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»O du mei liabe Münchnerstadt – leb wohl!«
Wie viele sind in diesen Tagen schon die Stufen unsers Bahnhofs emporgestiegen, haben sich noch einmal – zum letztenmal umgedreht und diesen Abschiedsgruß zurückgerufen, ehe sich die beiden Tore hinter ihnen schlossen!
Wieder hallen die Tritte der Kompagnien und Bataillone auf dem rußigen Steinpflaster des Bahnhofs, schier endlose Züge stehen bereit, und die Truppenmassen sammeln sich auf dem Bahnsteig, der für Zivilpersonen streng verschlossen ist.
Nur außerhalb der Bahnsperre, in der großen Ausfahrtshalle, drängen sich die Angehörigen der Soldaten, nachdem sie sich mit einer Bahnsteigkarte dies Recht erkauft haben.
Immer neue Truppen kommen an; jeder geschmückt wie ein junger Herrgott – jeder aufgepackt wie ein Lastesel.
»Mei Liaba! – Jetz is's vorbei mit de Ausflüg! – Jetz werd der Starnberger See schö draufzahln!«
»Ja. Jetz derfans nachher an Bahnhof a so glei zuasperrn, bal mir allsam furt sand!«
»Sixt – da drent gehts auf Schliersee und zu mir hoam! … Wendlstoa – geh, laß di grüaßn!«
Ein Juchzer und ein Jodler erschallt.
Die ganze, großmächtige Halle erzittert, da ein vielhundertfaches Jauchzen antwortet.
»Hinter jener Felsenburg so altersgrau –
Liegt die schöne, stille Jachenau!«
Einer singt's, – alle wiederholen es.
»Dort wo die Glocken klingen hell,
In diesem Tal liegt's Boarischzell!«
Ein Juchschrei folgt dem Gesang.
»D' Salzburger Glöckerl, de ham an schön Klang –
Aber wannst du amal stirbst, leb i aa nimmer lang!«
Der Chor fällt ein, und vierstimmig schallt es zurück:
»D' Salzburgerglöckerl, de ham a hells Gläut,
Aber wannst du amal stirbst, stirbt allsam mei Freud!«
Ein Unteroffizier tritt unter den Haufen und brüllt: »Was anders!«
Die Tränen treten ihm in die Augen, indes er herauswürgt: »Gloria! Gloria! Gloria Viktoria!«
Da dröhnt's und hallt's, lärmt's und klingt's:
»Mit Herz und Hand fürs Vaterland –
Fürs Vaterland!«
Und sie singen von den Vöglein im Walde, – die sangen so wunder-wunderschön:
»In der Heimat – in der Heimat
Da gibt's ein Wiedersehn!«
Ein Schluchzen geht durch die Menge draußen.
Drin beim Zug sagt ein Offizier: »Wer noch Angehörige hier erwartet, kann einen Augenblick wegtreten!«
Da rennt wohl dieser und jener noch zurück an das Gitter, wo sich ihm eine Hand entgegenstreckt und eine bekannte Stimme ihm zuruft: »Da bin i – Hans! – Also – pfüati halt Gott! – Recht viel Glück! – Kehr gsund wieder! – Da – i hab dir no a Kloanigkeit mitbracht!«
So nehmen noch viele voneinander Abschied.
Da steht mancher Vater, – manche Mutter, – die sind eigens hergefahren aus ihrem Dorf – ihrem Ort, um den Sohn noch einmal zu sehen und ihm Glück zu wünschen; – junge Frauen, – Bäuerinnen, – Häuslerinnen stehen hier, drücken sich durch die Menge und blicken mit brennenden Augen nach den Truppen. »Habts mein Mo net gsechan?« fragt eine; »hat no koaner nach mir gschaugt? – Er hat ma telegraphiert, daß er no a Geld braucht – und jetz siech i 'hn nimmer!«
Einer nimmt grad Abschied von der Schwester. Da hört er die Bäuerin.
»Wie hoaßt denn Eahna Mo?« fragt er.
»Schwaiger! – Lorenz Schwaiger. Bei der sechsten Kompanie is er.«
»Soo, der Schwaiger! – Wartn S', i sags eahm!«
Er eilt weg und schickt ihr den Erfreuten.
Da rennt einer schweißtriefend am Gitter entlang; seine Augen suchen verzweifelt ein bestimmtes Gesicht, und er ruft unausgesetzt: »Resi! – Urbanin! – Frau Urban! – Resi!«
Die Menge gibt den Ruf zurück, – eins fragt das andere: »Urbani! – Is neamands da von Urban? … Frau Urban!«
Da stürzt ein kleins Bauernweiblein mit dem Kopftuch und einem gefüllten Korb in der Hand heraus in die Halle, hört: »Urbanin! – Resi!« und ruft: »Da bin i, Kaschba! – I kimm scho!«
»Gott sei Lob und Dank! – I hab scho gmoant, du kimmst nimma!«
Unterdessen kommt die Regimentsmusik.
Brausend schallt's durch die hohen Hallen: »Deutschland, Deutschland über alles!«
Gemach fallen die Stimmen der Soldaten – der Zuschauer – der Abschiednehmenden ein; und wenn's gleich würgt im Hals und drückt in der Brust – es ringt sich heraus und eint sich mit den Klängen der Instrumente: »Deutschland, Deutschland – über alles – über alles in der Welt!«
Dann kommt das Signal des Hornisten: »Einsteigen!«
Hundertstimmiges Jauchzen antwortet.
Bald winken die Helme den letzten Abschied, senden die Hände den letzten Gruß aus den Fenstern.
Dann weht's und winkt's aus der Menge, – ein Juchzen und Hurrarufen hebt an – und – indes ein schriller Pfiff die Offiziere zum eiligen Einsteigen mahnt, klingt's zurück: »Muaß i denn – muaß i denn zum Städtle hinaus … und du, mein Schatz, bleibst hier! …«
Es ist keiner, dem's nicht weh würde in der Brust.
Aber fröhlich mischen sich die Stimmen der Scheidenden in die Klänge der Musik: »Übers Jahr – übers Jahr – wann i wiederum komm, wiederum komm … kehr i ein, mein Schatz, bei dir!«
Nochmals ein kurzes Pfeifen – ein Ruck durch den schier endlosen Zug – »Hurra! – Hurra! Hurra!«
»Es braust ein Ruf wie Donnerhall …« schallt's zurück – ein letztes Winken – ein gellender Juchschrei, der alles übertönt – langsam rollt der Zug dahin.
Lange noch steht die Menge – starrt den entschwindenden Wagen nach – steht und schaut – bis die nächsten Truppen ankommen.
Und so geht's dahin, – Zug um Zug; – Regiment um Regiment fährt hinaus.
Langsam entschwindet die Kuppel des Verkehrspalastes, – die Türme von Sankt Paul im Dunkel der Nacht.
Dort – ganz hinten – grüßen noch die Wahrzeichen der Münchnerstadt – die Frauentürme wie Schatten herüber. Tausend Lichter flimmern aus der Ferne – droben glänzen die Sterne. Langsam tritt einer nach dem andern vom Fenster weg.
»Leb wohl, liebe Frau – pfüat enk Gott – Sepperl – Katherl – Grüaß enk der Himmel – alle mitanand!«
»Servus, Mathäser – o Hofbräuhaus – o Münchnerstadt!« …
»Gell – tua di fei du recht broat macha da!« knurrt einer.
»Daß d' fei du net Platz hast!« erwidert der andere.
Ein dritter beginnt zu zählen: »Drei – sechse – sieme; – drei – sechse – sieme … Ja, was is denn das für a Wirtschaft … Mir san doch koane Bismarckhaaring, daß ma uns a so aufanand pappen müassn! – Warum habts enk denn net besser ausanandghockt beim Einsteign?«
»Daß du was z' grandln hast!« erwidern die andern.
»Herrgottseitn! – An Taler um a Maß Bier!« tönt's plötzlich in tiefem Baß aus der Ecke.
»Du waarst net viel gschlecki!« spötteln die andern.
»Mi könnts fünferln – i schlaf!« läßt sich ein Unteroffizier vernehmen.
»Und i aa!« erwidert gähnend der eine und der andere; und »Pfüat di Good, schöne Gegend!« Gemach neigt sich ein Kopf um den andern auf die Schulter des Nachbars.
Einer blinzelt nochmals hinaus in die Nacht – sagt halb im Schlaf: »I glaab, es geht Augsburg zua …«, dann wird's still in dem altmodischen Wagen.
Plötzlich ein Auffahren.
Alles starrt sich an – einer blutet.
»Jetz glaab i's!« sagt der Verwundete; »jetz ham mi d' Russen scho dawischt, bevor i hikimm dazua!«
Und er tastet über die blutende Stirn – die blutende Nase.
»Und mi d' Franzosen!« ruft sein Nachbar und hält, die Hand an den Kopf, wo ihm eine große Beule aufschwillt.
Aber die Täter sind rasch entdeckt: ein Tornister war aus dem Gepäcknetz herabgefallen, hatte ein Seitengewehr samt zwei schweren Patronentaschen, eine Feldflasche und einen Brotbeutel mitgerissen und so den Schaden angerichtet, als Vorgeschmack dessen, was kommen sollte.
Nur langsam gelingt es, wieder einzuschlafen.
Da – gegen sechs Uhr morgens – hält der Zug.
Alles springt auf.
»Wo sam ma denn?«
»Z' Ingolstadt.«
»Alles raus! – Waschen und abfrischen! – Frühstück fassen!«
Da geht's hoch her: kriegsstarker Kaffee, Brot, Wurst, Käs.
Drüben am nächsten Gleis werden endlose Pferdekolonnen eingeladen, sowie drei hochbeladene, gleichaussehende Lastautomobile mit Anhängewagen.
Und einer von den Beamten erzählt: »De Auto hättn für Rußland ghört; vierazwanzg Stück hat a deutsche Firma baut. Zahlt warn s' aa scho. Aber unser Regierung hat s' allsam beschlagnahmt.«
»Ah! Dees haut! – De könnan mir aa guat braucha!«
Grad wäre eine gute Unterhaltung im Gang, – da kommt wieder das Signal zum Einsteigen.
»Vorwärts! Nei in euern Stall!«
Die Fahrt geht wieder weiter – ins Ungewisse.
Jauchzen – Tücherschwenken aus den Häusern – aus den Dörfern – von den Feldern.
Die Sonne steigt strahlend herauf und schickt bald ihre Glut in die Wagen, wo die einen an den engen Fenstern stehen und hinausgrüßen, indes die andern rauchen oder Schokolade verzehren.
»Juhu!« schreit plötzlich einer vom Fenster her; »jetz woaß i, wo's zua geht! – Nördlingen zua fahrn ma! – Auf Paris gehts!«
»Hurra! Auf Paris gehts!«
»Vo mir aus gehts hi, wo derwillt! – Wenn nur i net so Durscht hätt!« sagt der im Eck mit seinem Baß.
»A Königreich um a Maß Bier!«
»Dees konnst dir denka! – Den schaugts o, – der tuat ja wia a Engländer!«
»Ja – der waar guat z' braucha als Kini oder als Kaiser!«
»Mein Ruah und a Grabstätt! – I stirb!«
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür des geheimen Kabinetts, und einer streckt den Kopf hinein zu der Gesellschaft: »Habts ös aa koa Bier?«
»Naa.«
»Oder sunst was nass' zum Trinka?«
»Naa. Dees hoaßt … Du konnst ja unserne edlen Schweißtropfen einsammeln und mit Himbeersaft nehma …«
Wütend schlägt die Tür zu.
Da fährt der Zug langsam in eine Station ein.
»Jessas – wenn er nur grad haltn tät!« seufzt der Dicke im Eck.
Er hält wirklich.
»Hurra!«
Himmel! Die Erlösung! – Junge, weißgekleidete Mädchen eilen geschäftig von Wagen zu Wagen und reichen frisches Wasser, Tee, kalten Kaffee und Limonaden hinauf. Jeder langt zu, trinkt gierig und bedankt sich froh.
Aber etliche schauen doch herum, suchen und forschen, und kehren mit betrübten Mienen wieder in die Wagen zurück.
»Also – ein solchenes Bruchnest! De ham wahrhaftig net amal a Halbe Bier da!«
»Ja, mei Liaber, – da werst umasunst gschaugt habn! Da muaßt scho warten, bis d' nach Paris kimmst! In Muleruhsch, wos de scheena Maderl gibt – da gibts aa a Bier!«
»Dem wern s' akrat oans gebn – mit sein Gipskopf!«
In diesem Augenblick erschallt nebenan am Fenster Mundharmonikaspiel, und eine Abteilung singt als Dank für die freundliche Bewirtung: »Muaß i denn – muaß i denn zum Städtle hinaus …«
Da stürmen alle an die Fenster und bringen den lachenden Mädchen ein Abschiedsständchen.
Einer aber steht auf dem Trittbrett und malt mit Kreide die großen Herren: Nikolaus, Peter und Poincaré an den Wagen, den einen gehängt, den andern geköpft und den dritten in zwei Hälften gespalten.
Kaum sieht das ein anderer, als er augenblicklich ein Stück Kreide aus dem Sack bringt, und auf den nächsten Wagen schreibt:
»Vorsicht! Hier sind bayrische Löwen drinn!
Man bittet, die Viecher nicht zu reizen!«
Sogleich diktiert ein anderer:
»Paris muaß boarisch werdn –
ehender gehn ma net hoam!«
Dies hört einer im Wagen und er schreit: »Geh schreib: Jeder Stoß ein Napoleon!«
Dann kommt das Zeichen zum Weiterfahren.
»Schöns Städtlein, ade! Schöne Maderln, ade!«
»Heil und Glück!«
»Dankschön! Gleichfalls!«
Dahin geht's wieder.
»Herrgott, de Hitz! – Bal dees so weiter geht, nachher kimm i gselcht oder braten auf Paris!«
Die Sonne meint es immer besser; kein Wölklein am Himmel, das sie verdeckt, – kein Lufthauch, der ihre Glut um ein wenigs abgekühlt hätte.
Ein grauer, feiner Dunst liegt weit draußen über Wald und Flur, Bienen und Fliegen schwärmen an den Fenstern vorbei.
Von einer Kirche dringt das Mittagläuten zu den Männern in den Zug und mahnt sie zum Gedenken an den Schöpfer und die Jungfrau.
Schweigend faltet mancher die Hände, sieht mancher hinüber zu dem ehrwürdigen Bau mit seinem barocken Turm, bis ein herrlicher Wald das Bild und die Gedanken ändert.
Nach geraumer Zeit hält der Zug in dem freundlichen Nördlingen.
Hier heißt's heraus und zum Essen.
Ein langes Zelt ist hier neben dem Bahnhof aufgeschlagen und mit Tischen und Bänken gut versorgt.
Da stehen schon die gefüllten Suppenschüsseln in Reihen; freundliche Sanitätsleute und lachende Rieserinnen sehen nach dem Rechten.
»Hat alles Fleisch? – Hat jeder ein Besteck? – Wer mag was trinken?« so schwirren die Fragen von Tisch zu Tisch.
Und indes sich ein jeder fröhlich sättigt, eilen die Mädchen fort und schleppen Buschen und Gewinde herbei, den Zug zu schmücken.
Neben dem Zelt aber steht der Bahnhofkommandant, ein alter Herr der Landwehr, dessen Uniform vielleicht schon viele Jahre in der dunkelsten Ecke des Schrankes hing, bis dieser Krieg sie wieder zu Ehren kommen ließ.
Er scheint sich nur schwer in die neue Rolle zu finden; nervös hält er die Uhr in der Hand, zerrt an seinem Bart und donnert endlich barsch den Befehl zum Einsteigen.
Da finden sich schon wieder neue Sprüche an den Wagen, wie:
»Den Serben, Russen und Franzosen
Verhaun mir 's Sitzfleisch in der Hosen;
Bomben kriagn s' statt Leberknödl
Und als Kompott unsern Gwehrkolbn an Schädl!«
»Oan und zwee fürcht ma net,
Drei und vier aa no net,
Ham ma scho Fufzge ghaut,
Da ham d' Leut gschaut!«
Schmunzelnd lesen die Offiziere diese Reime; aber ein Hauptmann sagt doch: »Ein sauberes Geschmier das! – Ich bitt mir fein aus, daß der Offizierswagen verschont bleibt von euerer Dichtkunst!«
»Jawoll, Herr Hauptmann!« erwidert irgendein Schalk.
Die Frauen und Mädchen winken und grüßen zum Abschied; die Soldaten schwenken ihre Helme und singen:
»Ach, wie fällt es mir so schwer
Aus der Heimat zu gehn;
Wenn die Hoffnung nicht wär
Auf ein Wieder-Wiedersehn!«
»Lebet wohl! – Lebet wohl!«
»Lebet wohl! – Lebet wohl!«
»Auf Wiedersehn!« –
Ziemlich rasch entschwindet die freundliche Stadt den Augen der Leute.
Scharf geht's dahin, – nach Württemberg.
Immer schöner wird die Gegend, immer herrlicher die Höhen und Täler.
Friedliche Dörfer liegen hier inmitten von gesegneten Fluren und Gärten, feine Herrensitze und Schlösser schauen hinab ins weite Gau, und darüber thronen auf trutzigen Felsen uralte Burgruinen.
An allen Fenstern stehen jetzt die Burschen und Männer und schauen wortlos hinaus in die Schönheit dieser Gegend.
Neben dem Bahnhof eines Dörfleins, durch das der Zug eilt, stehen viel Kinder und Mädchen, schwenken Fahnen und schreien: »Hoch und Heil!«
Lächelnd danken die Soldaten, und einer singt frisch einen Jodler hinaus.
In diesem Augenblick fliegt einem die Mütze vom Kopf.
»Himmel, Herrgott! Jetz konn mi scho glei alles gern habn!«
»He! He! – Net so gach, Brüaderl! Sei froh, daß's dei Kopf net war!« tönt's ihm entgegen, und einer meint trocken: »Laßt's enk nur Zeit! – Dees kimmt scho no!«
Aber der andere sagt unwirsch: »Ja – später werds scheener! – Mir hockt er. – Schaugts liaber, daß a Lebn in d' Fabrik eina kimmt! – Da gehts ja her, wia bei ana Kindsleich!«
Und er zieht ein verschnürtes Paket aus dem Gepäcknetz und wirft es dem Hornisten in den Schoß, daß es meckert.
»Da – rühr di amal – Herr Kapellmoasta! – Für was hat ma denn den Scherbn mitgnomma, wenn koana was hörn laßt!«
»Herrgott! 's Maurerklavier!«
Die ganze Gesellschaft freut sich, und der Hornist löst umständlich eine kleine Ziehharmonika, das Geschenk eines Münchner Bürgers, aus der Umhüllung.
Ein paar Züge, ein kurzes Vorspiel, dann geht's los: ein Marsch um den andern, ein Schnadahüpfl ums andere; dazwischen Heimatlieder und ernste Sachen.
Die Abteilung ist kreuzfidel, singt, lacht und tut, als ging's heimzu aus dem Manöver.
Da öffnet sich wieder die geheime Tür.
Ein Kamerad erscheint: »Sie, entschuldigens, Herr Mozart, möchtens net Eahnan Flügel zu de unsern aa a bißl nübertransportiern?«
»Ausgeschlossen. – Ös habts doch a so an Richard Wagner bei enkana Kompanie; – da machts nur selber a Prinzregententheater auf!«
»Dees geht heut net. – Er hat sei Kosima net dabei, sagt, er, – und d' Franzosen ham eahm d' Musi gstohln.«
»Na soll er pfeifa, sagst.«
Unterdessen kommen die andern schon herüber.
»Was kost's denn Eintritt?«
»Sperrfritz a Zwanzgerl.«
Eng aufeinandergepreßt hocken, lehnen und stehen sie jetzt beisammen, und es beginnt eine fröhliche, ausgelassene Unterhaltung, bis der Zug in Lauchheim hält.
Da ist wieder großer Empfang mit Winken, Grüßen und Schenken. Und etliche kredenzen lächelnd – Wasser, – Wasser.
Einer, ein Chemiker, hält das Glas gegen die Sonne, untersucht den Inhalt mit großem Ernst und sagt dann mit der Miene eines alten Universitätsprofessors: »Meine Herrschaften! Was Sie hier in diesem Glase sehen, ist eine Flüssigkeit, die man im allgemeinen Limonade, im besonderen Liebesgabe, bei uns speziell aber Saugsüff nennt. Es besteht aus neunundneunzig Teilen aqua, nullkomma fünf Teilen Tinctura citronica und nullkomma fünf Sirup Simplex. Seine Wirkung ist eine durchlaufende, bei geeigneter Konstitution sogar durststillende. In Kriegszeiten dient es häufig als Liebestrank für die mobile Armee, als Bierersatz und als besonderes Stärkungsmittel vor schweren Sturmangriffen. Doch möchte ich vor häufigem Gebrauch warnen!«
Seine Warnungen verhallen ungehört; denn in kurzer Zeit sind alle Gläser leergetrunken. Ja, in Aalen werden die Körbe voll Mineralwasser schier ausgerauft, so daß ein Leutnant den Wildlingen gerechte Vorwürfe macht.
Immer weiter geht die Fahrt; durch Gegenden mit großen Fabriken, blühenden Ortschaften, reichen Gefilden.
Gemach neigt sich der Tag, und die niedergehende Sonne rötet den Himmel und den grünen, glitzernden Neckar, über dessen hohe Brücke sie der Zug bei Kannstadt trägt.
Und dann breitet sich das Badener Landl hinter einem leichten Dunstschleier zu beiden Seiten der Bahn aus. Fruchtbare Felder wechseln mit riesengroßen Obstgärten. Aus den Kaminen der sauberen Häuslein steigt feiner, bläulicher Rauch und verliert sich langsam im Abendrot. Und überall waltet friedliche Ruhe, gewohnte Arbeit. Nichts gemahnt an den Krieg.
Die Dämmerung sinkt langsam nieder in die Täler. Ein leichter Stallgeruch steigt aus den Dörfern. Ein feines Läuten dringt vom Turm einer Kapelle. Mählich folgen da und dort die Abendglocken und mahnen zum Beten: »... und gib uns eine gute Nacht!«
Bruchsal. Ein gutes Abendessen und freundliche Verpflegung macht die Mannschaften heiter und dankbar.
»Mir tean scho des unser, daß's ihr enkan Ruah habts, dahoam! Mir zoagns eahna scho, wo da Bartl an Most holt! – Im Schiaßn san mir Moar – und Nahkampf – gfrei di, Boinkaree! – Oana nimmts mit drei auf! – Da gibts Fetzen!«
Die Ziehharmonika muß heraus.
Der Hornist spielt einen herben Landler, – zwei Kameraden vom Oberland tanzen vor dem Zug einen Schuhplattler.
Juchzen und Schnackeln mischt sich in das Stampfen und Schlagen, in Spiel und Gesang.
Die Offiziere schmunzeln: »Mit solchen Leuten ist gut in den Krieg gehen! Da ist der Sieg unser!«
Aber da sie wieder einsteigen, wird ihr Schmunzeln zum Lachen; auf dem Wagen steht in endsgroßen Buchstaben: »Feldherrnhallel«
»Alles einsteigen!«
Die herbeigeströmte Menge jubelt und beschenkt noch jeden und wünscht von Herzen Sieg und Glück zum Abschied.
Weiter geht die Fahrt, hinein in die Nacht.
Wieder ein unbequemes Anlehnen an die Schulter des Kameraden, ein unruhiges Schlafen, das mehr erschöpft als kräftigt.
Gegen zwei Uhr ein Dröhnen und Rauschen; – der Zug fährt über den Rhein.
Alles fährt auf, rennt an die Fenster; ein brausendes Hurra übertönt das Rattern des Zuges, das Rauschen der Wasser.
»Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.«
Der Tag kommt herauf.
Irgendwo hält der Zug. Überall Militär, Bahnhofwächter. Das Grüßen und Winken wird weniger.
Und weiter geht's.
Hagenau hat der Zug schon hinter sich; man ist in Lothringen. Immer eintöniger wird das Leben und Treiben, immer kälter der Empfang durch die Bewohner.
Irgendwo wird den Truppen Wasser und Brot gereicht.
Müde und erstarrt lehnen die Soldaten herum.
Die Sonne kommt und mit ihr eine schier unerträgliche Schwüle.
Wieder eine Haltestelle.
Alles versorgt sich mit Wasser, wäscht sich und löscht den Durst.
Da kommt eine Frau mit ein paar Eimern, gefüllt mit einer seltsamen Flüssigkeit, die sie nun übereifrig an die Truppen verteilt.
»Langet no, Buawe, langet no! Me ka si ja nemma helfe vor lauter Dorscht! – Nehmt no! – Nit scheniere!«
Mißtrauisch langen etliche mit ihren Bechern in die Eimer und tragen's hinein in den Wagen.
»Wia, was is's denn?« fragt einer.
»Woaß der Teifi! Nix gscheidts net!«
»Laß's probiern!«
Er kostet.
»Pfui Teife! – Also – i mag net ausgschaamt sei – sunst hätt i scho gsagt, wia dees schmeckt! – Naa, Buam; dees sauf ma net!«
Sagt's und gießt den Becher aus der andern Seite zum Fenster hinaus.
Drüben aber schreit die Alte unentwegt: »Langet no! Nur nit scheniere!«
Da macht die ganze Gesellschaft was aus.
Einer nach dem andern reicht seinen Becher hinaus, laßt ihn füllen – und leert ihn drüben wieder aus dem Fenster.
Und der Hornist sagt: »Schaugts es nur an, wie s' lacht! Die Freud wo die hat!«
»Und mir erscht!« sagt der Dicke im Eck; »die waar imstand und kunnt oan 's Saufa abgwöhna!«
Die Eimer sind leer. Die Alte lacht und sagt erfreut: »Sapristi no emal! – Alle zwee Eemer hent ihr usgsuffe! – à la Bonheur! – So hets no koim Regiment geschmeckt, wie Ihne!«
Die Fahrt geht ihrem Ende zu.
Gegen zwei Uhr mittags hält der Zug in einer kleinen Station hinter Saargemünd.
Die Mannschaften sind längst fix und fertig und springen frisch aus den Wagen.
Jeder hat nur einen Wunsch: »Jetzt hin an den Feind!« Aber so rasch geht's nicht.
Ein kurzer Marsch zu einer ausgeräumten Seidenfabrik bei Püttlingen.
»Ins Quartier!«
Dort warten sie in elenden Löchern auf den ersten Alarm.