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Es war im achtundfünfzigsten Jahre des Säkulums, als Katheline einmal bei Soetkin eintrat und sagte: »In dieser Nacht – ich hatte mich mit Balsam bestrichen – wurde ich auf den Turm von Notre-Dame getragen und sah, wie die Elementargeister die Gebete der Menschen den Engeln überbrachten, die in die höchsten Himmel hinaufflogen, um sie vor den Thron zu tragen. Und der Himmel war ganz übersät von strahlenden Sternen.
Plötzlich erhob sich von einem Scheiterhaufen eine Gestalt, die mir schwarz schien, und nahm den Platz neben mir auf dem Turm ein. Ich erkannte Claes, der, wie bei Lebzeiten, mit seinem Köhlergewand bekleidet war. ›Was tust du auf dem Turm von Notre-Dame?‹ fragte er mich. ›Wohin willst aber du?‹ fragte ich, ›durch die Lüfte fliegend wie ein Vogel?‹ ›Ich gehe zum Gericht‹, sagte er; ›hörst du nicht die Fanfare des Engels?‹
Ich stand nahe bei ihm und fühlte, daß sein Leib nicht fest war wie der Leib der Lebenden, sondern geisterhaft und so fein, daß ich, als ich auf ihn zuging, in ihn eintrat wie in warmen Dampf. Zu meinen Füßen lag das ganze Land Flandern, und ich sagte mir: ›Die früh aufstehen und spät noch schaffen, sind von Gott gesegnet.‹ Und immerwährend hörte ich die Fanfare des Engels durch die Nacht ertönen.
Dann sah ich von Spanien her einen anderen Schatten aufsteigen, dieser war alt und gebrechlich, sein Kinn sah wie ein Pantoffel aus und seine Lippen wie Quittenmus. Auf dem Rücken hatte er einen Mantel von karmesinrotem Samt, der mit Hermelin gefüttert war, und auf dem Kopf trug er eine Königskrone, in der Hand hielt er eine Anchovis, an der er knabberte, in der anderen einen Humpen voll Bier. Er setzte sich, zweifelsohne aus Müdigkeit, auf den Turm von Notre-Dame.
Ich kniete nieder und sagte zu ihm: ›Gekrönte Majestät, ich verehre Euch, aber ich kenne Euch nicht. Woher kommt Ihr, und was wollt Ihr in der Welt?‹ ›Ich komme von San Justo in Estremadura und war der Kaiser Karl der Fünfte‹, sagte er. ›Aber‹, fragte ich, ›wohin begebt Ihr Euch jetzt, in dieser kalten Nacht, quer durch die hagelschwangeren Wolken?‹ ›Ich gehe zum Gericht‹, sagte er.
Als der Kaiser seine Anchovis aufessen und das Bier aus seinem Humpen austrinken wollte, erschallte die Fanfare des Engels, er erhob sich in die Lüfte und brummte, weil er so in seiner Mahlzeit unterbrochen worden war. Ich folgte Seiner heiligen Majestät. Sie durcheilte die Räume, vor Müdigkeit schluchzend, asthmatisch röchelnd und von Zeit zu Zeit speiend, denn der Tod hatte sie während eines Magenleidens ereilt. Wir stiegen immerwährend in die Höhe wie Pfeile, von einem Bogen aus Kamelholz abgeschossen. Die Sterne flimmerten neben uns und zogen feurige Streifen über den Himmel, die wir sich lösen und in die Tiefe stürzen sahen. Die Fanfare des Engels schallte. Welch klingender und gewaltiger Ton! Bei jedem Fanfarenstoß, der gegen die Dunstwolken der Luft traf, spalteten sie sich, als ob ein Orkan gegen sie geblasen hätte. So ward uns der Weg gebahnt.
Nachdem wir tausend Meilen und mehr in die Höhe gestiegen waren, sahen wir Christum in seiner Glorie auf einem Thron von Sternen sitzen, ihm zur Rechten war ein Engel, der die Taten der Menschen in ein erzenes Buch schreibt, und ihm zur Linken Maria, seine Mutter, die ihn ohne Unterlaß für die Sünder um Gnade bittet. Claes und Kaiser Karl knieten vor dem Thron nieder.
Der Engel warf ihm die Krone vom Kopf und sagte: ›Hier gibt es nur einen Kaiser, und der ist Christus.‹ Seine heilige Majestät schien erzürnt, sagte aber dennoch ehrerbietig: ›Könnte ich nicht diese Anchovis und diesen Humpen Bier behalten? Die lange Reise hat mir großen Hunger gemacht.‹ ›Wie du ihn dein ganzes Leben lang hattest‹, erwiderte der Engel, ›aber iß und trink immerhin.‹ Der Kaiser leerte den Humpen voll Bier und knabberte an der Anchovis.
Dann ergriff Christus das Wort und sprach: ›Kommst du mit reiner Seele vors Gericht?‹ ›Ich hoffe es, mein sanfter Herr‹, antwortete Kaiser Karl. ›Und du, Claes?‹ sagte Christus, ›du zitterst nicht wie dieser Kaiser.‹ ›Mein Herr Jesus‹, antwortete Claes, ›es gibt keine so reine Seele, daß ich ganz ohne Furcht vor Euch sein könnte, der Ihr die höchste Güte und die allmächtige Gerechtigkeit seid, dennoch fürchte ich mich wegen meiner Sünden, die zahlreich waren.‹ ›Sprich, Elender‹, sagte der Engel, indem er sich an den Kaiser wandte.
›Ich, Herr‹, antwortete Karl mit beklommener Stimme, ›ich wurde von der Hand Eurer Priester gesalbt und geweiht zum König von Kastilien, zum Kaiser von Deutschland und zum König von Rom. Stets lag mir die Erhaltung der Macht am Herzen, die von Euch kam, und deshalb habe ich mit Strick und Eisen, Grab und Feuer gegen all die Reformierten angekämpft.‹
Doch der Engel sprach: ›Fraßgieriger Lügner, du willst uns täuschen. In Deutschland duldetest du die Reformierten, denn du hattest Angst vor ihnen, aber in den Niederlanden, wo du fürchtetest, von diesen arbeitsamen Bienen, die überreich an Honig sind, zuwenig zu erben, da köpftest du sie, verbranntest sie, henktest sie und begrubst sie lebendigen Leibes. Hunderttausend Seelen sind durch dein Tun zugrunde gegangen, aber nicht, weil du Christum, meinen Herrn, liebtest, sondern weil du ein Tyrann, ein Despot, ein Verzehrer des Landes warst und niemand liebtest außer dir selbst und nach dir Braten, Fische, Wein und Bier, denn du schlangst wie ein Hund und trankst wie ein Schwamm.‹
›Und du, Claes, sprich!‹ sagte Christus. Aber der Engel erhob sich: ›Der hat nichts zu sagen. Er war gut und arbeitsam wie das Volk von Flandern, schaffte gern, lebte in dem Glauben, daß er seinen Fürsten etwas schulde, und meinte, daß auch seine Fürsten den Glauben hegten, ihm gegenüber Pflichten zu haben. Er besaß Geld und wurde, weil er einen Reformierten beherbergt hatte, angeklagt und lebend verbrannt.‹
›Ach‹, sagte Maria, ›armer Märtyrer, aber im Himmel gibt es frische Quellen, Springbrunnen von Milch und köstlichem Wein, die dich erquicken werden, und ich selbst werde dich zu ihnen führen, Köhler.‹ Die Fanfare des Engels erklang wieder, und ich sah einen nackten, schönen Mann mit einer eisernen Krone aus den Tiefen des Abgrunds emporsteigen. Und auf dem Reifen der Krone waren diese Worte geschrieben: ›Traurig bis zum Tage des Gerichts.‹ Er näherte sich dem Thron Christi und sagte: ›Ich bin dein Sklave, bis ich dein Herr sein werde.‹ ›Satan‹, sagte Maria, ›es wird ein Tag kommen, da es weder Sklaven noch Herren geben wird, und Christus, die Liebe, und Satan, der Stolz, werden heißen: Kraft und Weisheit.‹
›Weib, du bist gut und schön‹, sagte der Satan. Dann zeigte er auf den Kaiser und sagte zu Christo: ›Was soll mit dem da geschehen?‹ Christus antwortete: ›Bringe diesen gekrönten Wurm in eine Halle, in der du alle Folterinstrumente aufstapelst, die unter seiner Regierung in Gebrauch waren. Jedesmal, wenn ein unglücklicher Schuldloser die Tortur des Wassers erleidet, die die Menschen aufbläht wie Schläuche, wenn einer die Folter der Kerzen erduldet, die die Fußsohlen und Achselhöhlen verbrennt, wenn man ihn auf das Wippholz stellt, das die Glieder bricht, wenn einer auf das Vierholz gelegt wird, und jedesmal, wenn eine freie Seele ihren letzten Seufzer auf dem Scheiterhaufen verhaucht, soll er der Reihe nach all diese Tode und Folterqualen erleiden, damit er erfährt, was ein Ungerechter, der über Millionen andrer befiehlt, Übles tun kann.
Er vermodere in den Gefängnissen, sterbe auf den Schafotten und jammere in der Verbannung, fern vom Vaterland, er werde verhöhnt, geschmäht und gepeitscht, er sei reich, und der Steuereintreiber schröpfe ihn, die Angeberei verklage ihn, und die Konfiskation richte ihn zugrunde. Mache einen Esel aus ihm, damit er sanft sei, gequält und schlecht genährt werde, mache ihn arm, daß er um Almosen bitte und mit Schmähungen empfangen werde, lasse ihn einen Handwerker sein, damit er zuviel arbeite und zuwenig zu essen bekomme, wann er dann am Leib und in der Seele des Menschen genugsam erduldet hat, mache einen Hund aus ihm, damit er gut sei und Schläge erhalte, einen indischen Sklaven, damit man ihn versteigere, einen Soldaten, daß er für einen andern kämpfe und sich töten lasse, ohne zu wissen, warum.
Und wenn er dann nach Ablauf von dreihundert Jahren alle Leiden und alles Unglück ausgekostet haben wird, so mache einen freien Menschen aus ihm, und wenn er in diesem Zustand gut sein wird, wie Claes war, dann gib ihm in einer Ecke der Erde, in der mittags die Kühle des Schattens herrscht und die von der Morgensonne beschienen wird, unter einem schönen Baum, von kühlem Rasen bedeckt, die ewige Ruhestatt. Und seine Freunde sollen herbeikommen und bittere Tränen auf seinem Grab vergießen, und sie sollen Veilchen darauf pflanzen, die Blumen der Erinnerung.‹
›Gnade, mein Sohn‹, sagte Maria, ›er wußte nicht, was er tat, denn die Macht verhärtete sein Herz.‹ ›Es gibt keine Gnade‹, sagte Christus. ›Ach!‹ sagte Seine heilige Majestät, ›wenn ich nur ein Glas andalusischen Weines hätte!‹ ›Komm‹, sagte Satan, ›die Zeit des Weins, der Braten und Geflügel ist vorbei.‹ Und er führte die Seele des armen Kaisers, die noch an einem Stück Anchovis knabberte, in den tiefsten Abgrund der Hölle. Satan ließ ihn aus Mitleid gewähren.
Dann sah ich die Heilige Jungfrau, die Claes in den höchsten Himmel führte, wo es nichts andres gab als Sterne, die, zu Trauben zusammengebunden, am Gewölbe hingen. Da wuschen ihn die Engel, und er ward schön und jung. Dann gaben sie ihm mit silbernen Löffeln rystpap zu essen. Und der Himmel schloß sich.«
»Er ist in der Glorie«, sagte die Witwe. »Die Asche schlägt über meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel.
Während der folgenden dreiundzwanzig Tage wurde Katheline weiß, mager und dürr, denn sie ward von einem inneren Feuer verzehrt, das schlimmer an ihr nagte als das des Irrsinns. Sie sagte nicht mehr: »Das Feuer! Macht ein Loch, die Seele will entfliehen«, aber sie geriet täglich in eine Ekstase der Verzückung und sagte dann zu Nele: »Gattin bin ich, und Gattin sollst auch du sein. Er ist schön: lange Haare – heiße Liebe – kalte Knie und kalte Arme!«
Und Soetkin sah sie traurig an und meinte, daß sie von einer neuen Tollheit befallen sei. Katheline aber fuhr in ihrer Rede fort: »Dreimal drei macht neune, die heilige Zahl. Wer leuchtende Augen hat in dieser Nacht wie Katzenaugen, der allein sieht das Mysterium.«
Eines Abends machte Soetkin, die ihr zuhörte, eine Geste des Zweifels. Aber Katheline sagte: »Vier und drei, Unglück unterm Saturn. Unter der Venus die Zahl der Hochzeit. Kalte Arme! Kalte Knie! Herz von Feuer!« »Du sollst nicht von diesen verderblichen heidnischen Götzenbildern sprechen«, sagte Soetkin. Als Katheline das hörte, machte sie das Zeichen des Kreuzes und sagte: »Gesegnet sei der graue Kavalier. Für Nele braucht's einen Gatten, einen schönen Gatten, der einen Degen trägt, einen schwarzen Gatten mit strahlendem Gesicht.«
»Ja«, sagte Ulenspiegel, »ein Frikassee von Gatten, dessen Soße ich mit meinem Messer machen werde.« Nele sah ihren Freund mit fröhlichen Augen an, die feucht wurden, als sie ihn so eifersüchtig sahen, und sie sagte: »Ich will nicht.« Katheline antwortete: »Wenn er kommt, der grau Gekleidete, jeden Tag anders gestiefelt und gespornt . . .« »Betet zu Gott für die Irre!« sagte Soetkin.
»Ulenspiegel, geh, uns vier Liter Dobbelkuyt zu holen, während ich die heete-koeken zubereite«, sagte Katheline, »in Frankreich heißen sie Krauskuchen.«
Soetkin fragte sie, warum sie den Samstag feiere wie die Juden, und Katheline antwortete: »Weil der Teig fertig ist.« Ulenspiegel stand auf, den Topf aus englischem Zinn in der Hand, der eben das Maß faßte, und fragte: »Mutter, was soll ich tun?« »Geh«, sagte Katheline. Soetkin wollte nicht antworten, weil sie in dem Haus nicht Herrin war, und sagte zu Ulenspiegel: »Geh, mein Sohn!« Ulenspiegel lief zum Scaeck und brachte von dort die vier Liter Dobbelkuyt nach Hause. Bald verbreitete sich der Duft der heete-koeken in der Küche, und alle hatten Hunger, selbst die schmerzenvolle, betrübte Witwe. Ulenspiegel aß tüchtig, Katheline hatte ihm einen großen Humpen gegeben, da sie sagte, daß er der einzige Mann und das Oberhaupt des Hauses sei und deshalb mehr trinken müsse als die anderen, und nach der Mahlzeit solle er singen. Bei diesen Worten machte sie eine boshafte Miene. Ulenspiegel trank, aber er sang nicht. Nele weinte, wenn sie Soetkin ansah, die bleich und ganz in sich zusammengesunken war, Katheline allein war fröhlich.
Nach der Mahlzeit stiegen Soetkin und Ulenspiegel auf den Dachboden hinauf, um sich schlafen zu legen, Katheline und Nele blieben in der Küche, wo ihre Betten hergerichtet waren.
Es war gegen zwei Uhr morgens, Ulenspiegel war durch das schwere Getränk längst eingeschlafen, Soetkin lag, wie jede Nacht, mit offenen Augen im Bett und bat die Heilige Jungfrau, ihr Schlaf zu schenken, aber die erhörte sie nicht. Plötzlich vernahm sie den Schrei eines Seeadlers, dem ein ähnlicher Schrei aus der Küche antwortete. Dann hallten noch andere Schreie aus der Ferne, vom Feld her, und immer schien ihr, als ob von der Küche darauf geantwortet würde. Sie dachte, daß das Nachtvögel seien, und wendete den Geräuschen keine Aufmerksamkeit zu. Dann hörte sie Pferdegewieher und das Geräusch eiserner Hufe auf der Landstraße. Sie öffnete das Fenster des Dachbodens und sah in der Tat zwei gesattelte Pferde unten stehen, die das Gras des Wegrandes abweideten.
Nun hörte sie eine Frauenstimme schreien und eine Männerstimme drohen, es fielen Schläge, neue Schreie wurden hörbar, eine Tür fiel krachend ins Schloß, und angstbeflügelte Schritte kamen die Treppe herauf. Ulenspiegel schnarchte und hörte nichts, die Tür des Dachbodens öffnete sich, und Nele trat ein, fast nackt, tränenüberströmt, außer Atem, und stellte in hastiger Eile einen Tisch, Stühle, einen alten Eisenofen und alles, was sie an Möbeln finden konnte, gegen die Tür. Die letzten Sterne waren nahe am Erlöschen, und die Hähne krähten.
Ulenspiegel hatte sich bei dem Lärm, den Nele gemacht hatte, im Bett umgedreht, schlief aber weiter. Dann warf sich Nele an Soetkins Brust und sagte: »Soetkin, ich habe Angst, zünde die Kerze an.« Soetkin tat es, und Nele stöhnte immerwährend. Als die Kerze entzündet war, betrachtete Soetkin Nele und sah, daß das Hemd des Mädchens an der Schulter zerrissen war, über Stirn, Wange und Hals zogen sich blutige Striche, als ob man sie mit Fingernägeln mißhandelt hätte. »Nele«, sagte Soetkin, während sie das Mädchen umarmte, »woher kommst du so verletzt?« Die sagte, immer bebend und stöhnend: »Bring uns nicht ins Feuer, Soetkin.«
Indessen erwachte Ulenspiegel und blinzelte beim Licht der Kerze mit den Augen. Soetkin fragte: »Wer ist dort unten?« »Schweig still«, antwortete Nele, »es ist der Gatte, den sie mir geben will.« Plötzlich hörten Soetkin und Nele Katheline schreien, und beiden versagten die Beine den Dienst. »Er schlägt sie, er schlägt sie meinetwegen!« sagte Nele. »Wer ist im Haus?« schrie Ulenspiegel, während er aus dem Bett sprang. Dann fuhr er sich über die Augen und eilte im Zimmer umher, bis er einen schweren Schürhaken fand, der in einer Ecke lag und den er in die Hand nahm.
»Niemand«, sagte Nele, »niemand, geh nicht hinab, Ulenspiegel!« Aber er hörte nicht, rannte zur Tür und warf die Stühle, den Tisch und den Eisenofen beiseite. Katheline hörte unten nicht auf zu schreien. Nele und Soetkin hielten Ulenspiegel auf dem Flur zurück, indem Nele den Arm um ihn schlang, während Soetkin ihn an den Beinen faßte und sagte: »Geh nicht hinunter, Ulenspiegel, es sind Teufel.« »Ja«, antwortete er, »Neles teuflischer Gatte; ich werde ihn mit meinem Schürhaken ehelich paaren. Eine Verlobung von Eisen und Fleisch! Laßt mich hinunter!« Doch sie ließen keineswegs los, denn sie waren stark, weil sie sich am Geländer festhielten. Er zog sie die Treppe hinunter, und nun hatten sie Angst, solcherart den Teufeln näher zu kommen, sie konnten aber nichts gegen ihn ausrichten.
In Sprüngen und Sätzen kam er hinab wie ein Schneeball von der Höhe eines Berges und trat in die Küche, wo er Katheline beim Licht der Morgendämmerung verstört und bleich dasitzen sah, er hörte, wie sie sagte: »Hanske, warum läßt du mich allein? Es ist nicht meine Schuld, daß Nele so böse ist.« Ulenspiegel öffnete, ohne ihr weiter zuzuhören, die Stalltür. Als er niemand darin fand, sprang er in das Gärtchen und von dort auf die Landstraße. Da sah er in der Ferne zwei Pferde laufen und sich im Nebel verlieren. Er rannte, sie einzuholen, doch er vermochte es nicht, denn sie flogen dahin wie der Herbstwind, der die dürren Blätter fortfegt.
Von Zorn und Verzweiflung erfüllt, machte er kehrt und murmelte zwischen den Zähnen: »Sie haben sie mißbraucht! Sie haben sie mißbraucht!« Und mit düster flammenden Augen sah er Nele an, die erschauernd vor Katheline und der Witwe stand, und sprach: »Nein, Thyl, mein Geliebter, nein!« Bei diesen Worten sah sie Ulenspiegel so traurig und doch so unbefangen an, daß er wohl erkannte, daß sie die Wahrheit spreche. Dann fragte er sie aus: »Woher kamen diese Schreie? Wohin sind diese Männer gegangen? Warum ist dein Hemd an der Schulter und am Rücken zerrissen? Warum hast du auf der Stirn und Wange Spuren von Fingernägeln?« »Höre«, sagte sie, »aber bring uns nicht ins Feuer, Ulenspiegel! Katheline, die Gott vor der Hölle bewahren möge, hat seit dreiundzwanzig Tagen einen schwarz gekleideten, gestiefelten und gespornten Teufel zum Freund. Er hat ein feuerstrahlendes Gesicht, wie man es an heißen Tagen über den Wogen des Meeres sieht.«
»Warum bist du gegangen, Hanske, mein Liebling?« sagte Katheline, »Nele ist böse.«
Nele setzte ihren Bericht fort und sagte: »Um seine Anwesenheit anzukündigen, schreit er wie ein Seeadler. Meine Mutter empfängt ihn jeden Samstag in der Küche, sie sagt, seine Küsse seien kalt und sein Körper wie Schnee. Wenn sie nicht alles tut, was er will, so schlägt er sie. Einmal brachte er ihr einige Gulden mit, aber er hat ihr alle andern weggenommen.«
Während dieser Erzählung faltete Soetkin die Hände und betete für Katheline. Katheline sagte in fröhlicher Laune: »Mein Leib gehört nicht mehr mir, mein Geist gehört nicht mehr mir, alles ist sein. Hanske, mein Liebling, führ mich wieder zum Sabbat! Es ist nun einmal so, daß Nele nie kommen will, Nele ist böse.«
»Wenn der Morgen dämmert, dann geht er«, fuhr das Mädchen fort, »am folgenden Tag erzählt mir meine Mutter dann hundert Sonderbarkeiten . . . Aber du mußt mich nicht mit so bösen Augen ansehen, Ulenspiegel. Gestern sagte sie mir, daß ein schöner Edelmann, grau gekleidet und Hilbert mit Namen, mich heiraten und hierherkommen wolle, um sich mir zu zeigen. Ich antwortete ihr, daß ich keinen Gatten wolle, weder einen häßlichen noch einen schönen. Durch die mütterliche Autorität zwang sie mich, wach zu bleiben und sie zu erwarten, denn sie ist nicht aller Vernunft bar, wenn es sich um ihre Liebesangelegenheiten handelt.
Wir waren halb entkleidet und wollten uns eben niederlegen, ich schlief auf diesem Stuhl da. Als sie eintraten, erwachte ich nicht. Plötzlich fühlte ich, wie jemand mich umarmte und auf den Hals küßte. Und ich sah im Mondlicht ein Gesicht, so weiß wie die Kämme der Meereswogen im Juli, wenn ein Gewitter im Anzug ist, und ich hörte eine tiefe Stimme zu mir sprechen: ›Ich bin Hilbert, dein Gatte, sei die Meine, und ich werde dich reich machen.‹ Das Gesicht dessen, der da sprach, hatte einen Fischgeruch, ich stieß ihn zurück, und er wollte mir Gewalt antun, aber ich hatte die Kraft von zehn solchen Männern. Allerdings zerriß er mir das Hemd und verletzte mich im Gesicht, und immer wiederholte er: ›Sei die Meine, ich werde dich reich machen!‹ ›Ja, wie meine Mutter‹, sagte ich, ›der du die letzten Heller weggenommen hast.‹ Dann verdoppelte er seine Anstrengungen, aber er konnte nichts gegen mich ausrichten.
Als ich ihn dann, häßlich wie eine Leiche, so vor mir sah, fuhr ich ihm so heftig mit den Fingernägeln in die Augen, daß er vor Schmerz aufschrie, während ich entwischen und hierher zu Soetkin kommen konnte.«
Katheline sagte immer wieder: »Nele ist böse. Warum bist du fortgegangen, Hanske, mein Liebling?«
»Wo warst du, schlechte Mutter«, sagte Soetkin, »während man deinem Kind die Ehre rauben wollte?« »Nele ist schlecht«, sagte Katheline. »Ich war bei meinem schwarzen Edelmann, als der graue Teufel mit blutüberströmtem Gesicht zu uns kam und sagte: ›Komm, Junge, das Haus ist schlecht: die Männer wollen einen hier totschlagen, und die Frauen haben Messer an den Fingerspitzen.‹ Dann liefen sie zu ihren Pferden und verschwanden im Nebel. Nele ist böse!«
Am nächsten Tag sagte Soetkin zu Katheline, während sie die warme Milch tranken: »Du siehst, daß mich der Schmerz schon aus dieser Welt jagt, willst du mich durch deine verdammte Zauberei vertreiben?« Aber Katheline sagte nur immer: »Nele ist böse. Komm doch zurück, Hanske, mein Liebling!«
Am nächsten Mittwoch kamen die Teufel zu zweit wieder. Nele schlief seit dem letzten Samstag bei der Witwe van den Houte, der sie sagte, daß sie wegen der Anwesenheit Ulenspiegels, des jungen Burschen, nicht bei Katheline bleiben könnte. Katheline empfing ihren schwarzen Edelmann und seinen Freund in der keet, die als Waschraum und zum Brotbacken diente und an die eigentliche Wohnung angrenzte. Da feierten sie Schmause und Gelage mit altem Wein und geräucherten Ochsenzungen, was alles immer ihrer harrte. Der schwarze Teufel sagte zu Katheline: »Wir brauchen, um ein großes Werk zu tun, eine große Summe Geldes, gib uns, soviel du kannst.«
Katheline wollte ihnen nicht mehr als einen Gulden geben, aber sie drohten ihr, sie zu töten. Doch gaben sie sich mit zwei Goldgulden und sieben Groschen zufrieden. »Kommt nicht mehr am Samstag«, sagte sie ihnen, »denn Ulenspiegel kennt diesen Tag und würde euch mit Waffen erwarten, um euch totzuschlagen, und ich stürbe nach euch.« »Wir werden am nächsten Dienstag kommen«, sagten sie.
An diesem Tage schliefen Nele und Ulenspiegel ohne Furcht vor den Teufeln, denn sie glaubten, daß sie nur samstags kämen. Katheline stand auf und ging in die keet, um nachzusehen, ob ihre Freunde gekommen seien. Sie war sehr ungeduldig, denn seit sie Hanske wiedergesehen hatte, hatte sich ihre Tollheit stark verringert, weil das, sagte man, Liebestollheit war. Da sie sie nicht sah, war sie bekümmert, als sie aber aus der Richtung von Sluys den Seeadler im Felde schreien hörte, ging sie dem Schrei entgegen.
Als sie an der Sohle eines Dammes von Reisigbündeln und Rasen dahinging, hörte sie auf der anderen Seite des Dammes die beiden Teufel schwatzen, der eine sagte: »Ich will die Hälfte.« Der andre antwortete: »Du bekommst nichts, denn es gehört Katheline, das heißt: mir.« Dann stritten sie darüber, wer Kathelines und Neles Liebe zusammen genießen sollte, und stießen wutentbrannt lästerliche Flüche aus.
Starr vor Angst, wagte Katheline weder zu sprechen noch sich von der Stelle zu rühren, gleich darauf hörte sie, wie die beiden aufeinander losschlugen und wie dann einer von ihnen sagte: »Dies Eisen ist kalt!« Dann vernahm sie ein Röcheln und den Sturz eines schweren Körpers. Angsterfüllt ging sie zur Hütte zurück.
Um zwei Uhr nachts hörte sie den Schrei des Seeadlers von neuem, aber diesmal aus ihrem Garten. Sie ging, um zu öffnen, und sah ihren teuflischen Freund allein vor der Tür. Da fragte sie ihn: »Was hast du mit dem anderen gemacht?« »Er wird nicht mehr kommen«, war die Antwort. Dann umarmte und liebkoste er sie. Und ihr schien, als wäre er noch kälter als gewöhnlich. Aber Kathelines Geist war schwach. Als er fortging, bat er sie um zwanzig Gulden, das war alles, was sie hatte, sie gab ihm siebzehn.
Am nächsten Tag trieb sie die Neugier, den Damm entlangzugehen, aber sie sah nichts, außer einem blutigen Flecken Grases, den der Fuß weich fühlte und der von der Größe eines Männersarges war. Aber abends wusch der Regen das Blut fort.
Am nächsten Mittwoch hörte sie wieder den Schrei des Seeadlers aus ihrem Garten.
Jedesmal, wenn Ulenspiegel Katheline die gemeinsamen Ausgaben bezahlen wollte, hob er nachts den Stein von dem Loch, das neben dem Brunnen gegraben war, und nahm einen Karlsgulden heraus.
Eines Abends, während die Frauen beim Spinnrocken saßen, schnitzte Ulenspiegel mit dem Messer ein Schränkchen, das anzufertigen ihn der Vogt beauftragt hatte, und gravierte darauf mit großer Geschicklichkeit eine schöne Jagd mit einer Meute von Hunden, aus Hainaut, Molossern aus Candia, die besonders wild sind, von Brabanter Hunden, die paarweise laufen und Ohrenfresser heißen, und von anderen Hunden, schwerfälligen und Windspielen.
Nele fragte Soetkin in Kathelines Gegenwart, ob sie ihren Schatz gut verwahrt habe. Die Witwe antwortete ganz arglos, daß er nirgends besser aufgehoben sein könnte als neben der Brunnenmauer.
Am Donnerstag wurde Soetkin gegen Mitternacht von Bibulus Schnuffius geweckt, der höchst ärgerlich, aber nicht lange, bellte. Sie hielt das Bellen für falschen Alarm und schlief wieder ein. Als Soetkin und Ulenspiegel Freitag morgen in aller Frühe aufstanden, sahen sie Katheline nicht, wie gewöhnlich, in der Küche, um Feuer zu machen oder die Milch zu kochen. Sie erstaunten und sahen nach, ob sie nicht zufällig im Garten wäre. Dort erblickten sie sie in der Tat, obgleich ein kalter Sprühregen niederging, mit zerzaustem Haar in ihrem durchnäßten Hemd stehend, sie war ganz erstarrt, wagte aber nicht, in die Hütte zu kommen.
Ulenspiegel ging zu ihr und fragte sie: »Was tust du hier im Regen, fast nackt?« »Ach«, sagte sie, »ja, ja, ein großes Wunder!« Und sie zeigte auf den erwürgten Hund, der ganz steif war. Ulenspiegel dachte sofort an den Schatz und lief zum Brunnen. Das Loch war leer und die Erde weithin verstreut. Er sprang auf Katheline zu, schlug sie und fragte: »Wo sind die Karlsgulden?« »Ja, ja, ein großes Wunder!« antwortete sie. Nele verteidigte ihre Mutter und rief: »Gnade und Barmherzigkeit, Ulenspiegel!« Er ließ davon ab, sie zu schlagen, nun erschien Soetkin und fragte, was es denn gäbe. Ulenspiegel zeigte ihr den erwürgten Hund und das leere Loch.
Soetkin erbleichte und sprach: »Du schlägst mich hart, Herrgott! Meine armen Füße!« Das sagte sie wegen der Schmerzen, die sie noch von der Folter her litt und die sie nunmehr vergeblich für die Karlsgulden erduldet hatte. Als Nele Soetkin so ergeben sah, packte sie die Verzweiflung, und sie weinte.
Katheline schwenkte ein Stück Pergament und sagte: »Ja, ein großes Wunder. Diese Nacht ist er gekommen, schön und gut. Er hatte nicht mehr den bleichen Schein im Gesicht, der mir soviel Angst verursachte. Er sprach sehr zärtlich zu mir, und ich war so entzückt, daß mein Herz schmolz. Er sagte zu mir: ›Jetzt bin ich reich und bringe dir bald tausend Goldgulden.‹ ›Ja‹, sagte ich, ›das freut mich für dich noch mehr als für mich, Hanske, mein Liebling.‹ ›Hast du aber hier nicht irgend jemand‹ – sagte er –, ›den du liebst und den ich reich machen könnte?‹ ›Nein‹, antwortete ich, ›die hier sind, brauchen nichts von dir.‹ ›Du bist stolz‹, sagte er, ›Soetkin und Ulenspiegel, sind die denn reich?‹ ›Sie leben ohne Unterstützung durch andere‹, antwortete ich. ›Trotz der Konfiskation?‹ fragte er.
Darauf antwortete ich, daß ihr lieber die Tortur erduldet habt, als daß ihr euch euer Vermögen wegnehmen ließet. ›Das habe ich nicht gewußt‹, sagte er. Leise und höhnisch lachend, begann er, den Vogt und die Schöffen zu verspotten, weil sie euch nicht geständig zu machen wußten. Und ich lachte mit ihm. ›Sie werden doch nicht so dumm gewesen sein, den Schatz in ihrem Hause zu verstecken?‹ sagte er. Ich lachte. ›Noch hier im Keller?‹ ›Gewiß nicht‹, sagte ich. ›Oder im Garten?‹ Ich antwortete nicht. ›Ach! das wäre eine große Unvorsichtigkeit gewesen‹, sagte er. ›Eine kleine‹, sagte ich, ›denn weder das Wasser noch die Mauer werden reden.‹ Und er fuhr fort zu lachen.
Diese Nacht ging er früher fort als gewöhnlich, nachdem er mir ein Pulver gegeben hatte, mit dem ich, wie er sagte, zum schönsten Sabbat gehen könnte. Ich begleitete ihn im Hemd bis an die Gartentür und fiel in tiefen Schlaf. Ich ging, wie er gesagt hatte, zum Sabbat und kam nicht vor Morgengrauen zurück, wo ich mich dann hier fand und den erwürgten Hund und das leere Loch sah. Das ist ein schwerer Schlag für mich, die ich ihn so zärtlich liebte und ihm meine Seele geschenkt habe. Aber alles, was ich habe, ist euer, und ich werde mit Händen und Füßen arbeiten, um euch den Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Ich bin das Korn unter dem Mühlstein. Gott und ein teuflischer Dieb schlagen mich gleichzeitig«, sagte Soetkin.
»Dieb? Sage das nicht«, erwiderte Katheline, »er ist ein Teufel, ein Teufel! Und zum Beweis dessen will ich euch das Pergament zeigen, das er im Hof liegenließ und auf dem geschrieben steht: ›Vergiß niemals, mir zu dienen. In dreimal zwei Wochen und fünf Tagen werde ich dir den Schatz verdoppelt wiedergeben. Nähre keine Zweifel, wenn du nicht sterben willst.‹ Und er wird sein Wort halten, des bin ich sicher.«
»Arme Irre!« sagte Soetkin. Und das war ihr letzter Tadel.
Die zwei Wochen waren dreimal vergangen, und die fünf Tage desgleichen, aber der teuflische Freund kam nicht wieder. Dennoch war Katheline nicht ohne Hoffnung.
Soetkin arbeitete nicht mehr und saß immer gebeugt und hustend am Feuer. Nele brachte ihr die besten und balsamischsten Kräuter, aber es gab kein Heilmittel für sie. Ulenspiegel verließ die Hütte nicht, da er fürchtete, Soetkin könnte sterben, während er außer Hause wäre. In der Folge geschah es, daß die Witwe nicht mehr essen und trinken konnte, ohne zu erbrechen. Der Arzt kam und ließ ihr zur Ader. Nachdem sie Blut verloren hatte, war sie so schwach, daß sie sich nicht mehr von ihrer Bank erheben konnte.
Endlich sagte sie eines Abends, vom Schmerz erschöpft: »Claes, mein Mann! Thyl, mein Sohn! Dank sei Gott, der mich zu sich nimmt!« Dann seufzte sie und starb.
Katheline wagte nicht, bei ihr zu wachen, Ulenspiegel und Nele taten es die ganze Nacht hindurch gemeinsam und beteten für die Tote. Als der Morgen dämmerte, flog eine Schwalbe durch das offene Fenster ins Zimmer, und Nele sagte: »Der Vogel der Seelen, das ist ein gutes Zeichen: Soetkin ist im Himmel!« Die Schwalbe flog dreimal durch das Zimmer und verließ es dann mit einem Schrei. Gleich darauf kam eine zweite Schwalbe ins Zimmer geflogen, die viel größer und dunkler gefärbt war als die erste. Sie umkreiste Ulenspiegel, und er sagte: »Vater und Mutter, die Asche schlägt über meiner Brust, ich werde tun, was ihr verlangt!« Und auch die zweite flog schreiend davon wie die erste.
Das Tageslicht nahm zu, und Ulenspiegel sah Tausende von Schwalben über die Wiesen hinsausen, während die Sonne sich am Himmel erhob.
Und Soetkin wurde auf dem Friedhof der Armen beerdigt.
Seit Soetkins Tod war Ulenspiegel verträumt, bekümmert oder böse; er irrte in der Küche umher und wollte nichts hören, ohne zu wählen, nahm er an Speise und Trank, was man ihm vorsetzte. Des Nachts verließ er oft sein Bett.
Vergebens versuchte Nele mit ihrer sanften Stimme, Hoffnung in ihm wachzurufen, umsonst sagte Katheline, sie wisse, daß Soetkin bei Claes im Paradiese sei. – Ulenspiegel antwortete auf alles: »Die Asche schlägt.« So glich er einem Irren, und Nele weinte, wenn sie ihn in diesem Zustand sah.
Indessen blieb der Fischhändler in seinem Hause einsam wie ein Vatermörder und wagte nur des Abends auszugehen, denn Männer und Frauen höhnten ihn, wenn sie an ihm vorbeigingen, und nannten ihn Mörder, und die kleinen Kinder flohen vor ihm, denn man hatte ihnen gesagt, daß er der Henker sei. Er irrte einsam umher und wagte nicht, in eine der drei Schenken von Damme einzutreten, denn man zeigte mit dem Finger nach ihm, und wenn er eine Minute verweilte, gingen die Gäste fort. Daher kam es, daß ihn die Wirte nicht wiedersehen wollten und die Tür vor ihm zumachten, wenn er sich zeigte. Wenn der Fischhändler ihnen dann unterwürfige Vorstellungen machte, antworteten sie, daß es wohl ihr Recht wäre zu verkaufen, nicht aber ihre Pflicht.
Des Kampfes müde, ging der Fischhändler »In't Roode Valck« (»Zum Roten Falken«) trinken, das war eine kleine Schenke, weit von der Stadt entfernt am Ufer des Kanals von Sluys. Dort bediente man ihn, denn die Wirtsleute waren arm, und jedes Geld, das sie erhielten, war ihnen gut. Aber weder der Wirt vom Roode Valck noch seine Frau sprachen ein Wort. Sie hatten zwei Kinder und einen Hund, wenn der Fischhändler die Kinder liebkosen wollte, nahmen sie Reißaus, und wenn er den Hund rief, wollte der ihn beißen.
Ulenspiegel stand eines Abends auf der Türschwelle, und Mathyssen, der ihn so verträumt sah, sagte zu ihm: »Du mußt deine Hände arbeiten lassen und diesen schmerzlichen Schlag vergessen.« Ulenspiegel antwortete: »Die Asche Claesens schlägt über meiner Brust.« »Ach«, sagte Mathyssen, »der bekümmerte Fischhändler führt ein noch traurigeres Leben als du. Niemand spricht mit ihm, und jedermann meidet ihn, so zwar, daß er zu den armen Bettlern in den Roode Valck muß, um dort einsam seine Kanne Braunbier zu trinken. Das ist eine große Sühne.« »Die Asche schlägt«, wiederholte Ulenspiegel.
Noch am selben Abend, als die Glocke von Notre-Dame die neunte Stunde schlug, ging Ulenspiegel zum Roode Valck, als er sah, daß der Fischhändler nicht dort war, ging er unter den Bäumen, die den Kanal umsäumen, auf und ab. Der Mond schien hell. Nach einer Zeit sah er den Mörder kommen. Als er an ihm vorbeiging, konnte er ihn in der Nähe sehen und hörte ihn ganz laut sprechen, wie das einsam lebende Leute zu tun pflegen, er sagte: »Wo nur diese Karlsgulden versteckt sein mögen?« »Wo der Teufel sie gefunden hat«, antwortete Ulenspiegel und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht. »Ach«, sagte der Fischhändler, »ich erkenne dich, du bist der Sohn. Hab Erbarmen, ich bin alt und kraftlos. Was ich tat, tat ich nicht aus Gehässigkeit, sondern um Seiner Majestät zu dienen. Gewähre mir Verzeihung. Ich werde dir die Möbel zurückgeben, die ich gekauft habe, und du sollst mir keinen Patard dafür zahlen. Ist das nicht genug? Ich habe sie für sieben Goldgulden gekauft. Du wirst alles bekommen und noch einen halben Gulden dazu, denn reich bin ich nicht, das mußt du dir nicht einbilden!« Und er wollte sich vor ihm auf die Knie werfen.
Als Ulenspiegel ihn so häßlich, zitternd und feige sah, warf er ihn in den Kanal. Dann ging er fort.
Auf den Scheiterhaufen rauchte das Fleisch der Opfer, und Ulenspiegel gedachte, einsam weinend, Claesens und Soetkins.
Eines Abends suchte er Katheline auf, um sie zu bitten, daß sie ihm helfe, all das Ungemach der Welt zu lindern und zu rächen. Sie war mit Nele allein, und die beiden plauderten beim Lampenschein. Bei dem Geräusch, das Ulenspiegels Eintreten machte, hob Katheline schwer den Kopf wie eine Frau, die aus tiefem Schlaf erwacht. Er sagte zu ihr: »Die Asche Claesens schlägt über meiner Brust, ich will das Land Flandern erretten. Ich flehe darum zu dem großen Gott des Himmels und der Erde, aber er antwortet mir nicht.« Katheline erwiderte: »Der große Gott kann dich nicht hören, du mußt zuerst mit den Geistern der Elementarwelt sprechen, die, von zweierlei Natur, einer himmlischen und einer irdischen, die Klagen der armen Menschen aufnehmen und den Engeln überbringen, die sie vor den Thron tragen.«
»Hilf mir in meinem Vorhaben«, sagte er, »ich werde dich mit Blut bezahlen, wenn es sein muß.« »Ich werde dir helfen«, sagte Katheline, »wenn ein Mädchen, das dich liebt, dich zum Sabbat der Frühlingsgeister, zum Osterfest der Kraft, mitnimmt.« »Ich nehme ihn mit«, sagte Nele.
Katheline goß eine gräuliche Mixtur in einen kristallenen Humpen und gab sie den beiden zu trinken, dann rieb sie ihnen mit dieser Mixtur die Schläfen, Nasenlöcher, Handflächen und Knöchel ein, gab ihnen eine Messerspitze voll weißen Pulvers zu essen und sagte ihnen, sie sollten ihre Blicke ineinandertauchen, damit ihre zwei Seelen zu einer verflössen. Ulenspiegel sah Nele an, und die süßen Augen dieses Mädchens entzündeten ein großes Feuer in ihm. Dann hatte er, durch die Wirkung der Mixtur, ein Gefühl, als ob ihn Tausende von Krabben zwickten. Darauf legten sie ihre Kleider ab, und sie waren schön anzusehen im Schein der Lampe, er in seiner stolzen Kraft, sie in ihrer lieblichen Anmut, aber sie konnten einander nicht sehen, denn schon waren sie gleichsam entschlummert. Nun beugte Katheline Neles Hals auf Ulenspiegels Arm und legte seine Hand auf das Herz des Mädchens. Und sie blieben nackt beieinander liegen.
Es schien ihnen beiden, als ob ihre Körper sich in einem Feuer berührten, das lieblich war wie die Sonne im Monat der Rosen. Sie erhoben sich – so sagten sie später –, stiegen auf das Fenstersims und schwangen sich von dort in den Raum, dann fühlten sie, wie die Luft sie trug, gleich einem Schiffe, das vom Wasser getragen wird. Dann sahen sie nichts mehr, weder die Erde, auf der die armen Menschen schliefen, noch den Himmel, dessen Wolken bald zu ihren Füßen dahinjagten. Und nun setzten sie den Fuß auf den Sirius, den kalten Stern, von dort wurden sie auf den Pol geschleudert. Da sahen sie, nicht ohne Furcht, einen nackten Riesen, den Riesen Winter, mit fahlem Haar, der, gegen eine Mauer von Eis gelehnt, auf Eisblöcken saß. In den Wasserlachen schwammen Bären und Robben umher und umkreisten ihn, eine heulende Rotte.
Mit rauher Stimme rief er den Hagel, den Schnee, den kalten Regen, die grauen Wolken, die roten stinkenden Nebel und die Winde, von denen der rauhe Nordwind am schärfsten bläst. Und alle seine Hörigen wüteten gleichzeitig an diesem grausigen Ort.
Über dieses Toben lachend, legte sich der Riese auf Blumen, die seine Hand welk gemacht hatte, und auf Blätter, die in seinem Atem verdorrt waren. Dann bückte er sich und wühlte den Boden mit seinen Fingernägeln auf, biß mit seinen Zähnen hinein und grub ein Loch, um nach dem Herzen der Erde zu suchen und es zu verschlingen, auch wollte er schwarze Kohle machen, wo schattige Waldungen standen, Stroh, wo das Getreide blühte, und sandige Einöden, wo fruchtbares Erdreich war. Aber das Herz der Erde ist von Feuer. Er wagte nicht, es zu berühren, und zog sich furchtsam zurück.
So thronte er als König und leerte seinen Pokal voll Öl inmitten seiner Bären und Robben und der Skelette all derer, die er auf dem Meere und in den Hütten der Armen getötet hatte. In heiterer Laune hörte er die Bären brummen, die Robben schreien und die Skelette der Menschen und Tiere unter den Füßen der Geier und Raben klappern, die nach einem letzten Stück Fleisch suchten, und er freute sich an dem Donnern der Eisblöcke, die im trüben Wasser gegeneinanderstießen. Und die Stimme des Riesen klang wie das Brausen der Orkane, wie das Pfeifen der winterlichen Stürme und wie das Heulen der Winde in den Kaminen.
»Mich friert, und ich habe Angst«, sagte Ulenspiegel. »Er vermag nichts gegen Geister«, antwortete Nele.
Plötzlich entstand lebhafte Bewegung unter den Robben, die hastig ins Wasser zurückkehrten, unter den Bären, die angstvoll die Ohren hängen ließen und kläglich brummten, und unter den Raben, die furchtbar krächzten und sich im Gewölk verloren. Und Nele und Ulenspiegel hörten die schweren Schläge eines Beiles gegen die Mauer von Eis, die dem Riesen Winter als Stütze diente. Und die Mauer spaltete sich und wankte in ihren Grundfesten. Aber der Riese Winter hörte nichts, heulte und grölte fröhlich weiter, füllte seinen Pokal immer wieder mit Öl und leerte ihn und suchte das Herz der Erde, um es zu vereisen, wagte aber nicht, es anzufassen.
Indessen erklangen die Schläge noch stärker, die Mauer spaltete sich noch mehr, und der Eisregen hörte nicht auf, rund um ihn niederzufallen. Und die Bären brummten kläglich ohne Unterlaß, und die Robben klagten in den trüben Wassern. Die Wand stürzte ein, und es wurde Tag im Himmel. Ein Mann, nackt und schön, kam herabgestiegen, mit einer Hand stützte er sich auf eine goldene Hacke. Und dieser Mann war Luzifer, der König Frühling. Als der Riese seiner ansichtig wurde, warf er seinen Ölpokal weit fort und bat ihn, er möge ihn nicht töten.
Unter dem warmen Atemhauch des Königs Frühling verlor aber der Riese Winter alle Kraft. Da nahm der König diamantene Ketten und fesselte ihn an den Pol. Dann hielt er an und stieß einen sanften, liebevollen Schrei aus. Und eine blonde Frau, schön und nackt, stieg vom Himmel herab. Sie stellte sich dem König zur Seite und sagte: »Du bist mein Besieger, starker Mann.« Er antwortete: »Wenn du Hunger hast, iß, wenn du Durst hast, trink, wenn du Angst hast, schmiege dich an mich, denn ich bin dein Gemahl.« »Nur nach dir dürstet und hungert mich«, sagte sie.
Der König stieß noch siebenmal schrecklichere Schreie aus, und es entstand ein großes Getöse von Donner und Blitz, und hernach bildete sich ein Thronhimmel von Sonnen und Sternen. Und sie setzten sich auf die Throne.
Nun schrien der König und die Frau, ohne ihre edlen Mienen zu verändern und ohne eine Bewegung zu tun, die ihrer und ihrer erhabenen Majestät unwürdig gewesen wäre. Nach diesem Schreien ging eine wellenförmige Bewegung durch die Erde, durch die harten Steine und die Eisblöcke. Und Nele und Ulenspiegel vernahmen ein Bersten, das klang, als ob gigantische Vögel die Schalen riesengroßer Eier mit Schnabelschlägen zertrümmern wollten. In dieser gewaltigen Bewegung des Grundes, der sich hob und senkte, gleich den Wogen des Meeres, bildeten sich Formen in Eigestalt.
Plötzlich wuchsen überall Bäume auf, ihre Zweige waren ineinander verschlungen, und die Stämme wankten wie trunkene Menschen. Dann zerstreuten sie sich und ließen einen breiten leeren Raum in ihrer Mitte. Dem aufgerührten Grund entstiegen die Genien der Erde, aus der Tiefe der Waldungen kamen die Baumgeister, und aus dem benachbarten Meer tauchten die Wassergenien auf. Ulenspiegel und Nele sahen da die winzigen Schatzwächter, bucklige, dicke, zottige, häßliche und grimassenschneidende Fürsten des Gesteins, Holzmännlein, die wie Bäume leben, indem sie statt eines Mundes und Magens unter dem Kinn ein Bündel von Wurzeln tragen, mit dem sie ihre Nahrung aus dem Schoß der Erde saugen. Die Kaiser der Minen, die nicht sprechen können und sich wie leuchtende Automaten bewegen.
Da gab es Zwerge von Fleisch und Blut, die hatten Eidechsenschwänze und Krötenköpfe und trugen eine Laterne auf dem Kopf, sie sind es, die nachts Betrunkenen und furchtsamen Wanderern auf die Schulter springen und dann, herabhüpfend, ihre Laterne schwingen, um die Ärmsten, die glauben, sie sähen die Kerze in ihrem Hause brennen, in die Moore und Abgründe zu führen. Da waren auch die Blütenmädchen, Blumen voll weiblicher Kraft und Gesundheit, nackt und nicht errötend, stolz auf ihre Schönheit, sie hatten keinen anderen Mantel als ihre Haare. Ihre Augen schimmerten feucht wie das Perlmutter im Wasser, das Fleisch ihres Körpers war fest, weiß und vom Licht übergoldet, aus ihren roten Lippen strömte ein Hauch, balsamischer als Jasminduft. Das sind sie, die des Abends in den Parks und Gärten oder in der Tiefe der Wälder auf schattigen Pfaden umherirren und, von Liebessehnsucht erfüllt, eine Menschenseele suchen, um sich mit ihr zu ergötzen. Sobald ein junger Bursche und ein junges Mädchen an ihnen vorbeigehen, versuchen sie, das Mädchen zu töten, da sie das aber nicht vermögen, hauchen sie dem Schätzchen, das noch Widerstand übt, die Sehnsüchte der Liebe ein, damit es sich dem Geliebten ergebe, denn dann fällt die Hälfte der Küsse für die Blütenmädchen ab.
Ulenspiegel und Nele sahen auch die Schutzgeister der Sterne aus den Himmelshöhen herabsteigen, die Genien der Winde, des Taus und des Regens, in der Gestalt junger Männer, die die Erde befruchteten. Dann tauchten an allen Stellen des Himmels die Vögel der Seelen auf, die lieblichen Schwalben. Als sie ankamen, schien das Licht heller zu werden. Blütenmädchen, Gesteinsfürsten, Minenkaiser und die Geister des Wassers, des Feuers und der Erde riefen gleichzeitig: »Licht! Kraft! Heil dem König Frühling!« Obgleich das Tosen der einstimmigen Rufe gewaltiger war als das des zürnenden Meeres, des donnernden Blitzes und des entfesselten Herbststurmes, so erklang es in Neles und Ulenspiegels Ohren, die regungslos und stumm hinter dem knorrigen Stamm einer Eiche standen, doch als herrliche Musik.
Aber noch größere Angst befiel sie, als sie sahen, wie die Geister auf Sitzen Platz nahmen, die von riesengroßen Spinnen, Kröten und Elefantenrüsseln und miteinander verflochtenen Schlangen gebildet wurden, da waren Krokodile, die auf den Schwänzen aufrecht standen und eine Gruppe von Geistern im Rachen hielten, über dreißig Zwerge und Zwerginnen saßen rittlings auf den sich windenden Schlangen, an die hunderttausend Insekten kamen herangeflogen: größer als Goliath und mit Degen, Lanzen, gezähnten Sensen, siebenzinkigen Gabeln und allen anderen Arten mörderischer Instrumente bewaffnet. Sie bekämpften einander mit großem Getöse, der Starke fraß den Schwachen und erwies so, sich mästend, daß der Tod das Leben zeugt und das Leben den Tod.
Aus dieser Menge wogender, zusammengedrängter und verwirrter Geister erhob sich ein Lärm, wie ihn nur gewaltiger Donner hervorruft oder das gleichzeitige Arbeiten von hundert Webern, Müllern und Schlossern. Plötzlich erschienen die Geister der Kraft, sie waren klein und dick und hatten Lenden von der Ausdehnung des Heidelberger Fasses, Schenkel wie Weinfässer und Muskeln von so außergewöhnlicher Kraft und Stärke, daß man hätte sagen können, ihre Körper wären aus großen und kleinen Eiern gemacht, die durch Gelenke miteinander verbunden und von einer fetten roten Haut überzogen seien, die wie der schüttere Bart und das Haupthaar erglänzten, sie trugen ungeheure Humpen, die mit einer sonderbaren Flüssigkeit angefüllt waren.
Als die Geister sie kommen sahen, ging eine große Bewegung der Freude durch die Menge, die Bäume und alle Pflanzen regten sich, und die Erde spaltete sich, um zu trinken. Und die Geister der Kraft ließen den Wein fließen, alsobald knospete, grünte und blühte es allerorten. Die Gräser waren voll surrender Insekten, und der Himmel war von Vögeln und Schmetterlingen erfüllt. Die Geister gossen immerzu Wein aus, und die Wesen unter ihnen schlürften ihn, wie sie konnten. Die Blütenmädchen öffneten den Mund, oder sie sprangen auf ihre roten Mundschenke und küßten sie, um mehr zu bekommen, andere falteten die Hände, um zu bitten, wieder andere, glücklichere, ließen den Regen auf sich herabströmen. Und alle die Gefräßigen und Durstigen, fliegende, stehende, laufende oder unbewegliche, suchten vom Weine zu bekommen, und bei jedem Tropfen, den sie erhaschen konnten, nahm ihre Lebenskraft zu.
Da gab es weder Alte noch Häßliche noch Schöne, sondern alle waren voll grüner Kraft und lebendiger Jugend. Und sie lachten, schrien und sangen und jagten einander wie Eichhörnchen auf den Bäumen und wie Vögel in der Luft. Und jedes Männchen suchte sein Weibchen, und unter Gottes Himmel taten sie das heilige Werk der Natur.
Die Geister brachten dem König und der Königin einen großen Pokal mit Wein angefüllt, und der König und die Königin tranken und umarmten sich. Dann schüttete der König, während er die Königin umschlungen hielt, die Neige seines Pokals über die Bäume, Blumen und Geister aus und rief: »Heil dem Leben! Heil der freien Luft! Heil der Kraft!« Und alle riefen: »Heil der Natur! Heil der Kraft!« Da nahm Ulenspiegel Nele in seine Arme.
Während sie sich umschlungen hielten, hub ein Tanz an. Ein Tanz, rasend wie sturmgepeitschte Blätter, ein Tanz, in dem alles durcheinanderwirbelte: Bäume, Pflanzen, Insekten, Schmetterlinge, Himmel und Erde, König und Königin, Blütenmädchen, Minenkaiser, Wassergeister, Buckelzwerge, Steinfürsten, Holzmännlein, Laternenträger und Schutzgeister der Sterne, darunter mengten sich die hunderttausend schreckenerregenden Insekten mit ihren Lanzen, gezähnten Hippen und siebenzinkigen Gabeln. Es war ein schwindelerregender Tanz, im Raume kreisend, den er erfüllte und an dem Sonne, Mond, Planeten, Sterne, Wind und Wolken teilnahmen.
Und die Eiche, an die Nele und Ulenspiegel sich geklammert hatten, rollte in den Wirbel, und Ulenspiegel sagte zu Nele: »Liebchen, wir müssen sterben!« Das hörte ein Geist und sah, daß sie Sterbliche waren. »Menschen!« schrie er, »Menschen an diesem Ort!« Und er zerrte sie von dem Baum weg und schleuderte sie in die Menge.
Ulenspiegel und Nele fielen weich auf die Rücken der Geister. Die warfen sich die beiden Menschen gegenseitig zu und riefen: »Gruß den Menschen! Willkommen seien sie, die Erdenwürmer! Wer will den Knaben und wer das Mädchen? Sie kommen, uns zu besuchen, die Armseligen!«
Und Nele und Ulenspiegel riefen, während sie von einem zum andern flogen: »Gnade!«
Aber die Geister hörten sie nicht, und beide purzelten durch den Raum, die Beine nach oben, die Köpfe nach unten, und wirbelten wie Federn im Wintersturm, während die Geister sagten: »Heil den Männlein und Weiblein, die mit uns tanzen!« Die Blütenmädchen wollten Nele von Ulenspiegel trennen, schlugen sie und hätten sie getötet, wenn König Frühling den Tanz nicht durch eine Handbewegung beendet und dann gerufen hätte: »Man bringe mir die beiden Läuse vor Augen!« Und sie wurden voneinander getrennt, und jedes einzelne Blütenmädchen versuchte, Ulenspiegel ihren Rivalinnen zu entreißen, indem sie sagte: »Thyl, wolltest du nicht für mich sterben?« »Ich werde es bald tun«, antwortete Ulenspiegel. Und die Zwerggeister der Wälder, die Nele trugen, sagten: »Warum bist du nicht nur Seele wie wir, daß wir dich besitzen könnten!« Nele antwortete: »Habt Geduld!«
So kamen sie vor den Thron des Königs. Als sie seine goldene Hacke und die eiserne Krone sahen, zitterten sie heftig. Er sprach zu ihnen: »Was hattet ihr hier vor, Elende?« Sie gaben keine Antwort. »Ich kenne dich, Hexenknospe, und auch dich, Köhlersprosse!« fuhr er fort, »da ihr aber kraft des Zauberwerks in diese Werkstatt der Natur eingedrungen seid, warum haltet ihr jetzt den Schnabel wie Kapaune, die mit Körnern vollgefressen sind?«
Nele bebte, als sie den schrecklichen Teufel ansah, aber Ulenspiegel hatte seine männliche Sicherheit wiedergewonnen und antwortete: »Die Asche Claesens schlägt über meinem Herzen. Göttliche Hoheit, der Tod zieht durch die Gefilde von Flandern und mäht die kräftigsten Männer und die lieblichsten Frauen im Namen des Papstes dahin. Die Privilegien sind zerstört, die Verträge vernichtet, der Hunger nagt, und die Weber und Tuchhändler wandern aus, um in die Fremde zu gehen und dort freie Arbeit zu suchen. Bald wird Flandern sterben, wenn man ihm nicht zu Hilfe kommt!
Hoheiten, ich bin nur ein armes, kleines Menschlein, das zur Welt kam wie alle andern, ich habe gelebt, wie ich konnte: unvollkommen, beschränkt, unwissend, tugendlos, unkeusch und unwert menschlicher oder göttlicher Gnade. Doch Soetkin starb an den Folgen der Tortur und an ihrem Kummer, und Claes wurde in einem schrecklichen Feuer verbrannt, ich wollte sie rächen und habe es schon einmal getan. Doch ich wollte auch diesen Boden glücklicher sehen, auf dem ihre Gebeine zerstreut sind, und ich flehte zu Gott um den Tod der Verfolger, aber er erhörte mich nicht. Der Klagen müde, habe ich Euch durch die Macht von Kathelines Zauber beschworen, und nun kommen wir, ich und meine zitternde Genossin, vor Euren Thron, göttliche Hoheit, um Euch zu bitten, daß Ihr dieses arme Land errettet.«
Der Kaiser und seine Gefährten antworteten einstimmig:
»Durch Krieg und durch Feuer,
Durch Tod und durchs Schwert,
Suche die Sieben.
Im Tod und im Blut,
In Trümmern und Tränen,
Finde die Sieben.
Häßliche, Grausame, Böse, Entstellte,
Wahre Geißeln dem armen Lande,
Brenne die Sieben.
Harre, höre und sieh!
Sag, bist du nicht froh, du Armer?
Finde die Sieben.«
Und alle Geister sangen im Chor:
»Im Tod und im Blut,
In Trümmern und Tränen,
Finde die Sieben.
Harre, höre und sieh!
Sag, bist du nicht froh, du Armer?
Finde die Sieben.«
»Aber, Hoheit«, sagte Ulenspiegel, »und ihr, ehrwürdige Geister, ich verstehe nichts von eurer Sprache. Ihr spottet meiner ohne Zweifel.«
Doch ohne ihn anzuhören, sagten sie:
»Wann der Nordwind den Schläfer küßt,
Untergangs Ende ist:
Den Gürtel such und die Sieben.«
Und der Ton ihrer vereinigten Stimmen war von solcher Gewalt und widerhallte mit so furchtbarem Klang, daß die Erde bebte und die Himmelsräume erschauerten. Und alle Vögel schrien vor Angst, die Eulen kreischten, die Sperlinge piepsten, die Seeadler klagten und schlugen erschreckt mit den Flügeln. Die Tiere der Erde, Löwen, Schlangen, Bären, Hirsche, Rehe, Wölfe, Hunde und Katzen brummten, zischten, klagten, heulten, bellten und miauten schrecklich.
Und die Geister sangen:
»Harre, höre und sieh,
Liebe die Sieben
Und den Gürtel.«
Da krähten die Hähne, und alle Geister verschwanden bis auf einen bösen Minenkaiser, der Ulenspiegel und Nele jedes an einem Arm faßte und sie erbarmungslos ins Leere schleuderte.
Sie fanden sich beieinanderliegend wie zum Schlaf und schauerten im kalten Morgenwind. Und Ulenspiegel sah Neles lieblichen Leib vergoldet von der Sonne, die am Himmel aufstieg.