Conrad Ferdinand Meyer
Jürg Jenatsch
Conrad Ferdinand Meyer

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Fünftes Kapitel

Herr Waser erwachte vor Tagesanbruch. Als er mit Mühe den Fensterladen aufstieß, der von dem üppigen Geäste und Blätterwerke eines Feigenbaumes gesperrt und dicht überflochten war, geschah es im Widerstreite zweifelnder Gedanken. Er war mit dem Vorsatze entschlafen, seinen gewalttätigen Freund und das allzu abenteuerliche Veltlin ohne Zögern und auf dem nächsten Wege über Chiavenna zu verlassen. Ein erquickender Schlaf jedoch hatte die gestrigen Eindrücke gemildert und seinen Entschluß wankend gemacht. Die Liebe zu seinem merkwürdigen Jugendfreunde gewann die Oberhand. War es denn dieser heftigen und, wie er sich sagte, nicht durch städtische Bildung vereitelten Natur stark zu verargen, wenn sie losbrach, wo Heimat und Leben gefährdet war? Und kannte er nicht von früher her Jürgs jähen Stimmungswechsel, seine wilden, heißblütigen Scherze! Eines jedenfalls war für ihn außer Frage: Durch plötzliche Abreise hätte er ein Unheil nicht verhütet, das aus dem halben Geständnisse entstehen konnte, welches ihm Jürg abgezwungen; blieb er aber, teilte er seinem Freunde das Erlebte vollständig mit, so erwiderte dieser sicherlich sein Vertrauen und er erfuhr, wie sich Jürgs Verhältnis zu Lucretias Vater so grenzenlos verbittert hatte. Dann erst kam der Augenblick, seinen versöhnenden Einfluß geltend zu machen.

So ritten sie in vertraulichem Gespräche nach Fuentes. Jenatsch kam nicht auf das Gestrige zurück und war freudig wie der helle Morgen. Fast leichtsinnig nahm er Wasers ausführlichen Reisebericht entgegen und bereitwillig antwortete er auf dessen eingehende Fragen. Aber Waser erfuhr weniger und minder Wichtiges, als er erwartete. – Nach einem letzten Universitätsjahre in Basel, erzählte Jürg, sei er ins Domleschg zurückgekehrt. Dort habe er seinen Vater auf dem Sterbelager gefunden und sei nach dessen Ableben von den Scharansern trotz seiner grünen achtzehn Jahre einstimmig zu ihrem Pfarrer gewählt worden. Auf Riedberg habe er einen einzigen Besuch gemacht, wobei er allerdings mit Herrn Pompejus über politische Dinge in Wortwechsel geraten sei. Persönliches habe sich nicht eingemischt; aber der Eindruck auf beide sei der gewesen, daß sie sich besser mieden. Als der erste Volkssturm gegen die Planta sich erhoben, habe er von der Kanzel abgewarnt, denn er sei damals noch der Meinung gewesen, ein Geistlicher müsse seine Hände von der Politik rein halten; als aber das Staatsruder bei wachsender Gefahr keinen mutigen Steuermann gefunden, habe ihn das Mitleid mit seinem Volke überwältigt. Das Strafgericht von Thusis, das er für eine blutige Notwendigkeit gehalten, habe er allerdings mit einsetzen helfen und ihm sein Tagewerk angewiesen. Die Verurteilung der Planta dagegen, deren Praktiken übrigens landeskundig gewesen, habe er weder begünstigt noch verhindert, sie sei wie ein einstimmiger Schrei aus dem Volke hervorgegangen.

So wendete das Gespräch sich völlig der Politik zu, obwohl Waser zuerst sich bestrebte, es auf den persönlichen Verhältnissen seines Freundes festzuhalten; aber er wurde überwältigt und hingerissen durch das Ungestüm, mit dem Jürg die den Zürcher höchlich interessierenden und von ihm gründlich erwogenen Probleme europäischer Staatskunst anfaßte; er wurde erschreckt und aufgeregt durch die Frechheit, mit der Jürg die harten Knoten rücksichtslos zerhieb, deren behutsame Lösung Waser als die höchste Aufgabe und den wünschenswerten Triumph der Diplomatie erkannte.

Es war ihm denn in diesem raschen Wechsel der Rede und Widerrede kaum die einzige schüchterne Frage gelungen, ob Fräulein Lucretia während der traurigen Wirren im Domleschg auf dem Riedberge gewohnt habe. Da hatte sich Jürgs Antlitz wie gestern abend wieder plötzlich verfinstert und er hatte kurz geantwortet: »Zu Anfang. – Das Kind hat gelitten. Es ist ein treues festes Herz... Aber soll ich die Fesseln eines Kindes tragen?... Und dazu einer Planta! – Torheit. – Du siehst, ich habe ein Ende gemacht.« –

Hier hatte er sein Tier so heftig gestachelt, daß es in erschreckten Sprüngen vorwärts setzte und Waser nur mühsam das seinige in Zucht hielt.

In Ardenn trieben sie ihre Maultiere vor die Türe des Pfarrers, aber diese war verschlossen. Blasius Alexander war nicht zu Hause. Jenatsch, der mit den Gewohnheiten seines einsam lebenden Freundes vertraut schien, umging das baufällige Häuschen, fand den Schlüssel zur Hintertüre in der Höhlung eines alten Birnbaumes und trat mit dem Freunde in Alexanders Stube. Der von den Bäumen des wilden Gartens verdunkelte Raum war leer bis auf die längs der Fensterseite laufende Holzbank und den wurmstichigen Tisch, auf dem eine große Bibel ruhte. Neben dieser geistlichen Waffe blickte aus der Ecke eine weltliche. Dort lehnte eine altväterische Muskete, über welche nun Jenatsch das ihm von seinem Begleiter gebotene Pulverhorn aus dem Müsserkriege an einen Holznagel aufhängte. Dann riß er ein Blatt aus Wasers Taschenbuche und schrieb darauf: »Ein frommer Zürcher erwartet Dich bei mir heute abend zur Zeit des Ave Maria. Komm und stärk ihm den Glauben!« Den Zettel legte er in die beim Buche der Makkabäer aufgeschlagene Bibel.

Schon brannte die Sonne heiß, als Jenatsch seinem Gefährten die aus dem breit gewordenen Addatale drohend aufsteigende Zwingburg zeigte, das Ungeheuer, wie er sie hieß, das die eine Tatze nach Bündens Chiavenna, die andere nach seinem Veltlin ausstrecke. Auf der Straße nach den Wällen zog eine lange Staubwolke. Der scharfe Blick des Bündners erkannte darin eine Reihe schwerer Lastwagen. Aus ihrer Menge schloß er, daß Fuentes auf lange Zeit und für eine starke Besatzung verproviantiert werde. Und doch ging in Bünden die Rede, daß die spanische Mannschaft durch die hier herrschenden Sumpffieber auf die Hälfte zusammengeschmolzen sei und der Aufenthalt in der Festung unter den Spaniern als todbringend gelte. Das war Jenatsch von einem blutjungen Locotenenten aus der Freigrafschaft bestätigt worden, der in Fuentes erkrankt war und, um solch ruhmlosem Untergange auszuweichen, ein paar Wochen auf Urlaub in der Bergluft von Berbenn verlebt hatte. Sich die Zeit zu kürzen, brachte er ein neues spanisches Buch mit, eine so lustige Geschichte, daß er es für unrecht hielt, allein darüber zu lachen, und er sie dem jungen Pfarrer mitteilte, an dessen Umgang er Gefallen fand und der ihm durch seinen Geist und seine Kenntnis der spanischen Sprache zu diesem Genusse vollkommen befähigt schien. Dies Buch war im Pfarrhause zurückgeblieben und heute gedachte Jenatsch den ingeniosen Hidalgo Don Quixote – so lautete der Titel – als Schlüssel zu der spanischen Festung zu benützen.

Eben öffnete sich ein Tor der äußersten Umwallung vor dem ersten Proviantwagen und Jenatsch trieb sein müdes Tier an, um bei dieser Gelegenheit leichter Eingang zu erlangen. Als die Freunde jedoch die Festung erreichten, stand an der Fallbrücke, die Einfahrt beaufsichtigend, ein spanischer Hauptmann, ein gelber zäher Geselle – nur Haut und Knochen – von dem das Fieber abgezehrt, was abzuzehren war. Er maß die Ankommenden mit hohlen mißtrauischen Augen, und als Jenatsch mit anstandsvollem Gruße nach dem Befinden seines jungen Bekannten sich erkundigte, erhielt er die knappe Antwort: »Verreist.« Wie er darauf Argwohn schöpfte und weiter fragte, wohin und auf wie lange, hinzufügend, daß er noch etwas vom Besitze des Jünglings in Händen habe, versetzte der Spanier bitter: »Dorthin. Auf immer. Ihr könnt Euch als seinen Erben betrachten.« – Dabei streckte er den Zeigefinger seiner Knochenhand nach den dunkeln Zypressen einer unfern gelegenen Begräbniskirche aus. Dann gab er der Schildwache einen Befehl und wandte den beiden den Rücken.

 

Da Jenatsch kein anderes Mittel kannte, in die streng bewachte Festung einzudringen, schlug er dem Freunde vor, weiter zu reiten bis an das Gestade des Comersees, den sie in geringer Entfernung lieblich leuchten sahen. Bald erreichten sie den belebten Landungsplatz seines nördlichen Endes. Kühl hauchte ihnen die blaue, vom Geflatter heller Segel belebte Flut entgegen. Die Bucht war mit Schiffen gefüllt, die gerade ihrer Ladung entledigt wurden. Öl, Wein, rohe Seide und andere Erzeugnisse der fetten Lombardei wurden zum Transport über das Gebirge auf Karren und Mäuler geladen. Der Platz vor der großen steinernen Herberge bot den Anblick eines bunten Marktes mit seinem betäubenden Lärm und fröhlichen Gedränge. Mit Mühe bahnten sich, vorüber an Körben voll schwellender Pfirsiche und duftiger Pflaumen, die beiden Maultiere den Weg bis zur gewölbten Pforte des Gasthauses. In dem düstern Torwege kniete der Wirt vor einer Tonne und zapfte ein rötliches, schäumendes Getränk für die durstig sich zudrängenden Gäste. Ein Blick in den anstoßenden Schenkraum überzeugte Jenatsch, daß hier zwischen lärmenden Menschen und bettelnden Hunden keine kühle Stätte zu finden sei, er wandte sich darum nach dem Garten, der eine einzige dichte Weinlaube bildete und dessen mit rankendem Grün überhängte Mauern und zerfallende Landungstreppen von Wellen bespült wurden.

Als sie durch die Torhalle am Wirte vorüberschritten, der von einem dichten Kreise von Bauern umringt war, welche ihm geleerte Krüge entgegenstreckten, schien er mit einer ängstlichen Gebärde gegen das Vorhaben des Bündners Einsprache tun zu wollen; doch in diesem Augenblicke kam ihnen vom Garten her ein nach fremdem Schnitte gekleideter Edelknabe entgegen und wendete sich mit anmutigem Gruße an den jungen Zürcher, in zierlichem Französisch folgenden Auftrag ausrichtend:

»Mein erlauchter Gebieter, Herzog Heinrich Rohan, der sich hier auf der Durchreise nach Venedig befindet, glaubte von seinem Ruheplatze im Garten aus zwei reformierte Geistliche vor der Herberge absteigen zu sehen und ersucht die Herren, wenn sie dem Gewühl auszuweichen vorzögen, sich durch seine Gegenwart nicht vom Besuche des Gartens abhalten zu lassen.«

Sichtbar erfreut von diesem glücklichen Zufalle und der ihm widerfahrenden Ehre, erwiderte Herr Waser, etwas steif, aber tadellos in demselben Idiom sich bewegend, daß er und sein Freund sich die Gunst erbäten, seiner Durchlaucht für die ihnen zu Teil gewordene Berücksichtigung persönlich zu danken.

Die Freunde folgten dem vor ihnen herschreitenden schönen Knaben in die Lauben des Gartens. Gegen Süden hatte er einen balkonähnlichen Vorsprung, durch dessen Laubwände bunte Seidengewänder schimmerten und das Gezwitscher plaudernder Frauenstimmen, durchbrochen von dem hellen Jubel eines Kindes, ertönte. Dort lehnte auf sammetnen Polstern eine schlanke blasse Dame, deren hastige Rede und bewegliches Mienenspiel die Lebhaftigkeit eines Geistes verriet, der sie nicht zu erquicklicher Ruhe kommen ließ. Vor ihr auf dem Steintische trippelte und jauchzte ein zweijähriges Mädchen, das eine niedliche Zofe an beiden Händchen emporhielt. Dazu klang die melancholische Weise eines Volksliedes, die ein italienischer Junge in schüchterner Entfernung auf seiner Mandoline spielte.

Der Herzog selbst hatte sich an das stillere nördliche Ende des Gartens zurückgezogen, wo er allein auf der niedrigen von der Flut bespülten Mauer saß, eine Landkarte auf den Knieen, mit deren Linien er die gewaltig vor ihm anfragenden Gebirgsmassen zweifelnd verglich.

Waser hatte jetzt den Ruheplatz des Herzogs erreicht und stellte sich und seinen Freund mit einer tiefen Verbeugung vor. Rohans Auge blieb sofort an der in ihrer wilden Kraft seltsam anziehenden Erscheinung des Bündners haften.

»Euer Rock ließ mich auf den evangelischen Geistlichen schließen«, sagte er, sich mit Interesse ihm zuwendend. »Ihr könnt also, obgleich wir uns auf diesem Boden treffen und trotz Eurer dunkeln Augen kein Italiener sein. Da seid Ihr wohl ein Sohn der nahen Rhätia, und so will ich Euch denn bitten, mir von den Gebirgszügen, die ich gestern, den Splügen überschreitend, durchschnitt und die ich zum Teil noch vor mir sehe, einen klaren Begriff zu geben. Meine Karte läßt mich im Stich. Setzt Euch neben mich.«

Jenatsch betrachtete begierig die vorzügliche Etappenkarte und fand sich schnell zurecht. Er entwarf dem Herzog mit wenigen scharfen Zügen ein Bild der geographischen Lage seiner Heimat und ordnete ihr Tälergewirr nach den darin entspringenden und nach drei verschiedenen Meeren sich wendenden Strömen. Dann sprach er von den zahlreichen Bergübergängen und hob, sich erwärmend, mit Vorliebe und überraschender Sachkenntnis deren militärische Bedeutung hervor.

Der Herzog war mit sichtlichem Wohlgefallen und steigendem Interesse der raschen Auseinandersetzung gefolgt, jetzt aber erhob er sein mildes, durchdringendes Auge zu dem neben ihm stehenden Bündner und ließ es nachdenklich auf ihm ruhen.

»Ich bin ein Kriegsmann und rühme mich dessen«, sagte er, »aber es gibt Augenblicke, wo ich diejenigen glücklich preise, die dem Volke predigen dürfen: ›Selig sind die Friedfertigen.‹ Heutzutage darf nicht mehr dieselbe Hand das Schwert des Apostels und das Schwert des Feldherrn führen. Wir sind im neuen Bunde, Herr Pastor, nicht mehr im alten der Helden und Propheten. Die Doppelrollen eines Samuel und Gideon sind ausgespielt. Heute warte jeder in Treue des eignen Amtes. Ich achte es für ein schweres Unglück«, hier seufzte er, »daß in meinem Frankreich die evangelischen Geistlichen durch ihren Eifer sich hinreißen ließen, die Gemüter zum Bürgerkriege zu erhitzen. Sache des Staatsmannes ist es, die bürgerlichen Rechte der evangelischen Gemeinden zu sichern, Sache des Soldaten, sie zu verteidigen. Der Geistliche hüte die Seelen, anders richtet er Unheil an.«

Der junge Bündner errötete unmutig und blieb die Antwort schuldig.

In diesem Augenblicke erschien der Page mit der ehrerbietigen Meldung, die Reisebarke des Herzogs sei zur Abfahrt bereit, und Rohan beurlaubte die Freunde mit einer gütigen Handbewegung.

 

Auf dem Heimwege erging sich Waser in Betrachtungen über die politische Rolle des Herzogs, die gerade damals seinen protestantischen Mitbürgern in heimischer Fehde einen ehrenhaften Frieden erkämpft hatte. Er meinte, freilich werde derselbe von kurzer Dauer sein, und fand Gefallen daran, die Lage Rohans und der französischen Reformierten seinem Freunde mit den dunkelsten Farben zu malen. Er schien etwas empfindlich und verdüstert, daß seine Person vor dem Herzog neben Jürg sehr zurückgetreten, ja gänzlich verschwunden war. – Seit Heinrich IV., behauptete er, setze sich die französische Politik zum Ziele, die Protestanten in Deutschland gegen Kaiser und Reich zu schützen, den Reformierten im eigenen Lande dagegen den Lebensnerv zu durchschneiden. Sie trachte, durch Wiederherstellung der staatlichen Einheit Kraft zum Vorstoße nach außen zu gewinnen. Es ergebe sich daraus das seltsame Verhältnis, daß die französischen Protestanten unterliegen müßten, damit den deutschen die diplomatische und militärische Hilfe Frankreichs, deren sie höchlich bedürften, gesichert bleibe. – So schwebe über dem Herzog trotz der Hoheit seiner Stellung und seines Charakters das traurige Verhängnis, seine Kraft in unheilbaren Konflikten aufzureiben und am Hofe von Frankreich immer mehr den Boden zu verlieren. Jetzt bringe er wohl Weib und Kind nach Venedig, um bei dem nächsten neu ausbrechenden Sturme freiere Hand zu haben.

»Du bist ja ein durchtriebener Diplomat geworden!« lachte Jenatsch. »Aber findest du es nicht in dieser Ebene entsetzlich schwül? Dort steht eine Scheuer... wie wär's, wenn wir unsere Tiere eine Weile im Schatten anbänden und du dein weises Haupt ins Heu legtest?«

Waser war einverstanden und in kurzer Frist hatten sich beide auf das duftige Lager ausgestreckt und waren entschlummert.

Als der junge Zürcher erwachte, stand Jenatsch vor ihm, mit spöttischen Blicken ihn betrachtend. »Ei, Schatz, was schneidest du denn im Schlafe für verklärte Gesichter?« sagte er. »Heraus mit der Sprache! Was hast du geträumt? Von deinem Liebchen?«

»Von meiner innig verehrten Braut, willst du sagen. Das wäre nichts Ungewöhnliches; aber ich hatte in der Tat einen wunderbaren Traum...«

»Jetzt weiß ich's... Dir träumte, du seiest Bürgermeister von Zürich!«

»So war es... merkwürdiger Weise!« sagte Waser sich sammelnd. »Ich saß in der Ratsstube und hielt Vortrag über Bündnerdinge, – über die Bedeutung der Feste Fuentes. Als ich geendet, wandte sich das nächstsitzende Ratsglied gegen mich mit den Worten: ›Ich bin ganz der Meinung seiner Gestrengen des Herrn Bürgermeisters.‹ Ich sah mich nach diesem um; aber siehe, ich saß selbst auf seinem Stuhle und trug seine Kette.«

»Auch mir hat geträumt«, sagte Jenatsch, »und recht seltsam. Du weißt, oder weißt nicht, daß in Chur ein ungarischer Astrolog und Nekromant sein Wesen treibt. Mit diesem Gelehrten hab' ich mich während der letzten langwierigen Synode nächtlicher Weile eingelassen, um zu sehen, was an der Sache sei.«

»Um Himmelswillen, Astrologia!... Und du bist ein Geistlicher!« rief Waser entsetzt. »Sie vernichtet die menschliche Freiheit und diese ist die Grundlage aller Sittlichkeit! – Ich bin ein entschiedener Bekenner der menschlichen Freiheit!«

»Das ist brav von dir«, fuhr der andere unbeirrt fort. »Beiläufig gesagt, es gelang mir nicht, aus dem Hexenmeister etwas Festes und Faßbares herauszubringen. Entweder wußte er nichts, oder er fürchtete von mir verraten zu werden. – Vorhin im Traume aber sah ich den Mann wieder vor mir und setzte ihm in zorniger Ungeduld den Dolch auf die Brust, um mein Schicksal zu erfahren. Da entschloß er sich, es mir zu zeigen, und zog mit den feierlichen Worten: ›Dieser ist dein Schicksal!‹ den Vorhang von seinem Zauberspiegel.

Anfangs sah ich nichts als eine helle Seelandschaft, dann trat eine grünbewachsene Mauer hervor und da saß, die Karte von Bünden vor sich, mild und bleich, wie wir ihn eben gesehen haben, der Herzog Heinrich Rohan.«


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