Casanova
Erinnerungen
Casanova

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Einundzwanzigstes Kapitel

Demütigung der Gräfin. – Zenobias Hochzeit im Apfelkasino. – Pharao. – Eroberung der schönen Irene. – Plan zur Maskerade.

Als ich nach Hause kam, fand ich den Grafen mit einem Bedienten des Marchese Triulzi, der mir einen Brief von seinem Herrn übergab, worin dieser mich bat, ihm das Kleid zu schicken. Ich tat dies sofort.

»Der Marchese wird mit uns speisen,« sagte der Graf, »und wird Ihnen ohne Zweifel den Betrag für dieses herrliche Schmuckstück mitbringen.«

»Sie finden also, es ist ein Schmuckstück?«

»Ja, einer Königin würdig.«

»Ich wünschte, mein lieber Graf, dieses Schmuckstück besäße die Kraft, Ihnen eine Krone zu geben; dieser Kopfschmuck wäre besser als ein gewisser anderer.«

Der arme Teufel verstand die Anspielung; und da ich ihn gern hatte, so machte ich mir Vorwürfe, ihn gekränkt zu haben; aber ich hatte ohne Überlegung dem Vergnügen nachgegeben, einen Witz zu machen. Ich beeilte mich, einen etwaigen schmerzlichen Eindruck zu verwischen, indem ich ihm sagte, ich würde der Gräfin das Geld bringen, sobald der Marchese es mir bezahlt hätte.

»Ich habe mit ihr darüber gesprochen,« antwortete der Graf, »und sie hat über Ihren Vorschlag gelacht; aber ich bin überzeugt, sie wird sich entschließen, ja zu sagen, sobald sie das Kleid in ihrem Besitz sieht.«

Es war ein Freitag. Der Marchese schickte ein ausgezeichnetes Mittagessen von lauter Fischgerichten; bald darauf kam er selbst mit dem Kleide, das in einem Korb lag. Die stolze Spanierin erhielt das Geschenk in aller Form und dankte ihm auf das lebhafteste dafür. Der Geber nahm diese Danksagungen lachend auf, wie ein Mann, der an dergleichen gewöhnt ist; schließlich aber machte er die wenig schmeichelhafte Bemerkung, wenn sie vernünftig wäre, würde sie das Kleid verkaufen; denn da jedermann wüßte, daß sie nicht reich wäre, so würde man sie allgemein tadeln, wenn sie es trüge. Der Rat wurde nicht gut aufgenommen: sie sagte ihm tausend Beleidigungen, und unter anderem auch, er müsse ein großer Narr sein, da er so töricht gewesen sei, ihr das Kleid zu schenken, obgleich er der Meinung sei, daß es nicht für sie passe.

Als sie im besten Streiten waren, ließ die Marchesa Menafoglio sich melden. Sobald sie eingetreten war, zog das Kleid, das auf einem Tische ausgebreitet lag, ihre Blicke auf sich. Sie fand es prachtvoll und rief: »Dieses Kleid würde ich gerne kaufen!«

»Ich habe es nicht gekauft, um es wieder zu verkaufen,« sagte die Gräfin ärgerlich.

»Verzeihen Sie, Frau Gräfin,« sagte die Marchesa, »ich habe geglaubt, es sei zu verkaufen, und es tut mir leid, daß ich mich getäuscht habe.«

Der Marchese, der nicht gerne heuchelte, lachte laut auf; die Gräfin begriff, daß sie sich lächerlich gemacht hatte, und hielt an sich. Die Unterhaltung wandte sich einem anderen Thema zu. Aber kaum war die Marchesa fort, so ließ die Spanierin ihrem Zorn freien Lauf, indem sie den Marchese wegen seines Lachens mit Schimpfworten und Vorwürfen überschüttete. Als der Marchese auf ihr Schimpfen nur mit feinen Bosheiten antwortete, die in die Formen ausgesuchter Höflichkeit gekleidet waren, sagte die Gräfin schließlich, sie sei müde und wolle zu Bett gehen.

Als sie fort war, übergab der Marchese nur die fünfzehntausend Lire. Er sagte mir, sie würden mir an Cananos Bank Glück bringen; Herr Canano habe mich sehr gern und habe ihn gebeten, mit mir bei ihm zu Mittag zu speisen; zum Abendessen könne er mich nicht einladen, da er genötigt sei, die Nächte auf dem Ridotto zu verbringen.

»Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, Herr Marchese, wenn Sie Canano sagen wollen, ich werde an jedem von ihm gewünschten Tage bei ihm zu Mittag essen, nur übermorgen nicht; denn da bin ich zu einer Hochzeit im Apfelkasino eingeladen.«

»Dazu wünsche ich Ihnen Glück!« riefen der Graf und der Marchese gleichzeitig; »ganz gewiß wird es dort sehr nett sein.«

»Daran zweifle ich nicht; ich bin überzeugt, ich werde mich gut unterhalten.«

»Könnten wir nicht auch dabei sein?«

»Ist das allen Ernstes Ihr Wunsch?«

»Gewiß.«

»Nun, ich verpflichte mich, Sie durch die schöne Braut in eigener Person einladen zu lassen; aber dies geschieht unter der Bedingung, daß die Gräfin sich bereit erklärt, ebenfalls zu erscheinen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft nur aus braven Leuten der allerniedrigsten Klasse besteht; ich würde auf keinen Fall dulden, daß sie gekränkt würden.«

»Ich erbiete mich, die Gräfin zu überreden,« sagte der Marchese.

»Vortrefflich; und um Ihnen Ihre Aufgabe zu erleichtern, will ich Ihnen sagen, daß es sich um die Hochzeit der schönen Zenobia handelt.«

»Bravo!« rief er, »jetzt habe ich keinen Zweifel mehr, daß die Gräfin mitkommen wird.«

Der Graf, der hinausgegangen war, kam gleich nachher mit Zenobia zurück. Der Marchese machte ihr Komplimente und redete ihr zu, die Gräfin einzuladen; als sie zu zögern schien, ergriff er ihre Hand und führte sie in das Zimmer der stolzen Spanierin.

Eine halbe Stunde darauf kamen sie wieder und sagten uns, die Gräfin sei so freundlich gewesen, die Einladung anzunehmen.

Als der Marchese fort war, sagte der Graf zu mir, wenn ich nichts Besseres zu tun hätte, könnte ich seiner Frau Gesellschaft leisten, während er einige Geschäfte besorgen würde.

»Mein Lieber,« antwortete ich ihm, »ich habe die tausend Zechinen in meiner Tasche, und wenn ich sie vernünftig finde, bin ich bereit, sie ihr dazulassen.«

»Warten Sie – ich will mit ihr sprechen.«

»Tun Sie das!«

Während der Graf bei seiner Frau war, ging ich in mein Zimmer und legte das Gold fort, das der Marchese Triulzi mir gegeben hatte; ich nahm dafür fünfzehntausend Lire in Banknoten, die ich von Greppi erhalten hatte.

Im Augenblick, wo ich meine Kassette wieder verschloß, brachte Zenobia mir meine Manschetten. Sie fragte mich, ob ich ein Stück schönen Batist kaufen wolle; als ich diese Frage bejahte, ging sie hinaus und kam gleich darauf mit einem Leuchter und dem Batist wieder herein. Da ich den Stoff schön fand, kaufte ich ihn für zehn Zechinen. Dann sagte ich: »Der Batist gehört dir, meine liebe Zenobia, wenn du bereit bist, mich auf der Stelle glücklich zu machen.«

»Ich liebe Sie,« antwortete sie mir, »aber Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie bis nach der Hochzeit warten wollten.«

»Nein, meine teure Freundin, ich habe es außerordentlich eilig. Sofort oder niemals, denn ich sterbe. Sieh, in welchem Zustande ich bin!«

»Ich sehe es wohl; aber es ist unmöglich.«

»Ei, warum denn unmöglich? Glaubst du, dein Bräutigam könne etwas merken?«

»Nein! Und selbst wenn er es merken sollte, so würde ich es sehr komisch finden, wenn er empfindlich wäre; wenn er es wagen sollte, mir Vorwürfe zu machen, würde ich ihm niemals angehören.«

»Sehr richtig, meine Liebe, denn deine Reste werden immer noch besser sein als seine ganze Person. So komm also!«

»Aber ich glaube, wir müssen doch mindestens die Tür schließen.«

»Nein; man könnte das Umdrehen des Schlüssels hören und würde Gott weiß welchen Argwohn haben. Verlaß dich darauf, es wird kein Mensch kommen.«

Unterdessen hatte ich sie an mich gezogen, und da ich sie sanft wie ein Lamm und verliebt wie eine Taube fand, so wurde von beiden Seiten ein reichliches Opfer dargebracht. In der Pause, die nach dem ersten Ansturm notwendig wurde, verschlang ich alle ihre Reize; rasend verliebt, wie ich es hundertmal gewesen war, sagte ich zu ihr, sie allein sei wert, mich zu fesseln, und sie solle ihren Schneider fortschicken, um mit mir zu leben. Zum Glück für mich glaubte sie nicht an die Ewigkeit meiner Glut.

Nach einem zweiten Sturm, der mit der ganzen Wollust zweier leidenschaftlich verliebter Herzen ausgeführt wurde, machte ich Halt; ich war erstaunt, aber auch entzückt, daß der Graf mich nicht in meinem Genuß gestört hatte. Ich glaubte, er sei ausgegangen, und sagte dies zu Zenobia, die ebenfalls dieser Meinung war und mich mit Liebkosungen überschüttete. Ich machte es mir nun bequem, und nachdem ich ihre lästigen Kleider von ihr abgestreift hatte, überließ ich mich allen Spielen, die die Liebe uns lehrt, um unsere Sinne wieder aufzuwecken. Dann ergab ich mich zum drittenmal allen Verzückungen heißer Liebe, indem ich meine Schöne alle Stellungen einnehmen ließ, die mir durch lange Erfahrung vertraut waren und von denen ich wußte, daß sie am meisten geeignet seien, die Wollust vollständig zu machen.

Eine volle Stunde lang bewiesen wir uns gegenseitig unsere Glut: Zenobia, die in der Blüte der Jahre stand und vollkommen unerfahren war, konnte ihre häufigen Niederlagen nicht verhehlen, während ich das Glück verlängerte, bevor ich zum drittenmal ans Ziel gelangte.

Im Augenblick, wo ich zum drittenmal mein Leben verlor und Zenobia zum vierzehntenmal ihre Existenz verhauchte, hörte ich die Stimme des Grafen. Ich sagte es zu Zenobia, die ihn ebenfalls gehört hatte; nachdem wir uns in aller Eile zurecht gemacht hatten, gab ich ihr die zehn Zechinen, und sie ging.

Gleich darauf trat der Graf lachend ein; er wünschte mir Glück und sagte, er habe durch eine Ritze, die er mir zeigte, alles gesehen und habe sich durchaus nicht gelangweilt.

»Das freut mich, lieber Graf; aber Sie werden verschwiegen sein!«

»Selbstverständlich. – Meiner Frau«, fuhr er fort, »wird es sehr angenehm sein, wenn Sie ihr Gesellschaft leisten – und ich«, rief er lachend, »bin ebenfalls sehr zufrieden.«

»Sie sind ja ein sehr philosophischer Ehemann; aber ich fürchte, nach dem, was Sie selber gesehen haben, werde ich bei der Gräfin ein bißchen matt sein.«

»Im Gegenteil, die süße Erinnerung an das Glück wird Sie liebenswürdig machen.«

»In Worten vielleicht – aber sonst ...«

»Sie werden sich als erfahrener Mann schon mit der Sache abfinden.«

»Mein Wagen steht zu Ihrer Verfügung, mein lieber Graf; nehmen Sie ihn nur, denn ich werde heute nicht mehr ausgehen.«

Leise trat ich bei der Gräfin ein, die ich im Bett fand; ich erkundigte mich zärtlich nach ihrer Gesundheit.

Mit einem höchst angenehmen Lachen antwortete sie mir: »Ich befinde mich ausgezeichnet; mein Mann hat mir die Gesundheit wiedergegeben.«

Während des Sprechens hatte ich mich auf ihr Bett gesetzt. Da sie anscheinend nicht verdrießlich darüber war, so hielt ich dies für ein gutes Zeichen.

»Werden Sie nicht mehr ausgehen?« fragte sie mich; »Sie sind ja im Schlafrock, und Ihr Haar ist ganz aufgelöst.«

»Ich war auf meinem Bett eingeschlafen; als ich erwachte, beschloß ich, Ihnen Gesellschaft zu leisten, wenn Sie ebenso gut und lieb sein wollen, wie Sie schön sind.«

»Wenn Sie anständig gegen mich sind, können Sie sich darauf verlassen, mich stets freundlich zu finden.«

»Und Sie werden mich lieben?«

»Das kommt auf Sie an. Sie opfern mir heute Abend den Grafen Canano.«

»Ja, sehr gern. Er hat schon viel Gold von mir gewonnen, und ich sehe voraus, er wird mir morgen fünfzehntausend Lire abnehmen, die der Marchese Triulzi mir für das Kleid gegeben hat, das Sie nicht von mir annehmen wollten.«

»Es wäre recht schade, wenn Sie diese hübsche Summe verloren.«

»Da haben Sie recht. Es kommt aber gewiß nicht dazu, wenn Sie gefällig sind; denn ich habe das Geld für Sie bestimmt. Erlauben Sie mir, Ihre Tür zu schließen!«

»Warum?«

»Weil ich vor Frost und Begierde halbtot bin, meine schöne Gräfin, und weil ich mich unter Ihrer Decke wärmen möchte.«

»Das werde ich niemals dulden.«

»Ich will Ihnen durchaus nicht Gewalt antun. Leben Sie wohl, meine Gnädige; ich werde mich vor meinem Feuer wärmen, und morgen werde ich Cananos Bank den Krieg erklären.«

»Sie sind wirklich ein schlechter Mensch! Bleiben Sie, Ihre Unterhaltung ist mir angenehm.«

Ohne noch länger zu reden, schloß ich die Tür, und da ich sah, daß sie mir den Rücken zugedreht hatte, entledigte ich mich schnell meiner Kleider; im Nu lag ich neben ihr. Sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und ließ mich alles machen, was ich wollte; aber Zenobia hatte mich erschöpft. Mit gesenkten Augen ließ sie sich in alle Stellungen bringen, die der Kodex der Wollust nur kennt, während ihre beiden Hände, die sie mir überlassen hatte, mich nach allen Richtungen hin magnetisierten. Aber es geschah nichts; ich war völlig gelähmt, und der Besitz aller ihrer Reize war nicht imstande, das Werkzeug, ohne welches die Operation unmöglich war, in Tätigkeit zu setzen.

Ohne Zweifel fühlte die boshafte Spanierin aufs tiefste den Schimpf, den meine Schwäche ihren Schönheiten antat; ohne Zweifel täuschte ich in grausamster Weise die Begierden, die meine Berührungen vielleicht gegen ihren Willen in ihr erweckten; denn mehr als einmal fühlte ich meine Finger von einem Saft überströmt, der deutlich bezeugte, daß sie nicht gleichgültig war; aber sie besaß die Kraft, sich zu verstellen, indem sie tat, wie wenn sie schliefe. Es ärgerte mich, daß sie in solchem Grade Gefühllosigkeit heucheln konnte, und ich machte mich über ihren Kopf her; aber ihre Lippen, die sie mir zum Gebrauch überließ und die ich über alle Maßen mißbrauchte, übten nicht mehr Wirkung als die anderen Teile ihres Körpers. Aus Verdruß, daß ich das Wunder der Auferstehung nicht an mir bewirken konnte, entschloß ich mich, einen Versuch aufzugeben, wobei ich eine so klägliche Rolle spielte; aber es war mir nicht möglich, großmütig zu sein, und um meine eigene Schande zu mildern, beschimpfte ich noch zuletzt die Gräfin mit den Worten, die ich mir später glücklicherweise oft selber vorgeworfen habe: »Es ist nicht meine Schuld, Madame, wenn Ihre Reize so wenig Macht über meine Sinne haben. Hier sind fünfzehntausend Franken, um Sie zu trösten.«

Nach dieser schönen Rede entfernte ich mich.

Meine Leser müssen mich verabscheuen, besonders meine Leserinnen, wenn ich deren jemals haben sollte; ich fühle dies und ich gebe ihnen recht, denn ich begreife sie; aber mögen sie die Güte haben, mit ihrem Haß noch etwas zu warten. Sie werden später sehen, daß der Instinkt mir auf eine fast prophetische Weise gedient hatte.

Am anderen Morgen kam der Graf schon in aller Frühe mit sehr zufriedenem Gesicht auf mein Zimmer.

»Meine Frau«, sagte er, »befindet sich sehr wohl und hat mich beauftragt, Ihnen guten Morgen zu sagen.«

Ich hatte so etwas durchaus nicht erwartet und war daher einigermaßen erstaunt.

»Ich bin entzückt,« fuhr er fort, »daß die fünfzehntausend Lire, die Sie ihr gegeben haben, nicht dieselben sind, die Sie vom Marchese empfingen. Ich hoffe, wie Triulzi selber, daß sein Geld Ihnen heute Nacht Glück bringen wird.

»Ich werde nicht in die Oper gehen,« antwortete ich ihm, »sondern auf den Ball; ich werde alles aufbieten, um von niemandem erkannt zu werden.«

Ich bat ihn demgemäß, mir einen ganz neuen Domino zu kaufen und auf dem Ball nicht in meine Nähe zu kommen, denn ich hoffte, nur von ihm allein erkannt zu werden. Als er fort war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch; ich hatte eine Menge unerledigter Briefe.

Gegen Mittag brachte der Graf mir meinen Domino; nachdem ich diesen sorgfältig eingeschlossen hatte, speisten wir mit der Gräfin, deren Miene und Ton mich in Erstaunen setzten. Ein heiteres Wesen, ein sanftes, höfliches und liebenswürdiges Benehmen, das vollkommen natürlich erschien, ließen sie mir so schön vorkommen, daß ich Gewissensbisse empfand, sie so beleidigend behandelt zu haben. Es erschien mir unbegreiflich, daß sie am Tage zuvor so gefühllos gewesen war, und ich fragte mich, ob die von mir selber bemerkten Anzeichen vom Gegenteil nicht etwa körperlichen Ursachen zuzuschreiben seien, die oft ohne Vorwissen wirken, besonders während des Schlafes. Sollte sie wirklich geschlafen haben, während ich sie so schmählich beschimpfte? Der Gedanke, daß dies so sein könnte, bereitete mir ein gewisses Vergnügen. Nachdem ihr Gatte uns allein gelassen hatte, sagte ich in zärtlichem und reuigem Ton zu ihr: »Ich erkenne an, daß ich ein Ungeheuer bin. Sie müssen mich verabscheuen!«

»Sie ein Ungeheuer!« antwortete sie; »ich fühle mich aufs tiefste verpflichtet, und ich wüßte nicht, inwiefern Sie es an Rücksicht hätten fehlen lassen; Sie brauchen sich daher keine Vorwürfe zu machen.«

Zärtlich und verwirrt bat ich sie um ihre Hand; aber im Augenblick, wo ich diese an meine Lippen führte, zog sie sie sanft zurück und gab mir einen Kuß. Die Reue trieb mir das Blut ins Gesicht.

Nachdem ich wieder auf mein Zimmer gegangen war und meine Briefe versiegelt hatte, maskierte ich mich und ging auf den Ball. Ich trug nichts an mir, woran man mich hätte erkennen können. Ich hatte Uhren und Tabaksdosen eingesteckt, die bisher niemand bei mir gesehen hatte; ich wechselte sogar die Börsen, damit diese mich nicht verraten möchten.

Nachdem ich mich so verkleidet hatte, um die Neugierigen auf eine falsche Fährte zu bringen, setzte ich mich an Cananos Tisch und begann auf eine ganz andere Weise zu setzen als an den vorhergehenden Tagen. Ich hatte in einer Börse hundert spanische Quadrupeln, soviel wie siebenhundert venetianische Zechinen. Es war das Gold, was ich von Greppi erhalten hatte; denn des von Triulzi empfangenen wollte ich mich nicht bedienen, damit der Marchese mich nicht erkennen könnte.

Ich leerte meine Börse mit den Quadrupeln vor mir aus und hatte nach weniger als einer Stunde nicht eine einzige mehr vor mir. Ich stand auf, und alle Zuschauer traten zur Seite in dem Glauben, daß ich wie ein geschlagenes Heer den Rückzug antreten würde. Ich aber zog meine zweite Börse, schüttete sie vor mir aus und setzte, ohne wieder Platz zu nehmen, hundert Zechinen auf eine Karte. Ich fand sie günstig mit »Paroli« und dem »Sept-et-la-va.« Der Bankier gab mir mit freundlichem Gesicht meine hundert Quadrupeln zurück. Voller Hoffnung setzte ich mich wieder neben den Grafen Canano und begann von neuem zu spielen. Canano sah mich prüfend an. Ich hatte die Dose bei mir, die ich vom Kurfürsten von Cöln erhalten hatte und die auf dem Deckel das Bildnis des Fürsten trug. Als ich eine Prise nahm, machte der Bankier mir ein Zeichen, daß er auch eine wünschte. Ich gab ihm die Dose, die von mehreren Neugierigen angesehen wurde. Eine Frauenstimme, die ich nicht kannte, sagte, es sei das Porträt des Kurfürsten von Cöln in der Tracht des Großmeisters des Deutschen Ritterordens. Man gab mir das Kleinod zurück, und ich bemerkte, daß diese Dose mir Achtung verschaffte. Es gehört ja so wenig dazu, der Menge zu imponieren! Ich begann nun auf eine andere Art zu spielen: ich setzte fünfzig Zechinen auf eine Karte und spielte Paroli und Paix de Paroli. Mit Tagesanbruch hatte ich die Bank gesprengt. Canano sagte mir sehr höflich: wenn ich mir die Mühe sparen wolle, das ganze Gold mitzuschleppen, werde er es wiegen lassen und mir eine Anweisung für seinen Kassierer geben. Man brachte eine Wage, und es stellte sich heraus, daß ich vierunddreißig Pfund Gold gewonnen hatte – zweitausendachthundertsechsundfünfzig Zechinen. Canano schrieb mir eine Anweisung, ich entfernte mich mit langsamen Schritten und trat in den Ballsaal.

Barbaro besaß die allen Venetianern eigentümliche Gabe, Menschen zu erkennen. Er hatte mich erkannt, redete mich an und wünschte mir Glück; als er jedoch sah, daß ich ihm nicht antwortete, erriet er, daß ich nicht erkannt sein wolle, und entfernte sich.

Eine Frau, die als Griechin verkleidet war, sagte mir mit Falsettstimme, sie wünsche einen Kontertanz mit mir zu tanzen; sie trug eine orientalische Mütze, die mit herrlichen Brillanten bedeckt war, und einen Gürtel, der reich mit ebensolchen Edelsteinen so besetzt war, daß er einen Busen hervorhob, der einer Zirkassierin würdig war. Ich gab ihr durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß ihr Wunsch mir angenehm sei. Als sie hierauf einen Handschuh auszog, sah ich eine alabasterweiße, weiche Hand, die mit einem herrlichen Solitär geschmückt war. Es war allem Anschein nach keine gewöhnliche Begegnung. Ich war sehr neugierig, suchte aber vergeblich zu erraten, wer die Dame sein könnte. Sie tanzte ausgezeichnet, aber wie eine Dame der großen Welt, und ich gab mir große Mühe, es ihr gleich zu tun. Ich war daher ganz in Schweiß gebadet, als der Kontertanz aufhörte.

»Ihnen ist warm, schöner Tänzer!« sagte meine Partnerin, ihre süße Stimme verstellend; »Sie können sich in meiner Loge ausruhen.«

Mir hüpfte das Herz vor Freude, und ich folgte ihr mit Vergnügen; als ich jedoch Greppi in der Loge fand, in die sie mich führte, zweifelte ich nicht, daß die zauberische Schönheit meine Teresa war. Dies ernüchterte mich ein wenig.

Es war wirklich Teresa; sie demaskierte sich und wünschte mir Glück zu meinem Siege.

»Aber, meine Liebe, wie haben Sie mich denn erkannt?«

»An Ihrer Tabaksdose. Diese ist so indiskret gewesen, Sie meinen Augen zu enthüllen; denn sonst hätte ich niemals daran gedacht, Sie in dieser Verkleidung zu suchen.«

»Sie glauben also, daß niemand erraten hat, wer ich bin?«

»Niemand; es müßte denn die Dose auch anderen bekannt sein.«

»Hier in Mailand hat kein Mensch die Dose gesehen.« Ich benutzte die Gelegenheit, Herrn Greppi die Cananosche Anweisung zu geben; ich erhielt eine Quittung dafür. Teresa lud uns für den nächsten Tag zum Abendessen ein, indem sie zu mir sagte: »Wir werden zu vieren sein.« Greppi war neugierig und wollte wissen, wer dieser vierte sei; ich aber erriet, daß es mein lieber Sohn Cesarino war, und ich täuschte mich nicht.

Nachdem ich wieder in den Ballsaal hinuntergegangen war, griffen zwei hübsche Damen in Dominos mich von rechts und links an, indem sie mir sagten, Messer-grande erwarte mich vor der Tür.

Als sie mich hierauf um Tabak baten, reichte ich ihnen eine Dose, worin sich ein unanständiges Bild befand. Ich besaß die Unverschämtheit, auf die Feder zu drücken und es ihnen zu zeigen. Sie sahen es sich an und sagten dann: »Pfui! Zur Strafe für Ihre Ungezogenheit sollen Sie niemals erfahren, wer wir sind!«

Es tat mir leid, diesen schönen Masken mißfallen zu haben, denn sie schienen mir der Mühe wert zu sein, ihre Bekanntschaft zu machen; ich folgte ihnen, und als ich Barbaro sah, der alle Welt kannte, zeigte ich sie ihm und erfuhr mit großem Vergnügen, daß es die beiden schönen Marchesinnen Q. und F. waren. Ich versprach Barbaro, sie am nächsten Tage zu besuchen. Er sagte mir, der ganze Ball kenne mich jetzt; unsere Bank gehe hoch, doch werde wohl eine solche Kleinigkeit mir nicht der Mühe wert erscheinen.

Gegen Ende des Balles, als es bereits heller Tag war, wurde ein venetianischer Barkarole von einer weiblichen Maske, die sehr hübsch mit Baute und schwarzem Mantel auf echt venetianische Art gekleidet war, angesprochen. Sie forderte den Barkarole heraus, sie zu überzeugen, daß er Venetianer sei, indem er die Furlana mit ihr tanze. Der Barkarole nahm an; man befahl der Musik, den Tanz zu spielen, aber die Maske, offenbar ein Mailänder, wurde ausgepfiffen, während die Hübsche mit der Laute zum Entzücken tanzte. Da dieser Tanz zu meinen Leidenschaften gehörte, lud ich die Unbekannte ein, ihn mit mir zu wiederholen. Sie war bereit; man bildete einen Kreis um uns, und da alle Welt Beifall klatschte, tanzten wir ihn noch einmal. Dies wäre genug gewesen; aber ein bildhübsches junges Mädchen, das als Schäferin gekleidet war und keine Maske trug, forderte mich auf, noch ein drittesmal mit ihr zu tanzen. Ich hatte nicht den Mut, ihr diese Bitte abzuschlagen, und sie tanzte wundervoll. Dreimal tanzte sie den Kreis doppelt herum und schien dabei zu schweben. Sie machte mich ganz atemlos. Zum Schluß flüsterte sie mir meinen Namen ins Ohr. Überrascht, aber bezaubert fragte ich sie nach dem ihrigen. Sie antwortete mir venetianisch, ich würde ihn erfahren, wenn ich sie in den »Drei Königen« aufsuchen wollte.

»Sind Sie allein?«

»Ich lebe mit meinen Eltern zusammen, und diese sind alte Freunde von Ihnen.«

»Sie werden mich Montag sehen.«

Wieviele Abenteuer in einer einzigen Nacht! Todmüde ging ich nach Hause; aber man ließ mich nur ein paar Stunden schlafen. Ich wurde geweckt und mit Gewalt gezwungen, mich anzuziehen. Die Gräfin, der Marchese, der Graf, die alle schon für Zenobias Hochzeit fertig waren, hetzten mich, indem sie sagten, es sei unhöflich, ein junges Ehepaar warten zu lassen. Alle drei machten mir die größten Komplimente über die Tapferkeit, womit ich das Glück gebändigt hätte. Ich sagte dem Marchese, sein Geld habe mir Glück gebracht, aber er antwortete mir, er wisse wohl, in wessen Hände das Geld gekommen sei.

Diese Indiskretion des Grafen oder seiner Frau überraschte mich; denn sie schien mir allen Regeln zu widersprechen, die für derartige Intrigen gelten.

»Canano«, fuhr der Marchese fort, »hat Sie an der Art erkannt, wie Sie Ihre Tabaksdose öffnen. Er erwartet uns zum Mittagessen. Er wünscht, daß Sie ihm hundert Pfund Gold abgewinnen, denn er hat eine Schwäche für Sie.«

»Canano«, antwortete ich ihm, »ist ein feiner Beobachter und ein vornehmer Spieler. Ich wünsche durchaus nicht, ihm sein Geld abzugewinnen.«

Wir gingen ins »Apfelkasino«; dort fanden wir etwa zwanzig brave Leute, die schon auf uns warteten, und das junge Paar, das sich an Komplimenten gar nicht genug tun konnte. Es kostete uns keine Mühe, die Gesellschaft in eine behagliche Stimmung zu bringen; im ersten Anfang hatte unser Erscheinen sie etwas aus der Fassung gebracht; aber ein bißchen Vertraulichkeit gab ihnen bald ihre Ungezwungenheit wieder. Wir gingen zu Tisch. Unter den Gästen waren fünf hübsche Mädchen; aber ich war zu sehr von Zenobia eingenommen, um an andere zu denken. Das Festmahl dauerte drei Stunden; es war so reichlich und die fremden Weine waren so ausgezeichnet, daß ich mir leicht denken konnte, meine fünfundzwanzig Zechinen würden wohl nicht gereicht haben. Es wurde sehr lustig, denn nachdem einige volle Gläser geleert waren, brachte ein jeder Gesundheiten aus; und da ein jeder seinen Nachbarn überbieten wollte, so wurde der größte Blödsinn mit Begeisterung vorgebracht. Hierauf hielt ein jeder sich für verpflichtet, uns etwas vorzusingen, und nicht alle waren Künstler. Wir lachten herzlich, aber auch wir erregten Heiterkeit durch unsere Improvisationen und Gesänge, in denen es uns gelang, Plumpheiten vorzubringen, die den derben Späßen der guten Leute nichts nachgaben.

Als wir vom Tische aufstanden, gab es eine allgemeine Umarmung. Die Gräfin konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen, als sie ihre Wange den Lippen des Schneiders darbieten mußte, dem das Lachen der Gräfin als eine ganz besondere Huld erschien. Eine gute Musik ließ sich hören, und der Tanz begann. Nach den Regeln der Etikette wurde der Ball durch ein Menuett der schönen Neuvermählten mit dem jungen Ehemann eröffnet. Zenobia tanzte, wenn auch nicht gut, so doch wenigstens anmutig und nach dem Takt; der Schneider dagegen, der immer nur mit gekreuzten Beinen auf seinem Tisch gesessen war, tanzte auf eine so lächerliche Art, daß der Gräfin vor Lachen beinahe unwohl geworden wäre. Trotzdem mußte die stolze Spanierin mit dem Pavian tanzen, als ich mich nach dem Menuett Zenobias bemächtigte.

Als das Menuett zu Ende war, begannen die Kontertänze. Diese dauerten bis zum Schluß des Balles, und zwischendurch wurden eine Menge Getränke und Erfrischungen aufgetragen. Die »Konfetti«, bunte Zuckerkügelchen, die man in Mailand noch besser als in Verdun macht, waren in verschwenderischem Überfluß vorhanden.

Als wir fortgehen wollten, machte ich dem Ehemann meine Komplimente und erbot mich, seine Frau in meinem Wagen nach Hause zu bringen; er fand dies sehr ehrenvoll. Ich reichte also Zenobia meine Hand, um sie an den Wagen zu geleiten. Nachdem ich dem Kutscher befohlen hatte, im Schritt zu fahren, setzte ich die Neuvermählte wie ein Löschhorn auf mich und behielt sie in dieser Stellung bis an die Tür des Hauses.

Zenobia stieg zuerst aus, und ich folgte ihr. Da ich jedoch bemerkte, daß meine Hosen von grauem Samt verdorben waren, so bat ich Zenobia, sie möchte ins Haus gehen, ich würde in einem Augenblick wieder bei ihr sein. In zwei Minuten hatte ich eine schwarze Atlashose angezogen; ich war wieder bei der Schönen, bevor ihr Mann angekommen war. Sie fragte mich, warum ich mich entfernt hätte, und als ich ihr sagte, die allzu sichtbaren Spuren unserer Liebestaten hätten einen schnellen Kleiderwechsel notwendig gemacht, dankte sie mir und küßte mich. Bald darauf kam der Mann mit seiner Schwester. Er dankte mir, indem er mich Gevatter nannte; und als er die so plötzlich eingetretene Veränderung meines Anzuges bemerkte, fragte er mich, wie ich diese Umwandlung so schnell habe vollziehen können.

»Indem ich nach Hause gefahren bin und ihre liebe Frau allein habe in ihre Wohnung gehen lassen; ich bitte Sie dieserhalb um Verzeihung.«

»Hast du denn nicht bemerkt,« sagte Zenobia schnell, »daß der Herr eine Tasse Kaffee über seine schönen Hosen ausgegossen hatte?«

Der schlaue Schneider antwortete: »O, meine liebe Frau, ich bemerke nicht alles; das ist auch gar nicht notwendig. Aber du hättest den gnädigen Herrn nach seiner Wohnung begleiten sollen.«

Über seinen eigenen Witz lachend, fuhr er dann fort: »Sind Sie mit der Hochzeit zufrieden gewesen?«

»Sehr zufrieden, wie auch meine Freunde. Aber ich muß Ihnen noch Geld geben, lieber Gevatter, denn Sie haben mehr als fünfundzwanzig Zechinen ausgegeben. Sagen Sie mir, wieviel es macht.«

»Nicht viel, eine Kleinigkeit. Ich werde Ihnen die Rechnung durch Zenobia schicken.«

Es ärgerte mich, nicht daran gedacht zu haben, daß der Bursche den Hosenwechsel bemerken und daß er sich den Grund desselben denken würde. Indessen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß der Schneider ein kluger Mann war und daß er allem Anschein nach sich in sein Schicksal gefunden hatte. Weniger ehrgeizig als Cäsar wußte er sich damit zu begnügen, bei einer schönen Frau der zweite zu sein. Ich fuhr nach Hause. Nachdem ich dem Grafen, dem Marchese und der Gräfin, die mir für das gehabte Vergnügen dankten, gute Nacht gesagt hatte, ging ich zu Bett.

Als ich aufwachte, erinnerte ich mich der Schäferin, die auf dem Opernball die Furlana so gut getanzt hatte. Ich beschloß, ihr einen Besuch zu machen. Ihre Schönheit hatte meine Teilnahme erregt; außerdem aber war ich neugierig, was das für ein Vater und eine Mutter wären, welche alte Bekannte von mir sein sollten. Ich machte meine Morgentoilette und ging zu Fuß nach den Drei Königen. Ohne einen Menschen zu fragen, ging ich in das Zimmer mit der Nummer, die das junge Mädchen mir genannt hatte. Ich stand starr vor Erstaunen, als ich mich jener Gräfin Rinaldi gegenüber befand, mit der vor sechzehn Jahren Zavoiski mich in der Locanda von Castelletto bekannt gemacht hatte. Der Leser wird sich erinnern, auf welche Weise Herr von Bragadino ihrem Gatten die Summe bezahlt hatte, die er mir im Spiel abgewonnen hatte.

Frau Rinaldi war älter geworden; sie war aber noch ganz gut zu erkennen. Da ich für sie nur eine flüchtige Laune empfunden hatte, so überließ ich mich keinen Erinnerungen, die uns beiden keine Ehre machten, sondern sagte nur: »Ich bin entzückt, Sie wiederzusehen, gnädige Frau; leben Sie noch mit Ihrem Gatten zusammen?«

»Sie werden ihn in einer halben Stunde sehen, mein Herr; er wird die Ehre haben, Ihnen seine Achtung zu bezeigen.«

»Daraus mache ich mir nicht das Geringste, gnädige Frau; wir haben alte Händel miteinander, an die ich mich durchaus nicht erinnern möchte; also leben Sie wohl, meine Gnädige.«

»Nein, nein! Ich bitte Sie, setzen Sie sich.«

»Sie werden mir gütigst erlauben, dies nicht zu tun.«

»Irene, suche den Herrn zurückzuhalten.«

Auf diesen Befehl hin klammerte die reizende Irene sich an den Türgriff an, nicht mit der Miene eines knurrenden Kettenhundes, sondern wie ein Engel, der mit jenem innigen, furchtsamen und hoffnungsvollen Blick bittet, dessen Allmacht zärtliche Seelen so gut kennen. Ich fühlte mich in Fesseln geschlagen und sagte zu ihr: »Lassen Sie mich gehen, schöne Irene! Wir können uns anderswo wiedersehen.«

»Oh! ich bitte Sie, warten Sie, bis mein Vater kommt! Schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab!«

Diese Worte waren von einem so zärtlichen Blick begleitet, daß meine Lippen sich auf die ihrigen pressen mußten. Irene hatte gesiegt. Was kann man einem jungen Mädchen abschlagen, das zu bitten versteht und dessen süßen Atem man in der sympathischen Berührung des Kusses einsaugt! Ich nahm einen Stuhl, und die junge Irene, ganz stolz auf ihren Sieg, setzte sich auf meinen Schoß und überschüttete mich mit Liebkosungen.

Ich fragte die Gräfin, wann und wo Irene geboren sei.

»In Mantua,« antwortete sie, »drei Monate nach meiner Abreise von Venedig.«

»Und wann reisten Sie von Venedig ab?«

»Sechs Monate, nachdem ich Ihre Bekanntschaft gemacht hatte.«

»Das ist ein eigentümliches Zusammentreffen, meine Gnädige; wenn ich ein zärtliches Verhältnis mit Ihnen gehabt hätte, so könnten Sie mir sagen, Irene sei meine Tochter; ich möchte dies glauben, denn die Leidenschaft, die sie mir einflößt, klingt wie die Stimme des Blutes.«

»Ihr Gedächtnis ist nicht sehr treu, mein Herr; das wundert mich.«

»Oh! gewisse Sachen vergesse ich niemals; dafür kann ich Ihnen bürgen. Aber ich errate Ihre Absicht: Sie wollen, daß ich die Gefühle niederhalte, die Ihre Tochter mir einflößt; ich bin damit einverstanden, aber es wird Ihr Schade sein.«

Irene war bei diesem kurzen Gespräch verstummt; gleich darauf aber faßte sie neuen Mut und sagte mir, sie sehe mir ähnlich.

»Dabei würden Sie schlecht wegkommen, Irene; wenn Sie mir ähnlich sähen, wären Sie weniger hübsch.«

»Das glaube ich nicht; denn ich für meinen Teil finde Sie sehr schön.«

»Das ist schmeichelhaft für mich.«

»Bleiben Sie bei uns zum Essen!«

»Nein, wenn ich bliebe, könnte ich in Sie verliebt werden, und dies würde mich unglücklich machen, wenn ich, wie Ihre Mutter behauptet, Ihr Vater wäre.«

»Ich habe nur gespaßt,« sagte die Gräfin; »Sie können Irene mit ruhigem Gewissen lieben.«

»Das ist was anderes.«

Irene ging hinaus, und ich sagte zu der Mutter: »Ihre Tochter gefällt mir; aber ich will nicht lange schmachten und auch nicht angeführt werden.«

»Sprechen Sie mit meinem Mann darüber. Wir sind in Not, und man erwartet uns in Cremona.«

»Aber Ihre Tochter hat doch gewiß einen Liebhaber?«

»Nein.«

»Aber sie hat doch einen gehabt?«

»Das waren immer nur Tändeleien.«

»Das ist unglaublich.«

»Aber vollkommen wahr. Irene ist unberührt.«

In diesem Augenblick trat Irene mit ihrem Vater ein. Der Graf war so alt geworden, daß ich ihn sonst gewiß nicht erkannt hätte. Er umarmte mich und bat mich, das Vergangene zu vergessen und nicht darüber zu sprechen.

»Nur Sie«, fuhr er fort, »können mich aus der Verlegenheit retten, indem Sie mir die Mittel verschaffen, nach Cremona zu reisen. Ich habe alles versetzt, habe Schulden und schwebe in Gefahr, ins Schuldgefängnis geworfen zu werden. Kein Mensch kommt zu mir; die einzigen Besucher sind bettelhafte Lumpen, die meiner Tochter nachstellen. Das liebe Kind ist das einzige Gut, das ich noch habe. Diese Uhr von Pinsbeck wollte ich verkaufen; darum war ich ausgegangen. Ich habe die Hälfte ihres Wertes verlangt – sechs Zechinen; man hat mir nur zwei geboten. Wenn ein Mensch einmal im Unglück ist, verschwört alles sich, um ihn zu Boden zu drücken.«

Ich gab ihm sechs Zechinen, nahm dafür die Uhr und schenkte diese Irenen. Sie sagte mir lachend: »Ich kann Ihnen nicht dafür danken, denn Sie geben mir nur mein Eigentum wieder; aber ich danke Ihnen für das Geschenk, das Sie meinem Vater gemacht haben. Hier!« fuhr sie, ernst werdend, fort, indem sie sich an ihren Vater wandte: »Sie können sie noch einmal verkaufen.«

Über diese Wendung mußte ich herzlich lachen. Ich umarmte und küßte Irene, gab hierauf dem Grafen noch zehn Zechinen und sagte ihm, ich hätte eilige Geschäfte und würde ihn in drei oder vier Tagen wiedersehen.

Irene begleitete mich die Treppe hinunter, und nachdem sie mir erlaubt hatte, mich zu vergewissern, daß sie noch im Besitze ihrer Rose war, schenkte ich ihr noch zehn Zechinen und sagte ihr, ich würde ihr hundert geben, wenn sie das erstemal allein mit mir auf den Ball ginge. Sie antwortete mir, sie würde es ihrem Vater sagen.

Ich war gewiß, daß der arme Teufel schon vor dem ersten Ball Irene zu meiner Verfügung stellen würde, und da ich nicht wußte, wohin ich sie führen sollte, um ohne Zwang mit ihr beisammen zu sein, so blieb ich vor einem Anhängeschild stehen, das neben dem Laden eines Pastetenbäckers hing. Dort war eine Wohnung zu vermieten. Die Straße war einsam und ganz für eine geheimnisvolle Liebe geschaffen. Dies gefiel mir. Ich wandte mich an den Pastetenbäcker; er sagte mir, das Haus gehöre ihm, und seine sehr hübsche Frau, die ein Püppchen an der Brust hatte, sagte mir, sie würde die Ehre haben, mit mir hinauf zu gehen, um mir die Zimmer zu zeigen. Wir gingen nach dem dritten Stock; aber das waren lauter armselige Löcher, die mir nicht passen konnten.

»Der erste Stock«, sagt die Frau zu mir, »besteht aus vier untereinander zusammenhängenden Zimmern, aber wir können diese nur zusammen vermieten.«

»Zeigen Sie sie mal! – Gut, meine Liebe; das ist gerade, was ich suche. Und der Preis?«

»Den können Sie mit meinem Mann abmachen.«

»Und mit Ihnen kann man nichts abmachen?« Mit diesen Worten gab ich ihr einen Kuß, den sie auf das liebenswürdigste hinnahm; aber sie roch nach Milch; dies war mir immer ekelhaft, und ich ging daher trotz der blühenden Schönheit meiner neuen Wirtin nicht weiter. Nachdem ich mit dem Hauswirt die Bedingungen vereinbart hatte, bezahlte ich ihm gegen Quittung einen Monat im voraus. Wir vereinbarten, daß ich völlig ungestört ein- und ausgehen könnte und daß er mir nach meinem Wunsch Essen liefern sollte, übrigens gab ich ihm irgendeinen gewöhnlichen Namen an, so daß er nicht einmal wußte, mit wem er zu tun hatte; aber daraus schien er sich auch sehr wenig zu machen.

Da ich mit Barbaro verabredet hatte, die schönen Marchesinnen zu besuchen, so machte ich eine glänzende Toilette. Ich speiste hierauf recht mäßig mit der Gräfin zusammen, die sich gut und liebenswürdig zeigte, mir aber trotzdem nicht ganz gefiel. Dann suchte ich meinen Landsmann auf, und wir begaben uns zusammen zu den beiden jungen Damen.

Ich sagte zu ihnen: »Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen das geheime Bild meiner Tabaksdose gezeigt habe.«

Sie erröteten und schalten Barbaro aus, denn sie konnten sich wohl denken, daß er sie verraten hatte. Ich fand die beiden Basen, abgesehen von jedem Vorurteil, weit schöner als Irene, die mich in diesem Augenblick beschäftigte; nur erschreckte mich ihr vornehmer Ton, die ehrfurchtsvolle Achtung, die sie zu fordern schienen. Ich hatte keine Lust, lange zu schmachten. Irenes Lage dagegen war für mich sehr bequem; ich konnte sie in meinen Besitz bringen und dadurch zugleich ihren Eltern einen sehr bedeutenden Dienst erweisen; hier dagegen hatte ich zwei sehr vornehme Fräuleins vor mir, die den üblichen Adelsstolz besaßen – ein Stolz, der sie unter die niedrigsten Klassen erniedrigt, aber auf die Dummen, deren es überall so viele gibt, stets großen Eindruck macht. Außerdem war ich nicht mehr in jenem glänzenden Alter, wo man niemals an sich selber zweifelt, und ich fürchtete, mein Äußeres hätte nicht die Macht, sie zu besiegen. Barbaro hatte mir allerdings Hoffnung gemacht, daß ich vielleicht mit dem großen Mittel der Geschenke zum Ziel kommen könnte; wenn ich jedoch an die Worte des Marchese Triulzi dachte, so fürchtete ich, die Bemerkung meines Landsmannes sei weiter nichts als eine Vermutung gewesen.

Als die Gesellschaft zahlreich geworden war, wurde der Vorschlag gemacht, zu spielen. Ich machte kleine Einsätze wie Fräulein von Q., an deren Seite ich saß. Ihre Tante, die Dame des Hauses, hatte mich einem sehr hübschen jungen Herrn in österreichischer Offiziersuniform vorgestellt; dieser setzte sich an meine andere Seite.

Mein lieber Landsmann hielt die Karten wie ein richtiger Spitzbube; das gefiel mir nicht. Nachdem das Spiel vier Stunden gedauert hatte, sah meine schöne Nachbarin sich zum Schlusse im Besitze einiger gewonnener Zechinen; mein Nachbar dagegen, der all sein bares Geld verloren und hierauf auf Wort gespielt hatte, war etwa zehn Louis schuldig. Die Bank hatte einschließlich der Schuld des jungen Offiziers fünfzig Zechinen gewonnen. Als wir uns entfernten, erwies der junge Herr, der einen weiten Weg nach Hause hatte, mir die Ehre, in meinen Wagen zu steigen.

Unterwegs sagte Barbaro uns, er wolle uns mit einer kürzlich angekommenen jungen Venetianerin bekannt machen. Der junge Offizier fing Feuer und drang in ihn, er solle uns sofort hinführen. Er tat dies. Sie war eine ziemlich gut gewachsene junge Person, interessierte aber weder mich noch den hübschen Offizier. Während Kaffee für uns gemacht wurde und Barbaro die Schöne unterhielt, nahm ich ein Spiel Karten und zog zwanzig Zechinen aus meiner Börse. Es kostete mir keine große Mühe, um den jungen Offizier zu überreden, eine gleiche Summe auf Wort einzusetzen. Während er spielte, sprach ich von der Leidenschaft, die die junge Marchesina mir eingeflößt habe. Er sagte mir, sie sei seine Schwester. Ich wußte dies, stellte mich aber, wie wenn ich überrascht wäre, und fuhr in meinen Lobpreisungen fort. Als er ganz mit seinem Spiel beschäftigt war, sagte ich ihm, ich sei in Verlegenheit, wie ich der Marchesina meine Liebe ausdrücken solle, und wisse keinen anderen, als ihn, um mich zu empfehlen. Er lachte über meine Dringlichkeit und gab mir nur eine ausweichende Antwort, da er wohl glaubte, daß ich nur scherzte. Als er jedoch bald bemerkte, daß ich, von meiner Leidenschaft sprechend, nicht an mein Spiel dachte, versprach er mir, er wolle mir behilflich sein, und es dauerte nicht lange, so hatte er nur die zwanzig Zechinen abgewonnen; er bezahlte sie sofort an Barbaro. Im Übermaß seiner Freude umarmte er mich so herzlich, wie wenn ich ihm das Geld geschenkt hätte. Er sagte mir, er werde nach besten Kräften für meine Interessen eintreten, und als wir uns trennten, versprach er mir freiwillig, er wolle mir bei unserem nächsten Zusammentreffen günstigen Bescheid geben.

Ich sollte mit Greppi und meinem Sohn bei Teresa zu Abend speisen; da ich aber noch einen Augenblick Zeit hatte, so ging ich in die Oper. Es wurde bereits der dritte Akt gegeben, und ich ging daher in den Spielsaal. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und verlor in einer einzigen Taille zweihundert Zechinen. Ich hörte auf und lief in fast fluchtähnlicher Eile aus dem Saal. Canano schüttelte mir die Hand und sagte mir, er erwarte jeden Tag, das Glück zu haben, mich mit dem Marchese bei sich zu sehen; ich versprach ihm, an einem der nächsten Tage zu kommen.

Bei Teresa fand ich Greppi, der auf sie wartete. Eine Viertelstunde darauf kam sie mit Don Cesarino. Ich bedeckte ihn mit Küssen, während Greppi starr vor Verwunderung den schönen Jungen ansah, in dem er nur meinen Bruder oder meinen Sohn erblicken konnte. Teresa sagte ihm jedoch, Cesarino sei ihr Bruder. Dies machte den Bankier vollends irre, und er fragte mich, ob ich ihre Mutter besonders gut gekannt hätte. Ich bejahte diese Frage, und nun war er zufrieden. Das Abendessen war ausgezeichnet zubereitet; aber ich hatte nur für meinen Sohn Augen. Ich fand den jungen Mann verständig, wohl unterrichtet und ausgezeichnet erzogen. Er war viel größer geworden, seitdem ich ihn zuletzt in Florenz gesehen hatte, und hatte sich geistig ebensosehr entwickelt wie körperlich. Cesarinos Gegenwart machte unser Abendessen ernst, aber angenehm. Schönheit und reine Jugend breitet einen unaussprechlichen Zauber über unser Leben aus; ihre Unschuld flößt Achtung und Zurückhaltung ein. Um ein Uhr morgens entfernten wir uns; sehr zufrieden mit meinem Tagewerk legte ich mich zu Bett, denn aus dem Verlust der zweihundert Zechinen machte ich mir nichts.

Beim Aufstehen erhielt ich ein Briefchen von Irene, die mich beschwor, bei ihr vorzusprechen. Ihr Vater hätte ihr erlaubt, mit mir auf den Ball zu gehen; sie hätte auch bereits einen Domino, aber sie müßte unbedingt mit mir sprechen. Ich schrieb ihr, ich würde sie im Laufe des Tages besuchen. Ich hatte dem Marchese Triulzi gemeldet, ich würde an diesem Tage zu Canano gehen, und er hatte mir sagen lassen, er erwarte mich in seiner Wohnung.

Wir fanden den edlen Spieler in einem schönen Hause, das mit Eleganz eingerichtet war und in allem den Geschmack und den Reichtum des Besitzers verriet. Er stellte mich zwei sehr hübschen Damen vor, von denen die eine seine Geliebte war, sowie fünf oder sechs Marchesen; denn in Mailand ist ein Adeliger zum mindesten Marchese, wie in Vicenza lauter Grafen sind. Er gab uns ein prachtvolles Mahl, das durch die geistreichste Unterhaltung belebt wurde. In einem heiteren Augenblick sagte er mir, er habe schon vor siebzehn Jahren die Ehre gehabt, mich kennen zu lernen, und zwar gelegentlich eines Handels, den ich mit einem gewerbsmäßigen Spieler, einem angeblichen Grafen Celi gehabt habe; ich habe diesem eine hübsche Tänzerin entführt und mit mir nach Mantua genommen. Ich gab die Tatsache zu und erheiterte die Gesellschaft, indem ich erzählte, was mir in Mantua mit O'Neilan und später in Cesena passiert war, wo ich den Grafen Celi wiedergefunden hatte, der inzwischen Graf Alfani geworden war. Man sprach von dem Ball, der am nächsten Tage stattfinden sollte, und lachte, als ich sagte, ich würde nicht hingehen.

»Ich wette mit Ihnen,« sagte Canano zu mir, »daß ich Sie erkennen werde, wenn Sie zu meiner Bank kommen.«

»Ich will nicht mehr spielen, mein lieber Graf,« antwortete ich ihm.

»Um so besser,« versetzte Canano, »denn obgleich Sie im Setzen nicht glücklich sind, so gewinnen Sie mir doch Geld ab. Übrigens ist dies nur scherzhaft gemeint. Kommen Sie nur! Ich will gern die Hälfte meines Vermögens an Sie verlieren.«

Graf Canano trug am Finger einen strohfarbenen Diamanten, der fast ebenso schön wie der meinige war; er hatte ihm zweitausend Zechinen gekostet, während ich für den meinigen dreitausend bezahlt hatte. Er machte mir den Vorschlag, die beiden Ringe gegeneinander auszuspielen, vorher aber sie aus der Fassung nehmen und abschätzen zu lassen.

»Wann?«

»Bevor wir in die Oper gehen.«

»Mir ist es recht; aber nur in zwei Abzügen und indem wir jeder eine Taille halten.«

»Nein, ich setze niemals.«

»Dann schlage ich vor, das Spiel gleich zu machen.«

»Auf welche Weise?«

»Indem wir die Doppelschläge ungültig machen und die beiden letzten Karten nicht abziehen.

»Dann würden Sie den Vorteil haben.«

»Beweisen Sie mir dies, und ich will hundert Zechinen verloren haben. Außerdem wette ich so hoch wie man will, daß trotz der Annullierung der Doppelschläge und dem Weglassen der beiden letzten Karten das Spiel doch vorteilhaft für den Bankhalter ist.«

»Können Sie dies beweisen?«

»Ja, ich werde es unwiderleglich beweisen, und ich überlasse die Entscheidung dem Marchese Triulzi.«

Man bat mich, den Beweis ohne Wette zu führen, und ich sagte nun: »Der Vorteil des Bankhalters ist ein doppelter: der eine, und zwar der kleinere besieht darin, daß Sie, indem Sie die Karte halten, auf nichts anderes zu achten brauchen, als daß Sie niemals verkehrt abziehen; diese Aufmerksamkeit stört nicht im mindesten die Ruhe, die ein jeder bedarf; wer dagegen setzt, verliert den Kopf, indem er sich das Gehirn abmartert, um die Karten zu erraten, die die größeren Aussichten haben, günstig für ihn zu schlagen. Der zweite Vorteil liegt in der Zeit. Der Bankhalter zieht seine Karte mindestens eine Sekunde früher ab als die des Spielers; so geht also sein Glück dem des Gegners vorauf.«

Niemand antwortete; aber nach kurzem Überlegen sagte Marchese Triulzi, um bei Glücksspielen vollkommene Gleichheit herzustellen, müßten beide Spieler einander völlig gleich sein, und dies sei beinahe unmöglich.

»Dies alles ist für mich zu hoch,« sagte Canano; »ich bekenne, daß ich nichts davon verstehe.«

Im Grunde war die Sache nicht schwer zu verstehen.

Nach dem Essen ging ich in die Drei Könige, um zu hören, was Irene mir zusagen hatte, zugleich auch, um mich an ihrer Gesellschaft zu freuen und um ihren Charakter kennen zu lernen, ehe sie die meinige würde. Als sie mich erblickte, lief sie auf mich zu, fiel mir um den Hals und küßte mich; aber ihr Eifer war zu groß, und ich nahm daher ihre Liebkosungen nicht für bare Münze. Ich wußte jedoch seit langer Zeit, daß man nicht lange vorher philosophieren darf, wenn man genießen will; denn man läuft Gefahr, dadurch dem Genuß die Hälfte seiner Süße zu rauben. Wenn Irene beim Tanz der Furlana einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte, warum konnte nicht auch ich ihr gefallen haben, wenngleich ich zwanzig Jahre älter war als sie? Ich sah keinen Grund zu unbedingtem Zweifel und mußte mir an der Möglichkeit genügen lassen, da ich ja nicht beabsichtigte, sie zu meiner Frau zu machen.

Vater und Mutter empfingen mich als ihren Retter, und ich durfte ihre Freundlichkeit für aufrichtig halten. Der Graf bat mich, einen Augenblick mit ihm hinauszugehen. Draußen vor der Tür sagte er zu mir: »Verzeihen Sie einem alten Mann, den das Glück mißhandelt hat; verzeihen Sie vor allen Dingen einem Vater, der sich einiges Unrecht Ihnen gegenüber vorzuwerfen hat, eine unbescheidene Frage: Ist es wahr, daß Sie Irenen hundert Zechinen versprochen haben, wenn ich ihr erlaube, allein mit Ihnen auf den Ball zu gehen?«

»Das ist vollkommen wahr, und Sie begreifen wohl, welche Folgen dies haben wird.«

Kaum hatte ich dies gesagt, so packte der arme alte Gauner mich auf eine Weise beim Kopf, daß ich Angst bekommen hätte, wenn ich nicht doppelt so stark gewesen wäre als er; ich hatte jedoch nichts zu befürchten, denn er wollte mich nur umarmen.

Wir gingen wieder ins Zimmer; ich lachte, er aber vergoß Freudentränen. Er eilte auf seine Frau zu, die gleich ihm an ein so großes Glück nicht glauben konnte. Irene aber machte den Auftritt vollends komisch, indem sie in sentimentalem Ton zu mir sagte: »Sie müssen mich nicht für lügenhaft halten und müssen nicht denken, meine Eltern hätten geglaubt, daß ich ihnen etwas vorgelogen hätte. Sie haben nur gedacht, ich hätte aus Versehen hundert anstatt fünfzig verstanden, wie wenn ich eine so große Summe nicht wert wäre.«

»Du bist tausend wert, reizende Irene! Du hast die Tür zugehalten, damit ich nicht fortgehen sollte, und dein Mut hat mir gefallen. Aber ich möchte dich im Domino sehen, denn ich will nicht, daß man an deinem Anzug etwas auszusetzen findet.«

»Oh! Sie werden meinen Domino sehr hübsch finden.«

»Sind dies deine Schuhe und deine Schnallen? Hast du keine anderen Strümpfe? Und hast du Handschuhe?«

»Mein Gott, ich habe nichts.«

»Schnell! Laß alles holen, was du brauchst. Laß Waren kommen; wir werden aussuchen, und ich bezahle.«

Rinaldi ging fort, um einen Juwelier, einen Strumpfhändler, einen Schuster und einen Parfümeriekrämer kommen zu lassen. Ich gab etwa dreißig Zechinen aus und kaufte alles, was sie nach meiner Ansicht notwendig haben mußte; als ich aber sah, daß an ihrer Maske keine englische Spitze war, machte ich Lärm. Ihr Vater ließ auf meinen Befehl eine Modistin heraufkommen, und ich ließ von dieser die Maske mit einer Elle Blonden besetzen, die mir zwölf Zechinen kostete. Irene war stumm vor Überraschung; ihre Eltern aber hätten es lieber gesehen, wenn das viele Geld in ihre eigene Tasche gekommen wäre; im Grunde dachten sie darin ganz vernünftig.

Als ich Irene angezogen sah, fand ich sie entzückend; ich begriff, wie wichtig es für Frauen ist, gut angezogen zu sein.

»Halte dich morgen vor dem Beginn der Opernvorstellung bereit,« sagte ich zu ihr; »denn ehe wir auf den Ball gehen, werden wir allein miteinander in einer Wohnung speisen, die mir gehört, und wo wir völlig ungestört sein werden. Du weißt, was dich erwartet!« rief ich, indem ich sie umarmte.

Ihre Antwort war ein feuriger Kuß.

Als ich mich vom Vater verabschiedete, fragte er mich, wohin ich von Mailand aus zu gehen gedächte.

»Nach Marseille; von dort nach Paris und dann nach London, wo ich ein Jahr zu verbringen gedenke.«

»Glückliche Flucht aus den Bleikammern!«

»Allerdings; aber ich habe dabei mein Leben aufs Spiel gesetzt.«

»Gewiß haben Sie Ihr Glück verdient.«

»Glauben Sie? Ich mache nur davon Gebrauch, um ein lustiges Leben zu führen.«

»Es wundert mich, daß Sie nicht eine Geliebte haben, die mit Ihnen reist.«

»Ich will mein eigener Herr sein. Wenn ich eine Geliebte auf dem Halse hätte, wäre das viel unbequemer für mich als eine Frau; sie würde mich verhindern, den tausend Liebschaften nachzugehen, die ich in allen Städten finde, wo ich mich aufhalte. Sehen Sie: wenn ich eine Geliebte hätte, würde diese mich verhindern, morgen Ihre reizende Irene auf den Ball zu führen.«

»Sie denken wie ein Weiser.«

»Gewiß; allerdings ist meine Weisheit nicht allzu sittenstreng.«

Am Abend ging ich in die Oper; ich würde jedenfalls gespielt haben, traf jedoch Cesarino im Parkett und verbrachte zwei entzückende Stunden mit ihm. Er eröffnete mir sein Herz und bat mich, mit seiner Schwester zu sprechen, sie möchte ihn doch seiner Neigung folgen lassen. Er fühlte sich unwiderstehlich berufen, Seemann zu werden. Er sagte mir, wenn er Handel treibe, könne diese Neigung ihm ein großes Vermögen einbringen. Ich versprach ihm, seinen Wunsch zu erfüllen.

Nachdem ich mit dem prächtigen Jüngling ein mäßiges Abendessen eingenommen hatte, ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen lud der junge Offizier, der Bruder der Marchesina Q., sich bei mir zum Frühstück ein; er sagte mir, er habe mit seiner Schwester gesprochen und diese habe ihm geantwortet, ich hätte mich ganz gewiß nur über ihn lustig gemacht; denn es sei nicht glaublich, daß ich bei solchem Lebenswandel, wie ich ihn führte, an Heiraten dächte.

»Ich habe Ihnen ja nicht gesagt, daß ich nach der Ehre strebe, ihr Gatte zu werden.«

»Nein; ich habe ihr das auch nicht gesagt; aber darauf wollen die jungen Mädchen immer hinaus.«

»Die Ehre gebietet mir, ihr unverzüglich diesen Irrtum zu benehmen.«

»Daran werden Sie gut tun; in solchen Fällen kommt man immer allein am weitesten. Gehen Sie um zwei Uhr hin; ich bin zum Mittagessen dort, und da ich etwas mit meiner Base zu besprechen habe, so werde ich Sie mit der anderen ungestört allein lassen.«

Diese Anordnung konnte mir nur angenehm sein. Als ich sah, daß mein Schwager in spe ein kleines, goldenes Büchschen bewunderte, das auf meinem Nachttisch lag, bat ich ihn, es als freundschaftliche Erinnerungsgabe anzunehmen. Er umarmte mich, steckte die Büchse in die Tasche und versicherte mir, er werde sie sein Leben lang behalten.

»Ja, bis sie Ihnen die Huld irgend einer Schönen verschaffen kann.«

Da ich die Gewißheit hatte, mit Irene sehr gut zu Abend zu speisen, so aß ich nicht zu Mittag. Der Graf war am Tage vorher nach Sant' Angelo gereist, fünfzehn Miglien von Mailand; da die Gräfin allein zurückgeblieben war, konnte ich nicht umhin, ihr einen Besuch auf ihrem Zimmer zu machen, um mich zu entschuldigen, daß ich nicht die Ehre haben werde, ihr bei Tisch Gesellschaft zu leisten. Sie war sehr liebenswürdig und antwortete mir auf das freundlichste, ich solle mir nur ja keinen Zwang antun. Ich durchschaute wohl ihre Falschheit; aber sie sollte glauben, daß ich mich dadurch irre führen ließe. Denn dies war für mich von Vorteil. Ich machte mir nichts daraus, von ihr für einen Gecken gehalten zu werden, und sagte daher, ich sei nicht undankbar und werde sie in der Fastenzeit dafür entschädigen, daß mein ausschweifendes Leben mich während des Karnevals verhindere, ihr fleißiger den Hof zu machen. Glücklicherweise sei ja die Fastenzeit nicht mehr fern.

»Ich hoffe es,« sagte die hinterlistige Spanierin mit einem bezaubernden Lächeln, dessen nur eine Frau fähig ist, wenn ihr Herz von giftiger Rachsucht verzehrt wird. Mit diesen Worten bot sie mir eine Prise Tabak an und nahm selber eine.

»Aber was ist denn das, liebenswürdige Gräfin? Dies ist ja kein Tabak.«

»Nein, es ist ein ausgezeichnetes Pulver gegen Kopfschmerzen; es verursacht Nasenbluten.«

Ich ärgerte mich, das Pulver genommen zu haben, sagte ihr aber lachend, ich hätte keine Kopfschmerzen und blutete nicht gerne aus der Nase.

»Man blutet nicht sehr stark,« antwortete sie lächelnd, »und das Mittel kann nur angenehm wirken.«

Kaum hatte sie diese Worte gesagt, so niesten wir beide vier- oder fünfmal gleichzeitig; ich wäre nun allen Ernstes böse geworden, wenn ich sie nicht hätte lachen sehen.

Da ich die Eigenschaft aller Niespulver kannte, so glaubte ich nicht, daß wir bluten würden; aber ich irrte mich. Einen Augenblick darauf fühlte ich einen Blutstropfen, und sie nahm eine silberne Waschschüssel, die auf ihrem Nachttisch stand. »Treten Sie näher,« sagte sie zu mir, »denn ich fange ebenfalls an zu bluten.«

So bluteten wir denn nun, Stirn an Stirn gelehnt, in einer höchst komischen Stellung in dieselbe Schüssel hinein. Nachdem auf beiden Seiten etwa dreißig Tropfen geflossen waren, hörte das Bluten auf. Da ich sie immer noch lachen sah, so glaubte ich wohl daran zu tun, wenn ich darin einstimmte. Wir wuschen uns mit kaltem Wasser in einer anderen Schüssel.

»Die Vermischung unseres Blutes«, sagte sie, fortwährend lachend, »wird eine süße Sympathie zwischen uns beiden hervorrufen, und wahrscheinlich eine Freundschaft, die ›nur mit dem Tode des einen von uns enden wird‹.«

Ich maß diesen Worten keine Bedeutung bei, aber die hinterlistige Spanierin hoffte, wie der Leser bald sehen wird, daß diese Freundschaft nicht lange dauern würde. Ich bat mir ein wenig von dem Pulver aus; als sie mir jedoch meine Bitte abschlug, begnügte ich mich, sie nach dem Namen desselben zu fragen.

»Ich kenne ihn nicht,« sagte sie, »eine Freundin hat mir das Pulver geschenkt.«

Beunruhigt durch die Wirkung dieses Pulvers, die ich für unglaublich gehalten haben würde, wenn ich nicht selbst die Erfahrung damit gemacht hätte – denn ich hatte nie vorher von einem solchen etwas gehört – ging ich sofort zu einem Apotheker; aber dieser Diaphorus war nicht klüger als ich. Er sagte mir allerdings, die Euphorbia könne zuweilen ein Nasenbluten hervorbringen. Aber es handelte sich nicht um ein »Zuweilen«, sondern um eine beständige Wirkung. Das geringfügige Ereignis veranlaßte mich zu ernsthaftem Nachdenken. Die Gräfin war Spanierin, und sie mußte mich hassen; dies waren zwei Gründe, die einem Nasenbluten eine Bedeutung geben konnten, deren Tragweite ich nicht ahnte.

Ich ging zu den schönen Marchesinen und fand den reizenden jungen Mann im Gartensaal bei seiner Base, die mit Schreiben beschäftigt war. Fräulein von Q. war im Garten. Sie hatten bereits zu Mittag gegessen. Unter dem Vorwande, die Schreiberin nicht stören zu wollen, ging ich zur Schwester des jungen Offiziers. Ich machte ihr eine Verbeugung und sagte: »Ich bedauere recht sehr eine Verwechslung, die mich in Ihren Augen als einen urteilslosen Gecken erscheinen lassen könnte. Ich komme zu Ihnen in der Hoffnung, mich rechtfertigen zu können.«

»Ich errate, worum es sich handelt; aber seien Sie überzeugt, mein Bruder hat sich nichts Böses dabei gedacht, lassen Sie ihn glauben, was er will. Meinen Sie, ich hätte Sie eines solchen Schrittes für fähig gehalten, während wir uns doch kaum kennen?«

»Sie beruhigen mich.«

»Ich glaubte, Ihrer Galanterie die Wendung geben zu müssen, wie wenn ich an eine Heirat dächte, weil mein Bruder, der noch zu jung ist, sie sonst ungünstig hätte auslegen können.«

»Ich bewundere Ihren Geist und habe nichts mehr zu sagen. Indessen bin ich Ihrem Herrn Bruder doch Dank schuldig, denn durch ihn haben Sie erfahren, daß Ihre Reize einen tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht haben. Ich bin bereit, alles zu tun, um Sie von meiner zärtlichen Neigung zu überzeugen.«

»Diese Erklärung mißfällt mir nicht; aber Sie hätten besser getan, meinen Bruder nicht in die Geheimnisse Ihrer Gefühle einzuweihen; ja, Sie hätten sogar – gestatten Sie mir, Ihnen dies zu sagen – mir Ihre Gefühle verschweigen müssen. Sie hätten mich lieben können, ohne daß ich etwas davon merkte, oder ich hätte wenigstens tun können, wie wenn ich es nicht merkte. Dadurch hätte ich meine Unbefangenheit bewahrt, während ich jetzt mich in acht nehmen und auf der Hut sein muß. Geben Sie dies zu?«

»Sie sehen mich starr, schöne Marchesina; niemals hat mich ein Mensch gründlicher von meiner Dummheit überzeugt. Eigentümlich finde ich nur, daß alles, was Sie mir soeben gesagt haben, mir vollkommen bekannt war; aber Sie haben mir den Kopf verdreht; darf ich hoffen, daß Sie nicht die Grausamkeit haben werden, mich dafür zu bestrafen?«

»Aber ich bitte Sie, wie könnte ich Sie dafür bestrafen?«

»Indem Sie mich nicht lieben.«

»Ach! Hängt es denn von uns ab, ob wir lieben oder nicht lieben? Man zwingt uns zu lieben, und da sind wir verloren.«

Ich legte diese letzten Worte zu meinem Vorteil aus und glaubte, von etwas anderem sprechen zu müssen. Ich fragte sie, ob sie am Abend auf den Ball gehen würde.

»Nein.«

»Vielleicht würden Sie unerkannt gehen?«

»Das möchte ich gern, aber es ist unmöglich. Es findet sich stets jemand, der uns kennt.«

»Wenn ich den Vorzug hätte, Ihnen zu dienen, so würde ich meinen Kopf zum Pfände setzen, daß kein Mensch Sie erkennen sollte.«

»Ich glaube nicht, daß Sie bereit sein würden, sich mit uns zu beschäftigen.«

»Es freut mich, daß Sie ein bißchen ungläubig sind, aber geruhen Sie, mich auf die Probe zu stellen. Wenn Sie allein ausgehen können, werden wir uns so maskieren, daß wir alle Welt neugierig machen und trotzdem diese Neugierigen nicht zu befriedigen brauchen.«

»Wir können mit unserem Bruder und einer anderen jungen Dame ausgehen, die er liebt; wir sind sicher, daß er verschwiegen sein wird.«

»Ich freue mich Ihres Auftrages! Aber es wird erst am nächsten Sonntagsball vor sich gehen können. Ich werde mich mit Ihrem Bruder verständigen. Sagen Sie ihm gütigst, er möge mich besuchen; Barbaro dürfe aber nichts wissen. Sie werden sich an einem Ort maskieren, den ich Ihnen noch näher bezeichne; denn wir werden uns wiedersehen. Unterdessen werde ich mich in aller Stille mit dieser wichtigen Sache befassen. Wollen Sie mir gestatten, Ihnen die Hand zu küssen?«

Ich zog ihre Hand an meine Lippen und dann an mein Herz, und dort fühlte ich einen sanften Händedruck der Marchesina.

Ich hatte noch keine Verkleidung im Sinne; aber ich war sicher, daß ich etwas Passendes finden würde, und verschob es daher auf den nächsten Tag, mich damit zu beschäftigen. Irene nahm für diesen Tag alle meine Gedanken in Anspruch. Nachdem ich einen Domino übergeworfen hatte, fuhr ich nach den Drei Königen und fand Irene vor der Tür; sie war heruntergekommen, sobald sie meinen Wagen bemerkt hatte. Dieser Eifer freute mich. Wir gingen in meine schöne Wohnung und bestellten beim Pastetenbäcker ein leckeres Abendessen zu Mitternacht. Wir hatten sechs Stunden vor uns, und der Leser wird mir wohl erlassen, ihm zu sagen, wie sie angewandt wurden. Der Kanal wurde mit Gewalt eröffnet und die Operation lachend erduldet, denn Irene war mit allen Anlagen zur Wollust geboren. Um Mitternacht standen wir auf; wir hatten einen Riesenhunger und waren erstaunt und zugleich entzückt, ein höchst appetitliches Essen vor uns zu sehen.

Irene sagte mir, ihr Vater habe sie gelehrt, beim Pharao so abzuziehen, daß sie nicht verlieren könne. Ich war neugierig, wie sie das machte, und gab ihr ein Spiel Karten. Während sie plauderte, um meine Aufmerksamkeit abzulenken, legte sie binnen wenigen Minuten die Karten zurecht. Ich gab ihr die hundert Zechinen, die ich ihr schuldig war, und sagte, sie möchte so spielen, wie wenn es Ernst wäre.

»Lieber Freund,« sagte sie sanft, »wenn Sie nur eine einzige Karte spielen, bin ich sicher, daß Sie sie stets verlieren werden.«

»Einerlei, es gilt.«

Sie hielt Wort. Ich mußte ihr zugeben, daß ich niemals etwas von ihrer Manipulation hätte merken können, wenn sie mich nicht vorher darauf aufmerksam gemacht hätte. Ich sah nun, wie wertvoll dem alten Gauner Rinaldi seine Tochter sein mußte. Sie war ein wahrer Schatz in ihrer Art; denn mit ihrer unschuldigen und aufrichtigen Miene, mit ihrem fröhlichen Wesen und reizenden Gesicht war sie ganz dazu angetan, die abgefeimtesten Spieler hinters Licht zu führen. Sie sagte mir mit einer gewissen Betrübnis, ihr Talent nütze ihr nichts, weil sie immer nur mit armseligen Bettlern zu tun habe. Mit einem zärtlichen Blick fügte sie hinzu: wenn ich sie mitnehmen wollte, würde sie ihren Eltern durchbrennen; sie würde glücklich sein, für mich Schätze zu gewinnen.

»Wenn ich nicht mit falschen Spielern zu tun habe,« fuhr sie fort, »bin ich auch sehr geschickt im Setzen.«

»Nun, liebes Kind, so spiele mit den hundert Zechinen, die du hast, an Cananos Bank. Ich werde dich hinführen. Setze zwanzig Zechinen auf eine Karte; wenn du gewinnst, spielst du Paroli und Sept-et-le-va: sobald dir der Schlag gelungen ist, hörst du auf. Wenn du nicht drei glückliche Karten finden kannst, wirst du verlieren; aber dann werde ich dir das Geld wiedergeben.«

Sie umarmte mich und fragte mich, ob sie mir die Hälfte vom Gewinn abgeben müsse.

»Nein, alles soll dir gehören.«

Ich glaubte, sie würde vor Freude toll werden. Wir ließen uns in Sänften nach der Oper tragen, und da der Ball noch nicht im Gange war, so traten wir in den Spielsaal ein. Canano, der noch nicht angefangen hatte, packte ein Spiel Karten aus. Er tat, wie wenn er mich nicht kennte, und lächelte, als er sah, daß die hübsche Maske, die bei mir war, statt meiner spielen würde. Irene machte ihm eine tiefe Verbeugung, als er ihr einen Platz an seiner Seite anbot; sie legte die hundert Zechinen vor sich hin und gewann zunächst nur hundertundzwanzig, weil sie, anstatt das Sept-et-le-va zu spielen, beim drittenmal ihren Einsatz zurückzog und nur den Gewinn stehen ließ. Ihre Sparsamkeit gefiel mir, und ich ließ sie weiter spielen. In der nächsten Taille verlor sie drei Karten hintereinander; hierauf gewann sie mehrere Male ein Paix de Paroli; dann grüßte sie den Bankhalter, raffte ihr Gold zusammen, und wir entfernten uns. Kaum aber hatten wir den Saal verlassen, so drehte ich mich um, um zu sehen, woher ein Schluchzen käme, das an mein Ohr schlug. Irene sagte mir: »Ich bin sicher, es ist mein Vater, der vor Freuden weint.« Sie hatte in ihrer Tasche dreihundert Zechinen, die sie ihm brachte, nachdem sie sich drei Stunden lang erlustigt hatte. Ich tanzte nur ein einziges Menuett mit ihr, denn meine Liebestaten und das ausgezeichnete Abendessen hatten mich so ermüdet, daß ich mich nach Ruhe sehnte. Ich ließ Irene tanzen, soviel sie wollte, setzte mich in eine Ecke und schlief ein. Als ich erwachte, sah ich zu meiner großen Überraschung Irene, die mich ängstlich suchte; ich hatte drei Stunden lang geschlafen. Ich brachte sie nach den Drei Königen zurück, wo ich sie ihren Eltern ablieferte. Der arme Mann war ganz verblüfft über den Anblick des Goldes, das seine Tochter auf den Tisch legte; er sagte mir, ich möchte ihr gute Nacht wünschen, denn er würde in wenigen Stunden abreisen. Ich konnte mich nicht widersetzen und fühlte auch keine Lust dazu; aber Irene wurde wütend und rief: »Ich werde nicht abreisen, ich will bei meinem Liebsten bleiben. Ihr werdet mich noch unglücklich machen; denn kaum habe ich das Glück, einen Menschen zu haben, der Neigung für mich empfindet, so reißt ihr mich von seiner Seite. Ich gehöre dem Herrn und will ihn nicht mehr verlassen.«

Als sie jedoch sah, daß ich nichts zu ihrer Unterstützung sagte, fing sie an zu weinen. Dann umarmte sie mich mehrere Male. Als sie endlich müde und verzweifelt sich hinsetzte, benutzte ich diesen Augenblick und entfernte mich, indem ich ihr gute Reise wünschte und Irenen versprach, daß wir uns wiedersehen würden. Ich habe sie auch wirklich wiedergesehen; das Nähere wird der Leser erfahren, sobald ich soweit bin.

Ich legte mich zu Bett.

Es war erst acht Uhr, da kam der schöne Leutnant und weckte mich. »Meine Schwester«, sagte er, »hat mir von der Maskerade erzählt, die Sie planen. Ich habe Ihnen nun ein großes Geheimnis anzuvertrauen.«

»Sprechen Sie, lieber Freund, und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Einer der liebenswürdigsten Kavaliere unserer Stadt, mein Freund und der Anbeter meiner Base, ein junger Herr, der wegen seiner Stellung das größte Interesse daran hat, nicht gegen die Verpflichtungen der Verschwiegenheit zu verstoßen, wird sich beteiligen, wenn Sie nichts dagegen haben. Dies würde meine Base und meine Schwester glücklich machen.«

»Haben Sie an meiner Einwilligung zweifeln können? Ich hatte an fünf gedacht; jetzt werde ich an sechs denken.«

»Sie sind unvergleichlich.«

»Sonntag müssen Sie in der Dämmerung sich an einem Ort einfinden, den ich Ihnen bezeichnen werde. Wir werden zu Abend speisen und uns hierauf maskieren. Dann werden wir auf den Ball gehen. Morgen um fünf Uhr werden wir uns bei Ihrer Schwester sehen. Beschreiben Sie mir nur den Wuchs Ihrer Geliebten und des Freundes Ihrer reizenden Base.«

»Meine Freundin ist zwei Zoll kleiner als meine Schwester und etwas weniger schlank; mein Freund ist ganz genau so gewachsen wie Sie, und man könnte Sie miteinander verwechseln, wenn Sie gleich gekleidet wären.«

»Das genügt. Überlassen Sie es nun mir, an alles zu denken, und leben Sie einstweilen wohl; denn ich bin neugierig, zu erfahren, was der Kapuziner will, der draußen wartet.«

Ein Kapuziner hatte sich bei mir melden lassen, und ich hatte Clairmont gesagt, er solle ihm ein Almosen reichen; er hatte aber dieses zurückgewiesen und gesagt, er müsse ganz im Geheimen mit mir sprechen. Dies machte mich neugierig; denn was konnte ein Kapuziner mir unter dem Siegel des Geheimnisses zu sagen haben? Ich ließ ihn eintreten und sah ein ehrwürdiges, bedeutendes Gesicht. Ich ging ihm entgegen und bot ihm mit einer tiefen Verbeugung einen Stuhl an; ohne meine Höflichkeit zu beachten, blieb er stehen und sagte: »Mein Herr, beachten Sie, was ich Ihnen sagen werde, und hüten Sie sich, meinen Rat leicht zu nehmen; es könnte Ihnen das Leben kosten. Sie würden es ohne Zweifel bereuen, aber dies würde zu spät sein. Hören Sie mich an und tun Sie unverzüglich, was ich Ihnen raten werde; aber enthalten Sie sich jeder Frage, denn es ist mir unmöglich, Ihnen zu antworten. Sie werden vielleicht erraten, daß der Grund, der mich zum Schweigen zwingt, eine heilige Pflicht ist, die mein Stand mir auferlegt und die jeder Christ anerkennen muß. Es ist das unverletzliche Beichtsiegel. Bedenken Sie, daß mein Wort und meine Aufrichtigkeit Ihnen nicht verdächtig sein können, denn kein niedriges Interesse führt mich zu Ihnen. Nur ein mächtiger, innerer Antrieb zwingt mich, zu Ihnen zu sprechen, und ich muß glauben, daß Ihr Schutzengel sich meiner bedient, um Ihnen das Leben zu retten, da er nicht unmittelbar mit Ihnen in Verbindung treten kann. Gott will Sie nicht verlassen, Sagen Sie mir, ob Sie sich bewegt fühlen und ob ich Ihnen den heilsamen Rat geben darf, den ich in meinem Herzen verschlossen halte?«

»Zweifeln Sie nicht daran, ehrwürdiger Vater; ich habe Ihnen aufmerksam und ehrfurchtsvoll zugehört. Sprechen Sie, geben Sie mit diesen Rat! Ihre Worte haben mich nicht nur bewegt, sondern mich sogar gewissermaßen erschreckt. Ich verspreche Ihnen, Ihrem Rat zu folgen, wenn die Ausführung nicht meiner Ehre und der klaren Vernunft widerspricht.«

»Gut! Ein Gefühl des Mitleids wird Sie abhalten, mich durch eine Unvorsichtigkeit bloßzustellen, einerlei, wie die Geschichte ausgeht, von der Sie nunmehr erfahren werden. Sie werden keinen Menschen etwas von mir sagen? Sie werden keiner Menschenseele sagen, daß Sie mich kennen oder daß Sie mich nicht kennen?«

»Ich schwöre Ihnen dies auf meinen christlichen Glauben. Aber ich bitte Sie, sprechen Sie! Ihre lange Vorrede erfüllt mich mit einer Ungeduld, die mich verzehrt.«

»Gehen Sie heute vormittag nach dem Xplatz in das Haus Nr. ..., in den zweiten Stock und klingeln Sie an der Tür zur Linken. Sagen Sie der Person, die Ihnen öffnen wird, Sie möchten Frau Y. sprechen. Man wird keine Schwierigkeiten machen, Sie in ihr Zimmer zu führen; ich bin sogar überzeugt, man wird Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen. Sollte dies aber doch der Fall sein, so geben Sie irgend einen beliebigen Namen an. Wenn Sie sich der Frau gegenüber befinden, so bitten Sie sie, freundlich Sie anzuhören, und verlangen Sie von ihr Verschwiegenheit über alles, was Sie ihr anvertrauen würden. Um ihr Vertrauen einzuflößen, drücken Sie ihr ein oder zwei Zechinen in die Hand. Sie ist arm, und ich bin gewiß, daß Sie durch diese Freigebigkeit sie sofort für sich gewinnen werden. Sie wird ihre Türe schließen und Ihnen natürlich sagen, Sie möchten sprechen. Nehmen Sie alsdann eine ernste und eindrucksvolle Miene an und bedeuten Sie ihr, Sie würden ihr Zimmer nicht eher verlassen, als bis sie Ihnen das Fläschchen übergeben hätte, das eine Magd gestern bei Beginn der Nacht ihr mit einem Brief gebracht haben müßte. Wenn sie sich weigert, so bleiben Sie standhaft; machen Sie aber keinen Lärm; lassen Sie sie nicht aus dem Zimmer heraus und verhindern Sie sie, irgend jemanden zu rufen, überreden Sie sie schließlich, indem Sie ihr für den Verkauf der Flasche mit allem Zubehör das Doppelte des Geldes versprechen, das sie sonst erhalten würde. Erinnern Sie sich wohl meiner Worte: ›mit allem Zubehör‹. Sie wird alles tun, was Sie verlangen. Es wird Ihnen eine unbeträchtliche Summe kosten; aber selbst wenn Sie viel Geld ausgeben müßten, Ihr Leben muß Ihnen teurer sein als alles Geld von Peru. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Bevor ich Sie jedoch verlasse, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob ich hoffen kann, daß Sie hingehen werden.«

»Ja, hochehrwürdiger Vater; ich werde der Eingebung des Engels folgen, der Sie hierhergefühlt hat.«

»So möge denn Gott Sie segnen!«

Als der würdige Priester hinausgegangen war, fühlte ich durchaus keine Lust, zu lachen. Allerdings sagte meine Vernunft nur, ich solle diese lächerliche Verschwörung verachten und nicht hingehen; aber ein Rest von Aberglauben, von welchem ich mich niemals gänzlich habe befreien können, hielt mich ab, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Außerdem hatte der Kapuziner mir gefallen. Er sah wie ein braver Mann aus und hatte etwas so Ehrwürdiges an sich, daß ich mich durch mein Versprechen gewissermaßen für gebunden hielt. Er hatte mich überzeugt, und meine Vernunft sagte mir, daß der Mensch niemals gegen seine Überzeugung handeln soll. Kurz und gut, ich entschloß mich, hinzugehen. Ich nahm den Zettel, worauf ich die Worte aufgeschrieben hatte, die er mir gesagt hatte, steckte zwei kleine Terzerole in die Tasche und begab mich nach dem geheimnisvollen Hause, nachdem ich Clairmont befohlen hatte, mich auf dem Platze zu erwarten, woran es lag. Diese Vorsicht konnte nicht schaden.

Alles ging vor sich, wie der gute Kapuziner es mir vorhergesagt hatte. Das greuliche alte Weib bekam Mut beim Anblick von zwei Zechinen und schob den Riegel vor die Tür. Lachend sagte sie mir, sie wisse, daß ich verliebt sei, und es sei meine eigene Schuld, wenn ich nicht glücklich sei; sie werde mir jedoch das Mittel geben, es zu werden. Ich merkte, daß ich bei einer angeblichen Hexe war. Die berühmte Bontems in Paris hatte ungefähr dieselbe Sprache geführt, als ich sie einmal besuchte. Als ich jedoch der Frau bedeutet hatte, ich würde ihr Zimmer nicht ohne die geheimnisvolle Flasche »mit allem Zubehör« verlassen, da verzerrte ihr Gesicht sich auf eine schreckliche Weise. Sie zitterte am ganzen Leibe, als ich mit einem offenen Taschenmesser in der Hand sie verhinderte, das Zimmer zu verlassen. Als ich ihr dann gesagt hatte, ich würde ihr das Doppelte von dem geben, was man ihr versprochen hätte, um die Schandtat auszuführen, sie würde also nicht nur nichts verlieren, sondern noch Geld dazu verdienen, indem sie mir die gewünschten Gegenstände gäbe, da wurde sie wieder ruhig.

»Ich werde sechs Zechinen verlieren,« sagte sie, »aber Sie werden mir gern das Doppelte bezahlen, wenn Sie sich sehen; denn jetzt erkenne ich Sie.«

»So sagen Sie mir, wer ich bin?«

»Sie sind Giacomo Casanova aus Venedig.«

Infolge dieser Worte glaubte ich die zwölf Zechinen aus meiner Börse ziehen zu müssen. Bei ihrem Anblick wurde die Alte zu Tränen gerührt und sagte zu mir: »Ich hätte Sie sicherlich nicht sterben lassen, aber ich würde Sie verliebt und unglücklich gemacht haben.«

»Erklären Sie mir dies!«

»Kommen Sie mit!«

Ich trat mit ihr in eine Kammer und war ganz verblüfft über den Anblick von tausend Dingen, deren Gebrauch der gesunde Menschenverstand nicht zu erklären vermöchte. Phiolen von allen Größen, Steine von allen Farben, Metalle, Minerale, große und kleine Nägel, Zangen, Öfen, Kohlen, mißgestaltete Statuen und tausend andere Sachen.

»Hier ist Ihre Flasche,« sagte das alte Weib zu mir.

»Was ist darin?«

»Ihr Blut, mit dem der Gräfin vermischt, wie Sie in diesem Brief lesen können.«

Ich sah nun, worum es sich handelte, und wundere mich noch jetzt, daß ich nicht laut auflachte. Statt dessen sträubten sich meine Haare bei dem Gedanken an die Verruchtheit der Gräfin. Ein kalter Schweiß überströmte meinen ganzen Leib.

»Was würden Sie mit diesem Blut gemacht haben?«

»Ich hätte Sie damit überzogen.«

»Was verstehen Sie unter ›überzogen‹? Ich begreife Sie nicht.«

»Sie werden es gleich sehen.«

Ich war erschrocken; aber gleich darauf erhielt ich die Erklärung. Die Alte öffnete ein Kästchen von der Länge einer Elle; in diesem lag ein ganz nacktes Bild aus Wachs auf dem Rücken. Mein Name war der Länge nach darauf geschrieben und meine Züge waren, wenn auch schlecht ausgeführt, so doch erkennbar. Dieses Bildwerk trug auch mein Ordenskreuz um den Hals. Die Geschlechtsteile waren mit ungeheuerer Übertreibung vergrößert. Bei diesem ungeheuer komischen Anblick bemächtigte sich meiner eine wahnsinnige Lachlust, und ich mußte mich auf einen Lehnstuhl werfen, bis ich mich wieder erholt hatte.

Als ich endlich wieder Atem schöpfen konnte, sagte das Zauberweib zu mir: »Sie lachen? Wehe Ihnen, wenn ich Sie in diesem Blute, das nach den Regeln meiner Wissenschaft gemischt ist, gebadet hätte! Und dreimal wehe Ihnen, wenn ich Sie ›überzogen‹ und dann dieses Bild auf glühende Kohlen gelegt hätte!«

»Ist dies alles?«

»Ja.«

»Der ganze Kram gehört mir; hier sind Ihre zwölf Zechinen. Und nun schnell, zünden Sie mir Feuer an, denn ich will dieses Ungeheuer schmelzen. Das Blut gestatten Sie mir zum Fenster hinaus zu werfen!«

In einem Augenblick war das gemacht.

Die Alte, welche jedenfalls befürchtete, ich könnte die Sachen mit nach Hause nehmen, um sie zu ihrem Verderben zu gebrauchen, war hocherfreut, als sie mich das Wachs schmelzen sah. Sie nannte mich einen Engel an Güte und bat mich, ihr zu versprechen, keinem Menschen etwas von dem zwischen uns Vorgefallenen zu sagen. Ich schwor ihr dies und versprach ihr sogar, die Gräfin solle nichts davon erfahren. Am meisten überraschte es mich, als das schändliche Weib sich erbot, die Gräfin rasend in mich verliebt zu machen, wenn ich ihr noch zwölf Zechinen versprechen wolle. Ich sagte ihr, ich mache mir nichts daraus, und entfernte mich, indem ich ihr den Rat gab, ihr abscheuliches Gewerbe aufzugeben, das sie früher oder später auf den Scheiterhaufen führen müsse.

Ich fand Clairmont auf seinem Posten und schickte ihn nach Hause. Obgleich diese Niederträchtigkeit mir ziemlich viel Geld gekostet hatte, tat es mir doch nicht leid, um diese Lehre bereichert zu sein und den Rat des guten Kapuziners befolgt zu haben, der in vollem Ernst mich für einen verlorenen Mann gehalten hatte. Ich denke mir, er hatte alles durch die Beichte von der Magd erfahren, die das Blut zur Hexe gebracht hatte. Solche Wunder werden von der Ohrenbeichte oft bewirkt.

Ich beschloß, die Gräfin niemals ahnen zu lassen, daß ich ihren verführerischen Anschlag entdeckt hätte, sondern mich vielmehr gegen sie in einer Weise zu benehmen, die geeignet wäre, sie zu beruhigen und sie den grausamen Schimpf, den ich ihr angetan, vergessen zu machen. Ich mußte mich glücklich schätzen, daß die Frau an Hexerei glaubte, denn sonst würde sie Männer gedungen haben, die ihre Rache jedenfalls besser vollzogen hätten.

Zu Hause angekommen, nahm ich den schönsten von den beiden Mänteln, die ich besaß, und schenkte ihr diesen, indem ich ihr die Hand küßte. Sie nahm ihn mit der größten Liebenswürdigkeit an und fragte mich, aus welchem Anlaß ich ihr ein so hübsches Geschenk mache?

Ich antwortete: »Ich habe geträumt, Sie wären so erzürnt auf mich, daß Sie mit Meuchelmördern gesprochen hätten, mich zu töten.«

Sie antwortete mir errötend, sie wäre nicht wahnsinnig geworden. Als ich hinausging, sah ich sie in düstere Träume versinken. Ich hatte mich jedoch während meines übrigen Aufenthaltes in Mailand nicht mehr über sie zu beklagen, sei es, daß sie alles vergessen hatte, sei es, daß sie kein sicheres Mittel fand, sich zu rächen.

Der Graf war von seinem Lehen zurückgekehrt. Er sagte mir, wir müßten unbedingt einen Ausflug dahin machen, sobald die Fastenzeit begonnen hätte. Ich versprach es ihm. Die Gräfin erklärte, daß sie nicht mitreisen würde. Ich tat, wie wenn mir dies sehr leid täte; in Wirklichkeit tat sie mir jedoch den größten Gefallen.


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