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Weihnacht im Krieg

Unser lieber Herr, der Himmelvater, sitzt in seinem alten Lehnsessel, raucht seine lange Pfeif und rückt sich das Augenglas auf der Nasen zurecht. Dann sagt er zum Erzengel Michael: »Geh, Micherl, bring mir amal schnell die bayerisch Zeitgschicht, Band sieben, Abteilung Gegenwart!«

»Glei!« sagt der Sankt Michael und fliegt davon.

Derweil ist die Himmelmutter grad mit dem Kaffeekochen fertig, schenkt die verschiedenen Haferln und Tassen voll, nimmts Christkindl auf den Schoß und setzt sich also zu unserm lieben Herrn, indem sie sagt: »Vatta, da muaß i aa dabei sfein; die Gegenwart von meine Bayern intressiert mi scho recht; bsonders jetz unterm Kriag. Was is's eigentli mitn Kriag? Werd er no net bald gar?«

Aber das hört er nicht gern, – der Himmelvater: »Was d' nur alleweil hast mit deiner Fragerei!« sagt er; »dees werst scho sehgn, wann er gar werd! Vorläufig denk i no net dran! Bis jetzt habn ihn no viel z' wenig Leut gspürt, den Kriag! In die Städt sand die Weiberleut no grad so überspannt und narrisch wie ehvor, – und bei die Bauern draußt ham aa d' Bäuerinnen bloß 's Jammern und 's Leutausziagn glernt!«

Die Himmelmutter wirft schnell noch ein Stückl Zucker in den Kaffee des lieben Herrn und meint dann begütigend: »Geh, sei stad, Vatta! Es is wo anders aa net besser als wia bei meine Bayern! – Sagst, was d' magst, i hab halt doch allemal wieder mei Freud dran, an meine Landeskinder! Mei liabsHerrgottl! Sie stehn aa eahnan Teil aus in dem Kriag; gar die arma Leut!«

»Ja no, dees is ja wahr,« meint der himmlisch Vater und rührt gedankenvoll seinen Kaffee um; »aber es muaß halt amal so sein! I woaß's scho, für was's guat is. Hoffentlich sehng sie's ein, wann die Zeit amal da is.«

Der Erzengel bringt das Buch, einen großmächtigen, weißblau eingebundenen Folianten mit dem bayrischen Löwen in Silber gepreßt als Wappen drauf.

»So, Micherl, leg's nur hin derweil auf 'n Schreibtisch, bis i mein Kaffee trunken hab!« sagt unser Herr; dann taucht er seine Kriegssemmelbrocken langsam ein und betrachtet nachdenklich das Leben und Treiben der Erdenpilger in seinem Weltspiegel.

So trinkt also die himmlisch Familie ihren Kaffee; darnach geht die Arbeit an.

»Wo sand mir zletzt stecken bliebn mitn Einschreibn?« fragt der Himmelvater.

»'s Weihnachten trifft heut, gnädiger Herr!« sagt der heilige Benno und winkt etliche Engel zu sich.

»Wo bleibn denn die andern Christengel so lang?« brummt er sie an.

»Grad kommens!« meint einer aus der Gruppe; da fliegen sie auch schon daher in höchster Eil.

»Machts nur wieder an rechten Wind um mi her!« greint der liebe Herr in dem Augenblick; »mir woaß si bald so nimmer z'helfen vor lauter Zugluft da herobn!«

Er schlagt das Buch auf, nimmt den goldenen Federhalter in die Hand, taucht tief in die rote Tinte ein und schreibt das Datum: vierundzwanzigster Dezember des Jahres neunzehnhundertvierzehn nach christlicher Zeitrechnung. Dann kommen einige allgemeine Notizen über 's Wetter, über Lohn- und Strafsachen, über Armenpflege und momentane Hilfeleistungen im allgemeinen und im besonderen.

Dann gehts über den Punkt Krieg.

»Wo stehen eigentlich die Bayern überall?« fragt der heilige Michael.

»Das kann aus strategischen Gründen nicht verraten werdn!« erwidert die heilige Barbara; »d' Artillerie steht halt bei die Kanonen und die andern im Schützengraben oder sonst wo, wanns net grad verwundet sand oder gar auf der Himmelfahrt.«

»Pst! A bißl leiser!« mahnt in dem Augenblick die Himmelmutter; »der Vatta werd sonst irr in seiner Schreiberei!«

Sie blickt um sich: »Geh, Antonius! Geh, nimm mir 's Kindl a bißl ab und trags a Weile spaziern; i muaß jetz da dabei sein, – es geht über meine Bayern!«

Der heilig Antoni nimmt behutsam das Kindl, indes einer von den Blasengeln lachend singt: »Heilger Antoni, laß's Kinderl net falln! Du kunntst koans mehr macha und kunntst koans mehr maln!«

Da ertönt die Stimme des Himmelvaters:

»Wer weiß was über Weihnachten auf den Schlachtfeldern?«

Etliche Christengel treten vor, und der älteste beginnt:

»Ich komm aus den Vogesen, Herr. Da hats am heiligen Abend 'kracht und 'pumpert, und die Bayerischen habn aus ihren Kanonen rauspulvert, was nur raus gangen ist. So war der Befehl; denn die andern, die Französischen, ham anno siebzig grad um dieselbig Zeit den großen Angriff gmacht, und so ham sich die Bayern halt vorgsorgt. Es ist ihnen auch die Angreiflust vergangen, den Franzosen, und so hab i mein Werk gut vollbracht. Liebe Zeit! Sie hams net gar schön ghabt, die Landstürmer. Ihre Gräben schaugn aus wie Schwimmbäder – bis an die Knie waten d' Leut im Schlamm und Wasser, – und im Unterstand – o mei, Herr! A Luft – zum Schneiden so dick und stickig – die Öllamperln qualmen – das Öferl raucht – die nassen Wänd dampfen – und die tropfenden Uniformen dazu – dabarmt ham s' mir! – Muaßt nit gar z' hart ins Gricht gehn damit, Wenns hi und da giftig wordn sand und gscholten und gflucht ham, meine Leut! – Na – i bin also mit oan naus in d' Kälten – du hast grad a kloans Schneerl schneibn lassen, Herr – und hab eahm a Baamerl aussuchen helfen. Mir hams nei in Unterstand, drei Äpfel und fünf Lichtl dran, und mei Freund hat a paar Zaachern in die Augn zerdruckt und an Seufzer gmacht.

Nachher ham mir die zwoa Liebesgabensäck aufgschnitten, die Packerin und Schachtln aufeinandergschlicht't und unserne Leut z'sammgrufen. – Herr – es war a arme Weihnacht – aber sie wird dir aa gfalln habn. Es war die vom Münchner Landsturm.« –

Der nächste Engel tritt vor: »Herr, weilst grad beim Landsturm bist: Die meinigen liegen weit draußen in einer fremden Vorstadt; ein tiefer Kanal fließt dran vorbei. In einem Neubau haben sie ihre Kasern eingericht't und mir eine nette Stuben z'rechtgrnacht mit einem gedeckten Tisch. – Einer stellt grad, wie ich komm, ein wunderlichs Kiefernbäumerl auf den Tisch; ein anderer hängt einen Lebzelten dran und ein Heiligenbild; – wieder einer steckt Hölzlein in ein paar Äpfel und Nüsse, und einer hat ein vierjährigs Franzosenbübl auf den Knien und schaut trüb gradaus – heimzu in eine arme Stuben –, wo ein magers, müds Weib mit einem Haufen Kinder haust. – Da steht einer am Fenster und starrt in die dunklen Gassen hinaus, – dort hockt einer am Bettrand und hat die Händ verschlungen und die Augen geschlossen.

Und ich geh hinaus und hol die andern. Und sie nehmen ihre brennenden Kerzen in die Rechte, langsam steigen sie die Staffeln der Stiege empor, – einer beginnt leise: ›Stille Nacht – heilige Nacht‹, – rauh und stockend singens die andern zu End, – falten die Händ und stehen schweigend, indes das Franzosenbübl lustig in die Händ patscht und jubelt und lacht.

Da hab, i mir denkt: das Bübl wird euch schon wieder z'rechtbringen! – und bin wieder heimzu.« –

So berichten die Engel, einer um den andern, von der Weihnacht im Feld; der von den Eisenbahnern, der ander von der Artillerie; der von denen in Flandern und in Belgien, der ander von denen in Rußland.

Und dann tritt einer vor und sagt: »Herr, die heilig Nacht da draußen ist eine schöne gwesen. Aber ich kunnt dir berichten von mancher Mutter und manchem Weib in der bayerischen Heirttat, von allerhand Sorg und Not, von Beten und Weinen. Aber du weißts ja selber alles, Herr, drum bitt ich bloß: gib ihnen, um was sie bitten: einen guten Frieden und eine frohe Heimkehr!«

»Amen,« sagt die Himmelmutter.

Und der himmlisch Vater schließt das Buch.

 


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