herrschte undurchdringliche Stille. Der Befehl des Admirals, zu den Waffen zu greifen, wurde von Schiff zu Schiff weitergegeben, und alle Feuer wurden ausgelöscht. Die Matrosen und Soldaten legten sich, mit Beilen bewaffnet, bäuchlings auf das Deck. Die tapferen Kanoniere wachten an den Kanonen. Sobald der Admiral und die Kapitäne schreien würden: »Hundert Schritte« – womit die Stellung des Feindes bezeichnet würde –, sollten sie Feuer geben. Und die Stimme des Admirals Worst erklang: »Todesstrafe für den, der laut spricht!« Und die Kapitäne wiederholten: »Todesstrafe für den, der laut spricht!«
Die Nacht war mondlos, aber die Sterne leuchteten. »Hörst du?« sagte Ulenspiegel leise wie ein Geist zu Lamme, »hörst du die Stimmen derer von Amsterdam und das Kreischen ihrer eisernen Schlittschuhe auf dem Eis? Sie kommen schnell heran – man hört sie sprechen. Sie sagen: ›Die faulen Geusen schlafen. Unser ist der Schatz von Lissabon.‹ Sie zünden Fackeln an. Siehst du ihre Sturmleitern, ihre häßlichen Gesichter und ihre lange Angriffslinie? Es sind tausend Mann und mehr.«
»Hundert Schritte!« rief Worst. »Hundert Schritte!« riefen die Kapitäne. Da gab es ein gewaltiges Donnern und ein klägliches Heulen auf dem Eis.
»Achtzig Kanonen donnern auf einmal!« sagte Ulenspiegel, »sie fliehen, siehst du, wie die Fackeln sich entfernen?«
»Verfolgt sie!« rief der Admiral. »Verfolgt sie«, wiederholten die Kapitäne. Aber die Verfolgung währte nur kurze Zeit, denn die Flüchtlinge hatten einen Vorsprung von hundert Schritten und die Beine erschreckter Hasen.
Bei den Schreienden und Sterbenden, die auf dem Eis lagen, fand man Gold und Geschmeide und Stricke, mit denen sie die Geusen hatten fesseln wollen.
Nach diesem Sieg sagten die Geusen zueinander: »Als God mit ons is, wie zal tegen ons zijn?« – »Wenn Gott mit uns ist, wer wird gegen uns sein?« »Es lebe der Geuse!«
Am Morgen des dritten Tages war Admiral Worst beunruhigt, denn er erwartete einen neuen Angriff. Lamme kam an Deck gelaufen und sagte zu Ulenspiegel:
»Führe mich zu diesem Admiral, der nicht auf dich hören wollte, als du den Frost prophezeitest.«
»Geh, ohne daß man dich führt«, sagte Ulenspiegel.
Lamme sperrte die Küche ab und ging zum Admiral, der auf dem Deck stand und Ausschau hielt.
Lamme näherte sich ihm und sagte:
»Herr Admiral, darf ein einfacher Koch Ihnen einen Wink geben?«
»Sprich, mein Sohn«, sagte der Admiral.
»Herr«, sagte Lamme, »das Wasser schwitzt in den Krügen, das Geflügel wird wieder geschmeidig, die Wurst verliert ihren Überzug von Reif, die Butter ist weich, das Öl flüssig und das Salz weint. Es wird bald regnen, und wir werden gerettet sein, edler Herr.«
»Wer bist du?« fragte Worst.
»Ich bin Lamme Goedzak, der Koch der ›Briele‹. Und wenn alle diese großen Gelehrten, die sich Astronomen nennen, so gut in den Sternen lesen könnten, wie ich in meinen Soßen lese, könnten sie sagen, daß es noch diese Nacht tauen und ein großes Sturmwetter mit Hagel geben wird. Aber das Tauen wird nicht lange anhalten.«
Dann kehrte Lamme zu Ulenspiegel zurück. Um die Mittagsstunde sagte er zu ihm:
»Ich bin wieder Prophet: der Himmel wird schwarz, der Wind bläst gewaltig, ein warmer Regen fällt. Schon steht das Wasser einen Fuß hoch auf dem Eis.«
Am Abend rief er entzückt: »Die Nordsee ist angeschwollen, es ist die Stunde der Flut, die hohen Wellen dringen in die Zuidersee ein und zerbrechen das Eis, das in Stücke springt und auf das Deck der Schiffe geschleudert wird, die es mit blinkenden Splittern übersät. Der Admiral befiehlt uns, die Zuidersee zu verlassen, und das mit so viel Wasser, daß unser größtes Schiff ausfahren kann. Nun sind wir im Hafen von Enckhuizen. Das Meer friert von neuem zu. Ich bin ein Prophet, und das ist ein Wunder Gottes!«
Und Ulenspiegel sagte:
»Trinken wir, ihn zu segnen.«
Und der Winter ging hin, und der Sommer kam.
Mitte August, in der Zeit, da die Hennen, von Körnern vollgestopft, dem Liebesruf des Hahnes taub bleiben, sagte Ulenspiegel zu seinen Matrosen und Soldaten:
»Der Blutherzog wagt es, in Utrecht, wo er sich aufhält, ein Edikt herauszugeben, in dem er den Bewohnern der Niederlande, die sich nicht unterwerfen wollen, neben andern Gnadengeschenken Hunger, Tod und Vernichtung verspricht. Alles, was in den Niederlanden noch lebt, soll ausgetilgt werden, und Seine Königliche Majestät wird das Land durch Fremde neu besiedeln lassen. Beiß zu, Herzog, beiß zu! Die Feile bricht den Vipernzahn! Wir sind Feilen! Es lebe der Geuse!
Alba, du bist besoffen vom Blut! Denkst du, daß wir uns vor deinen Drohungen fürchten oder an deine Milde glauben? Deine edlen Regimenter, über die du in der ganzen Welt Lobgesänge anstimmst, deine ›Unbesieglichen‹, deine ›Unsterblichen‹ haben sieben Monate lang Haarlem, die schwache, von Bürgern verteidigte Stadt, belagert, sie haben als sterbliche Biedermänner in der Luft über den explodierenden Minen getanzt. Die Bürger haben sie mit Pech begossen, schließlich haben sie glorreich gesiegt und die Entwaffneten erschlagen. Hörst du die Stunde Gottes schlagen, Henker?
Haarlem hat seine tapferen Verteidiger verloren, seine Steine schwitzen Blut. Es hat während der Belagerung zwölfhundertachtzigtausend Gulden verloren und ausgegeben. Der Bischof ist wieder eingesetzt, mit leichtfertiger Hand und grinsender Fratze segnet er die Kirchen. Und Don Fadrique wohnt diesen Segnungen bei. Der Bischof wäscht ihm die Hände, die vor Gott ewig rot bleiben, und reicht ihm das Abendmahl in beiden Formen, die dem armen Volk nicht erlaubt sind. Und die Glocken läuten, und das Glockenspiel läßt seine ruhigen, harmonischen Töne erklingen. Es ist wie Engelsgesang über einem Friedhof! Aug um Auge! Zahn um Zahn! Es lebe der Geuse!«
Die Geusen waren vor Vlissingen, als Nele das Fieber bekam. Sie mußte das Schiff verlassen und wurde bei Seeters, einem Reformierten, der im Turven-Key wohnte, einlogiert. Ulenspiegel war bekümmert und dennoch fröhlich, denn er dachte, daß die spanischen Kugeln sie im Bett, in dem sie ohne Zweifel genesen würde, nicht erreichen könnten. Er war, von Lamme begleitet, immer bei ihr, pflegte sie sorgfältig und umgab sie mit zärtlicher Liebe.
»Freund und Kamerad«, sagte er eines Tages zu Lamme, »weißt du das Neueste?« »Nein, mein Sohn«, sagte Lamme. »Siehst du das Schiff, das sich in den letzten Tagen unserer Flotte angeschlossen hat, und weißt du, wer dort alle Tage auf der Geige spielt?« »Ich bin auf beiden Ohren fast taub wegen des letzten Frostes«, sagte Lamme, »warum lachst du, mein Sohn?« »Einmal«, fuhr Ulenspiegel fort, »hörte ich sie ein flämisches Lied singen und erkannte ihre süße Stimme.« »Ach! sie sang auch und spielte die Violine«, sagte Lamme.
»Weißt du die andere Neuigkeit?« »Ich weiß sie nicht, mein Sohn.« Ulenspiegel sagte: »Es ist uns Befehl gegeben worden, mit unseren Schiffen die Schelde hinab bis nach Antwerpen zu fahren, um dort die feindlichen Schiffe zu kapern oder zu verbrennen. Was denkst du davon, Dickwanst?« »Ach!« sagte Lamme, »werden wir denn in diesem gepeinigten Lande niemals mehr von anderem sprechen hören als von Verbrennen, Henken, Ersäufen und anderen Arten, die armen Menschen zu vertilgen? Wann wird die gesegnete Zeit des Friedens kommen, da man wieder ungestört Rebhühner braten, Hühnerfrikassees kochen und Blutwürste, zwischen Eier gebettet, in der Pfanne singen lassen kann? Die schwarzen sind mir lieber, die weißen sind allzu fett.« »Diese süße Zeit wird kommen«, antwortete Ulenspiegel, »wenn wir in den Obstgärten Flanderns statt der Äpfel, Pflaumen und Kirschen an jedem Ast der Obstbäume einen Spanier hängen sehen werden.« »Ach! wenn ich meine Frau wiederfinden könnte«, sagte Lamme, »meine teure, geliebte, treue Frau! Denn wisse wohl, mein Sohn, ich war niemals ein Hahnrei und werde niemals einer sein, dazu war sie viel zu zurückhaltend und ruhig in ihrem Gehaben. Sie floh die Gesellschaft anderer Männer, und wenn sie schönen Putz liebte, so war das nichts anderes als weibliche Eitelkeit. Ich war ihr Koch und Küchenjunge, ich sage es offen – ach! daß ich es doch wieder wäre! Aber ich war auch ihr Herr und Gatte.«
Ulenspiegel unterbrach ihn und sagte: »Hörst du den Admiral rufen: ›Lichtet die Anker!‹? Wir müssen uns rüsten.«
»Warum gehst du so bald?« fragte Nele Ulenspiegel. »Wir gehen auf das Schiff«, sagte er. »Ohne mich?« »Ja«, sagte Ulenspiegel. »Glaubst du nicht, daß ich mich hier sehr um dich sorgen werde?« fragte sie.
»Liebchen«, sagte Ulenspiegel, »meine Haut ist von Eisen.«
»Du verspottest mich«, sagte sie. »Ich sehe nur dein Wams, das aus Tuch ist, nicht aus Eisen, und darunter ist dein Körper, der aus Fleisch und Bein ist wie der meine. Wenn du verwundet bist, wer wird dich verbinden? Sollst du ganz allein inmitten der Kämpfenden sterben? Ich gehe mit dir.«
»Ach«, sagte er, »wenn die Lanzen, Kugeln, Schwerter, Äxte und Hämmer mich verschonen, aber deinen lieblichen Körper treffen, was soll ich dann ohne dich machen auf dieser niedrigen Welt, ich Taugenichts?«
Aber Nele sagte:
»Ich will dir folgen, es wird keine Gefahr für mich geben. Ich werde mich hinter den Holzschanzen bei den Arkebusieren verbergen.«
»Wenn du gehst, bleibe ich, und man wird deinen Freund Ulenspiegel für einen Verräter und Feigling halten.« Und Ulenspiegel ging fort, nicht ohne vorher den bebenden Mund und die fiebrigen Augen Neles zu küssen, die in einem lachte und weinte.
Die Geusen sind vor Antwerpen, und sie kommen bis in den Hafen, um Albas Schiffe zu kapern. Am hellichten Tage dringen sie in die Stadt ein, befreien die Gefangenen und nehmen ihrerseits Feinde gefangen, um Lösegeld zu bekommen. Sie lassen Bürger mit Gewalt fortführen und zwingen einige, ihnen zu folgen, unter der Drohung der Todesstrafe, falls sie auch nur ein Wort sprächen.
Ulenspiegel sagte zu Lamme: »Der Sohn des Admirals ist in der Ecoutête gefangen, wir müssen ihn befreien.« Als sie das Haus der Ecoutête betraten, sahen sie dort den Gesuchten in Gesellschaft eines dickwanstigen Mönchs, der ihn zornig beschwatzte, um ihn in den Schoß der heiligen Mutter-Kirche zu führen. Aber der junge Bursche wollte nicht auf ihn hören und ging mit Ulenspiegel weg.
Inzwischen packte Lamme den Mönch bei der Kapuze und ließ ihn durch die Straßen von Antwerpen vor sich her marschieren. »Du bist hundert Gulden Lösegeld wert«, sagte er, »mache Beine. Was zögerst du? Hast du Blei in den Sandalen? Geh, Specksack, Futtertrog, Suppenbauch!« Der Mönch sagte in großem Zorn: »Ich gehe schon, mein Herr Geuse, ich gehe schon; aber, bei aller Achtung, die ich vor Eurer Arkebuse haben muß: Ihr seid ein ebenso dickbäuchiger, wanstiger und fetter Mann wie ich.« Lamme stieß ihn vorwärts und sagte: »Wagst du es gar, elender Mönch, dein klösterliches, nutzloses Nichtstuerfett mit meinem flämischen Fett zu vergleichen, das ich durch Arbeit, Mühsal, und Kampf angesetzt habe? Laufe, oder ich lasse dich wie einen Hund auf allen vieren gehen, mit Hilfe der Sporen, die an meinen Sohlen haften!«
Aber der Mönch konnte nicht laufen und war, ebenso wie Lamme, außer Atem, als sie auf das Schiff kamen.
Nachdem die Geusen Rammekens, Gertruydenburg und Alckmaer genommen hatten, kehrten sie nach Vlissingen zurück.
Nele war genesen und erwartete Ulenspiegel am Tor. »Thyl«, rief sie, als sie ihn erblickte, »Thyl, mein Freund, bist du nicht verwundet?« Ulenspiegel sang:
»Mein Haar ist von Eisen, ist Helm und Zier,
Natur ist's, die stets noch mich feite.
Von Leder ist meine erste Haut hier,
Von Stahl ist meine zweite.
Vergebens, die Fratze voll hämischer Gier,
Harrt der Tod, daß ich falle im Streite.
Von Leder ist meine erste Haut hier,
Von Stahl ist meine zweite.
›Leben‹, das schrieb ich auf mein Panier,
›Immer im Lichte, wie heute!‹
Von Leder ist meine erste Haut hier,
Von Stahl ist meine zweite!«
»Ach!« sagte Lamme, der ein Bein nachzog, »die Kugeln und Granaten regnen um ihn her, und er fühlt nichts als den Luftzug, den sie machen. Du bist sicherlich ein Geist, Ulenspiegel, und du auch, Nele, denn ich sehe euch immer munter und jung.«
»Warum schleppst du dein Bein nach?« fragte sie Lamme. »Ich bin kein Geist und werde es niemals sein«, antwortete er. »Ich habe einen Axthieb in den Schenkel bekommen – meine Frau hatte so runde weiße Schenkel –, sieh, wie ich blute. Ach! daß ich sie nicht hier habe, die mich pflegen könnte!«
Aber Nele entgegnete erzürnt: »Was kümmerst du dich um eine meineidige Frau?« »Sprich nicht schlecht von ihr«, sagte Lamme. »Hier ist Balsam«, sagte Nele, »ich hatte ihn für Ulenspiegel aufbewahrt, leg ihn auf deine Wunde.« Als Lamme seine Wunde verbunden hatte, ward er wieder fröhlich, denn der Balsam stillte den brennenden Schmerz. Und sie gingen zu dritt auf das Schiff.
Als Nele den Mönch mit gefesselten Händen auf und ab gehen sah, sagte sie: »Wer ist der? Ich habe ihn schon einmal gesehen und glaube, ihn zu erkennen.« »Er ist hundert Gulden Lösegeld wert«, sagte Lamme.
An diesem Tage wurde auf der Flotte ein großes Fest gefeiert. Trotz des scharfen Dezemberwindes, trotz Regen und Schnee waren alle Geusen auf dem Deck ihrer Schiffe. Auf ihren seeländischen Mützen funkelte drohend der silberne Halbmond.
Und Ulenspiegel sang:
»Leyden ist frei, der Blutherzog flieht aus den Niederlanden!
Läutet, ihr Glocken, läutet.
Laß klingen, Glockenspiel, deine Lieder,
Klirret, ihr Flaschen und Gläser.
Wenn der geprügelte Hund zurückkehrt,
Den Schweif gesenkt,
Ein Auge blutig,
Springt er über die Peitsche, die ihn schlug.
Und sein zerschmetterter Kiefer
Hängt zuckend herab.
Der Blutherzog ist fort:
Klingt, Gläser und Flaschen. Es lebe der Geuse!
Vor Wut biß er gern sich ins eigene Fleisch,
Doch der Stecken zerbrach ihm die Zähne.
Mit hängendem Kopf
Gedenkt er der Tage des Mordes und Blutdursts.
Der Herzog ist fort.
Schlaget die Trommel des Ruhms,
Schlaget die Trommel des Krieges!
Es lebe der Geuse!
Er fleht zum Teufel: ›Ich verkaufe dir
Meine hündische Seele für eine Stunde der Kraft!‹
Doch der Satan sagt: ›Deine Seele gilt mir
Gleich der eines mageren Herings.‹
Die Zähne kommen nicht wieder.
Von harten Bissen muß er lassen.
Der Blutherzog ist fort:
Es lebe der Geuse!
Die krummen, räudigen, einäugigen Straßenhunde,
Die vom Hunger leben, bis sie krepieren,
Sie heben alle die Pfoten
Gegen den, der aus Blutdurst gemordet . . .
Es lebe der Geuse!
Er liebte nicht Frauen noch Freunde,
Noch Frohsinn, noch Sonne, noch Gott.
Den Tod nur liebt' er, seinen Buhlen,
Der die Pranken ihm brach
Als Vorspiel zum bräutlichen Tanz.
Er liebt' nicht die ganzen Männer.
Schlaget die Trommel der Freude!
Es lebe der Geuse!
Die kleinen, krummen Straßenhunde,
Hinkend, räudig und einäugig,
Sie heben wieder die Pfoten,
Die zottigen, schmutzigen Pfoten.
Und mit ihnen die Wind- und Molosserhunde,
Die Hunde von Ungarn und die von Brabant,
Von Namur und Lüttich und Luxemburg.
Es lebe der Geuse!
Und traurig, Schaum vor dem Munde,
Verendet er vor seinem Herrn,
Der ihm einen Fußtritt gibt, weil er
Genug nicht gebissen hat.
In der Hölle vermählt er sich dem Tod,
Der ihn ›Mein Herzog‹ nennt,
Zu dem er sagt: ›Meine Inquisition‹.
Es lebe der Geuse!
Läutet, ihr Glocken, läutet.
Laß klingen, Glockenspiel, deine Lieder,
Klirret, ihr Gläser und Flaschen!
Es lebe der Geuse!«