Matthias Claudius
Der Wandsbecker Bote
Matthias Claudius

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Schönheit und Unschuld.
Ein Sermon an die Mädchen.

Eigentlich sollte Schönheit unschuldig und Unschuld sollte schön sein, aber in der Welt sind es verschiedene Dinge; und weil ich diesen Sermon in der Welt halte, muß ich mich wohl bequemen.

Schönheit also ist Schönheit des Leibes, 'n Paar Taubenaugen, n' Gesichtlein wie Milch und Blut und ein gewisser Zaubervogel Kolibri, der, wie die närrischen Poeten schreiben, an den Taubenaugen und an dem Gesichtlein sitzt und nistet wie die Schwalben an der Mauer. Unschuld hingegen wohnt im Gemüt und ist eine himmlische Gestalt, die mit Luthern Gott fürchtet und liebet daß sie keusch und züchtig lebe in Gedanken Worten und Werken, die kein Arg daraus hat, von sich und der Welt nichts weiß und sich auf nichts einläßt.

Der Kolibri findet gewaltig vielen Beifall, und die Mädchen wollen ihn alle gerne haben und laufen ihm nach. Aber, ihr lieben Mädchen, aber – wir wollen's einmal überlegen.

Was ist Schönheit des Leibes? – 's ist doch nur Schönheit des Leibes, Glanz einer Zitternadel darin kein edles Gemüt großen Wert setzen kann. Du hast sie dir nicht gegeben und du magst sie dir nicht erhalten, 'n paar Jahre weiter und sie ist dahin. Zweitens schafft und nützt sie im Hause nicht viel. Du kannst mit einem Gesichtlein wie Milch und Blut keinen bessere Braten machen, kannst mit Taubenaugen dein Kind nicht besser waschen und kämmen; und die Ehen werden doch nicht im Monde sondern im Hause geführt. Auch ist Schönheit nicht 'nmal das was eigentlich Liebe macht. Den Kopf kann sie wohl verdrehen, aber wahre herzliche Liebe ist an sie nicht gebunden. Sieh deine Mutter an; sie ist nicht mehr schön, und doch liebt sie dein Vater so herzlich und trägt sie in seinen Augen.

Also 'n Ding, das an sich keinen Wert hat, das nur kurz währet, das im Hause nicht sonderlich nützt und nicht eigentlich Liebe macht: so 'n Ding ist die Schönheit. Mehr ist sie nicht, und ihr müßt mir nicht böse sein, ihr schönen Mädchen, daß sie nicht mehr ist. – –

Ich möchte euch darüber so gerne recht kapitelfest machen. Denn sie werden's euch anders sagen, werden um euch stehen und liebkosen und bewundern. Und das möchte euch betören, hoch von der Schönheit zu halten und auf eine Scheinlampe hinter ihr und andre Maschinerien bedacht zu werden; und das wäre schade um euch! Schönheit und Unschuld sind wie die beiden Schalen einer Waage; so wie die eine in eurem Gemüt steigt, fällt die andre. Und das wissen die Liebkoser zum Teil, und erheben eben deswegen vor euch die Schale mit der Schönheit so hoch, daß die andre mit der Unschuld allgemach sinke. Einige helfen wohl gar noch nach, und suchen euch Keuschheit und Zucht als Alfanz und Aberglauben vorzuspiegeln. Aber, fliehet den Mann der das tut! Und wenn er mit Gold und Perlen behangen wäre, er ist 'n Bösewicht. Ist eine giftige Klapperschlange! Die Natur zwar hat ihn mit der Klapper verschont, weil sie sich auf seine Gaben und auf seine Diskretion verließ; aber er war der Großmut nicht wert und sollte eine tragen, und ich täte sie ihm gerne in seinen Haarbeutel, oder hing' ihm eine ans Ohr, daß er vor sich warne wo er hinkömmt.

Unschuld des Herzens ist das Erbteil und der Schmuck des Weibes. Und wisset, Unschuld hat ihren eignen Engel, der hinter euch hergehet und über euch wacht, solange ihr unschuldig seid. Erzürnet ihn nicht! und glaubet für ganz gewiß, daß wenn er von euch weichet, euer Glück von euch gewichen ist.

Mädchens, ich weiß was ihr wert seid! Und was ihr dem Manne sein könnet, wenn ihr's vorzieht und euch entschließt eines Mannes zu werden. Ihr seid ihm eine edle Gabe Gottes, und er lebt des noch eins so lange; er sei reich oder arm, so seid ihr ihm ein Trost und machet ihn allezeit fröhlich. Ihr seid Bein von unsern Beinen und Fleisch von unseren Fleisch, und darum bewegt sich mein Herz in mir wenn ich euch ansehe und an euch denke. – – –

Nun, ihr seid in der Welt und müsset durch, was auch euer Beruf sei. Gehet in Friede, und seht nicht viel umher.

Und der Engel der Unschuld begleite euch!


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