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Am nächsten Morgen um neun Uhr meldete man mir den Abbate Gama. Als er eintrat, rief er aus: »Ich weine Freudentränen, daß ich Sie nach so vielen Jahren der Trennung bei so guter Gesundheit und in so angenehmen Verhältnissen wiedersehe.«
Wie der Leser sich leicht wird denken können, hielt der Abbate eine große Lobrede auf mich, und er wird vielleicht wissen, daß trotz aller Klugheit und Welterfahrenheit und trotz allem Mißtrauen gegen die Ohrenkitzler die Eitelkeit doch ihnen lauscht und sie sogar angenehm findet; freilich will die Eitelkeit dies nicht eingestehen, denn damit wird sie sich selbst verletzen. Der Abbate war sanft, geistreich, liebenswürdig und sehr schlau, weil er stets unter den Großwürdenträgern der Diener Gottes gelebt und damit die allerfeinste Schule der List durchgemacht hatte. Er war durchaus nicht boshaft; mit einem Wort, er war so, wie ich ihn im ersten Bande dieser Erinnerungen geschildert habe. Er wünschte meine Abenteuer kennen zu lernen und wartete daher nicht ab, daß ich ihn bäte, mir die seinigen zu erzählen, sondern schilderte mir sehr weitschweifig sein Leben in den siebzehn Jahren, die seit unserer Trennung verflossen waren. Er war aus dem spanischen Dienst in den Seiner Allergetreuesten Majestät übergetreten und war Gesandtschaftssekretär beim Komtur Almada. Er hatte Rom verlassen müssen, weil Papst Rezzonico dem König von Portugal nicht erlauben wollte, die Jesuiten zu bestrafen – treue ehrliche Mörder, die ihm allerdings nur einen Arm zerschmettert, aber doch die gute Absicht gehabt hatten, ihm das Leben zu nehmen. Gama irrte in Italien umher; er verkehrte brieflich mit Almada und dem berühmten Carvalho, und wartete darauf, daß dieser Krieg beigelegt würde, um nach Rom zurückkehren zu können. Dies war eigentlich das einzige Tatsächliche an seiner Erzählung; aber der Abbate wußte sie durch Nebenumstände so sehr auszuschmücken, daß sie länger als eine Stunde dauerte. Ohne Zweifel wollte er mich dadurch zur Dankbarkeit veranlassen, damit ich ihm nichts von meinen Verhältnissen verschwiege. Aber wir zeigten beide ein schönes diplomatisches Talent; er, indem er seine Erzählung verlängerte, ich, indem ich die meinige verkürzte. Ich empfand dabei ein geheimes Vergnügen, die Neugier im Priesterrock zu bestrafen.
»Was wollen Sie in Rom?« fragte er scheinbar gleichgültig.
»Ich will mich dem Papst vorstellen und ihn bitten, bei den venetianischen Staatsinquisitoren meine Begnadigung zu befürworten.«
Dies war nicht wahr; aber es war eine Antwort wie eine andere, wenn man nicht die Wahrheit sagen will. Hätte ich ihm übrigens gesagt, ich ginge nach Rom nur, um mich zu amüsieren, so hätte er mir auch nicht geglaubt. Wer einem Ungläubigen die Wahrheit sagt, prostituiert sie, und dies ist nach meiner Meinung so schlimm wie ein Mord. Er bat mich hierauf, ich möchte ihm das Vergnügen machen, mit ihm einen Briefwechsel zu unterhalten; und da dies mich zu nichts verpflichtete, so versprach ich es ihm.
»Ich kann,« sagte er mir, »Ihnen einen Freundschaftsbeweis geben, indem ich Sie dem Gouverneur von Toskana, Marchese Botta-Adamo, vorstelle, der für den Freund des regierenden Herrn gilt« (des späteren Kaisers Franz).
Ich nahm sein Anerbieten dankbar an, hierauf brachte er das Gespräch auf Teresa; aber er fand mich verschlossen wie den Geldschrank eines Geizhalses. Ich sagte ihm, sie wäre noch ein Kind gewesen, als ich in Bologna ihre Familie kennen gelernt hatte, und die Ähnlichkeit zwischen ihrem Bruder und mir wäre nur ein Spiel der Natur oder des Schicksals, wobei nichts weiter auffällig wäre, als daß wir zusammengetroffen wären. Als er auf meinem Schreibtisch ein sehr gut geschriebenes Papier sah, fragte er mich, ob diese herrliche Handschrift die meines Sekretärs sei. Costa, der im Zimmer anwesend war, antwortete ihm auf spanisch, die Schrift sei von ihm. Gama überbot sich nun in Komplimenten und bat mich schließlich, ich möchte ihm meinen Costa zuschicken, um für ihn einige Briefe zu schreiben. Ich erriet, daß er ihn nur über mich ausholen wollte, und sagte ihm, der junge Mann sei mir den ganzen Tag unentbehrlich.
»Nun, dann also ein anderes Mal!« sagte der Abbate.
Ich antwortete nicht. So sind die Neugierigen. Die Moralphilosophen wollen die Neugier nicht zu den Leidenschaften rechnen; aber sie haben unrecht. Die Neugier gehört zu den schönen Eigenschaften des Geistes, wenn sie von der gesunden Vernunft gelenkt wird und sich auf die ganze Natur erstreckt: Nihil dulcius quam omnia scire – Nichts ist süßer als alles zu wissen. Sie ist von den Sinnen abhängig; denn sie kann nur durch sinnliche Wahrnehmungen entstehen und sich befriedigen. Aber diese Leidenschaft ist, wie alle ihre Schwestern, ein Ungeheuer, wenn sie nicht mehr von der Weisheit gezügelt wird. Sie ist ein abscheuliches Laster, wenn sie nur bezweckt, mittelbar oder unmittelbar in die Angelegenheiten anderer Menschen einzudringen. Einerlei ob der Neugierige ein Geheimnis nur zu erhaschen sucht, um sich dem Nächsten nützlich zu machen, sei es, daß er diesen auszuholen sucht, um die Herzensergießungen, zu denen er ihn zu verlocken weiß, zu seinem eigenen Vorteil auszubeuten. Aber mag sie, je nach der Richtung, die sie nimmt, Laster oder Tugend sein – die Neugier ist stets eine Krankheit; denn sie hat die eigentümliche Eigenschaft, daß sie das Herz oder den Geist eines Menschen, den sie unterjocht, unruhig macht. Ein Geheimnis durch Überraschung zu erfahren, heißt stets einen Diebstahl begehen.
Ich spreche nicht von jener edlen Neugier, die den abstrakten Wissenschaften entstammt und sich zum Ziele setzt, die Zukunft zu erforschen, das heißt, das Unmögliche zu erreichen. Bei der Neugier, die die Tochter der Unwissenheit oder des Aberglaubens ist, verweilen nur Narren oder Dummköpfe. Abbate Gama aber war weder verrückt, noch unwissend, noch dumm: er war neugierig von Charakter und von Beruf; denn er wurde dafür bezahlt, alles zu entdecken. Er war Diplomat; in einer weniger hohen Sphäre würde man ihn als Spion behandelt haben.
Er verließ mich, um Besuche zu machen, und versprach mir, zum Mittagessen wiederzukommen.
Doktor Vannini stellte mir einen anderen Bedienten von der Gestalt des ersten vor, einen Parmesaner; er versprach mir, dieser würde nur gehorchen und niemals versuchen, etwas zu erraten. Ich dankte dem akademischen Gastwirt und bestellte bei ihm eine üppige Mahlzeit.
Zuerst erschien die Corticelli mit ihrem Bruder, einem weibischen jungen Mann und mittelmäßigen Violinspieler, sowie mit ihrer Mutter, die mir sagte, sie würde ihrer Tochter niemals erlauben, ohne sie und ohne ihren Bruder bei Fremden zu essen.
»Dann können Sie,« sagte ich zu ihr, »sie sofort wieder mitnehmen oder diesen Dukaten annehmen, um mit ihrem Sohne zu essen, wo Sie wollen; denn ich will weder von ihm noch von Ihnen etwas wissen.«
Sie nahm den Dukaten, indem sie zu mir sagte, sie sei sicher, ihre Tochter in guten Händen zu lassen.
»Darauf können Sie sich verlassen,« antwortete ich ihr; »gehen Sie nur!«
Das Mädchen machte über mein Gespräch mit ihrer Mutter so scherzhafte Bemerkungen, daß ich unwillkürlich lachen mußte und mich in sie zu verlieben anfing. Die Corticelli war erst dreizehn Jahre alt, aber sie war so zart, daß man sie für zehnjährig gehalten hätte. Im übrigen war sie sehr hübsch gewachsen, lustig, lebhaft, witzig, geistreich und hatte eine weiße Haut, wie man sie in Italien selten findet. Trotz alledem kann ich noch jetzt nicht begreifen, wie ich mich in sie verlieben konnte.
Das ausgelassene junge Mädchen bat mich um meinen Schutz gegen den Operndirektor, einen Juden. Er hatte sich in dem mit ihr abgeschlossenen Vertrage verpflichtet, sie in der zweiten Oper einen Pas de deux tanzen zu lassen, aber er hatte sie getäuscht. Sie bat mich, den Juden zu zwingen, daß er seine Verpflichtungen einhielte, und ich versprach es ihr.
Der zweite Gast war die Parmesanerin Redegonda, ein großes schönes Mädchen, das, wie Costa mir sagte, die Schwester meines Lohndieners war; nachdem ich mich zwei oder drei Minuten mit ihr unterhalten hatte, fand ich sie meiner Aufmerksamkeit sehr würdig. Sodann kam der Abbate Gama; er gratulierte mir, als er mich zwischen zwei hübschen Mädchen sitzen sah. Ich nötigte ihn, meinen Platz einzunehmen, und er begann ihnen mit großer Zungengewandtheit Schmeicheleien zu sagen; daß die Nymphen sich über ihn lustig machten, brachte ihn nicht im geringsten aus der Fassung. Er glaubte ihnen zu gefallen; das sah ich und begriff sehr wohl, daß seine Eitelkeit ihn abhielt, zu bemerken, wie er sich lächerlich machte; aber ich ahnte nicht, daß ich selber in seinem Alter in den gleichen Fehler verfallen könnte. Wehe dem Greise, der nicht sich selber zu erkennen vermag! Weh ihm, wenn er verabsäumt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß die Weiber, die er als Jüngling verführt hat, ihn in seinem Alter verachten werden, wenn er noch nach ihrer Gunst zu streben wagt! – Zuletzt erschien meine schöne Teresa mit ihrem Gatten und meinem Sohn, den ich zärtlich umarmte, nachdem ich diese süße Pflicht seiner Mutter gegenüber erfüllt hatte. Bei Tisch setzte ich mich zwischen beide, indem ich Teresa zuflüsterte, eine so teure und geheimnisvolle Dreifaltigkeit dürfe nicht getrennt werden; diese Bemerkung trug mir das liebenswürdigste Lächeln ein. Der Abbate setzte sich zwischen Redegonda und die Corticelli und wußte uns durch reizende Bemerkungen während der ganzen Mahlzeit zu erheitern. Ich lachte im stillen über den ehrfurchtsvollen Ernst, womit mein großer Lakai seiner Schwester Redegonda den Teller wechselte; sie schien eitel darauf zu sein, eine Ehre beanspruchen zu können, die für ihren Bruder unerreichbar war. Sie war nicht großmütig; denn sie benutzte den Augenblick, um mir, ohne daß er es hören konnte, zu sagen: »Er ist ein guter Junge; unglücklicherweise versteht er gar nichts.«
Ich hatte absichtlich mir eine prachtvolle Tabaksdose in die Tasche gesteckt; sie war reich emailliert und mit einem Bildnis von vollkommener Ähnlichkeit geschmückt. Ich hatte sie in Paris anfertigen lassen in der Absicht, sie der Frau d'Urfé zu schenken; aber ich hatte sie ihr nicht gegeben, weil der Maler mich zu jung gemacht hatte. Diese Dose war mit ausgezeichnetem Havannatabak gefüllt, den Herr von Chavigny mir geschenkt hatte und den Teresa sehr gerne mochte; um sie aus meiner Tasche zu ziehen, wartete ich, bis sie mich um Tabak bäte. Abbate Gama, der sehr guten Tabak in seiner Origoneladose hatte, schickte Teresa eine Prise; sie sandte ihm darauf den ihrigen in einer mit goldenen Arabesken eingelegten Schildpattdose. Man konnte nichts Schöneres sehen. Gama kritisierte Teresas Tabak; ich tat, als fände ich ihn köstlich, erlaubte mir jedoch die Bemerkung, mein Tabak sei besser. Ich zog meine Dose aus der Tasche, reichte sie ihr offen hin und bot ihr eine Prise an. Das Portrait konnte sie nicht sehen. Sie gab zu, daß der Tabak köstlich und dem ihrigen weit überlegen sei.
»Nun, meine Gnädige, ist es Ihnen recht, wenn wir tauschen?«
»Gern! Geben Sie mir Papier!«
»Das ist nicht nötig. Wir tauschen den Tabak und die Dosen, worin er ist.«
Mit diesen Worten steckte ich Teresas Dose in die Tasche und reichte ihr die meinige geschlossen. Als sie das Bildnis sah, stieß sie einen Schrei aus, der die ganze Gesellschaft neugierig machte, und küßte, ohne sich zu besinnen, das Portrait.
»Sieh!« sagte sie zu Cesarino, »dein Bild!«
Cesarino sah sie ganz erstaunt an, und die Dose ging von Hand zu Hand. Jeder fand, daß es mich selber darstellte, wie ich vor zehn Jahren ausgesehen hätte, daß es aber auch für das Portrait Cesarinos gelten könnte. Teresa war vor Freude darüber ganz toll. Sie schwor, sie werde diese Dose niemals wieder aus den Händen lassen, stand auf und umarmte ihren Sohn zu wiederholten Malen. Unterdessen verlor ich den Abbate Gama nicht aus den Augen, und ich sah, daß er in seinem Schädel allerlei Erklärungen über diesen Auftritt zurechtzimmerte, der das volle Interesse einer unvorhergesehenen Erkennungsszene hatte.
Der gute Abbate ging gegen Abend fort, indem er mir sagte, er erwarte mich am anderen Morgen zum Frühstück.
Den Rest des Tages brachte ich damit zu, mit Redegonda schön zu tun; als Teresa sah, daß das Mädchen mir gefiel, riet sie mir, mich ihr zu erklären, und versprach mir, sie einzuladen, so oft ich wolle. Aber Teresa kannte sie nicht.
Am andern Morgen sagte Gama mir, er habe dem Marschall Botta meinen Besuch angemeldet und werde mich um vier Uhr in meinem Gasthof abholen, um mich dem Herrn vorzustellen. Immer Sklave seiner Neugier, machte der gute Abbate mir hierauf im Tone freundschaftlichster Teilnahme Vorwürfe, daß ich ihm kein Wort von dem Stande meines Vermögens gesagt hätte.
»Ich glaubte, dies sei nicht erwähnenswert, Herr Abbate; da Sie es aber interessiert, so will ich Ihnen sagen, daß mein Vermögen nicht beträchtlich ist, daß ich aber Freunde habe, deren Börsen mir offen stehen.«
»Wenn Sie wahre Freunde haben, so sind Sie reich; aber wahre Freunde sind selten.«
Von dem Abbate begab ich mich zu Redegonda, von der mein ganzes Herz voll war und die ich gern der jungen Corticelli vorgezogen hätte. Ich wollte ihr einen Besuch machen; aber welche traurige Aufnahme fand ich! Sie empfing mich in einem Zimmer, worin ihre Mutter, ihr Oheim und drei oder vier unsaubere, schlechtgekleidete Bälge, ihre Brüder, sich befanden.
»Haben Sie denn kein anständiges Zimmer, um Ihre Freunde zu empfangen?« fragte ich das Mädchen.
»Ich brauche kein anderes Zimmer, denn ich habe keine Freunde, die ich empfangen könnte.«
»Haben Sie nur das Zimmer, meine Liebe – die Freunde werden dann nicht ausbleiben. Dieses Zimmer ist ausgezeichnet, um Verwandte zu empfangen, aber es eignet sich nicht für Personen, die wie ich zu Ihnen kommen, um Ihren Reizen und Ihren Talenten zu huldigen.«
»Mein Herr,« sagte die Mutter zu mir, »meine Tochter hat nur ein schwaches Talent und bildet sich durchaus nichts auf ihre Reize ein, denn sie weiß, daß diese sehr bescheiden sind.«
»Es ist eine große Bescheidenheit von Ihnen, Signora, daß Sie so sprechen. Ich weiß diese Bescheidenheit zu schätzen; aber es sehen nicht alle Ihre Tochter mit denselben Augen an, und mir gefällt sie sehr.«
»Das ist eine Ehre für sie, und wir sind dafür nach Gebühr dankbar; aber sie macht uns nicht stolz. Meine Tochter wird Sie empfangen, so oft Sie ihr die Ehre Ihres Besuches erweisen wollen; aber nur hier, niemals an einem anderen Ort.«
»Hier, Signora, würde ich Sie zu belästigen befürchten.«
»Die Anwesenheit eines Ehrenmannes ist niemals eine Belästigung.«
Ich schämte mich; denn nichts beschämt einen Wüstling so, wie die Sprache der Scham im Munde der Armut; da ich nicht wußte, was ich der Mutter Vernünftiges antworten sollte, machte ich ihr eine Verbeugung und ging.
Ich berichtete Teresa mein Mißgeschick, und wir lachten darüber; das war auch das beste, was wir tun konnten.
»Ich werde mich freuen, dich in der Oper zu sehen,« sagte sie zu mir; »du kannst Zugang zu meinem Ankleidezimmer finden, wenn du dem Wächter an der kleinen Tür, die zur Bühne führt, ein Trinkgeld gibst.«
Der Abbate Gama holte mich seinem Versprechen gemäß ab, um mich dem Marschall Botta vorzustellen. Dieser war ein verdienstvoller Mann, den der Aufstand von Genua berühmt gemacht hatte. Er befehligte das österreichische Heer, als das Volk, voller Zorn über den Anblick dieser Fremdlinge, die nur das Land unterjochen wollten, sich erhob und sie zwang, die Stadt zu räumen. Dieser patriotische Aufruhr rettete die Republik.
Ich fand den Marschall inmitten einer zahlreichen Gesellschaft von Damen und Herren, die er verließ, um mich zu begrüßen. Er sprach mit mir über Venedig, das er ausgezeichnet kannte; dann ließ er sich von mir ausführlich über Frankreich erzählen, und ich durfte annehmen, daß meine Mitteilungen ihn befriedigten. Er selber erzählte mir darauf vom russischen Hof, an welchem er sich aufhielt, als Elisabeth Petrowna, die zur Zeit meiner Erzählung noch regierte, mit solcher Leichtigkeit den Thron ihres Vaters, Peter des Großen, bestieg. »Nur in Rußland,« sagte er mir, »weiß die Politik Gifte zweckmäßig zu benutzen.« Als die Stunde der Oper gekommen war, zog der Marschall sich zurück, und alle entfernten sich. Nachdem ich den Abbate, der mir natürlich versicherte, daß ich dem Gouverneur gefallen habe, in meinem Wagen nach Hause gebracht hatte, begab ich mich ins Theater und gelangte mittels eines Testone in Teresas Ankleidezimmer, wo ich sie unter den Händen ihrer hübschen Kammerjungfer fand.
»Ich rate dir,« sagte sie zu mir, »Redegonda in ihrem Ankleidezimmer aufzusuchen; da sie sich als Mann zu kleiden hat, wird sie dich vielleicht ihrer Toilette beiwohnen lassen.«
Ich folgte ihrem Rat; aber die Mutter wollte mir den Eintritt nicht erlauben, weil ihre Tochter im Begriff sei, sich anzukleiden. Ich versicherte ihr, ich würde während der ganzen Zeit, die sie zum Umkleiden brauchte, ihr den Rücken zuwenden; unter dieser Bedingung erlaubte sie mir einzutreten, und ließ mich vor dem Tisch Platz nehmen, auf welchem ein großer Spiegel stand, dank welchem ich ausgezeichnet Redegondas geheimste Reize gratis sehen konnte, besonders in dem Augenblick, wo sie eine Hose anzog und dabei die Beine auf höchst ungeschickte oder höchst geschickte Weise hochhob – je nach den Absichten, die sie dabei gehabt haben mag. Übrigens schadete dieses Manöver ihr nichts; denn was ich sah, gefiel mir dermaßen, daß ich jede Bedingung angenommen hätte, um mich in ihren Besitz zu setzen.
Unmöglich, sagte ich mir, kann Redegonda nicht wissen, daß ich vor einem Spiegel sitzend alles sehen muß. Dieser Gedanke entflammte mich. Ich drehte mich erst wieder um, als die Mutter mir die Erlaubnis gab, und nun bewunderte ich die Schönheit im Anzuge eines schönen Jünglings von fünf Fuß und einem Zoll, dessen Verhältnisse nichts zu wünschen übrig ließen.
Redegonda ging hinaus; ich folgte ihr, und es gelang mir, in den Kulissen mit ihr zu sprechen. Ich sagte zu ihr: »Meine Liebe, ich will ohne alle Umstände mit Ihnen reden. Sie haben mich entflammt, und ich werde sterben, wenn Sie sich weigern, mich glücklich zu machen.«
»Sie sagen nichts davon, ob Sie auch sterben würden, wenn Sie mich unglücklich machten.«
»Dies kann ich nicht sagen, weil ich den Gedanken gar nicht fassen kann. Keine Verstellung, liebe Redegonda! Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß Ihr Spiegel mich instand setzte, alles zu sehen; und ich kann nicht annehmen, daß Sie die Absicht gehabt haben sollten, mich in Feuer und Flammen zu setzen, um mich hierauf der Verzweiflung zu überlassen.«
»Was können Sie gesehen haben? Ich weiß davon nichts.«
»Das kann wohl sein; aber ich habe Sie ganz und gar gesehen. Antworten Sie mir – das ist die Hauptsache. Wie habe ich es anzufangen, um in Ihren Besitz zu gelangen?«
»Um in meinen Besitz zu gelangen? Ich verstehe Sie nicht, mein Herr! Ich bin ein anständiges Mädchen.«
»Das glaube ich. Aber Sie müssen ebenfalls überzeugt sein, daß Sie nicht weniger anständig sein werden, wenn Sie mich glücklich gemacht haben. Lassen Sie mich nicht schmachten, meine liebe Redegonda! Ich muß mein Schicksal augenblicklich erfahren!«
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen anders sagen soll, als daß es Ihnen frei steht, mich zu besuchen, so oft Sie Lust haben.«
»Wann werden Sie allein sein?«
»Allein? Es ist kaum denkbar, daß ich jemals allein bin.«
»Nun, was tut es denn auch? Mag Ihre Mutter anwesend sein; das ist mir einerlei. Wenn sie vernünftig ist, wird sie tun, als ob sie nichts sähe, und ich werde Ihnen jedesmal hundert Dukaten geben.«
»Wahrhaftig! Sie sind entweder verrückt oder Sie kennen uns nicht.«
Mit diesen Worten betrat sie die Bühne; ich aber ging zu Teresa und erzählte ihr dies Gespräch. Sie sagte mir: »Biete nur zunächst die hundert Dukaten der Mutter selber an; wenn sie sie ausschlägt, so lache die beiden aus und versuche dein Heil bei einer anderen.«
Ich ging in Redegondas Ankleidezimmer zurück, wo die Mutter jetzt allein war, und sagte ohne weitere Vorreden: »Guten Abend, Signora. Ich bin Fremder. Ich bleibe nur acht Tage hier. Ich bin in Ihre Tochter verliebt und schlage Ihnen vor, mit ihr bei mir zu soupieren. Vorausgesetzt, daß Sie gut sind, werde ich Ihnen hundert Zechinen geben, und es liegt nur an Ihnen, mich zugrunde zu richten.«
»Mein Herr, mit wem glauben Sie zu tun zu haben? Ihre Schamlosigkeit überrascht mich mit Fug und Recht. Erkundigen Sie sich, wer ich bin; erkundigen Sie sich nach der Aufführung meiner Tochter, und Sie werden sich in Zukunft dergleichen Anträge ersparen.«
»Leben Sie wohl, Signora.«
»Leben Sie wohl, Signor.«
Als ich das Zimmer verließ, begegnete ich Redegonden. Ich erzählte ihr Wort für Wort das Gespräch, das ich mit ihrer Mutter gehabt hatte, und sie lachte laut auf.
»Hab' ich's gut oder schlecht gemacht?«
»Eher gut als schlecht. Aber wenn Sie mich lieben, so besuchen Sie mich doch!«
»Ich soll Sie besuchen? Nach den Worten Ihrer Mutter?«
»Ei, warum denn nicht? Wer weiß?«
»Wer weiß! Redegonda, Sie kennen mich nicht. Leere Hoffnung vergiftet mich, und darum habe ich so geradezu mit Ihnen gesprochen.«
Ärgerlich beschloß ich, an das eigentümliche Mädchen nicht mehr zu denken. Ich ging zu Teresa zum Abendessen und verbrachte bei ihr drei entzückende Stunden. Da ich viel zu schreiben hatte, ging ich den ganzen nächsten Tag nicht aus; gegen Abend aber besuchte mich die junge Corticelli mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie wollte mich bitten, ihr mein Versprechen zu halten in bezug auf den jüdischen Theaterdirektor, der sie den im Vertrage vereinbarten Pas de deux nicht tanzen lassen wollte.
»Besuchen Sie mich morgen früh,« antwortete ich ihr; »Sie werden mit mir frühstücken, und ich werde in Ihrer Gegenwart mit Ihrem Hebräer sprechen – das heißt, wenn er kommt. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, ihn holen zu lassen.«
»Dafür werde ich Sie sehr lieb haben,« sagte das ausgelassene kleine Mädchen zu mir; »aber kann ich denn nicht ein bißchen hier bleiben?«
»Im Gegenteil, solange Sie wollen; da ich jedoch einige Briefe fertig schreiben muß, so muß ich Sie bitten, allein zu bleiben.«
»O! Ganz wie Sie wollen.«
Ich sagte Costa, er solle ihnen ein Abendessen geben.
Als meine Briefe fertig waren, bekam ich Lust, ein wenig zu scherzen. Ich ließ die Kleine sich neben mich setzen und begann mit ihr zu schäkern, jedoch auf eine Weise, daß ihre Mutter Laura nichts dagegen einwenden konnte. Plötzlich mischte sich der Bruder mit ein, worüber ich einigermaßen erstaunt war.
»Gehen Sie!« sagte ich zu ihm; »Sie sind kein Mädchen.«
Zur Antwort hierauf zeigte der kleine Halunke mir sein Geschlecht und zwar auf so unanständige Weise, daß seine Schwester, die auf meinem Schoß saß, laut auflachte und sich zu ihrer Mutter flüchtete, die aus Dankbarkeit für das gute Abendessen, womit ich sie bewirtet hatte, sich im Hintergrunde des Zimmers aufhielt. Ich stand auf, gab dem unverschämten Lustknaben eine Ohrfeige und fragte die Mutter, in welcher Absicht sie mir diesen Burschen zugeführt habe. Die niederträchtige Mutter antwortete darauf nur: »Ist er nicht ein hübscher Junge?«
Ich gab ihm als Schmerzensgeld für die Ohrfeige einen Dukaten und sagte zur Mutter: »Gehen Sie! Sie ekeln mich an!«
Der Bursche nahm meinen Dukaten, küßte mir die Hand, und alle drei entfernten sich.
Als ich zu Bett ging, mußte ich über das Abenteuer lachen. Ich dachte noch lange über die Verderbtheit einer Mutter nach, die sich ohne Bedenken so weit erniedrigt, ihren eigenen Sohn zum allergemeinsten Laster zu prostituieren.
Am nächsten Morgen ließ ich den Juden bitten, bei mir vorzusprechen. Die Corticelli kam mit ihrer Mutter, und einige Augenblicke darauf, als wir uns gerade zu Tisch setzen wollten, kam auch der Direktor.
Nachdem ich ihm die Beschwerde der jungen Tänzerin mitgeteilt hatte, las ich ihm den Vertrag vor, den er mit ihr abgeschlossen hatte, und sagte ihm in freundlichem Tone, ich würde es leicht dahinbringen, ihn zur Erfüllung seiner Versprechung anzuhalten. Der Jude brachte mehrere Entschuldigungen vor, deren Nichtigkeit die Corticelli nachwies. Seines Unrechtes überführt, versprach der Sohn Judas endlich, er wolle noch am gleichen Tage mit dem Ballettmeister sprechen, damit dieser sie den beanspruchten Tanz mit dem von ihr bezeichneten Tänzer tanzen ließe. Er hoffe hierdurch das Glück zu haben, Seiner Exzellenz zu gefallen. Diese Titelverleihung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung – ein Umstand, der besonders bei einem Juden selten ein Zeichen von Aufrichtigkeit ist.
Als die Leute sich entfernt hatten, begab ich mich zu Abbate Gama, um mit ihm zum Marschall Botta zu gehen, der uns zum Mittagessen hatte einladen lassen. Ich machte bei Tisch die Bekanntschaft des englischen Residenten Ritters Man. Er war der Abgott von ganz Florenz, sehr reich, liebenswürdig, obgleich Engländer, voll Geist und Geschmack und großer Kunstliebhaber. Auf seine Einladung besuchte ich ihn am nächsten Tage in seinem Hause, zu welchem ein hübscher Garten gehörte. In dieser Wohnung, die er selber geschaffen hatte, verriet die ganze Ausstattung: Möbel, Gemälde, ausgewählte Bücher – den geistvollen Mann.
Herr Man erwiderte meinen Besuch, lud sich bei mir zum Essen ein und hatte die liebenswürdige Aufmerksamkeit, auch Teresa, ihren Gemahl und Cesarino einladen zu lassen. Nach Tisch setzte dieser sich ans Klavier und riß die ganze Gesellschaft zu Bewunderung und Entzücken hin. Als wir auf Ähnlichkeiten zu sprechen kamen, zeigte der Ritter uns Miniaturportraits von überraschender Schönheit.
Bevor sie ging, sagte Teresa mir, sie habe ernstlich an mich gedacht.
»Wieso?«
»Ich habe Redegonda gesagt, ich würde sie abholen, zum Abendessen bei mir behalten und sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen. Dieses letztere wirst du übernehmen. Komm ebenfalls zum Essen und richte es so ein, daß dein Wagen vor der Tür wartet. Das übrige wird von selber gehen. Du wirst zwar nur einige Minuten mit ihr zusammen sein; aber das ist doch immerhin schon etwas, und ist erst mal der erste Schritt getan, so wirst du das übrige nach deinem Belieben einrichten.«
»Ausgezeichnet! Ich werde bei dir zu Abend speisen, und mein Wagen wird zur Stelle sein. Morgen sollst du alles erfahren.«
Um neun Uhr begab ich mich zu ihr. Ich wurde empfangen wie ein lieber Gast, auf den man nicht gerechnet hat. Ich sagte zu Redegonda, ich wünsche mir Glück, sie an diesem Ort zu finden, und sie antwortete mir, sie habe nicht gehofft, daß sie das Vergnügen haben werde, mich zu sehen.
Beim Abendessen hatte keiner von uns Appetit, außer Redegonda; diese aß sehr gut und lachte viel über alle Anekdoten, die ich ihr erzählte.
Nach dem Abendessen fragte Teresa die schöne Parmesanerin, ob sie wünsche, daß sie einen Tragstuhl holen lasse, oder ob sie lieber von mir in meinem Wagen nach Hause gebracht sein wollte.
»Wenn der Herr die Gefälligkeit haben will, ist der Tragstuhl nicht nötig.«
Diese Antwort erschien mir so günstig, daß ich nicht mehr an meinem Glück zweifelte. Man wünscht sich gute Nacht, man umarmt sich; sie nimmt meinen Arm und gibt ihm mit ihrer Hand einen Druck; wir gehen die Treppe hinunter, und sie steigt in den Wagen. Ich steige nach ihr ein, und als ich mich setzen will, finde ich den Platz besetzt.
»Wer ist da?« rufe ich. Redegonda lacht laut auf und antwortet mir: »Meine Mutter.«
Ich war angeführt. Ich besaß nicht den Geist, die Sache scherzhaft zu nehmen. Die Überraschung macht den Menschen dumm; sie benimmt ihm für einen Augenblick alle seine Geisteskräfte; die verletzte Eitelkeit läßt nur für den Zorn Raum.
Ich setzte mich auf den Vordersitz und fragte in kaltem Ton die Mutter, warum sie nicht heraufgekommen wäre, um mit uns zu Abend zu essen. Sie antwortete nicht.
Als der Wagen vor ihrer Tür hielt, lud die Mutter mich ein, hereinzukommen; ich antwortete ihr jedoch, ich hätte keine Lust dazu. Ich fühlte, daß ich der Mutter, wenn sie mich noch ein bißchen weiter geärgert hätte, Ohrfeigen gegeben haben würde, und der Mann, den sie bei sich hatte, sah mir nach einem Halsabschneider aus.
Ich war wütend. Meine körperliche Aufregung war ebenso groß wie meine seelische. Ich war niemals bei der Corticelli gewesen; aber überzeugt, daß ich sie gefällig finden würde, ließ ich mich zu ihr fahren. Alles lag schon zu Bett. Ich klopfte; man antwortet; ich nenne meinen Namen; man öffnet, und ich trete im Dunkeln ein. Signora Laura sagte mir, sie würde die Kerze anzünden; wenn ich ihr Bescheid gesagt hätte, würde sie trotz der Kälte auf mich gewartet haben. Es kam mir vor, als wäre ich in einem Eiskeller. Ich hörte die Kleine lachen, ging leise an das Bett heran, suchte und fand die deutlichsten Zeichen der Männlichkeit, es war ihr Bruder. Unterdessen hatte die Mutter Licht gemacht, und ich sah die Tochter, bis ans Kinn in ihre Decke gewickelt, im Bett liegen; sie war wie ihr Bruder splitternackt. Obgleich ich in solchen Sachen sehr frei denke, fand ich doch diese Niederträchtigkeit empörend.
»Warum,« fragte ich die Mutter, »erlauben Sie ein so abscheuliches Beisammenschlafen?«
»Was ist dabei? Sie sind Bruder und Schwester.«
»Gerade dies macht ihren Verkehr verbrecherisch.«
»Ihr Verkehr ist sehr unschuldig.«
»Das mag sein; aber so etwas schickt sich nicht.«
Der Junge schlüpfte aus dem Bett und kroch in das Bett seiner Mutter, während die ausgelassene kleine Närrin zu mir sagte, es mache gar nichts, denn sie liebe ihren Bruder nur wie einen Bruder und er liebe sie nur wie eine Schwester; wenn ich wünschte, daß sie allein schliefe, so brauchte ich ihr nur ein Bett zu kaufen. Ich mußte über diese naiven Bemerkungen, die sie in ihrer Bologneser Mundart vorbrachte, herzlich lachen; denn beim Sprechen und Gestikulieren hatte sie die Hälfte ihrer Schönheiten enthüllt, und ich sah nichts, was der Mühe wert war. Trotzdem war es offenbar vom Schicksal bestimmt, daß ich mich in ihre Haut verlieben sollte; denn außerdem hatte sie nichts Schönes.
Wäre sie allein gewesen, so hätte ich mich sofort über sie hergemacht; aber die Gegenwart ihrer Mutter und ihres frechen Bruders flößte mir Abscheu ein; ich befürchtete Szenen, die mein Blut in Wallung gebracht haben würden. Ich gab ihr zehn Zechinen, um sich ein Bett zu kaufen, wünschte ihr gute Nacht und entfernte mich. Auf die zimperlichen und gewissenhaften Mütter von Opernnymphen fluchend, kehrte ich nach meinem Gasthof zurück.
Den ganzen nächsten Vormittag verbrachte ich beim Ritter Man in seiner Galerie, welche wunderbare Gemälde, Bildhauerarbeiten, Mosaiksachen und geschliffene Steine enthielt. Von ihm begab ich mich zu meiner Teresa, um ihr mein Mißgeschick von der letzten Nacht zu erzählen. Sie lachte herzlich darüber, und ich lachte mit ihr, obwohl meine Eitelkeit sich eines gewissen Verdrusses nicht erwehren konnte.
»Du mußt dich darüber trösten, lieber Freund,« sagte sie mir, »und du wirst leicht einen Ersatz für sie finden.«
»Warum bist du verheiratet?«
»Ich habe auch daran gedacht; aber es ist einmal geschehen und daher nichts mehr zu machen. Weißt du, da du durchaus eine Frau haben mußt, so folge meinem Rat und nimm die Corticelli, die schließlich so gut ist wie eine andere. Sie wird dich nicht schmachten lassen.«
In meinem Gasthof fand ich den Abbate Gama, den ich zum Mittagessen eingeladen hatte. Er fragte mich, ob ich die Vertretung des portugiesischen Hofes auf dem Kongreß übernehmen wolle, der nach der damaligen Meinung von ganz Europa in Augsburg abgehalten werden solle. Er sagte mir, wenn ich den Auftrag, den er mir verschaffen würde, geschickt erledigte, würde ich in Lissabon alles erreichen, was ich nur wünschen könnte.
Ich antwortete ihm: »Ich bin bereit, alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Sie brauchen mir nur zu schreiben, und zu diesem Zweck werde ich Ihnen die Orte nennen, an denen Ihre Briefe mich bestimmt erreichen werden.«
Diese Eröffnung erregte in mir die größte Lust, Gesandter zu werden.
Am Abend in der Oper sprach ich mit dem Ballettmeister, mit dem Tänzer, der in dem Pas de deux den Partner spielen sollte, und mit dem Juden, der mir sein Versprechen wiederholte, daß mein Schützling in drei oder vier Tagen zufriedengestellt sein und daß sie während der ganzen übrigen Dauer des Karnevals ihren Lieblingstanz tanzen sollte. Ich sah die Corticelli; sie sagte mir, sie habe bereits ein Bett, und lud mich zum Abendessen ein. Ich nahm an und ging nach der Vorstellung zu ihr. Überzeugt, daß ich bezahlen würde, hatte ihre Mutter bei einem Garkoch ein ausgezeichnetes Abendessen für vier Personen und mehrere Flaschen vom besten Florentiner Wein bestellt. Sie gab mir außerdem einen Wein, den man Aleatico nennt; ich fand ihn vortrefflich und trank reichlich davon. Meine drei Gäste, die an gutes Essen und Wein nicht gewöhnt waren, aßen für vier und betranken sich. Hierauf gingen Mutter und Tochter ohne Umstände zu Bett, und die kleine Närrin lud mich ein, ihrem Beispiel zu folgen. Ich hatte wohl Lust dazu; aber ich wagte es nicht. Es war sehr kalt, und in dem Zimmer war kein Feuer. Da sie nur eine einzige Decke hatte, so befürchtete ich, mich zu erkälten, und meine Gesundheit war mir zu lieb, um mich dieser Gefahr auszusetzen, Ich begnügte mich damit, sie auf meinen Schoß zu nehmen, und nach einigen Vorspielen überließ sie sich meiner Glut. Sie suchte mich zu überzeugen, daß ich ihre Erstlinge erhielte, und ich tat, wie wenn ich dies glaubte, da ich in Wirklichkeit wenig Wert darauf legte.
Nachdem ich die Dosis drei- oder viermal erneuert hatte, verließ ich sie; ich gab ihr fünfzig Zechinen und sagte ihr, sie möchte eine gute wattierte Steppdecke kaufen und ein gutes Kohlenbecken anzünden lassen, weil ich die nächste Nacht bei ihr schlafen wollte. Am nächsten Tage erhielt ich aus Grenoble einen Brief, der mich aufs höchste interessierte. Herr von Valenglard schrieb mir, die schöne Roman sei zu der Überzeugung gekommen, daß mein Horoskop niemals in Erfüllung gehen könne, wenn sie nicht nach Paris reise, und habe sich mit ihrer Tante nach der Hauptstadt begeben.
Wie eigentümlich verband sich das Schicksal dieses reizenden Mädchens mit der Neigung, die ihre Schönheit mir eingeflößt hatte, und mit meiner Abneigung gegen die Ehe! Denn es hätte nur von mir abgehangen, die Schönste Frankreichs zu heiraten, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie dann die Geliebte Ludwigs des Fünfzehnten geworden wäre.
Und welche Fügung, daß ich den sonderbaren Einfall hatte, in meinem Horoskope zu sagen, daß sie notwendig nach Paris gehen müsse! Denn selbst wenn die Astrologie eine Wissenschaft gewesen wäre, so beherrschte ich diese nicht. Ihr Schicksal wurde durch eine große Abgeschmacktheit bestimmt. Übrigens bietet die Geschichte ja sehr viele Beispiele von außerordentlichen Ereignissen, die niemals eingetreten wären, wenn sie nicht prophezeit gewesen wären! Wir sind, fast immer ohne unser Wissen, die Urheber unseres eigenen Geschickes, und die bedingenden Notwendigkeiten der Stoiker sind bloße Chimären; der Beweis für die Macht des Schicksals erscheint nur darum stark, weil er sophistisch ist; einem eindringenden Urteil und einer vorurteilsfreien Vernunft vermag er nicht standzuhalten. Cicero machte sich mit Recht über die Stoiker und die Fatalisten lustig; aber Cicero war ein Weiser, und dies sind wenige Menschen; selbst Sokrates war es nicht, als er dem Gott der Wohlschmeckerei einen Fasan zu opfern empfahl. Ein Mann, den Cicero zum Essen eingeladen hatte, der aber nicht kommen konnte, schrieb an den großen Römer: »Wenn ich nicht gekommen bin, so ist das ein Beweis, daß das Schicksal es nicht gewollt hat.« – Cicero antwortete ihm: »Wenn du hättest kommen wollen, wärest du gekommen; und dann wäre dies ein Beweis gewesen, daß das Schicksal es gewollt hätte.«
Es sind nicht die lateinischen Worte, lieber Leser; aber ich glaube, wenn diese Römer in unserer Zeit gelebt hätten, würden sie sich so ausgedrückt haben.
Wenn die Fatalisten ihres Systems wegen gezwungen sind, die Verkettung aller Ereignisse zu behaupten, so bleibt für die moralische Freiheit des Menschen durchaus nichts übrig: die Willensfreiheit wäre eine Abgeschmacktheit, und den Menschen könnte dann weder ein Lob wegen guter noch ein Tadel wegen schlechter Handlungen treffen. Ich für meine Person verwerfe das Dogma von der Schicksalsbestimmung, und wäre es auch nur aus Selbstbewußtsein; denn ich bin durchaus nicht geneigt, in mir nur eine Maschine zu sehen.
Am Abend ging ich ins Theater, wo ich meine Corticelli in einem schönen Pelz fand. Die anderen Tänzerinnen betrachteten mich mit verächtlichen Mienen; denn sie sahen mit Verdruß, daß der Platz besetzt war; meine neue Favorite dagegen war stolz auf ihren neuen Erfolg und liebkoste mich mit einer triumphierenden Miene, die ihr zum Entzücken stand.
Am Abend fand ich bei ihr ein gutes Nachtmahl und ein gutes Kohlenbecken nebst einer warmen Decke. Die Mutter zeigte mir alles, was ihre Tochter sich gekauft hatte, und beklagte sich, daß sie ihren Bruder nicht eingekleidet hätte. Ich machte sie ganz vergnügt, indem ich ihr ein paar Louis schenkte.
Als wir im Bett lagen, fand ich meine Schöne weder verliebt noch hingerissen, aber sie war lustig und scherzhaft. Ich mußte über sie lachen, und da sie sonst in allen Dingen gefällig war, so war dies genug, um mich zu fesseln. Als ich fortging, schenkte ich ihr eine Uhr und versprach ihr, am nächsten Abend zum Essen zu kommen. Sie sollte ihren Pas de deux tanzen, und ich ging infolgedessen ins Theater; aber zu meiner großen Überraschung sah ich sie nur unter den Figurantinnen. Beim Essen war sie untröstlich. Sie sagte mir weinend, ich müsse sie wegen dieser Beschimpfung rächen; der Jude schiebe die Schuld auf den Schneider, aber er lüge. Um sie zu beruhigen, versprach ich ihr alles, und nachdem ich einige Stunden mit ihr verbracht hatte, ging ich mit dem festen Entschluß nach Hause, dem Juden ein böses Viertelstündlein zu bereiten. Ich schickte daher, sobald ich aufwachte, Costa zu ihm und ließ ihn bitten, bei mir vorzusprechen; der Flegel ließ mir jedoch nur antworten, er wisse, was ich von ihm wolle, aber er werde nicht kommen; wenn die Corticelli nicht in diesem Ballett tanzte, so würde sie in einem anderen tanzen.
Ich war entrüstet; aber ich begriff, daß ich mich verstellen müßte, und lachte nur. Sein Urteil war indessen bereits gesprochen; denn ein Italiener verzichtet nicht auf die Rache, er weiß zu gut, daß sie ein Vergnügen der Götter ist. Nachdem ich Costa fortgeschickt hatte, rief ich Leduc, erzählte ihm die Geschichte und sagte ihm, ich wäre entehrt, wenn er mich nicht räche; nur er könnte mir die Genugtuung verschaffen, den Schelm durchzuprügeln, um ihn für sein freches Benehmen zu bestrafen. »Aber du begreifst, mein lieber Leduc, wie außerordentlich wichtig es ist, die Sache geheim zu halten.«
»Ich bitte Sie nur um vierundzwanzig Stunden Zeit, gnädiger Herr; dann werde ich Ihnen eine bestimmte Antwort geben.«
Ich wußte, was er damit sagen wollte, und war zufrieden.
Am anderen Morgen sagte Leduc mir, er habe sich am vorhergehenden Tage nur damit beschäftigt, die Person des Juden und dessen Wohnung kennen zu lernen, ohne einen anderen Menschen danach zu fragen.
»Heute werde ich ihn nicht aus den Augen verlieren; ich werde erfahren, um welche Stunde er nach Hause kommt, morgen sollen Sie weiteres hören.«
»Sei vorsichtig und vertraue dich keinem Menschen an.«
»Unbesorgt!«
Am folgenden Tage sagte er mir: »Wenn der Jude zur selben Stunde und auf demselben Wege nach Hause geht, hat er heute Abend seine Prügel, bevor er sich ins Bett legt.«
»Wen hast du für diese Unternehmung ausgesucht?«
»Mich selber. Solche Sachen müssen geheim gehalten werden, und ein Geheimnis darf nicht mehr als zwei Menschen bekannt sein. Ich bin meiner Sache sicher; aber sobald Sie sicher sind, daß dem Esel die Haut gegerbt worden ist – was schaut dabei heraus?«
»Fünfundzwanzig Zechinen.«
»Famos! Sobald ich die Sache gemacht habe, hole ich meinen Überrock an dem Ort, wo ich ihn zurücklassen werde, und trete durch die Hintertür wieder ein, ohne daß ein Mensch mich sieht. Selbst Costa wird nötigenfalls mit gutem Gewissen schwören können, daß ich nicht ausgegangen sei und unmöglich den Juden verprügelt haben könne. Indessen werde ich für alle Fälle meine Taschenpistolen bei mir haben, und sollte man mich festnehmen wollen, so würde ich mich zu verteidigen wissen.«
Am andern Morgen trat er mit ganz ruhigem Gesicht ein, während Costa mir meinen Schlafrock anzog; sobald wir aber allein waren, sagte er zu mir: »Die Sache ist abgemacht. Anstatt davonzulaufen, warf der Jude sich schreiend auf die Erde, sobald er den ersten Schlag erhalten hatte. Ich gerbte ihm die Haut; als ich aber Leute herbei eilen hörte, machte ich mich aus dem Staube. Ich weiß nicht, ob ich ihn totgeschlagen habe; jedenfalls habe ich ihm zwei kräftige Hiebe auf den Kopf versetzt. Sollte er tot sein, so würde mir das leid tun; denn dann könnte er sich nicht an den Tanz erinnern.«
Ich konnte über diesen schlechten Witz nicht lachen, denn die Sache war ernst.
Ich war bei Teresa zum Essen eingeladen. Außer mir waren noch der Abbate Gama da und Herr Sassi, ein sehr liebenswürdiger Mann, wenn man anders den Namen Mann einem Wesen beilegen darf, das durch eine Barbarei von der Menschheit getrennt worden ist. Er war der erste Kastrat an der Oper. Natürlich wurde über das Mißgeschick des Juden gesprochen.
»Sein Unglück tut mir leid,« bemerkte ich, »obgleich er ein unanständiger Mensch ist.«
»Mir tut er ganz und gar nicht leid,« sagte Sassi; »denn er ist ein Spitzbube. Ich wette, alle Welt wird sagen, daß ich ihn auf diese Weise getauft habe.«
»Nein,« sagte der Abbate, »man sagt, Herr Casanova habe ihn mit Recht so behandeln lassen.«
»Man wird wohl schwerlich die Wahrheit erraten,« versetzte ich, »denn der Schelm hat so viele anständige Leute geärgert, daß eine Tracht Prügel von dem einen oder dem anderen ihm nicht erspart bleiben konnte.«
Schließlich kam das Gespräch auf andere Gegenstände, und wir speisten sehr heiter. Einige Tage darauf verließ der Jude das Bett, mit einem großen Pflaster auf der Nase. Obgleich man im allgemeinen mir die Tat zuschrieb, so sprach man doch schließlich nicht mehr davon, weil eben doch nur ein unbestimmter Verdacht vorlag. Nur die Corticelli sprach in dem Übermaß ihrer Freude und ihrer Unbesonnenheit überall, wie wenn sie sicher wäre, daß ich sie gerächt hätte; sie war wütend darüber, daß ich dies nicht zugeben wollte; wie man sich wohl denken kann, war ich zu vorsichtig, um dies zu tun; denn sie hätte mich durch ihre Unbesonnenheit an den Galgen bringen können.
Ich unterhielt mich in Florenz so gut, daß ich nicht daran dachte, so bald wieder fortzugehen. Eines Tages überbrachte Vannini mir einen Brief, den jemand bei ihm für mich zurückgelassen hatte.
Ich öffnete ihn in seiner Gegenwart und fand darin einen Wechsel von zweihundert Florentiner Talern auf Sasso Sassi. Vannini sah den Wechsel und sagte mir, er wäre gut. Ich ging in mein Zimmer, um den Brief zu lesen, und sah zu meiner Überraschung, daß er Charles Iwanoff unterzeichnet war. Er schrieb mir vom Gasthof zur Post in Pistoia und teilte mir mit, er befinde sich immer noch im Unglück und ohne Geld; er habe sich daher einem Engländer eröffnet, der von Florenz nach Lucca reise; dieser habe ihm großmütig zweihundert Taler geschenkt, indem er in seiner Gegenwart den Wechsel geschrieben habe, der an den Vorzeiger zahlbar sei. »Ich wage nicht,« fuhr er fort, »diesen Betrag in Florenz einzukassieren, weil ich befürchten müßte, dort wegen meiner unglückseligen Angelegenheit von Genua verhaftet zu werden. Ich bitte Sie daher, Mitleid mit mir zu haben, den Betrag einkassieren zu lassen und ihn mir nach Pistoia zu schicken, damit ich meinen Wirt bezahlen und abreisen kann.«
Der Dienst, den der unglückliche Mensch von mir verlangte, war dem Anschein nach sehr einfach. Aber ich konnte mich bloßstellen. Denn es konnte nicht nur der Wechsel falsch sein, sondern auch im Falle des Gegenteils erklärte ich mich, wenn auch nicht für einen Freund, so doch zum mindesten für einen Korrespondenten eines Mannes, dessen Name und Beschreibung in den Zeitungen gestanden waren. In dieser Verlegenheit beschloß ich, ihm den Wechsel persönlich zurückzugeben. Ich begab mich allein nach der Post, nahm zwei Pferde und war bald vor dem Gasthof in Pistoia angelangt. Der Wirt selber führte mich in das Zimmer des Gauners und ließ mich dann mit diesem allein. Ich blieb höchstens drei Minuten und sagte ihm: »Der Bankier Sassi kennt mich; ich wünsche nicht, daß man glauben könnte, ich stünde in irgendwelchen Beziehungen zu Ihnen. Ich rate Ihnen, das Papier ihrem Wirt zu geben; dieser kann es Herrn Sassi vorlegen und Ihnen den Betrag überbringen.«
Er antwortete mir: »Ich werde Ihren Rat befolgen.«
Ich dachte schon nicht mehr an diese Geschichte, als ich am dritten Tage Herrn Sasso Sassi und den Wirt von Pistoia bei mir eintreten sah. Der Bankier zeigte mir den Wechsel und sagte, derjenige, der ihn mir gegeben, hätte mich betrogen; erstens trüge der Wechsel nicht die Unterschrift des Engländers, auf dessen Namen er lautete; zweitens aber, selbst wenn dies der Fall wäre, so hätte der Lord kein Guthaben bei ihm und könnte daher auch keinen Wechsel auf sein Haus ziehen.
»Dieser Mann«, fuhr er fort, »hat den Wechsel diskontiert; der Russe ist abgereist. Als ich ihm erklärte, daß der Wechsel falsch sei, sagte er mir, er habe gewußt, daß Iwanoff den Wechsel von Ihnen habe, und da er Sie kenne, so habe er keinen Anstand genommen, ihm den Betrag sofort zu geben. Nun aber verlangt er, daß Sie ihm die zweihundert Taler wieder erstatten.«
»Das ist ein wahnsinniges Verlangen!«
Ich erzählte nun Herrn Sassi die Geschichte in allen Einzelheiten, zeigte ihm den Brief des Gauners und ließ den Doktor Vannini heraufkommen, der ihn mir überbracht hatte; dieser erklärte sich bereit, vor Gericht zu beschwören, daß er den Wechsel gesehen und geprüft und daß er ihn für gut gehalten habe.
Der Bankier sagte nun dem Wirt von Pistoia, er habe unrecht, von mir zu verlangen, daß ich ihm das Geld ersetze; der Mann war jedoch hartnäckig und erlaubte sich, mir zu sagen, ich spiele mit dem Russen unter einer Decke, um ihn zu betrügen.
Entrüstet lief ich nach meinem Stock; da jedoch der Bankier mich zurückhielt, so konnte der Unverschämte entfliehen, ohne Prügel zu bekommen.
»Sie sind völlig im Recht,« sagte Herr Sassi; »aber Sie müssen nichts auf das geben, was der arme Teufel in seinem Zorn gesagt hat.«
Er schüttelte mir die Hand und ging.
Am nächsten Morgen schickte der Polizeivorsteher, den man Auditor nennt, mir einen Brief und bat mich, bei ihm vorzusprechen. Ich konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein, was ich zu tun hatte; denn als Fremder mußte ich seiner Einladung folgen und diese als eine Vorladung betrachten. Er empfing mich sehr höflich, erklärte mir jedoch, ich müsse dem Wirt die zweihundert Taler ersetzen; denn dieser würde niemals diesen falschen Wechsel diskontiert haben, wenn er nicht gesehen hätte, daß der Wechsel von mir überbracht wurde. Ich antwortete ihm, er könne mich als Richter nur verurteilen, wenn er mich als Mitwirkenden an dem Gaunerstreich ansehe. Statt auf meinen berechtigten Einwand zu antworten, wiederholte er mir, ich müsse zahlen.
»Herr Auditor, ich werde nicht bezahlen.«
Er klingelte und machte mir eine Verbeugung. Ich ging hinaus und begab mich nach dem Hause des Bankiers, dem ich meine Unterredung mit dem Auditor erzählte. Er war sehr erstaunt darüber und begab sich auf meine Bitte zu dem Herrn, um ihm Vernunft beizubringen. Beim Abschied sagte ich ihm, ich würde bei Gama speisen.
Ich erzählte dem Abbé, was mir zugestoßen war; er erhob ein großes Geschrei darüber und sagte: »Ich sehe voraus, der Auditor wird bei seiner Meinung bleiben; wenn es Herrn Sassi nicht gelingt, ihn davon abzubringen, so rate ich Ihnen, den Marschall Botta von allem in Kenntnis zu setzen.«
»Ich glaube nicht, daß dies notwendig ist, denn schließlich kann der Auditor mich nicht zum Zahlen zwingen.«
»Er kann Ihnen noch Schlimmeres antun.«
»Nun, was kann er denn tun?«
»Er kann Sie ausweisen.«
»Wenn er diese Macht besitzt, so werde ich allerdings erstaunt sein, falls er unter solchen Umständen davon Gebrauch zu machen wagen sollte; aber lieber werde ich abreisen, als daß ich zahle. Gehen wir zum Marschall!«
Es war vier Uhr, als wir in das Haus des Marschalls kamen, und wir fanden bei ihm den Bankier, der ihm bereits alles mitgeteilt hatte.
»Zu meiner großen Beschämung muß ich Ihnen mitteilen,« sagte Herr Sassi zu mir, »daß der Auditor keine Vernunft annehmen will; wenn Sie in Florenz bleiben wollen, müssen Sie zahlen.«
»Ich werde abreisen, sobald ich Befehl dazu erhalte; sobald ich in einer anderen Stadt bin, werde ich die Geschichte dieser schreienden Ungerechtigkeit drucken lassen.«
»Der Urteilsspruch ist entsetzlich; er ist geradezu unglaublich!« rief der Marschall; »es tut mir wirklich leid, mich in diese Sache nicht einmischen zu können.« Nach einer kurzen Weile fuhr er fort: »Sie haben vollkommen recht, mein Herr, wenn Sie lieber abreisen als bezahlen.«
Am anderen Morgen in aller Frühe brachte ein Polizeigefreiter mir einen Brief von dem Auditor; der parteiische Beamte teilte mir darin mit, da meine Angelegenheit nicht der Art sei, daß er mich zwingen könne, den Wechsel zu bezahlen, so sehe er sich gezwungen, mir anzuzeigen, daß ich Florenz in drei Tagen und Toskana in fünf zu verlassen hätte. Er gebe mir diesen Befehl kraft seines Amtes, das ihm zur Pflicht mache, die Staatspolizei zu überwachen; ich könne jedoch zurückkehren, sobald Seine Kaiserliche Hoheit der Großherzog, an den ich gegen das Urteil appellieren könne, seinen Spruch verworfen habe.
Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf: »Ihr Befehl ist ungerecht, aber er wird buchstäblich ausgeführt werden.«
Im selben Augenblick gab ich meine Befehle, um meine Koffer zu packen und alles für die Abreise zurecht zu machen. Die drei Tage der Gnadenfrist verbrachte ich bei Teresa; den dummen Brief des Auditors hatte ich immer bei mir in der Tasche. Ich besuchte auch den liebenswürdigen Ritter Man und verabredete mit der Corticelli, sie während der Fastenzeit abzuholen und einige Zeit mit ihr in Bologna zu verbringen. Abbate Gama wich mir während dieser drei Tage nicht von der Seite und zeigte sich als mein wahrer Freund. Es war überhaupt eine Art Triumph für mich, denn überall wurde ich bedauert, wurde der Auditor verwünscht. Der Marschall Botta schien mir seine volle Billigung aussprechen zu wollen, indem er mir zu Ehren am vorletzten Tage vor meiner Abreise ein prachtvolles Diner von dreißig Gedecken gab; ich traf bei dieser Gelegenheit die vornehmste Gesellschaft von Florenz. Es war eine zarte Aufmerksamkeit, die meinem Herzen sehr wohl tat. Den letzten Tag weihte ich meiner teuren Teresa, doch konnte ich leider keinen günstigen Augenblick finden, um sie um einen letzten Trost zu bitten, den sie mir unter den Umständen nicht verweigert haben und der mir noch jetzt eine liebe Erinnerung sein würde. Wir versprachen einander sehr oft zu schreiben und küßten uns zum Abschied mit einer Glut, daß dem Gatten wohl unbehaglich dabei werden mochte.
Am nächsten Tage reiste ich ab; sechsunddreißig Stunden später war ich in Rom.
Es war gerade Mitternacht, als ich durch die Porta del Popolo fuhr; denn man kann zu jeder Stunde in die Ewige Stadt hinein. Man führte mich sofort nach der Zollwache, die immer geöffnet ist, und durchsuchte meine Koffer. Streng ist man nur in bezug auf Bücher, wie wenn man den Einfluß der Aufklärung fürchtete. Ich besaß etwa dreißig Bände, die sich alle mehr oder weniger gegen die Religion oder die päpstliche Lehre oder gegen die von dieser gelehrten Tugenden richteten. Ich wußte dies und hatte mich bereits darauf gefaßt gemacht, sie zu opfern, ohne einen Widerstand zu versuchen; denn ich hatte Ruhe nötig. Der durchsuchende Beamte sagte mir jedoch sehr höflich, ich möchte sie zählen und ihm dalassen; er würde sie mir schon am nächsten Morgen in den Gasthof bringen, wo ich abstiege. Ich tat dies, und er hielt sein Wort; er war sehr zufrieden, als er zwei Zechinen sah, die ich ihm als Belohnung reichte.
Ich stieg in der Stadt Paris an der Piazza di Spagna ab; dies war der beste Gasthof in Rom. Alle Leute lagen im Schlaf; als man mir endlich geöffnet hatte, bat man mich, in ein Zimmer im Erdgeschoß einzutreten und dort zu warten, bis man in dem für mich bestimmten Zimmer Feuer gemacht hätte. Auf allen Stühlen lagen Röcke, Unterröcke oder Hemden; während ich nach einem freien Platz suchte, hörte ich eine weibliche Stimme sagen, ich möchte mich auf das Bett setzen. Ich trat heran und sah einen lachenden Mund und zwei schwarze Augen, die wie zwei Karfunkel glänzten.
»Was für schöne Augen!« sagte ich zu ihr; »erlauben Sie mir, sie zu küssen.«
Anstatt zu antworten, verbarg sie ihren Kopf unter der Decke; sofort glitt meine unbescheidene Hand unter die Decke und berührte den Mittelpunkt; da ich sie jedoch völlig nackt fand, zog ich meine Hand zurück und bat sie wegen meiner Kühnheit um Entschuldigung. Sie machte ihren Kopf frei, und ich glaubte in ihren Blicken Dankbarkeit und Freude über meine Mäßigung zu lesen.
»Wer sind Sie, mein schöner Engel?«
»Ich bin Teresa, die Tochter des Wirtes, und dies hier ist meine Schwester.«
Es lag noch ein anderes junges Mädchen neben ihr, aber ich hatte dieses nicht bemerkt, weil es den Kopf in die Kissen vergraben hatte.
»Wie alt sind Sie?«
»Ich freue mich darauf, Sie morgen früh in meinem Zimmer zu sehen.«
»Haben Sie Damen?«
»Nein.«
»Schade; wir gehen niemals zu Herren.«
»Schieben Sie doch die Decke etwas weiter hinunter; sie hindert Sie ja am Sprechen.«
»Es ist zu kalt.«
»Reizende Teresa, Ihre schönen Augen entflammen mich!«
Als sie bei diesen Worten ihren Kopf wieder zudeckte, wurde ich kühn und überzeugte mich, daß sie ein wahrer Engel zum Anbeißen war. Nach einigen etwas lebhaften Liebkosungen zog ich meine Hand zurück, indem ich fortwährend wegen meiner Kühnheit um Verzeihung bat; als sie die Decke wieder zurückgeschoben hatte, las ich in ihren Augen mehr Glück als Zorn, und ich faßte die Hoffnung, daß sie mir noch andere Gefälligkeiten gewähren würde. Ich wollte von neuem beginnen, denn ich stand in Flammen; in diesem Augenblick kam jedoch eine sehr schöne Magd und sagte mir, mein Zimmer sei bereit und das Feuer angezündet. »Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen morgen!« sagte ich zu Teresa; sie antwortete mir nicht, sondern drehte sich um und schlief weiter.
Nachdem ich mein Mittagessen auf ein Uhr bestellt hatte, ging ich zu Bett und schlief bis Mittag, von Teresa träumend. Als ich erwachte, meldete Costa mir, er habe das Haus meines Bruders ausfindig gemacht und meinen Brief dagelassen. Es war mein Bruder Giovanni Casanova, der damals etwa dreißig Jahre alt sein mochte und ein Schüler des berühmten Raphael Mengs war. Der Künstler hatte damals seine Pension verloren, weil der König von Polen wegen des Krieges in Warschau leben mußte; denn die Preußen hielten das ganze Kurfürstentum Sachsen besetzt. Ich hatte meinen Bruder seit zehn Jahren nicht gesehen und freute mich auf das Wiedersehen. Ich saß bei Tisch, als er kam, und wir umarmten uns mit herzlicher Freude. Nachdem wir eine Stunde lang uns unsere Abenteuer erzählt hatten, er seine kleinen und ich meine großen, sagte er mir, ich solle nicht im Gasthof bleiben, wo das Leben so teuer sei, sondern solle beim Ritter Mengs mich einquartieren; dieser habe eine leerstehende Wohnung, für die ich gar nichts zu bezahlen brauche. Außerdem wohne im Hause ein Garkoch, bei dem man sehr gut esse.
»Lieber Freund,« antwortete ich ihm, »deine Ratschläge sind ausgezeichnet; aber ich habe nicht den Mut, sie zu befolgen, denn ich bin in die Wirtstochter verliebt.« Hierauf erzählte ich ihm die Geschichte der vorigen Nacht.
»Das ist nur eine Liebelei!« rief er lachend. »Du kannst sie fortsetzen ohne hier zu wohnen.«
Ich ließ mich überreden und versprach ihm, schon am nächsten Tage zu ihm zu ziehen; hierauf gingen wir aus, um uns Rom anzusehen.
Ich hatte viele Erinnerungen mitgenommen, als ich die Stadt verließ, und ich wünschte sehnlichst die Bekanntschaft mit den meisten Personen zu erneuern, die in dem glücklichen Alter der Jugend meine Teilnahme erregt hatten, wo die Eindrücke so dauerhaft sind, weil mehr das Herz sie empfängt als der Geist; aber ich mußte auf viele Enttäuschungen gefaßt sein, denn zwischen meiner Abreise und meiner Rückkehr war eine lange Zeit verflossen.
Ich eilte nach der Minerva, um Donna Cecilia aufzusuchen; sie weilte nicht mehr unter den Lebenden. Ich erkundigte mich nach der Wohnung ihrer Tochter Angelica und suchte diese auf; aber sie empfing mich schlecht und sagte, sie erinnere sich kaum noch, mich gekannt zu haben.
»Als ich Sie sah,« antwortete ich ihr, »ging es mir beinahe wie Ihnen; denn Sie sind nicht mehr die Angelica von ehedem. Leben Sie wohl, Signora!«
Die Jahre hatten eine Macht auf ihr Gesicht ausgeübt, die nicht zu ihrem Vorteil war.
Nachdem ich erfahren hatte, wo der Sohn des Buchdruckers wohnte, der Barbaruccia geheiratet hatte, sparte ich mir das Vergnügen, sie zu sehen, für einen anderen Tag auf; ebenso auch das Wiedersehen mit dem ehrwürdigen Pater Georgi, der in Rom in hohem Ansehen stand. Gasparo Vivaldi hatte sich auf das Land zurückgezogen.
Mein Bruder führte mich zu Signora Cherubini. Ich fand ein Haus von großem Ton, dessen Dame mich nach römischer Art empfing. Ich fand sie anziehend, und ihre Tochter noch mehr; aber es kam mir vor, als ob die Anbeter aller Art zu zahlreich seien. Überall herrschte ein Scheinluxus, der auf mich einen unangenehmen Eindruck machte; die Töchter, von denen die eine bildschön war, schienen mir zu höflich gegen alle Anwesenden zu sein. Man richtete eine interessante Frage an mich, auf die ich so antwortete, daß man eine zweite Frage hätte stellen müssen; ich sah mich in meiner Erwartung getäuscht, doch machte ich mir nicht viel daraus. Ich bemerkte, daß die Stellung der Person, die mich vorgestellt hatte, einen falschen Begriff von meiner Bedeutung gab. Als ich nun einen Abbate sagen hörte: »Es ist Casanovas Bruder«, wendete ich mich zu ihm mit den Worten: »Der Ausdruck ist nicht richtig; Sie hätten sagen müssen, Casanova sei mein Bruder.«
»Das kommt auf dasselbe hinaus.«
»Durchaus nicht, Herr Abbate.«
Der Ton, worin ich diese Worte sprach, erregte Aufmerksamkeit, und ein anderer Abbate sagte: »Der Herr hat vollkommen recht; es kommt nicht auf dasselbe hinaus.«
Der erste Abbate antwortete nicht. Derjenige, der meine Partei ergriffen hatte und mit dem ich mich von diesem Augenblick an befreundete, war der berühmte Winkelmann, der zwölf Jahre später so unglücklich in Triest ermordet wurde.
Wählend ich mich mit ihm unterhielt, trat der Kardinal Alessandro Albani ein. Winkelmann stellte mich dieser fast blinden Eminenz vor; sie sprach viel mit mir, sagte mir aber nichts, was der Mühe wert gewesen wäre. Als er erfuhr, daß ich der Casanova sei, der aus den Bleikammern entflohen war, beging er die Dummheit, mir in einem wenig höflichen Ton zu sagen, er wäre erstaunt, daß ich die Kühnheit besäße, nach Rom zu kommen, wo auf Veranlassung der Venetianischen Staats-Inquisitoren ein Ordine Santissimo mich sofort zur Abreise nötigen würde. Ärgerlich über diese unpassende Bemerkung, antwortete ich ihm in würdevollem Ton: »Aus meinem Erscheinen in Rom dürfen Eure Eminenz nicht auf meine Kühnheit schließen, denn ich habe ja nichts zu befürchten; wohl aber würde ein Mensch von gesunder Vernunft über die Kühnheit der Inquisitoren erstaunt sein, wenn sie sich so weit vergessen sollten, einen Ordine Santissimo gegen mich zu beantragen; denn sie würden in großer Verlegenheit sein, wenn sie sagen sollten, wegen welchen Verbrechens sie mich niederträchtigerweise meiner Freiheit beraubt haben.«
Diese etwas derbe Antwort brachte die Eminenz zum Schweigen. Er schämte sich, mich für einen Dummkopf gehalten zu haben und zu sehen, daß ich ihm den Dummkopf zurückgab. Wenige Augenblicke darauf verließ ich das Haus, das ich nicht wieder betreten habe.
Abbate Winkelmann ging mit mir und meinem Bruder; er begleitete mich nach meinem Gasthof und erwies mir die Ehre, zum Abendessen zu bleiben. Winkelmann war der zweite Band des berühmten Abbé de Voisenon. Am nächsten Morgen holte er mich ab, und wir gingen in die Villa Albani, um den Ritter Mengs aufzusuchen, der damals dort wohnte, um ein Deckengemälde zu verfertigen.
Mein Wirt Roland, der meinen Bruder kannte, machte mir eincn Besuch, als wir beim Abendessen saßen. Roland stammte aus Avignon und war ein Lebemann. Ich sagte ihm, ich müßte zu meinem Bedauern sein Haus verlassen und bei meinem Bruder wohnen, weil ich mich in seine Tochter Teresa verliebt hätte, obgleich ich mit ihr nur wenige Minuten gesprochen und weiter nichts als ihren Kopf gesehen hätte.
»Ich wette. Sie haben sie im Bett gesehen.«
»Ganz recht, und ich habe große Lust, ihre ganze Figur zu sehen. Wollen Sie sie in allen Ehren einen Augenblick kommen lassen?«
»Recht gern!«
Sie kam herauf, sehr erfreut, von ihrem Vater gerufen worden zu sein. Sie hatte eine schlanke und elegante Figur; ihre Karfunkelaugen waren stets der schönsten Wirkung sicher; ihre Gesichtszüge waren schön, ihr Mund außerordentlich anmutig. Im ganzen jedoch zerstörte sie den Eindruck, den sie in dem Halbdunkel auf mich hervorgebracht hatte, worin der Zufall sie meinen Augen zum erstenmal dargeboten hatte. Dagegen warf mein armer Bruder sein Auge auf sie und wurde ihr Sklave. Er heiratete sie im nächsten Jahr und nahm sie zwei Jahre später mit sich nach Dresden. Dort sah ich sie fünf Jahre später mit einem hübschen Püppchen; aber nach einer zehnjährigen Ehe starb sie an der Schwindsucht.
Ich fand Mengs in der Villa Albani; er war in seiner Kunst unermüdlich und ein großes Original in seinem Beruf. Er nahm mich freundlich auf und sagte mir, er sei glücklich, mich in Rom in seiner Wohnung aufnehmen zu können; er hoffe in wenigen Tagen mit seiner ganzen Familie nach der Stadt zurückkehren zu können. Die Villa Albani setzte mich in Erstaunen. Kardinal Alessandro hatte dieses Haus erbauen lassen und hatte dazu, um seinen Geschmack an Altertümern zu befriedigen, nur antikes Material verwandt; denn nicht nur Statuen und Vasen, sondern auch Säulen und Piedestale waren griechisch – mit einem Wort, alles war griechisch. Er war selber ein feiner Grieche und ausgezeichneter Kenner und soll für dieses Meisterwerk, das seine Kunst geschaffen hat, verhältnismäßig sehr wenig Geld ausgegeben haben, übrigens kaufte er sehr häufig auf Kredit wie Damasippus, und so konnte man nicht sagen, daß er sich zugrunde richtete. Hätte ein Monarch diese Villa bauen lassen, so würde sie ihm fünfzig Millionen gekostet haben; aber der Kardinal wußte es viel billiger einzurichten. Da er sich keine antiken Wand- und Deckengemälde verschaffen konnte, mußte er sie sich wohl malen lassen, und Mengs war unbestritten der größte Maler und fleißigste Mensch seines Zeitalters. Es ist sehr bedauerlich, daß der Tod ihn mitten aus seiner Laufbahn hinweggerissen hat, denn er würde seiner Kunst noch eine Menge schöner Werke geschenkt haben. Mein Bruder hat niemals etwas hervorgebracht, um den Namen eines Schülers dieses großen Künstlers zu rechtfertigen. Wenn ich wieder zu meinen Erlebnissen in Spanien im Jahre siebzehnhundertundsechzig komme, werde ich mich ausführlich mit Mengs beschäftigen.
Sobald ich mich bei meinem Bruder eingerichtet hatte, nahm ich einen Wagen, einen Kutscher und einen Bedienten, die ich in eine Phantasielivree kleiden ließ. Dann stellte ich mich dem Auditore della Ruota, Monsignore Cornaro, vor, um durch ihn Eingang in die hohe Gesellschaft zu finden. Er fürchtete jedoch sich in seiner Eigenschaft als Venetianer bloßzustellen und stellte mich dem Kardinal Passionei vor, der mit dem erhabenen Pontifex über mich sprach. Bevor ich jedoch hierüber berichte, muß ich meinen Lesern erzählen, was mir begegnete, als ich bei diesem seltsamen Kardinal, der ein großer Feind der Jesuiten, ein geistvoller Mann und ein ausgezeichneter Kenner der Literatur war, meinen zweiten Besuch machte.