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Durch die in den Pässen ausgesprochene Bewilligung des Königs und des Herzogs durfte er nach freiem Ermessen jede Waffe tragen.
Er nahm seine gute Radarkebuse, Patronen und trockenes Pulver zu sich. Angetan mit einem zerlumpten Mantel, einem zerschlissenen Wams und nach spanischer Mode durchlöcherten Hosen, die Mütze mit der wehenden Feder auf dem Kopf und hoch den Degen schwingend, verließ er die Armee in der Nähe der französischen Grenze und marschierte gegen Maastricht.
Die Zaunkönige, die Vorboten der Kälte, flogen, um Obdach bittend, rund um die Häuser herum. Es schneite seit drei Tagen. Mehrmals mußte Ulenspiegel unterwegs seinen Paß zeigen. Man ließ ihn passieren, und er wanderte nach Lüttich.
Er kam in eine weite Ebene, ein heftiger Wind wirbelte ihm die Flocken ins Gesicht. Er sah die weiße Ebene vor sich, über die der Sturm und Schnee jagte. Drei Wölfe folgten ihm; als er aber einen mit seiner Arkebuse niedergestreckt hatte, stürzten sich die andern auf den Verwundeten und flohen, jeder ein Stück vom Fleisch des Kadavers im Maul, in den Wald. Also befreit, hielt Ulenspiegel Ausschau, ob es in der Ebene nicht noch andere Rudel gäbe, und entdeckte am Rande des Horizontes Punkte wie graue Gestalten, die sich zwischen den Schneewirbeln hin und her bewegten, und hinter den grauen Gestalten berittene Soldaten. Er kletterte auf einen Baum und hörte klagende Töne, die ihm der Wind aus der Ferne zutrug. »Das sind vielleicht«, sagte er sich, »weiß gekleidete Pilger, denn ich kann ihre Gestalten nur mit Mühe vom Schnee unterscheiden.« Dann erkannte er eine Anzahl nackter Menschen und zwei Reiter, die auf großen, schwarz gezäumten Pferden saßen und diesen erbarmenswerten Trupp mit heftigen Peitschenschlägen vor sich her trieben. Unter diesen traurigen, nackten Gestalten sah er junge Männer und Greise, die zähneklappernd, starr vor Kälte und tief gebückt, dahinliefen, um den Peitschen der zwei Soldaten zu entgehen, die sich, gut gekleidet, rot von Branntwein und gutem Essen, ein Vergnügen daraus machten, die nackten Leiber der Männer zu peitschen, um ihren Lauf zu beschleunigen.
Ulenspiegel sagte zu sich: »Ich werde dich rächen, Asche Claesens!« Und er schickte dem einen der Reiter eine Kugel ins Gesicht; er stürzte tot vom Pferd. Der andere, der nicht wußte, woher diese unvorhergesehene Kugel kam, ward von Angst ergriffen. In der Meinung, daß es da im Wald versteckte Feinde gäbe, wollte er mit dem Pferd seines Kameraden die Flucht ergreifen. Während er die Zügel faßte und aus dem Sattel stieg, um den Toten zu durchsuchen, traf eine zweite Kugel ihn in den Hals, und er stürzte gleichfalls zu Boden.
Die nackten Männer, die glaubten, daß dieser gute Arkebusier ein Engel wäre, der vom Himmel gekommen sei, um sie zu verteidigen, sanken auf die Knie. Ulenspiegel stieg nun von seinem Baum herab und wurde von den Leuten des Trupps, die wie er dem Prinzen gedient hatten, wiedererkannt, sie sagten zu ihm: »Ulenspiegel, wir sind in diesem jämmerlichen Zustand von Frankreich nach Maastricht geschickt worden, wo der Herzog ist; dort sollten wir als gefangene Rebellen behandelt werden, konnten aber kein Lösegeld bezahlen und wurden deshalb verurteilt, gefoltert und enthauptet zu werden oder wie Gauner und Diebe auf den Galeeren des Königs zu rudern.«
Ulenspiegel gab dem Ältesten des Trupps seinen Überrock und sagte: »Kommt, ich werde euch nach Mézières führen, aber vorerst müssen diese beiden Soldaten entkleidet und die Pferde eingefangen werden.« Die Wämser, Hosen, Stiefel, Mützen und Panzer der zwei Soldaten wurden unter die Schwächsten und Kränksten verteilt, und Ulenspiegel sagte: »Wir gehen in den Wald, wo die Luft milder und wärmer ist; laufen wir, Brüder!«
Plötzlich fiel einer der Männer hin und sagte: »Mich hungert und friert, ich will vor Gott hintreten und bezeugen, daß der Papst der Antichrist auf Erden ist.« Und er starb. Die anderen nahmen ihn mit, um ihn christlich zu begraben.
Während sie auf der Landstraße dahinzogen, bemerkten sie einen Bauern, der hinter seinem mit einer Plane bedeckten Karren einherging. Als er die nackten Männer sah, faßte ihn Mitleid, und er ließ sie in den Karren steigen. Dort fanden sie Heu, um sich darauf auszustrecken, und einen leeren Sack, mit dem sie sich zudeckten. Sie erwärmten sich und dankten Gott. Ulenspiegel ritt auf einem der Pferde neben dem Karren und führte das andre am Zügel.
In Mézières stiegen sie aus dem Karren; man gab ihnen da eine gute Suppe, Bier, Brot und Käse und den Greisen und Frauen auch Fleisch. Sie wurden auf Kosten der Gemeinde beherbergt, gekleidet und neu bewaffnet. Und alle schlossen Ulenspiegel mit Segensprüchen in die Arme, was er sich freudig gefallen ließ. Die Pferde der beiden Reiter verkaufte er um achtundvierzig Gulden, wovon er dreißig den Franzosen gab.
Während er allein weiterging, sagte er zu sich: »Ich gehe durch Verwüstung, Blut und Tränen, ohne etwas zu finden. Ohne Zweifel haben die Teufel mich belogen. Wo ist Lamme, wo ist Nele, wo sind die Sieben?« Und wieder schlug die Asche Claesens über seiner Brust.
Dann hörte er eine Stimme, leise wie ein Hauch, sagen: »In Tod, Verwüstung und Tränen suche.«
Und er setzte seine Wanderung fort.
Im März kam Ulenspiegel in Namur an. Da sah er Lamme, der eine tiefe Liebe zu den Fischen der Maas, insbesondere zu den Forellen, gefaßt hatte und auf einem gemieteten Kahn mit Erlaubnis der Gemeinde im Fluß fischte. Doch hatte er an die Genossenschaft der Fischhändler fünfzig Gulden bezahlt. Was er von seinen Fischen nicht aß, verkaufte er, und er legte sich bei diesem Beruf einen dickeren Wanst und einen kleinen Sack voll Karlsgulden zu.
Als er seinen Freund und Kameraden Ulenspiegel am Ufer der Maas auf die Stadt zukommen sah, legte er seinen Kahn an, kletterte prustend die Uferböschung hinauf und ging Ulenspiegel entgegen. Stammelnd vor Freude sagte er: »Da bist du also, mein Sohn, Sohn in Gott, mein Bauchgewölbe könnte zwei von deiner Art tragen.
Wohin gehst du? Was hast du vor? Du bist also nicht tot? Hast du meine Frau gesehen? Du wirst Maasfische essen, die besten, die es auf dieser schlechten Welt gibt, hierzulande werden Soßen gemacht, daß man seine Finger bis zur Schulter hinauf aufessen möchte. Du bist stolz und erhaben, weil deine Wangen im Sonnenbrand der Schlachtfelder gebräunt sind. Du bist also da, mein Sohn, mein Freund Ulenspiegel, du lustiger Vagabund!«
Dann fragte er leise: »Wieviel Spanier hast du getötet? Hast du in ihren Karren voll Huren nicht meine Frau gesehen? Du wirst vom Maaswein trinken, der den Verstopften so köstliche Dienste leistet. Bist du verwundet, mein Sohn? Nun bleibst du hier, frisch, munter und fröhlich wie ein junger Adler. Und die Aale, die wirst du dir munden lassen. Sie haben keinen sumpfigen Geschmack. Küsse mich, mein Dickwanst! Gott sei Dank für mein Glück!«
Und Lamme tanzte, sprang und schnaufte und zwang auch Ulenspiegel zu tanzen.
Dann gingen sie nach Namur. Am Stadttor zeigte Ulenspiegel seinen vom Herzog unterschriebenen Paß vor, und Lamme führte ihn in sein Haus. Während er das Mahl zubereitete, ließ er ihn seine Abenteuer erzählen und berichtete auch von denen, die er selbst erlebt hatte, nachdem er, wie er sagte, die Armee verlassen hatte, um einem Mädchen zu folgen, das er für seine Frau gehalten hatte. Bei dieser Verfolgung sei er bis Namur gekommen. Und immer wiederholte er: »Hast du sie nicht gesehen?«
»Ich habe andere sehr schöne Mädchen gesehen«, antwortete Ulenspiegel, »insbesondere in dieser Stadt, wo sie alle liebesfreudig sind.« »In der Tat«, sagte Lamme, »man hat mich hundertmal haben wollen, aber ich habe in Treue widerstanden, denn mein wundes Herz ist schwer von der einen Erinnerung.« »Wie dein Wanst von ungezählten Gerichten«, sagte Ulenspiegel. Lamme sagte: »Wenn ich bekümmert bin, muß ich essen.« »Dein Kummer ist nicht zu lindern?« fragte Ulenspiegel. »Ach ja«, sagte Lamme und zog eine Forelle aus einem Bottich, »sieh, die ist schön und fest, und ihr Fleisch ist rosig wie das meiner Frau. Morgen werden wir Namur verlassen, ich habe ein Beutelchen voll Gulden, da werden wir uns jeder einen Esel kaufen und gen Flandern traben.« »Dadurch wirst du aber viel verlieren«, sagte Ulenspiegel. »Mein Herz zieht mich nach Damme«, erwiderte Lamme, »nach dem Ort, an dem sie mich so sehr geliebt hat, vielleicht ist sie dorthin zurückgekehrt.« »Wir werden morgen aufbrechen, da du es so willst.«
Und in der Tat verließen sie am nächsten Tag, auf Eseln nebeneinander reitend, Namur.
Es wehte ein scharfer Wind, die Sonne, die am Morgen in jugendlicher Frische gestrahlt hatte, wurde grau wie ein Greis, und ein kühler Sprühregen ging nieder, der nicht enden zu wollen schien. Ulenspiegel schüttelte sich und sagte: »Der Himmel, der soviel Dünste trinkt, muß sich hin und wieder erleichtern.«
Nun wurde der Regen, der auf die beiden Kameraden herabstürzte, noch dichter, und Lamme seufzte: »Wir wurden ja schon gut gewaschen, müssen wir jetzt auch noch abgespült werden?« Die Sonne tauchte wieder auf, und die beiden ritten munter dahin. Auf einmal ging noch ein Regenguß nieder, der noch dichter und gewaltiger war, so daß er die trockenen Äste der Bäume wie ein Regen von Messern abschlug. Lamme sagte: »O weh! meine arme Frau! wo bist du, gutes Feuer, wo seid ihr, süße Küsse und fette Suppen?« und er weinte, der dicke Mann.
Aber Ulenspiegel sagte: »Warum klagen wir, da wir all diese Leiden doch selbst heraufbeschworen haben? Es regnet auf unsere Schultern, aber aus diesem Regen im Dezember wird im Mai der Klee, und die Rinder werden vor Freude brüllen. Wir sind ohne Obdach, aber warum heiraten wir nicht? Ich für meine Person wollte es der kleinen Nele sagen, die mir jetzt ein köstliches Schmorfleisch bereiten würde. Trotz des Wassers, das vom Himmel niederstürzt, sind wir durstig, warum sind wir aber auch nicht Handwerker geworden, die bei ihrem Beruf bleiben? Die es zum Meister gebracht haben, haben in ihren Kellern Tonnen voll Bruinbier.«
Die Asche Claesens schlug an seinem Herzen, der Himmel hellte sich auf, die Sonne schien, und Ulenspiegel sagte: »Frau Sonne, dank sei dir, daß du uns die Brust erwärmest, Asche Claesens, du erwärmst mir das Herz und flüsterst mir zu, daß die gesegnet sind, die für die Befreiung des Landes unserer Väter ausgezogen sind!«
»Ich habe Hunger«, sagte Lamme.
Sie betraten eine Herberge, wo man ihnen in einem großen Saal zu essen gab.
Ulenspiegel öffnete die Fenster und sah da einen Garten, in dem ein freundliches Mädchen spazierenging, das eine liebliche Haut, runde Brüste und goldblondes Haar hatte; ihre Kleidung bestand nur aus einem Rock, einem Jäckchen aus weißem Leinen und aus einer schwarzen zerlöcherten Schürze.
Auf Stricken waren Hemden und andere Frauenwäsche zum Bleichen aufgehängt. Das Mädchen wandte sich zu Ulenspiegel um, nahm die Hemden von den Stricken und hängte sie wieder auf; sie sah ihn lächelnd an, setzte sich auf die Wäscheleinen und schaukelte sich an den zusammengeknüpften Enden.
In der Nachbarschaft hörte Ulenspiegel einen Hahn krähen und sah eine Amme, die mit einem Kind spielte, sie wandte dem Kind das Köpfchen einem Manne zu, der danebenstand, und sagte: »Boelkin, richte deine kleinen Augen doch auf Papa.« Das Kind weinte, und das liebliche Mädchen fuhr fort, im Garten auf und ab zu gehen und die Wäsche abzunehmen und wieder aufzuhängen.
»Das ist eine Spionin«, sagte Lamme.
Das Mädchen legte die Hände über die Augen und sah Ulenspiegel durch die Finger hindurch lächelnd an. Dann legte sie die Hände über ihre Brüste, hob und senkte sie und schaukelte sich von neuem, ohne daß ihre Füße den Boden berührten.
Die Wäsche verhaspelte sich, und das Mädchen mußte sich wie ein Kreisel drehen, um sie wieder in Ordnung zu bringen. Dabei sah Ulenspiegel im bleichen Sonnenlicht ihre nackten, runden Arme bis zu den weißen Schultern hinauf. Während sie sich so drehte, sah sie ihn immerzu an und lächelte. Er verließ das Haus, um zu ihr zu gehen, und Lamme folgte ihm. An der Hecke des Gartens suchte er nach einer Öffnung, um durchzuschlüpfen, fand aber keine. Als das Mädchen diese listigen Vorbereitungen merkte, lächelte sie ihm von neuem zwischen ihren Fingern hindurch zu.
Ulenspiegel bemühte sich, durch die Hecke durchzudringen, doch Lamme hielt ihn zurück und sagte: »Geh nicht zu ihr, sie ist eine Spionin, wir werden verbrannt werden!« Das Mädchen promenierte weiter im Garten, bedeckte ihr Gesicht mit der Schürze und hielt durch die Löcher hindurch Ausschau, ob ihr Freund von des Zufalls Gnaden nicht bald käme.
Ulenspiegel nahm einen Anlauf, um über die Hecke zu springen, wurde aber von Lamme zurückgehalten, der ihn am Bein faßte und zu Fall brachte. »Strick, Schwert und Galgen«, sagte er, »sie ist eine Spionin, geh nicht zu ihr!« Ulenspiegel saß am Boden und sträubte sich gegen Lamme. Das Mädchen streckte den Kopf über die Hecke und rief: »Gott befohlen, daß Amor Euch nicht im Stich lasse, Eure Langweiligkeit!« Und er hörte ein schallendes Spottgelächter.
»Ach!« sagte er, »das sticht mich in die Ohren wie ein Bündel Stecknadeln!« Dann wurde eine Tür lärmend zugeschlagen, und Ulenspiegel versank in Melancholie.
Lamme, der ihn noch immer festhielt, sagte zu ihm: »Du vergegenwärtigst dir die süßen Schätze der Schönheit, die nun zu deiner Schande für dich verloren sind. Das ist eine Spionin. Wenn du fällst, so fällst du tief. Ich platze noch vor Lachen.«
Ulenspiegel sagte kein Wort, und beide bestiegen wieder ihre Esel.
So zogen sie dahin auf ihren Eseln und ließen die Beine zu beiden Seiten herunterhängen. Lamme kaute seine letzte Mahlzeit wieder und sog fröhlich die frische Luft ein.
Plötzlich versetzte ihm Ulenspiegel einen Peitschenhieb aufs Gesäß, das sich schön und rund vom Sattel abhob. »Was machst du da?« schrie Lamme kläglich. »Was denn?« fragte Ulenspiegel. »Was sollte dieser Peitschenschlag?« fragte Lamme. »Welcher Peitschenschlag?« »Der, den ich von dir bekommen habe«, erwiderte Lamme. »Auf die linke Seite?« fragte Ulenspiegel. »Ja, auf die linke Seite meines Gesäßes. Warum tust du das, du schändlicher Taugenichts?« »Aus Unwissenheit«, antwortete Ulenspiegel, »ich weiß sehr gut, was eine Peitsche ist, und ich weiß ebensogut, was ein Gesäß auf der schmalen Fläche eines Sattels ist. Als ich es nun so breit, aufgedunsen, gespannt und den Sattel überquellend sah, sagte ich mir: Wenn man es mit dem Finger nicht kneifen kann, so wird es ein Streich mit dem Peitschenende noch viel weniger kneifen können. Ich habe mich aber geirrt.«
Lamme lachte über diese Rede, und Ulenspiegel fuhr gleicherweise fort: »Aber ich bin nicht der einzige auf dieser Welt, der aus Unwissenheit sündigt, und es gibt mehr als einen Meister der Dummheit, der sein Fett auf dem Sattel eines Esels zur Schau stellt und der mich übertreffen könnte, wenn sich meine Peitsche an deinem Gesäß versündigt hat, so hast du dich noch viel schwerer an meinen Beinen versündigt, indem du mich verhindertest, dem Mädchen nachzulaufen, das mir aus seinem Garten zublinzelte.«
»Rabenbraten!« sagte Lamme, »das war also eine Rache?«
»Eine ganz kleine«, antwortete Ulenspiegel.
Die bekümmerte Nele lebte einsam in Damme mit Katheline, die nach dem geliebten kalten Teufel rief, der aber nicht kommen wollte. »Ach!« sagte sie, »du bist reich, Hanske, mein Liebling, und könntest mir die siebenhundert Karlsgulden wiederbringen, dann käme Soetkin lebend auf die Erde zurück, und Claes lachte im Himmel; du könntest es wohl tun. – Nehmt das Feuer weg, die Seele will entfliehn, macht ein Loch, die Seele will entfliehen!« Und sie zeigte immer mit dem Finger auf die Stelle, an der die Perücke gebrannt hatte.
Katheline war sehr arm, aber Nachbarn halfen ihr, ihren Mitteln entsprechend, mit Bohnen, Brot und Fleisch aus, und die Gemeinde gab ihr etwas Geld. Nele nähte Kleider für die reichen Bürgersfrauen und ging zu ihnen, um ihnen die Wäsche zu plätten; so verdiente sie einen Gulden in der Woche.
Und Katheline sagte immerzu: »Machet ein Loch, nehmt mir meine Seele! Sie klopft, weil sie hinaus will. Er wird die siebenhundert Karlsgulden wiederbringen!«
Und Nele weinte, wenn sie das hörte.
Indessen betraten Ulenspiegel und Lamme, mit ihren Pässen ausgestattet, eine kleine Herberge, die an die Uferfelsen der Sambre gelehnt war, deren Kuppen an einzelnen Stellen bewachsen waren. Auf dem Schild stand geschrieben: Chez Marlaire.
Nachdem sie manche Flasche Maaswein getrunken und eine hübsche Anzahl Fische gegessen hatten, plauderten sie mit dem Wirt, einem Papisten von höchster Vollendung, der durch den Wein, den er getrunken hatte, schwatzhaft geworden war wie eine Elster und ohne Unterlaß schalkhaft mit den Augen blinzelte, Ulenspiegel witterte hinter dem Blinzeln etwas Absonderliches und ließ den Wirt noch so viel trinken, daß er zu tanzen begann, in schallendes Gelächter ausbrach und sich mit folgenden Worten an den Tisch setzte: »Gute Katholiken, ich trinke euch zu.« »Wir trinken auch dir zu«, antworteten Lamme und Ulenspiegel. »Auf das Erlöschen aller Rebellen- und Ketzerpest!« »Darauf trinken wir«, sagten Lamme und Ulenspiegel und füllten den Becher des Wirts, der ihn nie voll sehen wollte, immer von neuem.
»Ihr seid Biedermänner«, sagte er, »ich trinke auf eure Großmütigkeit, denn ich verdiene an dem getrunkenen Wein. – Wo sind eure Pässe!« »Hier sind sie«, antwortete Ulenspiegel. »Vom Herzog unterzeichnet«, sagte der Wirt, »ich trinke auf den Herzog!« »Wir trinken auf das Wohl des Herzogs«, erwiderten Lamme und Ulenspiegel.
Der Wirt setzte seine Rede fort: »Worin fängt man Ratten, Mäuse und Maulwürfe? In Rattenfallen, Mausefallen und Maulwurfsfallen. Wer ist der Maulwurf? Das ist der große Ketzer, dessen Name allein schon brennt wie das Höllenfeuer: Oranien. Gott ist mit uns! Sie werden uns in die Fallen gehen. Heda! Zu trinken! Gieße ein, ich glühe, ich brenne. Zu trinken! Drei schöne kleine Reformiertenprädikanten . . . Ich sagte kleine . . . schöne, kleine, tapfere, starke Soldaten wie aus Eichenholz . . . Zu trinken! Geht ihr nicht mit ihnen ins Lager des großen Ketzers? Ich habe von ihm unterschriebene Pässe! . . . Ihr werdet sie am Werk sehen.«
»Wir gehen ins Lager«, sagte Ulenspiegel.
»Sie werden's schon gut machen«, sagte der Wirt, »des Nachts, wenn sich die Gelegenheit bietet, da wird Stahlwind die Amsel Nassau am Weitersingen verhindern.« – Bei diesen Worten ahmte er pfeifend die Geste eines Mannes nach, der einen anderen erwürgt. – »Zu trinken, holla! zu trinken!« »Du bist lustig, obgleich du verheiratet bist«, sagte Ulenspiegel. Der Wirt entgegnete: »Ich bin es nicht und war es nie. Ich bewahre die Geheimnisse der Fürsten! – Zu trinken! – Meine Frau würde sie mir unter dem Kopfkissen hervorstehlen, um mich an den Galgen zu bringen und früher Witwe zu sein, als die Natur will. Gott sei gelobt, sie werden uns in die Falle gehen . . . Wo sind die neuen Pässe? An meinem christlichen Herzen. Trinken wir! Sie sind da, da, dreihundert Schritte von hier, auf der Straße bei Marche-les-Dames. Seht ihr sie? Laßt uns trinken!«
»Trink!« sagte Ulenspiegel, »trink! Ich trinke auf den König, den Herzog, die Prädikanten und auf Stahlwind, ich trinke auf dich, auf mich, auf den Wein und auf die Flasche! Aber du trinkst nicht.« Und bei jedem »Prost« füllte Ulenspiegel dem Wirt das Glas, das der leerte. Ulenspiegel beobachtete ihn eine Zeitlang, erhob sich dann und sagte: »Er schläft, machen wir uns auf, Lamme.«
Als sie die Herberge verlassen hatten, sagte er: »Er hat keine Frau, die uns verrät . . . Die Nacht bricht herein . . . Du hast doch wohl verstanden, was dieser Taugenichts gesagt hat, und weißt doch, wer die drei Prädikanten sind?« »Ja«, sagte Lamme. »Dann weißt du auch, daß sie von Marche-les-Dames die Maas entlangkommen und daß wir gut daran tun werden, sie auf dem Weg zu erwarten, noch ehe Stahlwind pfeift.« »Ja«, sagte Lamme. »Wir müssen dem Fürsten das Leben retten«, sagte Ulenspiegel. »Ja«, sagte Lamme. »Da, nimm meine Arkebuse«, sagte Ulenspiegel, »zieh dich in das Gebüsch zwischen den Felsen zurück, lade zwei Kugeln und schieße, wenn ich wie ein Rabe krächze.« »Ich will es tun«, sagte Lamme und verschwand im Gebüsch, bald darauf hörte Ulenspiegel das Knacken des Rades der Arkebuse.
»Siehst du sie kommen?« fragte er. »Ich sehe sie«, sagte Lamme, »es sind drei, die wie Soldaten marschieren, einer überragt die anderen um Kopfeslänge.« Ulenspiegel setzte sich auf den Wegrand, klemmte seine Kappe zwischen die Knie und murmelte nach Art der Bettler seine Gebete mit einem Rosenkranz. Als die drei Prädikanten vorbeikamen, hielt er ihnen seine Mütze entgegen, aber sie warfen ihm nichts hinein. Da erhob sich Ulenspiegel und sagte mit kläglicher Stimme: »Meine guten Herren, verweigert einem armen Steinhauer, der die Lenden brach, als er unlängst in eine Mine stürzte, nicht einen Patard. Die Leute dieses Landes sind hart und wollten mir nichts geben, um mein trauriges Mißgeschick zu mildern. Ach, gebt mir einen Patard, und ich werde für euch beten, und Gott wird euch euer Leben lang Freuden gewähren, Eure Herrlichkeiten!«
»Mein Sohn«, sagte der eine der Prädikanten, ein stämmiger Mann, »auf dieser Welt gibt es für uns keine Freuden, solange der Papst und die Inquisition herrschen.« Ulenspiegel seufzte gleichfalls und sagte: »Ach! Was sagt ihr da, meine edlen Herren? Sprecht leise, Euer Gnaden, wenn's beliebt. Aber gebt mir einen Patard!« »Mein Sohn«, sagte ein kleiner Prädikant mit einer kriegerischen Fratze, »wir armen Märtyrer haben nur so viele Patards, wie wir brauchen, um uns unterwegs zu ernähren.« Ulenspiegel warf sich auf die Knie und sagte: »Segnet mich!« Die drei Prädikanten streckten die Hände ganz ohne Ehrfurcht über Ulenspiegels Kopf aus. Er bemerkte, daß sie mager waren und dennoch mächtige Wänste hatten, er erhob sich, tat so, als ob er stürze, und schlug mit der Stirn auf den Wanst des hochgewachsenen Prädikanten, da hörte er das fröhliche Geklimper von Münzen.
Dann richtete er sich wieder auf, zog sein Kurzschwert und sagte: »Meine Väter! Mir ist kühl, ich habe nur wenig anzuziehen, ihr habt zuviel. Gebt mir etwas von eurer Wolle, damit ich mir einen Mantel daraus schneidern kann. Ich bin Geuse. Heil den Geusen!« Der große Prädikant antwortete: »Du Geusenhahn, du trägst den Kamm zu hoch, wir wollen ihn dir abschneiden!« »Abschneiden!« sagte Ulenspiegel, indem er zurücksprang, »aber Stahlwind wird für euch früher pfeifen als für den Fürsten. Geuse bin ich, es leben die Geusen!«
Die drei Prädikanten sagten bestürzt zueinander: »Woher weiß er das? Wir sind verraten! Töten wir ihn! Es lebe die Messe!« Und sie zogen aus dem Futter ihrer Hosen gute, wohlgeschliffene Kurzschwerter heraus. Aber Ulenspiegel wartete nicht auf sie, sondern sprang nach der Seite des Gestrüpps zurück, in dem sich Lamme verborgen hielt. Als er meinte, daß die Prädikanten in Schußweite seien, rief er: »Raben, schwarze Raben, Bleiwind will pfeifen. Ich singe euch, daß ihr zerschmettert werdet!« Und er krächzte.
Ein Schuß aus der Arkebuse, der aus dem Gestrüpp kam, ließ den größten der Prädikanten mit dem Gesicht vorn zur Erde stürzen; ein zweiter Schuß folgte dem ersten und streckte einen anderen der drei Prädikanten auf die Straße. Und Ulenspiegel sah zwischen den Zweigen des Gestrüpps das gute Vollmondgesicht Lammes und seinen erhobenen Arm, mit dem er die Arkebuse hastig wieder lud. Ein blauer Rauch stieg über dem schwarzen Gestrüpp auf.
Der dritte Prädikant strengte sich in grimmigstem Zorn an, Ulenspiegel den Kopf abzuschlagen. Der aber sagte: »Stahlwind oder Bleiwind, du wirst in dieser Welt verenden, um in eine andre einzugehen, du niederträchtiger Handlanger der Mörder!« Und er griff ihn an und verteidigte sich tapfer. Und sie standen Angesicht gegen Angesicht gereckt auf dem Weg und teilten Streiche aus und empfingen welche.
Ulenspiegel war blutüberströmt, denn sein Gegner, ein gewandter Soldat, hatte ihn am Kopf und an einem Bein verwundet. Aber er kämpfte und verteidigte sich wie ein Löwe. Das Blut, das ihm vom Kopf rann, blendete ihn; er sprang in großen Sätzen auf den Gegner los und wischte sich das Blut mit der Linken ab. Doch er fühlte sich schwächer werden und wäre getötet worden, wenn Lamme nicht auf den Prädikanten geschossen und ihn zu Fall gebracht hätte.
Und Ulenspiegel sah ihn Blut und Todesschaum ausspeien und hörte ihn fluchen. Und über dem dunklen Gestrüpp, in dem sich Lammes gutes Mondgesicht wieder zeigte, stieg der blaue Rauch auf.
»Ist das zu Ende?« fragte er. »Ja, mein Sohn«, antwortete Ulenspiegel, »aber komm . . .«
Lamme verließ sein Versteck und sah, daß Ulenspiegel über und über mit Blut bedeckt war. Trotz seinem Wanst lief er wie ein Hirsch auf Ulenspiegel zu und setzte sich neben die getöteten Prädikanten auf die Erde. »Er ist verwundet«, sagte er, »mein süßer Freund, verwundet von diesem mörderischen Tunichtgut.« Und durch einen Tritt mit dem Schuhabsatz brach er dem zunächstliegenden Prädikanten die Zähne.
»Antwortest du nicht, Ulenspiegel? Willst du sterben, mein Sohn? Wo ist denn dieser Balsam? Ha, auf dem Boden seiner Speisentasche, unter den Würsten. Ulenspiegel, hörst du mich nicht? Ach, ich habe kein warmes Wasser, um deine Wunde zu waschen, noch eine Möglichkeit, es zu bekommen. Aber das Wasser der Sambre wird auch hinreichen. Sprich zu mir, mein Freund! Immerhin bist du nicht allzu schwer verwundet. Ein bißchen Wasser, da, das ist angenehm kühl, nicht wahr? Er erwacht! Das bin ich, mein Sohn, dein Freund! Sie sind alle tot! Leinwand! Leinwand, um seine Wunden zu verbinden! Es ist keine da. Also mein Hemd her.«
Er zog sich aus und fuhr in seiner Rede fort: »In Stücke mit dem Hemd! Das Blut hört auf zu fließen! Mein Freund wird nicht sterben. Ha! Das macht den nackten Rücken kalt, bei dieser rauhen Luft! Kleiden wir uns wieder an. Er wird nicht sterben. Ich bin's, Ulenspiegel, ich, dein Freund Lamme. Er lächelt. Ich werde die Mörder ausziehen. Sie haben Wänste aus Gulden. Goldene Gedärme aus Karlsgulden, Cruzados, Talern, Patards und Briefen! Wir sind reich. Mehr als dreihundert Karlsgulden, die wir teilen. Wir nehmen die Waffen und das Geld. Stahlwind wird unserem Herrn nicht mehr pfeifen.«
Ulenspiegel erhob sich mit vor Kälte klappernden Zähnen. »Da stehst du ja!« sagte Lamme. »Die Kraft des Balsams«, sagte Ulenspiegel.
Dann hoben sie die Leichen der drei Prädikanten eine nach der andern auf und warfen sie in ein Loch zwischen den Felsen, sie ließen ihnen die Waffen und die Kleider, ausgenommen die Mäntel. Und die Raben, die ihrer Mahlzeit harrten, umkreisten sie krächzend am Himmel. Die Sambre floß unter dem grauen Himmel wie ein Fluß von Stahl dahin. Schnee fiel und wusch das Blut ab. Dennoch waren sie betrübt, und Lamme sagte: »Ich töte lieber ein Huhn als einen Menschen.« Dann bestiegen sie wieder ihre Esel.
Als sie vor die Tore von Huy kamen, blutete Ulenspiegel noch immer; sie taten so, als wären sie in Streit geraten, stiegen von ihren Eseln und fochten mit ihren Kurzschwertern in anscheinend grimmigem Zorn; nachdem sie den Kampf beendet hatten, stiegen sie wieder in ihre Sättel und ritten, nachdem sie am Stadttor ihre Pässe vorgezeigt hatten, in Huy ein.
Als die Frauen Ulenspiegel verwundet und blutig sahen, während Lamme auf seinem Esel den Sieger mimte, warfen sie Ulenspiegel Blicke voll zärtlichen Mitleids zu, zeigten Lamme die Fäuste und sagten: »Der ist ein Nichtsnutz, der seinen Freund verwundet hat.«
Lamme war beunruhigt und suchte nur, ob er unter ihnen nicht seine Frau fände. Er suchte vergebens und versank in Traurigkeit.
»Wohin gehen wir?« fragte Lamme. »Nach Maastricht«, antwortete Ulenspiegel. »Aber, mein Sohn, man sagt, daß die Armee des Herzogs rund um die Stadt gelagert ist und daß er sich selbst in der Stadt befindet. Unsere Pässe reichen nicht hin. Wenn die spanischen Soldaten sie auch gut finden, werden wir nicht wenigstens in der Stadt aufgehalten und ausgefragt werden? Inzwischen werden sie von dem Tod der Prädikanten erfahren und werden unserem Leben ein Ende machen.«
Ulenspiegel antwortete: »Die Raben, Eulen und Geier werden ihr Fleisch bald aufgefressen haben, ihre Gesichter sind ohne Zweifel schon unkenntlich. Was unsere Pässe betrifft, so könnten sie wohl genügen, wenn man aber von dem Mord erführe, so würden wir, wie du sagst, am Kragen gefaßt werden. Dennoch müssen wir auf dem Weg über Landen nach Maastricht gehen.«
»Sie werden uns henken!« sagte Lamme. »Wir werden durchkommen«, sagte Ulenspiegel.
So plaudernd, kamen sie vor die Herberge »Zum Schecken«, wo sie eine gute Mahlzeit, ein bequemes Lager und Heu für ihre Esel fanden. Am nächsten Tag machten sie sich auf den Weg nach Landen. Als sie vor der Stadt an einem großen Bauernhof vorbeikamen, pfiff Ulenspiegel wie eine Lerche, und alsogleich antwortete ihm aus dem Innern des Hauses das kriegerische Krähen des Hahnes. Ein Pächter mit vertrauenswürdigem Gesicht erschien auf der Schwelle des Hauses und sagte zu beiden: »Freunde und Freie, es lebe der Geuse! Tretet hier ein.«
»Wer ist das?« fragte Lamme. Ulenspiegel antwortete: »Thomas Utenhove, der tapfere Reformierte, seine Knechte und Mägde arbeiten wie er für die Befreiung des Gewissens.«
Nun sagte Utenhove: »Ihr seid die Gesandten des Prinzen, esset und trinket.« Und Schinken und Würste begannen in der Pfanne zu brutzeln, der Wein floß, und die Gläser füllten sich. Und Lamme begann wie trockener Sand zu trinken und aß nach Herzenslust. Die Burschen und Mädchen des Hofes steckten der Reihe nach die Nase durch die Tür, um seine Kiefer arbeiten zu sehen. Die Männer waren auf ihn eifersüchtig und sagten, sie könnten es auch so gut wie er.
Nachdem das Mahl beendet war, sagte Thomas Utenhove: »Hundert Bauern werden unter dem Vorwand, an dem Damm arbeiten zu wollen, in dieser Woche von hier nach Brügge und Umgebung gehen. Sie werden in Trupps von fünf bis sechs Mann auf verschiedenen Wegen reisen. In Brügge werden Barken sein, um sie nach Emden und ans Meer zu bringen.« »Werden sie mit Waffen und Geld versehen sein?« fragte Ulenspiegel. »Jeder wird zehn Gulden und ein großes Dolchmesser haben.« »Gott und der Prinz werden dich belohnen«, sagte Ulenspiegel. »Über die Belohnung mache ich mir keine Sorgen«, antwortete Thomas Utenhove.
»Wie macht Ihr es«, fragte Lamme, während er an einer großen Schwarzwurst kaute, »wie macht Ihr es, mein Herr Wirt, daß Ihr ein so wohlduftendes, saftiges Gericht bereitet, das so köstliches Fett enthält?« »Indem wir Zimt und Katzenkraut dareintun«, sagte der Wirt.
Dann wandte er sich an Ulenspiegel und fragte: »Ist Edzard, Graf von Friesland, noch immer der Freund des Prinzen?« Ulenspiegel antwortete: »Offen nicht, doch gewährt er seinen Schiffen in Emden Zuflucht. Wir wollen«, fügte er hinzu, »nach Maastricht gehen.« »Das wirst du nicht können«, sagte der Wirt, »denn die Armee des Herzogs ist teils rund um die Stadt gelagert, teils in der Stadt selbst.« Dann führte er sie auf den Dachboden und zeigte ihnen in der Ferne die Fahnen und Standarten der Reiter und Fußtruppen, die durch die Ebene ritten und marschierten. Ulenspiegel sagte: »Ich werde hindurchkommen, wenn Ihr, der Ihr hier mächtig seid, mir die Erlaubnis gebt, mich zu verheiraten. Was die Frau anbelangt, so muß sie anmutig, sanft und schön sein und muß mich zum Gatten nehmen wollen, wenn auch nicht für immer, so doch wenigstens für eine Woche.«
Lamme seufzte und sagte: »Tu das nicht, mein Sohn, sie wird dich allein lassen, und das Feuer der Liebe wird dich verzehren. Dein Bett, in dem du so ruhig schläfst, wird wie eine Matratze von Stechpalmen sein, die dich des süßen Schlummers beraubt.« »Ich werde eine Frau nehmen«, erwiderte Ulenspiegel. Und Lamme, der nichts mehr auf dem Tisch fand, war tief betrübt. Immerhin hatte er noch einige Kastanien in einem Teller entdeckt und knackte sie nun trübselig auf.
Ulenspiegel sagte zu Thomas Utenhove: »Ihr habt mir zu trinken gegeben, gebt mir jetzt auch eine Frau, arm oder reich. Ich will mit ihr in die Kirche gehen und die Ehe durch den Pfarrer segnen lassen. Dieser wird uns einen Eheschein geben, der ungültig ist, weil er von einem papistischen Inquisitor ausgestellt ist. Wir werden vorgeben, sehr gute Christen zu sein, die gebeichtet und kommuniziert und ein frommes Leben geführt haben, indem sie den Geboten unserer heiligen römischen Mutter-Kirche gehorchten, die ihre Kinder verbrennt, so werden wir uns die Segnungen unseres Heiligen Vaters, des Papstes, der himmlischen und irdischen Heere, der Heiligen beiderlei Geschlechts, der Dechanten, Pfarrer, Mönche, Söldner, Häscher und der anderen Lumpenkerle verdienen. Mit besagtem Zertifikat versehen, werden wir die Vorbereitungen für die übliche Hochzeitsreise treffen.«
»Und die Frau?« fragte Thomas Utenhove.
»Du wirst sie mir ausfindig machen«, antwortete Ulenspiegel; »ich nehme dann zwei Karren, schmücke sie mit Blüten und Girlanden aus Tannenzweigen, mit Stechpalmen und Papierblumen und lasse einige Biedermänner darin Platz nehmen, die du zum Prinzen schicken willst.«
»Aber die Frau«, sagte Thomas Utenhove.
»Sie ist ohne Zweifel da«, antwortete Ulenspiegel und fuhr in seiner Rede fort: »An einen der Karren spanne ich zwei deiner Pferde, an den anderen unsere beiden Esel. In den ersten Karren setze ich meine Frau und mich, meinen Freund Lamme und die Trauzeugen; in den zweiten die Trommler, Pfeifer und Schalmeibläser. Dann fahren wir, die fröhlichen Banner der Hochzeit tragend, trommelnd, singend und trinkend in raschem Trab auf der Landstraße dahin, die uns entweder zum Galgen-Veld oder in die Freiheit führt.«
»Ich werde dir behilflich sein«, sagte Thomas Utenhove, »aber die Frauen und Mädchen werden ihren Männern folgen wollen.«
»Wir gehen unter Gottes Schutz«, sagte ein anmutiges Mädchen, das den Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Wenn es nötig ist, werden vier Karren zur Stelle sein«, sagte Thomas Utenhove, »so werden wir mehr als fünfundzwanzig Menschen durchbringen.« »Und der Herzog wird der Angeführte sein«, sagte Ulenspiegel. »Und die Flotte des Prinzen wird von einigen guten Soldaten mehr bedient sein«, sagte Thomas Utenhove.
Nun ließ er durch das Läuten einer Glocke seine Knechte und Mägde zusammenrufen und sagte zu ihnen: »Ihr alle, Männer und Frauen, die ihr aus Zeeland seid, höret: Ulenspiegel, dieser hier anwesende Flame, will, daß ihr, hochzeitlich gekleidet, durch die Armee des Herzogs fahrt.«
Die Männer und Frauen aus Zeeland riefen gleichzeitig: »Das ist mit Todesgefahr verbunden, aber wir wollen's tun!« Und die Männer sagten zueinander: »Es ist uns eine Freude, das Land der Sklaverei zu verlassen und auf das freie Meer hinauszuziehen. Wenn Gott dafür ist – wer wird dagegen sein?« Die Frauen und Mädchen sagten: »Wir folgen unseren Gatten und Freunden. Wir sind aus Zeeland und werden dort schon ein Unterkommen finden.«
Ulenspiegel faßte ein junges, anmutiges Mädchen ins Auge und sagte scherzend zu ihr: »Ich will dich heiraten.« Sie errötete und antwortete: »Aber nur für die Kirche.«
Die Frauen sagten lachend zueinander: »Ihr Herz zieht sie zu Hans Utenhove, dem Sohn des Herrn. Er geht ohne Zweifel mit ihr.« »Ja«, sagte Hans. Und der Vater sprach zu ihm: »Du darfst es tun.«
Die Männer legten ihre Festkleider an, samtene Wämser und Hosen und den großen Überrock, und setzten die breiten Kappen auf, die gegen Sonne und Regen schützen. Die Frauen zogen lange, schwarze Hosen und geschlitzte Schuhe an, an der Stirn trugen sie, links die Mädchen und rechts die verheirateten Frauen, den großen goldenen Kopfschmuck, um den Hals hatten sie die frische, weiße Krause, darunter den in Gold, Scharlachrot und Blau gestickten Brustlatz, sie trugen Röcke aus schwarzer Wolle mit breiten Sammetstreifen von gleicher Farbe, Strümpfe aus schwarzer Wolle und Schuhe mit Silberschnallen.
Nun ging Thomas Utenhove in die Kirche, um den Priester zu bitten, daß er unverzüglich für zwei Reichstaler Thylbert, den Sohn des Claes, und Tannekin Pieters einander antraue, der Pfarrer war es zufrieden.
Ulenspiegel ging nun, von der ganzen Hochzeitsgesellschaft gefolgt, in die Kirche und heiratete da vor dem Altar die Tannekin, die so schön und anmutig war und so weiche, feine Haut hatte, daß er am liebsten in ihre Wangen gebissen hätte wie in einen Apfel der Liebe. Er sagte es ihr, wagte aber nicht, es zu tun, weil er vor ihrer süßen Schönheit zuviel Ehrfurcht empfand. Sie schmollte und sagte: »Laßt mich, dort ist Hans, der Euch ansieht, als wollte er Euch töten.« Und ein eifersüchtiges Mädchen sagte: »Such dir doch eine andere, siehst du denn nicht, daß sie vor ihrem Mann Angst hat?«
Lamme rieb sich die Hände und rief: »Du wirst nicht alle bekommen, Taugenichts«, und war sehr fröhlich.
Ulenspiegel trug sein Mißgeschick mit Geduld und kehrte mit der Festgesellschaft in den Hof zurück. Da trank er, sang und war guter Dinge und ließ sein Glas an dem des eifersüchtigen Mädchens klingen. Darob wurde Hans gar fröhlich, nicht aber Tannekin und der Verlobte des Mädchens.
Zu Mittag, als die Sonne hell schien und ein frischer Wind wehte, fuhren die Karren, bekränzt und mit Blumen geschmückt, mit fliegenden Fahnen beim Klang der Tamburine, Schalmeien, Pfeifen und Dudelsäcke aus dem Hof.
Im Lager Albas war ein andres Fest. Die Vorposten und Schildwachen kamen, nachdem sie Alarm geblasen hatten, einer nach dem andern zurück und sagten: »Der Feind ist nahe, wir haben Trommeln und Pfeifen gehört und die Fahnen gesehen. Es ist eine starke Reiterabteilung, die uns aus irgendeinem Hinterhalt angreifen will. Das Heer selbst ist ohne Zweifel viel weiter.« Der Herzog ließ die Feldzeugmeister, Obristen und Kapitäne verständigen, befahl, die Armee kampfbereit zu machen, und sandte dem Feind Kundschafter entgegen.
Plötzlich tauchten vier Karren auf, die geradeswegs auf die Arkebusiere zufuhren. Die Männer und Frauen tanzten in den Karren, die Flaschen gingen im Kreis herum, und fröhlich quiekten die Pfeifen, seufzten die Schalmeien, polterten die Trommeln und prusteten die Dudelsäcke. Die Hochzeitsgesellschaft wurde angehalten, Alba selbst kam auf den Lärm herbei und sah auf einem der vier Karren die Neuvermählten, Ulenspiegel saß neben seiner bekränzten Gattin, und alle Bauern und Bäuerinnen waren aus den Karren gestiegen, tanzten um ihn herum und boten den Soldaten zu trinken.
Alba und die Seinen staunten gewaltig über die Einfalt dieser Bauern, die sangen und Feste feierten, während rund um sie alles in Waffen stand.
Die in ihren Karren geblieben waren, gaben all ihren Wein den Soldaten, die sie hochleben ließen und feierten. Als der Wein in den Karren ausging, machten sich die Bauern und Bäuerinnen, ohne behelligt zu werden, beim Klang der Trommeln, Pfeifen und Dudelsäcke wieder auf den Weg. Und die Soldaten schossen ihnen zu Ehren eine Salve aus ihren Arkebusen ab.
So kamen sie nach Maastricht, wo Ulenspiegel mit den Agenten der Reformierten Unterredungen hatte, um der Flotte des Schweigers auf Schiffen Waffen und Munition zu schicken. Das gleiche taten sie in Landen und besuchten so, als Handwerker verkleidet, alle Ortschaften.
Der Herzog erfuhr von dieser Kriegslist. Man machte ein Lied auf ihn, das ihm zugesteckt wurde und dessen Refrain lautete:
»Blutherzog, Dummkopf du,
Hast du die Braut geseh'n?«
Und jedesmal, wenn er seine Soldaten schlecht manövrieren ließ, sangen sie:
»Der Herzog ist geblendet,
Er hat die Braut geseh'n.«
In der Zwischenzeit war König Philipp in eine wilde Trübsinnigkeit verfallen. In seinem herben Stolz bat er Gott um die Kraft, England zu besiegen, Frankreich erobern, Mailand, Genua und Venedig an sich reißen zu können und so als machtvoller Beherrscher der Meere über ganz Europa zu regieren.
Während er an diesen Triumph dachte, ging kein Lächeln über sein Gesicht, es fror ihn ohne Unterlaß, Wein erwärmte ihn ebensowenig wie das Feuer, das mit würzig duftendem Holz in dem Saale brannte, in dem er sich aufhielt. Inmitten eines Haufens von Schriften, mit denen man tausend Fässer hätte füllen können, saß er da und schrieb und grübelte über die unumschränkte Weltherrschaft nach, wie die römischen Imperatoren sie ausgeübt hatten.
Und in eifersüchtigem Haß gedachte er seines Sohnes Don Carlos, der an Stelle des Herzogs von Alba nach den Niederlanden hatte gehen wollen, um, wie Philipp meinte, ohne Zweifel von dort aus zu versuchen, die Regierung an sich zu reißen. Und er betrachtete das Bild seines häßlichen Sohnes, der ein wilder und boshafter Narr war, und sein Haß wuchs. Aber er sprach nicht darüber.
Die im Dienst König Philipps und seines Sohnes Don Carlos standen, wußten nicht, welchen von den beiden sie mehr fürchten sollten: den rastlosen, mörderischen Sohn, der seinen Dienern die Wangen mit den Fingernägeln zerfetzte, oder den feigen und tückischen Vater, der sich anderer bediente, um zu schlagen und wie eine Hyäne von Leichen lebte. Die Diener erschraken, wenn sie sahen, wie sich die beiden gegenseitig umschlichen. Und sie sagten, daß es wohl bald einen Toten im Eskorial geben würde.
Wenig später erfuhren sie, daß Don Carlos wegen des Verbrechens des Hochverrates eingekerkert worden sei. Und sie wußten, daß dumpfer Kummer an seiner Seele zehrte und daß er sich im Gesicht verwundet hatte, als er sich zwischen die Stäbe seines Gefängnisses gezwängt hatte, um zu entfliehen. Und Madame Isabelle von Frankreich, seine Mutter, weinte ohne Unterlaß. Aber König Philipp weinte nicht.
Es kam ihnen zu Ohren, daß man Don Carlos grüne Feigen gegeben habe und daß er am nächsten Tag gestorben sei, als ob er eingeschlafen wäre. Die Ärzte sagten: »Sobald er die Feigen gegessen hatte, stockte das Blut in seinem Kreislauf, und die Lebensfunktionen, derer die Natur bedarf, wurden unterbrochen, er konnte weder spucken noch brechen, noch auf andere Weise etwas aus seinem Körper ausscheiden. Als er verschied, schwoll sein Bauch an.«
König Philipp hörte die Totenmesse für seinen Sohn Don Carlos, ließ ihn in der Kapelle seiner königlichen Residenz begraben und setzte ihm einen Grabstein, aber er weinte nicht.
Und die Diener besprachen sich untereinander und bekrittelten die Grabschrift, die sich auf dem Stein befand und also lautete:
»Hier ruht der, der nach dem Verzehren grüner Feigen starb, ohne krank gewesen zu sein.«
»A qui jaze qui en para desit verdad Morio s'in infirmidad.«
Und König Philipp warf gierige Blicke auf die verheiratete Prinzessin Eboli. Er bat sie um Liebe, und sie gewährte sie ihm.
Madame Isabelle von Frankreich, von der man sagte, daß sie die Absichten Don Carlos' auf die Niederlande unterstützt habe, wurde mager und krank. Und die Haare fielen ihr in großen Büscheln aus. Sie erbrach oft, die Nägel ihrer Füße und Hände fielen ab, und endlich starb sie. Philipp weinte nicht.
Auch dem Prinzen Eboli fielen die Haare aus, er verfiel in Traurigkeit und klagte immerzu. Dann fielen auch ihm die Nägel der Hände und Füße ab. Und König Philipp ließ ihn begraben.
Er bezahlte der Witwe die Trauerzeremonien und weinte nicht.
Damals kamen in Damme etliche Frauen und Mädchen zu Nele und fragten sie, ob sie die Maibraut sein und sich mit dem Bräutigam, den man für sie ausfindig machen würde, im Gebüsch verstecken wolle. »Denn«, sagten die Frauen nicht ohne Eifersucht, »es gibt in ganz Damme und Umgebung keinen einzigen jungen Mann, der nicht dein Bräutigam sein wollte, weil du so schön, tugendhaft und munter geblieben bist, was zweifellos ein Geschenk der Hexe ist.«
»Gevatterinnen«, sagte Nele, »saget den jungen Männern, die mich begehren, Neles Herz ist nicht hier, sondern bei dem, der durch das Land der Väter streift, um es zu befreien. Und wenn ich frisch bin, wie ihr sagt, so ist das nicht ein Geschenk der Hexe, sondern die Gesundheit.«
Die Frauen antworteten: »Dennoch fällt ein Argwohn auf Katheline.« »Schenket den Worten der Bösewichte keinen Glauben«, erwiderte Nele, »Katheline ist keine Hexe. Die Herren vom Gericht haben ihr eine Perücke auf dem Kopf verbrannt, und Gott hat sie mit Irrsinn geschlagen.« Und Katheline, die in einer Ecke kauerte, wackelte mit dem Kopf und sagte: »Nehmt das Feuer weg, er wird wiederkommen, Hanske, mein Liebling.«
Die Frauen fragten, wer Hanske sei, und Nele antwortete: »Das ist der Sohn Claesens, mein Milchbruder, den sie verloren zu haben glaubt, seit Gott sie geschlagen hat.« Und die guten Frauen gaben Katheline silberne Patards. Es waren neue Münzen, sie zeigte sie einem, den niemand sah, und sagte: »Ich bin reich, reich an funkelndem Silber. Komm, Hanske, mein Liebling, ich will die Süßigkeiten meiner Liebe bezahlen.«
Die Frauen gingen fort, und Nele weinte einsam in ihrer Hütte. Sie gedachte Ulenspiegels, der durch die weiten Lande zog, in die sie ihm nicht folgen konnte, und sie betrachtete Katheline, die seufzend sprach: »Nehmt das Feuer weg!« und oft ihre Brüste mit beiden Händen faßte und dadurch bedeutete, daß ihr Kopf und ihr Leib von einem fiebrischen Feuer der Tollheit verzehrt wurde.
Währenddessen verbarg sich die Maibraut mit ihrem Bräutigam im Gebüsch. Wer eins von den beiden fand, war je nach dem Geschlecht der König oder die Königin des Festes. Nele hörte die Freudenrufe der Burschen und Mädchen, als die Maibraut am Rand eines Grabens gefunden wurde, wo sie sich zwischen den hohen Stauden verborgen hatte. Und sie weinte, als sie der süßen Zeiten gedachte, da man sie und ihren Freund Ulenspiegel gesucht hatte.
Indessen trabten Ulenspiegel und Lamme auf ihren Eseln über die Landstraße.
»Heda, höre, Lamme«, sagte Ulenspiegel, »die Adligen der Niederlande haben aus Eifersucht auf Oranien die Sache der Verbündeten verraten, die heilige Allianz, die zum Wohle des Landes unserer Väter begründet wurde. Egmont und Hoorne waren gleichfalls Verräter und noch dazu, ohne für sich Vorteil daraus zu ziehen. Brederode ist tot, und es bleibt uns in diesem Krieg nichts zurück als das arme Volk von Brabant und Flandern, das biederer Führer harrt, um vorwärts zu stürmen, dann haben wir noch die Inseln, mein Sohn, die Inseln Zeeland und Nord-Holland, deren Gouverneur der Prinz ist, und noch weiter, draußen auf dem Meer, Edzard, den Grafen von Emden und Ostfriesland.«
»Ach!« sagte Lamme, »ich sehe es klar: wir pilgern zwischen Strick, Rad und Scheiterhaufen und werden, ohne die geringste Hoffnung auf eine Mahlzeit, verhungern und verdursten.«
»Wir sind erst beim Anfang«, sagte Ulenspiegel, »geruhe zu betrachten, daß alles zu unseren Annehmlichkeiten vorhanden ist, wir töten unsere Feinde und verlachen sie, wir haben den Ranzen voll Gulden und sind mit Fleisch, Bier, Wein und Branntwein wohlversehen. Was brauchen wir noch, du Federsack? Willst du, daß wir unsere Esel verkaufen und Pferde kaufen?« »Mein Sohn«, sagte Lamme, »der Gang eines Pferdes ist für einen Mann von meinem Umfang sehr hart.« »Du wirst dich so auf dein Tier setzen, wie es die Bauern machen«, erwiderte Ulenspiegel, »und da du ja als Bauer verkleidet bist und nicht wie ich einen Degen trägst, sondern nur einen Spieß, wird sich niemand über dich lustig machen.«
Lamme sagte: »Mein Sohn, bist du sicher, daß unsere Pässe uns in den kleinen Städten dienlich sein werden?« »Habe ich nicht das Zertifikat des Pfarrers«, sagte Ulenspiegel, »mit dem großen Kirchensiegel aus rotem Wachs, das an zwei Pergamentstreifen hängt, und außerdem unsere Beichtzettel? Gegen zwei so wohlgerüstete Männer vermögen die Soldaten und Häscher des Herzogs nichts. Und die schwarzen Rosenkränze, die wir zu verkaufen haben? Wir sind zwei Reiter, du ein Flame, ich ein Deutscher, die auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs reisen, um die Ketzer dieses Landes durch den Verkauf geweihter Gegenstände zum heiligen katholischen Glauben zurückzuführen. Wir werden überall eintreten, zu den adligen Herren und in die fetten Abteien, und sie werden uns mit salbungsvoller Gastfreundschaft auszeichnen. Dabei werden wir ihre Geheimnisse auskundschaften. Leck dir die Lippen, mein süßer Freund!«
»Mein Sohn«, sagte Lamme, »wir machen da die Arbeit von Spionen.« »Nach dem Recht und Gesetz des Krieges«, entgegnete Ulenspiegel.
»Wenn sie erfahren, was mit den drei Prädikanten geschehen ist, so werden wir ohne Zweifel sterben müssen.« – Ulenspiegel sang:
»Leben! das schrieb ich auf mein Panier,
Immer im Lichte wie heute.
Von Leder ist meine erste Haut hier,
Von Stahl ist meine zweite!«
Aber Lamme sagte seufzend: »Ich habe nur eine ganz weiche Haut, der kleinste Dolchstich zerlöchert sie augenblicklich. Wir täten besser, uns einem nützlichen Beruf hinzugeben, als über Berg und Tal zu laufen, um den großen Fürsten zu dienen, die, die Füße in samtenen Gamaschen, an goldenen Tafeln Fettammern speisen. Hiebe, Gefahren, Schlachten, Regen, Hagel, Schnee, das sind die mageren Suppen der Landstreicher. Die andern haben Würste, fette Kapaune, duftende Drosseln und saftige Masthühner.«
»Das Wasser läuft dir ja im Mund zusammen, mein lieber Freund«, sagte Ulenspiegel.
»Wo seid ihr, frische Brote, goldene koeke-bakken, köstliche Cremes?« fuhr Lamme fort, »und wo bist du, Frau?«
Ulenspiegel erwiderte: »Die Asche schlägt an meinem Herzen und treibt mich in den Kampf. Aber du, sanftes Lamm, der du weder den Tod deines Vaters noch den Tod deiner Mutter zu rächen hast, weder den Kummer derer, die du liebst, noch deine gegenwärtige Armut, lasse mich allein weiterziehen, wohin es mich treibt, wenn dich die Mühseligkeiten des Krieges schrecken.« »Allein?« sagte Lamme und hielt seinen Esel plötzlich an, der sich über ein Büschel Disteln hermachte, die am Wegrand zahlreich wuchsen. Der Esel Ulenspiegels blieb auch stehen und begann gleichfalls zu fressen. »Allein?« sagte Lamme, »du wirst mich nicht allein lassen, mein Sohn, das wäre eine unbeschreibliche Grausamkeit. Nicht genug, daß ich meine Frau verloren habe, soll ich auch noch meinen Freund verlieren? Das geht nicht an. Ich werde nicht mehr stöhnen, ich verspreche es dir. Und wenn es sein muß« – er erhob stolz den Kopf –, »werde ich mich dem Kugelregen aussetzen, ja? Und zwischen die sausenden Degen springen, ja! Diesen wilden Soldaten entgegen, die wie Wölfe Blut trinken. Und wenn ich eines Tages blutend und totgeschlagen vor deine Füße stürze, begrabe mich, und wenn du meine Frau siehst, so sage ihr, daß ich starb, weil ich nicht leben konnte, ohne von irgendeiner Frau auf dieser Welt geliebt zu werden. Nein, ich könnte es nicht, mein Sohn Ulenspiegel.« Und Lamme weinte.
Ulenspiegel aber ward gerührt, als er diesen lieblichen Mut sah.
Damals teilte der Herzog seine Armee in zwei Teile, deren einen er gegen das Herzogtum Luxembourg marschieren ließ, während der andere gegen die Grafschaft Namur zog.
»Dieser militärische Beschluß ist mir unbegreiflich«, sagte Ulenspiegel, »aber mir ist's gleich, wir gehen vertrauensvoll nach Maastricht.«
Als sie in der Nähe der Stadt der Maas entlangritten, bemerkte Lamme, daß Ulenspiegel alle Schiffe, die auf dem Fluß schwammen, aufmerksam musterte und vor einem anhielt, das am Bug eine Sirene trug. Diese Sirene hielt ein Schild, auf dem mit goldenen Buchstaben über sandfarbigem Grund das Zeichen J.H.S. stand, welches das Zeichen unseres Herrn Jesu Christi ist. Ulenspiegel bedeutete Lamme durch einen Wink, daß er stehenbleiben solle, und begann fröhlich wie eine Lerche zu singen. Ein Mann kam auf das Verdeck des Schiffes und begann wie ein Hahn zu krähen, dann, auf ein Zeichen Ulenspiegels, schrie er wie ein Esel und wies mit dem Finger auf eine Volksmenge, die auf dem Kai stand und ein schreckliches Eselsgeschrei anhub.
Die beiden Esel Ulenspiegels und Lammes legten die Ohren zurück und sangen ihre natürlichen Lieder.
Frauen und Männer kamen an ihnen vorbei, die auf Treidelpferden saßen. Ulenspiegel sagte zu Lamme: »Dieser Schiffer macht sich über unsere Reittiere lustig. Wenn wir ihn auf seinem Schiff prügeln wollten?« »Er soll lieber zu uns kommen«, antwortete Lamme. Eine Frau mischte sich ein und sagte: »Wenn ihr nicht mit abgehauenen Armen, zerschmetterten Lenden und zerdroschenen Mäulern wiederkommen wollt, so laßt ihn in Frieden, diesen Stercke Pier.«
»Y-a, y-a, y-a!« machte der Schiffer.
»Laßt ihn singen«, sagte die Frau, »wir sahen ihn einen Karren voll schwerer Bierfässer auf die Schulter heben und einen anderen Karren, den ein starkes Pferd zog, aufhalten. Dort«, sagte sie, während sie auf die Herberge »Zum Blauen Turm« zeigte, »hat er sein Messer aus einer Entfernung von zwanzig Schritten nach einer zwölf Zoll dicken Eichenplanke geworfen und hat sie durchbohrt.«
»Y-a, y-a, y-a!« machte der Schiffer, während ein Bursche von zwölf Jahren auf die Schiffsbrücke stieg und ebenfalls wie ein Esel zu schreien begann.
Ulenspiegel antwortete: »Uns macht dein starker Peter nicht warm! Stercke Pier mag sein, was er will, wir sind mehr als er, mein Freund Lamme da, der verschlingt zwei solche, ohne zu spucken.« »Was sagst du, mein Sohn?« fragte Lamme. »Das, was wahr ist«, antwortete Ulenspiegel, »widersprich mir nicht aus Bescheidenheit. Ja, gute Leute, Gevatterinnen und Arbeiter, bald werdet ihr ihn seine Arme brauchen und diesen famosen Stercke Pier zu Staub zermalmen sehen.« »Schweig doch«, sagte Lamme. »Deine Kraft ist bekannt«, sagte Ulenspiegel, »du kannst kein Hehl daraus machen.«
»Y-a«, machte der Schiffer, und »y-a« machte der Bursche. Plötzlich begann Ulenspiegel von neuem, sehr melodisch, wie eine Lerche zu singen. Und die Männer und Frauen waren entzückt und fragten ihn, wo er dieses göttliche Pfeifen gelernt habe. »Im Paradies, aus dem ich geradeswegs komme«, antwortete Ulenspiegel.
Dann wandte er sich dem Manne zu, der nicht aufhörte, y-a zu schreien und spöttisch mit dem Finger auf ihn zu zeigen, und sagte: »Warum bleibst du denn auf deinem Schiff, du Taugenichts? Wagst du nicht an Land zu kommen und hier über uns und unsere Reittiere zu spotten?« »Wagst du das nicht?« fragte auch Lamme.
»Y-a, y-a« machte der Schiffer, »meine Herren Esel, kommt doch auf mein Schiff!«
»Tu das, was ich tue«, sagte Ulenspiegel leise zu Lamme und wandte sich dann wieder zu dem Schiffer: »Wenn du Stercke Pier bist, so bin ich Thyl Ulenspiegel. Und diese beiden da sind unsere Esel Jef und Jan, die besser schreien können als du, denn sie sprechen ihre natürliche Sprache. Was deine Aufforderung, auf deine lockeren Planken zu steigen, betrifft, so wollen wir ihr nicht nachkommen. Dein Schiff ist wie ein Bottich, jedesmal wenn eine Welle daranstößt, fährt es zurück und kommt nicht anders vom Platz als seitwärts wie eine Krabbe.« »Ja, wie eine Krabbe«, sagte Lamme.
Nun sprach der Schiffer zu Lamme: »Was murmelst du da zwischen deinen Zähnen, du Speckklumpen?« Lamme geriet in Wut und sagte: »Du böser Christ, du machst mir aus meinem Gebrechen einen Vorwurf – wisse denn, daß dieser Speck mein ist und von meiner guten Ernährung herkommt, während du, alter rostiger Nagel, nach dem mageren Fleisch zu schließen, das man durch die Löcher deiner Hose schlottern sieht, von nichts anderem lebst als von alten sauren Heringen, Kerzendochten und Stockfischhäuten!«
»Die werden einander gewaltig verprügeln«, sagten die Männer und Frauen frohlockend und neugierig.
»Y-a, y-a«, machte der Schiffer.
Lamme wollte von seinem Esel steigen, um Steine aufzulesen und nach dem Schiffer zu werfen. »Wirf nicht mit Steinen«, sagte Ulenspiegel.
Der Schiffer sagte dem y-a schreienden Burschen, der ihm zur Seite auf dem Schiff stand, etwas ins Ohr. Dieser löste einen Kahn vom Bord des Schiffes und näherte ihn mit Hilfe eines Bootshakens, den er geschickt handhabte, dem Ufer. Als er ganz nahe war, stand er mit stolzer Gebärde auf und sagte: »Mein Baes fragt euch, ob ihr es wagt, auf sein Schiff zu kommen und euch auf einen Kampf mit Faust und Fuß gegen ihn einzulassen. Diese guten Männer und Frauen werden Zeugen sein.« »Wir wollen es«, sagte Ulenspiegel sehr würdevoll. »Wir nehmen den Kampf an«, sagte Lamme mit großem Stolz.
Es war um die Mittagsstunde, die Dammarbeiter, Pflasterer, Schiffbauer und ihre Frauen, die das Essen ihrer Männer trugen, kamen herbei, und auch die Kinder fanden sich ein, die ihren Vätern die Bohnen oder das gekochte Fleisch aufwärmen sollten, alle lachten und klatschten beim Gedanken an einen bevorstehenden Zweikampf in die Hände, voll Frohsinn hofften sie, daß einem der beiden Kämpfenden der Kopf zerschmettert werden würde oder daß er, in Stücke gerissen, zu ihrem Ergötzen in den Fluß stürzen werde.
»Mein Sohn«, sagte Lamme ganz leise, »er wird uns ins Wasser werfen.« »Laß dich werfen«, sagte Ulenspiegel. »Der dicke Mann hat Angst«, sagten die Handwerksleute. Lamme, der noch immer auf seinem Esel saß, drehte sich nach ihnen um und warf ihnen zornige Blicke zu, aber sie höhnten ihn. »Gehen wir auf das Schiff«, sagte Lamme, »dann werden sie sehen, ob ich Angst habe.« Nach diesen Worten wurde er von neuem verhöhnt, und Ulenspiegel sagte: »Gehen wir auf das Schiff.«
Nachdem sie von ihren Eseln abgestiegen waren, warfen sie die Zügel einem Burschen zu, der die Tiere freundschaftlich liebkoste und sie an eine Stelle führte, wo er Disteln wachsen sah. Dann faßte Ulenspiegel den Bootshaken, ließ Lamme in den Kahn steigen und ruderte auf das Schiff zu, auf das er mit Hilfe eines Strickes hinaufkletterte, während Lamme ihm schwitzend und prustend nachfolgte. Als Ulenspiegel auf dem Deck des Schiffes stand, bückte er sich, als wollte er sich die Schuhe schnüren, und sagte dem Schiffer einige Worte, der lächelte und sah Lamme an, dann rief er ihm tausend Beleidigungen zu, nannte ihn Tunichtgut, aufgedunsenen Fettwanst, Verbrecher, Pappfresser, Bratenschlinger und fragte ihn: »Du dicker Walfisch, wieviel Tonnen Tran gibst du, wenn man dich schlachtet?«
Mit einemmal warf sich Lamme wie ein tollgewordener Ochse auf ihn, schleuderte ihn zu Boden und schlug ihn mit aller Kraft, verletzte ihn aber nicht, weil seine fetten Arme dazu zu schwach waren. Der Schiffer tat so, als setzte er sich zur Wehr, und ließ alles über sich ergehen. Ulenspiegel sagte: »Dieser Tunichgtut wird uns zu trinken bezahlen.«
Die Männer und Frauen, die dem Kampf vom Ufer aus zusahen, sagten: »Wer hätte geglaubt, daß dieser fette Mann so stürmisch sein könnte?« Und sie klatschten in die Hände, während Lamme drauflosschlug. Der Schiffer sorgte nur dafür, sein Gesicht zu schützen. Plötzlich sah man, daß Lamme Stercke Pier das Knie auf die Brust gesetzt hatte, ihn mit der einen Hand an der Gurgel faßte und die andere zum Schlag erhob. »Bitte um Gnade«, sagte er, kochend vor Wut, »oder ich schlage dich durch die Planken deines Bottichs hindurch.« Der Schiffer hustete, um zu bedeuten, daß er nicht reden könne, und bat durch einen Wink mit der Hand um Gnade. Dann sah man Lamme seinen Gegner mit großmütiger Gebärde aufheben, der stand gleich aufrecht da, drehte den Zuschauern den Rücken zu und streckte Ulenspiegel die Zunge heraus, der in schallendes Gelächter ausbrach, als er Lamme stolz die Feder seines Baretts schütteln und in großem Triumph auf das Schiff gehen sah.
Die Männer, Frauen, Burschen und Mädchen, die am Ufer standen, riefen mit der ganzen Kraft ihrer Stimmen: »Es lebe der Besieger Stercke Piers! Das ist ein Mann von Eisen, habt ihr gesehen, wie er ihn mit der Faust dämpfte und mit einem Schlag gegen den Kopf auf den Rücken warf? Nun werden sie trinken, um Frieden zu schließen, da kommt schon Stercke Pier mit Wein und Würsten aus dem Unterdeck.«
In der Tat kam Stercke Pier mit zwei Humpen und einer großen Kanne weißen Maasweins heraufgestiegen, und Lamme und er schlossen Frieden. Lamme war überaus fröhlich, sowohl wegen seines Triumphs als auch wegen des Weins und der Würste, auf einen Rauchfang zeigend, aus dem ein schwarzer, dichter Rauch hervorqualmte, fragte er ihn, welche Braten da im Unterdeck bereitet würden. »Das ist Kriegsküche«, antwortete Stercke Pier lächelnd.
Die Menge der Arbeiter, Frauen und Kinder hatten sich zerstreut, um zur Arbeit oder nach Hause zurückzukehren, und die Nachricht ging von Mund zu Mund, daß ein dicker Mann, auf einem Esel reitend und von einem kleinen Pilger begleitet, der ebenfalls auf einem Esel geritten sei, dahergekommen wäre und sich stärker als Samson gezeigt habe, so zwar, daß man sich hüten müsse, ihn zu beleidigen.
Lamme trank und warf dem Fischer siegesbewußte Blicke zu. Dieser sagte plötzlich: »Eure Esel langweilen sich dort unten.« Dann ließ er das Schiff am Kai anlegen, stieg ans Land, faßte einen der Esel an den Vorder- und Hinterbeinen und trug ihn wie Jesus das Lamm, nachdem er ihn auf das Schiffsverdeck gesetzt hatte, machte er es mit dem zweiten ebenso. Dann sagte er, ohne Atem verloren zu haben: »Laßt uns trinken!« Der Bursche sprang auf das Deck, und sie tranken.
Lamme war verblüfft und wußte nicht mehr, ob er es selbst sei, der in Damme das Licht der Welt erblickt und diesen starken Mann niedergeschlagen habe, er wagte ihn nicht mehr anders als verstohlen anzusehen, denn er fürchtete, daß Stercke Pier die Lust anwandeln könnte, ihn wie die beiden Esel anzupacken und aus Groll über seine Niederlage lebendig in die Maas zu werfen. Doch der Schiffer lächelte und lud ihn fröhlich ein, weiterzutrinken, da verwand Lamme seinen Schrecken und sah ihn wieder voll stolzen Siegesbewußtseins an. Der Schiffer und Ulenspiegel lachten.
Die beiden Esel, verdutzt, sich auf den Schiffsplanken zu befinden statt auf denen ihres Stalls, ließen die Köpfe hängen, hatten die Ohren zurückgelegt und wagten nicht zu trinken. Der Schiffer holte eines der Haferbündel, die er den Pferden zu geben pflegte, die sein Schiff treidelten, und das er selbst gekauft hatte, um von den Pferdeführern nicht am Futterpreis betrogen zu werden.
Als die Esel das Bündel sahen, murmelten sie das Paternoster ihrer Schlünde und starrten trübselig auf den Schiffsboden, auf dem sie die Hufe nicht zu rühren wagten, weil sie auszugleiten fürchteten.
Nun sagte der Schiffer zu Lamme und Ulenspiegel: »Gehen wir in die Küche.« »In die Kriegsküche«, sagte Lamme beunruhigt. »In die Kriegsküche allerdings, aber du kannst ohne Furcht hinabsteigen, mein Besieger.« »Ich habe keine Furcht«, sagte Lamme, »und ich folge dir.« Der Bursche begab sich ans Steuer.
Während sie hinabstiegen, sahen sie überall Säcke mit Getreide, Bohnen, Erbsen, Steckrüben und anderen Gemüsen. Während der Schiffer nun die Tür zu einer kleinen Schmiede öffnete, sagte er: »Da ihr Männer mit tapferen Herzen seid, die den Ruf der Lerche, des Vogels der Freien, kennen, das kriegerische Krähen des Hahnes und das Schreien des Esels, dieses gutmütigen Arbeiters, so will ich euch meine Kriegsküche zeigen. So eine kleine Schmiede werdet ihr bei der Mehrzahl aller Schiffe auf der Maas finden. Sie kann bei niemand Argwohn erregen, denn sie dient dazu, die eisernen Bestandteile der Schiffe zu reparieren, was aber die anderen nicht haben, das sind diese schönen Gemüse, die in diesen Schränken aufbewahrt sind.«
Er hob einige Steine auf, die den Boden des Schiffsraums bedeckten, löste etliche Planken und zog darunter ein Bündel von Arkebusenrohren hervor, wog sie in der Hand, als ob sie Federn gewesen wären, und legte sie an ihren Platz zurück, dann zeigte er ihnen eiserne Lanzen, Hellebarden, Degenklingen und Säcke voll Kugeln und Pulver.
»Es lebe der Geuse!« sagte er, »hier sind die Bohnen und die Soße, die Schäfte sind die Hammelkeulen, diese eisernen Hellebarden sind der Salat, und diese Arkebusenrohre sind die Ochsenstelzen für die Suppe der Freiheit. Es lebe der Geuse! Wohin soll ich diese Nahrungsmittel bringen?« fragte er Ulenspiegel.
Ulenspiegel antwortete: »Nach Nimwegen, wohin du mit deinem Schiff fahren wirst, das inzwischen durch wirkliches Gemüse, das dir die Bauern bringen werden und das du in Etsen, in Stephansweert und in Roermond empfangen wirst, noch mehr beladen werden wird. Diese Bauern werden auch den Sang der Lerche, des Vogels der Freiheit, erklingen lassen, und du wirst mit dem Hahnenschrei antworten. Du wirst zum Doktor Pontus gehen, der am Nieuwe-Waal wohnt, und wirst ihm sagen, daß du mit Gemüse in die Stadt kommst, aber die Dürre fürchtest. Während die Bauern auf den Markt gehen und das Gemüse so teuer anpreisen, daß es niemand kaufen kann, wird er dir sagen, was du mit deinen Waffen tun sollst. Ich denke, daß er dich jedenfalls beauftragen wird, den Waal, die Maas oder den Rhein entlang zu fahren, was wohl mit Gefahr verbunden sein wird, dabei wirst du die Gemüse gegen Netze eintauschen, um mit den Schiffen der Heringsfänger umherzustreifen, auf denen viele Matrosen sind, die den Gesang der Lerche kennen, hierauf fährst du längs der Watten, um die Lauwersee zu gewinnen, tauschst die Netze gegen Eisen und Blei ein und gibst deinen Bauern die Frachten aus Marken, Vlieland oder Ameland.
Du hältst dich in der Nähe der Küsten, fängst deine Fische und salzt sie ein, aber nicht um sie zu verkaufen, sondern um sie aufzubewahren, denn ein frischer Trunk und gesalzene Kriegskost sind eine gute Kumpanei.«
»Es gilt, laßt uns trinken!« sagte der Schiffer. Dann stiegen sie wieder auf Deck.
Lamme war in trübselige Stimmung geraten und sagte ganz unvermittelt: »Herr Schiffer, Ihr habt da in Eurer Schmiede ein kleines Feuer, auf dem man so ausgezeichnet die lieblichsten Ragouts kochen könnte. Meine Kehle dürstet nach einer Suppe.« »Ich werde dich gleich erlaben«, sagte der Mann, und bald ließ er ihm eine fette Suppe auftragen, die mit einer großen Schnitte gesalzenem Schinken gebrüht war.
Als Lamme davon einige Löffel verschlungen hatte, sagte er zu dem Schiffer: »Meine Kehle schält sich, und die Zunge brennt mich; das da ist kein Ragout.« »Frischer Trunk und gesalzene Kriegskost, so steht's geschrieben«, entgegnete Ulenspiegel.
Nun füllte der Schiffer die Humpen und sagte: »Ich trinke auf die Lerche, den Vogel der Freiheit!« Ulenspiegel sagte: »Ich trinke auf den Hahn, den Verkünder des Krieges.« Lamme sagte: »Ich trinke auf meine Frau, damit sie nimmer Durst leide, die gute Geliebte.«
»Du wirst durch die Nordsee bis nach Emden fahren«, sagte Ulenspiegel, »Emden ist unser Unterschlupf.« »Das Meer ist groß«, sagte der Schiffer. »Groß genug, um eine Schlacht zu schlagen«, erwiderte Ulenspiegel. »Gott ist mit uns«, fügte der Schiffer hinzu.
»Wer ist also gegen uns?« entgegnete Ulenspiegel, und Stercke Pier fragte: »Wann macht ihr euch auf den Weg?« »Alsogleich«, sagte Ulenspiegel. »Gute Reise und Wind in den Rücken. Hier ist Pulver und Blei.« Er küßte sie und geleitete sie ans Land, nachdem er ihre beiden Esel wie Lämmchen auf Hals und Schultern dahin gebracht hatte.
Ulenspiegel und Lamme stiegen in die Sättel und machten sich auf den Weg nach Lüttich. »Mein Sohn«, sagte Lamme, während sie dahintrabten, »wie kommt es, daß dieser Mann, so stark er ist, sich von mir so grausam verprügeln ließ?« »Das tat er, damit dir überall, wohin wir reisen, der Schrecken vorangehe. Das wird uns ein besseres Geleite sein, als uns zwanzig Landsknechte geben könnten. Wer wird es forthin wagen, Lamme anzugreifen, Lamme den Mächtigen, den Siegreichen, Lamme den Stier ohnegleichen, der, wie jedermann gesehen hat, Stercke Pier mit einem Schlag auf den Kopf zu Boden streckte, diesen starken Peter, der Esel wie Lämmer trägt und mit einer Schulter einen Karren voll Bierfässer hochhebt?
Jedermann kennt dich hier schon, du bist Lamme der Schreckliche, Lamme der Unbesiegliche, und ich reise im Schatten deines schützenden Armes. Jedermann wird dich auf den Wegen kennen, über die wir wandern werden, und niemand wird wagen, dich mit scheelen Blicken anzusehen, und angesichts des hehren Mutes der Männer wirst du überall auf deinem Weg nichts anderes finden als ein großes Hütelüften, ehrerbietige Grüße, Huldigungen und Verehrungen, die der Kraft deiner schrecklichen Fäuste dargebracht werden.«
»Du sprichst gut, mein Sohn«, sagte Lamme, sich auf seinem Sattel reckend.
»Und ich spreche wahr«, erwiderte Ulenspiegel, »siehst du diese neugierigen Gesichter vor den ersten Häusern dieses Dorfes? Man zeigt mit dem Finger auf Lamme, den schreckenerregenden Sieger. Sieh diese Männer, die dich voll Neid ansehen, und diese jämmerlichen Feiglinge, die ihre Mützen ziehen! Erwidere ihren Gruß, Lamme, mein Liebling, verachte die Gunst des Volkes nicht, sieh, die Kinder haben deinen Namen gehört und wiederholen ihn voll Furcht.«
Lamme zog stolz vorbei und grüßte nach rechts und links wie ein König.
Die Kunde von seiner gewaltigen Kraft folgte ihm von Flecken zu Flecken und von Stadt zu Stadt bis nach Lüttich, Choquier, La Neuville, Vesin und Namur, welch letzteres sie aber wegen der drei Prädikanten mieden.
So zogen sie lange dahin, den Strömen, Flüssen und Kanälen folgend, und überall antwortete auf den Gesang der Lerche der Schrei des Hahnes. Und allerorten wurden für das Werk der Befreiung Waffen gegossen, gehämmert und geschliffen, die auf Schiffen fortgebracht wurden, die die Küsten entlangfuhren. In Fässern, Kisten und Körben verpackt, wurden sie dem Blick der Zollwächter entzogen. Und immer fanden die Wanderer gute Leute, die sie aufnahmen und samt ihrem Pulver und Blei bis zur Stunde Gottes verbargen.
Lamme, der an Ulenspiegels Seite dahintrabte und dem der Siegerruhm allüberall vorauseilte, begann selbst an seine große Kraft zu glauben. Er wurde stolz und kriegerisch und ließ sich das Barthaar wachsen. Und Ulenspiegel nannte ihn Lamme den Löwen.
Aber schon am vierten Tage blieb Lamme seinem Vorhaben wegen des Juckens, das ihm der Bart verursachte, nicht treu. Er ließ sein Siegerantlitz rasieren und erschien vor Ulenspiegel wieder rund und voll wie eine Sonne, deren Glut von der reichlichen Nahrung entzündet war. Nach dieser Begebenheit kamen sie nach Stokhem.
Als die Nacht hereinbrach, stellten sie ihre Esel in Stokhem unter und betraten Antwerpen. Ulenspiegel sagte zu Lamme: »Dies ist die große Stadt, in der die ganze Welt ihre Schätze anhäuft: Gold, Silber, Gewürze, Gobelins, Tuch und Stoffe von Sammet, Wolle und Seide, Bohnen, Erbsen, Getreide, Fleisch und Mehl, gegerbtes Leder und Weine aus Löwen, Namur, Luxembourg und Lüttich, Landwein von Brüssel und Aerschot, Wein von Buley, der vor den Toren von Namur gedeiht, Rheinwein, spanische und portugiesische Weine, Traubenöl aus Aerschot, das sie Landolium nennen, Weine von Burgund und Malvoisie und viele andere. Auf den Kais häufen sich die Waren.
Diese Schätze der Erde locken die schönsten Freudenmädchen, die es gibt, an diesen Ort.«
»Aus dir wird noch ein Grübler«, sagte Lamme. Ulenspiegel antwortete: »Ich werde die Sieben unter diesen Mädchen finden. Es wurde mir gesagt: ›In Verwüstung, Blut und Tränen suche.‹ Wer verursacht denn größere Verwüstung? Sind nicht sie es, bei denen die armen, liebestollen Männer ihre glänzenden, klappernden Karlsgulden verlieren, ihre Geschmeide, Ketten und Ringe, um ohne Wams, ja selbst ohne Wäsche, zerlumpt und ausgezogen zurückzubleiben, während die Mädchen an ihrer Beute fett werden? Wo ist das rote und klare Blut, das in ihren Adern rann? Jetzt ist es Lauchsaft.
Bekämpfen sie sich nicht erbarmungslos mit Messer, Dolch und Degen, um ihre sanften und lieblichen Leiber zu gewinnen? Die bleichen und blutüberströmten Leichen sind die Leichen der Armen, die vor Liebe toll geworden sind. Wenn der Vater mürrisch und finster auf seinem Stuhl sitzt, und wenn seine weißen Haare noch weißer und dünner scheinen als sonst, wenn aus seinen trockenen Augen, in denen der Schmerz um den Verlust des Kindes brennt, keine Tränen mehr quellen, wenn die Mutter, bleich und still wie eine Tote, weint, als ob sie in dieser Welt nichts mehr als Schmerzen vor sich sähe – wer läßt diese Tränen rinnen?
Die freien Mädchen, die nur sich lieben und die denkende, arbeitende und philosophierende Welt an die Schnalle ihres Gürtels hängen. Ja, Lamme, dort sind die Sieben, und wir werden zu den Mädchen gehen. Vielleicht wird deine Frau darunter sein, das wäre ein doppelter Fischzug.«
»Ich bin's zufrieden«, sagte Lamme.
Es war im Juni, gegen Ende des Sommers, in der Zeit, da die Sonne die Blätter der Kastanien schon rötet, die Vöglein in den Bäumen singen und keine Zikade so klein ist, daß sie nicht vor Behagen, es im Gras so warm zu haben, summte.
Lamme irrte an Ulenspiegels Seite durch die Straßen von Antwerpen, ließ den Kopf hängen und schleppte seinen Körper wie ein Haus dahin.
»Lamme«, sagte Ulenspiegel, »du ergibst dich dem Trübsinn, weißt du denn nicht, daß nichts der Haut so sehr schadet wie das? Wenn du in deinem Kummer beharrst, wird sie dir in Streifen vom Körper fallen. Und es wird sich hübsch anhören, wenn man von dir sagen wird, ›Lamme der Abgeschälte‹.« »Ich habe Hunger«, sagte Lamme. »Komm essen«, entgegnete Ulenspiegel.
Und sie gingen gemeinsam zur »Alten Trappe«, wo sie choesels aßen und Dobbelkuyt tranken, soviel ihre Bäuche zu fassen vermochten. Lamme klagte nicht mehr, und Ulenspiegel sagte: »Gesegnet sei das gute Bier, das die Seele so sonnig macht! Du lachst und schüttelst deinen Wanst. Wie liebe ich es, dich im fröhlichen Tanz deiner Gedärme zu sehen!« »Mein Sohn«, sagte Lamme, »sie würden noch viel mehr tanzen, wenn ich das Glück hätte, meine Frau wiederzufinden.« »Gehen wir, sie zu suchen«, sagte Ulenspiegel.
So kamen sie in das Stadtviertel an der unteren Schelde. Ulenspiegel sagte: »Sieh doch dieses Häuschen, ganz aus Holz, mit den weit geöffneten Fensterrahmen und den Scheiben, die aus kleinen Vierecken zusammengesetzt sind, betrachte diese gelben Vorhänge und diese rote Laterne. Hier, mein Sohn, sitzt hinter vier Fässern mit Braunbier, uitzet, Dobbelkuyt und Wein von Amboise eine schöne Baesine von fünfzig Jahren oder darüber. Jedes Jahr, das sie lebt, setzt sie eine Fettschicht an. Auf einer der Tonnen brennt eine Kerze, und von einem Balken der Decke hängt eine Laterne herab. Da macht sie abwechselnd hell und finster, finster für die Liebe und hell fürs Zahlen.« »Das ist ja ein Konvent der Nonnen des Teufels, und diese Baesine ist die Äbtissin darin.« »Ja«, sagte Ulenspiegel, »sie geleitet fünfzig schöne, liebesfreudige Mädchen im Namen des Herrn Beelzebub auf dem Weg der Sünde, sie finden bei ihr Unterkunft und Essen, aber sie verwehrt ihnen, bei ihr zu schlafen.«
»Du kennst diesen Konvent?« fragte Lamme. »Ich will deine Frau darin suchen. Komm.« »Nein«, sagte Lamme, »ich habe es mir überlegt, ich gehe nicht allein.« »Willst du deinen Freund ganz allein sich den Jüngerinnen Astartes aussetzen lassen?« »Er soll nicht hineingehen«, sagte Lamme. »Wenn er es aber tun muß, um die Sieben und deine Frau zu finden?« fragte Ulenspiegel. »Ich würde lieber schlafen«, sagte Lamme.
»Komm nur«, sagte Ulenspiegel, während er die Tür öffnete und Lamme vor sich her stieß, »sieh, die Baesine steckt zwischen zwei Kerzen hinter ihren Fässern, der Saal ist groß, die Decke ist von geschwärztem Eichenholz mit angeräucherten Balken. Ringsherum stehen Bänke und Tische mit hölzernen Füßen, mit Gläsern, Krügen, Bechern, Humpen, Kannen, Karaffen, Flaschen und anderen Trinkgeräten bedeckt. In der Mitte des Saales stehen noch andere Tische und Sessel, auf denen die Umhängetücher der Frauen, ihre goldenen Gürtel, samtnen Pantoffeln und die Dudelsäcke, Pfeifen und Schalmeien liegen. In einem Winkel ist eine Treppe, die ins Stockwerk führt. Ein kleiner kahlköpfiger Buckeliger spielt auf einem Spinett, das auf gläsernen Füßen steht, die den Ton des Instrumentes schnarren machen. Tanze, mein Fettwanst!
Fünfzig schöne, tolle Mädchen sitzen an diesen Tischen und rittlings auf diesen Stühlen, hingelehnt, ausgestreckt, mit aufgestützten Ellbogen, auf dem Bauch, auf dem Rücken oder auf der Seite liegend, jede wie es ihr gerade einfällt, sie sind mit weißen und roten Kleidern angetan, die Arme und Schultern sind, wie die Brust bis zum Nabel, nackt. Es sind da ausgewählte Mädchen von jeder Art. Diesen fällt das Licht der Kerzen liebkosend über ihre blonden Haare und läßt ihre blauen Augen im Schatten, in denen eine feuchte Glut erglänzt. Jene schauen zur Decke auf und seufzen über irgendeine deutsche Ballade. Wieder andre, rund, braun, dick und schamlos, trinken den Wein von Amboise aus vollen Humpen, zeigen ihre bis zur Schulter nackten Arme und die Äpfel ihrer Brüste, die aus ihren Kleidern hervorquellen, schamlos sprechen sie mit vollem Munde der Reihe nach oder auf einmal. Höre sie.«
»Nichts von Geld für heute! Es ist die Liebe nach unserer Wahl, nach der wir heute dürsten«, sagten die schönen Mädchen, »die Liebe eines Kindes, eines Jünglings und jedes, der uns gefällt, ohne uns bezahlen zu müssen.« – »Oh, daß sie doch aus Liebe zu Gott und zu uns hierherkämen, die, denen die Natur die Manneskraft verliehen hat.« – »Gestern war der Tag des Zahlens, heute ist der Tag des Liebens!« – »Wer will von unseren Lippen trinken? Sie sind noch feucht von der Flasche! Wein und Küsse, das ist das rechte Fest!« – »Wehe den Witwen, die allein in ihren Betten liegen!« – »Wir sind Mädchen! Heut ist der Tag der Nächstenliebe. Ihr jungen, starken, schönen Männer, wir öffnen euch unsere Arme. Zu trinken!« – »Schlägt dein Herz für das Gefecht der Liebe wie ein Tamburin in deiner Brust? Welch eine Triebfeder! Das ist die Uhr der Küsse. Wann kommen sie, mit den vollen Herzen und den leeren Säckeln? Wittern sie die köstlichen Abenteuer nicht? Welcher Unterschied ist zwischen einem jungen Geusen und dem Herrn Markgrafen? Der gnädige Herr zahlt mit Gulden, der junge Geuse mit Zärtlichkeiten. Es lebe der Geuse! Wer will auf die Friedhöfe gehen und dort den Weckruf ertönen lassen?«
So sprachen die guten, heißblütigen und freundlichen unter den Mädchen der freien Liebe. Aber es waren auch andere unter ihnen zu sehen, mit schmalen Gesichtern, die auf hageren Schultern saßen, diese Frauen machten aus Habgier einen Kramladen aus ihren Leibern und feilschten mit ihrem mageren Fleisch nach Pfennigen.
Fluchend sagten sie zueinander: »Wie dumm ist es von uns, bei diesem anstrengenden Beruf auf den Verdienst zu verzichten, weil es abgeschmackterweise diesen mannstollen Mädchen so einfällt. Wenn sie schon ein Mondviertel im Kopf haben, so haben wir's doch nicht, und wir ziehen vor, uns bezahlen zu lassen, solange wir uns verkaufen können, statt wie sie uns in unseren alten Tagen zerlumpt durch den Rinnstein zu schleppen.« – »Nichts von unbezahlter Liebe! Die Männer sind häßlich, stinkend, brummig, verfressen und versoffen. Sie allein sind es, die die armen Frauen ins Elend bringen!«
Aber die jungen und schönen Mädchen hörten diese Reden nicht an und gaben sich nur der Unterhaltung und dem Trunk hin. »Höret ihr«, sagten sie, »die Totenglocken von Notre-Dame läuten? Wir sind von Feuer! Wer will auf die Friedhöfe gehen, die Toten zu erwecken?«
Lamme, der auf einmal so viele Frauen vor sich sah, braune und blonde, frische und abgelebte, Lamme überkam die Scham, er senkte die Augen und sagte: »Ulenspiegel, wo bist du?« »Der ist längst fort, mein Freund«, sagte ein wohlbeleibtes Mädchen, das ihn am Arm faßte. »Längst fort?« fragte Lamme. »Ja«, sagte sie, »schon seit dreihundert Jahren, und zwar in Gesellschaft des Jacobus de Coster van Maerlandt.«
Lamme sagte: »Laßt mich und kneift mich nicht. Ulenspiegel, wo bist du? Komme doch, deinen Freund zu retten! Ich gehe sofort weg, wenn ihr mich nicht in Ruhe laßt.« »Du wirst nicht weggehen«, sagten die Mädchen. »Ulenspiegel«, sagte Lamme kläglich, »wo bist du, mein Sohn? Madame, zieht mich nicht so an den Haaren, ich versichere Euch, daß das keine Perücke ist. Zu Hilfe? Findet ihr denn, daß meine Ohren nicht rot genug sind, wenn ihr sie kneift, daß das Blut in sie steigt? Diese andere da versetzt mir ohne Unterlaß Nasenstüber. Ihr tut mir ja weh, ach!
Womit reibt man mir jetzt den Körper ab? Wo ist ein Spiegel? Ich bin schwarz wie eine Backofenesse. Ich werde bald zornig werden, wenn ihr nicht aufhört, es ist schlecht von euch, einen hilflosen Mann so zu quälen. Laßt mich! Wenn ihr mich rechts und links überall an der Hose hin und her zieht wie ein Weberschiffchen, wird euch das fetter machen?
Ja, ja, ich werde gewiß zornig werden!«
Er wurde in der Tat wütend, doch die Mädchen sagten spöttisch: »Er erzürnt sich, der Gute. Lache lieber und singe uns ein Liebeslied.« »Ich werde euch Schläge singen, wenn ihr wollt, laßt mich in Frieden.« »Welche von uns liebst du?« »Keine, weder dich noch die anderen. Ich werde mich beim Magistrat beklagen, und er wird euch auspeitschen lassen.« »Ja freilich, auspeitschen!« sagten sie, »und wenn wir über dich herfielen und dich gewaltsam küßten, ehe wir ausgepeitscht würden?« »Mich?« sagte Lamme. »Dich!« sagten alle.
Und siehe da, die Schönen und Häßlichen, die Frischen und Abgelebten, die Braunen und die Blonden stürzten sich auf Lamme, warfen seine Mütze in die Luft, seinen Mantel desgleichen, liebkosten ihn mit höchstem Ungestüm und küßten ihn auf Wangen, Nase und Rücken. Die Baesine saß lachend zwischen ihren Kerzen.
»Zu Hilfe!« schrie Lamme, »zu Hilfe, Ulenspiegel! Feg mir dieses Ungeziefer ab! Lasset mich, ich will nicht von euch geküßt werden, ich bin verheiratet, Herrgottsblut! Und ich bewahre alles meiner Frau.« »Verheiratet«, riefen die Mädchen, »da wird aber deine Frau zuviel haben an einem Mann von deiner Korpulenz. Gib uns ein bißchen davon ab. Eine treue Frau, das ist recht, aber ein treuer Mann ist ein Kapaun! Gott schütze dich! Du mußt eine Wahl treffen, sonst ist an uns die Reihe, dich auszupeitschen.« »Ich werde nicht wählen!« sagte Lamme. »Wähle«, sagten die Mädchen. »Nein.«
»Willst du mich?« sagte ein schönes, blondes Mädchen, »sieh mich an ich bin sanft und liebe den, der mich liebt.« »Laß mich«, sagte Lamme.
»Willst du mich?« sagte ein liebliches Mädchen, das schwarze Haare, dunkelbraune Augen und eine ebensolche Haut hatte und dessen Körper von Engelshänden gemacht schien. »Ich liebe die Pfefferkuchen nicht«, sagte Lamme.
»Und mich, willst du mich nicht nehmen?« sagte ein großes Mädchen, dessen Stirn fast ganz von den Haaren bedeckt war und dessen breite Brauen aneinanderstießen, sie hatte große, feuchte Augen, Lippen, die dick wie Aale und ebenso wie das Gesicht, der Hals und die Schultern hochrot waren. »Ich liebe die brennenden Ziegelsteine nicht«, sagte Lamme.
»Nimm mich«, sagte eine Sechzehnjährige, die einen Mund wie ein Eichhörnchen hatte. »Ich liebe die Haselnußknacker nicht«, sagte Lamme.
Da sprachen sie: »Er muß gepeitscht werden. Aber womit? Mit schönen Peitschen aus Streifen von trockenem Leder, das kneift trefflich, und die härteste Haut widersteht ihm nicht. Nehmt zehn Peitschen von Karrenführern und Eseltreibern zur Hand.«
»Zu Hilfe, Ulenspiegel!« schrie Lamme. Aber Ulenspiegel antwortete nicht, Lamme hielt nach allen Seiten Ausschau, um seinen Freund zu suchen, und sagte: »Du hast ein schlechtes Herz!«
Die Peitschen wurden herbeigebracht, und zwei von den Mädchen schickten sich an, Lamme das Wams auszuziehen. »Ach«, sagte er, »mein armes Fett, ich habe soviel Mühe gehabt, es anzusetzen, und sie werden es mir ohne Zweifel mit ihren kneifenden Peitschen herausreißen. Aber, erbarmungslose Weiblein, mein Fett wird euch zu nichts nütze sein, nicht einmal, um Soßen daraus zu machen.« Sie antworteten: »Wir werden Kerzen daraus machen, ist es nichts, hell sehen zu können, ohne dafür bezahlen zu müssen? Diejenigen, die fortan sagen werden, daß aus Peitschen Kerzen werden, die werden jedermann närrisch erscheinen. Doch wir werden das bis zum Tod behaupten und mehr als eine Wette gewinnen. Taucht die Lederstriemen in Weinessig.«
»Die Uhr von St. Jacob schlägt die neunte Stunde, wenn du nach dem letzten Glockenschlag nicht gewählt hast, so peitschen wir dich.«
Lamme sagte ganz entsetzt: »Habt Mitleid mit mir und Erbarmen, ich habe meiner armen Frau Treue geschworen und werde sie bewahren, obgleich sie mich böswillig verlassen hat. Ulenspiegel, mein Liebling, zu Hilfe!« Aber Ulenspiegel zeigte sich nicht. »Sehet mich auf den Knien vor euch«, sagte Lamme, »gibt es eine demütigere Stellung? Ist es nicht genug, wenn ich sage, daß ich eure großen Reize verehre wie die Heiligen? Glücklich die, die nicht verheiratet sind und sich an dem Zauber eurer Anmut ergötzen können! Das ist ohne Zweifel das Paradies. Aber geruhet, mich nicht zu schlagen!«
Plötzlich sagte die Baesine, die noch immer zwischen ihren zwei Kerzen saß, mit starker, drohender Stimme: »Ich schwöre bei meinem großen Teufel, daß ich die Stadtwächter holen und euch an Stelle dieses Mannes auspeitschen lassen werde, wenn ihr ihn nicht augenblicklich durch Freundlichkeit und Sanftmut gefügig macht, das heißt ins Bett bringt. Ihr verdient den Namen der Liebesfrauen nicht, wenn ihr vergeblich ausgestattet seid mit dem dürstenden Mund, der lüsternen Hand und den flammenden Augen, mit denen ihr die Männer locken sollt wie die Glühwürmchen, die ihre Laternen auch zu keinem anderen Zweck haben. Ihr werdet ohne Erbarmen für eure Albernheit gepeitscht werden.«
Diese Worte ließen die Mädchen erzittern, aber Lamme wurde fröhlich. »Nun also«, sagte er, »was bringt ihr für Neuigkeiten aus dem Land der kneifenden Riemen, Gevatterinnen? Ich will selbst die Stadtwache holen. Sie wird ihre Pflicht tun, und ich werde ihr dabei helfen, was mir ein großes Vergnügen bereiten wird.«
Da aber warf sich ein anmutiges Mädchen von fünfzehn Jahren vor Lamme auf die Knie und sagte: »Mein Herr, Ihr seht mich hier in demütiger Ergebenheit vor Euch, wenn Ihr nicht geruhet, eine von uns zu wählen, so werde ich Euretwegen geschlagen werden. Die Baesine, die dort sitzt, wird mich in einen finstern Keller unter der Schelde sperren, durch dessen Mauern das Wasser sickert und wo ich nichts als schwarzes Brot zu essen bekommen werde.«
»Wird sie wirklich für mich geschlagen werden, Frau Baesine?« fragte Lamme. »Bis aufs Blut«, antwortete sie.
Lamme betrachtete das Mädchen und sagte: »Ich sehe dich da so frisch, so duftig vor mir, und deine Schultern lugen aus dem Kleid hervor wie große, weiße Rosenblätter; ich will nicht, daß diese schöne Haut, unter der das noch so junge Blut fließt, unter der Peitsche leide, ich will weder, daß diese klaren, feurigen Augen der Jugend wegen des Schmerzes der Schläge Tränen vergießen, noch daß die Kälte des Kerkers diesen Körper einer Liebesfee erschauern mache. Wohlan, ich will dich lieber wählen als dich geschlagen wissen.«
Das Mädchen führte ihn aus dem Saal. So sündigte er, wie er sein ganzes Leben getan, aus Herzensgüte.
Indessen stand Ulenspiegel vor einem großen, schönen Mädchen mit brauner Haut und krausen Haaren. Das Mädchen sah Ulenspiegel an, ohne ein Wort zu sprechen, und schien nichts von ihm zu wollen. »Liebe mich«, sagte er. »Dich lieben«, sagte sie, »der du nichts anderes willst als ein paar ergötzliche Stunden?«
Ulenspiegel antwortete: »Der Vogel, der dir zu Häupten hinfliegt, singt sein Lied und fliegt davon. So auch ich, süßes Herz, willst du, daß wir zusammen singen?« »Ja singen, lachen und weinen«, sagte sie und warf sich Ulenspiegel an den Hals.
Plötzlich, als Lamme und Ulenspiegel eben in den Armen ihrer Liebchen die Sinne vor Lust vergingen, drang der Ton von Pfeifen und Trommeln durch das Haus, und eine fröhliche Gesellschaft von meesevangers, wie in Antwerpen die Meisenfänger heißen, trat drängend, sich stoßend, singend, pfeifend, schreiend, heulend und rufend ein. Sie trugen Säcke und Käfige, die ganz mit diesen kleinen Vögeln angefüllt waren, und hatten Eulen mit sich, die ihnen beim Fang geholfen hatten und nun mit ihren goldenen Augen im Licht blinzelten. Die meesevangers, ungefähr zehn an der Zahl, waren rot und aufgedunsen von Wein und Kräuterbier, mit wackelnden Köpfen schleppten sie sich auf schlotternden Beinen dahin und schrien mit so heiseren und brüchigen Stimmen, daß die furchterfüllten Mädchen eher wilde Tiere im Wald als Menschen in einem Haus zu hören vermeinten.
Indessen fuhren die Mädchen in ihren Reden fort, indem sie einzeln oder alle zugleich sprachen: »Ich will den, den ich liebe.« – »Wir gehören dem, der uns gefällt. Morgen denen, die reich an Gulden sind, heute denen, die reich an Liebe sind!« Die meesevangers antworteten: »Wir haben Gulden und Liebe, also gehören uns die Mädchen. Wer Reißaus nimmt, ist ein Kapaun. Die Mädchen sind die Meisen, und wir sind die Jäger. Wohlan denn, uns die Liebe und Brabant dem Herzog!«
Aber die Frauen sagten mit höhnischem Lachen: »Pfui, die häßlichen Mäuler, die uns verschlingen wollen! Schweinen gibt man keinen Sorbet. Wir nehmen die, die uns gefallen, und nicht die, die uns begehren. Ölfässer, Specksäcke, magere Nägel, rostige Klingen, ihr stinkt nach Schweiß und Dreck. Trollt euch von hier fort.« Aber die Männer sagten: »Die Gallischen sind heute köstlich, meine ungefügigen Damen, ihr könnt uns doch wohl geben, was ihr aller Welt verkauft!« Sie aber sagten: »Morgen werden wir hündische Sklavinnen sein und euch nehmen, aber heute sind wir freie Frauen und verschmähen euch.« Die Antwort darauf lautete: »Genug der Reden. Wer hat Durst? Pflücken wir die Äpfel!«
Bei diesen Worten stürzten sie sich auf die Mädchen und achteten weder ihres Alters noch ihrer Schönheit. Diese, entschlossen, bei ihrem Vorhaben zu verharren, warfen ihnen Stühle, Kannen, Krüge, Becher, Humpen, Karaffen und Flaschen an den Kopf, so daß es auf die Männer mörderisch herabregnete wie dichter, verwundender Hagel.
Ulenspiegel und Lamme kamen auf den Lärm herbeigelaufen und ließen ihre zitternden Liebchen oben auf der Treppe stehen. Als Ulenspiegel die Männer auf die Frauen einschlagen sah, nahm er im Laufen einen Besen und gab einen zweiten Lamme, nun ließen sie die Besen tanzen und hieben erbarmungslos auf die meesevangers ein.
Dies Spiel schien den betrunkenen Männern, die also gedämpft wurden, recht hart, und sie hielten einen Augenblick inne, das nutzten die mageren Mädchen, die sich verkaufen und nicht verschenken wollten, selbst an diesem großen Tag, der der freiwilligen Liebe, wie die Natur sie will, gewidmet war, sofort aus. Wie Nattern glitten sie zwischen den Verwundeten hindurch, verbanden ihre Wunden, tranken für sie den Wein von Amboise und säuberten ihre Taschen so gründlich von Gulden und anderen Münzen, daß kein lumpiger Heller darin zurückblieb.
Als es Mitternacht schlug, setzten sie die Männer vor die Tür, nachdem Ulenspiegel und Lamme sich schon längst auf den Weg gemacht hatten.
Ulenspiegel und Lamme ritten gegen Gent und kamen beim Morgengrauen nach Lokeren.
Das Land dunstete weithin vom Tau, und weiße, kühle Nebel wogten über den Wiesen.
Als sie vor einer Schmiede vorbeikamen, ließ Ulenspiegel den Pfiff der Lerche, des Vogels der Freiheit, ertönen. Alsogleich erschien ein kahler, weißer Kopf an der Tür der Schmiede und ahmte mit schwacher Stimme den kriegerischen Schrei eines Hahnes nach.
Ulenspiegel sagte zu Lamme: »Das ist der Schmied Wasteele, der tagsüber Spaten, Hacken und Pflugscharen schmiedet und das Eisen hämmert, solange es warm ist, um schöne Gitter für die Kirchenchore daraus zu fertigen, doch oftmals schmiedet und schleift er des Nachts Waffen für die Soldaten des freien Gewissens. Er hat bei diesem Schaffen kein gutes Aussehen gewonnen, denn er ist bleich wie ein Phantom, traurig wie ein Verdammter und so mager, daß ihm die Knochen die Haut durchlöchern. Er hat sich ohne Zweifel heute noch nicht niedergelegt und die ganze Nacht gearbeitet.«
»Tretet beide ein«, sagte Wasteele, »und führt eure Esel auf den Rain hinters Haus.«
Nachdem das geschehen war, traten Lamme und Ulenspiegel in die Schmiede, während der Schmied Wasteele in den Keller seines Hauses hinabstieg, wo er nachts Degen geschliffen, Lanzeneisen geschmolzen und die Tagesarbeit für seine Gehilfen vorbereitet hatte.
Er sah Ulenspiegel mit trüben Augen an und fragte: »Welche Nachrichten bringst du mir vom Schweiger?«
»Der Prinz ist samt seiner Armee wegen der Saumseligkeit seiner Söldner, die ›Geld! Geld!‹ rufen, wenn sie sich schlagen sollen, aus den Niederlanden vertrieben worden. Er hat sich mit Unterstützung des Königs von Navarra und der Hugenotten mit seinen treuen Söldnern, seinem Bruder, dem Grafen Ludwig, und dem Herzog von Zweibrücken gegen Frankreich zurückgezogen, von da marschierte er durch Deutschland bis nach Dillenburg, wo zahlreiche Flüchtlinge aus den Niederlanden sich um ihn versammelt haben. Du mußt ihm die von dir aufgespeicherten Waffen und Gelder zuschicken, während wir auf dem Meere das Werk der freien Männer vollenden.«
»Ich werde das Notwendige tun«, sagte der Schmied Wasteele, »ich habe Waffen und neuntausend Gulden. – Aber seid ihr nicht auf Eseln gekommen?« »Ja«, sagten sie. »Und habt ihr nicht unterwegs die Neuigkeit von drei Prädikanten gehört, die getötet, entkleidet und in ein Felsenloch an der Maas geworfen wurden?« »Ja«, sagte Ulenspiegel mit großer Sicherheit, »diese drei Prädikanten waren Spione des Herzogs, bezahlte Mörder, die den Prinzen der Freiheit töten sollten. Wir, Lamme und ich, haben sie zu zweit vom Leben in den Tod befördert. Ihr Geld haben wir an uns genommen, ihre Papiere desgleichen, wir werden davon nehmen, was wir für unsere Reise brauchen, den Rest werden wir dem Prinzen geben.«
Ulenspiegel öffnete sein Wams und das Lammes und zog daraus die Papiere und Pergamente hervor. Nachdem der Schmied Wasteele sie gelesen hatte, sagte er: »Sie enthalten Schlachtpläne und die Entwürfe zu einer Verschwörung. Ich werde sie dem Prinzen überbringen lassen, und er wird erfahren, daß es Ulenspiegel und Lamme Goedzak, seine treuen Landstreicher, waren, die sein edles Leben retteten.
Ich werde eure Esel verkaufen lassen, damit man euch nicht an euren Reittieren erkenne.«
Ulenspiegel fragte den Schmied Wasteele, ob das Schöffentribunal von Namur schon die Häscher an ihre Fährte gesetzt hätte. »Ich will euch sagen, was ich weiß«, antwortete Wasteele, »ein Schmied aus Namur, ein tapferer Reformierter, kam einen Tag nach diesem Ereignis unter dem Vorwand, meine Hilfe zur Herstellung der Gitter, Wetterfahnen und anderer Eisenteile an einem Schloß zu erbitten, das man in der Nähe der Plante erbauen will, zu mir.
Der Torwart des Schöffentribunals hat zu ihm gesagt, daß seine Herren schon versammelt seien und daß man einen Schenkenwirt habe rufen lassen, der ein paar hundert Meter vom Schauplatz des Mordes entfernt wohne. Befragt, ob er die Mörder gesehen habe oder nicht, oder ob er irgendwelche Personen bemerkt habe, die als solche verdächtig werden könnten, habe er geantwortet: ›Ich habe Bauern und Bäuerinnen gesehen, die auf Eseln ritten, von mir zu trinken verlangten und auf ihren Reittieren sitzenblieben oder abstiegen, um bei mir zu trinken, die Männer nahmen Bier, die Frauen und Mädchen Met. Ich sah unter ihnen zwei starke Bauern, die davon sprachen, daß sie den Herrn von Oranien um einen Kopf kürzer machen wollten.‹ Bei diesen Worten ahmte der Wirt das Pfeifen eines Messers nach, das ins Halsfleisch eindringt. ›Über Stahlwind‹, sagte er, ›will ich mich unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit euch unterhalten, denn ich habe die Vollmacht, es zu tun.‹ Er sprach und wurde wieder entlassen.
Seither haben die Gerichtsräte ohne Zweifel an ihre untergeordneten Räte Botschaften geschickt. Der Wirt sagte, daß er nur Bauern und Bäuerinnen gesehen habe, die auf Eseln geritten seien, daraus ergibt sich, daß man auf alle Jagd machen wird, die auf Eseln reiten. Und der Prinz braucht euch, meine Kinder!«
»Verkaufe die Esel«, sagte Ulenspiegel, »und hebe den Erlös für den Schatz des Prinzen auf.« Die Esel wurden verkauft.
Wasteele sagte: »Jetzt ist es notwendig, daß ihr ein freies, von den Innungen unabhängiges Handwerk habt; verstehst du Vogelkäfige und Mausfallen anzufertigen?« »Ich habe es schon einmal getan«, sagte Ulenspiegel. »Und du?« fragte Wasteele Lamme. »Ich werde heetekoeken und oeli-koeken, die sogenannten Krauskuchen und Mehlklößchen in Öl, verkaufen.«
»Folget mir, hier sind fertige Käfige und Mausefallen und Werkzeuge und Kupferfäden, um welche zu reparieren und neue anzufertigen. Sie wurden mir von einem meiner Spione gebracht. Das ist also dein Rüstzeug, Ulenspiegel. Was dich betrifft, Lamme, ist hier ein kleines Öfchen und ein Blasebalg, ich werde dir Mehl, Butter und Öl geben, damit du deine heete- und oeli-koeken backen kannst.« »Er wird sie auch essen«, sagte Ulenspiegel.
»Wann werden wir die ersten machen?« fragte Lamme. Wasteele antwortete: »Ihr werdet mir zunächst ein oder zwei Nächte lang helfen, ich kann mit meiner großen Arbeit nicht allein fertig werden.« »Ich habe Hunger«, sagte Lamme, »ißt man hier?« »Es gibt Brot und Käse«, sagte Wasteele. »Ohne Butter?« fragte Lamme. »Ohne Butter«, sagte Wasteele. »Hast du Bier oder Wein?« fragte Lamme weiter. »Ich trinke niemals«, antwortete er, »aber wenn ihr wollt, werde ich in den ›Pelicaen‹ gehen und etwas zu trinken holen.« »Ja«, sagte Lamme, »und bringe uns Schinken mit.« »Ich werde es tun, wenn ihr wollt«, sagte Wasteele, während er Lamme mit großer Geringschätzung anblickte.
Dennoch brachte er Dobbelclauwaert und einen Schinken mit. Lamme ward lustig und aß für fünf. Dann fragte er: »Wann machen wir uns an die Arbeit?« »Diese Nacht«, sagte Wasteele, »aber bleibt in der Schmiede und habt keine Angst vor meinen Gehilfen. Sie sind Reformierte wie ihr.« »Das ist gut«, sagte Lamme.
Nachts, nach dem Feierläuten, als die Türen geschlossen waren, ließ sich Wasteele, zwischen dem Keller und der Schmiede auf und ab steigend, von Ulenspiegel und Lamme helfen, schwere Bündel Waffen heraufzutragen. »Hier«, sagte er, »zwanzig Arkebusen, die repariert werden müssen, dreißig eiserne Lanzen zum Schleifen und Blei, um hundert Kugeln zu gießen. Ihr werdet mir helfen.« »Mit beiden Händen«, sagte Ulenspiegel, »da ich nicht vier habe, um dir zu dienen.« »Lamme wird uns behilflich sein«, sagte Wasteele. »Ja«, sagte Lamme kläglich und verschlafen wegen des überreichen Trunkes und der fetten Mahlzeit. »Du wirst das Blei schmelzen«, sagte Ulenspiegel. »Ich werde das Blei schmelzen«, sagte Lamme.
Er schmolz das Blei, goß seine Kugeln und warf dem Schmied, der ihn wach zu bleiben zwang, während ihm die Augen zufielen, wilde Blicke zu. Er goß die Kugeln in stiller Wut und hatte große Lust, dem Schmied Wasteele das geschmolzene Blei an den Kopf zu werfen. Aber er hielt sich zurück.
Gegen Mitternacht, während der Schmied mit Ulenspiegel geduldig Kanonenrohre, Arkebusen und Lanzeneisen schliff, und während Lammes Wut gleichzeitig mit der übergroßen Müdigkeit zugenommen hatte, hielt Lamme mit fauchender Stimme folgende Rede: »Da stehst du, mager, bleich und ärmlich, glaubst mit fester Überzeugung an die Fürsten und Großen dieser Erde und verachtest mit größtem Eifer deinen Körper, deinen edlen Körper, den du in Unglück und Elend zugrunde gehen lässest. Dazu hat dich Gott mit Frau Natur wahrlich nicht gezeugt. Weißt du, daß unsere Seele, die die Lunge des Lebens ist, Bohnen, Rindfleisch, Bier, Wein, Schinken, Würste und andere Köstlichkeiten braucht, um zu atmen? Aber du, du lebst von Brot, Wasser und nächtlichem Wachen.«
»Woher kommt dir dieser Redefluß?« fragte Ulenspiegel. »Er weiß nicht, was er spricht«, antwortete Wasteele traurig.
Aber Lamme ward zornig und sprach: »Ich weiß es besser als du. Ich sage, daß wir Narren sind, ich ebenso wie du und Ulenspiegel, die wir uns für die Fürsten und Großen der Erde die Augen blind machen, während sie aus Leibeskräften lachen, wenn sie sehen, wie wir vor Müdigkeit zerplatzen, weil wir nicht schlafen, um für sie Waffen zu schleifen und Kugeln zu gießen. Während sie aus goldenen Humpen französischen Wein trinken und von Tellern aus englischem Zinn Kapaune essen, machen sie sich keine Sorgen darum, daß wir indessen in Gottes freier Luft nach Nahrung suchen, durch dessen Gnade sie Gewalt über ihre Feinde haben, die uns mit ihren Sensen die Beine abschneiden und uns in die Totenlöcher werfen.
Sie, die weder Reformierte noch Calvinisten, noch Lutheraner, noch Katholiken, sondern durch und durch Skeptiker und Zweifler sind, kaufen und erobern inzwischen Fürstentümer, verschlingen das Vermögen der Mönche, der Äbte und Klöster und besitzen alles: Jungfrauen, Frauen und Freudenmädchen, und trinken aus ihren goldenen Humpen zu ihrer immerwährenden Ergötzung und zu unserer ewigen Dummheit, Tollheit und Eselei und auf die sieben Todsünden, die sie angesichts deiner Begeisterung, o Schmied Wasteele, dauernd begehen.
Sieh, die Felder, die Weiden, betrachte die Ernte auf den Äckern, das Obst, die Rinder und all das Gold, das aus der Erde sprießt, sieh, die wilden Tiere im Wald, die Vögel im Himmel, die köstlichen Fettammern, die zarten Drosseln, der Kopf des Wildschweins und die Keule des Rehs: das alles gehört ihnen, sie jagen es zu Land und fischen es zu Wasser. Du aber, du lebst von Wasser und Brot, und wir, wir reiben uns für sie auf, ohne zu schlafen, ohne zu essen und ohne zu trinken. Und wenn wir tot sein werden, werden sie unseren Kadavern einen Fußtritt geben und zu unseren Müttern sagen: ›Macht uns neue, diese da können uns nicht mehr dienen!‹«
Ulenspiegel lachte, ohne ein Wort zu sagen, Lamme schnaufte vor Entrüstung, aber Wasteele sagte mit sanfter Stimme: »Du sprichst leichtfertig, ich lebe nicht für Schinken, nicht für Bier und nicht für Fettammern, sondern für den Sieg des freien Gewissens. Der Prinz der Freiheit tut wie ich. Er opfert seine Güter, seine Ruhe und sein Glück, um die Henker und Tyrannen aus den Niederlanden zu verjagen. Tu es ihm gleich und bemühe dich, mager zu werden. Nicht mit dem Bauch rettet man die Völker, sondern mit stolzem Mut und stiller Duldsamkeit, ohne Murren bis zum Tode.
Und jetzt geh schlafen, wenn du schläfrig bist.«
Aber Lamme war beschämt und wollte nicht gehen. Und bis zum Morgen schliffen sie Waffen und gossen Kugeln. So ging's drei Nächte lang.
In der darauffolgenden Nacht machten sie sich, Käfige, Mausefallen und oeli-koekjes verkaufend, auf den Weg nach Gent. In Meulestee, dem Dörfchen der Mühlen, dessen rote Dächer man schon von weitem sah, machten sie halt, sie kamen überein, ihrem Beruf getrennt nachzugehen und vor Feierabend in der Herberge In de Zwaen – Zum Schwan – wieder zusammenzutreffen. Lamme zog, oeli-koekjes verkaufend, durch die Straßen von Gent und fand Geschmack an seinem Beruf, er suchte nach seiner Frau, leerte ganz gewaltige Kannen und aß ohne Unterbrechung.
Ulenspiegel überbrachte Jacob Scoelap, einem Lizentiaten der Heilkunde, Briefe vom Prinzen, ebenso dem Schneider Lieven Met, dem Jan Wulfschlaeger, dem Färber Gillis Coorne und dem Ziegelbrenner Jan de Roose, die ihm das von ihnen für den Prinzen gesammelte Geld übergaben und ihm sagten, daß er noch einige Tage in Gent und Umgebung verweilen solle, weil sie ihm noch mehr geben wollten. All diese Leute wurden später wegen Ketzerei am »Neuen Galgen« aufgehängt, und ihre Leichen wurden am Galgenfeld vor den Toren von Brügge begraben.
Indessen eilte Spelle der Rote, mit seinem roten Stäbchen ausgerüstet, auf seinem mageren Pferd von Stadt zu Stadt, ließ überall Schafotte errichten, Scheiterhaufen anzünden und Gräben graben, um die armen Frauen und Mädchen lebendig zu verscharren. Und der König erbte.
Ulenspiegel hielt sich mit Lamme in Meulestee auf, sie saßen unter einem Baum und hatten rechte Langeweile. Ulenspiegel fror, obgleich man im Juni war. Ein feiner, körniger Regen fiel vom Himmel, der mit grauen Wolken bedeckt war. Lamme sagte: »Mein Sohn, seit vier Nächten läufst du schamlos am Strich hinter den Freudenmädchen her, schläfst in Zoeten Inval und wirst es noch machen wie der Mann auf dem Aushängeschild, der, den Kopf voran, in den Bienenkorb fällt. Vergebens habe ich im ›Schwan‹ auf dich gewartet, und ich wittere Unheil in diesem Vagabundenleben. Warum nimmst du dir nicht in aller Tugend eine Frau?«
»Lamme«, sagte Ulenspiegel, »derjenige, dem eine soviel gilt wie alle und alle soviel gelten wie eine in diesem ehrenhaften Kampf, den man Liebe nennt, der soll sich nicht leichtfertig und ohne Wahl in die Ehe stürzen.« »Und Nele, denkst du nicht an sie?« »Nele ist sehr weit, in Damme«, sagte Ulenspiegel.
Während sie noch in ihrer Stellung verharrten und dichter Nebel vom Himmel fiel, lief eine anmutige Frau vorbei, die ihren Kopf mit dem Rock bedeckt hatte. »Heda, du Grübler«, rief sie, »was machst du unter diesem Baum?« »Ich – denke an eine Frau, die mir aus ihrem Rock ein Hageldach macht«, sagte Ulenspiegel. »Du hast sie gefunden«, sagte die Frau, »steh auf!« Ulenspiegel erhob sich und ging auf sie zu. »Willst du mich nun allein lassen?« fragte Lamme. »Ja«, sagte Ulenspiegel, »aber geh in den ›Schwan‹, iß ein oder zwei Hammelkeulen, trink zwölf Humpen Bier, und dann wirst du schlafen und dich nicht mehr langweilen.« »Ich werde so tun«, sagte Lamme.
Ulenspiegel näherte sich der Frau. »Hebe meinen Rock auf der einen Seite«, sagte sie, »ich werde ihn auf der anderen heben, und jetzt laufen wir.« »Warum laufen?« fragte Ulenspiegel. »Weil ich aus Meulestee fliehen will«, sagte sie, »der Profos Spelle ist da mit zwei Häschern, und er hat geschworen, daß er alle Freudenmädchen, die ihm nicht fünf Gulden zahlen wollen, auspeitschen lassen würde. Das ist der Grund meines Laufens, laufe auch du und bleibe bei mir, um mich zu verteidigen.«
»Lamme«, rief Ulenspiegel, »Spelle ist in Meulestee, geh nach Destelberg in den ›Stern der Magier‹.« Lamme erhob sich bestürzt, hielt sich den Wanst mit beiden Händen und begann zu laufen.
»Wohin läuft der dicke Hase?« fragte das Mädchen. »In ein Erdloch, in dem ich ihn wiederfinden werde«, antwortete Ulenspiegel. »Laufen wir«, sagte sie und schlug den Boden mit ihren Füßen wie eine ungeduldige Stute. »Ich wäre gern tugendhaft und verzichtete aufs Laufen«, sagte Ulenspiegel. »Was will das besagen?« fragte sie. »Der dicke Hase will, daß ich auf guten Wein, auf das Kräuterbier und auf die kühle Haut der Frauen verzichte.« Das Mädchen sah ihn mit bösen Augen an und sagte: »Du bist kurzatmig, du mußt dich ausruhen.« »Mich ausruhen, ja, ich sehe aber keinen Unterschlupf«, sagte Ulenspiegel. »Deine Tugend wird dir als Decke dienen«, erwiderte das Mädchen. »Dein Rock ist mir lieber.« »Mein Rock wäre entrüstet, wenn er einen Heiligen, wie du einer sein willst, zudecken sollte. Pack dich, ich laufe allein weiter.« »Weißt du nicht«, entgegnete Ulenspiegel, »daß ein Hund mit seinen vier Beinen schneller läuft als ein Mensch mit zweien? Nun also, wenn wir vier Beine haben, laufen wir besser.« »Das hast du für einen tugendhaften Mann schnell gesagt.« »Ja.« »Aber«, sagte sie, »ich habe immer gesehen, daß die Tugend eine stille, schläfrige, zähe und frostige Eigenschaft ist. Sie ist eine Maske, um mißmutige Gesichter zu verbergen, ein Mantel von Sammet um einen Menschen von Stein. Ich liebe nur die, die in der Brust eine Glutpfanne haben, die am Feuer der Mannbarkeit entzündet ist und zu tapferen und fröhlichen Unternehmungen antreibt.« »So sprach auch die schöne Teufelin zu dem ruhmreichen, heiligen Antonius«, sagte Ulenspiegel.
Zwanzig Schritte von der Straße entfernt lag eine Herberge. »Du hast gut gesprochen«, sagte Ulenspiegel, »jetzt mußt du aber auch gut trinken.« »Meine Zunge ist noch munter«, erwiderte das Mädchen.
Sie traten ein. Auf einem Schrank schlummerte einer jener weitbauchigen Krüge, die wegen ihres breiten Hohlraums »Wänste« genannt werden. Ulenspiegel sagte zum Wirt: »Siehst du diesen Gulden?« »Ich sehe ihn«, sagte der Wirt. »Um wieviel Patards wirst du ihn kleiner machen, um diesen Wanst da mit Dobbelclauwaert zu füllen?« »Um negen mannekens« – neun Männlein – »wirst du leichter sein.« »Das sind sechs flandrische Motten«, sagte Ulenspiegel, »und um zwei Motten zuviel. Aber füll ihn inzwischen.«
Ulenspiegel goß einen Becher für die Frau voll, setzte dann den Schnabel des »Wanstes« stolz an den Mund und leerte ihn mit einem Zug in seine Kehle. Das machte ein Geräusch wie ein Wasserfall. Das Mädchen war verdutzt und fragte: »Wie kannst du einen so großen ›Wanst‹ in deinen mageren Bauch ausleeren?« Ulenspiegel antwortete ihr nicht und sagte zum Wirt: »Bringe einen Schinken und Brot und noch einen vollen Wanst, damit wir essen und trinken können.«
Während das Mädchen an einem Stück Schinkenschwarte knabberte, faßte er sie mit so zärtlicher Fertigkeit an, daß sie mit einmal hingerissen, bezaubert und unterwürfig war. Sie fragte: »Woher sind dir bei deiner Tugend dieser Schwammsdurst, dieser Wolfshunger und diese Liebesgewandtheit gekommen?« Ulenspiegel antwortete: »Nachdem ich auf hunderterlei Arten gesündigt hatte, habe ich, wie du weißt, geschworen, Buße zu tun. Das dauerte eine gute Stunde. Als ich mir während dieser Stunde mein künftiges Leben vergegenwärtigte, sah ich mich mit magerem Brot und langweiligem Wasser ernährt, mit trauriger Miene die Liebe fliehen und aus Furcht, etwas Böses zu tun, nicht wagend, mich vom Fleck zu rühren oder auch nur zu niesen, ich sah mich von allen geschätzt und von jedem gefürchtet, einsam wie ein Aussätziger und traurig wie ein Hund, der seinen Herrn verloren hat, und schließlich, nach fünfzigjährigem Martyrium, sah ich mich trübselig auf einer elenden Lagerstatt verenden. Die Buße hat lange genug gedauert – nun küsse mich, Liebchen, und laß uns zu zweit das Fegefeuer fliehen!«
»Ach!« sagte sie, willig gehorchend, »was ist doch die Tugend eine schöne Fahne, wenn man sie an die Spitze einer Stange steckt!«
Unter solchem Liebesgeplänkel verstrich die Zeit, dennoch mußten sie sich entschließen aufzubrechen, denn das Mädchen fürchtete, mitten in der Unterhaltung urplötzlich Spelle und seine Häscher auftauchen zu sehen. »Schürze also deinen Rock«, sagte Ulenspiegel. Und sie liefen wie die Hirsche nach Destelberg, wo sie im »Stern der drei Magier« den essenden Lamme fanden.
Ulenspiegel suchte Jacob Scoelap, Lieven Smet und Jan de Wulfschlaeger oft in Gent auf, und sie teilten ihm Neuigkeiten über das gute oder schlechte Geschick des Schweigers mit. Und jedesmal, wenn Ulenspiegel nach Destelberg zurückkam, sagte Lamme zu ihm: »Was bringst du? Glück oder Unglück?«
»Ach!« sagte Ulenspiegel einmal, »der Schweiger, sein Bruder Ludwig und die anderen Heerführer hatten den Entschluß gefaßt, noch weiter nach Frankreich vorzudringen und sich mit dem Prinzen von Condé zu verbinden. Dadurch hätten sie das arme belgische Vaterland und das freie Gewissen gerettet. Aber Gott wollte es nicht, die deutschen Reiter und Landsknechte weigerten sich weiterzumarschieren und sagten, daß ihr Eid sie zwinge, gegen den Herzog von Alba zu marschieren, nicht aber gegen Frankreich. Nachdem man vergeblich in sie gedrungen war, ihre Pflicht zu tun, sah sich der Schweiger gezwungen, sie über die Champagne und Lothringen bis Straßburg zu führen, von wo aus sie nach Deutschland zurückkehrten.
Durch diesen plötzlichen und starrsinnigen Abzug wurde alles zerstört, der König von Frankreich weigert sich, ungeachtet seines Vertrages mit dem Prinzen, das versprochene Geld zu übergeben, die Königin von England wollte ihm welches schicken, um Calais und Umgebung wieder besetzen zu können, ihre Briefe wurden abgefangen und an den Kardinal von Lothringen zurückgeschickt, der sie in eine entgegengesetzte Antwort ummodelte.
So sehen wir unsere schöne Armee, unsere Hoffnung, wie Geister beim Hahnenschrei zerstieben, aber Gott ist mit uns, und wenn die Erde den Dienst versagt, wird das Wasser sein Werk vollenden. Es lebe der Geuse!«