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Ulenspiegel und Lamme weilten in den Dünen von Heyst und sahen von Ostende, von Blankenberge und von Knokke starke Fischerkähne voll bewaffneter Männer kommen, die, den Geusen von Zeeland folgend, an den Mützen einen silbernen Halbmond trugen mit der Inschrift: »Lieber dem Türken gedient als dem Papst.«
Ulenspiegel ist guter Dinge, und wann immer er den Lerchentriller ertönen läßt, antwortet ihm von allen Seiten der Hahnenschrei.
Die Schiffe fahren aus, machen ihre Fischzüge, verkaufen die Ladung und kehren eins nach dem andern nach Emden zurück. Dort ist Herr Wilhelm von Blois durch den Auftrag des Prinzen von Oranien, ein Schiff auszurüsten, zurückgehalten.
Ulenspiegel und Lamme kommen in Emden an, als die Schiffe der Geusen auf Befehl des Herrn von Très-Long in See stechen. Très-Long ist seit elf Wochen in Emden und langweilt sich tödlich. Er pendelt zwischen dem Land und seinem Schiff hin und her wie ein gefangener Bär in seinem Käfig.
Wie Ulenspiegel und Lamme so den Kai entlangschlendern, treffen sie einen gutmütig aussehenden Mann, der mit trübseliger Miene bemüht ist, mittels eines Spießes einen der Quadersteine des Kais auszuheben. Trotzdem seine Anstrengung offensichtlich vergeblich ist, läßt er nicht davon ab. Hinter ihm liegt ein Hund, der an einem Knochen nagt.
Ulenspiegel nähert sich dem Hund und macht Miene, ihm den Knochen wegzunehmen. Der Hund knurrt, Ulenspiegel läßt sich aber nicht abschrecken, und der Köter schlägt ein fürchterliches Gekläff an.
Der Herr dreht sich um und sagt zu Ulenspiegel:
»Was hast du davon, das Tier zu quälen?«
»Was habt Ihr davon, mein Herr, wenn Ihr diesen Pflasterstein aushebt?«
»Das ist etwas ganz anderes«, sagte der Herr.
»Der Unterschied ist nicht groß«, erwiderte Ulenspiegel; »wenn dieser Hund seinen Knochen hat und ihn behalten will, so hat dieser Stein seinen Kai und will dableiben. Und es ist nur recht und billig, daß Leute wie wir uns um einen Hund zu schaffen machen, wenn Leute wie Ihr sich mit einem Pflasterstein herumschlagen.«
Lamme stand hinter Ulenspiegel und wagte nicht zu sprechen.
»Wer bist du?« fragte der Herr.
»Ich bin Thyl Ulenspiegel, der Sohn des Claes, der für den Glauben in den Flammen starb.«
Nach diesen Worten pfiff er wie die Lerche, und der Herr ahmte das Krähen eines Hahnes nach.
»Ich bin der Admiral Très-Long«, sagte er dann. »Was willst du von mir?«
Ulenspiegel erzählte ihm seine Abenteuer und übergab ihm die fünfhundert Karlsgulden.
»Wer ist dieser dicke Mann?« fragte Très-Long und zeigte auf Lamme. »Mein Kamerad und Freund«, sagte Ulenspiegel, »er will, wie ich, auf deinem Schiff das Lied von der Befreiung des Landes unserer Väter mit der schönen Stimme der Arkebuse singen.« »Ihr seid alle beide tapfer«, sagte Très-Long, »und kommt auf mein Schiff.«
Es war im Monat Februar, ein scharfer Wind wehte, und der Frost war grimmig. Nach drei Wochen verdrießlichen Wartens verließ Très-Long Emden. Er dachte bis Texel zu gelangen und verließ das Vlie, war aber gezwungen, in Wieringen anzulegen, wo sein Schiff vom Eis eingeschlossen wurde.
Lamme suchte seine Frau und tummelte sich auf dem Eise unter den Männern und Weibern, die in fröhlichem Gewimmel auf Schlittschuhen um das Schiff herumliefen, aber Lamme fiel oft.
In der Zwischenzeit ging Ulenspiegel, um zu trinken und zu essen, in eine kleine Herberge am Kai, in der man die Kost nicht teuer bezahlen mußte, dort schwatzte er gerne mit der alten Wirtin. Als er eines Samstags wieder hinkam, sagte er zu einer anmutigen Frau, die erschien, um ihn zu bedienen: »Aber, du aufgefrischte Baesine, was hast du mit deinen alten Runzeln gemacht? In deinem Mund stehen lauter frische, junge Zähne, und deine Lippen sind rot wie Kirschen! Ist dies süße und schalkhafte Lächeln für mich?« »Keineswegs«, sagte sie, »aber was soll ich dir geben?« »Dich.« »Das wäre für einen Hering, wie du bist, zuviel, willst du kein andres Fleisch?«
Ulenspiegel schwieg, und sie sagte: »Was hast du mit diesem schönen, wohlgeratenen und umfangreichen Mann gemacht, den ich oft bei dir sah?« »Lamme?« »Was hast du mit ihm gemacht?« Ulenspiegel erwiderte: »Er ißt in den Schuppen harte Eier, geräucherte Aale, gesalzene Fische, zuertjes und alles, was er sich zwischen die Zähne schieben kann, das tut er nur, um seine Frau zu suchen. Warum bist du nicht die seine? Willst du fünfzig Gulden – oder ein goldenes Halsband?« Doch sie bekreuzigte sich und sagte: »Ich bin weder zu kaufen noch zu nehmen.« »Liebst du niemand?« fragte er. »Ich liebe dich als meinen Nächsten«, sagte sie, »aber mehr noch liebe ich unseren Herrn Christum und die Heilige Jungfrau, die mich ein züchtiges Leben führen hießen. Hart und schwer sind die Pflichten, die es mit sich bringt, aber Gott hilft uns armen Frauen!
Ist dein dicker Freund fröhlich?«
»Er ist fröhlich, wenn er ißt, traurig, wenn er fastet, und immer nachdenklich. Aber du, bist du fröhlich oder traurig?«
»Wir Frauen sind die Sklavinnen dessen, der uns beherrscht«, sagte sie. »Des Mondes?« fragte Ulenspiegel. »Ja.« »Ich will es Lamme sagen, damit er dich besuche.« »Tu das nicht«, sagte sie, »er würde weinen und ich auch.« »Hast du jemals seine Frau gesehen?« fragte Ulenspiegel. Sie antwortete seufzend: »Sie sündigte mit ihm und wurde zu trauriger Buße verbannt. Sie weiß, daß er für den Sieg der Ketzerei aufs Meer hinauszieht, und das ist für ein christliches Herz schwer zu tragen. Verteidige ihn, wenn man ihn angreift, betreue ihn, wenn er verwundet ist. Seine Frau trug mir auf, dich darum zu bitten.« »Lamme ist mein Bruder und Freund«, sagte Ulenspiegel.
»Ach!« sagte sie, »warum kehrt ihr nicht in den Schoß der heiligen Mutter-Kirche zurück!«
»Sie frißt ihre Kinder«, antwortete Ulenspiegel und ging.
An einem Märzmorgen, da ein scharfer Wind wehte und das Eis noch dicker werden ließ, das Très-Longs Schiff festhielt, machten sich die Matrosen und Soldaten auf Schlittschuhen davon, um sich einen guten Tag zu tun.
Ulenspiegel war wieder in der Herberge, und das hübsche Weib sagte voll Angst und fast irr vor Aufregung: »Armer Lamme! Armer Ulenspiegel!« Sie trat, aufmerksam lauschend, an die Tür. »Horchst du auf das Fallen des Schnees?« fragte Ulenspiegel. »Nein«, sagte sie. »Auch nicht auf das fröhliche Lärmen unserer wackeren Matrosen in der benachbarten Schenke?« »Der Tod kommt wie ein Dieb«, sagte sie. »Der Tod? Ich verstehe dich nicht, komm her und sprich.« »Sie sind da«, sagte sie. »Wer?« »Die Soldaten des Simonen-Bol, die im Namen des Herzogs kommen, um über euch herzufallen, man behandelt euch hier so gut wie Ochsen, die man schlachten will. Ach! warum habe ich das nur nicht früher gewußt!« sagte sie unter Tränen. »Weine nicht und schrei nicht, sondern bleib still«, sagte Ulenspiegel. »Ich verrate mich nicht«, sagte sie.
Ulenspiegel verließ das Haus, lief in alle Schuppen und Schenken und flüsterte allen Matrosen und Soldaten ins Ohr: »Der Spanier kommt!«
Alle liefen auf das Schiff, bereiteten sich in großer Hast auf den Kampf vor und erwarteten den Feind. Ulenspiegel sagte zu Lamme: »Siehst du diese Frau im scharlachroten Kleid mit schwarzen Spitzen, die dort auf dem Kai steht und ihr Gesicht unter der weißen Kapuze verbirgt?« »Sie ist mir gleichgültig«, sagte Lamme, »mir ist kalt, und ich will schlafen.« Und er wand sich den Mantel um den Kopf, so daß er nichts hören konnte.
Ulenspiegel erkannte die Frau aus der Schenke und rief: »Wolltest du uns folgen?« »Bis ins Grab«, sagte sie, »aber ich darf nicht.« »Du tätest gut daran«, sagte Ulenspiegel, »aber bedenke: Wenn die Nachtigall im Wald bleibt, ist sie glücklich und singt. Wagt sie sich aber in den Meeressturm hinaus, so brechen ihr die Flügel, und sie stirbt.«
»Ich habe daheim gesungen«, sagte sie, »und würde auch draußen singen, wenn ich könnte.« Dann näherte sie sich dem Schiff und setzte hinzu: »Nimm diesen Balsam für dich und deinen Freund, der schläft, wenn er wachen sollte.« Dann entfernte sie sich und rief: »Lamme, Lamme! Gott behüte dich vor allem Übel! Komme gesund zurück!« Dabei enthüllte sie ihr Gesicht.
»Meine Frau! Meine Frau!« rief Lamme und wollte auf das Eis hinabspringen. »Deine treue Frau«, rief sie und lief rasch davon. Lamme wurde von einem Soldaten, der ihn am Überrock packte, davon abgehalten, aufs Eis zu springen. Er schrie, weinte und flehte, daß man ihm erlauben solle, das Schiff zu verlassen. Aber der Profos sagte zu ihm: »Du wirst gehenkt, wenn du von Bord gehst.« Lamme wollte sich neuerdings auf das Eis hinabstürzen, doch ein alter Geuse hielt ihn fest und sagte:
»Der Boden ist feucht, du könntest nasse Füße bekommen.«
Lamme fiel auf sein Gesäß und sagte weinend:
»Meine Frau, meine Frau! Laßt mich zu meiner Frau gehen!«
»Du wirst sie wiedersehen«, sagte Ulenspiegel, »sie liebt dich, aber sie liebt Gott noch mehr als dich.« Weinend rief Lamme: »Diese abgefeimte Teufelin! Wenn sie Gott mehr liebt als ihren Mann, warum zeigt sie sich mir dann so lieblich und begehrenswert? Und wenn sie mich liebt, warum verläßt sie mich?«
»Siehst du klar in die Tiefe eines Brunnenschachts?« fragte Ulenspiegel. »Ach! ich werde bald sterben!« sagte Lamme. Und bleich und verstört blieb er auf dem Deck sitzen.
Indessen kamen die Truppen Simonen-Bols mit starken Geschützen. Sie beschossen das Schiff, das diesen Gruß erwiderte, und die Kugeln sprengten rund um das Fahrzeug das Eis auf.
Der Wind wehte vom Westen, das Meer brauste in der Tiefe und hob gewaltige Eisblöcke hoch, die sich aufrichteten, zurückfielen und übereinanderglitten, nicht ohne Gefahr für das Schiff. Und als der Morgen graute, streckte das Schiff seine weißen Flügel wie ein Vogel der Freiheit und segelte ins offene Meer hinaus.
Dort stießen sie zu der Flotte des Herrn Lumey von der Mark, Admirals von Holland und Zeeland und Generalkapitän, dessen Schiff auf der Mastspitze eine Laterne trug.
»Sieh ihn dir gut an, mein Sohn«, sagte Ulenspiegel zu Lamme, »der erspart dir nichts, wenn du mit Gewalt das Schiff verlassen willst. Hörst du seine Donnerstimme grollen? Sieh, wie breit und stark er ist bei seiner Größe! Betrachte seine langen Hände mit den gekrümmten Nägeln! Sieh seine großen, kalten Adleraugen und seinen spitz auslaufenden Bart, den er solange nicht stutzt, bis er alle Mönche und Priester gehenkt hat, um den Tod der beiden Grafen zu rächen. Sieh ihn dir an, den Schrecklichen, Unbarmherzigen, er wird dich aufknüpfen lassen, wenn du fortfährst, zu greinen und ›Meine Frau‹ zu schreien!«
»Mein Sohn«, entgegnete Lamme, »so spricht meist der vom Strick, der die hanfene Krause schon um den Hals hat.«
»Du wirst sie als erster tragen, das ist meine freundschaftliche Meinung«, sagte Ulenspiegel.
»Ich werde dich schon noch an dem Galgen baumeln und deine giftige Zunge klafterweit aus dem Halse hängen lassen sehen«, entgegnete Lamme.
Und dann lachten sie beide.
An diesem Tage kaperte das Schiff Très-Longs ein Fahrzeug, das von Biscaya kam und mit Quecksilber, Goldstaub, Wein und Gewürzen beladen war. Das Schiff wurde seines ganzen Inhalts, der Besatzung und der Ladung beraubt wie ein Knochen seines Marks unter den Zähnen eines Löwen.
Zu dieser Zeit führte der Herzog in den Niederlanden grausame und unerträgliche Steuern ein, welche die Einwohner verpflichteten, beim Verkauf beweglicher oder unbeweglicher Güter von je zehntausend Gulden tausend abzubezahlen. Diese Abgabe sollte eine dauernde Einrichtung sein. Jeder Kaufmann und wer sonst etwas veräußerte, mußte dem König den Zehnten bezahlen, und es hieß, daß die Waren, die zehnmal in einer Woche verkauft wurden, alle dem König gehörten. So wurden Handel und Industrie dem Untergang entgegengetrieben.
Die Geusen nahmen damals Briele, eine starke Seefestung, ein und nannten es »Rute der Freiheit«.
Es war in den ersten Tagen des Monats Mai. Der Himmel war klar, das Schiff glitt stolz über die Wogen, und Ulenspiegel sang:
»Die Asche des Vaters, sie schlägt an mein Herz.
Die Henker sie kamen und schlugen
Mit Eisen und Feuer und Fäusten und Schwert.
Die tückschen Spione, sie haben's gebüßt!
Wo Glaube und Liebe die Menschen geführt,
Da haben sie Tücke und Mißtraun gesät.
Daß die Schlächter die Rache ereile,
Schlaget die Trommeln des Krieges!
Es lebe der Geuse! Schlaget die Trommel!
Genommen ist Briele und Vlissingen auch,
Der Schlüssel zum Laufe der Scheide.
Gott ist uns gnädig, Champ-Veere ist unser.
Wo waren die Feldschlangen Zeelands?
Wir haben Kugeln und Pulver und Blei
Und Armbrüste, Schwerter und Lanzen.
Gott ist mit uns, wer ist unser Feind?
Schlaget die Trommeln des Kriegs und des Siegs!
Es lebe der Geuse! Schlaget die Trommel!
Das Schwert ist gezogen, die Herzen voll Mut,
Unsre Arme sind hart, das Schwert ist gezogen.
Fort mit dem Zehent, des Kaufmanns Ruin,
Dem Henker den Tod, dem Räuber den Strick,
Dem meineid'gen König ein aufständisch' Volk!
Das Schwert ist gezogen für unser Recht,
Für unsere Häuser, für Kinder und Frau'n.
Das Schwert ist gezogen, schlaget die Trommel!
Die Herzen voll Mut, die Arme sind hart.
Fort mit dem Zehent und keinen Pardon!
Schlaget die Trommel, die Trommel des Kriegs!«
»Ja, Gevattern und Freunde«, sagte Ulenspiegel, »in Antwerpen haben sie vor dem Stadthaus ein gewaltiges Gerüst errichtet und mit rotem Tuch behängt. Und der Herzog sitzt inmitten seiner Würdenträger und Soldaten darauf, wie ein König auf seinem Thron. Er versucht wohlwollend zu lächeln, aber es wird nur eine grimmige Fratze. Schlaget die Trommel des Krieges!
Er läßt Gnade vor Recht ergehen, ruhig: sein goldner Küraß blinkt in der Sonne, der Profos hält hoch zu Roß neben dem Thronhimmel. Jetzt kommt der Herold mit seinen Paukenschlägern. Er liest vor; es ist der Pardon für alle jene, die nicht gesündigt haben. Die andern werden unbarmherzig bestraft.« Und Ulenspiegel sang:
»O Herzog, hörst du die Stimme des Volkes,
Das Tosen des Meers, das sich bäumt,
Am Tage des rasenden Sturmes?
Genug ist geflossen an Silber und Blut,
Genug der Ruinen! Die Trommel gerührt!
Das Schwert ist gezogen. Schlaget die Trommel der Trauer!
Du gräbst deine Nägel in blutende Wunden,
Beraubst die erschlagenen Opfer. Mußt du
Aus Gold und Blut einen Trank dir brau'n?
Dem König hielten wir Treu und Pflicht,
Doch der König brach sein Wort,
Nun sind wir der Eide entbunden. Schlagt die Trommel des Krieges!
Herzog von Alba, Blutherzog du,
Sieh die geschlossenen Schuppen und Läden,
Die Bäcker und Fleischer verkaufen nicht,
Damit sie den Zehent nicht zahlen.
Wer grüßt dich, wenn du vorübergehst?
Keiner. Fühlst du den Pesthauch nicht
Von Haß und Verachtung, der dich umschwelt?
Flandern, das schöne, liebliche Land
Und Brabant, das allezeit frohe,
Wie Kirchhöfe sind sie, so traurig.
Und wo in der Freiheit goldener Zeit
Die Fiedel und Flöte erschallte,
Ist ewiges Schweigen und Tod.
Schlaget die Trommel des Krieges!
Statt der muntern Gesichter der Zecher
Und der fröhlich singenden Buhlen
Sieht man die bleichen Gestalten
Ergeben des Schwertes des Unrechtes harren.
Schlaget die Trommel des Krieges!
Verstummt ist in den Tavernen
Das fröhliche Klingen der Kannen,
Wie die singenden Stimmen der Mädchen,
Die scharweis die Straßen erfüllten.
Brabant und Flandern, die Lande des Frohsinns,
Sind Lande der Tränen geworden.
Schlaget die Trommel der Trauer!
Erde der Väter, Schmerzensgeliebte,
Beug nicht die Stirn unter Mörders Fuß.
Emsige Bienen, stürzt euch in Schwärmen
Auf Spaniens Drohnengesindel!
Frauen und Mädchen, lebendig begraben,
Flehet Vergeltung von Christo!
Ruhlose Seelen, irrt nachts durch die Wälder,
Ruft Gott an! Die Faust ist gerecket,
Das Schwert ist gezogen, Herzog, wir reißen die Därme dir aus
Und schlagen sie dir ins Gesicht.
Schlaget die Trommel, das Schwert ist gezogen.
Schlaget die Trommel! Es lebe der Geuse!«
Und alle Matrosen und Soldaten auf Ulenspiegels Schiff und auf den andern Schiffen sangen:
»Das Schwert ist gezogen, es lebe der Geuse!«
Und ihre Stimmen dröhnten wie der Donner der Befreiung.
Die Welt war im Januar, dem grausamen Monat, der das Kalb im Bauch der Kuh erfrieren läßt. Es hatte geschneit und dann gefroren. Die Knaben fingen die Sperlinge, die auf dem verharschten Schnee nach irgendwelcher Nahrung suchten, mit Vogelleim und brachten dies Wild in die Hütte ihrer Eltern. Vom grauen Himmel hoben sich die dürren Skelette der Bäume ab, deren Äste mit Schneekissen bedeckt waren, auch auf den Hütten und Mauerfirsten lag dicker Schnee, in dem die Fußspuren der Katzen sichtbar waren, die ebenfalls auf die Sperlinge Jagd machten. Die Erde war weit und breit von der wundertätigen Schneedecke eingehüllt, die den Boden warm hält und vor der grimmen Winterkälte schützt. Aus Häusern und Hütten stieg schwarzer Rauch zum Himmel auf, und nirgends hörte man einen Laut.
Katheline und Nele waren allein in ihrer Hütte, und Katheline sagte, während sie den Kopf schüttelte: »Hans, mein Herz zieht mich zu dir. Du mußt die siebenhundert Karlsgulden Ulenspiegel wiedergeben, dem Sohn der Soetkin. Aber komm nur, auch wenn du arm bist, daß ich dein schimmerndes Gesicht sehe. Nehmt das Feuer weg! Der Kopf brennt! Ach, wo sind die schneeichten Küsse? Wo ist dein eisiger Körper, du mein Geliebter?« Während sie so sprach, stand sie am Fenster.
Plötzlich kam ein Läufer in großen Sätzen dahergerannt und rief: »Da kommt der Vogt, der Obervogt von Damme!« Er lief bis zum Gemeindehaus, um dort die Bürgermeister und Schöffen zur Versammlung zu rufen. Nun hörte Nele zwei Fanfarenstöße die Stille durchdringen, die Bürger von Damme traten vor ihre Türen, da sie glaubten, es sei Seine Königliche Majestät, die ihre Ankunft durch solches Fanfarengeschmetter anzeigen lasse.
Auch Katheline und Nele gingen vors Haus. Da sahen sie von weitem einen Trupp glänzender Reiter daherkommen, an deren Spitze ein Mann in einem schwarzsammetenen, mit Spitzen geschmückten Überwams und Schuhen aus gelbem Kalbsleder ritt, die mit Marderfell verbrämt waren. Und sie erkannten den Obervogt. Hinter ihm ritten junge Herren, die trotz der Anordnung weiland Seiner Königlichen Majestät auf ihren Sammetkleidern Spitzen, Borten, Bänder und Verzierungen von Gold, Silber und Seide trugen. Ihre Überkleider waren, wie die des Vogts, mit Pelzwerk verbrämt. Sie ritten fröhlich plaudernd dahin, und die Straußfedern, die ihre mit goldenen Knöpfen und Schnüren besetzten Hüte zierten, wehten im Wind.
Sie schienen alle gute Freunde und Kumpane des Obervogts zu sein. Auch die Herren seines Gefolges waren prunkvoll gekleidet, insbesondere einer, der ein mürrisches Gesicht zur Schau trug, er hatte ein grünes, mit Goldborten eingefaßtes Kleid, sein Mantel war aus schwarzem Sammet und, ebenso wie die Mütze, mit langen Federn geschmückt. Seine Nase hatte die Form eines Geierschnabels, der Mund war schmal, das Haar rot, das Gesicht bleich. Seine Haltung war stolz und abweisend.
Als der Trupp dieser Edlen an Kathelines Haus vorbeikam, sprang sie plötzlich dem Pferd des bleichen Mannes in die Zügel und rief, toll vor Freude: »Hans, mein Liebling, ich wußte, daß du wiederkommen würdest. Du bist schön, so ganz in Sammet und Gold, wie eine Sonne über dem Schnee! Bringst du mir die siebenhundert Gulden? Werde ich dich wieder wie einen Seeadler hören?«
Der Obervogt ließ den Trupp der Edlen anhalten, und der bleiche Herr sagte: »Was will mir diese Bettlerin?« Aber Katheline ließ die Zügel des Pferdes nicht los und sagte: »Geh nicht wieder fort, ich habe soviel um dich geweint. Süße Nächte, mein Geliebter, Küsse von Schnee und Körper von Eis! Das Kind ist hier.« Dabei zeigte sie auf Nele, die ihn erzürnt ansah, denn er hatte seine Peitsche erhoben. Aber Katheline sagte weinend: »Ach, erinnerst du dich denn nicht? Hab' doch Mitleid mit deiner Magd. Nimm sie mit dir, wohin du magst. Nimm das Feuer weg, Hans, Erbarmen!«
»Pack dich«, sagte er und trieb sein Pferd so gewaltig vorwärts, daß Katheline den Zügel fahrenließ und zu Boden stürzte, das Pferd schritt über sie hinweg und brachte ihr an der Stirn eine blutende Wunde bei.
Nun sagte der Obervogt zu dem bleichen Herrn: »Mein Herr, kennt Ihr diese Frau?« »Ich kenne sie nicht«, sagte er, »sie ist ohne Zweifel eine Verrückte.«
Aber Nele sagte, nachdem sie Katheline aufgehoben hatte: »Wenn diese Frau auch verrückt ist, so bin ich es doch nicht, und ich will an dem Schnee sterben, den ich jetzt esse« – dabei nahm sie mit den Fingern etwas Schnee auf –, »wenn dieser Mann meine Mutter nicht kennt, wenn er ihr nicht all ihr Geld abgeschwindelt und nicht den Hund Claesens getötet hat, um die siebenhundert Karlsgulden zu nehmen, die an der Mauer des Brunnens hinter unserem Hause lagen und dem armen Verblichenen gehörten.«
»Hans, mein Liebling«, sagte Katheline weinend und auf den Knien liegend: »Hans, mein Geliebter, gib mir den Kuß des Friedens, sieh das Blut fließen: die Seele hat das Loch gemacht und will von dannen, ich werde bald sterben, verlaß mich nicht!« Dann sagte sie ganz leise: »Einstmals tötetest du am Deich deinen Kameraden aus Eifersucht.« Und sie zeigte mit dem Finger in der Richtung nach Dudzeele. »Damals liebtest du mich von ganzem Herzen.« Und sie umschlang das Knie des Edelmanns und küßte seinen Stiefel.
»Wer ist dieser Getötete?« fragte der Obervogt. »Ich weiß es nicht, mein Herr«, antwortete der Gefragte, »machen wir uns über die Reden dieser Bettlerin keine Gedanken, und reiten wir weiter.«
Doch das Volk hatte sich um die beiden geschart, und groß und klein, Bürger, Arbeiter und Bauern nahmen Kathelines Partei und riefen: »Gerechtigkeit, Herr Obervogt, Gerechtigkeit!« Und der Vogt sagte zu Nele: »Wer ist dieser getötete Mann? Sprich die Wahrheit, im Namen Gottes!«
Nele zeigte auf den bleichen Edelmann und sagte: »Dieser da ist alle Samstage in die Keet gekommen, um meine Mutter zu besuchen und ihr Geld wegzunehmen; er hat einen seiner Freunde, Hubert mit Namen, im Feld des Servaes van der Vichte getötet, aber nicht um der Liebe willen, wie diese unschuldige Irre glaubt, sondern um die siebenhundert Karlsgulden allein zu bekommen.«
Und Nele erzählte von der Liebe Kathelines, und was sie gehört hatte, als sie in jener Nacht hinter dem Deich verborgen gewesen war, der sich durch das Feld des Servaes van der Vichte zieht.
»Nele ist böse«, sagte Katheline, »sie spricht roh von Hans, ihrem Vater.«
»Ich schwöre, daß er wie ein Seeadler schrie, um seine Anwesenheit zu künden«, sagte Nele. »Du lügst«, sagte er. »O nein!« sagte Nele, »und der Herr Obervogt und all die anderen Herren hier sehen es deutlich: du bist nicht vor Kälte bleich, sondern vor Angst. Woher kommt es, daß dein Gesicht nicht mehr blinkt? Du hast nun deine Zaubermixtur verloren, mit der du dich salbtest, um leuchtend zu erscheinen wie die Meereswogen beim Gewitter. Aber du wirst brennen, verfluchter Hexenmeister, brennen vor dem Wall des Gemeindehauses. Du bist's, der Soetkins Tod verursacht hat, du hast ihren verwaisten Sohn ins Elend gestoßen. Du, ein Edelmann, ohne Zweifel, kamst ein einziges Mal, um meiner Mutter Geld zu bringen, und alle andern Male hast du ihr welches weggenommen.«
»Hans«, sagte Katheline, »wirst du mich wieder mit Balsam einreiben und zum Sabbat führen? Höre nicht auf Nele, sie ist böse, du siehst das Blut, die Seele hat das Loch gemacht, um zu entweichen! Ich werde bald sterben und in die Gefilde gehen, wo sie nicht mehr brennt.«
»Schweig, tolle Hexe, ich kenne dich nicht und weiß nicht, was du da redest«, sagte er.
»Und dennoch bist du der, der mit einem Kumpanen kam, den du mir zum Gatten geben wolltest«, sagte Nele, »du weißt, daß ich es nicht wollte, was hat er angefangen, dein Freund Hubert, was hat er angefangen, nachdem ich ihm mit den Nägeln in die Augen gefahren war?« »Nele ist böse«, sagte Katheline, »traue ihr nicht, Hans, mein Liebling, sie ist erzürnt auf Hubert, der sie mit Gewalt nehmen wollte, aber jetzt kann er es nicht mehr, der Hilbert, die Würmer haben ihn schon aufgefressen. Und Hilbert war häßlich, Hans, mein Liebling, du allein bist schön, und Nele ist böse.«
Daraufhin sagte der Obervogt: »Frauen, geht friedlich in eure Häuser zurück.« Aber Katheline wollte ihrem Freund nicht von der Seite weichen, und er mußte sie mit Gewalt in ihre Wohnung führen lassen. Und das ganze versammelte Volk rief: »Gerechtigkeit, edler Herr, Gerechtigkeit!«
Der Lärm hatte die Gemeindewächter herangelockt, der Obervogt hieß sie bleiben und sagte zu den Herren und Edlen: »Meine edlen Herren und Hochgeborene, ungeachtet aller Privilegien, die den hohen Adel in Flandern beschützen, muß ich auf diese Anklagen hin, vornehmlich wegen der Anklage der Zauberei, die gegen den Herrn Joos Damman erhoben wurde, besagten Herrn festnehmen lassen, bis daß, den Gesetzen und Erlassen des Königs folgend, über ihn zu Gericht gesessen sein wird! Übergebt mir Euren Degen, Herr Joos.« »Herr Obervogt«, sagte Joos Damman mit großem Hochmut und adeligem Stolz, »wenn Ihr mich festnehmen lasset, so verstoßet Ihr gegen das flandrische Gesetz, denn Ihr seid nicht selbst Richter. Und Ihr wißt doch wohl, daß es nicht erlaubt ist, einen Adeligen ohne Haftbefehl eines Richters festzunehmen. Und Ihr wißt wohl, daß es nicht erlaubt ist, ohne Auftrag eines Richters jemand andern festzunehmen als Geldfälscher, Straßenräuber, Brandstifter, solche, die Frauen Gewalt angetan haben, Soldaten, die ihre Hauptleute verlassen haben, Zauberer, die die Brunnen vergiften, entflohene Mönche und Nonnen und Verbannte. Verteidigt mich also, ihr edlen und hochgeborenen Herren!«
Einige wollten dieser Aufforderung nachkommen, aber der Vogt sagte: »Edle und Hochgeborene, ich, Graf und Ritter, der ich hier unseren König vertrete, ich, dem es vorbehalten ist, die schwierigen Gerichtsfälle zu entscheiden, ich fordere euch auf und befehle euch, sofern ihr nicht als Rebellen angezeigt werden wollt, eure Degen wieder in die Scheiden zu stecken!« Nachdem die Edelleute gehorcht hatten und Joos Damman noch immer zögerte, rief das Volk: »Gerechtigkeit, Herr, Gerechtigkeit! Er soll seinen Degen ausliefern!«
Er tat es nun widerwillig, stieg vom Pferd und wurde von zwei Wachen in das Gemeindegefängnis geführt. Immerhin wurde er nicht in eines der Kellergelasse gesperrt, sondern man brachte ihn in ein vergittertes Zimmer, wo er gegen Bezahlung einen guten Ofen, ein gutes Bett und gute Kost bekam, von welcher der Wächter die Hälfte für sich nahm.
Am nächsten Tag ging der Vogt mit zwei Gerichtsschreibern, zwei Schöffen und einem Chirurgen in der Richtung nach Dudzeele, um zu suchen, ob sie nicht im Feld des Servaes van der Vichte, längs des Dammes, der das Feld durchquert, die Leiche finden könnten.
Nele hatte zu Katheline gesagt: »Dein Liebling Hans verlangt die abgeschnittene Hand Huberts, heute abend wird er wie der Seeadler schreien, wird in die Hütte kommen und dir die siebenhundert Karlsgulden bringen.« Katheline hatte geantwortet: »Ich werde sie abschneiden.«
In der Tat nahm sie ein Messer und ging, von Nele und Gerichtsbeamten begleitet, hinaus, Nele trug einen Spaten. Als sie ins Feld und auf den Deich kamen, ging Katheline bis zur Mitte vor und sagte, während sie mit der Rechten auf die Wiese zeigte: »Hans, du wußtest nicht, daß ich hier zitternd verborgen war, während die Degen erklangen. Und Hubert rief: ›Dies Eisen ist kalt.‹ Hilbert ist häßlich, Hans ist schön. Du wirst seine Hand bekommen, laß mich allein.«
Dann stieg sie links hinab, sank im Schnee auf die Knie und schrie dreimal in die Luft, um den Geist anzurufen. Nun gab Nele ihr den Spaten, auf den sie dreimal das Zeichen des Kreuzes machte, dann ritzte sie den Umriß eines Sarges und drei verkehrte Kreuze, eines nach Osten, eines nach Westen und eines nach Norden, in das Eis und sagte: »Drei, das ist Mars bei Saturn, und drei, das ist die Enthüllung unter der Venus, dem leuchtenden Gestirn.« Hierauf zog sie einen großen Kreis um die Sargfigur und sagte: »Troll dich, böser Dämon, der du die Leichen bewachst.« Dann ließ sie sich auf die Knie nieder und betete: »Geliebter Teufel Hilbert! Hans, mein Herr und Meister, befiehlt mir, hierherzukommen, dir eine Hand abzuschneiden und ihm zu bringen. Ich muß ihm gehorchen, lasse das Feuer der Erde nicht gegen mich auflodern, weil ich deine edle Gruft zerstöre. Vergib mir, bei Gott und den Heiligen.«
Dann sprengte sie, mit dem Spaten der Sargfigur folgend, das Eis. Sie stieß auf feuchten Rasen, dann auf Sand, und der Vogt, die Beisitzer, Nele und Katheline sahen die Leiche eines jungen Mannes, die vom Sande weiß war. Er war mit einem grauen Tuchwams und einem ebensolchen Mantel bekleidet, sein Degen lag neben ihm, und am Gürtel hing eine Netzbörse. Unter seinem Herzen stak ein breiter Dolch. Katheline schnitt ihm eine Hand ab und steckte sie in ihren Schnappsack. Der Vogt ließ sie gewähren und befahl, daß die Leiche aller Kleider und Würdezeichen entledigt und wieder mit Sand bedeckt werde.
Katheline fragte, ob Hans auch das befohlen habe, und der Vogt entgegnete, daß er nur tue, was dieser wünsche. Als der Leichnam entkleidet war, sah man, daß er trocken wie Holz und nicht verwest war. Als man den Kadaver wieder mit Sand bedeckt hatte, gingen der Vogt und die Gemeindebeamten fort, die Schergen trugen die Kleider des Toten.
Als sie vor dem Gemeindegefängnis vorbeikamen, sagte der Vogt zu Katheline, daß Hans sie dort erwarte, und sie betrat fröhlich das Haus. Nele wollte sie zurückhalten, aber Katheline sagte: »Ich will Hans, meinen Herrn, sehen.«
Nele weinte auf der Schwelle, denn sie wußte, daß Katheline wegen der Beschwörungen und der Figuren im Schnee als Hexe gefangengenommen würde. Und man sagte in Damme, daß es keine Gnade für sie geben werde.
Katheline wurde in den östlichen Keller des Gefängnisses gesperrt.
Am nächsten Tage wehte ein warmer Wind von Brabant, der Schnee schmolz, und die Wiesen wurden überschwemmt.
Die Glocke »Burgsturm« rief die Richter zum Tribunal der Vierschar unter das Zeltdach, das wegen der Feuchtigkeit der Rasenbänke ausgespannt war. Das Volk umstand den Gerichtshof im Kreise. Joos Damman wurde, ohne alle Fesseln und in seinem prunkvollen Gewande, hingeführt. Auch Katheline brachte man herbei, ihre Hände waren vorn gefesselt, und sie trug das Kleid der Gefangenen, das aus grauem Leinen war.
Beim Verhör gestand Joos Damman, seinen Freund Hubert im Zweikampf mit dem Degen getötet zu haben. Als man ihm sagte, daß er mit einem Dolch erstochen worden sei, antwortete er: »Ich habe ihn niedergestoßen, weil er nicht gleich tot war. Unter dem Schutz der Gesetze von Flandern, die die Verfolgung eines Mörders nach zehn Jahren verbieten, gestehe ich diesen Mord freiwillig ein.«
Der Vogt sagte zu ihm: »Bist du nicht Hexenmeister?« »Nein«, antwortete Damman. »Beweise es«, sagte der Vogt. »Ich werde es zu seiner Zeit und an seinem Ort tun«, sagte Damman, »aber es behagt mir nicht, es jetzt zu tun.«
Nun befragte der Vogt Katheline, aber sie hörte nicht auf ihn, blickte Hans an und sagte: »Du bist mein grüner Edelmann, schön wie die Sonne. Nimm das Feuer weg, mein Liebling!« Nele ergriff für Katheline das Wort und sagte: »Sie kann nichts gestehen, denn sie weiß ja nichts, ihr Herren, sie ist keine Hexe, sondern nur eine Irrsinnige.«
Der Vogt sagte: »Ein Hexenmeister oder eine Hexe ist, wer sich wissentlich teuflischer Mittel bedient, um sich zu bemühen, etwas zu bewerkstelligen. Nun, dieser Mann und diese Frau sind ihrem Wollen und Tun nach der Hexerei ergeben, er, weil er ihr die Sabbatsalbe gegeben und sein Gesicht leuchtend gemacht hat wie Luzifer, um Geld zu bekommen und seine Lust zu befriedigen, sie, weil sie sich ihm gefügt hat, ihn für einen Teufel hielt und seinem Willen sich unterordnete. Er war ein Übeltäter, und sie war erwiesenermaßen seine Helferin. Man darf kein Mitleid haben, das muß ich betonen, denn ich sehe, daß die Schöffen und Leute des Volkes der Frau zuviel Wohlwollen entgegenbringen.
Es ist wahr, sie hat weder getötet noch gestohlen, sie hat weder über Tiere noch über Menschen einen Zauber geworfen und hat keine Krankheit durch außergewöhnliche Mittel geheilt, sondern nur durch einfache und allbekannte Medikamente nach den Vorschriften der ehrlichen, christlichen Heilkunde. Aber sie wollte ihre Tochter dem Teufel ausliefern, und wenn diese in ihrem zarten Alter nicht mit solcher Tapferkeit und Tugend widerstanden hätte, so wäre sie eine Hexe geworden wie ihre Mutter.
Nun frage ich euch, ihr Herren vom Tribunal, ob ihr nicht der Meinung seid, daß diese beiden in die Folterkammer gebracht werden sollen!«
Die Schöffen gaben keine Antwort und bewiesen damit zur Genüge, daß sie, was Katheline betreffe, das nicht wollten.
Als der Vogt das sah, fuhr er fort: »Ich fühle, wie ihr, Mitleid und Erbarmen für diese Hexe, hätte sie aber, die dem Teufel so gefügig war, mit dem mit ihr angeklagten Wollüstling nicht auf dessen Befehl ihrer Tochter mit einer Hippe den Kopf abschneiden können, wie es in Frankreich die Catherine Daru mit ihren beiden Töchtern auf Geheiß des Teufels getan hat? Konnte sie nicht auf Befehl ihres düsteren Gatten Tiere sterben lassen, die Butter verderben, indem sie Zucker ins Butterfaß tat, Teufelsanbetungen und abscheulichen Hexenorgien beiwohnen? Konnte sie nicht Menschenfleisch essen, Kinder töten, um Pasteten aus ihrem Fleisch zu machen, wie es ein Pastetenbäcker in Paris getan hat, konnte sie nicht den Gehenkten die Schenkel abgeschnitten haben, um mit ihren Hexenzähnen hineinzubeißen, dadurch zur schändlichen Diebin und Frevlerin werdend? Ich verlange vom Tribunal, daß Joos Damman und Katheline gefoltert werden, damit man erfahre, ob sie nicht noch andere Verbrechen begangen haben als die, welche bekanntgeworden sind, und die sie eingestanden haben. Joos Damman weigert sich, mehr zu gestehen als den Mord, und Katheline hat überhaupt nichts gesagt, deshalb heißen uns die Gesetze des Königreichs, so vorzugehen, wie ich vorschlage.«
Und die Schöffen fällten das Urteil, daß die beiden am übernächsten Tag, einem Freitag, der Folter unterworfen werden sollten.
Nele schrie: »Gnade, ihr Herren!« und das Volk schrie mit ihr, aber es war vergeblich.
Katheline sah Joos Damman an und sagte zu ihm: »Ich habe die Hand Huberts, komm heute nacht, sie dir zu holen, mein Geliebter.« Dann wurden sie ins Gefängnis zurückgeführt, wo jedem von beiden, auf Anordnung des Tribunals, zwei Wächter beigegeben wurden, die sie jedesmal schlagen sollten, wenn sie im Begriffe waren einzuschlafen, aber die zwei Wächter Kathelines ließen sie die ganze Nacht schlafen, während die Joos Dammans ihn jedesmal grausam schlugen, wenn er die Augen schloß oder auch nur den Kopf vornübersinken ließ. Man ließ sie Mittwoch, die ganze folgende Nacht und Donnerstag bis zum Abend hungern, dann gab man ihnen mit Salz und Salpeter gewürztes Fleisch zu essen und Wasser zu trinken, das gleichfalls Salz und Salpeter enthielt. Das war der Anfang ihrer Folter.
Und am Morgen brachte man sie, die vor Durst schrien, in die Gehennakammer. Dort wurden sie mit einander zugewendeten Gesichtern gefesselt auf eine Bank gesetzt, die mit geknoteten Stricken umwunden war, die ihnen grausame Pein verursachten. Und sie mußten jedes ein Glas Wasser mit Salz und Salpeter trinken.
Als Joos Damman auf der Bank in Schlaf fiel, schlugen ihn die Wächter. Und Katheline sagte: »Schlaget ihn nicht, ihr Herren, ihr zerbrecht seinen armen Leib. Er hat nur das einzige Verbrechen begangen, daß er Hubert tötete, und das tat er aus Liebe. Ich habe Durst, und du auch, Hans, mein Geliebter! Gebt ihm zuerst zu trinken. Wasser! Wasser! Mein Körper brennt! Schonet ihn, ich werde bald für ihn sterben. Zu trinken!«
Joos sagte zu ihr: »Abscheuliche Hexe, stirb und verende wie eine Hündin! – Werft sie ins Feuer, ihr Herren Richter. Ich habe Durst!«
Die Gerichtsschreiber schrieben alles auf, was er sprach. Nun fragte ihn der Vogt: »Hast du nichts zu bekennen?« »Ich habe nichts mehr zu sagen«, antwortete Damman, »ihr wißt alles.« Der Vogt sagte: »Er besteht auf seinem Leugnen, er wird bis zu einem neuen und vollständigen Geständnis auf dieser Bank mit den Stricken bleiben, ihr werdet seinen Durst rege halten und ihn am Schlafen verhindern.« »Ich werde wach bleiben«, sagte Joos Damman, »und mein Vergnügen daran haben, diese Hexe auf der Bank leiden zu sehen. Wie findest du dieses Lustbett, meine Geliebte?« Und Katheline antwortete stöhnend: »Kalte Arme und heißes Herz, Hans, mein Geliebter. Ich habe Durst, der Kopf brennt!«
»Und du, Weib, hast du nichts mehr zu sagen?« fragte sie der Vogt. »Ich höre den Karren des Todes und das Klappern von Knochen«, sagte sie, »ich habe Durst! Und er führt mich auf einen großen Fluß, in dem es Wasser gibt, frisches Wasser. Aber es ist Feuer, dieses Wasser. Hans, mein Freund, befrei mich von diesen Stricken. Ja, ich bin im Fegefeuer, und ich sehe unseren Herrn Jesum hoch in seinem Paradies und die Heilige Jungfrau, die so barmherzig ist. O Mutter Gottes, gib mir einen Tropfen Wasser, beiß nicht allein in diese schönen Früchte.«
»Diese Frau ist mit schlimmster Tollheit geschlagen«, sagte einer der Schöffen, »man muß sie von der Folterbank losbinden.«
»Sie ist nicht närrischer als ich«, sagte Joos Damman, »das ist alles bloß Spiel und Komödie.« Und mit drohender Stimme sagte er zu Katheline, die so gut die Tolle spielte: »Ich werde dich im Feuer sehen!« Er knirschte mit den Zähnen und lachte über seine grausame Verleumdung. »Ich habe Durst«, sagte Katheline, »ich habe Durst, seid barmherzig! Hans, mein Geliebter, gib mir zu trinken. Wie ist dein Gesicht so bleich! Laßt mich zu ihm gehen, ihr Herren Richter!« Sie riß den Mund weit auf und sagte: »Ja, ja, jetzt werfen sie den Feuerbrand in meine Brust, und die Teufel binden mich an dieses grausame Bett. Hans, nimm deinen Degen und töte sie, du bist ja so stark! Wasser! Zu trinken, zu trinken!« »Verreck, Hexe!« sagte Joos Damman, »man soll ihr einen Knebel in den Mund stecken, um sie, die Bäuerin, zu verhindern, sich solche Worte gegen mich, den Edelmann, anzumaßen.«
Darauf antwortete ein adelsfeindlicher Schöffe: »Herr Vogt, es ist wider Recht und Brauch, denen, die man ausfragt, Knebel in den Mund zu stecken, denn sie sind hier, damit sie die Wahrheit sagen und daß wir nach ihren Aussagen über sie das Urteil sprechen können. Das ist nur jenen gegenüber erlaubt, die schon verurteilt sind und auf dem Schafott zum Volke sprechen könnten, um es aufzuwiegeln.« »Ich habe Durst«, sagte Katheline, »gib mir zu trinken, Hans, mein Liebling.« »Ah, du leidest, verfluchte Hexe«, sagte er, »du, die du all meiner Qualen Ursache bist! Aber in dieser Gehennakammer wirst du die Kerzenfolter und die Streckung erdulden, und man wird dir Holzstücke unter die Finger- und Fußnägel pressen. Dann wird man dich nackt auf einem Sarg reiten lassen, dessen Rückenkante so scharf wie ein Messer ist, und du wirst gestehen, daß du nicht toll, sondern eine böse Hexe bist, der Satan selbst anbefohlen hat, den Edelleuten Böses zu tun. Gebt mir zu trinken!«
»Hans, mein Geliebter!« sagte Katheline, »erzürne dich nicht über deine Dienerin! Ich leide tausend Qualen für dich, mein Gebieter. Schont ihn, ihr Herren Richter! Gebt ihm einen vollen Becher zu trinken und laßt mir nur einen Tropfen! Hans, ist es noch nicht die Stunde des Seeadlers?« Nun fragte der Vogt Joos Damman: »Was war der Grund dieses Kampfes, in dem du Hubert getötet hast?« »Wir stritten um ein Mädchen von Heyst, das wir beide haben wollten.«
»Ein Mädchen von Heyst«, schrie Katheline, die sich mit aller Gewalt von der Bank erheben wollte, »du betrügst mich also mit einer anderen, verräterischer Teufel! Weißt du, daß ich dich hinter dem Deich reden hörte, als du sagtest, daß du das ganze Geld haben wolltest, das Claes gehörte? Ohne Zweifel brauchtest du's, um es bei Schmausen und Gelagen mit ihr auszugeben! Ach, und ich hätte ihm all mein Blut gegeben, wenn er hätte Gold daraus machen können! Und alles für eine andere. Sei verflucht!« Aber plötzlich begann sie zu weinen, versuchte sich auf der Folterbank umzudrehen und sagte:
»Nein, Hans, sag, daß du deine arme Dienerin wieder lieben wirst, und ich will die Erde mit meinen Fingern aufreißen, um einen Schatz zu finden. O ja, es gibt einen! Und ich werde mit einer Haselrute, die zuckt, wo Metalle sind, auf die Suche gehen. Ich werde den Schatz finden und dir bringen. Küsse mich, und du bist reich! Dann werden wir alle Tage Fleisch essen und Bier trinken. Ja, ja, die da trinken auch Bier, frisches, schäumendes Bier. O ihr Herren, gebt mir nur einen Tropfen, ich bin im Feuer! Hans, ich weiß, wo es Haselruten gibt, aber man muß warten, bis es Frühling ist.«
»Schweig, Hexe, ich kenne dich nicht«, sagte Joos Damman, »du hast Hubert mit mir verwechselt, er war es, der dich besuchte. Aber in deinem boshaften Geist nanntest du ihn Hans. Wisse, daß ich mich nicht Hans nenne, sondern Joos, wir sind von gleichem Wuchse, Hubert und ich. Ich kenne dich nicht, es war ohne Zweifel Hilbert, der die siebenhundert Karlsgulden gestohlen hat. Zu trinken! Mein Vater wird hundert Gulden bezahlen für ein kleines Becherchen voll Wasser.« »Ihr Herren«, rief Katheline, »er sagt, er kenne mich nicht, aber ich kenne ihn gut, und ich weiß, daß er auf dem Rücken ein behaartes Mal, braun und von der Größe einer Bohne, hat. Ach, du liebtest ein Mädchen aus Heyst. Errötet ein braver Galan über sein Schätzchen? Hans, bin ich nicht noch schön?«
»Ja, schön!« sagte er, »du hast ein Gesicht wie eine Mispel und einen Körper wie ein Bündel dürrer Stecken. Seht das Lumpenweib, das von Edelleuten geliebt sein will. Zu trinken!«
»So sprachst du nicht, Hans, mein sanfter Gebieter, als ich sechzehn Jahre jünger war.«
Sie schlug sich mit der Hand gegen Kopf und Brust und fuhr fort:
»Es ist das Feuer da, was mir Herz und Gesicht ausgetrocknet hat. Erinnerst du dich, wie wir Gesalzenes aßen, um besser trinken zu können? Jetzt ist das Salz in uns, mein Geliebter, und der Herr Vogt trinkt Romagner Wein. Wir wollen keinen Wein, gebt uns Wasser! Es fließt zwischen den Gräsern, das Bächlein, das die klare Quelle bildet, wie gut ist das Wasser, wie frisch ist es! Nein, es brennt, es ist höllisches Wasser!«
Bei diesen Worten begann sie von neuem zu weinen.
»Ich habe niemand ein Leid getan«, sagte sie, »und alle werfen mich ins Feuer. Zu trinken! Man gibt ja den umherstreifenden Hunden Wasser. Ich bin eine Christin, gebt mir zu trinken! Ich habe niemand Böses getan! Zu trinken!«
Nun sagte einer der Schöffen:
»Diese Hexe ist nur toll in bezug auf das Feuer, von dem sie sagt, daß es ihr im Kopf brenne, in andern Dingen ist sie es nicht, denn sie hat uns mit klarem Verstand geholfen, den Leichnam zu finden. Wenn sich das behaarte Mal auf Joos Dammans Körper befindet, so reicht dieses Zeichen hin, um festzustellen, daß er und der Teufel Hans, der Katheline toll machte, eine Person ist. Henker, laß uns das Mal sehen!« Der Henker entblößte seinen Hals und seine Schultern und zeigte das braune, behaarte Mal. »Ach!« sagte Katheline, »wie ist deine Haut so weiß! Deine Schultern könnte man für die eines Mädchens halten, du bist schön, Hans, mein Geliebter. Zu trinken!« Nun stach der Henker mit einer langen Nadel in das Mal, aber es blutete nicht. Und die Schöffen sagten zueinander: »Er ist ein Teufel und wird wohl Joos Damman getötet und seine Gestalt angenommen haben, um solcherart die arme Welt um so sicherer zu betrügen.« Und der Vogt und die Schöffen bekamen's mit der Angst und sagten: »Er ist ein Teufel, und da ist Zauberwerk daran.« Joos Damman aber sagte: »Ihr wißt, daß es da kein Zauberwerk gibt und daß man in solche Fleischwucherungen hineinstechen kann, ohne daß sie bluten. Wenn Hubert dieser Zauberin das Geld weggenommen hat – denn sie bekennt, mit dem Teufel geschlafen zu haben –, so konnte er das nur in gutem Einverständnis mit dieser Vettel getan haben und wurde derart – ein vornehmer Mann, fürwahr –, wie zu allen Zeiten die Freudenmädchen, für seine Liebkosungen bezahlt.«
Die Schöffen sagten zueinander: »Seht ihr diese teuflische Zuversicht? Sein behaartes Mal hat nicht geblutet, er ist ein Meuchelmörder, Teufel und Zauberer, gibt sich als harmlosen Duellanten aus und wälzt seine anderen Verbrechen auf den befreundeten Teufel, dessen Leib er getötet hat, nicht aber seine Seele . . . Seht, wie bleich sein Gesicht ist! So sind alle Teufel, rot in der Hölle und bleich auf der Erde, denn sie haben kein Lebensfeuer, das ihrem Gesicht Röte geben könnte, und ihre Eingeweide sind Asche. Man muß ihn ins Feuer werfen, damit er wieder rot werde und brenne.« Nun sagte Katheline: »Ja, er ist ein Teufel, aber ein guter Teufel, ein süßer Teufel! Und sein Schutzpatron, der heilige Jakob, erlaubte ihm, die Hölle zu verlassen. Er betete alle Tage zum Herrn Jesus für ihn. Er wird nur siebentausend Jahre im Fegefeuer sein, die Heilige Jungfrau will es so, aber der Herr Satan widersetzt sich dem. Doch sie tut immer, was sie will. Wollt ihr der Jungfrau trotzen? Wenn ihr ihn genau betrachtet, werdet ihr sehen, daß er nichts von einem Teufel an sich hat, den kalten Leib und das Gesicht ausgenommen, das leuchtet wie Meereswogen im August, wenn ein Gewitter im Anzug ist.« »Schweig, Hexe, dein Reden brennt mich in den Ohren«, sagte Joos Damman, dann wandte er sich zu den Schöffen und sprach: »Sehet mich an, ich bin kein Teufel: ich habe Fleisch und Knochen, Blut und Wasser. Ich trinke und esse, verdaue und stoße aus wie ihr. Meine Haut gleicht der euren und meine Füße ebenfalls. Henker, zieh mir die Schuhe aus, ich kann mich ja mit meinen gefesselten Füßen nicht rühren!«
Der Henker tat, was von ihm verlangt wurde, aber nicht ohne Furcht.
»Seht«, sagte Joos und zeigte seine Füße, »sind das gespaltene Hufe, sind das Teufelsfüße? Und was meine Blässe betrifft – sind nicht auch einige von euch ebenso blaß wie ich? Ich sehe drei, die es sind. Aber gesündigt habe ich nicht, sondern diese abscheuliche Hexe da und ihre Tochter, die boshafte Anklägerin. Woher hatte sie denn das Geld, das sie Hubert lieh, woher denn die Gulden, die sie ihm gab? Ist es nicht der Teufel, der sie dafür bezahlt hat, daß sie unschuldige Edelleute anklagt und zu Tode bringt? Diese beiden Weiber müßt ihr fragen, wer den Hund im Hof erschlagen hat, wer das Loch grub und, nachdem er es geleert, sich mit dem geraubten Schatz davonmachte, ohne Zweifel, um ihn an einem andern Ort zu verstecken. Soetkin, die Witwe, kannte mich nicht und hatte kein Vertrauen zu mir, aber die da kannte sie sehr gut und sah sie und ihre Tochter jeden Tag. Diese beiden sind es, die das Gut des Kaisers gestohlen haben.« Der Gerichtsschreiber schrieb alles auf, und der Vogt sagte zu Katheline: »Frau, hast du nichts zu deiner Verteidigung zu sagen?« Katheline sah Joos Damman liebevoll an und sagte: »Das ist die Stunde des Seeadlers. Ich habe die Hand Huberts, Hans, mein Geliebter! Sie sagen, daß du mir die siebenhundert Karlsgulden wiedergeben wirst. Zu trinken, zu trinken! Der Kopf brennt! Gott und die Engel im Himmel essen Äpfel.« Und sie verlor das Bewußtsein.
»Bindet sie von der Folterbank los«, sagte der Vogt. Der Henker und seine Gehilfen gehorchten, und man sah sie schwanken, denn ihre Füße waren geschwollen, weil der Henker die Stricke zu fest angezogen hatte. »Gebt ihr zu trinken«, sagte der Vogt. Man gab ihr frisches Wasser, das sie gierig trank; sie hielt den Becher mit den Zähnen fest wie ein Hund einen Knochen. Als man ihr ein zweites Mal Wasser gab, wollte sie es Joos Damman hintragen, aber der Henker nahm ihr den Becher aus der Hand. Dann fiel sie um wie ein Klumpen Blei und schlief.
Joos Damman schrie wie ein Rasender: »Ich habe auch Hunger und Schlaf! Warum gebt ihr der Hexe zu trinken, warum laßt ihr sie schlafen?« »Sie ist ein Weib, schwach und irr«, antwortete der Vogt. »Ihre Tollheit ist gespielt«, sagte Damman, »sie ist eine Hexe. Ich will trinken, ich will schlafen!« Und er schloß die Augen, aber die Henkersknechte schlugen ihm ins Gesicht. »Gebt mir ein Messer«, schrie er, »daß ich diese Bauern in Stücke schneide! Ich bin ein Edelmann, und mich hat noch keiner ins Gesicht geschlagen. Wasser! Laßt mich schlafen, ich bin unschuldig! Nicht ich habe die siebenhundert Karlsgulden genommen, sondern Hubert. Zu trinken! Ich habe niemals Zauberei getrieben oder Beschwörungen gemacht. Ich bin unschuldig, laßt mich! Zu trinken!«
Der Vogt fragte ihn: »Womit verbrachtest du die Zeit, seit du Katheline verlassen hast?« »Ich kenne Katheline nicht und habe sie nie verlassen«, sagte er. »Ihr fragt mich über Dinge aus, die mit der Anklage nichts zu tun haben. Ich muß Euch nicht antworten. Zu trinken! Laßt mich schlafen! Ich sage Euch, daß es Hubert war, der alles getan hat.«
»Macht ihn los«, sagte der Vogt, »und führt ihn ins Gefängnis zurück. Aber laßt ihn dursten und nicht schlafen, bis er seine Hexerei und Zauberei eingesteht.«
Das war für Damman eine grausame Folter. Er schrie in seinem Kerker so laut, daß ihn das Volk hörte, aber man empfand kein Mitleid für ihn. Wenn er einschlief, so schlugen ihn die Wächter ins Gesicht, und er schrie wie ein Tiger: »Ich bin ein Edelmann und werde euch töten, ihr Bauernkerle. Ich werde zu unserem Herrn, dem König, gehen. Zu trinken!«
Aber er gestand nichts, und man ließ davon ab, ihn zu quälen.
Es war in den ersten Maientagen, die Gerichtslinde grünte, und auch die Rasenbänke, auf denen die Richter saßen, waren grün. An diesem Tage sollte das Urteil gefällt werden. Nele war gerufen worden, um Zeugenschaft abzulegen. Das Volk, Männer und Frauen, Bürger und Arbeiter, stand rundum auf der Wiese. Die Sonne schien hell.
Katheline und Joos Damman wurden vor das Tribunal geführt, Damman sah, wegen der überstandenen Folter, wegen des Durstes und der schlaflos verbrachten Nächte noch bleicher aus als sonst. Katheline, die sich kaum mehr auf ihren schlotternden Beinen zu halten vermochte, zeigte auf die Sonne und sagte: »Nehmt das Feuer weg, der Kopf brennt.« Und sie sah Joos Damman mit einem Blick voll zärtlicher Liebe an. Er aber betrachtete sie mit Haß und Verachtung. Die Damman befreundeten Herren und Edelleute waren als Zeugen vor das Tribunal nach Damme gerufen worden.
Der Vogt begann: »Nele, das Mädchen, das seine Mutter mit so großer und wackerer Hingebung verteidigt hat, fand in der Tasche, die an Kathelines Feiertagsrock genäht ist, ein Billett, das von Joos Damman unterzeichnet ist. Zwischen den Kleidern des Leichnams von Hubert Ryvish fand ich in dessen Geldtasche einen anderen an ihn gerichteten Brief von besagtem Joos Damman, der jetzt als Angeklagter vor uns steht. Ich habe diese beiden Briefe aufbewahrt, um sie im geeigneten Augenblick, der jetzt gekommen ist, euch zu unterbreiten, damit ihr den Starrsinn dieses Mannes erkennen und ihn nach Recht und Gerechtigkeit freisprechen oder verurteilen könnet. Hier ist das Pergament, das ich in der Tasche fand, ich habe es nicht berührt und weiß nicht, ob es noch leserlich ist.«
Die Richter waren über die Maßen verwundert.
Nun versuchte der Schöffe die Bulle zu lösen, doch es gelang ihm nicht, und Joos Damman lachte. Da sagte ein Schöffe:
»Taucht sie ins Wasser und bringt sie dann vors Feuer. Wenn sie ein unbekanntes Klebemittel enthält, wird das vom Wasser und vom Feuer aufgelöst werden.«
Man brachte Wasser herbei, und der Henker entzündete auf dem Feld ein großes Holzfeuer. Blauer Rauch stieg zum klaren Himmel auf und schlängelte sich zwischen den Zweigen der Gerichtslinde hindurch.
»Taucht die Bulle nicht ins Becken«, sagte ein Schöffe, »denn wenn sie mit in Wasser gelöstem Ammoniaksalz geschrieben ist, löscht ihr die Buchstaben aus.«
»Nein«, sagte der anwesende Wundarzt, »die Buchstaben werden nicht ausgelöscht, das Wasser weicht nur die Masse auf, die es jetzt unmöglich macht, diese magische Bulle zu öffnen.«
Das Pergament wurde im Wasser aufgeweicht und dann entfaltet.
»Jetzt bringt es in die Nähe des Feuers«, sagte der Wundarzt.
»Ja, ja«, rief Nele, »bringt das Papier vors Feuer, der Herr Wundarzt ist auf dem richtigen Weg, denn der Mörder erbleicht, und seine Beine schlottern.«
»Ich erbleiche nicht und zittere nicht, kleine Harpyie, die du den Tod des Edelmannes willst. Du wirst nicht zu deinem Ziel kommen.«
Nun nahm der Wundarzt das verschlossene Pergament und öffnete das Siegel, indem er es an einem Feuer erweichte. Da rief Joos Damman: »Dieses Pergament muß, nachdem es sechzehn Jahre in der Erde gelegen hat, verwittert sein.« »Das Pergament ist nicht verwittert«, sagte einer der Schöffen, »denn die Tasche war mit Seide gefüttert, und Seide verfault nicht in der Erde, auch die Würmer haben das Pergament nicht zerfressen.«
Das Pergament wurde nahe an das Feuer gehalten und Nele rief:
»Seht nur, Herr Vogt, vor dem Feuer wird die Schrift sichtbar! Befehlt, daß man sie lese!«
Als der Wundarzt sich nun anschickte, den Brief vorzulesen, wollte Joos Damman den Arm ausstrecken, um ihn zu zerreißen. Doch Nele fuhr mit Windeseile auf ihn los, riß seinen Arm zurück und sagte: »Du wirst das Pergament nicht berühren, denn darauf steht dein Tod geschrieben oder der Kathelines. Blutet jetzt dein Herz, Mörder? Nun denn, das unsere hat fünfzehn Jahre lang geblutet, fünfzehn Jahre sind's, daß Katheline leidet, fünfzehn Jahre, daß ihr deinetwegen das Gehirn verbrannt wurde, fünfzehn Jahre sind's, daß Soetkin an den Folgen der Folter starb, fünfzehn Jahre, daß wir arm und zerlumpt im Elend leben, wenn auch voll Stolz.
Lest das Papier, lest das Papier! Die Richter sind Gott auf Erden, denn sie sind die Gerechtigkeit! Lest das Papier!«
»Lest das Papier!« schrien die Männer und die weinenden Frauen. »Nele ist gut, Katheline ist keine Hexe!«
Und der Gerichtsschreiber las: »An Hubert, den Sohn des Willem Ryvish, Ritter, einen Gruß von Joos Damman, Ritter.
Teurer Freund, verliere nicht dein Geld in den Spielhäusern bei Würfeln und anderem mißlichen Spiel. Ich will dir sagen, wie man auf den Schlag mit Sicherheit gewinnt. Machen wir Teufel aus uns, hübsche Teufel, die von Frauen und Mädchen geliebt werden. Wir nehmen die schönen und reichen und lassen die häßlichen und armen sein, wo sie sind; denn die Frauen müssen ihre Freuden bezahlen. In Deutschland verdiente ich bei diesem Beruf in sechs Monaten fünftausend Reichstaler. Die Weiber geben ihre Röcke und Hemden für den Mann her, den sie lieben.
Meide die Geizigen mit spitzer Nase, die sich Zeit lassen, wenn sie ihre Freuden bezahlen sollen. Wenn sie dich eine Nacht aufgenommen haben, so mußt du, um als schöner und wahrhaft teuflischer Inkubus zu erscheinen, dein Kommen mit dem Schrei eines Nachtvogels anzeigen. Und um dir ein wahrhaft schreckenerregendes Teufelsgesicht zu machen, reibe dich mit Phosphor ein, der, wenn es feucht ist, leuchtet. Der Geruch ist schlecht, aber die Weiber glauben, daß es Höllengestank sei. Wer dir im Wege steht, den töte, ob Mann, Frau oder Tier.
Wir werden bald gemeinsam zu Katheline gehen, einer guten, sanftmütigen Dirne, ihre Tochter – mein Kind, sofern Katheline mir treu war – ist ein zugängliches und anmutiges Mädchen, du wirst sie mühelos besitzen, ich werde sie dir geben, denn was sollen mir diese Bastarde, die man nicht mit Gewißheit als sein Eigen erkennen kann? Ihre Mutter gab mir schon mehr als dreiundzwanzig Gulden, ihr ganzes Vermögen, aber sie verbirgt einen Schatz, der, wenn ich kein Dummkopf bin, der Nachlaß Claesens, des in Damme verbrannten Ketzers, ist: siebenhundert Gulden Konfiskationsgut. Aber der gute König Philipp, der so viele verbrannt hat, um sie zu beerben, konnte seine Klauen nicht nach diesem köstlichen Schatz ausstrecken. Er wird in meinem Schnappsack schwerer sein als in dem seinen. Katheline wird mir sagen, wo er ist, und wir werden ihn unter uns teilen. Doch wirst du mir, der ich ihn entdeckt habe, den größeren Teil überlassen.
Was die Weiber, unsere sanften Liebessklaven, betrifft, so werden wir sie nach Deutschland führen. Dort werden wir weibliche Teufel und Sukkuba aus ihnen machen, die in allen reichen Bürgern und Edelleuten Liebe entfachen. Da werden wir mit ihnen von der Liebe leben, die mit schönen Reichstalern, Sammet, Seide, Gold, Perlen und Geschmeiden bezahlt wird. So werden wir ohne Mühsal reich werden. Alle Weiber sind täppisch und dumm dem Mann gegenüber, der es versteht, das Feuer der Liebe aufflammen zu lassen, das Gott ihnen unter dem Gürtel entzündet hat. Katheline und Nele werden noch hitziger brennen als die anderen und werden uns, da sie uns für Teufel halten, in allem folgen.
Nenne dich mit deinem Vornamen, verschweige aber immer den Namen deines Vaters Ryvish. Wenn sich das Gericht der Frauen bemächtigt, so werden wir uns davonmachen, ohne daß sie uns anzeigen können, weil sie uns nicht kennen. Vereinige dich mit mir, mein Freund. Fortuna lächelt den jungen Leuten, wie weiland Seine heilige Majestät Karl der Fünfte, der Meister in allen Dingen der Liebe und des Krieges, gesagt hat.«
Der Gerichtsschreiber war mit dem Lesen zu Ende, und das Volk schrie: »Tod dem Mörder! Tod dem Hexenmeister! Ins Feuer mit dem Frauenbetörer! An den Galgen mit dem Räuber!«
Der Vogt sagte: »Haltet Ruhe, ihr Leute, auf daß wir in voller Freiheit über diesen Mann richten können.« Und zu den Schöffen sagte er: »Ich will euch den zweiten Brief vorlesen, der von Nele in Kathelines Festtagskleid gefunden wurde, er ist folgendermaßen abgefaßt:
»Reizende Hexe, hier ist das Rezept einer Mixtur, das mir von Luzifers Frau selbst zugeschickt wurde. Mit Hilfe dieser Mixtur kannst du dich auf die Sonne, auf den Mond und auf die Sterne versetzen und kannst dich mit den Elementargeistern unterhalten, die die Gebete zu Gott tragen, du kannst alle Städte, Dörfer, Flüsse, Wiesen und das ganze Weltall durcheilen. Du brauchst in gleichen Mengen: Stramonium, Solanum, Somniferum, Bilsenkraut, Opium, frische Hanfspitzen, Tollkirsche und Datura. Wenn du willst, gehen wir noch heute abend zum Sabbat der Geister.
Aber du mußt mich inniger lieben und darfst nicht so knauserig sein wie an dem letzten Abend, als du mir zehn Gulden verweigertest, indem du sagtest, du habest sie nicht. Ich weiß, daß du einen Schatz verbirgst und mir nichts davon sagen willst. Liebst du mich nicht mehr, süßes Herz?
Dein kalter Teufel Hanske.«
»Tod dem Hexer!« schrie das Volk. Der Vogt sagte: »Man muß die beiden Schriften vergleichen.« Das wurde getan, und man erkannte, daß sie von ein und derselben Hand stammten.
Nun sagte der Vogt zu den anwesenden Edelleuten: »Erkennet ihr in diesem Joos Damman den Sohn des Schöffen von der Keure zu Gent?« »Ja«, sagten sie. »Kanntet ihr Herrn Hilbert, den Sohn des Ritters Willem Ryvish?«
Einer der Edelleute, der sich van der Zickelen nannte, sagte: »Ich bin aus Gent und kenne Willem Ryvish, den Ritter und Schöffen der Keure zu Gent. Vor fünfzehn Jahren verlor er einen Sohn von dreiundzwanzig Jahren, einen Wüstling, Spieler und Nichtstuer, aber jedermann vergab ihm wegen seiner Jugend. Niemand hat seit dieser Zeit von ihm gehört. Ich bitte, den Degen, den Dolch und den Säckel des Toten sehen zu dürfen.«
Als er die verlangten Gegenstände vor sich sah, sagte er: »Der Degen und der Dolch tragen am Heft das Wappen der Ryvish, drei silberne Fische auf azurblauem Grund. Dasselbe Wappen sehe ich auf einem goldenen Schild zwischen den Maschen des Schnappsackes. Was ist's mit diesem anderen Dolch?« Der Vogt sagte: »Das ist der, den man in der Leiche Huberts steckend fand.« »Ich erkenne darauf das Wappen der Damman«, sagte der Edelmann, »den roten Turm auf silbernem Feld. So wahr mir Gott helfe und alle Heiligen!«
Auch die anderen Edelleute sagten: »Wir erkennen die besagten Wappen als die der Ryvish und Damman. So wahr Gott uns helfe und alle Heiligen!«
Nun sagte der Vogt: »Nach den gehörten und gelesenen Beweisen des Tribunals der Schöffen ist Joos Damman ein Hexenmeister, Mörder, Frauenbetörer und Dieb königlichen Gutes und als solcher schuldig der Beleidigung der göttlichen und der menschlichen Majestät.«
»Ihr sagt es, Herr Vogt«, sagte Joos Damman, »aber da die Erweise nicht hinreichend sind, könnt Ihr mich nicht verurteilen, ich bin niemals Zauberer gewesen und spielte bloß das Spiel des Teufels. Und was mein leuchtendes Gesicht betrifft, so wißt ihr, wie ich es gemacht habe, und auch das Rezept der Salbe kennt ihr, die, trotzdem sie Bilsenkraut enthält, nur einschläfernd wirkt. Wenn nun diese Frau, eine wahre Hexe, davon nahm, fiel sie in Schlaf und dachte zum Sabbat zu gehen, wo sie um den Teufel, der in Bocksgestalt auf einem Altar stand, tanzte und ihn anbetete. War der Tanz zu Ende, so träumte sie, sie küsse den Bock unterm Schwanz, wie das die Hexenmeister machen, um sich dann mit ihm, ihrem Freund, den unnatürlichen Begattungen hinzugeben, die ihren verkehrten Sinnen gefallen. Wenn ich, wie sie sagte, kalte Arme und einen frischen Körper hatte, so war das ein Zeichen der Jugend, nicht der Zauberei. In der Liebe hält die Frische freilich nicht an. Aber Katheline wollte an das glauben, was sie ersehnte, und wollte mich für einen Teufel nehmen, obgleich ich ein Mensch aus Fleisch und Knochen bin wie ihr alle, die ihr mich da anschaut. Sie allein ist schuldig: indem sie mich für einen Dämon hielt und mich ihr Bett besteigen ließ, sündigte sie mit Vorbedacht wider Gott und den Heiligen Geist. Sie hat das Verbrechen der Zauberei begangen, nicht ich, und sie gehört ins Feuer als schädliche und boshafte Hexe, die als toll gelten will, um ihre Bosheit zu verbergen.«
Aber Nele sagte: »Hört ihr ihn, den Mörder? Er tut wie das käufliche Mädchen mit dem Rad auf dem Arm, das aus der Liebe eine Ware macht. Hört ihr ihn? Um sich zu retten, will er die verbrennen lassen, die ihm alles hingegeben hat.« »Nele ist böse«, sagte Katheline, »höre nicht auf sie, Hans, mein Geliebter!« »Nein«, sagte Nele, »nein, du bist kein Mensch, du bist ein Teufel, ein feiger und grausamer Teufel.«
Dann faßte sie Katheline am Arm und rief: »Höret nicht auf diesen bleichen Bösewicht, ihr Herren Richter! Er hat nur den einen Wunsch, meine Mutter brennen zu sehen, die Frau, die kein anderes Verbrechen begangen hat, als daß sie von Gott mit Tollheit geschlagen wurde und aufrichtig an die Phantome ihrer Träume glaubte. An ihrem Leib und in ihrem Geist hat sie schon genug gelitten. Laßt sie nicht sterben, ihr Herren Richter! Laßt die Unschuldige ihr trauriges Leben in Frieden führen.«
Die Frauen im Volk weinten, und die Männer riefen: »Gnade für Katheline!«
Nach einem Geständnis, das Joos Damman am nächsten Tag nach neuerlicher Folterung ablegte, wurde er verurteilt, des Adels entkleidet, an kleinem Feuer »bis zum Eintritt des Todes« verbrannt zu werden. Er erlitt diese Strafe vor dem Walle des Gemeindehauses und rief immerfort: »Lasset die Hexe sterben, sie allein ist schuldig! Verflucht sei Gott! Mein Vater wird die Richter töten!« Und er hauchte seine Seele aus.
Und im Volk sagte man: »Seht den fluchenden Lästerer sterben, er stirbt wie ein Hund.«
Am folgenden Tag fällte der Vogt das Urteil über Katheline, sie wurde verurteilt, die Wasserprobe im Kanal von Brügge zu erleiden: trüge das Wasser sie, so sollte sie als Hexe verbrannt werden, sänke sie zum Grunde und stürbe, so sollte sie als christlich verstorben betrachtet und auf dem Kirchhof beigesetzt werden.
Am nächsten Tag wurde Katheline bloßfüßig, mit einem Hemd von schwarzem Leinen bekleidet und eine Kerze in der Hand haltend, in großer Prozession ans Ufer des Kanals geführt. Vor ihr gingen, die Totengebete singend, der Dechant von Notre-Dame, seine Vikare und der Kirchendiener, der das Kreuz trug, hinter ihr kamen der Vogt von Damme, die Schöffen, die Gerichtsschreiber, die Gemeindewächter, der Profos, der Henker und seine Gehilfen.
An den Ufern stand eine große Menge weinender Frauen und murrender Männer, die Mitleid für Katheline empfanden, die sich wie ein Lamm führen ließ, ohne zu wissen wohin, und immer nur sagte: »Nehmt das Feuer weg! Der Kopf brennt! Hans, wo bist du?«
Nele, die unter den Frauen war, rief: »Ich will mit ihr ins Wasser geworfen werden!« Aber die Frauen ließen sie nicht an Katheline herankommen.
Ein scharfer Wind blies vom Meere her, und dünner Hagel fiel von dem grauen Himmel. Der Henker und seine Knechte zogen im Namen Seiner Königlichen Majestät eine Barke, die da lag, heran, in die Katheline auf ihren Befehl hineinstieg. Auf das Zeichen des Profosen, der den Stab des Gerichts hob, warf der Henker Katheline ins Wasser. Sie zappelte, aber nicht lange und sank unter mit dem Schrei: »Hans! Hans! Zu Hilfe!«
Und das Volk sagte: »Diese Frau ist keine Hexe!«
Einige Männer sprangen in den Kanal und zogen Katheline heraus, die regungslos und steif wie eine Tote war. Man führte sie in eine Schenke und setzte sie vor ein großes Feuer. Nele zog ihr die durchnäßten Kleider aus und gab ihr neue. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie mit Zittern und Zähneklappern: »Hans, gib mir einen wollenen Mantel.«
Aber Katheline konnte sich nicht mehr erwärmen und starb am dritten Tag. Und sie wurde auf dem Kirchhof begraben.
Nele, die Waise, ging nach Holland zu Rosa van Auweghem.
Thyl Claes Ulenspiegel ist ein sachkundiger Kanonier, man muß sehen, wie er zielt, die Entfernung mißt und die Schiffe der Henker zerlöchert, als wären es Mauern von Butter. An seiner Filzkappe trägt er den silbernen Halbmond mit der Inschrift: »Liever den Turc als den Paus« – Lieber dem Türken gedient als dem Papst.
Die Matrosen, die ihn flink wie ein Eichhörnchen und immer guter Dinge auf ihren Schiffen sahen, fragten ihn: »Du kleiner Mann, woher kommt dir diese jugendliche Munterkeit? Sagt man doch, daß es schon lange her sei, daß du in Damme geboren wardst.«
Er antwortete: »Ich bin nicht Körper, sondern Geist, und Nele, meine Freundin, gleicht mir. Flanderns Geist und Flanderns Liebe, wir beide sterben nicht.«
Zu dieser Zeit nahmen die Geusen, unter denen Ulenspiegel und Lamme waren, die Stadt Gorkum. Ihr Kommandant war der Kapitän Marin, ein früherer Dammarbeiter, der sich hochmütig in die Brust warf und mit Gaspard Turc, dem Verteidiger von Gorkum, einen Kapitulationsvertrag unterschrieb, laut welchem Turc, die Mönche, Bürger und Soldaten, die in der Zitadelle eingeschlossen waren, freien Abzug haben sollten.
Aber auf Befehl des Herrn de Lumey hielt Marin die neunzehn Mönche in der Gefangenschaft zurück und ließ nur die Bürger und Soldaten abziehen.
Und Ulenspiegel sagte: »Das Wort des Soldaten muß ein Wort von Gold sein. Warum läßt er's an dem seinen fehlen?«
Ein alter Geuse entgegnete Ulenspiegel:
»Die Mönche sind Satanssöhne, der Aussatz der Nation, die Schande des Landes. Seit der Ankunft des Herzogs Alba tragen sie die Nasen sehr hoch in Gorkum. Einer unter ihnen, der Priester Nikolaus, ist stolzer als ein Pfau und wilder als ein Tiger. Immer, wann er mit seinem heiligen Sakrament, das aus Hundefett gemacht ist, durch die Straßen ging, beobachtete er mit wütenden Blicken die Häuser, aus denen die Frauen nicht herauskamen, um niederzuknien, und gab alle jene den Richtern an, die vor seinem Götzenbild aus Teig und vergoldetem Kupfer nicht das Knie beugten. Die andern Mönche taten's ihm nach, und das war die Ursache vielen Jammers, zahlreicher Verbrennungen und grausamer Strafen in der Stadt Gorkum. Kapitän Marinus tut schon gut daran, die Mönche als Gefangene zurückzubehalten, sonst schwärmen sie mit ihresgleichen in den Städten, Dörfern und Weilern umher, predigen gegen uns, hetzen das Volk auf und verbrennen die armen Reformierten. Doggen legt man so lange an die Kette, bis sie krepieren. An die Kette mit den Mönchen, an die Kette mit den Bluthunden des Herzogs, in den Käfig mit den Henkern: Es lebe der Geuse!«
»Aber«, sagte Ulenspiegel, »Herr von Oranien, unser Freiheitsprinz, will, daß man die Güter und das freie Gewissen derer, die sich ergeben, unangetastet lasse.« Ein alter Geuse entgegnete: »Der Admiral will es für die Mönche nicht gelten lassen, er ist der Herr, er hat Briele erobert! In den Käfig mit den Mönchen!«
Aber Ulenspiegel sagte: »Das Wort des Soldaten ein Wort von Gold. Warum bricht er es? Wenn die Mönche im Gefängnis zurückgehalten werden, so erdulden sie tausendfachen Schimpf.«
»Die Asche schlägt nicht mehr an deinem Herzen«, sagten die Geusen. »Hunderttausend sind dort unten durch die Edikte nach Nordwesten, nach England, vertrieben worden, das ganze bodenständige Handwerk und aller Reichtum wandert aus. Beklage nur die, die unseren Untergang verursacht haben. Seit der Herrschaft Karls V., vielmehr Henkers I., und der des Blutkönigs, Henkers II., sind hundertachtzehntausend Personen an den Qualen der Folter gestorben. Und wer hat die Totenkerzen getragen? Die Mönche und die spanischen Soldaten. Hörst du nicht die Seelen der Toten klagen?«
»Die Asche schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel. »Das Wort des Soldaten ein Wort von Gold.«
»Wer wollte denn unser Land durch Exkommunizierung vor allen Nationen in Acht und Bann schlagen? Wer hätte denn, wenn's möglich gewesen wäre, Erde und Himmel, Gott und den Teufel und die ganze Schar der Heiligen gegen uns bewaffnet? Wer bestrich die Hostien mit Ochsenblut, wer machte die Holzstatuen weinen? Wer ließ denn de profundis im Land unserer Väter singen, wenn nicht dieser verfluchte Klerus, diese Horde von Nichtstuern, die nur darauf aus waren, ihren Reichtum zu schützen, ihren Einfluß auf die Götzenanbeter zu festigen und durch Verwüstung, Glut und Feuer über unser armes Land zu herrschen! In den Käfig mit den Wölfen, die die Menschen anfallen, in den Käfig mit den Hyänen! Es lebe der Geuse!«
»Das Wort des Soldaten ein Wort von Gold«, entgegnete Ulenspiegel.
Am nächsten Tag kam ein Bote des Herrn de Lumey und brachte den Befehl, daß die neunzehn gefangenen Mönche von Gorkum nach Briele gebracht werden sollten. »Man wird sie henken«, sagte der Kapitän Marin zu Ulenspiegel. Der erwiderte: »Solange ich lebe, nicht!« »Mein Sohn«, sagte Lamme, »sprich nicht so wider den Herrn de Lumey. Er ist wild und wird dich ohne Gnade mit ihnen henken lassen.« »Ich sage, was wahr ist«, entgegnete Ulenspiegel, »das Wort des Soldaten ein Wort von Gold.«
»Wenn du sie retten kannst, so begleite ihre Barke bis nach Briele«, sagte Marin, »nimm den Piloten Rochus und deinen Freund Lamme mit, wenn du willst.« »Ich will es tun«, sagte Ulenspiegel.
Die Barke wurde an den Grünen Kai gerudert, und die neunzehn Mönche stiegen ein. Rochus, der furchtsam war, wurde ans Steuer gesetzt, Ulenspiegel und Lamme begaben sich, wohlbewaffnet, auf das Vorderteil des Schiffes. Einige Taugenichtse von Soldaten, die nur des Plünderns wegen zu den Geusen gekommen waren, saßen neben den Mönchen, die großen Hunger hatten, Ulenspiegel gab ihnen zu essen und zu trinken. »Der wird uns noch verraten«, sagten die Soldaten. Die neunzehn Mönche, die in der Mitte saßen, zitterten, obgleich man im Juli war und die Sonne vom klaren Himmel herabstrahlte. Eine sanfte Brise blähte die Segel der Barke, die schwer und dickbäuchig über die grünen Wogen glitt.
Nach einer Weile sagte Pater Nikolaus zu dem Piloten:
»Rochus, führt man uns aufs Galgenfeld?« Dann erhob er sich, wendete sich der Stadt zu, streckte die Hände aus und sagte:
»O Gorkum, wieviel des Übels mußtest du erdulden! Du wirst verflucht sein unter den Städten, denn du ließest in deinen Mauern den Samen der Ketzerei sprießen! O Gorkum, der Engel des Herrn wird nicht mehr wachen an deinem Tor, er wird die Keuschheit deiner Jungfrauen, den Mut deiner Männer und das Glück deiner Kaufleute nicht mehr beschützen! O Gorkum, du bist vermaledeiet, unselige Stadt!«
Ulenspiegel gab den Mönchen alles, was er an Brot und Würsten für sich und Lamme hatte, und der Barkenführer und die nichtsnutzigen Geusen sagten untereinander: »Der ist ein Verräter, er füttert die Mönche. Er muß angezeigt werden.«
Im Hafen von Dordrecht hielt die Barke am Bloemen-Kai an. Männer, Frauen, Knaben und Mädchen kamen in hellen Haufen herbeigeströmt, um die Mönche zu sehen, und sagten zueinander: »Seht diese klotigen Herrgottsspieler, die die Leiber auf die Scheiterhaufen und die Seelen ins ewige Feuer bringen, seht die fetten Tiger und dickwanstigen Schakale!«
Die Mönche senkten die Köpfe und wagten nicht zu sprechen, nur zu Ulenspiegel sagten sie: »Wir haben noch Hunger, mitleidiger Soldat.« Der Barkenführer sagte: »Wer trinkt immer? Der trockene Sand. Wer frißt immer? Der Mönch.«
Ulenspiegel holte ihnen Brot, Schinken und einen großen Topf Bier aus der Stadt. »Esset und trinket«, sagte er, »ihr seid zwar unsere Gefangenen, aber ich werde euch retten, wenn ich kann. Das Wort des Soldaten ein Wort von Gold.«
»Warum gibst du ihnen das? Sie werden es dir nicht vergelten«, sagten die nichtsnutzigen Geusen.
»Er hat versprochen, sie zu retten, geben wir acht!« raunten sie einander in die Ohren.
Mit dem Morgengrauen kamen sie nach Briele. Kaum hatten sich ihnen die Tore geöffnet, da machte sich ein Läufer auf den Weg, um Herrn de Lumey von ihrer Ankunft zu verständigen. Er kam hoch zu Roß, kaum fertig angekleidet und von einigen Soldaten zu Pferd und zu Fuß begleitet.
Und Ulenspiegel sah wieder den wilden Admiral vor sich, der wie ein stolzer Edelmann gekleidet war, der im Überfluß lebte. Er sagte: »Seid gegrüßt, ihr Herren Mönche! Erhebt eure Hände! Wo ist das Blut der Edlen Egmont und Hoorne? Ihr zeigt mir weiße Pfoten, das ist gut für euch.«
Ein Mönch namens Leonard entgegnete ihm: »Tu mit uns, was du willst. Wir sind Mönche, uns wird niemand zurückfordern.«
»Er hat gut gesprochen«, sagte Ulenspiegel, »der Mönch hat mit der Welt gebrochen, mit Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Gattin und Freundin, und niemand findet sich, der ihn in der Stunde Gottes zurückfordert. Dennoch, Exzellenz, ich will es tun. Kapitän Marin hat bei der Unterzeichnung des Kapitulationsvertrages von Gorkum bestimmt, daß die Mönche, wie alle, die in der Zitadelle eingeschlossen waren, freigelassen würden. Dennoch wurden sie ohne Grund gefangengehalten, und ich höre, daß man sie henken will. Gnädiger Herr, ich wende mich untertänigst an Euch. Legt Euer Wort für sie ein, denn ich weiß, daß eines Soldaten Wort ein Wort von Gold ist.«
»Wer bist du?« fragte de Lumey.
»Ich bin ein Flame aus dem schönen Flandern; bin Bauer und Edelmann in einem und wandre durch die Welt, das Schöne und Gute lobend und die Dummheit aus vollem Hals verspottend. Ich will Euer Lob singen, wenn Ihr das Versprechen haltet, das der Kapitän gegeben hat; denn das Wort des Soldaten ein Wort von Gold.« Aber die nichtsnutzigen Geusen sagten: »Edler Herr, er ist ein Verräter, er hat versprochen, sie zu retten; er gab ihnen Brot, Schinken, Würste, Bier und uns nichts.« Da sagte der Herr von Lumey zu Ulenspiegel: »Flämischer Weltwanderer und Mönchefütterer, du wirst mit diesen da gehenkt werden.« »Ich habe keine Angst«, sagte Ulenspiegel, »das Wort eines Soldaten ein Wort von Gold.«
»Dich sticht der Hafer«, sagte Lumey.
»Die Asche schlägt an meinem Herzen«, entgegnete Ulenspiegel.
Die Mönche, und mit ihnen Ulenspiegel, wurden in eine Scheune geführt; dort wollten sie ihn durch theologische Argumente bekehren, aber er schlief beim Zuhören ein.
Als Herr de Lumey nach einer üppigen Mahlzeit an der Tafel saß, kam ein Bote aus Gorkum vom Kapitän Marin, der die Kopie eines Briefes des Schweigers, des Prinzen von Oranien, brachte, in dem allen Gouverneuren der Städte und anderer Siedlungen befohlen wurde, »den Mönchen ebenso wie dem übrigen Volk alle Sicherheit und die Ausnutzung ihrer Privilegien zu gewährleisten.«
Der Bote verlangte, zu Lumey geführt zu werden, damit er ihm selbst die Kopie in die Hand geben könne.
»Wo ist das Original?« fragte Lumey.
»Bei meinem Herrn, dem Kapitän de Marin«, antwortete der Bote.
»Und der Knecht schickt uns die Kopie!« sagte Lumey. »Wo ist dein Paß?«
Herr von Lumey las ganz laut:
»Der edle Herr und Meister Marinus Brandt bittet alle Minister, Gouverneure und Offiziere der Republik, etc.«
Lumey schlug mit der Faust auf den Tisch, zerriß den Paß und rief: »Gottes Blut! In was mischt sich denn dieser Marinus hinein, dieser Lumpenkerl, der vor der Eroberung von Briele noch keine Heringsgräte zwischen die Zähne zu schieben hatte? Er nennt sich edler Herr und Meister und schickt mir Befehle? Er bittet und ordnet an! Sag deinem Herrn, ob er Kapitän und Meister ist, ob er auch noch soviel bittet und befiehlt, daß die Mönche alsogleich gehenkt werden und du mit ihnen, wenn du nicht sofort Beine machst!« Und mit einem Fußtritt beförderte er ihn aus dem Saal.
»Zu trinken!« rief er dann. »Habt ihr die Überheblichkeit dieses Marinus gesehen? Ich könnte meine ganze Mahlzeit erbrechen, so wütend bin ich! Man henke die Mönche in ihrer Scheune unverzüglich auf, lasse den Flamen die Hinrichtung mit ansehen und dann zu mir führen! Wir werden sehen, ob er dann noch wagen wird, mir zu sagen, ich hätte ein Unrecht getan. Gottes Blut! Was braucht man hier noch Krüge und Gläser?«
Herr de Lumey befahl, daß man die Mönche sofort in Ulenspiegels Anwesenheit henken und diesen dann vor ihn führen solle. Das geschah, und man brachte Ulenspiegel.
»Ah, bringst du Neuigkeiten von deinen Freunden, den Mönchen?« fragte ihn der Admiral. »Sie sind gehenkt«, sagte Ulenspiegel, »und ein niederträchtiger Henker, der mit dem Töten sein Geschäft verbindet, hat einem von ihnen, wie einem ausgewendeten Schwein, den Bauch und die Seiten geöffnet, um sein Fett herauszunehmen und an einen Apotheker zu verkaufen. Das Wort des Soldaten ist nicht mehr von Gold.« »Du trotzest mir, Dreikäsehoch?« sagte Lumey, »aber du wirst auch gehenkt werden, und zwar nicht in der Scheune, sondern vor aller Welt, auf dem Platze.«
»Schande über Euch«, sagte Ulenspiegel, »Schande über uns! Das Soldatenwort ist nicht mehr von Gold.« »Schweig, Feuerschädel!« sagte Lumey. »Schande über dich«, sagte Ulenspiegel, »bestrafe lieber die nichtsnutzigen Menschenfetthändler. Das Soldatenwort ist nicht mehr von Gold.« Nun stürzte sich der Herr von Lumey mit erhobener Hand auf ihn, um ihn zu schlagen.
»Schlag zu«, sagte Ulenspiegel, »ich bin zwar dein Gefangener, aber ich habe keine Furcht vor dir. Das Wort des Soldaten ist nicht mehr von Gold.«
Nun zog Lumey seinen Degen und hätte Ulenspiegel sicher getötet, wenn der Herr von Très-Long ihm nicht in den Arm gefallen wäre und gesagt hätte:
»Hab Erbarmen! er ist brav und tapfer und hat kein Verbrechen begangen.«
Nun besann sich Lumey und sagte:
»Er bitte um Vergebung!«
Aber Ulenspiegel blieb aufrecht stehen und entgegnete:
»Das werde ich nicht tun.«
»Er sage wenigstens, daß ich nicht Unrecht getan habe«, rief Lumey, der von neuem in Zorn geriet.
Doch Ulenspiegel antwortete:
»Ich lecke die Stiefel der großen Herren nicht. Das Soldatenwort ist nicht mehr von Gold.«
»Man richte den Galgen auf«, sagte Lumey, »und bringe ihn auf den Platz, das soll ihm ein Wort von Hanf sein.« »Ja«, sagte Ulenspiegel, »und vor allem Volk werd' ich's schreien: Soldatenwort ist nicht mehr Gold!«
Auf dem Großen Markt wurde der Galgen aufgerichtet. Die Kunde, daß Ulenspiegel, der tapfere Geuse, gehenkt werden solle, hatte bald die Stadt durcheilt, und das Volk war von Mitleid und Erbarmen erfüllt. Es kam in großen Mengen auf den Großen Markt gelaufen, und auch Herr von Lumey kam, hoch zu Roß, denn er wollte selbst das Zeichen zur Hinrichtung geben. Ohne Milde sah er Ulenspiegel im Totenhemd, mit an den Körper gefesselten Armen und Händen, den Strick um den Hals, auf der Leiter stehen, und der Henker war bereit, sein Werk zu tun. –
Très-Long, der auch anwesend war, sagte zu Lumey: »Mein Herr, vergebt ihm! Er ist kein Verräter, und niemals sah man einen Menschen henken, weil er aufrichtig und barmherzig war.« Als die Männer und Frauen des Volkes Très-Long so sprechen hörten, riefen sie: »Erbarmen, gnädiger Herr, Erbarmen und Gnade für Ulenspiegel.«
»Dieser Eisenschädel hat mir getrotzt«, sagte Lumey, »er bereue und sage, daß ich recht gehandelt habe.« »Willst du bereuen und sagen, daß er recht getan hat?« fragte Très-Long Ulenspiegel. »Das Wort des Soldaten ist nicht mehr von Gold«, antwortete Ulenspiegel.
»Zieht den Strick«, sagte Lumey.
Der Henker schickte sich an zu gehorchen. Da sprang ein junges, ganz in Weiß gekleidetes Mädchen, mit Blumen bekränzt, wie eine Irrsinnige die Stufen des Hochgerichts hinan, fiel Ulenspiegel um den Hals und rief: »Dieser Mann ist der meine – ich nehme ihn zum Gatten.«
Das Volk gab seinen Beifall kund, und die Frauen riefen: »Es lebe das Mädchen, das Ulenspiegel rettet, es lebe das Mädchen!« »Was ist das?« fragte der Herr de Lumey. Très-Long antwortete: »Nach Brauch und Übung dieser Stadt ist es Recht und Gesetz, daß eine Jungfrau oder eine Unverheiratete einen Mann vom Strick errettet, indem sie ihn am Fuß des Galgens zum Gatten nimmt.« »Gott ist mit ihm«, sagte Lumey, »man nehme ihm die Fesseln ab.«
Nun ritt er auf das Schafott zu und sah dort, wie sich das Mädchen daranmachte, Ulenspiegels Stricke zu durchschneiden. Der Henker wollte sich dem widersetzen und sagte: »Wer wird sie mir bezahlen, wenn du sie zerschneidest?«
Doch das Mädchen hörte nicht auf ihn.
Als Lumey sie so liebevoll bemüht sah, ward er gerührt und fragte:
»Wer bist du?«
»Ich bin Nele, seine Braut«, sagte sie, »und komme aus Flandern, um ihn zu suchen.«
»Daran hast du recht getan«, sagte Lumey in trockenem Ton. –
Nun trat Très-Long an Ulenspiegel heran und sagte: »Kleiner Flame, wirst du, wenn du einmal verheiratet bist, noch auf unseren Schiffen Soldat sein wollen?« »Ja, mein Herr«, antwortete Ulenspiegel. »Und du, Mädchen, was wirst du ohne deinen Mann machen?« »Wenn es Euch behagt, mein Herr«, antwortete Nele, »so will ich auf seinem Schiff Pfeifer werden.« »Es behagt mir«, sagte Très-Long und gab ihm zwei Gulden für den Hochzeitsschmaus.
Lamme sagte, vor Freude weinend und lachend: »Hier sind noch drei Gulden; wir werden alle essen, und ich werde bezahlen. Gehen wir in den ›Goldenen Kamm‹. Er ist nicht tot, mein Freund! Es lebe der Geuse!«
Das Volk jubelte, und die drei gingen in den »Goldenen Kamm«, wo ein großes Freudenmahl bestellt wurde. Lamme aber warf alle Scheidemünzen, die er bei sich trug, vom Fenster aus unters Volk.
Und Ulenspiegel sagte zu Nele: »Süße Geliebte, nun bist du bei mir! O Segen! sie ist hier, mit Herz und Leib und Seele, meine süße Freundin. Oh! die sanften Augen und die schönen roten Lippen, von denen nur gute Worte kommen. Sie hat mir das Leben gerettet, die zärtliche Geliebte! Du wirst auf unseren Schiffen die Pfeife der Befreiung spielen. – Erinnerst du dich . . . aber nein. – Dies ist die Stunde unserer Glückseligkeit, und mir gehört dein Gesicht, das so süß ist wie die Blumen im Juni. Ich bin im Paradies! – Aber du weinst . . .?«
»Sie haben sie getötet«, sagte sie. Und sie erzählte ihm die Geschichte ihrer Trauer. Da sahen sie einander an und weinten vor Liebe und Schmerz.
Beim Hochzeitsmahl wurde tapfer getrunken und gegessen, Lamme sah betrübt drein und sagte: »Ach, meine Frau, wo bist du!«
Und der Priester kam und traute Nele und Ulenspiegel.
Und die Morgensonne fand sie beieinander im Ehebett. Neles Köpfchen ruhte an Ulenspiegels Schulter, und als die Sonne sie weckte, sagte er: »Frisches Gesicht und süßes Herz, wir werden Flanderns Rächer sein.«
Sie küßte ihn auf den Mund und sagte: »Toller Kopf und starker Arm, Gott wird die Pfeife und den Degen segnen.«
»Ich werde dir ein Soldatenkleid machen.« »Gleich?« »Gleich«, antwortete Ulenspiegel, »aber wer sagt, daß morgens Erdbeeren gut sind? Dein Mund ist weit besser.«