Casanova
Erinnerungen
Casanova

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Achtzehntes Kapitel

Ich schicke die Corticelli nach Turin. – Helenens Einweihung in die Mysterien der Liebe. – Abstecher nach Lyon. – Ankunft in Turin.

Madame Saxe war ganz danach angetan, die Huldigungen eines Verliebten anzuziehen, und wenn sie nicht einen eifersüchtigen Offizier gehabt hätte, der sie niemals aus dem Auge verlor und immer so aussah, wie wenn er jedem, der sie schön zu finden und ihr zu gefallen wagte, die Gurgel abschneiden würde, so würde es ihr wahrscheinlich an Anbetern nicht gefehlt haben. Der Offizier liebte das Pikettspiel, aber Madame mußte dabei beständig ihm zur Seite sitzen, was sie übrigens mit Vergnügen zu tun schien.

Ich machte nach Tisch meine Partie mit ihm, und zwar fünf oder sechs Tage lang. Dann wurde ich der Sache überdrüssig, weil er aufstand, sobald er zehn oder zwölf Louis gewonnen hatte. Der Offizier hieß d'Entragues, war ein schöner Mann, obwohl mager, und besaß sowohl Geist wie auch gewandte Umgangsformen.

Wir hatten zwei Tage lang nicht gespielt, als er nach dem Mittagessen mich fragte, ob ich nicht wünsche, daß er mir Revanche gebe.

»Ich mache mir nichts daraus,« antwortete ich ihm, »denn wir sind als Spieler zu verschieden. Ich spiele nur zu meinem Vergnügen, weil das Spiel mir Spaß macht; Sie dagegen spielen nur, um zu gewinnen.«

»Wieso? Sie beleidigen mich.«

»Das ist nicht meine Absicht; aber jedesmal, wenn wir miteinander gespielt haben, ließen Sie mich nach einer Stunde im Stich.«

»Das kann Ihnen doch nur angenehm sein; denn da Sie nicht so gut spielen wie ich, so würden Sie notwendigerweise viel verlieren.«

»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht.«

»Ich kann es Ihnen beweisen.«

»Einverstanden! Aber der erste, der die Partie aufgibt, verliert fünfzig Louis.«

»Mir ist es recht, aber nur um bares Geld!«

»Ich spiele niemals anders.«

Ich befahl dem Kellner, Karten zu bringen, und holte vier oder fünf Rollen von hundert Louis. Wir begannen das Hundert zu fünf Louis zu spielen, nachdem jeder fünfzig Louis für die Wette beiseite gelegt hatte.

Es war drei Uhr, als wir zu spielen anfingen, und um neun Uhr sagte d'Entragues zu mir, wir könnten zum Abendessen gehen.

»Ich habe keinen Hunger,« antwortete ich; »aber es steht Ihnen frei, aufzustehen, wenn Sie gestatten, daß ich die hundert Louis in meine Tasche stecke.«

Er lachte und spielte weiter; die schöne Dame aber schmollte mit mir. Dieses rührte mich jedoch nicht. Alle Zuschauer gingen zum Abendessen und kamen dann wieder, um uns bis Mitternacht Gesellschaft zu leisten; dann blieben wir allein. D'Entragues sah nun, worauf er sich eingelassen hatte, und sprach kein Wort; auch ich öffnete meine Lippen nur, um zu zählen; wir spielten mit vollkommener Ruhe.

Um sechs Uhr in der Frühe begannen die Brunnentrinker und -trinkerinnen zu erscheinen. Alle beglückwünschten uns zu unserer Ausdauer, wir aber saßen mit verdrießlichen Gesichtern da. Die Louis lagen haufenweise auf dem Tisch; ich hatte ungefähr hundert Louis verloren, obwohl ich gute Karten gehabt hatte.

Um neun Uhr kam die schöne Saxe, und wenige Augenblicke später erschien Frau von Urfé mit Herrn von Schaumburg. Die Damen rieten uns beiden, eine Tasse Schokolade zu trinken. D'Entragues erklärte sich zuerst damit einverstanden; er glaubte, ich sei mit meiner Kraft zu Ende, und sagte zu mir: »Wir wollen abmachen, daß der die Wette verloren haben soll, der zuerst etwas zu essen bestellt oder sich auf länger als eine Viertelstunde entfernt oder auf seinem Stuhl einschläft.«

»Ich nehme Sie beim Wort!« rief ich, »und bin mit jeder anderen erschwerenden Bedingung einverstanden, die Sie vorschlagen mögen.«

Die Schokolade kam; wir tranken sie und spielten dann weiter. Mittags wurden wir zum Essen gerufen, aber wir antworteten gleichzeitig, wir hätten keinen Hunger. Gegen vier Uhr ließen wir uns überreden, eine Tasse Fleischbrühe zu trinken. Als es Zeit zum Abendessen wurde, fingen alle an zu merken, daß die Sache ernst wurde. Madame Saxe schlug uns vor, die Wette zu teilen. D'Entragues, der hundert Louis von mir gewonnen hatte, wäre gern auf den Vorschlag eingegangen; ich widersetzte mich jedoch, und Baron von Schaumburg fand, daß ich nicht unrecht hätte. Mein Gegner hätte seine Wette im Stich lassen und aufhören können; er wäre immer noch im Gewinn gewesen. Ihn hielt jedoch mehr Habsucht als Eitelkeit davon ab. Mir war der Verlust nicht gleichgültig; aber es handelte sich für mich viel mehr um die Ehre. Ich sah frisch aus, während mein Gegner das Aussehen eines ausgegrabenen Leichnams hatte; dieser Eindruck wurde besonders durch seine Magerkeit hervorgerufen. Als Madame Saxe in mich drang, sagte ich ihr, ich sei in Verzweiflung, die Wünsche einer reizenden Frau nicht erfüllen zu können, die in jeder Hinsicht viel größerer Opfer würdig sei; im vorliegenden Fall handele es sich aber darum, wer recht behalten solle, und infolgedessen sei ich entschlossen, entweder zu siegen oder meinem Gegner den Sieg erst in dem Augenblick zu überlassen, wo ich tot hinsinken würde.

Indem ich so sprach, hatte ich eine doppelte Absicht; ich wollte d'Entragues durch meine Entschlossenheit einschüchtern, und ich wollte ihn ärgern, indem ich ihn eifersüchtig machte; da ein Eifersüchtiger alles doppelt sieht, so hoffte ich, er werde schlechter spielen. Wenn ich die fünfzig Louis der Wette gewann, so brauchte ich mich nicht darüber zu ärgern, daß ich hundert durch sein überlegenes Spiel verlor.

Die schöne Madame Saxe warf mir einen verächtlichen Blick zu und ging; Madame d'Urfé aber, die mich für unfehlbar hielt, rächte mich, indem sie im Tone tiefster Überzeugung zu Herrn d'Entragues sagte: »Mein Gott, lieber Herr, wie bedaure ich Sie!«

Bis zum Abendessen kam die Gesellschaft nicht wieder in den Saal; man ließ uns unseren Handel unter vier Augen austragen. Wir spielten die ganze Nacht, und ich gab ebenso aufmerksam auf das Gesicht meines Gegners acht wie auf das Spiel. Seine Züge wurden allmählich verstört, und er machte Fehler; er brachte seine Karten durcheinander, zählte falsch und legte oft verkehrt weg. Ich war wohl kaum weniger erschöpft als er; ich fühlte, wie ich immer schwächer wurde, und hoffte jeden Augenblick, ihn tot hinsinken zu sehen, denn ich fürchtete, trotz meiner starken Körperbeschaffenheit besiegt zu werden. Bei Tagesanbruch hatte ich mein Geld wiedergewonnen; als d'Entragues einmal hinausgegangen war, stritt ich mit ihm darüber, daß er länger als eine Viertelstunde fortgewesen sei. Dieser vom Zaune gebrochene Streit machte ihn wütend und munterte mich auf; dies war eine natürliche Wirkung der Verschiedenheit unserer Temperamente. Es war ein Spielerkniff, der wohl wert ist, daß Ethiker und Psychologen ihn studieren. Meine List gelang mir, weil sie nicht vorher überlegt war und daher nicht vorausgesehen werden konnte. Bei Armeebefehlshabern ist es nicht anders: eine Kriegslist muß im Kopfe eines Feldherrn entspringen; es ergibt sich aus den Umständen, aus dem Zufall und aus der Gewohnheit, schnell die Beziehungen von Menschen und Dingen zu erfassen.

Um neun Uhr erschien Madame Saxe; ihr Liebhaber war im Verlust.

»Jetzt, mein Herr,« sagte sie zu mir, »könnten Sie wohl nachgeben.«

»Meine Gnädige, in der Hoffnung, Ihnen zu gefallen, bin ich bereit, meine Wette zurückzuziehen und auf das übrige zu verzichten.«

Diese Worte, die ich in einem Ton gezierter Galanterie sprach, erregten den Zorn des Herrn d'Entragues; er sagte ärgerlich, er würde nicht eher aufhören, als bis einer von uns beiden zu Boden sänke.

»Sie sehen, sehr liebenswürdige Dame, daß nicht ich der Eigensinnige bin.« Dabei machte ich verliebte Augen, deren Blick in meinem Zustande wohl nicht sehr durchdringend sein mochte.

Man ließ uns eine Fleischbrühe bringen; d'Entragues aber, der auf dem höchsten Grade der Schwäche angelangt war, wurde nach dem Genuß des Getränkes so unwohl, daß er auf seinem Stuhl hin- und herschwankte und schweißüberströmt in Ohnmacht sank. Man trug ihn schnell hinaus. Ich gab dem Kellner, der zweiundvierzig Stunden lang Dienst gehabt hatte, sechs Louis, steckte mein Gold in die Taschen und ging dann, nicht zu Bett, sondern zu einem Apotheker, von dem ich mir ein leichtes Brechmittel geben ließ. Hierauf ging ich zu Bett und schlummerte ein paar Stunden; gegen drei Uhr speiste ich mit dem besten Appetit zu Mittag.

D'Entragues ging erst den nächsten Tag aus. Ich war darauf gefaßt, daß er Händel mit mir anfangen würde; aber ich hatte mich geirrt: guter Rat kommt über Nacht. Sobald er mich sah, kam er auf mich zu, umarmte mich und sagte: »Ich hatte eine wahnwitzige Wette angenommen, aber Sie haben mir eine Lehre gegeben, deren ich mich mein Leben lang erinnern werde, und ich bin Ihnen dankbar dafür.«

»Das freut mich; ich hoffe nur, die Anstrengung hat Ihrer Gesundheit nicht geschadet.«

»Nein, ich befinde mich sehr wohl; aber wir werden nicht mehr miteinander spielen.«

»Hoffentlich wenigstens nicht mehr gegeneinander.«

Acht oder zehn Tage später machte ich der Frau von Urfé das Vergnügen, mit ihr und der falschen Lascaris nach Basel zu fahren. Wir wohnten bei dem berüchtigten Imhoff, der uns die Haut über die Ohren zog; aber »Die drei Könige« waren der beste Gasthof der Stadt. Ich erwähnte wohl bereits eine der Eigentümlichkeiten der Stadt Basel: nämlich daß dort um elf Uhr Mittag ist. Dieser Unsinn beruht auf einem historischen Ereignis, das der Fürst von Pruntrut mir erzählt hat, das ich aber vergessen habe. Die Baseler sollen an einer Art von Verrücktheit leiden, von der die Quellen von Sulzbach sie befreien, die sie aber bald wieder befällt, wenn sie zu Hause sind.

Wir wären einige Zeit in Basel geblieben, wenn ich mich nicht über einen Vorfall geärgert und infolgedessen unsere Abreise beschleunigt hätte.

Ich hatte notgedrungen der Corticelli halb und halb verziehen, und wenn ich früh nach Hause kam, aß ich mit dem törichten Mädchen und Frau von Urfé zu Abend; hierauf brachte ich die Nacht mit ihr zu; wenn ich dagegen später nach Hause kam, was ziemlich häufig der Fall war, so schlief ich allein in meinem Zimmer. Die Spitzbübin schlief ebenfalls allein in einer Kammer, die an das Zimmer ihrer Mutter anstieß, und man mußte durch dieses Zimmer hindurchgehen, wenn man zur Tochter wollte.

Eines Nachts kam ich um ein Uhr nach Hause. Ich hatte keine Lust, zu schlafen, zog meinen Schlafrock an, nahm eine Kerze und suchte meine Schöne auf.

Ich war ein wenig überrascht, die Zimmertür der Signora Laura halb offen zu finden. Im Augenblick, wo ich eintreten wollte, streckte die Alte ihren Arm aus, packte mich am Schlafrock und bat mich, nicht bei ihrer Tochter einzutreten.

»Warum nicht?«

»Sie ist den ganzen Abend sehr krank gewesen und hat Schlaf nötig.«

»Schön! Ich werde ebenfalls schlafen.«

Mit diesen Worten stieß ich die Alte zurück, trat bei der Tochter ein und fand diese mit einem Mann im Bett liegen, der sich unter der Decke versteckte. Nachdem ich einen Augenblick dieses Gemälde angesehen hatte, lachte ich laut auf, setzte mich auf das Bett und fragte sie, wer der glückliche Sterbliche sei, den ich aus dem Fenster werfen müsse. Ich sah neben ihr auf einem Stuhl Rock, Hose, Hut und Stock des Besuchers; da ich gute Pistolen in meinen Taschen hatte, so wußte ich, daß für mich nichts zu befürchten war; aber ich wollte keinen Lärm machen.

An allen Gliedern zitternd, die Augen voller Tränen, ergriff sie meine Hand und rief: »Ich beschwöre Sie, verzeihen Sie: es ist ein junger Kavalier, dessen Namen ich nicht kenne.«

»Ein junger Herr, dessen Namen du nicht kennst, Spitzbübin? Nun, so wird er mir seinen Namen selber sagen.«

Mit diesen Worten nahm ich eine Pistole und entblößte mit einem Ruck den Kuckuck, der nicht ungestraft seine Eier in mein Nest gelegt haben sollte. Ich sah einen jungen Mann, den ich nicht kannte. Sein Kopf war mit einem seidenen Tuch umwickelt, im übrigen war er nackt wie ein kleiner Adam. Ebenso nackt war die schamlose Corticelli. Er drehte mir den Rücken zu und langte nach seinem Hemd, das er in das Bettgäßchen geworfen hatte; ich packte ihn jedoch am Arm und verhinderte ihn, irgendeine Bewegung zu machen, denn die Mündung meiner Pistole sprach eine unwiderstehliche Sprache.

»Wer sind Sie, schöner Herr, wenn ich bitten darf?«

»Ich bin der Baseler Domherr Graf B.«

»Glauben Sie hier eine geistliche Verrichtung zu vollziehen?«

»O nein! Ich bitte Sie, mein Herr, verzeihen Sie mir und verzeihen Sie auch Madame; denn ich bin der einzige Schuldige.«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt.«

»Mein Herr, die Frau Gräfin ist vollkommen unschuldig.«

Ich war in glücklicher Stimmung; infolgedessen war ich durchaus nicht zornig, sondern konnte mich kaum des Lachens enthalten; das Gemälde hatte in meinen Augen etwas Anziehendes, weil es komisch und zugleich wollüstig war. Das Gesamtbild dieser beiden zusammengekauerten nackten Leiber war im höchsten Grade sinnlich anregend; ich betrachtete es eine gute Viertelstunde lang, ohne ein Wort zu sagen, und bemühte mich während dieser ganzen Zeit, eine starke Versuchung zu bekämpfen, die ich empfand, nämlich die, mich zu ihnen zu legen. Ich überwand sie nur, weil ich befürchtete, in dem Domherrn einen Dummkopf zu finden, der nicht imstande war, würdig eine Rolle zu spielen, die ich an seiner Stelle wunderbar durchgeführt haben würde. Die Corticelli, der ein Übergang vom Weinen zum Lachen keine Mühe machte, würde ihre Rolle entzückend gespielt haben; hätte ich mich aber, und das befürchtete ich, an einen Dummkopf gewandt, so würde ich mich erniedrigt haben.

Überzeugt, daß weder er noch sie erraten hatte, was in mir vorging, stand ich auf und befahl dem Domherrn, sich anzukleiden. Ich sagte zu ihm: »Diese Geschichte muß stillschweigend begraben werden; aber wir werden miteinander ein paar hundert Schritte von hier an einen stillen Ort gehen und uns mit diesen Pistolen übers Schnupftuch schießen.«

»Ach, mein verehrter Herr,« rief der Ritter von der traurigen Gestalt, »führen Sie mich, wohin Sie wollen, und schießen Sie mich tot, wenn Sie es durchaus wollen; aber mich mit Ihnen zu schlagen, dazu bin ich nicht der Mann.«

»Wirklich nicht?«

»Nein, mein verehrter Herr; ich bin nur Priester geworden, um mich dieser unangenehmen Verpflichtung zu entziehen.«

»Sie sind also ein Feigling und bereit, Prügel zu bekommen?«

»Was Sie wollen! Aber es wäre barbarisch von Ihnen, denn die Liebe hat mich blind gemacht. Ich bin erst vor einer Viertelstunde in diese Kammer eingetreten; Madame schlief und ihre Gesellschaftsdame ebenfalls.«

»Das lügen Sie andern vor!«

»Ich hatte eben gerade mein Hemd ausgezogen, als Sie eintraten, und vorher war ich niemals mit diesem Engel zusammengewesen.«

»Das ist so wahr wie das Evangelium!« rief das Frauenzimmer.

»Wissen Sie was? Sie sind beide freche, schamlose Menschen. Und Sie, mein schöner Domherr und Mädchenverführer, Sie verdienten wohl, daß ich Sie wie einen kleinen Laurentius rösten ließe.«

Unterdessen hatte der unglückselige Domherr sich in seine Kleider geworfen.

»Folgen Sie mir, mein Herr!« sagte ich in eisigkaltem Ton zu ihm. Ich führte ihn auf mein Zimmer.

Dort sagte ich zu ihm: »Was werden Sie tun, wenn ich Ihnen verzeihe und Ihnen gestatte, das Haus zu verlassen, ohne Sie zu entehren?«

»Ach, mein Herr, ich werde spätestens in einer Stunde abreisen, und Sie werden mich nicht mehr hier sehen; wo Sie mir auch in Zukunft begegnen mögen, Sie können sich darauf verlassen, in mir einen Mann zu finden, der bereit ist, alles für Sie zu tun.«

»Schön! Gehen Sie und sehen Sie sich in Zukunft besser vor, wenn Sie auf Liebesabenteuer ausziehen!«

Sehr zufrieden mit dem, was ich gesehen und was ich getan hatte, legte ich mich zu Bett; denn ich gewann hierdurch völlige Freiheit, nach meinem Belieben mit der Spitzbübin zu verfahren. Am nächsten Morgen ging ich gleich nach dem Aufstehen zur Corticelli und bedeutete ihr in ruhigem aber gebieterischem Ton, sie solle sofort ihre Sachen packen; zugleich verbot ich ihr, bis zum Augenblick, wo sie in den Wagen steigen würde, ihr Zimmer zu verlassen.

»Ich werde sagen, ich sei krank.«

»Sage, was du willst; aber man wird deinen Bemerkungen nicht die geringste Beachtung schenken.«

Ohne weiter Einwände abzuwarten, suchte ich Frau von Urfé auf und erzählte ihr mit scherzhaften Ausschmückungen die Geschichte der Nacht, worüber sie herzlich lachte. Diese Stimmung brauchte ich gerade, um das Orakel zu fragen, was wir tun sollten, nachdem wir den schlagenden Beweis erhalten hätten, daß die junge Lascaris von dem als Priester verkleideten schwarzen Dämon geschändet war. Das Orakel antwortete, wir müßten am nächsten Tage nach Besançon abreisen; von dort müsse sie mit ihrer Kammerfrau und Bedienten nach Lyon fahren, wo sie mich zu erwarten hätte. Ich dagegen würde die junge Gräfin und ihre Gesellschaftsdame nach Genf bringen und dort die nötigen Anordnungen treffen, um sie in ihre Heimat zurückzuschicken.

Die gute Geisterseherin war entzückt über diese Verordnung; sie sah darin nur einen Beweis des Wohlwollens vonseiten des guten Selenis, der ihr auf diese Weise das Glück verschaffen wollte, den kleinen d'Aranda wiederzusehen. Wir kamen überein, daß ich im Frühling des nächsten Jahres wieder mit ihr zusammentreffen sollte, um die große Operation zu vollziehen, durch die sie als Mann wiedergeboren werden sollte. Sie fand diese Operation unfehlbar und vollkommen vernunftgemäß.

Am nächsten Tage war alles fertig, und wir fuhren ab: Frau von Urfé und ich in der Berline, die Corticelli, ihre Mutter und die beiden Kammerzofen in dem anderen Wagen. Von Besançon aus fuhr Frau von Urfé mit ihren Bediensteten weiter; ich aber reiste am nächsten Tage mit Mutter und Tochter nach Genf. Dort stieg ich wie immer in der »Wage« ab.

Während der ganzen Reise sprach ich nicht nur kein Wort mit meiner Begleiterin, sondern würdigte sie nicht mal eines einzigen Blickes. Ich ließ sie mit einem Bedienten aus der Freigrafschaft essen, den ich auf die Empfehlung des Herrn von Schaumburg angenommen hatte.

In Genf ging ich zu meinem Bankier und bat ihn, mir einen sicheren Fuhrmann zu besorgen, der zwei alleinstehende Frauen, für die ich mich interessierte, nach Turin bringen könnte. Zugleich übergab ich ihm fünfzig Louis für einen Wechsel auf Turin.

In meinen Gasthof zurückgekehrt, schrieb ich an den Chevalier Raiberti und schickte ihm den Wechsel. Ich teilte ihm mit, er werde drei oder vier Tage nach dem Empfang meines Briefes eine bolognesische Tänzerin mit ihrer Mutter ankommen sehen, die ihm einen Empfehlungsbrief geben werde. Ich bat ihn, die beiden Frauen in einem anständigen Hause unterzubringen und für meine Rechnung ihren Unterhalt zu bezahlen. Zugleich schrieb ich ihm, er werde mich zu großem Dank verpflichten, wenn er es durchsetzen könne, daß sie während des Karnevals als Tänzerin auftrete, wäre es auch ohne Bezahlung, und wenn er ihr sagen wolle, daß ich mich von ihr lossagen würde, wenn ich bei meiner Ankunft in Turin etwas Ungünstiges über sie hören sollte.

Am nächsten Tage stellte ein Schreiber des Herrn Tronchin mir den Fuhrmann vor, der mir sagte, er sei bereit, gleich nach dem Essen abzureisen. Nachdem ich die zwischen ihm und dem Bankier getroffene Vereinbarung bestätigt hatte, ließ ich die beiden Corticelli kommen und sagte zum Fuhrmann: »Dies sind die beiden Personen, die Sie zu befördern haben; sie werden Ihnen den Fuhrlohn bezahlen, sobald Sie in vier und einem halben Tag mit ihrem Gepäck sicher in Turin angekommen sind, wie es in dem Vertrage geschrieben steht, von dem sie eine Ausfertigung bei sich haben und Sie die andere.«

Eine Stunde darauf fuhr er vor und lud das Gepäck auf den Wagen.

Die Corticelli zerfloß in Tränen. Ich konnte nicht so grausam sein, sie ohne einen kleinen Trost abreisen zu lassen. Sie war für ihre schlechte Aufführung hart genug bestraft. Ich ließ sie mit mir essen. Hierauf übergab ich ihr den Empfehlungsbrief für Herrn Raiberti und fünfundzwanzig Louis, von denen acht für die Auslagen, und sagte ihr, ich hätte an den Herrn geschrieben, daß er es ihr auf meine Anordnung an nichts fehlen lassen würde. Sie verlangte von mir einen Koffer mit drei Kleidern und einem prachtvollen Mantel; diese Sachen hatte Frau von Urfé für sie bestimmt, bevor sie verrückt wurde. Ich sagte ihr jedoch, darüber würden wir in Turin sprechen. Von dem Schmuckkästchen wagte sie gar nicht zu sprechen. Sie weinte nur; aber dadurch rührte sie mich nicht. Sie befand sich in viel besseren Umständen als bei ihrer Ankunft; denn sie hatte schöne Kleider, Wäsche, Schmucksachen und eine sehr schöne Uhr, die ich ihr geschenkt hatte. Das war mehr, als sie verdiente.

Im Augenblick der Abreise führte ich sie an den Wagen, weniger aus Höflichkeit, als um sie noch einmal dem Fuhrmann zu empfehlen. Als sie abgereist war, fühlte ich mich von einer schweren Last befreit. Ich suchte meinen Syndikus auf, den mein Leser noch nicht vergessen haben wird. Ich hatte ihm seit meinem Aufenthalt in Florenz nicht geschrieben; wahrscheinlich dachte er gar nicht mehr an mich, und ich wollte mich an seiner Überraschung weiden. Diese war wirklich sehr groß; aber nachdem er einen Augenblick gestutzt hatte, fiel er mir um den Hals, küßte mich zehnmal unter Freudentränen und sagte mir endlich, er habe schon alle Hoffnung aufgegeben, meine Gestalt wiederzusehen.

»Wie geht es unseren lieben Freundinnen?«

»Ausgezeichnet. Sie sind stets der Gegenstand ihrer Unterhaltungen und ihres zärtlichen Bedauerns; sie werden vor Freude toll werden, wenn sie erfahren, daß Sie hier sind.«

»Wir müssen es ihnen sofort mitteilen.«

»Gewiß! Ich werde ihnen Bescheid sagen, daß wir heute Abend zusammen speisen werden. Wissen Sie schon? Herr von Voltaire hat die Délices dem Herzog von Villars überlassen und wohnt jetzt auf Ferney.«

»Das ist mir einerlei; ich gedenke ihn diesmal nicht aufzusuchen. Ich werde hier zwei oder drei Wochen bleiben, die ich ganz und gar Ihnen widme.«

»Sie werden Glückliche machen!«

»Bevor Sie gehen, geben Sie mir bitte Schreibpapier; ich habe drei oder vier Briefe zu schreiben und möchte dazu die Zeit bis zu Ihrer Rückkunft benutzen.«

Er überließ mir seinen Schreibtisch, und ich schrieb sofort an meine frühere Haushälterin Frau Lebel, daß ich etwa drei Wochen in Genf zubringen und daß ich gern nach Lausanne gehen würde, wenn ich sicher wäre, sie wiederzusehen. Zu meinem Unglück schrieb ich auch nach Bern an jenen Genueser Ascanio Pogomas oder Giacomo Passano, den schlechten Dichter und Feind des Abbate Chiari, den ich in Livorno kennen gelernt hatte. Ich forderte ihn auf, mich in Turin zu erwarten. Zugleich schrieb ich an meinen Freund M. F., an den ich ihn empfohlen hatte, und beauftragte diesen, ihm zwölf Louis Reisegeld zu geben.

Mein böser Geist trieb mich, an diesen Menschen zu denken, der eine imponierende Gestalt und ein wahres Astrologengesicht hatte, um ihn der Frau von Urfé als einen großen Adepten vorzustellen. Ein Jahr weiter, mein lieber Leser, wirst du sehen, wie ich es zu bereuen hatte, dieser unheilvollen Eingebung gefolgt zu sein.

Als der Syndikus und ich abends zu unseren hübschen Cousinen gingen, sah ich einen schönen englischen Wagen, der zum Verkauf stand; ich vertauschte ihn gegen meinen eigenen, indem ich hundert Louis draufzahlte.

Während ich mit dem Verkäufer handelte, sah mich der Oheim der schönen Theologin, die so gut über biblische Thesen disputierte, und der ich so süßen Unterricht in der Naturlehre gegeben hatte; er erkannte mich, umarmte mich und lud mich ein, am nächsten Mittag bei ihm zu speisen.

Ehe wir zu unseren liebenswürdigen Freundinnen kamen, sagte der Syndikus mir, wir würden bei ihnen ein sehr hübsches Mädchen finden, das noch nicht in die süßen Mysterien eingeweiht wäre.

»Um so besser!« rief ich, »ich werde mich entsprechend benehmen, und vielleicht werde ich der Einführer sein.«

Ich hatte ein Schmuckkästchen in die Tasche gesteckt, in das ich ein Dutzend sehr hübscher Ringe hineingetan hatte. Ich wußte seit langer Zeit, daß man durch solche Kleinigkeiten schnell weiterkommt. Der Augenblick, da ich diese reizenden Mädchen wiedersah, war wirklich einer der angenehmsten meines Lebens. Ich erkannte in ihrem Empfang Freude, Genugtuung, aufrichtige Dankbarkeit und Sinnlichkeit. Sie liebten sich ohne Eifersucht und ohne Neid; fern waren ihnen alle Gedanken, die ihre gute Meinung von sich selber hätten beeinträchtigen können. Sie zeigten sich meiner Achtung würdig, gerade weil sie mir ohne erniedrigende Hintergedanken, einer Eingebung des gleichen Gefühles folgend, das auch mich zu ihnen hingezogen hatte, ihre Gunst geschenkt hatten.

Die Anwesenheit ihrer neuen Freundin nötigte uns, unsere ersten Umarmungen auf die Formen des sogenannten Anstandes zu beschränken; errötend und ohne die Augen aufzuschlagen, bewilligte die junge Novize mir die gleiche Gunst.

Nachdem wir die üblichen Redensarten nach langer Abwesenheit ausgetauscht hatten, wechselten wir auch einige Zweideutigkeiten, über die wir lachten und die der jungen Einfalt zu denken gaben. Ich sagte dieser, ich fände sie schön wie die Göttin der Liebe und möchte darauf wetten, daß ihr Geist ebenso schön sei wie ihr entzückendes Gesicht und für gewisse Vorurteile nicht empfänglich sei.

»Ich habe,« sagte sie in bescheidenem Ton zu mir, »alle Vorurteile, die die Ehre und die Religion uns auferlegen.«

Ich sah, daß ich sie schonen und daß ich mit Zartgefühl langsam vorgehen mußte. Sie war keine Festung, die durch einen Handstreich im Sturmlauf genommen werden konnte. Aber nach meiner Gewohnheit verliebte ich mich in sie.

Als der Syndikus gelegentlich meinen Namen nannte, rief das junge Mädchen: »Ach! dann sind Sie also der Herr, der vor zwei Jahren mit meiner Base, der Nichte des Pastors, über so eigentümliche Fragen disputiert hatte! Es freut mich sehr, daß ich Gelegenheit habe, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich bin glücklich, die Ihrige zu machen, mein Fräulein, und ich wünsche, daß Ihre Base, indem sie Ihnen von mir erzählt hat, Sie nicht gegen mich eingenommen hat.«

»Ganz im Gegenteil! Sie hält große Stücke auf Sie.«

»Ich werde morgen die Ehre haben, mit ihr zusammen zu speisen, und werde nicht verfehlen, ihr meinen Dank abzustatten.«

»Morgen? Ich werde es so einrichten, daß ich an diesem Essen teilnehme, denn ich habe eine große Vorliebe für philosophische Erörterungen, obwohl ich es nicht wage, selber ein Sterbenswörtchen dazu zu sagen.«

Der Syndikus pries ihre Vorsicht und lobte sehr warm ihre Verschwiegenheit. Ich bemerkte deutlich, daß er in sie verliebt war und daß er sicherlich auf alle Weise versuchen würde, sie zu verführen, wenn er es nicht bereits getan hatte. Das schöne Mädchen hieß Helene. Ich fragte die Fräuleins, ob die schöne Helene unsere Schwester sei. Die älteste antwortete mir mit einem feinen Lächeln, Schwester sei sie, aber sie habe keinen Bruder. Nachdem sie diese Erklärung gegeben hatte, lief sie auf sie zu und umarmte sie. Der Syndikus und ich machten ihr nun die allerschönsten Komplimente; er sagte, wir hofften, ihre Brüder zu werden. Helene errötete, antwortete aber auf alle anderen galanten Bemerkungen nicht ein Wort. Ich brachte hierauf mein Juwelenkästchen zum Vorschein, und als ich die jungen Damen von der Schönheit meiner Ringe entzückt sah, wußte ich sie zu veranlassen, sich diejenigen auszusuchen, die ihnen am besten gefielen. Die reizende Helene folgte dem Beispiel der Freundinnen und belohnte mich durch einen bescheidenen Kuß. Bald darauf entfernte sie sich, und wir hatten unsere frühere Freiheit wieder.

Der Syndikus hatte recht, wenn er in Helene verliebt war, denn das junge Mädchen besaß alle Eigenschaften, um nicht nur zu gefallen, sondern sogar die heftigste Leidenschaft zu erregen. Die drei Freundinnen gaben sich jedoch nicht der Hoffnung hin, sie zur Teilnahme an unseren Freuden bewegen zu können; denn sie hatte, wie sie sagten, Männern gegenüber ein unüberwindliches Schamgefühl.

Wir waren beim Abendessen sehr lustig und begannen nach Tisch unsere alten Spiele, wobei der Syndikus nach seiner Gewohnheit einfacher Zuschauer unserer Heldentaten blieb. Er war jedoch sehr damit zufrieden, nichts weiter zu sein als dies. Ich nahm jede der drei Nymphen ein paarmal vor, indem ich sie zu ihrem Vorteil betrog und sie schonte, wenn ich gezwungen war, der Natur nachzugeben. Um Mitternacht trennten wir uns, und der gute Syndikus begleitete mich bis an die Tür meines Gasthofes.

Am nächsten Mittag ging ich zum Pastor, bei welchem ich zahlreiche Gesellschaft fand, unter anderen auch Herrn d'Harcourt und Herrn von Ximénès, der mir sagte, Herr von Voltaire wisse, daß ich in Genf sei, und hoffe, mich zu sehen. Ich begnügte mich, ihm durch eine tiefe Verneigung zu antworten. Die Nichte des Pastors, Fräulein Hedwig, machte mir ein sehr schmeichelhaftes Kompliment, das mir jedoch weniger gefiel als der Anblick ihrer Base Helene, die neben ihr stand und die sie mir mit den Worten vorstellte, wir könnten doch miteinander zusammenkommen, da wir jetzt Bekanntschaft gemacht hätten. Dies war mein sehnlichster Wunsch. Die zweiundzwanzigjährige Theologin war schön und appetitlich, aber sie besaß nicht jenes gewisse Etwas, das einen eigentümlichen Reiz gibt und sowohl die Hoffnung auf Genuß wie den Genuß selber erhöht – jenes »Sauersüße«, das die höchste Wollust noch steigert. Ihre Freundschaft mit ihrer Base war aber gerade das, was ich gebrauchte, um dieser letzteren eine günstige Meinung von mir einzuflößen.

Das Essen war ausgezeichnet. Während der Mahlzeit wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen; beim Nachtisch aber bat der Pastor Herrn von Ximénès, einige Fragen an seine Nichte zu stellen. Da ich den gelehrten Herrn seinem Rufe nach kannte, so erwartete ich irgendeine mathematische Aufgabe zu hören, aber ich täuschte mich. Er fragte sie nämlich, ob sie glaube, daß der innerliche Vorbehalt genüge, um eine Lüge zu rechtfertigen.

Hedwig antwortete bescheiden, daß zwar eine Lüge notwendig werden könne, daß jedoch der innerliche Vorbehalt stets ein Betrug sei.

»Dann sagen Sie mir doch, wie Jesus Christus behaupten konnte, der Zeitpunkt des Weltendes sei ihm unbekannt.«

»Er hat dies nicht sagen können, weil er es nicht wußte.«

»So war er also nicht Gott?«

»Die Schlußfolgerung ist falsch, denn da Gott allmächtig ist, so steht es auch in seiner Macht, eine Futurität nicht zu wissen.«

Dies Wort »Futurität«, das sie so passend gebildet hatte, dünkte mich erhaben. Hedwig erhielt lebhaften Beifall, und ihr Oheim ging um den Tisch herum, um sie zu umarmen. Mir schwebte ein sehr natürlicher Einwand auf den Lippen, der aus der Frage selbst hervorging und der sie wohl hätte in Verlegenheit setzen können; ich wollte ihr jedoch gefallen und schwieg daher.

Nun wurde Herr d'Harcourt aufgefordert, eine Frage zu stellen; er antwortete jedoch mit Horaz: nulla mihi religio est – »ich habe keine Religion.«

Hierauf wandte Hedwig sich zu mir und sagte: »Ich erinnere mich der Amphidromie; es war ein heidnisches Fest. Ich möchte jedoch, daß Sie mich nach irgend etwas fragen, was das Christentum betrifft, irgend etwas Schwieriges, was Sie selber nicht entscheiden können.«

»Sie machen es mir leicht, mein Fräulein.«

»Um so besser, dann brauchen Sie nicht so viel nachzudenken.«

»Ich denke nach, um etwas Neues zu finden. Halt – da habe ich etwas! Geben Sie mir zu, daß Jesus Christus alle menschlichen Eigenschaften im höchsten Grade besaß?«

»Gewiß – alle, mit Ausnahme der Schwächen.«

»Zählen Sie die Zeugungsfähigkeit zu den Schwächen?«

»Nein.«

»Wollen Sie mir also sagen, von welcher Art das Geschöpf gewesen wäre, das geboren sein würde, wenn Jesus Christus die Absicht gehabt hätte, der Samariterin ein Kind zu machen?«

Hedwig wurde feuerrot. Der Pastor und die ganze Gesellschaft sahen einander an; ich aber blickte unverwandt auf die Theologin, die eifrig nachdachte. Herr von Harcourt sagte, um eine so kniffliche Frage zu entscheiden, müsse man Herrn von Voltaire holen; als aber Hedwig mit ruhiger Miene die Augen aufschlug, wie wenn sie zur Antwort bereit wäre, da schwiegen alle anderen.

»Jesus Christus,« sagte sie, »hatte zwei vollkommene Naturen, die einander vollkommen das Gleichgewicht hielten; sie waren unzertrennlich voneinander. Wenn also die Samariterin mit unserem Erlöser fleischlichen Verkehr gehabt hätte, so würde sie ganz gewiß empfangen haben, denn es wäre albern, anzunehmen, daß ein Gott eine so wichtige Handlung vollziehen sollte, ohne daß diese ihre natürliche Folge hätte. Die Samariterin würde nach neun Monaten ein Kind zur Welt gebracht haben, und zwar ein männliches, nicht ein weibliches, und dieses Geschöpf, von einem menschlichen Weibe und einem Gottmann geboren, würde ein Viertel Gott und drei Viertel Mensch gewesen sein.«

Bei diesen Worten klatschten alle Gäste in die Hände, und Herr von Ximénès bewunderte die vernünftige Berechnung; hierauf sagte er: »Wenn der Sohn der Samariterin sich verheiratet hätte, so würden natürlich die Kinder, die aus dieser Ehe hervorgegangen wären, sieben Teile Menschlichkeit und ein Teil Göttlichkeit gehabt haben.«

»Wenn er nicht etwa eine Göttin geheiratet hätte,« fügte ich hinzu; »denn dadurch würden sich die Beziehungen wesentlich geändert haben.«

»Sagen Sie mir ganz genau,« begann Hedwig wieder, »wieviel Göttliches ein Kind in der sechzehnten Generation gehabt haben würde?«

»Warten Sie einen Augenblick und geben Sie mir einen Bleistift!« sagte Herr von Ximénès.

»Es ist nicht nötig, das auszurechnen,« sagte ich; »es hätte ein Teilchen des Geistes gehabt, der Sie beseelt.«

Alle Anwesenden zollten dieser Galanterie Beifall, die der damit Bedachten nicht mißfiel.

Die schöne Blonde entflammte mich durch die Reize ihres Geistes. Wir erhoben uns vom Tisch, um sie zu umringen, und sie zerstäubte alle unsere Komplimente auf die vornehmste Weise. Ich nahm Helenen auf die Seite und bat sie, ihre Base zu veranlassen, daß sie einen Ring aus meinem Schmuckkästchen wähle; die am vorigen Tag entstandene Lücke hatte ich wieder ausgefüllt. Das reizende Mädchen übernahm sehr gern diesen Auftrag. Eine Viertelstunde darauf zeigte Hedwig mir ihre Hand, und ich sah daran mit Vergnügen den Ring, welchen sie sich ausgesucht hatte; ich küßte voll Entzücken diese Hand, und ohne Zweifel fühlte sie an der Glut meiner Küsse, welche Gefühle sie mir eingeflößt hatte. Am Abend erzählte Helene dem Syndikus und den drei Freundinnen von den Fragen, die beim Mittagessen gestellt worden waren, ohne auch nur den kleinsten Umstand auszulassen. Sie erzählte gewandt und anmutig; ich brauchte ihr nicht ein einzigesmal zu Hilfe zu kommen. Wir baten sie, zum Abendessen zu bleiben, sie nahm jedoch ihre Freundinnen beiseite und machte ihnen klar, daß dies unmöglich wäre; aber sie sagte ihnen zugleich, vielleicht könnte sie zwei Tage auf einem Landgut verbringen, das sie am See besäßen, wenn sie persönlich ihre Mutter um Erlaubnis fragen wollten.

Auf Wunsch des Syndikus gingen die drei Freundinnen schon am nächsten Tage zu der Mutter; den übernächsten Tag reisten sie mit Helene ab. Am selben Abend fuhren wir hinaus, um mit ihnen zu soupieren; wir konnten jedoch nicht dort übernachten. Es wurde vereinbart, daß der Syndikus mich nach einem nicht weit entfernt gelegenen Hause bringen sollte, wo wir sehr gut aufgehoben sein würden. Unter diesen Umständen brauchten wir uns nicht zu beeilen; die älteste, die ihrem Freunde gern einen Gefallen tun wollte, sagte ihm, er könne mit mir fortgehen, wenn er wolle; sie würden sich zu Bett legen. Mit diesen Worten nahm sie Helene unter den Arm und führte sie in ihr Zimmer; die beiden andern begaben sich in das ihrige. Wenige Augenblicke später betrat der Syndikus das Zimmer, worin Helene sich befand, und ich suchte die beiden anderen auf.

Ich lag kaum seit einer Stunde zwischen meinen beiden Freundinnen, als der Syndikus meine erotischen Arbeiten unterbrach, indem er mich bat, mit ihm fortzugehen.

»Was haben Sie mit Helene gemacht?« fragte ich ihn.

»Sie versteckte sich unter die Decke und wollte sich die Scherze, die ich mit ihrer Freundin machte, nicht einmal ansehen.«

»Sie hätten sich an sie selber wenden müssen.«

»Das habe ich getan, aber sie stieß mich mehrere Male zurück. Ich kann nicht mehr, denn ich bin völlig erschöpft; außerdem bin ich überzeugt, daß ich bei dieser Wilden niemals etwas erreichen werde, wenn Sie sie mir nicht zähmen.«

»Wie soll ich das machen?«

»Gehen Sie morgen zum Mittagessen hin; ich werde nicht da sein, denn ich muß den ganzen Tag in Genf verbringen. Aber zum Abendessen werde ich kommen. Wenn wir sie vielleicht betrunken machen könnten?«

»Das wäre schade. Lassen Sie mich nur machen.«

Am nächsten Tage lud ich mich also allein bei ihnen zum Mittagessen ein, und sie empfingen mich auf eine wirklich herzliche Weise. Als wir nach Tisch einen Spaziergang machten, kamen die drei Freundinnen meinen Wünschen zuvor und ließen mich mit der schönen Widerspenstigen allein; aber diese widerstand meinen Liebkosungen und meinen Bitten, so daß ich fast alle Hoffnung verlor sie zu bändigen.

»Der Syndikus,« sagte ich zu ihr, »ist in Sie verliebt; diese Nacht ...«

»Diese Nacht«, antwortete sie mir, »diese Nacht hat er sich mit seiner alten Freundin erlustigt. Ich habe nichts dagegen, daß jeder nach seinem Vergnügen handelt; aber ich verlange, daß man mir die Freiheit läßt, meinem eigenen Geschmack zu folgen.«

»Wenn es mir gelingen könnte, Ihr Herz zu besitzen, so würde ich mich glücklich schätzen.«

»Warum laden Sie nicht den Pastor und meine Base irgendwo zum Mittagessen ein; sie würden mich mitnehmen, denn mein Oheim liebt alle, die seine Nichte lieben.«

»Es freut mich, das zu hören. Hat sie einen Liebhaber?«

»Nein!«

»Wie ist das möglich? Sie ist jung, hübsch, fröhlich und außerdem sehr geistvoll.«

»Sie kennen Genf nicht. Gerade ihr Geist ist schuld, daß kein junger Mann ihr seine Liebe zu erklären wagt. Diejenigen, die an ihr ein persönliches Wohlgefallen finden, bleiben ihr fern, weil sie so viel Geist hat, denn sie würden es in der Unterhaltung nicht mit ihr aufnehmen können.«

»Aber sind denn die jungen Genfer so ungebildet?«

»Im allgemeinen, ja. Doch muß man gerechterweise sagen, daß viele eine gute Erziehung genossen und etwas Tüchtiges gelernt haben; aber im Durchschnitt genommen haben sie sehr viele Vorurteile. Niemand will für dumm oder albern gelten; außerdem suchen die jungen Leute hier bei einer Frau durchaus keinen Geist und keine gute Erziehung. Im Gegenteil: wenn ein junges Mädchen geistvoll oder gebildet ist, so muß sie dies sorgfältig verbergen, wenigstens wenn sie die Absicht hat, sich zu verheiraten.«

»Jetzt begreife ich, reizende Helene, warum Sie während des Essens bei Ihrem Oheim nicht ein einzigesmal den Mund aufgetan haben.«

»Ich weiß, daß ich nicht nötig habe, mich zu verbergen. Ich habe also nicht aus diesem Grunde an jenem Tage geschwiegen, und ich kann Ihnen ohne Eitelkeit und ohne mich zu schämen gern sagen, daß ich vor lauter Vergnügen den Mund nicht geöffnet habe. Ich habe mein Base bewundert, die von Jesus Christus sprach, wie ich von meinem Vater sprechen würde, und die sich nicht fürchtete, sich auf einem Gebiete beschlagen zu zeigen, wo ein anderes Mädchen sich gestellt haben würde, wie wenn sie die Frage gar nicht verstanden hätte.«

»Sie würden sich so gestellt haben, und wenn Sie so gut davon Bescheid gewußt hätten wie ihre Großmutter.«

»Das bringt die Sitte so mit sich oder vielmehr das Vorurteil.«

»Sie sprechen zum Entzücken, meine liebe Helene, und ich sehne mich bereits nach der Partie, die Sie mir vorgeschlagen haben. Das war ein höchst glücklicher Einfall von Ihnen.«

»Sie werden das Vergnügen haben, mit meiner Base zusammen zu sein.«

»Ich lasse Ihnen volle Gerechtigkeit widerfahren, schöne Helene: Hedwig ist liebenswürdig und interessant; aber glauben Sie mir: gerade darum, weil Sie daran teilnehmen werden, entzückt mich der Gedanke an diese Gesellschaft.«

»Und wenn ich Ihnen dies nicht glaubte?«

»Das wäre unrecht von Ihnen, und Sie würden mir damit sehr weh tun, denn ich liebe Sie zärtlich.«

»Trotzdem haben Sie versucht, mich zu täuschen. Ich bin überzeugt, Sie haben den drei jungen Damen Beweise von Ihrer Zärtlichkeit gegeben; sie tun mir sehr leid.«

»Warum?«

»Weil keine von ihnen sich einbilden kann, daß Sie sie allein lieben.«

»Und glauben Sie, dieses Zartgefühl mache Sie glücklicher als jene?«

»Ja, das glaube ich, obgleich ich in dieser Hinsicht durchaus keine Erfahrung habe. Sagen Sie mir aufrichtig, ob Sie der Meinung sind, daß ich recht habe.«

»Ja, ich bin dieser Meinung.«

»Sie beglücken mich. Aber wenn ich recht habe, so kann ich mich nicht zu diesen Dreien gesellen; denn geben Sie zu: Sie würden mir keinen Beweis solcher Liebe geben, wie ich ihn wünschen müßte, um von Ihrer Liebe überzeugt zu sein.«

»Ja, ich gebe auch dies zu und bitte Sie aufrichtig um Verzeihung. Jetzt aber, göttliche Helene, sagen Sie mir, wie ich es anfangen muß, um den Pastor zum Mittagessen einzuladen.«

»Das ist nicht schwer. Gehen Sie zu ihm und laden Sie ihn ganz einfach ein; und wenn Sie sicher sein wollen, daß auch ich daran teilnehme, so bitten Sie ihn, mich mit meiner Mutter einzuladen.«

»Weshalb mit Ihrer Mutter?«

»Weil er vor zwanzig Jahren sehr verliebt in sie war und weil er sie noch immer liebt.«

»Und wo kann ich dieses Mittagessen veranstalten?«

»Ist nicht Herr Tronchin Ihr Bankier?«

»Ja.«

»Er hat ein schönes Lusthaus am See; bitten Sie ihn, es Ihnen für einen Tag zu überlassen; er wird es Ihnen mit Vergnügen leihen. Tun Sie dies, aber sagen Sie weder dem Syndikus noch seinen drei Freundinnen etwas davon; wir wollen es ihnen später sagen.«

»Aber glauben Sie, daß Ihre gelehrte Base gerne zu mir kommen wird?«

»Mehr als gern – verlassen Sie sich darauf.«

»Gut; morgen werde ich alles in Ordnung bringen. Übermorgen kehren Sie nach der Stadt zurück und die Gesellschaft soll dann zwei oder drei Tage darauf stattfinden.«

In der Dämmerung fand der Syndikus sich wieder ein; wir verbrachten den Abend sehr fröhlich. Nach dem Abendessen gingen die jungen Mädchen wie am Tage vorher zu Bett; ich ging in das Zimmer der älteren, während mein Freund die beiden jüngsten aufsuchte. Ich wußte, daß jede Bemühung, Helenen zu verführen, zwecklos sein würde; ich begnügte mich daher mit einigen Küssen, wünschte ihr gute Nacht und ging sofort zu den beiden jüngeren. Ich fand sie im tiefsten Schlafe liegen; der Syndikus langweilte sich ganz allein.

Es machte ihm nicht eben Vergnügen, als ich ihm sagte, ich hätte keine einzige Gunstbezeigung erlangen können.

»Ich sehe wohl,« rief er, »ich werde bei dieser dummen Kleinen meine Zeit verlieren, und ich werde mich wohl mit diesem Gedanken abfinden müssen.«

»Ich glaube wohl,« antwortete ich ihm, »das ist das einfachste und vielleicht das beste, was Sie tun können, denn wenn man nach einer unempfindlichen oder launenhaften Schönen schmachtet, so ist man dumm. Das Glück darf weder zu leicht noch zu schwer zu erlangen sein.«

Am nächsten Tage fuhren wir zusammen nach Genf, und Herr Tronchin war entzückt, mir den erbetenen Gefallen tun zu können. Der Pastor nahm meine Einladung an und sagte mir, er sei überzeugt, es werde mir viel Vergnügen machen, Helenens Mutter kennen zu lernen. Man konnte leicht sehen, daß der wackere Mann noch immer ein zärtliches Gefühl für sie hatte, und wenn sie dies nur ein bißchen erwiderte, konnte das meinen Absichten nur günstig sein.

Ich gedachte an dem Abend mit den Freundinnen und der reizenden Helene in dem Hause am See zu speisen, aber ein Brief, den ich durch besonderen Boten erhielt, nötigte mich, sofort nach Lausanne zu reisen: meine frühere Haushälterin, Frau Lebel, die ich noch heute liebe, lud mich ein, mit ihr und ihrem Mann zu Abend zu essen. Sie schrieb mir, sie habe sofort nach Empfang meines Briefes ihren Gatten veranlaßt, mit ihr nach Lausanne zu reisen, und sie sei überzeugt, ich würde alles andere im Stich lassen, um ihr das Vergnügen des Wiedersehens zu bereiten. Zugleich teilte sie mir mit, zu welcher Stunde sie bei ihrer Mutter eintreffen würde.

Frau Lebel ist eine von den zehn oder zwölf Frauen, die ich in meiner glücklichen Jugendzeit auf das zärtlichste geliebt habe. Sie besaß alle Eigenschaften, die ich wünschen konnte, um in einer glücklichen Ehe zu leben, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, dieses Glück kennen zu lernen. Aber bei meinem Charakter habe ich vielleicht gut getan, mich nicht unwiderruflich zu binden, obgleich in meinem Alter Unabhängigkeit eine Art von Sklaverei ist. Hätte ich mich mit einer Frau verheiratet, die es verstanden hätte, mich geschickt zu lenken, ohne daß ich ihr Regiment bemerkt hätte, so hätte ich mich um mein Vermögen bekümmert, hätte Kinder gehabt und stände jetzt nicht allein und arm in der Welt da. Aber lassen wir diese Abschweifungen in eine Vergangenheit, die sich doch nicht zurückrufen läßt; da ich durch meine Erinnerungen glücklich bin, so wäre ich töricht, wollte ich mich mit unnützem Bedauern abplagen!

Ich berechnete, daß ich eine Stunde vor meiner lieben Dubois in Lausanne ankommen könnte, wenn ich sofort abreiste; ich zögerte daher nicht, ihr diesen Beweis meiner Achtung zu geben. Dabei muß ich folgendes bemerken: obgleich ich diese Frau liebte, so hatte doch keinerlei Hoffnung auf wollüstige Genüsse etwas mit meinem Eifer zu tun. Ich war in jenem Augenblick von einer anderen Leidenschaft in Anspruch genommen. Schon meine Achtung vor ihr hätte genügt, um meine Liebe im Zaum zu halten; aber ich achtete auch Lebel, und es wäre mir niemals eingefallen, diese beiden Freunde in ihrem Glück stören zu wollen.

Ich schrieb in aller Eile dem Syndikus einen Brief, worin ich ihm meldete, eine unvorhergesehene, sehr wichtige Angelegenheit nötige mich, nach Lausanne zu fahren, aber am übernächsten Tage würde ich das Vergnügen haben, in Genf mit den drei Freundinnen und ihm zu Abend zu speisen.

Um fünf Uhr traf ich bei der guten Dubois mit einem Riesenhunger ein. Die gute Frau war außerordentlich überrascht, als sie mich sah, denn sie wußte nicht, daß ihre Tochter sie besuchen würde. Ohne viele Komplimente zu machen, gab ich ihr zwei Louis und bat sie, uns ein gutes Abendessen zu besorgen, wie ich es brauchte.

Um sieben Uhr kam Frau Lebel mit ihrem Gatten und einem achtzehn Monate alten Kinde, das ich ohne Mühe als das meinige erkannte, ohne daß die Mutter es mir sagte. Unser Beisammensein war reines Glück. Während der zehn Stunden, die wir bei Tisch verbrachten, schwammen wir in Wonnen. Mit Tagesanbruch reisten sie wieder nach Solothurn, wo Lebel zu tun hatte. Herr von Chavigny ließ mir tausend Grüße bestellen. Lebel sagte mir, der Botschafter sei außerordentlich freundlich gegen seine Frau; er dankte mir für das Geschenk, das ich ihm gemacht hätte, indem ich sie ihm überlassen hätte. Ich konnte mich mit eigenen Augen überzeugen, daß er glücklich war und auch seine Gemahlin glücklich machte.

Meine liebe Haushälterin erzählte mir von ihrem Sohn. Sie sagte mir, niemand habe eine Ahnung von der Wahrheit; sie aber und Lebel wären ihrer Sache gewiß, denn sie hätten die Bedingung, erst nach Ablauf von zwei Monaten die Ehe zu vollziehen, pünktlich eingehalten.

»Und das Geheimnis«, sagte Lebel zu mir, »wird niemals bekannt werden; Ihr Sohn wird mein einziger Erbe sein, oder er wird sich mit meinen Kindern in mein Vermögen teilen, wenn ich welche bekommen sollte, woran ich zweifele.«

»Lieber Freund,« sagte seine Frau, »es ist allerdings jemand da, der die Wahrheit vermutet, besonders, je mehr das Kind sich entwickelt; aber wir haben von dieser Seite nichts zu befürchten; denn die betreffende Person hat ein Interesse daran, die Sache geheim zu halten.«

»Und was ist denn das für eine Person, meine liebe Lebel?« fragte ich.

»Frau von ***, die Sie nicht vergessen hat, denn sie spricht oft von Ihnen.«

»Wollen Sie, meine Liebe, ihr meine Komplimente überbringen?«

»O sehr gern, lieber Freund; ich bin gewiß, ich werde ihr damit ein großes Vergnügen bereiten.«

Lebel zeigte mir meinen Ring, und ich zeigte ihm den seinigen; zugleich gab ich ihm für meinen Sohn eine herrliche Uhr mit meinem Porträt.

»Geben Sie ihm diese Uhr, lieber Freund,« sagte ich zu ihm, »wenn Sie es für angemessen halten.«

Wir werden dieses Kind einundzwanzig Jahre später in Fontainebleau wiederfinden.

Mehr als drei Stunden lang erzählte ich ihnen, was mir in den siebenundzwanzig Monaten seit unserer Trennung zugestoßen war. Ihre Geschichte dagegen war nicht lang; ihr Leben war einförmig, wie es einem friedlichen Glück entspricht.

Madame Lebel war immer noch schön; ich fand sie nicht verändert; aber ich war es. Sie fand mich weniger frisch und weniger fröhlich als zur Zeit unserer Trennung. Sie hatte recht: die unglückselige Renaud hatte mich vergiftet und die falsche Lascaris hatte mir viel Kummer gemacht.

Nachdem wir uns aufs zärtlichste umarmt hatten, reiste das Ehepaar nach Solothurn ab. Ich fuhr nach Genf zurück, um dort zu Mittag zu essen; da ich aber der Ruhe sehr bedürftig war, so ging ich abends nicht zu dem Syndikus und seinen Freundinnen, sondern schrieb ihnen, mir sei nicht wohl und ich könne daher erst am nächsten Tage das Vergnügen haben, sie zu sehen. Hierauf legte ich mich zu Bett.

Am anderen Morgen befahl ich meinem Wirt, für den nächsten Tag, an welchem mein Diner in Tronchins Landhaus stattfinden sollte, eine Mahlzeit zurecht zu machen, bei welcher nichts gespart werden sollte. Besonders machte ich ihn darauf aufmerksam, daß er die besten Weine, die feinsten Liköre, Eis und alle Zutaten zu einem Punsch besorgen solle. Ich bestellte das Essen für sechs Personen, denn ich sah voraus, daß Herr Tronchin ebenfalls daran teilnehmen würde. Ich täuschte mich nicht, denn er war in seinem hübschen Hause, um uns zu empfangen, und es kostete mir keine große Mühe, ihn zum Bleiben zu überreden.

Am Abend glaubte ich dem Syndikus und seinen drei Freundinnen von diesem Diner Mitteilung machen zu müssen. Ich tat dies in Helenens Gegenwart, die sich stellte, wie wenn sie nichts davon wüßte. Sie sagte: »Meine Mutter hat mir mitgeteilt, daß wir zum Mittagessen eingeladen sind. Ich vernehme es mit größter Freude, da dies nur in Herrn Tronchins hübschem Hause sein kann.«

Mein Mittagessen war von einer Güte, wie der größte Feinschmecker es sich nur wünschen kann. Hedwig war in der Tat die Zierde dieses Mahles. Das erstaunliche Mädchen spielte die Theologin mit solcher Anmut und machte die Vernunft so ungemein reizvoll, daß man hingerissen wurde, auch wenn man sich nicht überzeugt fühlte. Ich habe niemals einen Theologen gesehen, der imstande gewesen wäre, unvorbereitet die abstraktesten Fragen dieser Wissenschaft mit solcher Leichtigkeit, Gedankenfülle und wahrhaften Würde zu behandeln, wie dieses junge Mädchen, das mich während des Essens vollständig entflammte. Herr Tronchin, der Hedwig niemals gehört hatte, dankte mir tausendmal dafür, daß ich ihm dieses Vergnügen verschafft hätte. Er mußte uns verlassen, als wir von Tisch aufstanden, und lud uns ein, am dritten Tage die Partie zu wiederholen. Beim Nachtisch erregte es meine ganz besondere Teilnahme, daß der Pastor sich seiner alten Liebe zu Helenens Mutter erinnerte. Seine verliebte Beredsamkeit wuchs, je reichlicher er seine Kehle mit Champagner, Zyperwein und süßen Likören befeuchtete. Die Mutter hörte ihm freundlich zu und trank mit ihm, während die jungen Mädchen und ich nur mäßig getrunken hatten. Doch hatten immerhin die verschiedensten Getränke und der Punsch ihre Wirkung hervorgebracht, und meine Schönen waren ein bißchen beschwipst. Sie waren ungeheuer lustig, dabei aber reizend. Ich benutzte die allgemeine gute Laune, um das bejahrte Liebespaar um Erlaubnis zu bitten, mit den jungen Damen in den Garten, der am See lag, gehen zu dürfen. Diese Erlaubnis wurde mir auf das freundlichste gewährt. Wir gingen Arm in Arm hinaus und waren in wenigen Minuten von keinem Menschen mehr zu sehen.

»Wissen Sie,« fragte ich Hedwig, »daß Sie Herrn Tronchins Herz gewonnen haben?«

»Ich weiß nichts damit anzufangen, übrigens hat der brave Bankier dumme Fragen an mich gerichtet.«

»Glauben Sie nur ja nicht, daß jeder junge Mann imstande ist, Ihnen Fragen zu stellen, die Ihrem Geist angemessen sind.«

»Ich muß Ihnen sagen, daß niemals ein Mensch eine Frage an mich richtete, die mir so gefallen hätte wie die Ihrige. Ein dummer, frömmelnder Theologe, der am anderen Ende des Tisches saß, schien an der Frage und noch mehr an der Antwort Anstoß zu nehmen.«

»Und warum?«

»Er behauptet, ich hätte Ihnen antworten müssen, Jesus Christus habe die Samariterin nicht befruchten können. Er sagte, er würde mir den Grund auseinandersetzen, wenn ich ein Mann wäre; da ich jedoch ein Weib und sogar ein Mädchen wäre, so könnte er sich nicht erlauben, mir etwas zu sagen, was mich durch das Nachdenken über die gottmenschliche Zusammensetzung auf gewisse Ideen bringen könnte. Ich möchte gerne, daß Sie mir sagten, was der Dummkopf mir nicht sagen wollte.«

»Gern; aber Sie müssen mir erlauben, klar und deutlich zu sprechen; außerdem muß ich voraussetzen, daß Ihnen die Körperbildung des Mannes bekannt ist.«

»Ja, sprechen Sie nur deutlich, denn niemand kann uns hier hören; ich bin jedoch genötigt, Ihnen zu gestehen, daß ich die Bildung eines Mannes nur theoretisch und aus Büchern kenne. Praktische Erfahrung besitze ich gar nicht. Ich habe wohl Statuen gesehen, aber einen richtigen Mann habe ich noch niemals gesehen noch weniger untersucht. Und du, Helene?«

»Ich habe es nicht gewollt.«

»Warum nicht? Es ist gut, wenn man alles weiß.«

»Nun, reizende Hedwig, er hat Ihnen sagen wollen, daß Jesus Christus keiner Erektion fähig gewesen sei.«

»Was ist das?«

»Geben Sie mir die Hand.«

»Ich fühle es; ich hatte es mir auch bereits gedacht, denn ohne diese Naturerscheinung könnte der Mann seine Gefährtin nicht befruchten. Und dieser dumme Theologe behauptet, daß das eine Unvollkommenheit sei!«

»Ja; denn diese Erscheinung wird durch Begierde hervorgerufen. Sie würde auch bei mir nicht eingetreten sein, schöne Hedwig, wenn ich Sie nicht reizend gefunden hätte und wenn nicht das, was ich von Ihnen sehe, mir einen höchst verführerischen Begriff von den Schönheiten gäbe, die ich nicht sehe. Sagen Sie mir nur frei heraus, ob nicht auch Sie, indem Sie diesen steifen Gegenstand fühlen, ein angenehmes Jucken empfinden?«

»Ich gestehe es; und zwar verspüre ich es gerade an der Stelle, die Sie drücken. Fühlst du nicht auch wie ich, liebe Helene, ein Jucken an dieser Stelle, indem du die sehr richtige Erklärung des Herrn hörst?«

»Ja, ich fühle es; aber ich fühle es überhaupt sehr oft, ohne daß es durch irgendwelche Worte erregt wird.«

»Und dann«, fragte ich sie, »nötigt die Natur Sie wohl, es zu beschwichtigen?«

»O nein!«

»O doch!« rief Hedwig. »Sogar im Schlaf greift unsere Hand instinktmäßig dahin; ich habe gelesen, wir würden uns entsetzliche Krankheiten zuziehen, wenn wir nicht dieses Erleichterungsmittel hätten.«

Unter diesen philosophischen Gesprächen, wobei die junge Theologin einen ernsten, lebhaften Ton bewahrte und die schöne Haut ihrer Base sich mit der Röte der Lust belebte, kamen wir an ein prachtvolles Wasserbecken, in das man auf einer Marmortreppe hinabsteigen konnte, um sich zu baden. Es war allerdings kalt, aber unsere Köpfe waren erhitzt, und ich kam auf den Einfall, ihnen den Vorschlag zu machen, sie möchten die Füße ins Wasser stellen. Ich sagte ihnen, dies würde ihnen wohltun, und wenn sie mir erlauben wollten, so würde ich die Ehre haben, ihnen Schuhe und Strümpfe auszuziehen.

»Vorwärts!« rief die Nichte; »mir ist es recht.«

»Mir auch!« sagte Helene.

»Also setzen Sie sich, meine Damen, auf die erste Stufe!«

Sie setzten sich; ich stellte mich auf die vierte Stufe und zog ihnen die Schuhe und Strümpfe aus; dabei rühmte ich die Schönheit ihrer Beine, zeigte mich jedoch für den Augenblick nicht neugierig, von dem, was oberhalb des Knies war, etwas zu sehen. Nachdem ich sie hierauf bis an das Wasser hinuntergeführt hatte, mußten sie wohl die Röcke hochheben; ich ermutigte sie, dies zu tun.

»Na,« sagte Hedwig, »Männer haben auch Beine.«

Helene schämte sich, weniger tapfer zu sein als ihre Base, und blieb nicht zurück.

»Kommen Sie, meine reizenden Najaden,« sagte ich zu ihnen, »jetzt ist es genug; wenn Sie noch länger im Wasser bleiben, könnten Sie sich erkälten.«

Sie gingen rücklings aus dem Wasser, wobei sie die Röcke fortwährend aufgeschürzt hielten, um sie nicht naß zu machen. Meine Aufgabe war es dann, sie mit allen Taschentüchern abzutrocknen, die ich bei mir hatte. Diese angenehme Beschäftigung erlaubte mir, nach Herzenslust alles zu besehen und zu befühlen, und ich brauche dem Leser wohl nicht unter Eid zu versichern, daß ich dies mit großem Eifer tat. Die schöne Nichte sagte mir, ich sei zu neugierig; Helene aber ließ mich mit so zärtlicher und schmachtender Miene gewähren, daß ich mich mit Gewalt zurückhalten mußte, um nicht weiter zu gehen. Nachdem ich ihnen ihre Schuhe wieder angezogen hatte, rief ich aus, ich sei entzückt, die geheimen Schönheiten der beiden schönsten Mädchen von Genf gesehen zu haben.

»Welche Wirkung hat dies auf Sie hervorgebracht?« fragte Hedwig mich.

»Ich wage es nicht, Sie aufzufordern, sich das anzusehen; aber fühlen Sie nur alle beide.«

»Gehen Sie doch auch ins Bad!«

»Das ist nicht möglich; für einen Mann sind die Vorbereitungen zu umständlich.«

»Aber wir können ja noch zwei Stunden hierbleiben; wir brauchen nicht zu befürchten, daß irgend jemand hierherkommt.«

Diese Antwort zeigte mir das volle Glück, das meiner wartete; ich hielt es jedoch für nicht angebracht, mich der Gefahr einer Krankheit auszusetzen und in dem Zustand, worin ich mich befand, ins Wasser zu gehen. Ich sah in geringer Entfernung ein Gartenhäuschen, und da ich überzeugt war, daß Herr Tronchin es offen gelassen hatte, so nahm ich meine Schönen unter die Arme und führte sie dorthin, ohne sie meine Absichten ahnen zu lassen.

Das Gartenhäuschen war voll von Töpfen mit wohlriechenden Pflanzen; die Wände waren mit hübschen Kupferstichen geziert; besser als dies alles aber war ein breiter Diwan, der für Ruhe und Genuß bereit stand. Auf diesen setzte ich mich zwischen die beiden Schönen und sagte ihnen nach tausend Liebkosungen, ich wolle ihnen zeigen, was sie noch nie gesehen hätten. Zugleich enthüllte ich ihren Blicken das Hauptwerkzeug der Menschheit. Sie standen auf, um mich zu bewundern; ich nahm von jeder eine Hand und verschaffte ihnen einen flüchtigen Genuß; als bei dieser Arbeit reichlicher Saft sich ergoß, gerieten sie in größtes Erstaunen.

»Das ist das ›Verbum‹,« sagte ich zu ihnen, »der große Schöpfer der Menschen.«

»Das ist köstlich!« rief Helene, über das Wort »Verbum« lachend.

»Aber das ›Verbum‹ habe ich auch!« rief Hedwig, »und ich werde es Ihnen zeigen, wenn Sie einen Augenblick warten wollen.«

»Setzen Sie sich auf mich, schöne Hedwig, ich werde Ihnen die Mühe ersparen, das ›Verbum‹ selber hervorzurufen, und ich werde es besser machen als Sie.«

»Das glaube ich wohl, aber ich habe das noch nie mit einem Manne getan.«

»Ich auch nicht,« sagte Helene.

Ich ließ sie nun vor mich hinstellen, und während ihre Arme mich umschlungen hielten, versetzte ich sie abermals in Verzückung. Dann setzten wir uns, und während meine Hände alle ihre Reize betasteten, ließ ich sie sich daran ergötzen, mich nach Herzenslust zu befühlen, bis ich endlich ihre Hände durch eine zweite Entladung des Lebenssaftes befeuchtete, den sie neugierig an ihren Fingern untersuchten.

Als wir wieder in einer anständigen Verfassung waren, verbrachten wir noch eine halbe Stunde damit, uns Küsse zu geben. Hierauf sagte ich zu ihnen: »Sie haben mich zur Hälfte glücklich gemacht; um aber Ihr Werk zu vollenden, werden Sie, hoffe ich, daran denken, auf welche Weise Sie mir Ihre Gunst gewähren können.« Hierauf zeigte ich ihnen jene kleinen Schutzbeutelchen, die die Engländer erfunden haben, um dem schönen Geschlecht jede Furcht zu benehmen. Diese kleinen Börsen, deren Gebrauch ich ihnen erklärte, erregten ihre Bewunderung, und die Theologin sagte zu ihrer Base, sie würde daran denken. Wir waren vertraute Freunde geworden und auf dem besten Wege, noch vertrauter zu werden. Wir gingen nach dem Hause zurück und begegneten Helenens Mutter und dem Pastor, die am Strande des Sees spazierten. Nach Genf zurückgekehrt, verbrachte ich den Abend bei den drei Freundinnen. Ich hütete mich wohl, dem Syndikus etwas von meinem Siege über Helene zu sagen; denn diese Nachricht hätte nur seine Hoffnungen wieder angeregt, und er würde doch alle Liebesbemühungen verloren haben. Auch ich würde ohne die Theologin nichts erreicht haben; aber sie bewunderte ihre Base und würde befürchtet haben, daß sie sie für töricht hielte, wenn sie sich nicht ebenso frei benommen hätte wie jene, bei welcher freie Handlungen nur der Freiheit ihres Geistes entsprachen.

Helene kam an diesem Abend nicht; aber ich sah sie am nächsten Tage bei ihrer Mutter, denn die Höflichkeit erforderte, daß ich der Witwe für die mir erwiesene Ehre meinen Dank abstattete. Sie empfing mich auf das freundlichste und stellte mir zwei sehr hübsche junge Mädchen vor, die bei ihr in Pension waren; sie würden meine Teilnahme erregt haben, wenn ich länger hätte in Genf bleiben wollen; da ich jedoch nur einige Tage dort zubringen konnte, so verdiente Helene meine ungeteilte Liebe.

»Morgen,« sagte das reizende Mädchen zu mir, »wenn wir bei Herrn Tronchin speisen, werde ich Ihnen etwas Neues sagen können. Ich denke, Hedwig wird das Mittel gefunden haben, Ihre Wünsche in vollem Maße zu befriedigen.«

Das Essen des Bankiers war sehr gut. Seine Eitelkeit trieb ihn an, mir zu zeigen, daß eine Mahlzeit, die von einem Gastwirt bezogen ist, niemals mit derjenigen wetteifern kann, die ein reicher Hausbesitzer veranstaltet, der einen guten Koch, einen ausgewählten Keller, schönes Silbergeschirr und Porzellan von bestem Gute hat. Wir waren zwanzig Personen bei Tisch. Das Fest galt der gelehrten Theologin und mir, als reichem Fremden, der mit vollen Händen sein Geld ausgab. Ich fand bei diesem Essen Herrn von Ximénès, der eigens dazu von Ferney herübergekommen war; er sagte mir, ich werde bei Herrn von Voltaire erwartet; ich hatte aber den törichten Entschluß gefaßt, nicht hinzugehen.

Hedwig glänzte. Die Gäste legten nur mit geistreichen Fragen Ehre ein. Herr von Ximénès bat sie, unsere Elternmutter nach besten Kräften deswegen zu rechtfertigen, daß sie ihren Mann getäuscht hatte, indem sie ihn veranlaßte, den verhängnisvollen Apfel zu essen.

»Eva«, antwortete sie, »hat ihren Mann überhaupt nicht getäuscht; sie hat ihn nur verführt und zwar in der Hoffnung, ihn noch vollkommener zu machen. Übrigens hatte Eva das Verbot nicht von Gott selber erhalten, sondern hatte es nur von Adam gehört; man kann ihr also nur Verführung, aber keinen Betrug zur Last legen; außerdem erlaubte wahrscheinlich ihr gesunder Frauenverstand ihr nicht, das Verbot für ernst zu halten.«

Nach dieser Antwort, die nach meiner Meinung vernünftig, geistreich und zart war, fingen zwei Genfer Gelehrte und sogar der Oheim der jungen Theologin zu murren an. Frau Tronchin sagte ernsten Tones zu Hedwig, Eva habe das Verbot ebenso gut wie ihr Mann von Gott selber erhalten; das junge Mädchen antwortete ihr jedoch nur mit einem demütigen: »Ich bitte Sie um Vergebung, gnädige Frau.«

Diese wandte sich nun beunruhigt an den Pastor und fragte ihn: »Was sagen Sie dazu, Herr Pastor?«

»Gnädige Frau, meine Nichte ist nicht unfehlbar.«

»Ich bitte um Verzeihung, lieber Onkel: wenn ich mit den Worten der Heiligen Schrift spreche, bin ich so unfehlbar wie diese.«

»Schnell eine Bibel! Wir wollen nachsehen ... Hedwig, meine liebe Hedwig... wahrhaftig, du hast recht. Hier ist die Stelle. Das Verbot ging der Erschaffung der Frau voraus.«

Alle Anwesenden klatschten Beifall; Hedwig aber blieb ruhig und bescheiden und änderte ihr Benehmen nicht, nur die beiden Gelehrten und Frau Tronchin konnten sich gar nicht beruhigen. Als eine Dame sie fragte, ob man mit gutem Gewissen glauben könne, daß die Geschichte von dem Apfel nur symbolisch sei, sagte sie: »Das glaube ich nicht, Madame; denn man könnte das Symbolische nur auf die Begattung anwenden, und es steht fest, daß zwischen Adam und Eva im Garten Eden eine solche nicht stattgefunden hat.«

»Aber darübet sind die Meinungen der Gelehrten geteilt.«

»Um so schlimmer für die Gelehrten, die anderer Meinung sind, Madame; denn die Heilige Schrift spricht sich deutlich darüber aus. Sie sagt im ersten Vers des vierten Kapitels: Adam hat Eva nach ihrer Austreibung aus dem Paradiese erkannt, und sie hat Kain empfangen.«

»Allerdings; aber in dem Verse steht nicht, daß Adam bis dahin Eva nicht erkannt hätte; es ist folglich wohl möglich, daß er sie vorher erkannt hat.«

»Das lann ich nicht zugeben; wenn er sie vorher erkannt hätte, würde sie empfangen haben: denn nach meiner Meinung wäre es eine törichte Annahme, daß der Zeugungsakt zwischen zwei Geschöpfen, die unmittelbar aus den Händen Gottes hervorgegangen und daher so vollkommen waren, wie ein Mann und eine Frau es nur sein können, ohne seine natürliche Wirkung geblieben wäre.«

Diese Antwort wurde von der ganzen Gesellschaft mit Händeklatschen aufgenommen, und jeder flüsterte seinem Nachbar die schmeichelhaftesten Bemerkungen über Hedwig ins Ohr.

Herr Tronchin fragte sie, ob man aus dem Alten Testament allein die Unsterblichkeit der Seele nachweisen könne?

»Das Alte Testament«, antwortete sie, »lehrt dieses Dogma nicht; aber wenn es auch nicht davon spricht, so stellt die Vernunft es auf, denn alles Existierende muß notwendigerweise unsterblich sein, da die Zerstörung einer wirklich vorhandenen Substanz der Natur sowohl wie dem Denken widerspricht.«

»So möchte ich denn fragen,« begann der Bankier von neuem, »ob in der Bibel das Vorhandensein der Seele festgestellt ist?«

»Der Gedanke springt in die Augen: wo Rauch ist, muß auch Feuer sein.«

»Sagen Sie mir, ob die Materie denken kann?«

»Das werde ich Ihnen nicht sagen, denn auf diesem Gebiete bin ich nicht zu Hause. Wohl aber will ich Ihnen sagen, daß ich Gott für allmächtig halte und daher keinen genügenden Grund finde, warum er nicht imstande gewesen sein sollte, der Materie Denkfähigkeit zu verleihen.«

»Was glauben Sie denn aber von sich selber?«

»Ich glaube, daß ich eine Seele habe, durch die ich denke; aber ich weiß nicht, ob ich nach meinem Tode vermöge meiner Seele mich erinnern werde, daß ich die Ehre gehabt habe, heute bei Ihnen zu speisen.«

»Sie glauben also, es wäre möglich, daß Ihr Gedächtnis nicht zu Ihrer Seele gehörte? Aber dann wären Sie keine Theologin mehr.«

»Man kann wohl Theologe und zugleich Philosoph sein, denn die Philosophie verdirbt nichts. Wenn ich sage: Ich weiß nicht, so heißt das nicht: Ich weiß.«

Dreiviertel der Gäste äußerten ihre Bewunderung durch laute Beifallsrufe; die schöne Philosophin freute sich, als sie mich vor Vergnügen über den Beifall lachen sah. Der Pastor weinte vor Freude und sagte leise etwas zu Helenens Mutter. Plötzlich wandte er sich an mich und sagte: »Stellen Sie doch meiner Nichte irgend eine Frage.«

»Ja,« rief Hedwig, »aber eine ganz neue oder gar keine!«

»Sie bringen mich in Verlegenheit; denn wie kann ich bestimmt wissen, ob ich Sie etwas Neues frage? Indessen sagen Sie mir doch, mein Fräulein, ob man, um ein Ding zu verstehen, von dem Grundbegriffe desselben ausgehen muß?«

»Das ist unbedingt notwendig; eben aus diesem Grunde ist Gott unbegreiflich, denn es gibt keinen Grundbegriff von Gott.«

»Gott sei gelobt, mein Fräulein. Ihre Antwort ist gerade so, wie ich es wünschte. Wollen Sie mir also jetzt sagen, ob Gott seine eigene Existenz wissen kann?«

»Ja – da bin ich mit meinem Latein zu Ende. Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll. Das ist aber jedenfalls nicht höflich von Ihnen, mein Herr!«

»Warum haben Sie eine ganz neue Frage von mir verlangt?«

»Das ist aber doch ganz natürlich,«

»Ich habe geglaubt, mein Fräulein, das Neueste wäre, Sie in Verlegenheit zu setzen.«

»Sehr galant! Meine Herren, haben Sie die Güte, für mich zu antworten und mich zu belehren!«

Alle redeten hin und her, aber keiner brachte etwas Befriedigendes zutage. Endlich ergriff Hedwig wieder das Wort und sagte: »Ich bin aber doch der Ansicht, daß Gott, der alles weiß, auch seine Existenz wissen muß; aber fragen Sie mich bitte nicht, wie dies möglich ist.«

»Gut! Ausgezeichnet! Mehr kann kein Mensch darüber sagen.«

Alle Gäste sahen mich als einen galanten Atheisten an, denn in der Welt ist man ja gewöhnt, oberflächlich zu urteilen. Ich machte mir aber wenig daraus, ob sie mich für einen Atheisten oder gläubigen Christen hielten.

Herr von Ximénès fragte Hedwig, ob die Materie erschaffen sei.

»Das Wort ›erschaffen‹ kenne ich nicht«, antwortete sie. »Fragen Sie mich, ob die Materie gestaltet worden ist, und meine Antwort wird bejahend lauten. Das Wort ›erschaffen‹ kann nicht existiert haben; denn die Existenz eines Dinges muß der Bildung des Wortes, das es bezeichnet, vorangehen.«

»In welchem Sinne verstehen Sie das Wort ›erschaffen‹?«

»Aus nichts machen. Sie sehen die Ungerechtigkeit; denn Sie müssen annehmen, das Nichts sei eher vorhanden gewesen als... Es freut mich sehr, Sie lachen zu sehen. Glauben Sie, das Nichts sei etwas, was erschaffen werden kann?«

»Sehr richtig, mein Fräulein!«

»Oho!« sagte einer der Gäste mit gerunzelter Stirn, »doch nicht ganz, doch nicht ganz!«

Alle lachten laut auf, denn der Widersprechende schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.

»Sagen Sie mir bitte, mein Fräulein, wer ist hier in Genf Ihr Lehrer gewesen?« fragte Herr von Ximénès.

»Mein Onkel hier.«

»O nein, liebe Nichte; denn ich will sterben, wenn ich dir jemals etwas von alledem gesagt habe, was du heute hier vorgebracht hast. Aber, meine Herrschaften, meine Nichte hat nichts zu tun; sie liest und vielleicht denkt sie etwas kühn; ich liebe sie aber, weil sie zuletzt immer sagt, sie weiß nichts.«

Eine Dame, die bis dahin kein Wort gesagt hatte, bat sie sehr höflich um eine Erklärung des Geistes.

»Madame, Ihre Frage ist rein philosophisch; ich muß Ihnen daher sagen, daß ich weder Geist noch Materie genügend kenne, um eine befriedigende Erklärung geben zu können.«

»Sie müssen aber doch eine abstrakte Vorstellung von dem wirklichen Vorhandensein haben, und da Sie das Dasein Gottes zugeben, so müssen Sie unbedingt auch einen Begriff von diesem Wesen haben. Sagen Sie mir nun, wie Sie sich die Möglichkeit seiner Einwirkung auf den Stoff vorstellen.«

»Man kann auf eine abstrakte Idee kein festes Gebäude gründen, Hobbes nannte diese Ideen leere; man kann wohl solche haben, aber man muß sie in Ruhe lassen, denn wenn man sie ergründen will, geht die Vernunft irre. Ich weiß, daß Gott mich sieht; aber ich würde mich unglücklich machen, wenn ich durch Vernunftschlüsse mich davon überzeugen wollte; denn nach unseren sinnlichen Wahrnehmungen müssen wir zugeben, daß man ohne Organe nichts machen kann. Da nun Gott keine Organe haben kann, weil wir ihn als einen reinen Geist im philosophischen Sinne auffassen, so kann Gott uns ebensowenig sehen, wie wir ihn sehen. Aber Moses und mehrere andere haben ihn gesehen, und ich glaube dies, ohne die Sache zu untersuchen.«

»Daran tun Sie sehr gut,« sagte ich zu ihr; »denn wenn Sie dieses untersuchen wollten, so würden Sie es unmöglich finden. Aber wenn Sie Hobbes lesen,laufen Sie Gefahr, Atheistin zu werden.«

»Das befürchte ich nicht, denn ich begreife nicht einmal die Möglichkeit des Atheismus.«

Nach Tisch überhäufte die ganze Gesellschaft das wirklich erstaunliche junge Mädchen mit Liebkosungen, so daß es mir unmöglich war, sie auch nur einen ruhigen Augenblick allein zu sprechen, um ihr meine zärtliche Liebe zu erklären; aber ich ging mit Helenen beiseite, und sie sagte mir, ihre Base werde mit dem Pastor am nächsten Tage bei ihrer Mutter zu Abend essen.

»Hedwig«, fuhr sie fort, »wird bei uns bleiben, und wir werden zusammen schlafen, wie es jedesmal der Fall ist, wenn sie mit ihrem Onkel abends zum Essen kommt. Es kommt also darauf an, ob Sie, um die Nacht mit uns zu verbringen, sich entschließen können, sich an einem Ort zu verstecken, den ich Ihnen morgen früh um elf Uhr zeigen werde. Machen Sie um diese Stunde meiner Mutter einen Besuch, und ich werde einen günstigen Augenblick benutzen, um Ihnen den Winkel zu zeigen. Sie werden es dort nicht bequem haben, aber Sie sind vollkommen in Sicherheit, und wenn Sie sich langweilen, so denken Sie zu Ihrer Zerstreuung daran, daß wir viel an Sie denken.«

»Werde ich lange in dem Versteck sein?«

»Höchstens vier Stunden; denn um sieben Uhr wird die Haustür geschlossen und dann nur noch auf Klingeln geöffnet.«

»Würde man mich hören können, wenn ich an dem Orte husten müßte?«

»Ja, das wäre wohl möglich.«

»Das ist eine große Schwierigkeit. Alles übrige ist ohne Bedeutung; aber einerlei, ich werde alles wagen, um mir das größte Glück zu verschaffen, das mir je entgegengebracht wurde.

Am nächsten Morgen machte ich meinen Besuch bei der Witwe, und Helene zeigte mir, als sie mich an die Tür brachte, zwischen den beiden Treppen eine geschlossene Tür.

»Um sieben Uhr«, sagte sie, »werden Sie sie offen finden. Sobald Sie eingetreten sind, schließen Sie sich ein, indem Sie den Riegel vorschieben. Wenn Sie kommen, müssen Sie aufpassen, daß im Augenblick des Eintretens niemand Sie sieht.«

Um ein Viertel vor sieben Uhr war ich bereits in der Nische eingeschlossen. Ich fand darin einen Stuhl, und dies war ein sehr glücklicher Umstand, denn sonst hätte ich mich weder hinlegen noch aufrecht stehen können. Es war ein richtiges Loch, und ich erkannte am Geruch, daß man dort Schinken und Käse aufbewahrte; in jenem Augenblick waren allerdings keine solchen Sachen darin, wie ich merkte, als ich rechts und links umhertastete, um mich in der tiefen Dunkelheit zurecht zu finden. Als ich vorsichtig mit den Füßen nach allen Seiten herumfühlte, traf ich auf etwas Weiches, das mir Widerstand leistete. Ich griff mit der Hand danach und merkte, daß es ein Handtuch war. In diesem Tuch befand sich ein zweites Tuch und darin zwischen zwei Tellern ein schönes gebratenes Huhn und Brot. Dicht daneben fand ich eine Flasche und ein Glas. Ich war meinen schönen Freundinnen dankbar, daß sie an meinen Magen gedacht hatten, aber ich hatte reichlich zu Mittag gegessen und zwar aus Vorsicht ein bißchen spät; ich beschloß daher dem Imbiß nicht eher Ehre anzutun, als bis die Schäferstunde nahe wäre.

Um neun Uhr ging ich ans Werk, und da ich weder Pfropfenzieher noch Messer hatte, so mußte ich mit einem Ziegel, den ich zum Glück aus dem schadhaften Boden losmachen konnte, den Flaschenhals zerschlagen. Es war köstlicher alter Neuenburger Wein. Außerdem war das Huhn ganz nach meinem Geschmack getrüffelt, und diese beiden Reizmittel zeigten mir, daß entweder meine beiden Nymphen einige Begriffe hatten, oder daß der Zufall sich in Unkosten gesetzt hatte, um mich nach Wunsch zu bedienen. Ich hätte meine Zeit ziemlich geduldig in diesem Loch verbracht, wenn ich nicht ab und zu von Ratten besucht worden wäre, die sich durch ihren ekelhaften Geruch ankündigten, der mir übel machte. Ich erinnerte mich, daß ich in Köln unter ähnlichen Umständen dieselbe Unannehmlichkeit zu dulden hatte.

Endlich schlug es zehn, und eine halbe Stunde später hörte ich die Stimme des Pastors, der plaudernd die Treppe herabkam; er legte Helenen ans Herz, während der Nacht keinen Unsinn mit seiner Nichte zu machen, sondern ruhig zu schlafen. Ich erinnerte mich jenes Herrn Rosa, der vor zweiundzwanzig Jahren um dieselbe Stunde das Haus der Frau Orio in Venedig verlassen hatte; indem ich einen Blick auf mich selber warf, fand ich mich sehr verändert, aber nicht vernünftiger geworden. Doch wenn ich auch nicht mehr so empfänglich für den Genuß war, so schienen mir doch die beiden Schönheiten, die mich erwarteten, hoch über den Nichten der Frau Orio zu stehen.

Während meiner langen Wüstlingslaufbahn hat mein unbesieglicher Hang zum weiblichen Geschlecht mich dazu getrieben, alle Künste der Verführung anzuwenden. Ich habe etlichen hundert Frauen, deren Reize meine Vernunft überwältigt hatten, den Kopf verdreht. Die besten Erfolge aber habe ich beständig dadurch erzielt, daß ich Neulinge, deren moralische Grundsätze und Vorurteile dem Gelingen meiner Absichten hinderlich waren, nur in Gesellschaft einer anderen Frau angriff. Ich wußte bereits in jungen Jahren, daß ein Mädchen sich zwar verführen läßt, eben weil es ihm an Mut fehlt; wenn sie dagegen mit einer Freundin zusammen ist, so ergibt sie sich ziemlich leicht: jede Schwachheit der einen veranlaßt den Fall der andern. Väter und Mütter glauben das Gegenteil; aber sie haben unrecht. Sie weigern sich gewöhnlich, einem jungen Mann ihre Tochter anzuvertrauen, um sie auf einen Ball zu führen oder mit ihr einen Spaziergang zu machen. Sie geben jedoch nach, wenn das junge Mädchen eine ihrer Freundinnen zur Obhut hat. Ich wiederhole ihnen: sie haben unrecht; denn wenn der junge Mann es richtig anzufangen weiß, ist ihre Tochter verloren. Ihre falsche Scham hält alle beide ab, der Verführung einen unerschütterlichen Widerstand zu leisten; sobald aber der erste Schritt einmal getan ist, ist der Sturz unvermeidlich und ungeheuer schnell. Sobald die Freundin sich die geringste Gunst entreißen läßt, wird sie, um nicht erröten zu müssen, die erste sein, die ihre Freundin dazu antreibt, eine größere Gunst zu gewähren; und wenn der Verführer geschickt ist, wird die Unschuldige, ohne eine Ahnung zu haben, zu weit gegangen sein, um noch zurück zu können. Je unschuldiger übrigens ein junges Mädchen ist, desto weniger weiß sie von den Wegen und der Absicht der Verführung. Ihr völlig unbewußt, zieht der Reiz eines Vergnügens sie an, die Neugier mischt sich hinein, und die Gelegenheit tut das übrige.

Es ist zum Beispiel wohl möglich, daß es mir ohne Helene gelungen sein würde, die gelehrte Hedwig zu verführen; aber ich bin überzeugt, daß ich mit Helene niemals fertig geworden wäre, wenn diese nicht gesehen hätte, daß ihre Base mir Freiheiten gewährte und sich selber Freiheiten mit mir herausnahm, die nach der Ansicht der beiden Mädchen zweifellos gegen die Schamhaftigkeit eines wohlerzogenen Fräuleins und gegen alle Anstandsbegriffe verstießen.

Ohne meine Liebesabenteuer im geringsten zu bereuen, wünsche ich doch durchaus nicht, daß mein Beispiel dazu dienen könnte, das schöne Geschlecht zu verderben, das aus so vielen Gründen unsere Huldigungen verdient. Ich wünsche lediglich, daß meine Beobachtungen vorsichtigen Vätern und Müttern nützlich sein und mir dadurch zum mindesten deren Achtung eintragen können.

Kurz nach dem Fortgehen des Pastors hörte ich dreimal leicht an die Tür meines Verstecks klopfen. Ich öffnete, und eine atlasweiche Hand ergriff die meinige. Alle meine Nerven erbebten. Es war Helenens Hand; sie hatte mich elektrisiert, und dieser Augenblick des Glücks war schon Lohn genug für mein langes Warten.

»Folgen Sie mir leise!« flüsterte sie, sobald sie die kleine Tür wieder verschlossen hatte. Aber in meiner glücklichen Ungeduld schloß ich sie zärtlich in meine Arme, und ich ließ sie die Wirkung fühlen, die ihre bloße Gegenwart auf mich ausgeübt hatte, und vergewisserte mich zugleich ihrer vollständigen Fügsamkeit.

»Seien Sie vernünftig, lieber Freund!« flüsterte sie; »wir müssen sachte nach oben gehen.« Ich folgte ihr, um mich herum tastend, und am Ende eines langen Ganges führte sie mich in ein unbeleuchtetes Zimmer, dessen Tür sie hinter uns verschloß; hierauf öffnete sie ein anderes Zimmer, worin Licht war. Ich sah darin Hedwig, die beinahe schon ausgekleidet war. Sie kam mit offenen Armen auf mich zu, sobald sie mich sah, umarmte mich voller Glut und dankte mir auf das herzlichste daß ich in einem so traurigen Loch so geduldig ausgehalten hätte.

»Meine göttliche Hedwig,« sagte ich zu ihr, »wenn ich Sie nicht rasend geliebt hätte, wäre ich keine Viertelstunde in dem Versteck geblieben; aber Sie brauchen nur zu befehlen, und ich bringe jeden Tag, den ich noch hier in Genf verweile, vier Stunden darin zu. Aber lassen Sie uns keine Zeit verlieren, liebe Freundinnen! Gehen wir zu Bett!«

»Geht nur beide zu Bett,« sagte Helene; »ich werde die Nacht auf dem Kanapee zubringen.«

»Oh, das gibt es nicht,« rief Hedwig, »daran ist nicht zu denken, unser Los muß vollkommen gleich sein.«

»Ja, göttliche Helene, ja!« rief ich, indem ich auf sie zueilte und sie umarmte, »ich liebe euch beide gleich sehr. Alle diese Förmlichkeiten dienen nur dazu, uns eine kostbare Zeit verlieren zu lassen, während welcher ich euch meine glühende Zärtlichkeit beweisen könnte. Macht es wie ich! Ich werde mich ausziehen und in die Mitte des Bettes legen. Kommt schnell an meine Seiten! Ihr werdet sehen, ob ich euch liebe, wie ihr geliebt zu werden verdient. Wenn wir hier sicher sind, so werde ich euch Gesellschaft leisten, bis ihr mir sagt, daß ich gehen muß; aber ich bitte euch: Löscht das Licht nicht aus!«

Während ich mit der gelehrten Theologin über die Schamhaftigkeit philosophierte, war ich im Handumdrehen ausgezogen und bot mich ihren Augen nackt wie Adam dar. Hedwig errötete, aber sie fürchtete vielleicht, daß eine größere Zurückhaltung mir einen schlechten Begriff von ihr geben würde, und ließ die letzte Hülle der Scham fallen, indem sie das Wort des heiligen Klemens von Alexandria zitierte, daß die Scham nur im Hemde liegt. Ich pries laut ihre Schönheiten und die Vollendung ihrer Formen, um dadurch Helenen zu ermutigen, die sich langsam auskleidete. Als ihr aber Hedwig ihre falsche Scham vorwarf, wirkte dieses mehr als alle meine Lobreden. Endlich war diese Venus im Naturzustande; sie wußte nicht, wo sie mit ihren Händen hin sollte, und bedeckte mit der einen einen Teil ihrer geheimsten Reize, mit der anderen ihre Brust; daß sie nicht alles verbergen konnte, schien sie bestürzt zu machen. Ihre schamhafte Verlegenheit, dieser Kampf zwischen erliegender Scham und Wollust entzückte mich.

Hedwig war größer als Helene, ihre Haut weißer und ihr Busen doppelt so stark; aber Helenens Schönheit war inniger beseelt, ihre Formen waren lieblicher und ihr Busen glich dem der Venus von Medici.

Als sie durch das Beispiel ihrer Base allmählich mutiger geworden war, verbrachten wir einige Augenblicke damit, uns gegenseitig zu bewundern; dann legten wir uns zu Bett. Die Natur sprach gebieterisch, und wir mußten ihrem Rufe folgen. Nachdem ich mich mit einem Sicherheitskäppchen versehen hatte, dessen Zerplatzen ich nicht zu befürchten brauchte, machte ich Hedwig zur Frau. Als das Opfer vollzogen war, bedeckte sie mich mit Küssen und sagte, der Augenblick des Schmerzes sei nichts im Vergleich mit dem Genuß.

Helene, die sechs Jahre jünger war als Hedwig, kam bald an die Reihe. Das schönste Vlies, das ich jemals gesehen habe, war ein wenig hinderlich; sie strich es mit ihren beiden Händen zur Seite. Eifersüchtig auf die Erfolge ihrer Base, stieß sie nur Seufzer des Glückes aus, obgleich sie nicht ohne eine schmerzhafte Gewaltanstrengung in das Geheimnis der Liebe eingeweiht werden konnte; sie erwiderte alle meine Anstrengungen und schien an Zärtlichkeit und Glut mit mir wetteifern zu wollen. Die Bewegungen des schönen Mädchens kürzten das süße Opfer ab, und als ich das Heiligtum verließ, sahen meine beiden Schönen, daß ich der Ruhe bedurfte.

Der Altar wurde vom Blute der Opfer gesäubert; hierauf wurde eine gemeinsame Abspülung vorgenommen, wobei wir uns mit Freuden gegenseitig bedienten.

Unter ihren eifrigen und neugierigen Händen erwachte ich zu neuem Leben, und dieser Anblick erfüllte sie mit Freude. Ich sagte ihnen, ich müßte unbedingt während der Zeit, die ich noch in Genf verbringen würde, dieses Glück recht oft genießen; aber sie antworteten mir seufzend, dies sei unmöglich.

»In fünf oder sechs Tagen können wir uns vielleicht wieder ein solches Fest verschaffen, das wird aber auch alles sein.«

»Laden Sie uns,« sagte Hedwig, »morgen zum Abendessen in Ihren Gasthof ein, vielleicht bietet der Zufall uns Gelegenheit, einen süßen Raub zu begehen.«

Ich nahm diesen Rat an.

Wir fingen wieder an. Da ich meine Natur kannte und sie nach Belieben täuschen konnte, machte ich sie mehrere Stunden lang glücklich, indem ich fünf- oder sechsmal von der einen zur andern ging, bevor ich meine Kraft erschöpfte und auf den Höhepunkt des Genusses gelangte. Da ich sie gelehrig und genußbegierig sah, ließ ich sie in den Zwischenräumen die schwierigsten Stellungen des Aretino ausführen; dies ergötzte sie über alle Maßen. Alles, was wir bewunderten, überschütteten wir mit unsern Küssen; in einem Augenblick, wo Hedwig gerade ihre Lippen auf die Mündung des Pistols preßte, ging der Schuß los und überströmte ihr Gesicht und ihren Busen. Sie strahlte vor Freude darüber und betrachtete diesen Erguß, den die beiden Mädchen wunderbar fanden, mit dem Lerneifer einer Schülerin der Naturwissenschaften. Die Nacht erschien uns kurz, obgleich wir keine Minute verloren hatten; aber am Morgen mußten wir uns trennen, sobald der Tag anbrach. Ich ließ sie in ihrem Bett liegen, und es glückte mir, das Haus zu verlassen, ohne von einem Menschen gesehen zu werden.

Nachdem ich bis Mittag geschlafen hatte, stand ich auf, zog mich sorgfältig an und machte dem Pastor einen Besuch. Ich kargte ihm gegenüber nicht mit dem Lobe seiner reizenden Nichte. Dies war das sicherste Mittel, um ihn zu der Zusage zu veranlassen, daß er am nächsten Tage bei mir in der Wage zu Abend essen würde.

»Wir sind ja in der Stadt,« sagte ich ihm, »können also beisammen bleiben, so lange wir wollen; aber sehen Sie doch zu, daß Sie auch die liebenswürdige Witwe und ihre reizende Tochter mitbringen können.« Er versprach mir dies.

Am Abend besuchte ich den Syndikus und die drei Freundinnen, die mich begreiflicherweise ein wenig kalt fanden. Ich schützte starkes Kopfweh vor und sagte ihnen, ich hätte die gelehrte Theologin zum Abendessen eingeladen. Ich forderte sie und den Syndikus auf, doch ebenfalls zu kommen; ich hatte jedoch vorausgesehen, daß dieser Einspruch dagegen tun würde, weil die Leute darüber reden konnten.

Meine Hauptsorge war, die auserlesensten Weine zum Wichtigsten an der ganzen Mahlzeit zu machen. Der Pastor und seine Freundin tranken viel, und ich kam ihrem Geschmack nach besten Kräften entgegen. Als ich sah, daß alles nach Wunsch ging, daß sie ein bißchen benebelt und ganz mit ihren alten Erinnerungen beschäftigt waren, winkte ich den beiden Schönen, und sie gingen hinaus, wie wenn sie eine gewisse Örtlichkeit suchen wollten. Ich ging mit ihnen hinaus, wie wenn ich ihnen Bescheid sagen wollte, ließ sie aber in ein anderes Zimmer eintreten und sagte ihnen, sie möchten auf mich warten.

Ich ging wieder hinein, und da die beiden Alten ganz mit sich selber beschäftigt waren und kaum bemerkten, daß ich da war, so machte ich Punsch zurecht, setzte ihnen diesen vor und sagte dann, ich würde auch den jungen Damen welchen bringen; diese unterhielten sich damit, Kupferstiche zu besehen. Ich verlor keinen Augenblick und machte ihnen mehrere Besuche, die sie interessant fanden. Solche gestohlenen Genüsse haben einen unaussprechlichen Reiz. Als wir einigermaßen befriedigt waren, gingen wir zusammen wieder in das Zimmer, und ich machte noch einmal Punsch. Helene rühmte ihrer Mutter die Kupferstiche und forderte sie auf, sich diese mit uns anzusehen.

»Ich mache mir nichts daraus,« sagte die alte Dame.

»Na, dann wollen wir sie noch einmal besehen!« rief Helene.

Ich fand die List köstlich und ging mit meinen beiden Heldinnen hinaus. Wir vollbrachten Wunder. Hedwig philosophierte über den Genuß und sagte, sie würde ihn niemals gekannt haben, wenn ich nicht zufällig ihren Oheim kennen gelernt hätte. Helene sprach nicht; aber wollüstiger als ihre Base, geriet sie in Verzückung wie eine Taube und belebte sich dann von neuem, um einen Augenblick darauf wieder zu sterben. Ich bewunderte diese erstaunliche Fruchtbarkeit, obwohl dies ziemlich häufig vorkommt: vierzehnmal wechselte sie in der Zeit, die ich zu einer einzigen Operation brauchte, zwischen Leben und Tod. Allerdings machte ich bereits den sechsten Ritt und verlangsamte zuweilen mein Tempo, um mich an ihrem Glücke zu weiden.

Bevor wir uns trennten, versprach ich ihnen, Helenens Mutter jeden Tag zu besuchen, um bei dieser Gelegenheit erfahren zu können, wann ich vor meiner Abreise noch eine Nacht mit ihnen würde verbringen können. Um zwei Uhr morgens trennten wir uns.

Drei oder vier Tage später sagte Helene mir in zwei Worten, Hedwig werde an diesem Tage bei ihr schlafen, sie werde daher zur selben Stunde die Tür offen lassen.

»Ich werde kommen.«

»Und ich werde Sie einschließen; aber Sie müssen im Dunklen bleiben, weil sonst die Magd das Licht sehen könnte.«

Ich war pünktlich, und mit dem Schlage zehn Uhr sah ich sie freudestrahlend ankommen.

»Ich habe vergessen, Ihnen vorher zu sagen,« sagte Helene zu mir, »daß Sie hier ein Huhn finden würden.«

Ich hatte Hunger; ich verschlang es in einem Augenblick, und dann überließen wir uns dem Glück.

Am zweiten Tage darauf mußte ich abreisen. Ich hatte von Herrn Raiberti zwei Briefe erhalten. In dem einen schrieb er mir, er habe meine Vorschriften hinsichtlich der Corticelli befolgt; im zweiten teilte er mir mit, sie würde wahrscheinlich im Karneval als erste Figurantin auftreten und Gehalt bekommen. Ich hatte in Genf nichts mehr zu tun, und Frau von Urfé erwartete mich nach unserer Verabredung in Lyon. Ich mußte also dorthin. Unter diesen Umständen war die Nacht, die ich mit den beiden reizenden Mädchen verbringen sollte, mein letztes Geschäft.

Mein Unterricht hatte Früchte gezeitigt: meine beiden Schülerinnen waren bereits Meisterinnen in der Kunst, das Glück zu genießen und mitzuteilen, aber in den Pausen wich die Freude der Traurigkeit.

»Wir werden unglücklich sein, lieber Freund,« sagte Hedwig zu mir, »und wir wären bereit, dir zu folgen, wenn du dich unserer annehmen wolltest.«

»Ich verspreche euch, liebe Freundinnen, vor Ablauf von zwei Jahren wiederzukommen.«

Sie brauchten nicht einmal so lange zu warten. Gegen Mitternacht schliefen wir ein; um vier Uhr wachten wir auf und setzten unsere Liebeskämpfe bis sechs Uhr fort. Eine halbe Stunde darauf verließ ich sie; ich war völlig erschöpft und blieb den ganzen Tag im Bett liegen. Am Abend suchte ich den Syndikus und seine Freundinnen auf. Ich fand dort Helene; sie stellte sich heuchlerischerweise, wie wenn sie über meine Abreise nicht tiefer betrübt wäre als die andern. Um sich nicht zu verraten, erlaubte sie dem Syndikus, sie ebenso zu küssen wie die andern. Ich ahmte ihre List nach und bat sie, ihrer gelehrten Base in meinem Namen Lebewohl zu sagen, indem ich mich entschuldigte, daß ich nicht persönlich käme, um Abschied zu nehmen.

Am folgenden Tage reiste ich in aller Frühe ab, und am Abend des zweiten Tages kam ich in Lyon an. Ich fand Frau von Urfé nicht dort; sie war nach der Landschaft Bresse gefahren, wo sie ein Gut besaß. Aber ich fand einen Brief, worin sie mir mitteilte, es werde ihr sehr angenehm sein, mich dort zu sehen. Ich verlor keinen Augenblick und fuhr dorthin.

Sie empfing mich auf ihre gewöhnliche Art, und ich sagte ihr, ich müsse nach Turin fahren und dort auf Frederigo Gualdo warten, das damalige Oberhaupt der Rosenkreuzer. Ich ließ ihr durch das Orakel enthüllen, er werde mit mir nach Versailles kommen; dort werde er sie glücklich machen. Nach diesem Orakel konnte sie also nicht daran denken, nach Paris zurückzukehren, bevor wir uns gesehen hatten. Das Orakel sagte ihr ferner, sie müsse in Lyon auf Nachrichten von mir warten und den jungen d'Aranda mit hinnehmen. Der Kleine überhäufte mich mit Liebkosungen und bat mich, ihn mit mir nach Turin zu nehmen. Wie man sich wohl denken kann, wußte ich seinen Bitten auszuweichen.

Als wir wieder in Lyon waren, brauchte Frau von Urfé vierzehn Tage, um für mich fünfzigtausend Franken aufzutreiben, die ich vielleicht für diese glückliche Reise nötig haben konnte. Während dieser vierzehn Tage machte ich gute Bekanntschaft mit einer Frau Pernon. Ich gab bei ihrem Gemahl, einem reichen Fabrikanten, viel Geld aus, um mir eine elegante Garderobe anfertigen zu lassen. Frau Pernon war schön und geistreich. Ihr Liebhaber war ein Mailänder, namens Bono, Geschäftsführer eines Schweizer Bankiers Sacco. Durch Vermittlung der Frau Pernon ließ Bono der Frau von Urfé durch seinen Bankier fünfzigtausend Franken geben. Sie übergab mir diese Summe und zugleich die drei Kleider, die sie der Lascaris versprochen hatte; die Corticelli aber hat sie niemals zu sehen bekommen. Eins von diesen Kleidern war mit Zobelmarder besetzt und von seltener Schönheit. Ausgestattet wie ein Fürst veiließ ich Lyon und reiste nach Turin, wo ich den berühmten Gualdo finden sollte, der kein anderer war als der treulose Ascanio Pogomas, den ich von Bern hatte kommen lassen. Ich dachte, es würde für mich leicht sein, diesem Komödianten die Rolle einzustudieren, für die ich ihn bestimmt hatte. Wie man sehen wird, wurde ich in grausamer Weise getäuscht.

Ich konnte mich nicht enthalten, einen Tag in Chambéry zu bleiben, um dort meine schöne Klostergefangene zu sehen. Ich fand sie schön, ruhig und zufrieden; aber sie trauerte noch um den Verlust ihrer jungen Pensionärin, die man verheiratet hatte.

Zu Anfang Dezember in Turin angekommen, fand ich in Rivoli die Corticelli, die der Chevalier von Raiberti von meinem Eintreffen in Kenntnis gesetzt hatte. Sie überbrachte mir einen Brief von diesem liebenswürdigen Herrn; er schrieb mir die Adresse des Hauses, das er für mich gemietet hatte, da ich nicht im Gasthof absteigen wollte. Ich richtete mich unverzüglich in meiner Wohnung ein.


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