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Zu Damme in Flandern, als der Mai die Blüten des Hagedorns entfaltete, wurde Ulenspiegel, der Sohn des Claes, geboren. Die Gevatterin, eine weise Frau namens Katheline, hüllte ihn in warme Windeln, besah seinen Kopf und zeigte auf ein Haarbüschel. »Behaart! Er ist unter einem guten Stern geboren!« rief sie freudig aus. Aber gleich darauf klagte sie und wies auf einen kleinen schwarzen Punkt auf der Schulter des Kindes: »Ach«, heulte sie, »das ist das schwarze Stigma der Klaue des Teufels!« Da antwortete Claes: »Sollte der Herr Satan schon so früh aufgestanden sein, daß er Zeit hatte, meinen Sohn zu zeichnen?« »Er hat sich gar nicht niedergelegt«, sagte Katheline, »denn Chanteclair weckt eben die Hennen.« Und sie ging hinaus, nachdem sie das Kind in Claesens Arme gelegt hatte. Nun zerriß das Morgenrot die nächtlichen Wolken, die Schwalben schossen schreiend über die Felder dahin, und die Sonne zeigte ihr purpurn strahlendes Antlitz am Horizont. Claes öffnete das Fenster und sprach zu Ulenspiegel. »Haarichter Sohn«, sagte er, »dies ist die ehrwürdige Sonne, die kommt, das Land Flandern zu begrüßen. Sieh sie dir an, wenn du kannst, und solltest du einmal nicht aus und ein wissen und, von Zweifeln erfüllt, nicht erkennen, was du tun sollst, um gut zu tun, so bitte sie um Rat, sie ist klar und warm. Deine Aufrichtigkeit gleiche ihrer Klarheit und deine Güte ihrer Wärme.«
»Claes, mein Mann«, rief da Soetkin, »du predigst einem Tauben, komm trinken, mein Sohn!« Und die Mutter reichte dem Neugeborenen ihre schönen Flaschen der Natur.
Während Ulenspiegel da trank, erwachten alle Vögel im Land. Claes, der Reisigbündel machte, sah seinem Weib zu, wie es Ulenspiegel die Brust reichte. »Frau«, sagte er, »hast du dir von dieser guten Milch Vorrat angelegt?« »Die Krüge sind voll«, sagte sie, »aber das allein bereitet mir noch nicht Freude.« »Du sprichst von dieser großen Stunde sehr kläglich.« »Ich denke daran, daß in dem Ranzen, der dort an der Wand hängt, nicht ein lumpiger Patard zu finden ist.«
Claes nahm den Ranzen zur Hand, aber er hatte gut schütteln – er vernahm kein Morgenständchen klimpernder Münzen. Und er schämte sich. Da er aber seine Frau trösten wollte, sagte er: »Weshalb bist du besorgt? Haben wir nicht den Kuchen im Schrank, den Katheline uns gestern brachte? Sehe ich dort nicht ein großes Stück Rindfleisch, das dem Kind zumindest für drei Tage gute Milch verschaffen wird? Dieser Sack voll Bohnen, in jene Ecke geschmiegt, ist er ein Verkünder der Hungersnot? Ist es ein Phantom, dieses Fäßchen voll Butter? Sind sie Gespenster, diese Kompanien und Eskadronen von Äpfeln, die zu elfen in der Reihe so kriegerisch in der Vorratskammer stehen? Ist es nicht das Versprechen eines frischen Trunks, das die große, ehrwürdige Tonne Cuyte von Brügge in ihrem Bauch zu unserem Labsal birgt?« »Wir müssen«, sagte Soetkin, »wenn wir das Kind zur Taufe bringen, dem Priester zwei Patards geben und brauchen einen Gulden für den Festschmaus.«
In diesem Augenblick trat Katheline mit einem großen Blumenstrauß ein und sagte: »Ich bringe dem haarichten Kind Engelwurz, welche den Menschen vor Schlemmerei bewahrt, Fenchel, der den Satan verjagt . . .« »Hast du nicht das Kraut, das die Gulden herbeischafft?« fragte Claes. »Nein«, sagte sie. »So will ich denn nachsehen, ob es nicht im Kanal welches gibt.«
Er nahm Angelschnur und Netz zu sich und machte sich auf den Weg, sicher, dort bleiben zu können und niemand zu begegnen, denn es war erst eine Stunde vor der »oosterzon«, wie die Sonne in Flandern um sechs Uhr genannt wird.
Claes kam zum Kanal von Brügge, nicht weit vom Meer. Er befestigte den Köder an der Angel, schleuderte sie ins Wasser und ließ sein Netz sinken. Auf dem anderen Ufer lag ein kleiner, gut gekleideter Knabe und schlief wie ein Klotz auf einem Haufen von Muscheln. Er erwachte bei dem Geräusch, das Claes verursachte, und wollte sich aus dem Staube machen, da er fürchtete, es sei der Gemeindegendarm, der komme, um ihn von seinem Lager aufzustöbern und wegen unerlaubten Vagabundierens nach dem »Steen« zu führen. Seine Furcht schwand aber, als er Claes erkannte und sich von ihm also angerufen hörte: »Willst du sechs Heller verdienen? Dann jag mir die Fische hierher.« Dem Knäblein war das sehr recht; es stieg ins Wasser mit seinem kleinen, schon aufgeblähten Wanst, bewaffnete sich mit einem Buschen großen Schilfrohres und jagte Claes die Fische zu.
Als Claes mit dem Fischen zu Ende war, zog er Netz und Angel ein, ging über die Schleuse und näherte sich dem Knaben. »Du bist doch der«, sagte er, »den man mit dem Taufnamen ›Lamme‹ nennt und ›Goedzak‹ wegen seines sanften Charakters, und wohnst in der Rue d'Héron hinter Notre-Dame. Wieso muß ein gut gekleideter Junge unter freiem Himmel schlafen?« »Ach, Herr Kohlenträger«, antwortete der Knabe, »ich habe zu Hause eine Schwester, die ein Jahr jünger ist als ich und mich bei dem geringsten Streit mit mächtigen Schlägen dämpft. Aber ich wage nicht, an ihrem Rücken meine Rache zu nehmen, denn ich müßte ihr ja wehe tun, mein Herr. Gestern, beim Abendessen, hatte ich großen Hunger und faßte mit den Fingern in eine Platte mit einem Rest von Bohnen und Rinderbraten hinein, und sie wollte ihren Teil davon haben; doch es war nicht einmal für mich genug, mein Herr. Als sie sah, wie ich mich wegen des guten Geschmacks der Soße leckte, geriet sie in Wut, schlug mit beiden Händen auf mich los und versetzte mir so gewaltige Backpfeifen, daß ich halbtot aus dem Hause flüchtete.« Claes fragte, was sein Vater und seine Mutter zu dieser Schlägerei gesagt hätten, und Lamme Goedzak antwortete: »Mein Vater schlug mich auf die eine Schulter, meine Mutter auf die andre, und sie sagten: ›Setz dich zur Wehr, Feigling!‹ Ich wollte aber ein Mädchen nicht schlagen und nahm Reißaus.«
Plötzlich erbleichte Lamme und zitterte an allen Gliedern. Claes sah eine große Frau und ihr zur Seite ein mageres Mädchen von wildem Aussehen herankommen.
»Ach«, sagte Lamme und hielt sich an Claesens Kniehosen fest, »da sind meine Mutter und meine Schwester, die kommen, mich zu holen – beschützen Sie mich, Herr Kohlenträger!« »Schon gut«, sagte Claes, »nimm zuerst diese sieben Heller als Lohn, und nun wollen wir ohne Furcht deiner Mutter und deiner Schwester entgegengehen.« Als die beiden Frauen Lamme gewahrten, kamen sie auf ihn zugelaufen und wollten ihn alle beide schlagen, die Mutter, weil sie in Sorge um ihn gewesen war, und die Schwester aus Gewohnheit. Lamme verbarg sich hinter Claes und rief: »Ich habe sieben Heller verdient, ich habe sieben Heller verdient, schlagt mich nicht!« Aber die Mutter hielt ihn schon mit beiden Händen fest, während das Töchterchen Lammes Hände mit Gewalt öffnen wollte, um ihm das Geld wegzunehmen. Aber Lamme schrie: »Das gehört mir, und du wirst es nicht bekommen!« Und er ballte die Fäuste zusammen. Claes jedoch schüttelte das Mädchen heftig bei den Ohren und sagte zu ihr: »Wenn du dir noch einmal einfallen lassen solltest, mit deinem Bruder, der gut und sanft wie ein Lamm ist, Streit zu suchen, werde ich dich in eine schwarze Kohlenkammer sperren, aber dort werde nicht mehr ich es sein, der dich an den Ohren zieht, sondern der rote Höllenteufel, der dich mit seinen großen Tatzen und seinen Zähnen, die spitzig sind wie Gabeln, in Stücke reißen wird.« Auf das hin wagte das Mädchen weder Claes anzusehen noch sich Lamme zu nähern und verkroch sich hinter die Röcke ihrer Mutter. Als sie aber in die Stadt zurückkehrte, rief sie überall: »Der Kohlenträger hat mich geschlagen, und er hat den Teufel in seinem Keller!« Doch von nun an schlug sie Lamme nicht mehr. Als er aber groß war, ließ sie ihn ihre Arbeit tun. Und der gutmütige Einfaltspinsel tat sie willig.
Claes hatte seinen Fang auf dem Heimweg einem Landpächter verkauft, wie er gewöhnlich zu tun pflegte. Als er sein Haus betrat, sagte er zu Soetkin: »Hier – das habe ich in dem Bauch von vier Hechten, neun Karpfen und einem Korb voller Aale gefunden« und ließ dabei zwei Gulden und einen Patard auf den Tisch springen. »Warum gehst du nicht täglich fischen, lieber Mann?« fragte Soetkin. Claes antwortete: »Damit ich nicht einmal selbst zum Fisch werde für die Netze der Gemeindegendarmen.«
Man nannte Ulenspiegels Vater in Damme Claes, den Kooldraeger oder Köhler. Claes hatte schwarze Haare, hellblinkende Augen, und seine Haut war von der Farbe seiner Handelsware, ausgenommen an Sonn- und Feiertagen, wenn in seiner Hütte Überfluß an Seife war. Er hatte eine kleine, eckige Figur, war aber stark und trug ein fröhliches Gesicht zur Schau.
Wenn der Tag zu Ende war und der Abend sich niedersenkte, ging er in irgendeine Kneipe, die auf dem Wege nach Brügge lag, um seine Gurgel, die von Kohle geschwärzt war, mit Cuyte zu spülen, und die freundlichen Frauen traten unter ihre Türen und riefen ihm lachend zu: »Guten Abend, Köhler, und klares Bier!« »Guten Abend und einen Gatten, der nicht schläfrig ist!« antwortete Claes.
Die Mädchen, die gruppenweise von den Feldern heimkamen, stellten sich so vor ihn hin, daß sie ihn am Weitergehen verhinderten, und sagten zu ihm: »Was zahlst du, wenn wir dich durchlassen? Ein scharlachrotes Band, einen goldenen Ring, ein paar Schühlein von Samt oder einen Gulden zum Taschengeld?« Claes aber nahm eine um die Mitte, ließ seinen Mund gerade dorthin treffen, wo ihm dies junge Fleisch am nächsten kam, und küßte ihr die Wangen oder den Hals, dann sagte er: »Das übrige, meine Schätzchen, verlangt von eurem Liebsten.« Dann gingen sie hell auflachend ihres Weges.
Die Kinder erkannten Claes an seiner mächtigen Stimme und an dem Dröhnen seiner Stiefel schon von weitem, liefen ihm entgegen und sagten: »Guten Abend, Kohlenträger!« »Gott gebe auch euch einen guten Abend, meine Engelchen«, sagte dann Claes, »kommt mir aber nicht zu nahe, sonst mache ich Negerlein aus euch.« Die Kleinsten waren kühn und näherten sich dennoch, da faßte er eines bei seinem Wämslein und fuhr ihm mit seinen schwarzen Händen über das frische Mündchen, dann schickte er es, selbst lachend, wieder weg, zur großen Freude aller andern.
Soetkin, Claesens Frau, war ein gutes Eheweib, sie stand mit dem Morgenrot auf und war fleißig wie eine Ameise. Sie und Claes bearbeiteten zu zweit das Feld, das ihnen gehörte, und spannten sich wie Rinder vor den Pflug. Das war ein schweres Ziehen, aber noch weit schwerer war's, die Egge fortzubringen, jenes Ackergerät, dessen hölzerne Zähne die harte Erde aufreißen sollen. Trotzdem blieben ihre Herzen froh, und sie sangen sich ein Lied zur Arbeit, mochte da die Erde auch noch so hart sein. Vergeblich sandte die Sonne ihre heißesten Strahlen herab, vergeblich auch zog die Egge, beugte ihnen die Knie und bereitete ihren Schultern die heftigsten Anstrengungen, wenn sie anhielten und Soetkin wandte Claes ihr süßes Gesicht zu, das er, diesen Spiegel ihrer zärtlichen Seele, küßte, dann vergaßen sie aller großen Mühseligkeiten.
Tags zuvor war an den Schranken des Stadthauses verkündet worden, daß Madame, die Gemahlin Kaiser Karls, schwanger sei und daß für ihre bevorstehende Niederkunft Gebete gesprochen werden müßten.
Katheline trat bebend bei Claes ein. »Was erregt dich so, Gevatterin?« fragte der Gute. »Ach«, sagte sie, und die Worte kamen abgerissen aus ihrem Munde, »diese Nacht . . . Geister mähen Menschen nieder wie die Schnitter das Gras . . . lebendig begrabene Mädchen . . . über den Leichen tanzt der Henker . . . seit neun Monaten träufelt's aus dem Blutstein . . . diese Nacht ist er geborsten.«
»Hab Erbarmen mit uns, Herrgott«, seufzte Soetkin, »hab Erbarmen! Das ist eine schwarze Prophezeiung für das Land Flandern.« »Siehst du das mit deinen Augen oder im Traum?« fragte Claes. »Mit meinen Augen«, sagte Katheline und fuhr dann weinend und an allen Gliedern zitternd fort: »Zwei Kindlein sind geboren, das eine in Spanien, das ist der Infant Philipp, das andre in Flandern, das ist der Sohn von Claes, dem man in späterer Zeit den Namen Ulenspiegel geben wird. Philipp, von Karl V., dem Mörder unserer Lande, gezeugt, wird zum Henker werden. Ulenspiegel wird ein großer Gelehrter im Possenreißen und in jugendlichem Schnickschnack sein, aber er wird ein gutes Herz haben, denn sein Vater ist Claes, der wackere Arbeiter, der in Tugend, Ehrbarkeit und Sanftmut sein Brot verdient. Kaiser Karl und König Philipp werden, Unheil verbreitend, durchs Leben galoppieren, Schlachten schlagend, Wucher treibend und andere Übeltaten verrichtend. Claes wird die ganze Woche arbeiten, der Gerechtigkeit und den Gesetzen treu, statt über seine harte Arbeit zu klagen, wird er lachen und das Vorbild der braven Werkleute Flanderns sein. Ulenspiegel, der immer junge, der nie sterben wird, er wird die Welt durcheilen, ohne sich jemals an einen Ort zu binden. Er wird Handlanger sein, Edelmann, Maler, Bildhauer, alles in einem. Er wird die Welt durchwandern, das Schöne und Gute lobend und alles Niedrige aus tiefstem Herzen verachtend. Claes ist dein Mut, du edles Volk von Flandern, Soetkin deine sorgende Mutter und Ulenspiegel dein Geist, ein hübsches Mägdelein, mit Ulenspiegel als sein Schätzchen vereint und unsterblich wie er, wird dein Herz sein, und ein gewaltiger Dickwanst, Lamme Goedzak, wird dein Magen sein. Die Aussauger des Volkes werden obenauf bleiben und die Opfer unten, oben die habgierigen Hornissen, unten die arbeitsamen Bienen. Und im Himmel werden Christi Wunden bluten.«
Als sie das gesagt hatte, fiel Katheline, die gute Hexe, in Schlaf.
Ulenspiegel wurde zur Taufe getragen, plötzlich ging ein Platzregen nieder, der ihn tüchtig durchnäßte. Also ward er das erstemal getauft. Als man in die Kirche eintrat, wurden Paten und Patinnen, Vater und Mutter vom Schoolmeester, der das Amt des Küsters versah, aufgefordert, sich rund um das Taufbecken zu stellen, was sie auch taten. Aber in dem Kreuzbogen über dem Becken hatte ein Maurer ein Loch gemacht, um eine Lampe an einem Stern von vergoldetem Holz aufzuhängen. Als der Maurer von seiner Höhe aus die Paten und Patinnen bemerkte, wie sie so feierlich um das Taufbecken herumstanden, das noch mit seinem Deckel verschlossen war, schüttete er durch das Loch in der Decke einen vollen Eimer Wassers hinab, das zwischen den Leuten hindurch auf den Deckel des Beckens klatschte und gewaltig nach allen Seiten auseinanderspritzte. Und Ulenspiegel bekam das meiste ab. Solcherart ward er zum zweitenmal getauft. Der Dechant kam, und man beschwerte sich bei ihm. Aber er sagte, man solle sich beeilen, und das wäre nur ein Zufall gewesen. Ulenspiegel zappelte, weil das Wasser auf ihn gespritzt war. Der Dechant gab ihm Salz und Wasser und nannte ihn Thylbert, was soviel heißt wie »reich und lebhaft«. So ward er zum drittenmal getauft. Nachdem sie Notre-Dame verlassen hatten, gingen sie in die gegenüberliegende Rue Longue und betraten den Rosaire des Bouteilles (den Rosenkranz der Flaschen), dem ein Krug zum Wahrzeichen diente. Dort tranken sie siebzehn Humpen Dobbelkuyt und noch darüber. Denn es ist ein trefflicher Brauch in Flandern, daß man, um nasse Leute wieder trocken zu machen, mit Bier ein Feuer in ihrem Wanst entzündet. Ulenspiegel wurde also zum viertenmal getauft. Als man mit Köpfen, die schwerer waren als die Leiber, im Zickzackweg nach Hause zurückkehrte, passierte man eine Brücke, die über einen kleinen Tümpel führte. Katheline, die als Patin das Kind trug, machte einen Fehltritt und stürzte mit Ulenspiegel in den Schlamm, wobei dieser das fünftemal getauft wurde. Als man ihn aber, in Claesens Haus zurückgekehrt, mit warmem Wasser vom Kot rein wusch, war das seine sechste Taufe.
An diesem Tage beschloß Seine geheiligte Majestät Karl, großartige Festlichkeiten zu geben, um die Geburt seines Sohnes würdig zu feiern. Er nahm sich vor, auf Fischzug auszugehen, wie Claes es getan hatte, aber nicht etwa im Kanal, sondern in den Pfründbeuteln und Ranzen seines Volkes. Was die hochherrschaftlichen Angeln da herauszogen, waren Cruzados, Silbertaler und Goldstücke, und all diese wunderbaren Fische verwandelten sich auf Wunsch des Fischers in Samtkleider, kostbare Geschmeide, erlesene Weine und feinste Köstlichkeiten für den Gaumen. Denn die fischreichsten Flüsse sind nicht die, in denen das meiste Wasser ist.
Im Einvernehmen mit den Mitgliedern seines Rates beschloß Seine geheiligte Majestät, daß der Fischfang in folgender Form vor sich gehen solle: Der hochherrliche Infant sollte zwischen neun und zehn Uhr zur Taufe getragen werden. Die Einwohner von Valladolid sollten, um ihre große Freude zu bekunden, die ganze Nacht Umzüge veranstalten, Feste feiern und auf dem Großen Platz ihr Geld für die Armen ausstreuen. An fünf Straßenkreuzungen sollten aus großen Fontänen bis zum Morgengrauen Weinwellen fließen – natürlich von der Stadt bezahlt. An fünf anderen Kreuzungen sollten, auf Holzgerüsten aufgereiht, Würstchen, Zervelatwürste, Botarga, Leberwürste, Ochsenzungen und andere Fleischspeisen hängen, gleichfalls auf Kosten der Stadt. Die Bewohner von Valladolid sollten aus eigenem Geld auf den Wegen, die der festliche Zug berühren würde, zahlreiche Triumphbogen aufstellen, die den Frieden, den Reichtum, den Überfluß, das Glück und alle anderen Herrlichkeiten versinnbildlichen sollten, womit sie der Himmel unter der Regierung Seiner geheiligten Majestät überschüttet hatte. Schließlich sollten außer den Friedensbogen auch noch einige andere aufgestellt werden, auf denen in lebhaften Farben die weniger friedfertigen Dinge gemalt sein sollten, wie Adler, Löwen, Lanzen, Hellebarden, Spieße mit weithin leuchtenden Klingen, Arkebusen, Kanonen, Falkonette, großmäulige Mörser und sonstige Waffen, welche die kriegerische Kraft und Macht Seiner geheiligten Majestät bildlich darzutun vermochten.
Um die Kirche im Lichterglanz erstrahlen zu lassen, wurde der Innung der Kerzenmacher gestattet, mehr als zwanzigtausend Kerzen umsonst anzufertigen, deren übriggebliebene Stümpfe dem Ordenskapitel überwiesen werden sollten. Was die übrigen Ausgaben betraf, so wollte sie der Kaiser auf sich nehmen, um dadurch den guten Willen zu zeigen, seinem Volke nicht zu große Kosten zu verursachen.
Als das Volk diese Befehle ausführen wollte, trafen aus Rom betrübliche Nachrichten ein. Oranien, d'Alençon und Frundsberg, Kapitäne des Kaisers, waren in die heilige Stadt eingedrungen, hatten Kirchen, Kapellen und Häuser geplündert und zerstört und niemand geschont, weder Priester noch Nonnen, weder Frauen noch Kinder. Und den Heiligen Vater hatten sie gefangengenommen. Die Verwüstungen dauerten fort, und seit einer Woche durchzogen Reiter und Landsknechte die Stadt Rom, vollgefressen, angesoffen und ihre Waffen schwingend, fahndeten sie nach den Kardinälen und schrien, daß sie ihnen die Haut aufschlitzen würden, um sie zu verhindern, jemals Päpste zu werden. Andere, die diese Drohung schon wahr gemacht hatten, stolzierten in der Stadt umher, trugen Rosenkränze von achtundzwanzig und mehr Kugeln über der Brust, die groß wie Nüsse und über und über blutig waren. Einige Straßen waren in rote Bäche verwandelt, in denen ausgeplünderte Leichen umherlagen. Etwelche sagten, daß der Kaiser, der Geld brauchte, in dem kirchlichen Blut habe fischen wollen und daß er, nachdem er von dem Vertrag erfahren habe, den seine Kapitäne dem päpstlichen Gefangenen aufgezwungen hatten, diesen genötigt habe, ihm alle befestigten Plätze seines Staates abzutreten und ihm vierhunderttausend Dukaten zu bezahlen; überdies solle er so lange in Gefangenschaft bleiben, bis diese Bedingungen erfüllt seien.
Dennoch, der Schmerz Seiner Majestät war groß, er bestellte alle Vorbereitungen zu den Freudenfesten und Belustigungen ab und ordnete an, daß die Herren und Damen in seinem Palast Trauer anlegen sollten. Und das Kind wurde in seinen weißen Windeln getauft, welche die Windeln königlicher Trauer sind. Das wurde von den Herren und Damen als düsteres Vorzeichen gedeutet. Ungeachtet dessen präsentierte die Frau Amme den Infanten den Herren und Damen des Hofes, damit diese ihm, wie das üblich war, ihre Wünsche und Gaben übermitteln konnten. Madame de la Coena hing ihm einen schwarzen Stein gegen Gift von der Form und Größe einer Haselnuß und in eine Goldkapsel gefaßt um den Hals. Madame de la Chauffade befestigte an einem Seidenfaden, der über seinem Magen hing, eine Lambertsnuß zur Förderung der Verdauung; Messire van der Steen de Flandre überreichte ihm eine Genter Wurst, die fünf Armlängen lang und eine halbe breit war, und wünschte Seiner Hoheit untertänigst, daß allein der Geruch dieser Wurst ihm auf den Genter Clauwaert Durst machen möge, und fügte hinzu, wer erst das Bier einer Stadt liebe, könne auch ihre Brauer nicht hassen. Der Herr Stallmeister Jacques Christophe de Castille bat Seine Hoheit den Infanten, auf seinen lieblichen Füßen grünen Jaspis tragen zu wollen, damit er gut laufen könne. Jan de Paepe, der Narr, der auch anwesend war, sagte: »Hochedle, gebt ihm lieber das Horn des Josua, bei dessen Klang alle Städte in raschem Lauf vor ihm her eilen sollen, um ihre Habe samt allen ihren Bewohnern, Männern, Frauen und Kindern, in Sicherheit zu bringen. Denn Hochwohlgeboren soll nicht lernen zu laufen, sondern die andern laufen zu machen.« Die verweinte Witwe des Floris van Borsele, der Herr van Veere im Lande Zeeland gewesen war, gab Herrn Philipp einen Stein, der, wie sie sagte, die Männer verliebt machen sollte und die Frauen untröstlich. Aber das Kind grölte wie ein Kalb.
Während dies geschah, fertigte Claes seinem Sohn eigenhändig eine Klapper aus Weidenzweigen mit Schellen an und sagte, während er ihn auf seiner Hand tanzen machte: »Schellen, klingende Schellen, mögest du sie immer an der Mütze tragen, kleiner Mann, denn zu guter Letzt werden's die Narren sein, denen das Königreich gehört.« Und Ulenspiegel lachte.
Claes hatte einen großen Lachs gefangen und verzehrte ihn eines Sonntags mit Soetkin, Katheline und dem kleinen Ulenspiegel, aber Katheline aß nicht mehr als ein Vogel. »Gevatterin«, sagte Claes zu ihr, »ist die Luft in Flandern jetzt so gehaltvoll, daß du sie nur einatmen mußt, um von ihr satt zu sein wie von einer Schüssel Fleisch? Wie lebt man so? Die Regentropfen würden gute Suppe abgeben, die Hagelkörner Bohnen und die Schneeflocken, in himmlisches Frikassee verwandelt, würden die armen Wanderer wieder zu Kräften bringen.« Katheline nickte mit dem Kopf und ließ kein Wort hören. »Seht doch«, sagte Claes, »die bekümmerte Gevatterin, was ist's, das sie so betrübt?« Katheline sprach mit einer Stimme, die wie Hauch klang: »Der Böse . . . schwarze Nacht bricht herein . . . Ich höre, wie er sein Nahen anzeigt . . . schreiend wie der Seeadler . . . Schaudernd flehe ich zur Heiligen Jungfrau – es ist vergebens . . . Für ihn gibt's keine Zäune, keine Mauern, weder Türen noch Fenster braucht er . . . er dringt überall ein wie ein Schemen . . . die Leiter knarrt . . . Er packt mich mit seinen kalten Armen, hart wie Marmor . . . Starres Gesicht . . . Küsse, feucht wie Schnee . . . Hütte schwankt, neigt sich zur Erde . . . schaukelt wie Barke auf stürmischer See . . .«
Claes sagte: »Du mußt jeden Morgen zur Messe gehen, damit der Herr Jesus dir die Kraft gibt, dieses Phantom zu verjagen, das aus den Tiefen kommt.« »Er ist so schön«, sagte sie.
Als Ulenspiegel der Mutterbrust entwöhnt war, schoß er auf wie eine junge Pappel. Claes küßte ihn nun nicht mehr so häufig, um ihn nicht zu verziehen, aber er liebte ihn auf männliche Art. Kam Ulenspiegel nach Hause und beklagte sich, daß er bei irgendeiner Zänkerei Prügel bekommen habe, so schlug Claes ihn, weil er die andern nicht geschlagen hatte, so erzogen, wurde Ulenspiegel mutig wie ein kleiner Löwe.
Wenn Claes abwesend war, erbat sich Ulenspiegel von Soetkin einen Heller, um zu spielen. Soetkin ärgerte sich und sagte: »Mußt du spielen? Du tätest besser, hierzubleiben und Reisig zu binden.« Sah Ulenspiegel nun, daß sie ihm nichts geben wollte, so schrie er wie ein Adler, aber Soetkin machte mit ihren Kesseln und Näpfen, die sie in einem Holzbottich wusch, großen Lärm, um sich das Ansehen zu geben, als höre sie nichts. Nun weinte Ulenspiegel, und seine sanfte Mutter ließ die Maske der Strenge fallen, kam auf ihn zu, liebkoste ihn und sagte: »Hast du mit einem Silberling genug?«
Und man bedenke, daß ein Silberling sechs Heller wert war. So übertrieb sie ihre Liebe, wenn Claes nicht da war, und Ulenspiegel war König im Haus.
Eines Morgens gewahrte Soetkin Claes, wie er mit gesenktem Kopf in der Küche auf und ab ging wie einer, der in Betrachtungen verloren ist. »Was brütest du, lieber Mann?« sagte sie, »du bist bleich, zornig und zerstreut.« Claes antwortete mit tiefer Stimme wie ein knurrender Hund: »Sie wollen die grausamen Kundmachungen des Kaisers erneuern. Der Tod wird von neuem über das Land Flandern streichen. Die Angeber werden die Hälfte des Vermögens der Opfer bekommen, wenn es hundert Karlsgulden nicht überschreitet.« »Wir sind arm«, sagte sie. »Arm«, erwiderte er, »aber nicht arm genug. Es gibt niedrige Menschen, Geier und Raben, die von Leichen leben und die uns ebensogut denunzieren würden, um sich mit Seiner heiligen Majestät in einen Korb voll Kohlen zu teilen, als handelte es sich um einen Sack voll Karlsgulden. Was besaß denn die arme Tannelen, die Witwe von Sis, dem Schneider, der in Heyst starb, und die lebendig begraben wurde? Eine lateinische Bibel, drei Goldgulden und etliche Wirtschaftsgeräte aus englischem Zinn, auf die es ihre Nachbarin abgesehen hatte. Johanna Martens wurde als Hexe verbrannt, weil ihr Körper, als man sie vorher ins Wasser geworfen hatte, obenauf schwamm und man daran ihr Hexentum erkannte. Sie hatte einige dürftige Möbel und sieben Goldstücke in einem Beutel, der Angeber wollte die Hälfte haben. Ach, ich könnte bis morgen erzählen, aber gib zu, liebe Frau, diese Plakate machen das Leben in Flandern nicht mehr lebenswert. Bald wird der Karren des Todes allnächtlich durch die Stadt fahren, und wir werden das hohle Klappern der Knochen seines Skeletts hören, wenn er sich hier umtut.« Soetkin sagte: »Du sollst mir nicht Angst einjagen, lieber Mann, der Kaiser ist der Vater von Flandern und Brabant und als solcher mit Langmut, Sanftheit, Geduld und Barmherzigkeit begabt.« »Dabei würde er zuviel verlieren«, antwortete Claes, »denn er erbt die konfiszierten Güter.«
Plötzlich schallte die Trompete und klingelten die Zimbeln des Stadtherolds. Claes und Soetkin liefen, Ulenspiegel abwechselnd in den Armen tragend, auf das Geräusch hin mit dem Haufen des Volkes mit. Sie kamen vor das Gemeindehaus, vor dem die Herolde hoch zu Roß hielten, in die Trompeten bliesen und die Zimbeln schlugen, der Profos, den Richterstab haltend, und der Bürgermeister zu Pferde, der mit beiden Händen einen Erlaß des Kaisers hielt und sich anschickte, ihn der versammelten Menge vorzulesen. Claes hörte aufmerksam, daß es neuerlich verboten war: ganz oder teilweise zu drucken, zu lesen, zu besitzen oder in der Herstellung zu fördern die Schriften, Bücher und Lehren des Martin Luther, des Johannes Wycleff, Johannes Hus, Marcilius de Padua, Aecolampadius, Ulricus Zwinglius, Philippus Melanchthon, Franciscus Lambertus, Johannes Pomeranus, Otto Brunselius, Justus Jonas, Johannes Puperis und Gorcianus, desgleichen das Neue Testament, gedruckt von Adriaen de Berghes, Christoph de Remonda und Johannes Zel, die voll von lutherischen und andern Ketzereien, von der theologischen Fakultät der Universität zu Löwen überprüft und verdammt worden seien. Desgleichen das Malen oder Nachbilden schmähender Bilder oder Figuren von Gott, der heiligen Jungfrau Maria oder der Heiligen und das Veranlassen, daß solche gemalt oder nachgebildet würden, zu zerbrechen, zu zerstören oder auf sonstige Art zu vernichten die Bilder und Darstellungen, die zu Ehren und als Denkmal Gottes errichtet waren und zur Mahnung, seiner zu gedenken wie auch der Jungfrau Maria und der von der Kirche anerkannten Heiligen.
Überdies, besagte das Plakat, dürfe niemand, wer immer er auch sei, sich unterfangen, über die Heilige Schrift Untersuchungen anzustellen oder Streitreden zu führen, selbst über unklare Stellen nicht, sofern er nicht ein wohlberufener und von einer berühmten Universität anerkannter Theologe sei.
Seine Majestät setzte unter anderen Strafen auch die fest, daß die Verdächtigen nie mehr ein Ehrenamt bekleiden dürften. Solche, die in den Irrglauben zurückverfielen oder auf ihm beharrten, sollten verurteilt werden, an kleinem oder großem Feuer verbrannt zu werden, in einem Strohhäuschen oder an einen Pfahl gebunden, je nach dem Befinden des Richters. Die andern sollten, wenn sie Edelleute oder Patrizier wären, durch das Schwert hingerichtet werden, wenn sie Arbeiter wären, durch den Galgen und Frauen durch Lebendigbegraben. Zum abschreckenden Beispiel sollten ihre Köpfe auf einen Pfahl aufgepflanzt werden. Auch sollten die Güter der Hingerichteten zugunsten des Kaisers eingezogen werden, soweit sie in seinem Machtbereich lägen. Seine heilige Majestät sprach den Angebern die Hälfte alles dessen zu, was die Hingerichteten besessen, wenn das Vermögen des einzelnen nicht mehr als hundert Livres in flandrischem Gelde betrug. Der Kaiser behalte sich vor, seinen Teil zu frommen und barmherzigen Werken zu verwenden, wie er das auch mit den Geldern von Rom gemacht habe.
Und Claes, Soetkin und Ulenspiegel waren darob gar traurig.
Das Jahr war gut, und Claes kaufte für sieben Gulden einen Esel und neun Scheffel Erbsen.
Eines Morgens setzte er sich auf das Tier und ließ Ulenspiegel hinter sich auf die Kruppe steigen. In dieser Aufmachung ritten sie davon, um einen Onkel, Claesens älteren Bruder Josse Claes, zu besuchen, der, nicht weit von Meyborg, im Deutschen wohnte. Josse war in seinen Mannesjahren einfach und gutherzig gewesen, doch hatte ihn mancherlei Unrecht, das er erduldet hatte, mürrisch gemacht; sein Blut hatte sich in schwarze Galle verwandelt, er war von Haß gegen die Menschen erfüllt und lebte einsam.
Er vergnügte sich nun damit, zwei sogenannte gute Freunde zu einer Prügelei aufzuhetzen, und zahlte dem von den beiden, der den andern heftiger verprügelt hatte, drei Patards. Auch liebte er es, in einem stark geheizten Saal eine große Zahl der ältesten und bissigsten Vetteln zu versammeln und ihnen geröstetes Brot zu essen und Hypocras zu trinken zu geben. Sodann gab er denen, die mehr als sechzig Jahre alt waren, Wolle, die sie in einer Ecke verstricken sollten, und empfahl ihnen, sich nur immer die Fingernägel wachsen zu lassen. Und es war wunderlich anzuhören, wie diese Regentraufen und Springbrunnen, diese boshaften Plaudertaschen und alten Uhus, den Strickbeutel unter der Achselhöhle, vereint an der Ehre des Nächsten nagten.
Wenn sie dann in angeregtester Stimmung waren, warf Josse Borsten ins Feuer, die beim Verbrennen die Luft mit Gestank erfüllten. Die Weiber, alle zu gleicher Zeit schwatzend, beschuldigten sich nun gegenseitig, diesen Geruch verursacht zu haben. Jede bestritt, es gewesen zu sein, und bald fuhren sie sich in die Haare, während Josse weiter Borsten ins Feuer warf und zerschnittenes Roßhaar auf den Boden streute. Wenn er dann in dem tobenden Handgemenge, dem dichten Rauch und dem hochgewirbelten Staub nichts mehr sehen konnte, ließ er zwei seiner Diener, als Gemeindegendarmen verkleidet, herbeiholen, welche die alten Weiber mit langen Stangen mächtig schlugen und wie eine Herde von tollen Gänsen aus dem Saal jagten.
Josse inspizierte dann das Schlachtfeld und fand da Fetzen von Röcken, Strümpfen, Hemden und alte Zähne. Und tief melancholisch sprach er zu sich: »Mein Tag ist verloren; keine von ihnen hat in dem Handgemenge ihre Zunge gelassen.«
Im Stadtkreis von Meyborg durchkreuzte Claes ein kleines Wäldchen, und der Esel weidete im Traben die Disteln ab; Ulenspiegel warf mit seiner Kappe nach den Schmetterlingen und fing sie wieder auf, ohne den Rücken des Esels zu verlassen. Claes aß gerade eine Schnitte Brot und gedachte sie in einer nahen Schenke tüchtig zu begießen, als er von fern Glockengeläut und das Geräusch einer großen Menge gleichzeitig sprechender Menschen vernahm. »Das ist«, sagte er, »irgendein Pilgerzug, und die Herren Pilger sind, ohne Zweifel, zahlreich. Halte dich also fest auf dem Esel, damit sie dich nicht herunterstoßen. Nun werden wir sehen. Und du, Esel, folge meinen Sporen.«
Und das Grauchen begann zu laufen. Als sie den Saum des Waldes verließen, kamen sie auf ein breites Hochplateau, das, wo es nach Westen zu abfiel, von einem Fluß begrenzt war, auf der östlichen Seite hatte man eine kleine Kapelle errichtet, deren Giebel von einem Bild Unserer Lieben Frau überragt war, zu deren Füßen zwei Figuren standen, deren jede einen Stier darstellte.
Auf den Stufen der Kapelle stand ein verschmitzt lächelnder Einsiedler, der die Glocke läutete, und neben ihm fünfzig Dienstleute, die brennende Kerzen hielten, Musikanten, Spielleute, Glöckner und Trommelschläger, Trompeter, Pfeifer, Flötenspieler und Dudelsackpfeifer, und eine Menge fröhlicher Gesellen, die mit beiden Händen eiserne Kassetten voll metallener Gegenstände hielten; aber in diesem Moment verhielten sich alle still. Fünftausend Pilger, oder noch mehr, wanderten, sieben zu sieben, in enggeschlossenen Reihen daher, mit Helmen bedeckt und Stecken von grünem Holz tragend. Wenn neue behelmte Waffenträger, gleich den andern, ankamen, schlossen sie sich diesen gewaltig lärmend an. Sodann zogen sie in Siebenerreihen vor der Kapelle vorbei, ließen ihre Stecken segnen und empfingen jeder aus den Händen der Dienstleute eine Kerze, die sie gegen einen halben Gulden eintauschten, den sie dem Einsiedler gaben.
Diese Prozession war so lang, daß die Kerzen der ersten bis zum Ende des Dochtes herabgebrannt waren, während die der letzten noch vor zu großer Menge Talgs zu verlöschen drohten.
Claes, Ulenspiegel und der Esel, alle drei gleichermaßen verblüfft, sahen also eine ungeheure Menge verschiedenartigster Leute an sich vorbeiziehen, dickwanstige, hochragende, lange, hagere, stolze, aufrechte und solche, die mit kraftlosen Beinen dahintorkelten. Und alle diese Pilger trugen Helme. Welche schienen aus Troja gekommen zu sein und glichen phrygischen Mützenträgern oder hatten einen Buschen roter Roßhaare als Kopfschmuck, andere wieder, obgleich sie feist und dickwanstig waren, trugen Helme mit ausgebreiteten Flügeln, hatten aber keine Idee von der Beizjagd. Dann kamen welche, die sich mit Salatkraut aufgeputzt hatten, das so verdorrt war, daß es selbst die Schnecken verschmäht hätten. Die meisten aber trugen so alte und verrostete Helme, daß sie von Gambrinus, dem König Flanderns und des Bieres, zu stammen schienen, welcher König neunhundert Jahre vor unserem Heiland lebte und sich mit einem Kruge krönte, um nicht gezwungen zu sein, aus Mangel an einem Becher das Trinken zu lassen.
Mit einem Male klingelten, quiekten, donnerten, klapperten, kreischten, heulten und rasselten die Glocken, Dudelsäcke, Flöten, Trommeln und Eiseninstrumente.
Auf dieses Getöse, das ein Signal für die Pilger war, wandten sie sich in Siebenertrupps, Angesicht gegen Angesicht, einander zu und stießen sich, als Herausforderung, die brennenden Kerzen gegenseitig ins Gesicht. Das rief eine große Nieserei hervor, und die grünen Stecken kamen in Bewegung. Sie schlugen sich auf die Füße, den Kopf, die Sohlen und überallhin. Einige stürzten sich wie Widder auf ihre Gegner, den behelmten Kopf vorgebeugt, wobei sie sich den Helm bis auf die Schultern herabdrückten, so daß sie nichts mehr sehen konnten und in eine Siebenerschar zorniger Pilger hineinrannten, die sie recht unzart empfing. Andere, Schreihälse und Memmen, jammerten über die Schläge, während sie aber schmerzbewegt vor sich hin murmelten, stürzten sich, rasch wie der Blitz, zwei Siebenerschwärme von Pilgern auf sie, überrannten sie, warfen die armen Schreier zu Boden und stürmten mitleidslos über sie hinweg. – Und der Eremit lachte.
Andere Siebenertrupps wieder hängten sich wie die Beeren einer Traube aneinander, kollerten von der Höhe des Plateaus bis in den Fluß hinunter und hieben auch dort noch mit gewaltigen Schlägen aufeinander ein, ohne ihre Kampflust abzukühlen. – Und der Eremit lachte.
Die, welche auf dem Plateau geblieben waren, schlugen sich die Augen blau, zerschmetterten sich die Zähne, rissen sich die Haare aus und die Wämser und Hosen vom Leib. Und der Eremit lachte und rief: »Mut, Freunde, je besser einer schlägt, um so besser liebt er! Denen, die am meisten schlagen, gehört die Liebe ihrer Schönen! Heilige Maria von Rindbisbels, hier sieht man, wer nichts taugt!« Und die Pilger schlugen freudigen Herzens aufeinander los.
Claes hatte sich inzwischen dem Eremiten genähert, während Ulenspiegel der Schlägerei lachend und schreiend Beifall zollte. »Mein Vater«, sagte Claes, »welches Verbrechen haben diese armen Biedermänner denn begangen, daß sie gezwungen werden, sich so grausam zu prügeln?« Aber der Eremit rief, ohne ihn anzuhören: »Faulenzer, ihr verliert den Mut! Wenn eure Fäuste müde sind, sind's auch gleich eure Füße? Leibhaftiger Gott! Ich sehe unter euch welche, die ihre Beine nur dazu benutzen, um wie Hasen davonzulaufen! Wer macht, daß aus dem Stein Feuer sprüht? Das Eisen, das ihn schlägt. Was ist's, das die Mannbarkeit der alten Leute neu belebt, wenn nicht eine tüchtige Portion Hiebe, gut gewürzt mit hellem Zorn?«
Auf das hin fuhren die Pilger fort, sich gegenseitig auf die Helme, Hände und Füße zu schlagen. Das Handgemenge war so toll, daß auch Argus mit seinen hundert Augen nichts anderes gesehen hätte als aufgewirbelte Staubwolken und einige Helmspitzen.
Plötzlich begann der Eremit die Glocke zu läuten, Pfeifen, Trommeln, Trompeten, Dudelsäcke, Flöten, Klappern unterbrachen ihr Lärmen: das war das Zeichen zum Frieden. Die Pilger lasen ihre Verwundeten auf. Unter diesen sah man mehrere, denen die Zungen vor lauter Schimpfen geschwollen aus dem Munde hingen. Aber sie zogen sich von selbst in ihre gewohnte Behausung zurück. Am schwierigsten war es, denen die Helme abzunehmen, die sie sich bis auf den Hals hinabgedrückt hatten und die nun den Kopf schüttelten, ohne jedoch die Helme besser abfallen zu machen als grüne Pflaumen. Inzwischen sagte der Eremit zu ihnen: »Sprechet jeder ein Ave und kehrt sodann zu euern Gattinnen heim. In neun Monaten wird es in diesem Bezirk um so viel Kinder mehr geben, als es heute tapfere Kämpfer in der Schlacht gab.« Und der Eremit sang das Ave, und alle sangen mit ihm. Und die Glocke läutete. Dann segnete der Eremit die Pilger im Namen Unserer Lieben Frau von Rindbisbels und sagte zu ihnen: »Ziehet hin in Frieden!« Und sie gingen schreiend, sich stoßend und singend bis Meyborg.
Alle Frauen, alte und junge, erwarteten sie auf den Schwellen der Häuser, die sie betraten wie Helden eine Stadt, die sie im Sturm genommen haben. Die Glocken von Meyborg läuteten mit aller Macht, die Knaben pfiffen, johlten und spielten Rommelpott. Die Humpen, Becher, Gläser, Flaschen und Krüge klangen wundervoll. Und Ströme Weins flössen in die Kehlen.
Während jeder Windstoß diese Geräusche der singenden Männer, Frauen und Kinder Claes zutrug, sprach er wieder mit dem Eremiten und fragte ihn, welches der himmlische Dank sei, den diese guten Leutchen durch solch rauhes Gebaren zu ernten hofften. Lachend antwortete der Eremit: »Du siehst auf dieser Kapelle zwei Figuren, die zwei Stiere darstellen. Sie sind zum Andenken an ein Wunder hier aufgestellt, das der heilige Martin vollbrachte, der zwei Ochsen in Stiere verwandelte, indem er sie mit den Hörnern aufeinander losgehen ließ. Dann rieb er ihnen das Maul länger als eine Stunde mit einer Kerze und mit grünem Holz. In Kenntnis dieses Wunders und mit einer Vollmacht Seiner Heiligkeit versehen, die ich hoch bezahlt habe, ließ ich mich hier nieder. Seitdem sind die alten Spuckhänse und Dickwänste von Meyborg und Umgebung sicher, unter meinem väterlichen Schutz die Gunst Unserer Lieben Frau zu erringen, nachdem sie sich mit den Kerzen, dem Sinnbild der Salbung, und mit den Stecken, dem Sinnbild der Kraft, mächtig geprügelt haben. Die Kinder, die dank der Wallfahrt geboren werden, sind stark, mutig, wild und lebhaft und werden tüchtige Haudegen.« Plötzlich sagte der Eremit zu Claes: »Erkennst du mich?« »Ja«, antwortete Claes, »du bist mein Bruder Josse.« »Der bin ich«, erwiderte der Eremit, »wer ist aber dieser kleine Mann, der mir da Grimassen schneidet?« »Das ist dein Neffe«, sagte Claes. »Welchen Unterschied machst du zwischen mir und Kaiser Karl?« »Einen großen«, sagte Claes. »Der Unterschied ist klein«, gab Josse zurück, »denn wir lassen alle beide zu unserem Nutzen und Vergnügen die Menschen aufeinander losgehen, er, damit sie einander töten, ich, damit sie einander prügeln.«
Sodann führte er sie in sein Einsiedlerhäuschen, wo er ihnen elf Tage lang, ohne Waffenstillstand, Schmausereien und Gelage bereitete.
Als Claes seinen Bruder verließ, bestieg er wieder seinen Esel und ließ Ulenspiegel sich hinter ihm auf die Kruppe setzen. Als er den Großen Platz von Meyborg überquerte, sah er eine Menge von Pilgern, die in Gruppen beieinanderstanden und beim Anblick der beiden in hellen Zorn gerieten, ihre Stecken schwangen und plötzlich »Taugenichts!« riefen, wobei sie Ulenspiegel meinten, der seine Hose geöffnet, sein Hemd gelüftet hatte und ihnen so sein hinteres Gesicht zeigte.
Als Claes sah, daß diese Drohungen seinem Sohn galten, sagte er zu ihm: »Was hast du denn getan, daß sie sich so über dich erzürnen?« »Lieber Vater«, antwortete Ulenspiegel, »ich sitze auf meinem Esel, sage zu keinem Menschen ein Wort, und trotzdem heißen sie mich einen Taugenichts.« Da setzte Claes ihn vor sich, und Ulenspiegel streckte den Pilgern in dieser Stellung die Zunge heraus, sie zeterten, zeigten ihm die Fäuste und erhoben ihre Holzstecken, um auf Claes und den Esel loszuschlagen. Aber Claes spornte den Esel, um ihrem Zorn zu entgehen, und während sie ihm nachliefen, daß ihnen der Atem ausging, sagte er zu seinem Sohn: »Du mußt doch an einem recht unglücklichen Tage geboren sein, denn während du vor mir sitzest und niemand ein Leid zufügst, wollen sie dich totschlagen.« Ulenspiegel lachte.
Als sie durch Lüttich kamen, hörte Claes, daß unter den armen Küstenbewohnern Hungersnot ausgebrochen sei und daß man sie der Gerichtsbarkeit eines »Officium« unterstellt habe, das heißt einem Gerichtshof, der aus geistlichen Richtern zusammengesetzt war. Sie veranstalteten einen Aufruhr, um Brot und weltliche Richter zu bekommen.
Die Milde des Monsignore von der Mark, des gütigen Herrn Erzbischofs, war so groß, daß etliche von den Aufrührern geköpft oder gehängt wurden, während man die übrigen des Landes verwies. Claes sah unterwegs die Verbannten, die das liebliche Tal von Lüttich verließen, und auf den Bäumen vor der Stadt die Körper der Menschen, die ihres Hungers wegen gehängt worden waren. Und er beweinte sie.
Mit einem Sack voll Patards, die ihm sein Bruder Josse nebst einem Humpen von englischem Zinn mitgegeben hatte, kehrte er auf seinem Esel nach Hause zurück. Nun gab's in der Strohhütte häusliche Gelage und tägliche Feste, denn sie aßen an jedem Tage Fleisch und Bohnen. Claes füllte den großen Humpen von englischem Zinn mit Dobbelkuyt und trank nicht selten. Ulenspiegel aß für drei und machte sich über die Schüsseln her wie ein Spatz über einen Teller voll Hirse.
»Sieh einer an«, sagte Claes, »er ißt auch noch das Salzfaß auf.« Ulenspiegel antwortete: »Wenn das Salzfaß aus einem Stück ausgehöhlter Brotrinde gemacht ist wie bei uns, so muß man's manchmal essen, damit sich nicht die Würmer darüber hermachen, wenn es alt wird.« »Warum wischst du deine fettigen Hände an den Hosen ab?« fragte Soetkin. »Damit meine Schenkel nie naß werden«, antwortete Ulenspiegel.
Da tat Claes einen großen Schluck Bieres aus seinem Humpen, und Ulenspiegel sagte zu ihm: »Warum hast du einen so großen Humpen, und ich habe nur einen kleinen Becher?« »Weil ich dein Vater und der Herr des Hauses bin«, antwortete Claes. Ulenspiegel erwiderte: »Du trinkst seit vierzig Jahren, ich erst seit neun, deine Trinkzeit ist um, die meine ist gekommen, und an mir ist es, den Humpen zu haben, an dir, aus dem Becher zu trinken.« »Sohn«, sagte Claes, »wer den Inhalt einer Tonne in ein kleines Fäßchen gießen will, wird sein Bier in den Rinnstein schütten.« »So wird es gut sein, wenn du dein Fäßchen in meine Tonne schüttest, denn ich bin größer als dein Humpen«, antwortete Ulenspiegel.
Claes war erfreut und ließ ihn aus dem Humpen trinken; und solcherart lernte Ulenspiegel, um einen Trunk zu reden.
Soetkin trug das Zeichen neuer Mutterschaft unter dem Gürtel, auch Katheline war schwanger, wagte aber nicht, das Haus zu verlassen, denn sie hatte Furcht.
»Ach«, sagte die schmerzvoll Tragende, als Soetkin kam, sie zu besuchen, »was soll ich mit dieser armen Frucht meines Schoßes beginnen? Soll ich sie ersticken? Lieber stürbe ich. Wenn mich aber die Gendarmen fassen, weil ich ein Kind habe, ohne verheiratet zu sein! Sie werden mich, wie ein Freudenmädchen, zwanzig Gulden Strafe zahlen lassen und mich auf dem Großen Markt auspeitschen.«
Soetkin sagte ihr gute Worte, um sie zu trösten, dann verließ sie sie und kehrte nachdenklich in ihre Hütte zurück.
Eines Tages sagte sie dann zu Claes: »Wenn ich statt eines Kindes zwei hätte, lieber Mann, würdest du mich dann schlagen?« »Das weiß ich nicht«, antwortete Claes. »Wenn aber«, sagte sie, »das zweite nicht aus meinem Leib käme und wie das Kathelines die Frucht eines Unbekannten, vielleicht des Teufels wäre?« »Die Teufel«, sagte Claes, »machen Feuer, Tod und Rauch, aber Kinder – nein. Ich werde das Kind Kathelines als meines annehmen.« »Das wirst du tun?« sagte sie. »Ich habe es gesagt«, gab Claes zur Antwort.
Soetkin ging zu Katheline, um ihr die Neuigkeit zu überbringen. Als sie diese hörte, konnte sie sich nicht halten vor Freude und rief begeistert aus: »Er hat gesprochen, der Gute, er hat gesprochen zum Heil meines armen Leibes. Er wird von Gott gesegnet sein und auch vom Teufel – wenn es wahr ist«, sagte sie, an allen Gliedern zitternd, »daß er ein Teufel war, der dich gezeugt hat, armes Kleines, das sich in meinem Schoß regt.«
Soetkin und Katheline brachten jede ein Kind zur Welt, die eine einen Knaben, die andre ein Mädchen. Alle beide wurden als Claesens Kinder zur Taufe getragen. Soetkins Sohn bekam den Namen Hans, aber er blieb nicht am Leben. Kathelines Tochter ward Nele genannt und entwickelte sich gut. Sie trank das Lebenselixier aus vier Flaschen, und das waren die zwei von Katheline und die zwei von Soetkin. Und die Frauen gerieten des öfteren in liebevollen Wettstreit darüber, welche von ihnen dem Kind zu trinken geben sollte.
Aber Katheline war, ihrem Wunsch entgegen, gezwungen, ihre Milch versiegen zu lassen, damit man sie nicht frage, woher sie diese habe, ohne Mutter zu sein. Als die kleine Nele, ihre Tochter, der Brust entwöhnt war, nahm sie sie zu sich und ließ sie nicht mehr zu Soetkin gehen, bis sie »Mutter« zu ihr sagte.
Die Nachbarn sagten, es sei gut von der vermögenden Katheline, daß sie das Kind von Claes ernähre, der ein ärmliches und beschwerliches Leben führe.
Ulenspiegel war eines Morgens allein im Hause; da er sich langweilte, zerschnitt er einen Schuh seines Vaters, um sich ein kleines Schiff daraus zu machen. Er hatte schon den Hauptmast in der Sohle festgemacht und das Oberleder durchlöchert, um das Bugspriet daran zu befestigen, als über der Schwelle der Oberkörper eines Reiters und der Kopf eines Pferdes erschien.
»Ist jemand hier?« fragte der Reiter. »Jawohl, ein Mensch, und noch ein halber, und ein Pferdekopf«, antwortete Ulenspiegel. »Wie das?« fragte der Reiter wieder, und Ulenspiegel gab zurück: »Weil ich einen ganzen Menschen sehe, das bin ich, die Hälfte eines andern, das ist Euer Oberkörper, und den Kopf eines Pferdes, das ist der Eures Reittieres.« »Wo ist dein Vater und deine Mutter?« fragte der Mann. Ulenspiegel erwiderte: »Mein Vater ist gegangen, das Schlechte noch schlechter zu machen, und meine Mutter befaßt sich damit, uns Schande und Schaden zu bereiten.« »Erklär dich näher«, sagte der Reiter. Ulenspiegel fuhr fort: »Mein Vater macht zur Stunde die Löcher in seinem Feld noch tiefer, damit die Jäger, die das Korn zertrampeln, besser stürzen. Meine Mutter ist gegangen, Geld zu borgen; bekommt sie zuwenig, wird es uns zur Schande gereichen, bekommt sie zuviel, wird es uns Schaden bringen.«
Sodann fragte der Mann nach dem Weg, den er einschlagen sollte. »Dort, wo die Gänse marschieren«, antwortete Ulenspiegel. Der Mann ging seines Weges, kam aber bald wieder, und zwar in dem Augenblick, als Ulenspiegel aus Claesens zweitem Schuh eine Rudergaleere machen wollte. »Du hast mich irregeführt«, sagte er, »wo die Gänse sind, ist nichts als Schlamm und Sumpf, in dem sie umherpatschen.« »Ich habe dir nicht gesagt, du sollst gehen, wo die Gänse umherpatschen, sondern wo sie marschieren.« »Zeige mir wenigstens einen Weg, der nach Heyst geht.« »In Flandern sind's die Leute, die gehen, und nicht die Wege«, antwortete Ulenspiegel.
Soetkin sagte eines Tages zu Claes: »Lieber Mann, meine Seele ist betrübt, denn drei Tage ist es her, daß Thyl das Haus verlassen hat; weißt du nicht, wo er ist?« Claes antwortete traurig: »Er ist, wo die umherstreichenden Hunde sind, auf irgendeiner Landstraße, mit irgendwelchen Taugenichtsen seiner Art. Es war grausam von Gott, uns so einen Sohn zu geben. Als er geboren wurde, sah ich in ihm die Freude unserer alten Tage, einen Schaffenden mehr im Haus. Ich zählte darauf, einen Handwerker aus ihm zu machen, aber das böse Schicksal hat einen Spitzbuben und Faulenzer aus ihm gemacht.«
»Sei nicht so hart, lieber Mann«, sagte Soetkin, »unser Sohn zählt erst neun Jahre und ist voll kindischer Possen. Muß er nicht, wie die Bäume, erst seine Knospenhüllen über die Straße streuen, ehe er seine Blätter treibt, die bei den Menschen Ehrbarkeit und Tugend bedeuten? Er ist ein Schalk, das weiß ich wohl, aber seine Schalkhaftigkeit wird ihm später einmal zum Vorteil gereichen, wenn er sich ihrer nicht zu schlimmen Streichen bedient, sondern sie zu irgendeinem nützlichen Beruf braucht. Er liebt es, den Nachbar zu foppen; auch das kann einmal, in lustiger Brüderschaft, wohl am Platze sein. Er lacht ohne Unterlaß, aber Mienen, die sauer sind, ehe sie reif sind, sind ein übles Vorzeichen für die Gesichter der Zukunft. Wenn er läuft, so tut er's, um zu wachsen, wenn er nicht arbeitet, so kommt das daher, daß er noch nicht in dem Alter ist, in dem man weiß, daß Arbeit Pflicht ist, und wenn er sich des öfteren draußen umhertreibt, Tag und Nacht, eine halbe Woche lang, so weiß er nicht, welchen Schmerz er uns bereitet, denn er hat ein gutes Herz und liebt uns.«
Claes schüttelte den Kopf und antwortete nicht, und als er schlief, weinte Soetkin allein.
Am Morgen dachte sie, daß ihr Sohn vielleicht in irgendeinem Straßenwinkel krank läge, und trat vor die Tür, um auszuschauen, ob er nicht wiederkäme. Aber sie sah nichts; da setzte sie sich an das Fenster und blickte auf die Straße. Des öfteren hüpfte das Herz in ihrer Brust, wenn sie das Geräusch der leichten Tritte irgendeines Knaben hörte, wenn er dann vorbeikam und sie sah, daß es nicht Ulenspiegel war, dann weinte sie, die gequälte Mutter.
Indessen war Ulenspiegel mit seinen nichtsnutzigen Kameraden in Brügge auf dem Samstagsmarkt. Da sahen sie Schuster und Flickschuster in getrennten Buden, Schneider, die mit Kleidern handelten, die »Miesevangers« von Antwerpen, die bei Nacht mit einer Eule die Meisen fangen, Geflügelhändler, Spitzbuben, die Hunde fingen, Verkäufer von Katzenfellen, aus denen man Handschuhe, Brustlätze und Schürzen fertigt, dann sahen sie Käufer aller Art, Bürger und Bürgerinnen, Knechte und Diener, Bäcker, Kellermeister, Köche und Köchinnen, allesamt Kaufleute und Kunden, die, ihrer Eigenschaft entsprechend, riefen und schalten und die Waren anpriesen oder herabsetzten.
In einer Ecke des Marktes war ein schönes Leinwandzelt auf vier Pflöcken aufgespannt. Am Eingang dieses Zeltes stand ein Bauer aus der Tiefebene von Alost neben zwei Mönchen, die da waren, um das Geld einzunehmen, und zeigte den neugierigen Frommen für einen Patard ein Stück vom Schulterknochen der heiligen Maria Ägyptiaca. Mit zerbrochener Stimme brüllte er die Verdienste der Heiligen heraus und unterließ nicht, in seiner Erzählung zu berichten, wie sie, aus Mangel an Geld, einen jungen Fährmann mit der schönen Münze der Natur bezahlt hatte, um nicht gegen den Heiligen Geist zu sündigen, indem sie ihm seinen Lohn für die Arbeit verweigerte.
Und die beiden Mönche nickten mit dem Kopf, um zu bekunden, daß der Bauer wahr spreche. Ihnen zur Seite stand ein rotbäckiges, schwangeres Weib, unzüchtig wie Astarte, und blies mit Gewalt in einen fürchterlichen Dudelsack, während ein liebliches kleines Mädchen neben ihr wie ein Weißkehlchen sang; aber niemand hörte ihnen zu.
Über dem Zelteingang hing ein Becken voll geweihten Wassers aus Rom, dessen Henkel an Stricken befestigt waren, die an zwei Stangen hingen, und das schwangere Weib sang, während die beiden Mönche die Köpfe hin und her wiegten, um zu bekräftigen, was der Bauer sagte. Ulenspiegel aber betrachtete das Becken und begann nachdenklich zu werden.
An einem der Pflöcke des Zeltes war ein Esel angebunden, der mehr Stroh als Hafer zu fressen bekam, mit gesenktem Kopf starrte er auf die Erde und hatte nicht die geringste Hoffnung, da Disteln wachsen zu sehen.
»Kameraden«, sagte Ulenspiegel und zeigte mit dem Finger auf die Schwangere, die beiden Mönche und den Esel, der vor Melancholie schrie, »wenn die Herren so schön singen, muß man auch den Esel tanzen machen.« Nachdem er das gesagt hatte, ging er in einen nahen Laden, kaufte um sechs Heller Pfeffer, hob dem Esel den Schwanz auf und schmiß ihm den Pfeffer darunter. Als der Esel den Pfeffer spürte, guckte er unter seinen Schwanz, um zu sehen, woher denn diese ungewöhnliche Hitze käme. In der Meinung, daß es der heiße Teufel sei, wollte er davonlaufen, um ihm zu entwischen, begann iah zu schreien, schlug aus und rüttelte mit dem Aufgebot all seiner Kräfte an dem Pfosten.
Bei dem ersten Stoß kippte das Becken, das unter den zwei Stangen schwebte, all sein Wasser auf das Zelt und auf die Leute hinab, die darin waren. Gleich darauf sank das Zelt in sich zusammen und bedeckte alle jene mit einem feuchten Mantel, die der Geschichte der Maria Ägyptiaca lauschten. Und Ulenspiegel und seine Kameraden hörten ein großes Getöse von Stöhnen und Klagelauten unter der Leinwand hervordringen, denn die Andächtigen, die darunter waren, beschuldigten sich gegenseitig, das Becken umgekippt zu haben, waren ganz gelb vor Wut und bedachten einander mit zornigen Püffen. Die Leinwand hob und senkte sich durch die Bewegungen der Kämpfenden. Jedesmal, wenn Ulenspiegel eine runde Form sich abheben sah, stach er mit einer Nadel hinein. Dann gab's das größte Geschrei unter der Leinwand, und es hagelte Schläge.
Er war höchst belustigt, wurde es aber noch mehr, als der Esel Reißaus nahm und Leinwand, Becken und Pfähle hinter sich herzog, während der »Baes« des Zeltes, sein Weib und seine Tochter sich an das Gepäck klammerten.
Als der Esel nicht mehr laufen konnte, steckte er die Nase in die Luft und sang und hörte nicht auf damit, es war denn, unter seinen Schwanz zu schauen und zu erkunden, ob das Feuer, das dort brannte, nicht bald erlöschen wolle. Indessen setzten die Frommen ihre Schlacht fort; die Mönche sammelten das Geld ein, das von den Tellern gefallen war, und kümmerten sich nicht um sie. Ulenspiegel half ihnen dabei voll Ehrfurcht, und nicht zu seinem Nachteil.
Während der nichtsnutzige Sohn des Köhlers, fröhliche Possen spielend, umherlief, lebte der traurige Schößling des erhabenen Kaisers in jämmerlicher Melancholie dahin. Die Damen und Herren sahen ihn seinen gebrechlichen Körper und seine schlotternden Beine durch die Zimmer und Flure von Valladolid schleppen, während es ihm schwer war, die Last seines großen Kopfes aufrecht zu tragen, der von blonden, borstigen Haaren bedeckt war. Stets suchte er die dunklen Korridore auf und saß dort stundenlang mit ausgestreckten Beinen. Wenn ihn dann irgendein Diener aus Versehen trat, ließ er ihn peitschen und fand sein Vergnügen daran, ihn unter den Schlägen schreien zu hören, aber er lachte nicht. Am nächsten Tage legte er dieselbe Schlinge und setzte sich wieder mit ausgestreckten Beinen in irgendeinen Korridor. Die Damen, Edelleute und Pagen, die an ihm vorbeiliefen, stürzten und verletzten sich. Auch das machte ihm Vergnügen, aber er lachte nicht.
Wenn jemand an ihn stieß und nicht stürzte, schrie er, als ob man ihn geschlagen hätte, und freute sich, wenn er seinen Schrecken sah, aber er lachte nie.
Seine heilige Majestät wurde von dieser Handlungsweise benachrichtigt und ordnete an, daß man des Infanten nicht achten solle, wenn er, sagte der Kaiser, nicht wolle, daß man über seine Beine stiege, so dürfe er sie nicht dorthin tun, wo die Füße der andern liefen. Das mißfiel Philipp, aber er sagte nichts, und man sah ihn nicht mehr, außer an hellen Sommertagen, wenn er im Hof spazierte, um seinen frierenden Körper in der Sonne zu erwärmen.
Eines Tages sah ihn Karl, der aus dem Krieg zurückgekehrt war, in dieser melancholischen Verfassung und sagte zu ihm: »Mein Sohn, du bist anders als ich! In deinen jungen Jahren kletterte ich auf die Bäume, um Eichhörnchen zu jagen, an einem Seil hängend, ließ ich mich senkrecht auf eine Klippe hinab, um die jungen Adler aus ihrem Nest zu holen. Bei diesem Spiel konnte ich meine Knochen brechen, aber sie sind nur härter geworden. Auf der Jagd flohen die wilden Tiere ins Dickicht, wenn sie mich, mit meiner guten Arkebuse bewaffnet, kommen sahen.« »Ah«, stöhnte der Infant, »ich habe Bauchgrimmen, hochedler Vater!« »Der Wein von Paxarete«, sagte Karl, »ist ein kräftiges Heilmittel.« »Ich liebe den Wein nicht – ich habe Kopfschmerzen, edler Vater!« »Mein Sohn«, sagte Karl, »du mußt laufen, springen und hüpfen, wie es Kinder deines Alters tun.« »Ich habe steife Beine, hochedler Vater.« »Wie sollten sie auch anders sein«, sagte Karl, »wenn du so tust, als ob sie von Holz wären? Ich werde dich auf ein rasches Pferd binden lassen!« Der Infant weinte. »Bindet mich nicht!« sagte er, »ich habe Brustschmerzen, hochedler Vater.« »Hast du denn überall Schmerzen?« fragte Karl. »Ich würde sie schon ertragen, wenn man mich nur in Ruhe ließe«, antwortete der Infant. »Denkst du«, sagte der Kaiser, der ungeduldig wurde, »dein königliches Leben mit Träumereien zu verbringen wie die Geistlichen? Die bedürfen der Ruhe, Einsamkeit und inneren Sammlung, um ihre Pergamente mit Tinte zu beklecksen. Du, Sohn des Schwertes, mußt heißes Blut haben, Augen wie ein Luchs, Listigkeit wie ein Fuchs, Kraft wie ein Herkules! Warum bekreuzigst du dich? Herrgottsblut! Es schickt sich nicht für einen jungen Löwen, den Weibern nachzuäffen, die das Paternoster herunterleiern!« »Das Angelus, hochedler Vater«! antwortete der Infant.
Die Monate Mai und Juni waren in diesem Jahre die wahren Blütenmonate. Nie hatte man in Flandern so herrlich duftenden Hagedorn und in den Gärten so viel Rosen, Jasmin und Geißblatt gesehen. Wenn die seufzenden Winde von England her die Düfte dieses blumigen Landes nach Osten trieben, steckte jedermann, insbesondere in Antwerpen, die Nase in die Luft und sagte freudig: »Fühlst du den guten Wind, der von Flandern kommt?«
Und die fleißigen Bienen sammelten den Honig der Blumen, machten Wachs und legten ihre Eier in die Bienenstöcke, die die Schwärme nicht mehr zu beherbergen vermochten.
Welche Musik des Schaffens unter dem blauen Himmel, der sich strahlend über dem reichen Lande wölbte!
Man machte Bienenstöcke aus Binsen, Stroh, Weidenzweigen und geflochtenem Stroh. Die Korbflechter, Küfer und Faßbinder machten dabei ihre Werkzeuge schartig. Die Strohflechter konnten die Arbeit schon längst nicht mehr bewältigen. Es gab Schwärme von dreißigtausend Bienen und zweitausendsiebenhundert Drohnen. Die Waben waren so vorzüglich, daß der Dechant von Damme, ihrer seltenen Güte wegen, dem Kaiser Karl elf Stück übersandte, um sich für die neuen Edikte zu bedanken, durch welche die heilige Inquisition wieder eingeführt wurde. Philipp aß sie, aber sie nutzten ihm nicht.
Die Lumpen, Bettler, Vagabunden und das ganze Pack nichtsnutziger Müßiggänger, die ihre Faulheit über die Straßen schleppten und sich lieber hängen als zur Arbeit zwingen ließen, kamen, von dem Geschmack des Honigs angelockt, um auch etwas abzubekommen. Und nachts streiften sie in Mengen umher.
Claes hatte Bienenstöcke angefertigt, um die Schwärme anzulocken, einige waren schon voll, die andern noch leer und der Bienen harrend. Er wachte die ganze Nacht, um dieses kostbare Gut zu behüten. Wenn er müde war, sagte er Ulenspiegel, er solle seinen Platz einnehmen, und der tat's gerne.
Eines Nachts hatte sich Ulenspiegel, um sich vor der Kühle zu schützen, in einen der Körbe zurückgezogen und blickte durch zwei Öffnungen hindurch, die sich über ihm befanden. Als er eben im Begriff war, einzuschlafen, hörte er die Stauden der Hecke krachen und vernahm die Stimmen zweier Männer, die er für Diebe hielt. Er lugte durch das eine der beiden Löcher und sah, daß alle beide langes Kopfhaar und lange Bärte hatten, obgleich der Bart ein Zeichen des Adels war. Sie gingen von Korb zu Korb, bis sie an den seinen kamen und, nachdem sie ihn gehoben hatte, sagten: »Wir nehmen diesen, er ist der schwerste.« Dann trugen sie ihn mit Hilfe ihrer Stöcke davon. Für Ulenspiegel war es kein Vergnügen, im Korb verfrachtet zu werden.
Die Nacht war hell, und die Diebe trabten wortlos dahin. Alle fünfhundert Schritt hielten sie an, um Atem zu holen, dann machten sie sich wieder auf den Weg. Der vorne ging, brummte wütend, weil er eine so schwere Last zu tragen hatte, der hinten ging, stöhnte melancholisch. Denn es gibt auf dieser Welt zwei Arten duckmäuserischer Faulenzer: solche, die gegen die Arbeit wettern, und solche, die stöhnen, wenn sie was tun müssen. Ulenspiegel, der nichts zu tun hatte, zog den Spitzbuben, der vor ihm ging, an den Haaren und den, der hinter ihm ging, am Bart, und zwar so stark, daß der Zornige, der Spiels überdrüssig, zu dem Klagenden sagte: »Hör auf, mich an den Haaren zu ziehen, oder ich geb' dir eins mit der Faust auf den Schädel, daß er dir in den Brustkasten fährt und du zwischen deinen Rippen durchguckst wie ein Dieb durch die Stäbe seines Kerkers.« »Das wagte ich gar nicht, mein Freund«, sagte der Klagende, »aber du bist's, der mich am Bart zupfte.« Der Zornige antwortete: »Ich jage nicht Läuse im Barte der Aussätzigen.« »Mein Herr«, erwiderte der Klagende, »lassen Sie den Korb nicht so sehr schwanken, meine armen Hände können ihn nicht mehr halten.« »Ich will Sie sogleich davon befreien«, antwortete der Wütende, zog seine Arme aus dem Gurt, stellte den Korb zur Erde und stürzte sich auf seinen Kameraden. Dann schlugen sie aufeinander los, während der eine fluchte und der andere um Mitleid rief.
Als Ulenspiegel hörte, wie es Hiebe regnete, stieg er aus dem Korb, zog ihn bis zu einem nahen Gehölz, wo er ihn wiederfinden konnte, und kehrte zu Claes zurück. Auf solche Art ziehen die Listigen aus dem Streit der anderen ihren Vorteil.
Mit fünfzehn Jahren errichtete Ulenspiegel in Damme ein Zelt auf Pflöcken und rief aus, daß von nun an jedermann seine Gegenwart und seine Zukunft in einem schönen Strohrahmen dargestellt sehen könne. Wenn so ein stolzer und von seiner Wichtigkeit durchdrungener Mann des Gesetzes daherkam, steckte Ulenspiegel den Kopf durch den Rahmen, ahmte das Maulwerk eines alten Affen nach und sagte: »Eine alte Fratze kann vermodern – aber blühen, nein! Bin ich nicht Euer Spiegelbild, mein Herr mit der gelahrten Seele?« Kam ein robuster Söldner als Kunde, dann verbarg sich Ulenspiegel und zeigte ihm statt seines Gesichts in der Mitte des Rahmens eine Schüssel mit Fleisch und Brot und sprach: »Die Schlacht wird dich zur Suppe machen. Was gibst du mir für meine Prophezeiung, o auserwählter Söldner der Heiligen mit dem großen Rachen?«
Kam ein alter, kahlköpfiger Mann, der ohne Ansehen war, und brachte sein Weib, ein junges Frauenzimmer, mit, dann verbarg er sich, wie er vor dem Soldaten getan hatte, und ließ einen kleinen Strauch im Rahmen sehen, an dessen Zweigen Messerscheiden, Büchschen, Kämme, Schreibzeuge, alles aus Horn gefertigt, hingen, und rief: »Woher kommen diese schönen Sächelchen, mein Herr? Doch wohl vom Horn, das im Geheg' der alten Ehemänner gedeiht? Wer kann jetzt noch sagen, daß die Hahnreie unnütze Leute in einem Staatswesen sind?«
Und Ulenspiegel zeigte sein junges Gesicht im Rahmen neben dem Strauch. Als der alte Mann das hörte, hüstelte er vor großem Zorn, aber seine Schöne beruhigte ihn mit einer Handbewegung und kam lachend zu Ulenspiegel. »Wirst du mir auch mein Spiegelbild zeigen?« sagte sie. »Komm näher«, sagte Ulenspiegel. Sie gehorchte, und nun küßte er sie, wo immer er nur konnte, und sprach: »Dein Spiegel ist die strotzende Jugend, wie sie in strammen Hosenlätzen haust.« Und das Schätzchen ging ebenfalls fort, doch nicht, ohne ihm ein oder zwei Gulden gegeben zu haben.
Einem feisten Mönch mit dicken Lippen, der ihn bat, ihn sein gegenwärtiges und künftiges Bild sehen zu lassen, antwortete Ulenspiegel: »Du bist eine Schinkenkiste und wirst drum auch ein Speicher für Kräuterbier sein, denn Salz schreit nach Trunk – ist es nicht so, du Dickwanst? Gib mir einen Patard, weil ich nicht gelogen habe.« »Mein Sohn«, sagte der Mönch, »wir tragen niemals Geld bei uns.« »Dann trägt aber das Geld euch«, antwortete Ulenspiegel, »denn ich weiß, daß du es zwischen zwei Sohlen unter deinen Füßen hast. Gib mir eine deiner Sandalen.« Doch der Mönch sprach: »Mein Sohn, das gehört dem Konvent, doch will ich dir, wenn's denn sein muß, allemal zwei Patards für deine Mühe geben.« Der Mönch gab sie ihm, und Ulenspiegel nahm sie mit Anstand in Empfang. So hielt er den Leuten von Damme, Brügge, Blankenberghe und sogar von Ostende ihren Spiegel vor. Und statt ihnen in seiner flämischen Sprache zu sagen: »Ik ben ulieden Spiegel« – »Ich bin euer Spiegel«, sagte er kurz: »Ik ben ulen Spiegel«, wie man auch noch gegenwärtig in Flandern sagt. Und daher kam sein Name Ulenspiegel.
Als er heranwuchs, fand er Geschmack daran, auf Messen und Märkten umherzustreifen. Wenn er dort einen Flötenspieler, Geiger oder Dudelsackpfeifer sah, ließ er sich für einen Patard darin unterweisen, wie man diese Instrumente zum Spielen bringt. Insbesondere erlernte er die Kunst, »Rommelpott« zu spielen, ein Instrument, das aus einem Topf, einer Blase und einem starken Strohhalm gemacht ist und das er folgendermaßen herstellte: Abends spannte er die befeuchtete Blase über den Topf, befestigte mittels eines Schnürchens den mittleren Teil der Blase am Knoten des Halmes, der den Boden des Topfes berührte, und spannte die Blase, bis sie zu platzen drohte. Am Morgen, wenn die Blase getrocknet war, gab sie, wenn man daraufschlug, Töne von sich wie ein Tamburin, und wenn man den Strohhalm des Instrumentes rieb, krächzte es schöner als eine Viola. Und am Tage der drei heiligen Könige zog Ulenspiegel dann, von zahllosen Kindern begleitet, deren eines einen Stern von glänzendem Papier trug, vor die Türen der Häuser, sang Weihnachtslieder und entlockte seinem Topf Töne, die wie das Gebell von Molosserhunden klangen.
Wenn irgendein Meister der Malkunst nach Damme kam, um die Genossen einer Gilde, auf einem Stück Leinwand kniend, zu porträtieren, war es stets sein Wunsch, ihm bei der Arbeit zuzusehen, und er bat ihn, ihm zu erlauben, daß er seine Farben reibe, und wollte dafür keinen anderen Lohn als eine Schnitte Brot, drei Heller und einen Schoppen Kräuterbier. Während er sich mit Farbenreiben beschäftigte, studierte er die Kunst seines Meisters. Wenn der sich entfernte, machte er sich daran, wie er zu malen, aber er nahm immer Scharlachrot. Er versuchte, Claes, Soetkin, Katheline und Nele zu porträtieren, ebenso Krüge und Näpfe.
Als Claes seine Arbeit sah, meinte er, daß er eines Tages die Gulden dutzendweise verdienen könnte, indem er die Schilder für die »Speelwagen« machen sollte, das sind die lustigen Jahrmarktskarren in Flandern und Zeeland.
Bei einem Maurermeister lernte er auch Balken und Steine behauen, als dieser in die Kirche Unserer Frau kam, um im Chor einen Stuhl von solcher Form herzustellen, daß der Dechant, ein Mann von hohem Alter, sich daraufsetzen könnte und doch das Aussehen haben sollte, als stünde er aufrecht. Es war Ulenspiegel, der die ersten Messerstiele schnitzte, wie sie die Bewohner von Zeeland im Gebrauch haben. Er gab diesen Messerstielen die Form eines Käfigs, in dem sich ein beweglicher Totenkopf befand, darüber war ein liegender Hund. Diese beiden Sinnbilder bedeuteten: »Treue Klinge bis zum Tod.« Und so begann Ulenspiegel die Prophezeiung Kathelines wahrzumachen, indem er sich als Maler, Bildschnitzer, Bauer und als vornehmer Herr, alles in einem, zeigte, denn vom Vater auf den Sohn führten die Claes' drei Krüge von echtem Silber auf einem Hintergrund von »Bruinbier« im Familienwappen.
Aber Ulenspiegel war in keinem Beruf beständig, und Claes sagte zu ihm, wenn dies Spiel so fortdauere, werde er ihn aus der Hütte jagen.
Als der Kaiser vom Krieg zurückkehrte, fragte er, warum sein Sohn Philipp nicht käme, um ihn zu begrüßen. Der Erzbischof, dem die Erziehung des Infanten oblag, antwortete, daß dieser nicht kommen wollte, da er, wie er sagte, nichts anderes liebe als Bücher und die Einsamkeit. Der Kaiser erkundigte sich danach, wo er sich im Augenblick aufhalte. Der Erzieher erwiderte, daß er ihn überall suchen müsse, wo es finster wäre. Und so geschah's.
Nachdem die Suchenden eine Reihe von Sälen durcheilt hatten, kamen sie in eine Art dielenlosen Kellergelasses, das von einem Dachfenster erhellt wurde. Da sahen sie ein niedliches, kleines Äffchen, das Seiner Hoheit aus Indien geschickt worden war, um sie durch seine fröhlichen Possen zu ergötzen, und das nun um die Mitte an einen in den Boden gerammten Pfahl gebunden war. Um den Pfahl herum lag noch glühendes Reisig, und das Gelaß war von dem widerlichen Geruch verbrannten Tierhaares erfüllt. Das Tierchen hatte unter dem Feuertod so gelitten, daß sein kleiner Körper nicht mehr dem eines Wesens glich, das gelebt hatte, sondern eher einer runzligen und verkrüppelten Wurzel; an seinem Mund, der geöffnet war, als hätte es nach dem Tod gerufen, sah man blutigen Schaum, und sein Gesicht war von Tränen benetzt.
»Wer hat das getan?« fragte der Kaiser. Der Erzieher wagte nicht zu antworten, und beide verharrten traurig und zornig in Stillschweigen. Plötzlich hörte man in dieser Stille ein schwaches Husten, das aus einer Ecke im Schatten hinter den beiden kam. Seine Majestät wandte sich um und gewahrte den Infanten Philipp, der ganz schwarz gekleidet war und an einer Zitrone saugte. »Don Philipp«, sagte er, »komm her, mich zu begrüßen.« Der Infant rührte sich nicht von der Stelle und sah ihn mit ängstlichen Augen an, in denen kein Funken von Liebe schimmerte. »Bist du es, der dieses Tierchen an diesem Feuer verbrannt hat?« fragte der Kaiser. Der Infant ließ den Kopf sinken, der Kaiser aber sprach: »Wenn du grausam genug warst, es zu tun, sei auch mutig genug, es einzugestehen.« Der Infant erwiderte nichts. Seine Majestät riß ihm die Zitrone aus der Hand, schleuderte sie zur Erde und schlug ihn, der sich vor Angst bepißte, doch der Erzbischof hielt den Kaiser zurück und sagte ihm ins Ohr: »Seine Hoheit wird eines Tages ein großer Verbrenner der Häretiker werden.«
Der Kaiser lachte darob, und beide gingen fort, den Infanten mit seinem Affen allein lassend. Aber es gab andre, die keine Affen waren und auch in den Flammen starben.
Der November, der Monat des Sprühregens, war gekommen, in dem sich die Hustenden mit wahrer Herzensfreude der Musik des Spuckens widmen. Auch ist er der Monat der Jungen, die sich in Trupps auf den Rübenfeldern erlustigen und nach bestem Können plündern, zur großen Wut der Bauern, die, mit Stecken und Heugabeln ausgerüstet, vergeblich hinter ihnen her rennen.
Als Ulenspiegel von so einem Raubzug eines Tages heimkehrte, hörte er aus einer nahen Ecke der Umzäunung ein Stöhnen. Er bückte sich und sah einen Hund auf einem Steinhaufen liegen. »Ei, du klägliches Tierchen«, sagte er, »was tust du hier so spät?« Er liebkoste den Hund und fühlte, daß sein Rücken naß war; er dachte, daß man ihn habe ersäufen wollen, und nahm ihn in seine Arme, um ihn zu erwärmen. Als er zu Hause eintrat, sagte er: »Ich bringe einen Verwundeten mit – was macht man mit ihm?« »Man verbindet ihn«, sagte Claes. Ulenspiegel stellte den Hund auf den Tisch; Claes, Soetkin und er sahen nun, daß es ein kleiner »Rousseau du Luxembourg« war, der am Rücken eine Wunde hatte. Soetkin wusch die wunden Stellen, schmierte Balsam darauf und verband sie mit Linnen. Ulenspiegel trug das Tier in sein Bett, obgleich Soetkin es in dem ihren haben wollte, da sie befürchtete, daß Ulenspiegel, der im Bett rumorte wie ein Teufel im Weihwasserbecken, den »Roten« im Schlaf verletzen könnte. Aber Ulenspiegel bestand auf seinem Willen und pflegte ihn so gut, daß der Verwundete nach sechs Tagen wie seinesgleichen und mit dem Selbstbewußtsein der kleinen Köter dahertrabte. Und der Schoolmeester – der Schullehrer – gab ihm den Namen Titus Bibulus Schnuffius; Titus zum Angedenken an einen gewissen gütigen Kaiser von Rom, der es liebte, verirrte Hunde aufzunehmen, Bibulus, weil der Hund mit wahrer Trinkerliebe am Braunbier hing, und Schnuffius, weil er sein Maul ohne Unterlaß schnüffelnd in die Löcher der Ratten und Maulwürfe versenkte.
Am Ende der Rue Notre-Dame waren am Rande eines tiefen Wassers zwei Weiden gepflanzt, die eine genau der andern gegenüber. Ulenspiegel spannte zwischen diesen beiden Weiden ein Seil, auf dem er eines Sonntags, nach der Vesper, tanzte, und zwar gut genug für den Haufen von Vagabunden, die ihm mit den Händen und Stimmen Beifall spendeten. Dann stieg er von seinem Seil herab und reichte jedem seinen Teller hin, der bald mit Geld gefüllt war. Aber er leerte ihn in Soetkins Schürze aus und behielt nur elf Heller für sich.
Am nächsten Sonntag wollte er wieder auf dem Seil tanzen, aber einige nichtsnutzige Jungen, die ihm seine Kunstfertigkeit mißgönnten, hatten in das Seil einen Einschnitt gemacht, so daß es nach einigen Sprüngen riß, und Ulenspiegel stürzte ins Wasser. Während er schwamm, um das Ufer zu erreichen, riefen die kleinen Leute, die das Seil zerschnitten hatten: »Wo ist nun deine großartige Fixigkeit, Ulenspiegel? Tauchst du auf den Grund des Teiches, um die Karpfen das Tanzen zu lehren, du unschätzbarer Tanzmeister?«
Als Ulenspiegel aus dem Wasser stieg und sich schüttelte, nahmen sie aus Furcht vor Schlägen Reißaus, doch er rief ihnen nach: »Fürchtet nichts und kommt am nächsten Sonntag wieder, dann werde ich euch neue Sprünge am Seil zeigen, und ihr sollt euern Anteil am Verdienst haben!«
Am folgenden Sonntag hatten die Jungen nicht ins Seil geschnitten, sondern hielten rundherum Wache, daß niemand daran rühre, denn es hatte sich eine gar große Menge von Menschen eingefunden. Ulenspiegel sagte zu den Jungen: »Gebet mir jeder einen eurer Schuhe, und ich wette, daß ich, so groß oder so klein sie auch sein mögen, mit jedem von ihnen tanzen werde.« »Was zahlst du uns, wenn du verlierst?« fragten sie. »Vierzig Kannen Braunbier«, antwortete Ulenspiegel, »und ihr zahlt mir drei Patards, wenn ich gewinne.« »Gut«,sagten sie, und jeder gab ihm einen seiner Schuhe.
Ulenspiegel legte sie alle in die Schürze, die er trug, und tanzte, so beladen, auf dem Seil, allerdings nicht ohne Mühe. Die Seilzerschneider riefen von unten: »Du hast gesagt, daß du mit jedem von unseren Schuhen tanzen wirst, zieh sie an und halte deine Wette!« Ulenspiegel antwortete, immer tanzend: »Ich habe nicht gesagt, daß ich eure Schuhe anziehen, sondern nur, daß ich mit ihnen tanzen werde . . . Nun denn, ich tanze, und alle tanzen in meiner Schürze mit mir. Seht ihr das nicht mit euren groß aufgerissenen Froschaugen? Zahlt mir also drei Patards!« Aber sie höhnten ihn und riefen, er solle ihnen ihre Schuhe wiedergeben. Ulenspiegel warf den ganzen Haufen zugleich hinunter. Das gab nun eine wilde Schlacht, denn keiner von den Jungen konnte seine Schuhe in dem Haufen unterscheiden, ohne mit den andern in Streit zu geraten. Ulenspiegel stieg jetzt vom Baum herab und besprengte die Kämpfenden – aber nicht mit Wasser.
Der fünfzehnjährige Infant durchstreifte wie gewöhnlich die Korridore, Treppen und Zimmer des Schlosses. Am häufigsten aber sah man ihn um die Appartements der Damen streichen, um mit den Pagen Händel zu suchen, die, wie er, gleich Katzen in den Korridoren auf der Lauer lagen. Die andern, die sich im Hof herumtrieben, steckten die Nase in die Luft und sangen zärtliche Lieder. Wenn der Infant das hörte, zeigte er sich an einem der Fenster und erschreckte so die armen Pagen, die, statt der süßen Augen ihrer Schönen, diese bleiche Fratze sahen.
Unter den Damen des Hofes war eine flämische Edelfrau aus Dudzeele, das nahe bei Damme gelegen ist, ihr Leib glich einer reifen Frucht und war wunderbar schön, denn sie hatte grüne Augen und rote, krause Haare, die wie Gold schimmerten. Von heiterem Geist und leidenschaftlichem Gemüt, hatte sie noch niemals ein Hehl aus ihrer Neigung für den beglückten Kavalier gemacht, dem sie jeweils das himmlische Vorrecht der fessellosen Liebe über ihre schönen Hügel und Täler eingeräumt hatte. Jetzt war es ein schöner und stolzer Mann, den sie liebte.
Alle Tage traf sie ihn zu bestimmter Stunde, und das erfuhr Philipp. Er setzte sich auf eine Bank, die einem Fenster gegenüberstand, da belauerte er sie, und als sie mit lebhaft bewegten Augen und willfährig geöffnetem Mund, in gelben Brokat gehüllt, das Bad verließ und an dem Infanten vorbeieilte, erkannte sie ihn, der, ohne sich zu erheben, zu ihr sprach: »Madame, könnten Sie nicht einen Augenblick verweilen?«
Ungeduldig wie eine Stute, die man in dem Augenblick in ihrem Lauf anhält, da sie zu dem wiehernden Hengst auf der Wiese eilen will, antwortete sie: »Hoheit, jedermann muß hier Ihrem fürstlichen Willen gehorsam sein.« »Setzen Sie sich neben mich«, sagte er. Dann sprach er, während er sie gierig, grausam und verschmitzt zugleich ansah: »Sagen Sie mir doch das Paternoster in flämischer Sprache! Man lehrte es mich, aber ich vergaß es.« Die arme Dame mußte also ein Paternoster sagen, und er verhielt sie, es recht langsam zu sagen. Und so zwang er die Ärmste, bis zu zehn solcher Gebete zu sprechen, die doch geglaubt hatte, daß die Stunde ganz anderer oremus gekommen sei.
Dann pries er sie, indem er von ihren schönen Haaren sprach, von ihrem frischen Teint, ihren hellen Augen, aber er wagte nicht, von ihren üppigen Schultern, von ihrem runden Busen oder von anderen schönen Dingen zu sprechen. Als sie nun glaubte, gehen zu können, und schon in den Hof hinausblickte, in dem ihr Kavalier ihrer harrte, fragte er sie, ob sie denn wisse, was die Tugenden einer Frau ausmache. Da sie, aus Furcht, schlecht zu antworten, nichts sagte, ergriff er für sie das Wort und sprach pathetisch: »Die Tugenden der Frau sind Keuschheit, Erhabenheit und Reinheit der Sitten.« Auch riet er ihr, sich züchtig zu kleiden und all ihre Reize zu verhüllen.
Sie nickte bejahend mit dem Kopf und sagte, daß sie sich für Seine eisige Hoheit lieber mit zehn Bärenfellen umhüllen wolle als mit einer Elle Musselin. Während er über diese Antwort ganz verblüfft war, ergriff sie fröhlich die Flucht.
Das Feuer der Jugend war indessen auch in der Brust des Infanten entflammt, aber es war weder das gewaltige Feuer, das die großen Seelen erhebt, noch das sanfte Feuer, das die zärtlichen Seelen weinen macht, sondern es war ein dumpfes Feuer, das aus der Hölle kam, wo es ohne Zweifel Satan selbst entzündet hatte. Und es glänzte in seinen grauen Augen wie der winterliche Mond über einem Friedhof. Und es brannte grausam in ihm.
Da er fühlte, daß ihn niemand liebte, wagte der arme Duckmäuser nicht, sich den Damen zu nähern, so ging er denn in die abseits gelegene Ecke eines kleinen mit Kalk getünchten Zimmers, das durch schmale Fenster erhellt war, und knabberte, wie er's gewohnt, an seinen Süßigkeiten, deren Krumen die Fliegen in Massen anlockten. Dort liebkoste er sich selber und drückte die Fliegen langsam mit den Köpfen an die Fensterscheibe und tötete so Hunderte, bis seine Finger so sehr zitterten, daß er sein blutrünstiges Werk nicht mehr fortführen konnte. Und diese grausame Zerstreuung bereitete ihm ein niedriges Vergnügen, denn Geilheit und Grausamkeit sind zwei niederträchtige Schwestern. Wenn er diesen Winkel verließ, war er trauriger als zuvor, und alle Herren und Damen flohen, wenn sie konnten, vor dem Antlitz dieses Prinzen, der fahl war, als hätte er sich von Wundschwämmen genährt.
Und die vergrämte Hoheit litt, denn ein schlechtes Herz bereitet Schmerzen.
Das schöne Edelfräulein verließ eines Tages Valladolid, um sich auf ihr Schloß Dudzeele in Flandern zu begeben. Als sie, ihrem dicken Dienstmann folgend, durch Damme kam, sah sie einen jungen Burschen von fünfzehn Jahren, der, an die Mauer einer Hütte gelehnt, dasaß und auf einem Dudelsack blies. Vor ihm lag ein kleiner, roter Hund, der jämmerlich heulte, weil er diese Musik nicht liebte. Die Sonne leuchtete hell. Neben dem jungen Burschen stand ein kleines Mädchen, das bei jedem kläglichen Geheul des Hundes hell auflachte.
Die schöne Dame und der feiste Dienstmann betrachteten, als sie an der Hütte vorbeikamen, den pfeifenden Ulenspiegel, die lachende Nele und den heulenden Titus Bibulus Schnuffius. »Du schlechter Junge«, sagte die Dame zu Ulenspiegel, »kannst du nicht aufhören, dieses arme rote Hündchen so zum Heulen zu bringen?« Ulenspiegel sah sie an und blies nur noch gewaltiger in seinen Dudelsack, und Titus Bibulus Schnuffius heulte noch kläglicher, und Nele lachte noch mehr. Der Dienstmann geriet in Wut und sagte zu der Dame, während er auf Ulenspiegel zeigte: »Wenn ich dieses arme Häuflein Mensch mit meiner Degenscheide abriebe, so würde es wohl aufhören, solch unverschämten Lärm zu machen.« Ulenspiegel sah nun den Dienstmann an, nannte ihn »Jan Papzak«, wegen seines dicken Wanstes, und fuhr fort, in seinen Dudelsack zu blasen. Der Dienstmann ging auf ihn zu und drohte ihm mit der Faust, aber Bibulus Schnuffius stürzte sich auf ihn und biß ihn ins Bein, der Dienstmann fiel vor Angst um und rief: »Zu Hilfe!« Die Dame lachte und sagte zu Ulenspiegel: »Kannst du mir sagen, Dudelsackpfeifer, ob der Weg, der von Damme nach Dudzeele führt, keine Veränderung erfahren hat?« Ulenspiegel hörte nicht auf zu spielen, schüttelte aber den Kopf und sah die Dame an. »Was starrst du mich so an?« fragte sie. Er aber spielte weiter und ließ seine Augen blinken, als wäre er in ekstatischer Bewunderung verzückt. Da sprach sie: »Schämst du dich nicht, so jung, wie du bist, die Damen so anzusehen?« Ulenspiegel wurde ein bißchen rot, blies weiter und blickte sie noch immer an. »Ich habe dich gefragt«, begann sie von neuem, »ob der Weg, der von Damme nach Dudzeele führt, sich nicht verändert hat.« »Er grünt nicht mehr, seit Ihr ihn des Glückes, Euch zu tragen, beraubt habt«, gab Ulenspiegel zur Antwort. »Willst du mich begleiten?« fragte die Dame. Aber Ulenspiegel blieb sitzen und sah sie immerwährend an. Sie aber, die den Schelm in ihm sah, wußte, daß sein Spiel eitel Jugend war, und vergab ihm gern.
Er erhob sich und ging ins Haus. »Wohin gehst du?« fragte sie. »Ich gehe, meine besten Kleider anzulegen«, erwiderte er. »Geh denn«, sagte die Dame. Dann setzte sie sich auf die Bank neben der Türschwelle, und der Dienstmann tat desgleichen. Sie wollte mit Nele sprechen, aber Nele antwortete nicht, denn sie war eifersüchtig.
Ulenspiegel kam frisch gewaschen und in Barchent gekleidet wieder. Er machte eine gute Figur in seinem Sonntagsputz, der kleine Mann. »Gehst du wirklich mit dieser schönen Dame?« fragte Nele. »Ich bin bald wieder hier«, antwortete Ulenspiegel. »Wenn ich an deiner Stelle ginge?« sagte Nele. »Nein, die Wege sind kotig«, erwiderte er. »Warum«, sagte die Dame, die gleichzeitig böse und eifersüchtig war, »warum willst du ihn abhalten, kleines Mädchen, mit mir zu gehen?« Nele antwortete nicht, aber große Tränen sprachen dafür aus ihren Augen, und sie blickte die schöne Dame traurig und voll Zorn an.
Dann machten sie sich zu viert auf den Weg, die Dame saß wie eine Königin auf ihrem weißen Zelter, der mit schwarzem Sammet geschirrt war, dem Dienstmann wackelte der Bauch beim Marschieren, Ulenspiegel führte den Zelter der Dame am Zügel, und Bibulus Schnuffius ging ihm zur Seite mit stolz in die Luft erhobenem Schwanz. So ritten und marschierten sie eine Weile dahin, aber Ulenspiegel fühlte sich dabei nicht wohl, stumm wie ein Fisch atmete er den feinen Benzoegeruch ein, der von der Dame ausstrahlte, und schielte nach ihrem schönen Gurtzeug, den seltenen Schmuckstücken und Kostbarkeiten und nach ihrem süßen Gesicht, ihren strahlenden Augen, nach dem nackten Halse und den Haaren, die die Sonne wie eine Perücke aus Gold schimmern ließ.
»Warum sprichst du so wenig, kleiner Mann?« fragte sie. Er antwortete nicht. »Du hast doch deine Zunge nicht so tief in den Schuhen stecken, daß du mir nicht einen Botengang machen könntest?« »Man wird sehen«, sagte Ulenspiegel. »Du mußt mich hier verlassen«, sagte die Dame, »und in umgekehrter Richtung nach Koolkerke gehen, um einem halb schwarz, halb rot gekleideten Edelmann zu sagen, daß er mich heute nicht mehr erwarten solle, daß er aber Sonntag, um zehn Uhr nachts, durch die Schlüpftür in mein Schloß kommen solle.« »Ich gehe nicht«, sagte Ulenspiegel. »Warum?« fragte die Dame. »Ich gehe nicht, nein!« sagte Ulenspiegel. Da sprach die Dame zu ihm: »Was macht dich denn so widerwillig, du kleiner, böser Hahn?« »Ich gehe nicht!« wiederholte Ulenspiegel. »Wenn ich dir aber einen Gulden gebe?« »Nein«, sagte er. »Einen Dukaten?« »Nein.« »Einen Carolusgulden?« »Nein«, beharrte Ulenspiegel und setzte seufzend hinzu: »Gleichwohl ich ihn lieber besäße als eine Muschelschale in Mutters Tasche.«
Die Dame lachte auf, rief aber plötzlich: »Ich habe meine schöne, wertvolle Geldtasche verloren, die aus Seidenstoff gemacht und mit herrlichen Perlen besetzt ist. In Damme hing sie noch an meinem Gürtel.« Ulenspiegel tat nichts dergleichen, doch der Dienstmann trat an die Dame heran und sagte zu ihr: »Madame, schicken Sie nicht diesen Spitzbuben, sie zu suchen, denn er würde niemals mit ihr zurückkehren.« »Und wer wird gehen?« fragte die Dame. »Ich«, antwortete er, »trotz meines hohen Alters.« Und er machte sich auf den Weg.
Die Mittagsglocken läuteten, die Hitze war groß, und es herrschte tiefe Stille. Ulenspiegel sprach kein Wort, aber er zog sein neues Wams aus, damit sich die Dame im Schatten einer Linde niederlassen könnte, ohne die Feuchtigkeit des Rasens fürchten zu müssen.
Er blieb seufzend neben ihr stehen. Sie sah ihn an und fühlte Mitleid für diesen kleinen, furchtsamen Kavalier und fragte ihn, ob es ihn nicht ermüde, so auf seinen noch allzu jungen Beinen zu stehen. Er antwortete keine Silbe, und als er sich an ihrer Seite niederfallen ließ, wollte sie ihn auffangen und zog ihn dabei an ihren nackten Busen, wo er so freudig liegenblieb, daß sie geglaubt hätte, die Sünde der Grausamkeit zu begehen, hätte sie ihm anbefohlen, sich ein anderes Kopfkissen zu wählen.
Der Dienstmann kam zurück und sagte, daß er die Geldtasche nicht gefunden habe. »Aber ich habe sie wiedergefunden, als ich vom Pferde stieg«, sagte die Dame, »denn sie hing am Steigbügel, in dem sie sich verfangen hatte.« Dann sprach sie zu Ulenspiegel: »Nunmehr führe mich geradewegs nach Dudzeele und sage mir, wie du heißest.« »Mein Patron«, sagte er, »ist der heilige Thylbert, dessen Name besagen will: Mach dich auf die Beine, wenn's gilt, einer guten Sache nachzulaufen. Mein Name ist Claes und mein Spitzname Ulenspiegel. Wenn Ihr in meinen Spiegel blicken wollt, werdet Ihr sehen, daß es in diesem ganzen Land Flandern keine Blume von so strahlender Schönheit gibt wie Eure liebliche Anmut.«
Die Dame errötete vor Lust und war Ulenspiegel nicht ein bißchen böse.
Aber Soetkin und Nele weinten, während Ulenspiegel so lange von Hause fort war.
Als Ulenspiegel von Dudzeele kam, gewahrte er Nele, an einer Schranke vor dem Stadttor lehnend und von schwarzen Weintrauben essend. Sie naschte eine Beere nach der andern, und es schmeckte ihr ohne Zweifel wohl und erfrischte sie, aber sie ließ sich das Vergnügen, das sie daran hatte, nicht anmerken. Sie schien, im Gegenteil, böse zu sein und riß die Beeren mit zorniger Gebärde von der Traube. Sie war so sehr gekränkt, und ihr Gesicht hatte so einen betrübten, traurigen und zugleich süßen Ausdruck, daß Ulenspiegel von liebevollem Mitleid ergriffen ward, sich hinter sie schlich und ihr einen Kuß auf den Nacken gab. Sie aber wandte sich um und verabreichte ihm eine gewaltige Backpfeife.
»Nun flimmert's mir vor den Augen«, sagte Ulenspiegel. Sie weinte schluchzend. »Nele«, sagte er, »bringt man denn neuerdings die Springbrunnen am Eingang der Dörfer an?« »Pack dich«, sagte sie. »Ich kann aber nicht fortgehen, wenn du so weinst, Schätzchen.« »Ich bin kein Schätzchen«, sagte Nele, »und ich weine nicht! Willst du nun gehen?« »Nein«, sagte er. Währenddessen hielt sie ihre Schürze mit beiden zitternden Händen und zerrte an dem Stoff, den die Tränen benetzten, die darüberkollerten.
»Nele«, fragte Ulenspiegel, »wird sich's bald aufheitern?« Und er lachte und blickte sie voll Liebe an. »Warum fragst du mich das?« sagte sie. »Weil es nicht regnet, wenn's Wetter schön ist«, antwortete Ulenspiegel. »Geh«, sagte sie, »geh zu deiner schönen Dame im Brokatkleid, du hast sie ja genug lachen gemacht, die da.« Ulenspiegel aber sang:
»Quand je vois pleurer m'amie
Mon cœur est déchiré.
C'est miel quand elle rit,
Perle quand elle pleure.
Moi, je l'aime à toute heure.
Et je nous paie à boire
Du bon vin de Louvain.
Et je nous paie à boire
Quand Nele sourira.«»Wenn ich mein Liebchen weinen seh – Ist mein Herz zerrissen. – Es ist wie Honig, wenn sie lacht, – Wie Perlen, wenn sie weint. – Ich liebe sie immerdar. – Und ich zahle uns zu trinken – Vom besten Löwener Wein. – Und ich zahle uns zu trinken – Wenn Nele lacht.«
»Du garstiger Mensch«, sagte sie, »du spottest noch meiner.« »Nele«, sagte Ulenspiegel, »ein Mensch bin ich wohl, aber kein garstiger, denn unsere vornehme Familie, die viele Schöffen unter ihren Ahnen hat, führt drei Silberkrüge auf einem Hintergrund von Bruinbier. Nele, ist es wahr, daß man in Flandern Backpfeifen erntet, wenn man Küsse sät?« »Ich will nicht mit dir sprechen«, sagte sie. »Warum tust du dann den Mund auf, um mir das zu sagen?« »Ich bin böse«, sagte sie. Ulenspiegel gab ihr einen sanften Faustschlag auf den Rücken und sagte: »Küßt eine Spitzbübin, sie wird euch schlagen, schlagt eine Spitzbübin, sie wird euch küssen. Küsse mich, Schätzchen, ich hab' dich doch geschlagen!«
Nele drehte sich um. Er breitete die Arme aus, und sie warf sich, noch weinend, an seine Brust und sagte: »Du wirst nicht mehr zu der gehen, nicht wahr, Thyl?« Er aber antwortete nicht, denn er preßte ihre armen, bebenden Finger an sich und saugte die heißen Tränen von ihren Lippen, die wie große Regentropfen bei einem Gewitter aus ihren Augen stürzten.
Damals weigerte sich das edle Gent, seinen Anteil an dem Tribut zu zahlen, den ihm der Kaiser, Gents Sohn, auferlegt hatte. Die Stadt konnte nicht bezahlen, weil Karl selbst ihre Gelder erschöpft hatte. Das aber war ein großes Verbrechen, und er beschloß auszuziehen, um die Stadt höchstselbst zu züchtigen.
Denn die Stockstreiche eines Sohnes sind schmerzlicher auf dem Rücken der Mutter als alle anderen Leiden.
Sein Feind Franz, mit dem Beinamen »der Langnasige«, bot ihm den Durchmarsch durch Frankreichs Gaue an. Karl nahm an, und statt als Gefangener zurückgehalten zu werden, wurde er gefeiert und königlich verehrt. Denn es ist ein unverletzliches Abkommen unter den Fürsten, sich gegenseitig in der Unterdrückung der Völker zu helfen.
Karl hielt sich lange in Valenciennes auf, ohne sich irgendwie erbost zu zeigen. Gent, seine Mutter, lebte furchtlos dahin in dem Glauben, daß der Kaiser, ihr Sohn, vergeben werde, daß sie getan habe, was ihr gutes Recht war. Karl langte mit viertausend Reitern vor den Mauern der Stadt an. Alba und Oranien begleiteten ihn. Das niedere Volk und die Leute des Kleingewerbes hätten diesen Einzug des Sohnes gerne verhindert und die achtzigtausend Mann aus der Stadt und vom flachen Lande auf die Beine gebracht. Aber die großen Bürger, Hooghpoorters genannt, widersetzten sich dem aus Furcht vor der Vorherrschaft des Volkes. Indessen, Gent hätte auch so seinen Sohn und die viertausend Reiter zermalmen können. Aber es liebte ihn, und selbst die kleinen Leute waren wieder von Zuversicht erfüllt. Karl liebte die Stadt wieder, aber wegen des Geldes, das sie in ihren Truhen hatte und davon er noch etwas haben wollte. Als er die Herrschaft über die Stadt an sich gerissen hatte, stellte er überall Militärposten auf, die Tag und Nacht ihre Runden durch die Stadt machten. Sodann verkündete er unter großem Pomp das Urteil, das er über die Stadt verhängt hatte. Die vornehmsten Bürger sollten, einen Strick um den Hals, vor seinem Thron erscheinen und sich demütigen. Gent wurde der kostspieligsten Verbrechen schuldig erklärt, die es gibt: der Treulosigkeit, des Vertragsbruches, des Ungehorsams, des Aufruhrs und der Majestätsbeleidigung. Der Kaiser erklärte alle wie immer gearteten Vorrechte, Ansprüche, Freiheiten, Lehen und Nutzrechte für aufgehoben, außerdem bestimmte er, indem er auch die Zukunft seiner Macht unterstellte, als ob er Gott gewesen wäre, daß von diesem Moment an alle seine Nachfolger, die nach ihm zur Herrschaft gelangen würden, schwören sollten, nichts anderes zu beachten als die »Concessio Carolina«, durch die er die Hörigkeit über die Stadt verhängt hatte. Er ließ die Abtei Saint-Bavon niederreißen, um an dieser Stelle eine Festung zu errichten, von der er in aller Bequemlichkeit den Leib seiner Mutter mit Kanonenkugeln durchbohren konnte. Als guter, auf Erbschaft bedachter Sohn zog er alle Besitztümer Gents ein: seine Einkünfte, Häuser, Geschütze und Kriegsgeräte.
Da er fand, daß die Stadt zu gut befestigt sei, ließ er den »Roten Turm«, den Turm »Das Krötenloch«, die Braampoort, die Steenpoort, die Waalpoort, die Ketelpoort und noch viele andere Ausfalltore abbrechen, die wie steinerne Juwelen behauen waren.
Wenn später Fremde nach Gent kamen, sagten sie zueinander: »Welch unscheinbare und verwüstete Stadt ist das, die man als so wundervoll besungen hat!« Und die Genter antworteten: »Kaiser Karl kam, um die Stadt ihres kostbaren Gürtels zu berauben.« Und die das sagten, waren von Scham und Zorn erfüllt.
Indessen gewann der Kaiser aus den Ruinen der Tore die Quadern für seine Festung. Er wollte, daß Gent arm sei, denn in diesem Zustand konnte es sich weder durch Arbeit noch durch Fleiß, noch durch Geld seinen herrischen Plänen widersetzen. Er verurteilte die Stadt, den verweigerten Tribut von vierhunderttausend Carolusgulden in Gold zu bezahlen, außerdem, als einmalige Abgabe, hundertfünfzigtausend Carolusgulden und jährlich sechstausend weitere als dauernde Rente.
Gent hatte ihm Geld geliehen, und er sollte ihr eine Rente von hundertfünfzig Pfund bezahlen. Er bemächtigte sich mit Gewalt der Schuldscheine und bezahlte solcherart seine Schuld, daß er sich ausgiebig bereicherte.
Gent hatte ihm bei mannigfachen Gelegenheiten Liebe bezeigt und Hilfe gebracht, aber er stieß ihr den Dolch in die Brust, um nach Blut zu suchen, wo er nicht mehr genug Milch fand.
Als er »Roelandt«, die schöne Glocke, sah, ließ er den an ihr aufhängen, der sie zum Alarm geläutet hatte, um die Stadt zur Verteidigung ihres Rechts aufzurufen. Er empfand kein Mitleid für »Roelandt«, seiner Mutter Zunge, mit der sie zum Lande Flandern sprach:
»Als men my slaet dan is 't brandt,
Als men my luyt dan is 't storm in
Vlaenderlandt.«
»Läßt man mich schlagen, heißt das: Brand!
Läßt man mich läuten: Sturm in
Flanderns Land!«
Er fand, daß seine Mutter zu laut spreche, und nahm ihr die Glocke. Und die Leute vom flachen Land sagten, daß Gent tot sei, weil ihr Sohn ihr die Zunge mit eisernen Zangen ausgerissen habe.
An einem dieser Tage – es waren klare und frische Frühlingstage, in denen die ganze Erde voll Liebe war – plauderte Soetkin am offenen Fenster, Claes summte irgendeinen Refrain, und Ulenspiegel setzte Titus Bibulus Schnuffius ein Richterbarett auf den Kopf. Der Hund bewegte seine Pfoten hin und her, als wollte er ein Urteil fällen, aber er tat es nur, um sein Barett abzustreifen.
Plötzlich schloß Ulenspiegel das Fenster, rannte im Zimmer hin und her, sprang über Stühle und Tische und streckte die Hände gegen die Decke. Soetkin und Claes sahen, daß er sich für nichts anderes so abmühte, als um ein zartes, kleines Vögelchen einzufangen, das angstvoll schrie und mit den Flügeln schlug und sich an einen Balken in einer Ecke der Decke schmiegte. Ulenspiegel schickte sich eben an, es einzufangen, als ihn Claes lebhaft anredete: »Warum springst du so herum?« »Um ihn zu fangen«, antwortete Ulenspiegel, »in einen Käfig zu tun, ihm Hirsekörner zu geben und ihn zu lehren, für mich zu singen.«
Indessen flog der Vogel, in seiner Herzensangst laut schreiend, im Zimmer umher und stieß mit dem Kopf gegen die Fensterscheiben. Claes legte Ulenspiegel, der nicht aufhörte, zu springen, die Hand schwer auf die Schulter. »Pack ihn«, sagte er, »tu ihn in einen Käfig und laß ihn für dich singen, ich werd's aber mit dir auch so machen, werde dich in einen Käfig tun und werde dich singen lassen. Du liebst es zu laufen, aber du wirst es nicht mehr können, wenn du frierst, wirst du im Schatten sein, und wenn dir heiß ist, in der Sonne. Wenn wir dann eines Sonntags fortgehen und vergessen, dir das Essen zu geben, und nicht vor Donnerstag wiederkommen, dann werden wir bei unserer Rückkehr Thyl vor Hunger tot und ganz erstarrt finden.«
Soetkin weinte, und Ulenspiegel schoß davon. »Was machst du?« fragte Claes. »Ich öffne dem Vogel das Fenster«, antwortete er.
Der Vogel, ein Distelfink, flog mit einem freudigen Schrei durchs Fenster hinaus und sauste wie ein Pfeil ins Blaue, dann setzte er sich auf einen nahen Apfelbaum, glättete seine Flügel mit dem Schnabel, schüttelte das Gefieder und rief, noch voll Ärgers, in seiner Vogelsprache Ulenspiegel tausend Grobheiten zu. Da sprach Claes: »Sohn, beraube niemals einen Menschen oder ein Tier seiner Freiheit, denn sie ist das höchste Gut auf dieser Welt. Lasse jeden in die Sonne, wenn's ihn friert, und jeden in den Schatten, wenn ihm heiß ist. Und möge Gott über Seine geheiligte Majestät Gericht halten, die den freien Glauben im Lande von Flandern in Ketten gelegt und das edle Gent in einen Käfig der Sklaverei gesperrt hat!«
Philipp hatte sich mit Marie von Portugal vermählt und hatte ihre Besitztümer denen der spanischen Krone hinzugefügt, sie hatte ihm Don Carlos, den grausamen Narren, geboren. Aber er liebte seine Frau nicht!
Die Königin litt unter den Folgen ihrer Entbindung. Sie hütete das Bett und war von ihren Ehrendamen umgeben, deren eine die Herzogin von Alba war. Philipp ließ sie oft allein, um zuzusehen, wie die Ketzer brannten. Die Herren und Damen des Hofes, selbst die Herzogin von Alba, die edle Hüterin des Wochenbettes der Königin, ahmten ihm nach.
Zu dieser Zeit hatte sich das »Officium« eines flämischen Bildhauers, welcher der römisch-katholischen Kirche angehörte, bemächtigt, weil er, als ein Mönch sich weigerte, für eine Holzstatue Unserer Lieben Frau den zwischen ihnen vereinbarten Preis zu bezahlen, der Statue mit seinem Meißel das Gesicht zertrümmert und dabei gesagt hatte, daß er sein Werk lieber zerstören als um geringen Preis hergeben wolle. Der Mönch hatte ihn als Bilderstürmer angegeben, und er wurde erbarmungslos gefoltert und verurteilt, lebendig verbrannt zu werden.
Man hatte ihm bei der Folter die Fußsohlen verbrannt, und als er, in den San-benito gehüllt, vom Kerker zum Scheiterhaufen ging, schrie er: »Schneidet die Füße ab! Schneidet die Füße ab!« Philipp hörte diese Schreie aus der Ferne und freute sich ihrer, aber er lachte nicht.
Die Ehrendamen der Königin Marie verließen ihre Herrin, um der Verbrennung beizuwohnen, auch die Herzogin von Alba folgte ihnen, die, als sie den flämischen Bildhauer schreien hörte, das Schauspiel sehen wollte und die Königin allein ließ. Philipp war mit seinen hohen Dienern, den Prinzen, Grafen, Rittern und Damen anwesend.
Der Bildhauer war mit einer langen Kette an einen Pfahl gebunden, der inmitten eines Kreises brennender Stroh- und Wergbündel aufgerichtet war, die ihn langsam braten mußten, wenn er, um dem flammenden Feuer zu entgehen, sich dicht am Pfahl halten wollte. Neugierig sah man zu, wie er in seiner Nacktheit die Stärke seiner Seele der Hitze des Feuers entgegenzusetzen versuchte.
Zur selben Zeit empfand die Königin Marie in ihrem Wochenbett Durst. Sie sah auf einer Schüssel eine halbe Melone liegen, erhob sich mühsam von ihrem Lager, nahm die Melone und ließ nichts davon übrig. Da kam wegen der Kälte des Melonenfleisches ein Schwitzen und Zittern über sie, und sie blieb auf der Diele liegen, ohne sich erheben zu können.
»Ach«, sagte sie, »ich würde mich ja erwärmen, wenn mich jemand in mein Bett tragen könnte!« Da hörte sie den armen Bildhauer schreien: »Schneidet die Füße ab!« »Ach«, sagte die Königin Marie, »ist es ein Hund, der so zu seinem Tode heult?«
In diesem Augenblick gedachte der Bildhauer, der nur die Gesichter seiner spanischen Feinde um sich sah, Flanderns, des Landes der Leiden, er kreuzte die Arme und schritt, seine lange Kette hinter sich herschleifend, auf das flammende Stroh und Werg zu und blieb, mit über der Brust verschlungenen Armen, aufrecht in den Flammen stehen, dann sprach er:
»Seht, so sterben die Flamen im Angesicht der spanischen Henker! Schneidet die Füße ab, aber nicht mir, sondern denen da, damit sie nicht mehr den Mördern zulaufen! Es lebe Flandern! Flandern in Ewigkeit!«
Die Damen spendeten ihm Beifall und schrien um Gnade, als sie seine erhabene Ruhe sahen. Und er starb.
Die Königin Marie zuckte an allen Gliedern, und ihre Zähne schlugen aufeinander in der Kälte des nahen Todes, während sie mit Armen und Beinen alle Anstrengungen machte, sagte sie: »Bringt mich in mein Bett, daß ich mich erwärme!« Und sie starb.
So die Prophezeiung Kathelines, der guten Hexe, erfüllend, säte Philipp überall Tod, Blut und Tränen.
Ulenspiegel und Nele waren sich in Liebe zugetan.
Es war gegen Ende des April, alle Bäume standen in Blüte, und alle Pflanzen waren von Saft geschwellt, in der Erwartung des Mai, des Monats, der, von einem PfauenDer Pfau galt in der Zeit der ersten Christen als Symbol der Auferstehung. (Anmerkung des Übersetzers.) begleitet, duftig wie ein Blumenstrauß über die Erde kam und die Nachtigallen in den Bäumen das Singen lehrte.
Oft wanderten Ulenspiegel und Nele auf den grünenden Wegen dahin.
Nele ließ sich von Ulenspiegel umfassen und hing sich mit beiden Händen an ihn. Ulenspiegel machte das Spiel Freude, und oft ließ er seine Arme auf Neles Taille herabgleiten, um sie, wie er sagte, besser halten zu können. Und sie war glücklich, aber sie sagte nichts davon.
Ein leichter Wind trieb den Duft der Wiesen auf die Wege, und fernher rauschte das Meer im schweren Sonnenlicht, Ulenspiegel war wie ein junger Teufel, voll Stolz, und Nele war wie eine kleine Heilige aus dem Paradies, voll Scham über ihre Glückseligkeit. Sie lehnte das Köpfchen an Ulenspiegels Schulter, und er hielt ihre Hände, so wanderten sie dahin, und er küßte ihre Stirn, ihre Wangen und ihren lieblichen Mund. Aber sie sprach kein Wort.
Nachdem einige Stunden vergangen waren, glühten sie und hatten Durst, sie tranken bei einem Bauern Milch, aber sie wurden davon nicht frischer. Da setzten sie sich am Rande eines Grabens auf den Rasen. Nele war bleich und nachdenklich, und Ulenspiegel sah sie besorgt an. »Du bist traurig?« fragte sie. »Ja«, sagte er. »Warum?« fragte sie weiter. »Ich weiß nicht«, antwortete er, »aber diese blühenden Apfelbäume und Kirschbäume, diese laue und gewitterschwere Luft, diese Gänseblümchen, die ihre Blätter in der Sonne errötend ausbreiten, der Hagedorn in den Hecken hinter uns, ganz weiß . . .! Wer weiß, warum ich mich so wirr fühle und in jedem Augenblick bereit zu schlafen oder zu sterben? Und mein Herz schlägt so stark, wenn ich höre, wie die Vögel in den Bäumen erwachen, und wenn ich die Schwalben wiederkehren sehe, dann kommt mich die Lust an, zu wandern, weiter als Sonne und Mond, und bald ist mir kalt, bald heiß. Ach, Nele! Ich will nicht weiter auf dieser niedrigen Welt leben oder tausend Leben der geben, die mich lieben wollte!«
Sie aber sagte kein Wort und sah Ulenspiegel mit glücklichem Lächeln an.