Conrad Ferdinand Meyer
Jürg Jenatsch
Conrad Ferdinand Meyer

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Letztes Kapitel

Auf dem Rathause zu Chur wurden nach dem Schlusse der feierlichen Sitzung, in welcher Georg Jenatsch das Friedensdokument überreicht hatte, Vorbereitungen zu einem glänzenden Feste getroffen, mit dem ihn die Stadt am Abende desselben Tages ehren wollte. Es war Fastnachtszeit und die Churerinnen freuten sich auf den fröhlichen Anlaß; der Winter war den durch die Geselligkeit der frühern Jahre Verwöhnten allzu still und ernsthaft vergangen, sie hatten die erfindungsreiche Galanterie der französischen Edelleute vermißt, die allwöchentlich aus der nahen Rheinfestung nach Chur zu eilen pflegten. Heute sollte das Versäumte nachgeholt werden. Die Väter der Stadt hatten sich nicht geweigert, die weite, bequeme Halle, wo sie zur Sommerszeit das Heil des Landes berieten, dem wirbelnden Reigen und der Maskenfreiheit aufzutun und in den beiden zur Rechten und zur Linken auf diesen Saal sich öffnenden Sitzungszimmern die Schenktische rüsten zu lassen.

Das eine dieser Nebengemächer, vor dessen Eingang die schmale, vom Hausflur auf den weiten Saal führende Wendeltreppe ausmündete, war die Kammer der Justitia, deren aus Holz geschnitztes, buntbemaltes Bildnis, auf einem phantastischen Sitze von Hirschgeweihen thronend, an drei Ketten von der Decke herunterhing. Unter dem Bilde stand ein hoher Holzbock und auf diesem der beleibte Festwirt, der das mächtige Geweih geschäftig mit Wachskerzen besteckte. Während seine Hände sich beeilten, ging auch seine Zunge nicht müßig. Sie ließ gewichtige Worte fallen in einen Kreis junger Leute, welche das seidene geschlitzte Festwams mit dem breit ausgelegten Spitzenkragen, das reich bebänderte Beinkleid und die verwegensten Schuhrosetten zur Schau trugen, dabei schon den Becher handhabten, um, wie sie sagten, die Festweine zu prüfen, und die Aussprüche des Redseligen lustig auffingen, ihn zu immer neuen Mitteilungen ermunternd.

»Also, Vater Fausch«, lachte ein flotter Geselle, »Ihr seid es, der das Genie des Obersten aus den Windeln gewickelt hat, wodurch Ihr, ich will nicht sagen die kleine, aber die verborgene Ursache großer Dinge geworden seid! Gesteht, Ihr habt ihm auch seinen Plan eingehaucht, der eines Niccolò Macchiavelli würdig ist! Warum aber habt Ihr die Hauptrolle darin nicht selbst übernommen?«

»Daß es probat sei, Frankreich gegen Hispanien und Hispanien gegen Frankreich zu hetzen«, versetzte der Kleine, eine Kerze in der Hand, von seiner Höhe herunter, »und dann den Kopf leise aus der Schlinge zu ziehn, das mag ich Jürg in vertraulichen Stunden wohl angedeutet haben zur Zeit, als wir in der schönen Stadt Venezia zusammentrafen. Selbst aber das Geschäft übernehmen konnte ich nicht, wenn ich nicht dem herben Weine meiner Denkungsart einen unechten Beisatz geben und meine demokratische Vergangenheit beschämen wollte. Nie sah Bünden einen ehrenvollern Tag als jenen großen, da ich die französische Ambassade über die Grenze wies.« Und Fausch machte eine gebieterische Gebärde mit seiner Wachskerze.

»Bekannt! Bekannt wie die Schöpfungsgeschichte!« scholl es aus allen Ecken. »Etwas anderes, Vater Lorenz! – Erzählt uns lieber, wie Ihr, ein hartgesottener Ketzer, Kellermeister bei seiner bischöflichen Gnaden geworden seid.«

»Gern, meine Herren«, versetzte Fausch, »es ist in unsern Zeiten eine lehrreiche Geschichte.

Als seine Gnaden für ihren weltberühmten bischöflichen Keller einen Mann nach ihrem Herzen, ausgerüstet mit den erforderlichen Kenntnissen und Tugenden suchten, schrieben sie mir nach Venedig, an meiner ihnen wohlbekannten Person sei nur eines, das sie störe, – die Verschiedenheit des Glaubens. Sie meinten, ihr Malanser würde ihnen nicht schmecken, wenn ihr Kellermeister und Mundschenk die bestimmte Aussicht hätte, dereinst in der Flamme ewigen Durst zu leiden, und drangen heftig in mich, zum Besten ihres Kellers und meiner Seele die protestantischen Ketzereien abzutun. Lorenz Fausch aber, meine Herren, blieb fest und gelangte doch ans Ziel. Die Unterhandlung schloß damit, daß Gnaden einsahen, ein Apostat wäre nicht der Mann, ihnen reinen Wein einzuschenken.«

Fausch verstummte, denn eben war ein junges Ratsglied zu der Gruppe getreten und erzählte mit Lebhaftigkeit, wie stolz der Oberst dem Bürgermeister Meyer die Urkunde überreicht und in wie wohlgesetzten Worten das zürcherische Standeshaupt den Glückwunsch seiner Vaterstadt zu Bündens glorreicher und wunderbarer Wiederherstellung vorgebracht habe.

»Der Heini Waser hat gleichfalls mit mir auf derselben Schulbank geschwitzt«, rief Meister Lorenz von seinem Holzbock herunter. »Auch ein Pfiffikus! Aber mit unserm Jenatio verglichen, ein Ingenium zweiten Ranges. Wenn mein Jürg mir nur nicht hoffärtig wird! – Ich will heute abend die Maskenfreiheit benützen, um ihm sein erstes geringes Kleid, den Pfarrock, und die unterste Staffel seines Ruhms, die arme Kanzel, in heilsame Erinnerung zu bringen. Gebt mir auf den Spaß wohl acht, ihr Herren! Ich schleiche als Küster hinter ihm her und spreche ihn um den Liedervers zu seiner Predigt an, so wahr ich Lorenz Fausch heiße.«

 

Unterdessen hatten sich alle Lichter entzündet und der Saal begann sich zu füllen. In den Nischen der breiten Fenster flüsterten junge Damen und verzeichneten auf ihren Fächern die Tänze, welche sie den vor ihnen stehenden Kavalieren versprochen. Allmählig erschienen auch die Standespersonen, voran der Amtsbürgermeister Meyer mit seiner vornehm blickenden Gemahlin, welche, den runden Hals und die vollen Arme mit Perlenschnüren umwunden, in einem golddurchwirkten Schleppkleide neben dem stattlichsten der Gatten einherschritt. Bald nach ihnen betrat den Saal der Ritter Doctor Fortunatus Sprecher, den alles sich wunderte hier zu erblicken. Auch war sein Antlitz trüb und unfestlich. Der allen rauschenden Vergnügungen abholde Doctor hatte wohl sich heute Gewalt angetan um seines zürcherischen Freundes und Gastes willen, den er auch damit ehrte, daß er durch ihn sein liebliches Töchterlein aufführen ließ. Die Sprecherin sah in ihrem weißen Seidenkleide und dem vorn von einer Blume aus Edelgestein zusammengehaltenen Florwölklein um Nacken und Schultern an der Hand des ehren- und tugendfesten Bürgermeisters glücklich und verschämt aus, fast wie eine züchtige Braut.

Während Herr Waser sie unter ihre Freundinnen führte, welche dem Treppenaufgang und der Kammer der Justitia gegenüber am andern Ende des Saales jugendliche Gruppen bildeten, klangen die Stufen von Männertritten und Jenatsch betrat mit einem zahlreichen Gefolge seiner Offiziere die Tanzhalle. Sein gewaltiger Körperbau und sein feuriges Antlitz machten ihn noch immer zum Mächtigsten und Schönsten unter allen.

Noch stand er von vielen Seiten begrüßt neben dem Bürgermeister Meyer und seiner Gemahlin in der Mitte des Saales, als zu nicht geringem Schrecken dieser Magistratsperson der Doctor Sprecher mit einer Totengräbermiene sich unfern von ihnen unter den Kronleuchter stellte und, mit einer Bewegung der Rechten Schweigen verlangend, also zu reden anhub:

»Manche von euch fragen mich, werte Mitbürger, was diese Trauer meines Angesichts bedeute, die ich vergeblich um des heutigen Ehrenfestes willen unter der Maske der Heiterkeit zu verbergen trachte. Wollet es mir verzeihen, wenn ich ein großes Leid, das mir widerfahren ist, nicht länger verheimliche, weil ich überzeugt bin, daß es in vollstem Maße auch das eurige ist, und wollet es den Boten nicht entgelten lassen, der eure Freude in Trauer verwandeln muß.

Unser hoher Gönner und treuester Freund, der Herzog Heinrich Rohan, hat das Zeitliche gesegnet.«

Hier wanderte Sprechers Blick durch die erst lautlos schweigende und jetzt bei seinem letzten Worte bestürzte Gesellschaft. »Ein Flugblatt mit dem Berichte seines Endes ist eben in meine Hände gekommen. Wollt ihr die traurige Zeitung anhören?« fragte er, ein bedrucktes Papier aus der Brusttasche ziehend.

»Leset, leset!« ertönte es von allen Seiten.

Sprecher trocknete sich die Augen und begann:

»Allen evangelischen Herren, Städten und Landschaften deutscher Nation geschieht hiermit Kunde, daß Herzog Bernhard von Weimar bei Schloß und Stadt Rheinfelden eine glänzende Viktoria über die Kaiserlichen erfochten hat. In dieser Feldschlacht, die zwei Tage dauerte, wurde der in der Tracht eines gemeinen Reiters in unsern Reihen mitfechtende Herzog Heinz Rohan von dem Feinde nach tapferer Gegenwehr und erlittener Verwundung zum Gefangenen gemacht; am zweiten Tage aber bei erneuertem Angriffe von dem Hauptmann Rudolf Wertmüller und seinem Reiterfähnlein mit fürtrefflicher Tapferkeit herausgehauen und im Triumphe ins Lager zurückgeführt. Herzog Bernhard ließ ihn in sein Zelt bringen, allwo die Wunde untersucht und ungefährlich, der edle Herr aber sehr schwach befunden wurde. Herr Bernhard wich nicht von seiner Seiten. Am fünften Tage danach, als es mit Herzog Heinz zum Sterben gehen sollte, verlangte er nach einem geistlichen deutschen Lied, wie er solche im Heer sonderlich gern hatte singen hören. Da versammelten sich wohl hundert Mann aus dem Lager, Reiter und Fußvolk, alle wohl geübt und erfahren in dieser fröhlichen Kunst, vor dem Gezelt des Herzogs und sangen ihm ein neu geistlich Lied, das unlängst in das Lager gekommen war und bald große Gunst gefunden hatte. Nach dem Gesätzlein:

Wohl dir, du Kind der Treue!
Du hast und trägst davon
Mit Ruhm und Dankgeschreie
Den Sieg und Ehrenkron...

tat sich sachte das Gezelt auf und man winkete, daß der Herr selig verschieden sei. Als die Ärzte ihn öffneten, um ihn einzubalsamieren, fanden sie das Herz von Kümmernis gänzlich zerstöret. So fuhr dahin in Ehren der edle Herzog Heinz aus Welschland. Wenn einst, wie wir alle unverrücket hoffen, das deutsche Reich erneuert wird in evangelischer Freiheit und großer Gloria, so wird man auch dieses gottesfürchtigen welschen Herzogs gedenken, dieweil er glaubenshalber aus seinem Vaterlande gewichen und, nachdem er sich seiner hohen Ehren demütiglich abgetan, im evangelischen deutschen Heere einen frommen Reiterstod gestorben ist. Amen.«

Tiefe Bewegung hatte sich der ganzen Versammlung bemächtigt, es bildeten sich leise redende Gruppen. Wie damals da der Herzog am Tore von Chur Abschied nahm, stand Jenatsch eine Weile allein mit verfinstertem Antlitz.

Da trat der Bürgermeister Meyer auf ihn zu und redete ihn herzlich und ehrerbietig an: »Wir Churer glauben Eurer Genehmigung gewiß zu sein, Herr Oberst, wenn wir Euch vorschlagen, das Euch gebotene Dank- und Ehrenfest auf einen spätern Tag zu verlegen. Habt Ihr doch selbst besser als jeder andere das unserm Lande wohlgewogene Gemüt des guten Herzogs gekannt und müßte es Euch doch selber schmerzen, wenn wir seinen Tod bei Fackelschein und Reigentanz mit hartem Herzen zu feiern den Anschein hätten.«

Der Oberst schwieg und ließ seine dunkeln Blicke verächtlich über die undankbare Menge schweifen, die über einen Verschollenen und Toten die Gegenwart ihres Retters vergaß.

An dem obern Ende des Saales wurden die Lichter schon ausgelöscht und die geschmückten Frauen ließen sich von ihren Kavalieren zur Treppe geleiten. Herr Sprecher hatte, einer der ersten, das Rathaus verlassen. Besorglich legte sich eine Hand auf den Arm des Obersten, und als er verstimmt sich umwandte, sah er in das fragende Gesicht des zürcherischen Bürgermeisters, der die in Tränen aufgelöste Amantia wegführte.

»Ich muß mit dir reden! Heute noch, Jürg! Bleibst du hier?« flüsterte Waser, und als Jenatsch ihm leicht zunickte: »So komm' ich wieder.«

Jetzt reckte sich der Oberst zu seiner ganzen Höhe empor und sagte, das Haupt trotzig zurückwerfend, zu dem noch seiner Antwort harrenden Meyer, doch so, daß seine bebende Stimme durch den ganzen Saal klang:

»Ich will mein Fest, Bürgermeister. Geht oder bleibt nach Eurem Belieben!« –


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