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Die Corticelli war sanft wie ein Lamm; sie verabschiedete sich von mir, als wir in Turin einfuhren. Ich versprach, sie zu besuchen, und begab mich in meine Wohnung, die ich in jeder Hinsicht angenehm fand.
Der liebenswürdige Chevalier de Raiberti suchte mich sofort auf; nachdem er über seine Auslagen für die Corticelli Rechenschaft abgelegt hatte, übergab er mir den Rest des von mir gesandten Geldes.
»Ich bin reich an Mitteln,« sagte ich zu ihm, »und habe die Absicht, meine Freunde oft zum Souper einzuladen; hätten Sie vielleicht einen guten Koch an der Hand?«
»Ich habe die Perle aller Kochkünstler,« antwortete er mir, »und Sie können diese sofort haben.«
»Sie sind die Perle aller Menschen, Herr Chevalier! Besorgen Sie mir dieses Wunder, sagen Sie ihm, daß ich große Ansprüche mache, und vereinbaren Sie den Preis, den er monatlich erhalten muß.«
Ich bekam in der Tat noch am gleichen Abend einen ausgezeichneten Koch.
»Es wird sehr gut sein,« sagte Raiberti zu mir, »wenn Sie dem Grafen d'Aglié einen Besuch machen. Er weiß bereits, daß die Corticelli zu Ihnen gehört, und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Pazienza, bei der sie wohnt, den gemessenen Befehl hat, Sie niemals mit dem jungen Mädchen allein zu lassen, wenn Sie dieses besuchen.«
Ich fand diesen Befehl sehr scherzhaft; da ich mich aber für die Corticelli nicht mehr interessierte, so beklagte ich mich nicht darüber; der wackere Chevalier dagegen, der mich für verliebt hielt, sah aus, wie wenn ich ihm sehr leid täte.
»Bis jetzt,« sagte er, »ist ihre Aufführung hier tadellos gewesen.«
»Das freut mich.«
»Sie könnten ihr einige Unterrichtsstunden von Dupré geben lassen; er ist Ballettmeister und wird sie infolgedessen sicherlich während des Karnevals irgend einen pas de deux tanzen lassen.«
Ich versprach dem prächtigen alten Herrn, seinen Rat zu befolgen, und begab mich hierauf zum Vikar.
Dieser empfing mich sehr höflich und sagte, er freue sich, daß ich nach Turin zurückgekehrt sei. Hierauf fuhr er lachenden Mundes fort: »Ich bin davon unterrichtet, daß Sie eine Tänzerin unterhalten; ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, daß die ehrenwerte Frau, bei der sie Kost und Wohnung hat, den strengsten Befehl hat, ihr den Empfang von Besuchern nur in ihrer Gegenwart zu gestatten.«
»Dies ist mir sehr angenehm, Herr Graf,« antwortete ich ihm, »um so angenehmer, da ich ihre Mutter nicht für sehr strenge halte. Herr Chevalier de Raiberti, an den ich das junge Mädchen empfohlen habe, kannte meine Absichten, und ich bin entzückt, daß er sie so ausgezeichnet ausgeführt hat. Ich wünsche, daß das Mädchen sich Ihres Schutzes würdig zeigen möge.«
»Gedenken Sie hier den Karneval zu verbringen?«
»So ziemlich – das heißt, wenn es Eurer Exzellenz recht ist.«
»Das hängt durchaus nur von Ihrer guten Aufführung ab.«
»Abgesehen von einigen kleinen Sünden ist mein Verhalten stets vorwurfsfrei.«
»Es gibt kleine Sünden, die wir hier nicht dulden. Haben Sie den Chevalier Osorio schon gesehen?«
»Ich gedenke ihm heute oder morgen meine Aufwartung zu machen.«
»Überbringen Sie ihm bitte meine Komplimente.«
Nach diesen Worten klingelte er und machte mir eine Verbeugung. Ich ging.
Chevalier Osorio empfing mich im Ministerium des Auswärtigen auf die liebenswürdigste Weise. Nachdem ich ihm über meinen Besuch beim Vikar berichtet hatte, fragte er mich, ob ich willens wäre, mich fügsam dem Gesetz zu unterwerfen, das mir verböte, meine Geliebte ohne Zwang zu sehen.
»Ja,« antwortete ich, »denn ich mache mir nichts aus dem Gegenstand.«
Er sah mich mit einem philosophischen Gesicht an und sagte: »Ihre Gleichgültigkeit wird vielleicht der ehrenwerten Hüterin, die mit der Überwachung beauftragt ist, gar nicht sehr gefallen.«
Dies war deutlich genug gesprochen; aber es war mir wirklich sehr angenehm, daß ich mich genötigt fand, die Corticelli stets nur in Gegenwart des Cerberus zu sehen. Ein bißchen Skandal war mir nicht unlieb, und ich wußte, daß die Leute darüber reden würden, und war neugierig, wie die Folgen sein würden.
In meiner Wohnung fand ich den Genuesen Passano, den schlechten Dichter und schlechten Maler, den ich zur Rosenkreuzerrolle bestimmt hatte, weil er eines jener eigentümlichen Gesichter hatte, die auf den ersten Blick, wenn auch nicht Ehrfurcht, so doch eine gewisse Furcht, ein unbeschreibliches Gefühl von Unbehaglichkeit einflößen, das im Grunde nichts anderes ist als das natürliche Vorgefühl, unter dieser Gestalt entweder einen geschickten Spitzbuben oder einen Gelehrten mit vertrocknetem Herzen und verdrießlichem Gemüt zu finden.
Ich ließ ihn mit mir zu Abend essen und wies ihm eine Wohnung im dritten Stock an, indem ich ihm die Verpflichtung auferlegte, sein Zimmer nur zu verlassen, wenn ich ihn würde rufen lassen. Beim Essen fand ich in ihm einen albernen Anekdotenerzähler, einen unwissenden boshaften Trunkenbold; es tat mir bereits leid, ihn mir aufgeladen zu haben. Aber es war einmal geschehen.
Ich war neugierig, wie die Corticelli untergebracht wäre, und machte ihr daher am nächsten Tage meinen ersten Besuch. Ich brachte ihr ein Stück Lyoner Seidenstoff zu Winterkleidern mit. Ich fand sie und ihre Mutter im Zimmer der Wirtin. Diese sagte mir, als sie mich eintreten sah, es sei für sie sehr schmeichelhaft, mich bei sich zu sehen, und es würde ihr eine große Freude sein, mich oft bei Tisch zu sehen. Ich dankte ihr, ohne allzuviele Komplimente zu machen, und wandte mich dann ziemlich gleichgültig an das Mädchen.
»Zeigen Sie mir Ihr Zimmer,« sagte ich zu ihr. Sie führte mich hin, ihre Mutter begleitete uns und die Wächterin ließ nicht auf sich warten.
»Hier haben Sie Stoff, um sich Winterkleider machen zu lassen,« sagte ich zu ihr.
»Ist das ein Geschenk der Marquise?«
»Nein, dieses Geschenk mache ich Ihnen.«
»Aber ich soll drei Kleider erhalten, die sie mir gegeben hat.«
»Sie haben wohl vergessen, unter welchen Bedingungen dies geschah. Wir werden ein anderes Mal darüber sprechen.«
Sie breitete den Stoff aus und fand ihn nach ihrem Geschmack; es fehlte ihr aber an dem Besatz dazu. Die Pazienza bot ihre guten Dienste an und sagte: »Wenn Sie wünschen, werde ich die Modistin kommen lassen; sie wohnt gleich nebenan.«
Ich gab durch ein Kopfnicken meine Zustimmung zu erkennen. Sobald sie hinaus war, um ihre Aufträge zu erteilen, sagte Signora Laura zu mir, es tue ihr sehr leid, daß sie mich nur in dem Zimmer der Wirtin empfangen könne.
»Ich glaubte,« versetzte ich, »dies würde für Ihre Tugend eine große Freude sein.«
»Ich danke Gott morgens und abends dafür.«
»Schamlose Heuchlerin,« sagte ich mit einem verächtlichen Blick; »wer Sie nicht kennt, könnte sich von diesen Worten betrügen lassen.«
Einige Minuten darauf kamen Victorine und ein anderes junges Mädchen mit Putzschachteln herein,
»Sind Sie noch bei Frau R.?« fragte ich sie.
»Ja, mein Herr!« antwortete sie errötend. Als die Corticelli ausgesucht hatte, was sie haben wollte, bat ich Victorine, ihre Herrin von mir zu grüßen und ihr zu sagen, ich würde selber kommen, um zu bezahlen.
Die Wirtin hatte auch eine Schneiderin holen lassen, und während sie Maß nahm, sagte die Corticelli zu mir, indem sie mir ihre Hüften zeigte, sie brauche ein Mieder. Ich machte eine scherzhafte Bemerkung über die auf einmal wieder verschwundene Schwangerschaft, womit sie mich bedroht hatte, und beklagte den Grafen N., daß er der süßen Vaterfreuden beraubt wäre. Hierauf gab ich ihr so viel Geld, wie sie etwa nötig haben konnte, und entfernte mich. Sie geleitete mich an die Tür und fragte mich natürlich, ob sie bald das Vergnügen haben würde, mich wiederzusehen.
»Wenn dies ein Vergnügen ist« antwortete ich, »so weiß ich nicht, wann ich Lust haben werde, es Ihnen zu verschaffen; das hängt von Laune und Gelegenheit ab.«
Ganz gewiß würde ich die Corticelli nicht einen Augenblick in diesem Hause gelassen haben, wenn ich noch in sie verliebt oder auch nur neugierig auf sie gewesen wäre. Aber ich wiederhole, dies war durchaus nicht der Fall. Nur eins ärgerte mich im höchsten Grade: daß nämlich die junge Spitzbübin mich trotz meiner Miene noch für so duldsam halten konnte, um zu glauben, ich hätte ihr früheres Benehmen vergessen.
Nachdem dieser Besuch bei der Corticelli erledigt war, suchte ich meine Bankiers auf, unter anderen auch Herrn Martin, dessen Frau durch ihren Geist und ihre Schönheit berühmt war.
Unterwegs begegnete ich dem jüdischen Pferdehändler, der mich zu seiner Tochter Lia schleppte. Ich fand sie noch schön, aber sie war verheiratet, und ihr Leib war zu umfangreich geworden. Ihr Mann empfing mich, wie auch sie selber, mit großen Freudenbezeigungen; sie flößte mir jedoch keine Neugier mehr ein, und ich machte keinen Versuch, sie wiederzusehen.
Ich fand Frau R. ungeduldig, mich wiederzusehen, seitdem Victorine ihr gesagt hatte, daß ich da sei. Ich setzte mich an ihren Schreibtisch und hatte das Vergnügen, mir alle galanten Geschichten von Turin erzählen zu lassen. »Von allen jungen Mädchen, die Sie bei mir gesehen haben,« sagte sie zu mir, »bleiben mir nur noch Victorine und Raton; aber ich habe die andern ersetzt.«
»Hat Victorine jemanden gefunden, der die Operation an ihr vollzogen hat?«
»Nein, sie ist immer noch, wie Sie sie gelassen haben; aber ein Herr, der in sie verliebt ist, will sie nach Mailand reisen lassen.«
Dieser Herr war der Graf de Pérouse, mit dem ich drei Jahre später in Wien bekannt wurde. Ich werde von ihm sprechen, wenn ich so weit bin. Frau R. sagte mir mit betrübtem Gesicht, sie habe infolge einiger ärgerlicher Verwickelungen mit der Polizei dem Grafen d'Aglié versprechen müssen, ihre Arbeiterinnen nur noch zu Damen zu schicken; wenn ich also irgend eine nach meinem Geschmack fände, so könnte ich sie mir nur dadurch verschaffen, daß ich sie zu irgend einer Festlichkeit mitnähme, nachdem ich mich vor dieser bei ihren Eltern eingeführt hätte. Sie zeigte sie mir in dem Saal, worin sie arbeiteten; aber keine von ihnen schien mir besonderer Anstrengungen wert zu sein.
Sie sprach auch von der Dame Pazienza, und als ich ihr erzählte, daß ich für die Corticelli den Unterhalt bezahlte, und welchen harten Bedingungen ich mich unterworfen hätte, da erhob sie ein lautes Geschrei; ich mußte herzlich lachen über eine Menge boshafter Witze, die sie über dieses Thema machte.
»Sie sind da in guten Händen, mein Herr,« sagte sie zu mir; »ich kenne das Frauenzimmer. Glauben Sie mir, sie ist nicht nur eine Spionin des Grafen d'Aglié, sondern auch eine gewerbsmäßige Kupplerin. Sie ist in der ganzen Stadt berüchtigt, und ich wundere mich, daß der Chevalier de Raiberti Ihre Geliebte solchen Händen anvertraut hat.«
Sie besänftigte sich, als ich ihr sagte, der Chevalier habe gute Gründe gehabt, um so zu handeln, und ich habe die meinigen, um recht froh zu sein, daß die Corticelli dort sei und nicht anderswo.
Unsere Unterhaltung wurde durch einen Kunden unterbrochen, der seidene Strümpfe verlangte. Da ich vom Tanzen sprechen hörte, so fragte ich ihn, ob er mir sagen könnte, wo der Ballettmeister Herr Dupré wohne.
»Das kann niemand so gut wie ich, mein Herr, denn ich bin Dupré, Ihr ergebener Diener.«
»Ich bin dem Zufall dankbar, der dieses Zusammentreffen herbeigeführt hat. Herr Chevalier de Raiberti hat heute früh mit mir über Sie gesprochen; er hat mir Hoffnung gegeben, Sie würden so gefällig sein, einer jungen Figurantin, die ich kenne, Tanzstunden zu geben.«
»Herr von Raiberti hat heute vormittag schon mit mir darüber gesprochen; Sie sind gewiß Herr Chevalier de Seingalt.«
»Das Fräulein kann jeden Morgen um neun Uhr zu mir kommen.«
»Nein, Sie werden die Güte haben, zu ihr zu gehen; aber zu einer Zeit, die Ihnen paßt. Ich werde Sie bezahlen, und ich hoffe, Sie bringen sie dahin, eine von Ihren besten Schülerinnen zu werden. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sie keine Anfängerin mehr ist.«
»Mein Herr, ich werde sie noch heute aufsuchen, und morgen werde ich Ihnen sagen, was ich aus ihr machen kann; aber Sie werden es nicht unangemessen finden, wenn ich Ihnen meinen Preis sage: ich nehme für die Stunde drei Piemontesische Livres.«
»Ich finde Ihren Preis sehr bescheiden. Morgen werde ich bei Ihnen vorsprechen.«
»Es wird mir eine Ehre sein. Hier ist meine Adresse. Wenn Sie am Nachmittag kommen, werden Sie eine Ballettprobe sehen.«
»Wird denn die Probe nicht im Theater abgehalten?«
»Oh, bitte sehr, gewiß! Aber im Theater hat niemand Zutritt zur Probe. Das ist besonderer Befehl des Vikars.«
»Dieser Vikar steckt seine Nase in sehr viele Sachen.«
»In zu viele.«
»Aber in Ihrer Wohnung dürfen Sie empfangen, wen Sie wollen?«
»Ganz gewiß! Aber ich könnte meine Tänzerinnen nicht empfangen, wenn ich nicht meine Frau hätte; der Herr Vikar kennt sie und hat viel Vertrauen zu ihr.«
»Sie werden mich auf der Probe sehen.«
Dieser unglückselige Vikar mit der bepflasterten Nase hatte gegen alle, die das Vergnügen lieben, ein schreckliches Spioniersystem ersonnen; man muß jedoch einräumen, daß Amor hinter seinem Rücken ihm recht gelungene Streiche spielte. Die Wollust verlor durchaus nicht durch den Zwang, den der Tyrann ihr auferlegte, sondern gewann die ganze Würze, um die die Lust durch Geschicklichkeit vermehrt wird. So wird es sein, so lange die Männer Leidenschaften und die Frauen Begierden haben. Lieben und genießen, begehren und seine Begierde zu befriedigen trachten: dies ist der Kreislauf, worin die Menschheit sich bewegt und aus welchem man sie nicht herausbringen kann; denn wenn ihr auf den natürlichen Wegen Zwang angetan wird, wie z. B. in der Türkei, so schlägt sie Umwege ein, die zum selben Ziel führen, aber zum Schaden der Moral und der Sitte.
Ich traf bei der guten Mazzoli zwei Herren, die sie mir vorstellte, nachdem sie ihnen meinen Namen genannt hatte. Der eine war sehr alt und sehr häßlich; er war mit dem weißen Adlerorden dekoriert und hieß Graf Borromeo; der andere, noch jung und lebenslustig, war ein Graf A. B. von Mailand. Als sie fort waren, erfuhr ich von ihr, die beiden Kavaliere machten ihr sehr eifrig den Hof, um dadurch dem Chevalier Raiberti zu gefallen, den sie nötig hatten, um für ihre der Sardinischen Gerichtsbarkeit unterworfenen Landgüter Privilegien zu erhalten.
Der Mailänder Graf besaß keinen Heller, und der Beherrscher der Borromeischen Inseln war nicht viel reicher als er. Nachdem er sich für und durch die Frauen zugrunde gerichtet hatte, konnte er nicht mehr in Mailand leben und hatte sich auf die schönste seiner Inseln im Lago maggiore zurückgezogen, wo er sich eines ewigen Frühlings, und sehr geringer Bequemlichkeit erfreute. Ich habe ihm nach meiner Rückkehr aus Spanien einen Besuch gemacht; von diesem werde ich jedoch erst erzählen, wenn ich mit der Beschreibung meiner Abenteuer, meiner angenehmen Bekanntschaften, meiner Freuden, meiner Leiden und vor allen Dingen meiner Unvorsichtigkeiten so weit gekommen bin! Denn alle diese Dinge sind in meinem Leben durcheinander gemischt, den ersten Rang aber nehmen meine Unklugheiten ein.
Als das Gespräch auf meine Wohnung kam, fragte die quecksilberne Mazzoli mich, ob ich mit meinem Koch zufrieden sei. Ich antwortete ihr, ich hätte ihn noch nicht auf die Probe gestellt, gedächte dies jedoch den nächsten Tag zu tun, wenn sie mir die Ehre erweisen wollte, mit den beiden Herren bei mir zu Abend zu essen. Die Einladung wurde angenommen, und sie versprach mir, ihren lieben Chevalier mitzubringen, der dann nicht zu Mittag essen würde, wenn er es rechtzeitig vorher wüßte; er dürfe nämlich seiner Gesundheit wegen täglich nur eine Mahlzeit halten.
Meinem Versprechen gemäß ging ich zu Dupré. Ich sah dort die Tänzer und Tänzerinnen der Oper, von denen die letzteren von ihren Müttern begleitet waren, die in Mäntel und Muffe gehüllt im Hintergrunde saßen. Als ich sie mit der Miene eines großen Herrn musterte, bemerkte ich unter ihnen etwas recht Seltenes, nämlich eine, die noch frisch und schön war; ich zog daraus einen günstigen Schluß auf die Tochter, obgleich die Frucht nicht immer dem Baum gleicht, der sie getragen hat.
Dupré stellte mich seiner Frau vor; sie war jung und hübsch wie ein Engel, hatte aber vom Theater abgehen müssen, weil sie schwindsüchtig war. Sie sagte mir: wenn die Corticelli fleißig sei und sich Mühe geben wollte, würde ihr Mann eine Virtuosa aus ihr machen, denn sie schiene die Anlagen zu haben, eine ausgezeichnete Tänzerin zu werden. Während ich mich mit ihr unterhielt, lief die selige Lascaris, indem sie sich die Miene einer Favoritin gab, auf mich zu und sagte mir, sie brauche Bänder und Blonden, um sich Hauben zu machen. Die jungen Tänzerinnen flüsterten untereinander; ich erriet wohl, welche Bemerkungen sie austauschten, sagte jedoch kein Wort zu dem jungen Tollkopf, sondern zog zwölf Piemontesische Pistolen aus meiner Börse. Ich gab sie Dupré und sagte ihm, dieses Geld sei für drei Monate Unterricht, die ich ihm mit Vergnügen vorausbezahlen wolle, indem ich hoffe, daß er seine neue Schülerin vorwärts bringen werde. Die Vorausbezahlung einer so großen Summe rief allgemeines Erstaunen hervor; dies machte mir Spaß, ich ließ mir jedoch nichts merken. Heute fühle ich, daß es eine Schwäche war; aber ich habe versprochen, in diesen Erinnerungen, die erst nach meinem Tode ans Licht kommen werden, nur die Wahrheit zu sagen, und ich halte mein Versprechen. Ich bin stets nach Auszeichnung begierig gewesen und habe stets die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken geliebt. Aber ich bin es mir selber schuldig, hinzuzusetzen, daß ich niemals einen Menschen habe demütigen wollen, außer dummen oder hochmütigen Laffen; denn für gewöhnlich wollte ich dadurch nur den Genuß auf bequeme Weise erlangen.
Ich setzte mich abseits, um den Schwarm von jungen Mädchen besser beobachten zu können. Bald sah ich unter ihnen eine, deren ganze Erscheinung einen tiefen Eindruck auf mich machte. Sie hatte eine schöne Gestalt, feine und zarte Züge, eine edle und anständige Miene, und dabei lag in ihrer Haltung ein Ausdruck von Geduld, der meine Teilnahme im höchsten Grade erregte. Sie war die Partnerin eines Tänzers, der ihr, wenn er nicht zufrieden war, Grobheiten sagte; sie ertrug diese, ohne zu antworten, man konnte jedoch auf ihren beweglichen Zügen den Ausdruck der Verachtung erkennen, der nur durch die über ihr ganzes Wesen ausgegossene Sanftmut gemildert wurde.
Mein Instinkt zog mich zu der hübschen Frau hin, die ich unter den Müttern bemerkt hatte; ich fragte sie nach der hübschen Tänzerin, die meine Teilnahme erregt hatte.
»Ich bin ihre Mutter, mein Herr,« antwortete sie mir.
»Sie, Madame? Sie sehen nicht so aus.«
»Ich war sehr jung, als ich sie gebar.«
»Das glaube ich gern. Woher sind Sie?«
»Aus Lucca, mein Herr; ich bin Witwe und arm.«
»Wie können Sie arm sein? Sie sind noch schön und jung, und Ihre Tochter ist ein Engel!«
Sie sah mich mit einem bedeutungsvollen Blick an, antwortete aber nicht. Ich begriff ihre Zurückhaltung und blieb, ohne noch weiter zu sprechen, neben ihr sitzen. Einen Augenblick darauf kam Agata, so hieß ihre Tochter, und bat sie um ein Taschentuch, um sich das Gesicht abzuwischen.
»Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Ihnen das meinige anzubieten,« sagte ich.
Es war blütenweiß und mit Rosenessenz parfümiert; dieser letztere Umstand veranlaßte sie, es anzunehmen; nachdem sie aber daran gerochen hatte, wollte sie es mir wieder geben.
»Sie haben es ja nicht benutzt,« sagte ich; »tun Sie es doch!«
Sie tat es und überreichte es mir hierauf mit einer dankenden Verneigung.
»Sie können es mir erst wiedergeben, schöne Agata, wenn Sie es haben waschen lassen.«
Sie lächelte und gab das Tuch ihrer Mutter; diese sah mich mit einem dankbaren Blick an, den ich für ein gutes Zeichen hielt.
»Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Sie in Ihrer Wohnung zu besuchen?«
»Ich könnte Sie, mein Herr, nur in Gegenwart der Frau empfangen, bei der wir wohnen.«
»Ist denn dieser verfluchte Zwang in ganz Turin eingeführt?«
»Jawohl; so macht der Herr Vikar es mit allen.«
»So werde ich denn das Vergnügen haben, Sie hier wiederzusehen.«
Am Abend erhielt ich die beste Mahlzeit, die ich vielleicht überhaupt in meinem ganzen Leben gehabt habe, ausgenommen die, die ich sonst in Turin erhielt. Mein Koch war eines Lukullus würdig; aber ohne ihm den Ruhm seiner Geschicklichkeit schmälern zu wollen, muß ich auch dem Lande Gerechtigkeit widerfahren lassen; alle Erzeugnisse sind von ausgezeichneter Güte: Wild, Fische, Geflügel, Schlachtfleisch, Gemüse aller Art, Obst, Käse, Trüffeln – alles ist würdig, auf der Tafel des leckersten Gastronomen zu erscheinen, und selbst der größte Feinschmecker kann die einheimischen Weine fremden vorziehen. Schade, daß eine Stadt wie Turin den Fremden keine vollkommene Freiheit bietet! Allerdings könnte man wohl noch einen etwas vornehmeren Ton in der guten Gesellschaft wünschen, mehr Ehrlichkeit in allen Ständen und jenen angenehmen Umgangston, den man in mehreren Städten Italiens, besonders aber in Frankreich findet.
Offenbar verdanken die Frauen, die in Turin durchweg schön sind, ihre Schönheit zum großen Teil der reinen Luft, die man dort atmet, und der Vorzüglichkeit der Nahrungsmittel.
Es wurde mir nicht schwer, Fräulein Mazzoli und die beiden Grafen zu der Zusage zu bewegen, daß sie mir jeden Tag dieselbe Ehre erweisen würden; der Chevalier Raiberti konnte sich zu nichts verpflichten; er versprach mir nur, mich freundschaftlich zu besuchen.
Im Carignan-Theater, wo komische Opern aufgeführt wurden, sah ich die Parmesanerin Redegonda, mit der ich in Florenz kein Verhältnis hatte anknüpfen können. Sie bemerkte mich im Parkett und begrüßte mich mit einem Lächeln, das mir die Ermächtigung gab, ihr am nächsten Tage brieflich meine Dienste anzubieten, wenn ihre Mutter sich inzwischen anders besonnen hätte. Sie antwortete mir, ihre Mutter sei immer noch die gleiche, aber wenn ich die Corticelli zum Abendessen bei mir einladen könnte, so würde es ihr möglich sein, mit ihr zu kommen; selbstverständlich müßten aber die Mütter dabei sein. Ich antwortete ihr nicht, denn ich fand die Bedingungen zu wenig nach meinem Geschmack.
Ich erhielt einen Brief von Madame du Rumain, und als Einlage ein Schreiben des Herzogs von Choiseul an den französischen Botschafter in Turin, Herrn de Chauvelin.
Der Leser erinnert sich vielleicht, daß ich diesen liebenswürdigen Kavalier in Solothurn kennen gelernt hatte und von ihm sehr freundlich behandelt worden war, ich wollte aber, daß er einen noch besseren Begriff von mir bekommen sollte, und darum hatte ich Frau du Rumain gebeten, mir diesen Brief zu schicken.
Herr von Chauvelin empfing mich auf das allerbeste. Nachdem er mir die verbindlichsten Vorwürfe gemacht hatte, daß ich einen Empfehlungsbrief an ihn für notwendig gehalten hätte, stellte er mir seine reizende Gattin vor, die mich mit der schmeichelhaftesten Herzlichkeit empfing. Drei oder vier Tage darauf lud er mich zum Essen ein, und ich fand bei ihm den venetianischen Geschäftsführer Herrn Imberti, der mir sagte, es tue ihm sehr leid, mich nicht bei Hofe vorstellen zu können. Als Herr de Chauvelin den Grund erfuhr, erbot er sich, selber mich vorzustellen; ich glaubte jedoch sein Anerbieten dankbar ablehnen zu müssen. Es würde ohne Zweifel mir viel Ehre machen, aber das Ergebnis würde sein, daß man mich noch schärfer beobachten würde. Ich wäre daher in dieser Stadt, wo tausend Argusaugen die gleichgültigsten Handlungen belauern, in meinen Vergnügungen noch mehr beengt gewesen.
Graf Borromeo beehrte jeden Abend meinen Tisch, bewahrte jedoch dabei eine gewisse Würde; denn da er mit dem Fräulein Mazzoli kam, so machte es nicht den Eindruck, wie wenn er erschiene, weil er es nötig hätte; Graf A. B. aber gab offen zu, daß er des Essens wegen kam, und dies gefiel mir. Er sagte mir eines Tages, meine Gefälligkeit, ihn zu dulden, erfülle ihn mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit gegen die Vorsehung; denn da seine Frau nicht imstande sei, ihm Geld zu schicken, so könne er sein Essen im Gasthof nicht bezahlen und würde ohne meine Güte oft Hunger leiden müssen. Er zeigte mir die Briefe seiner Frau und pries sie hoch; er sagte mir ferner, er hoffe, ich werde in Mailand bei ihm wohnen und an seiner Frau Gefallen finden. Er hatte in Spanien gedient, und seine Frau war eine Spanierin, nach seiner Schilderung eine pikante Brünette von 25 oder 26 Jahren. Der Graf hatte ihr geschrieben, daß ich ihm mehrere Male mit meiner Börse ausgeholfen hätte und ihm vielfach gefällig gewesen wäre; dies veranlaßte sie, mir brieflich ihren Dank auszusprechen und mich zu bitten, bei ihr zu wohnen, wenn ich nach Mailand käme. Sie schrieb einen geistvollen Stil, und der Briefwechsel mit ihr erregte bald in so hohem Grade meine Teilnahme, daß ich ihr in aller Form versprach, nach Mailand zu reisen, wäre es auch nur, um die Ehre zu haben, ihr meine Aufwartung zu machen.
Ich gestehe, daß meine Neugier mich zu diesem Versprechen trieb; denn da ich wußte, daß die Familie arm war, hätte ich mich niemals in die Lage bringen dürfen, entweder ihr zur Last zu fallen oder ihre Gastfreundschaft teuer bezahlen zu müssen. Ich möchte jedoch hier zu meiner Entschuldigung anführen, daß die Neugier in solchen Fällen eine Art von Liebe ist. In meiner Phantasie war diese Gräfin mit allen Eigenschaften begabt, die einen Mann glücklich machen können: ich stellte sie mir empfindsam wie eine Engländerin vor, lebhaft und leidenschaftlich wie eine Spanierin, anmutig und schmeichelnd wie eine Französin, und da ich von mir selber eine ziemlich gute Meinung hatte, so zweifelte ich keinen Augenblick daran, daß sie meine Liebe erwidern würde. Ich träumte davon, die Herren und Damen von Mailand eifersüchtig zu machen; übrigens hatte ich viel Geld und brannte darauf, es auszugeben, um eine glänzende Rolle zu spielen.
Ich fehlte keinen einzigen Tag bei Duprés Ballettproben und war bald bis über die Ohren in die junge Agata verliebt. Ich verführte Frau Dupré durch mehrere Geschenke, und sie nahm es ganz gut auf, als ich ihr meine Leidenschaft anvertraute: indem sie Agata und ihre Mutter zum Abendessen bei sich behielt, hatte sie mir die Gelegenheit verschafft, das reizende Mädchen unter vier Augen sprechen zu können. Ich hatte mir dies zunutze gemacht, um meinen Gefühlen Ausdruck zu geben, und ich hatte auch einige unbedeutende Gunstbezeigungen erlangt; aber dies war so wenig und die Augenblicke des Beisammenseins waren so kurz, daß meine Begierden nur immer größer wurden, anstatt sich zu besänftigen.
Agata sagte mir unaufhörlich, alle Welt wisse, daß ich die Corticelli unterhalte, und sie wolle um alles Gold der Welt nicht, daß man sagen könnte, sie sei für mich nur ein Lückenbüßer, weil ich meine Geliebte nur in Gegenwart ihrer Wirtin sehen könne. Vergebens schwor ich ihr, daß ich die Corticelli nicht liebe und sie nur unterhalte, um Herrn Raiberti nicht bloßzustellen. Es war mir unmöglich, sie zur Vernunft zu bringen; sie hatte ihre bestimmten Pläne; sie wollte einen Bruch in aller Form; sie wollte, daß ganz Turin wissen sollte, daß ich nur sie liebe und daß ich um ihretwillen ihre Nebenbuhlerin, aufgeopfert habe. Unter dieser Bedingung versprach sie mir ihr Herz und was dazu gehört. Ich liebte sie zu sehr, als daß ich nicht hätte versuchen sollen, sie zufrieden zu stellen, zumal da meine Zufriedenheit von der ihrigen abhing. In dieser Absicht veranlaßte ich Dupré, in irgend einem Hause vor der Stadt einen Ball auf meine Kosten zu geben und alle Tänzer und Tänzerinnen, die für den Karneval engagiert wären, dort hinkommen zu lassen. Nur Tänzerinnen von Beruf dürften tanzen, und die Tänzer sollten für die Eintrittskarte einen Dukaten bezahlen. Jeder Kavalier sollte das Recht haben, eine Dame mitzubringen; diese sollte aber nur zusehen und am Abendessen teilnehmen dürfen.
Um Dupré zur Ausführung meines Planes anzureizen, sagte ich ihm, daß ich das Büfett und alle Erfrischungen übernehmen würde; damit er recht viele Gäste fände, könnte er anzeigen, es würde nicht gespart werden, um die Gesellschaft zufrieden zu stellen. Ich übernahm auch die Besorgung von Wagen und Tragstühlen für alle Künstlerinnen; niemand aber dürfe wissen, daß ich irgend etwas mit diesen Ausgaben zu tun hätte. In der Hoffnung auf einen guten Überschuß machte Dupré sich sofort ans Werk. Er fand ein passendes Haus, lud die Tänzerinnen ein und verteilte etwa fünfzig Eintrittskarten.
Nur Agata und ihre Mutter wußten, daß der Plan von mir ausging, und daß ich zum großen Teil die Kosten bezahlte; am Tage nach dem Ball aber wußte die ganze Stadt Bescheid.
Agata hatte kein passendes Kleid, um sich sehen lassen zu können; ich beauftragte Frau Dupré, auf meine Kosten eins zu besorgen, und ich wurde gut bedient. Bekanntlich kennen diese Art Leute kein Maß, wenn ihnen die Börse eines anderen zur Verfügung steht; aber das wollte ich ja gerade.
Agata verpflichtete sich, die Kontertänze mit mir zu tanzen und nur in Begleitung von Frau Dupré nach Turin zurückzufahren. Am Ballabend blieb ich bei Frau Dupré zum Mittagessen, um dabei zu sein, wie Agata sich herausputzte, denn sie mußte sich dort ankleiden. Ihr Kleid war von sehr reichem Seidenstoff nach der allerneuesten Lyoner Mode; der Besatz, dessen Wert das junge Mädchen nicht kannte, bestand aus wunderbar schönen Alençon-Spitzen. Frau R., die diesen Besatz aufgelegt hatte, und Frau Dupré hatten Befehl erhalten, nichts zu sagen.
Als Agata zum Ausgehen fertig war, sagte ich ihr, die Ohrringe, die sie trüge, paßten nicht zu ihrem schönen Kleide.
»Das ist wahr,« sagte die Dupré; »und es ist sehr schade.«
»Leider hat meine arme Tochter keine anderen,« sagte die Mutter.
»Ich habe hier schöne Ohrbommeln aus Straß, die ich Ihnen leihen kann; sie sind sehr glänzend.«
Ich hatte absichtlich die Ohrgehänge eingesteckt, welche Frau von Urfé für die Lascaris bestimmt hatte, als sie sie noch ihre Nichte nannte. Ich zeigte die Juwelen und las Bewunderung auf allen Gesichtern.
»Man möchte darauf schwören, daß es herrliche Diamanten sind!« rief die Dupré.
Ich steckte sie Agaten in die Ohren; sie bewunderte sich im Spiegel und rief, alle Tänzerinnen würden sie beneiden; denn man würde ganz gewiß ihre Ohrbommeln für echte Brillanten halten. Ich sagte nichts.
Ich ging nach Hause, machte glänzende Toilette und begab mich dann auf den Ball, wo ich die schöne Agata fand; sie tanzte mit Lord Percy, dem Sohn der Herzogin von Northumberland, einem jungen Tollkopf, der auf die verrückteste Art ungeheure Summen verschwendete.
Ich bemerkte mit Vergnügen mehrere junge Damen von Turin, die nur Zuschauerinnen waren. Sie konnten sich einbilden, man gebe den Ball ihnen zu Ehren – wie jene Fliege glaubte, sie ziehe die Kutsche ganz allein. Alle fremden Gesandten waren anwesend, unter anderen auch Herr von Chauvelin, der mir sagte, er hätte gerne meine schöne Haushälterin von Solothurn gesehen, damit das Fest ganz vollständig wäre.
Der Marquis und die Marquise de Prié waren ebenfalls da. Der Marquis, der sich nichts aus dem Tanz machte, spielte eine Partie Quinze mit einem unhöflichen Spieler, der seiner Maitresse nicht erlaubte, in seine Karten zu sehen. Sie bemerkte mich, tat aber, wie wenn sie mich nicht kenne; der Streich, den ich ihr in Aix gespielt hatte, war allerdings wohl danach angetan, in ihrer Erinnerung zu bleiben.
Nachdem die Menuetts getanzt waren, kündigte Dupré den Kontertanz an, und ich sah mit Vergnügen Chevalier de Ville-Follet mit der Corticelli an die Spitze treten. Ich tanzte mit Agata, die nur mit größter Mühe den Lord Percy los werden konnte; er bestand darauf, daß sie mit ihm tanzen solle, obgleich sie ihm immer wieder sagte, daß sie für die ganze Nacht anderweitig verpflichtet sei. Sie sagte mir lachend, man halte allgemein die Ohrbommeln für echte Diamanten und sie habe dies bestätigt.
Man tanzte abwechselnd Menuett und Kontertanz; hierauf wurden für die Damen Erfrischungen in reichlicher Menge herumgereicht. Ich sah mit Vergnügen ein Büfett, das mit fürstlicher Verschwendung ausgestattet war. Die Piemonteser sind gute Rechner und fanden, Dupré müsse Geld zusetzen; denn die Champagnerpfropfen knallten wie Schützenfeuer.
Da ich etwas ermüdet war, bat ich Agata, sich neben mich zu setzen; ich sprach mit ihr von meiner Liebe, als Frau von Chauvelin mit einer anderen Dame dazu kam. Ich stand auf, um ihr Platz zu machen, und Agata erhob sich ebenfalls; aber die liebenswürdige Dame ließ sie neben sich sitzen bleiben. Sie war entzückt von ihrer Schönheit und lobte ihr Kleid, besonders aber den Besatz. Die Dame, die bei ihr war, lobte die Ohrbommeln und sagte, es sei recht schade, daß diese Steine nach Ablauf einer gewissen Zeit ihren Glanz verlören. Frau von Chauvelin war Kennerin und sagte: »Diese Steine werden ihren Glanz niemals verlieren, denn sie sind echt und vom reinsten Wasser, man kann sich nicht darüber täuschen; nicht wahr, Fräulein, Ihre Girandolen sind echte Brillanten?«
Agata war noch zu unschuldig; sie wagte nicht zu lügen und sagte, die Steine seien von Straß und ich habe sie ihr geliehen.
Frau von Chauvelin lachte laut auf und sagte: »Herr von Seingalt hat Sie getäuscht, liebe Kleine; man leiht einem jungen Mädchen wie Ihnen keine falschen Ohrbommeln, und besonders der Herr Chevalier tut das nicht. Ihre Girandolen sind herrliche Diamanten.« Agata errötete, denn mein Schweigen bestätigte die Behauptung der Dame, und das junge Mädchen mußte fühlen, wie sehr ihre Stellung durch diesen Schmuck gehoben wurde; denn er bewies, daß ich großen Wert auf sie legte.
Frau von Chauvelin bat mich, mit Agata ein Menuett zu tanzen; ich gehorchte, und meine hübsche Partnerin tanzte zum Entzücken. Nach dem Tanz dankte die gnädige Frau mir und sagte, sie erinnere sich stets mit Vergnügen, daß wir in Solothurn miteinander getanzt hätten, und hoffe, wir würden am Dreikönigstage in ihrem Palais wieder zusammen tanzen. Eine tiefe Verbeugung zeigte ihr zur Genüge, wie sehr ich mich geschmeichelt fühlte.
Der Ball dauerte bis vier Uhr morgens; ich verließ ihn erst, als ich Agata mit ihrer Mutter und Frau Dupré hatte fortgehen sehen.
Am anderen Morgen lag ich noch im Bett, als mein Kammerdiener mir meldete, daß eine hübsche Dame die Ehre erbitte, mit mir sprechen zu dürfen. Ich ließ sie eintreten und sah mit Vergnügen, daß es Agatas Mutter war. Ich bat sie, sich neben mein Bett zu setzen, und lud sie ein, eine Tasse Schokolade zu trinken. Als wir allein waren, zog sie die Ohrbommeln, die ich ihrer Tochter gegeben hatte, aus der Tasche und sagte mir lachend, sie habe sie einem Juwelier gezeigt, der ihr tausend Zechinen dafür geboten habe.
»Er ist verrückt!« rief ich ebenfalls lachend; »Sie hätten sie ihm lassen sollen, denn sie sind keine vier wert.« Zugleich ergriff ich ihre Hand, zog sie an mich und umarmte sie. Da ich fühlte, daß sie meinen Kuß erwiderte und gefügig war, so ging ich weiter und schließlich verbrachten wir ein paar Stunden damit, uns gegenseitig zu beweisen, wie hoch wir einander schätzten.
Nach dieser entzückenden Szene sahen wir alle beide ein bißchen erstaunt aus; die reizende Mutter brach zuerst das Schweigen und fragte mich lächelnd: »Soll ich meiner Tochter erzählen, auf welche Weise Sie mich überzeugt haben, daß Sie sie lieben?«
»Das überlasse ich Ihrer Klugheit, meine Liebe; ich habe Ihnen soeben bewiesen, daß ich Sie liebe, und dies beweist nicht, daß ich nicht auch Ihre Tochter anbete. Im Gegenteil, ich glühe für sie; trotzdem wird eine Wiederholung des eben Vorgefallenen sich schwerlich verhüten lassen, wenn Sie nicht etwa ein Zusammensein mit mir vermeiden.«
»Es ist sehr schwer, Ihnen zu widerstehen, und möglicherweise habe ich noch öfter das Bedürfnis, mit Ihnen beisammen zu sein.«
»Sie können sich darauf verlassen, daß Sie stets willkommen sein werden; ich bitte Sie nur, dem Glück, Agata zu besitzen, keine Hindernisse in den Weg zu legen.«
»Auch ich bitte Sie um eine Gunst.«
»Wenn ich sie Ihnen bewilligen kann, so brauchen Sie keine Weigerung zu befürchten.«
»Sehr gut! Sagen Sie mir also, ob die Girandolen echt sind und welche Absicht Sie gehabt haben, als Sie die Ohren meiner Tochter damit schmückten?«
»Die Girandolen sind sehr echt, meine Liebe, und es wäre meine Absicht, sie Ihrer Tochter als einen Beweis meiner Zärtlichkeit zu überlassen.«
Ein Seufzer entrang sich ihrem Busen; hierauf sagte sie mir, ich möchte sie mit Dupré und seiner Frau zum Abendessen einladen, so oft ich Lust hätte. Ich dankte ihr und drückte ihr zehn Zechinen in die Hand; ganz glücklich entfernte sie sich.
Über das Vorgefallene nachdenkend, fand ich, daß diese Frau die vernünftigste aller Tänzerinnenmütter sei. Sie konnte mir mein Glück nicht auf eine zartere und zugleich bestimmtere Art verkündigen.
Meine Leser können sich wohl denken, daß ich die Zeit ausnützte und das Eintreten eines mir so sehr am Herzen liegenden Ereignisses möglichst beschleunigte. Noch am gleichen Tage lud ich Dupré und seine Frau, Agata und ihre Mutter für den nächsten Tag ein, mit der Gesellschaft, die sich jeden Abend einfand, bei mir zusammen zu speisen. Als ich Duprés Haus verließ, hatte ich folgendes Erlebnis: Mein Lakai, ein großer Spitzbube, aber in diesem Augenblick ein braver Bursche, kam ganz außer Atem angelaufen und sagte mit triumphierendem Gesicht: »Gnädiger Herr, ich wollte Sie suchen, um Ihnen mitzuteilen, daß ich in diesem Augenblick den Chevalier de Ville-Follet in den Hausflur der Dame Pazienza hineinschlüpfen sah; ich vermute, daß er der Corticelli einen Liebesbesuch macht.«
In der fröhlichen Hoffnung, daß mein Diener den Besuch des Chevaliers richtig aufgefaßt hätte, ging ich sofort nach der Wohnung der ehrenwerten Tugendwächterin. Ich trat ein und fand die Mutter mit der Wirtin zusammen. Ohne ein Wort zu sagen, ging ich auf das Zimmer ihrer Tochter zu; die beiden Alten ergriffen mich jedoch bei den Armen und wollten mich zurückhalten, indem sie sagten, die Signora sei unwohl und bedürfe der Ruhe. Ich stieß sie zurück, riß die Tür auf und fand den galanten Herrn damit beschäftigt, sich sehr eilig wieder in einen anständigen Zustand zu versetzen, während die Schöne, wie versteinert über mein plötzliches Erscheinen, auf dem Bett ausgestreckt liegen blieb, ohne ein Wort zu sagen.
»Mein Herr,« sagte ich zum Chevalier, »entschuldigen Sie, daß ich ohne anzuklopfen eingetreten bin!«
»Warten Sie! Warten Sie!«
Aber anstatt zu warten, machte ich mich, hochentzückt über dieses Abenteuer, aus dem Staube und lief mit der Geschichte zum Chevalier Raiberti, der in meine Heiterkeit einstimmte und aus vollem Halse darüber lachte. Ich bat ihn, der Pazienza sagen zu lassen, daß ich von diesem Tage an nichts mehr für die Corticelli bezahlen würde, da sie mir nicht mehr angehörte. Er fand diesen Entschluß sehr vernünftig und sagte mir: »Sie werden sich doch wohl nicht beim Grafen d'Aglié beklagen?«
»Nur Dummköpfe, mein lieber Chevalier, beklagen sich, besonders unter solchen Umständen.«
Diese Skandalgeschichte würde gänzlich unbekannt geblieben sein, wenn sie nicht durch die Unklugheit des Chevaliers de Ville-Follet in die Öffentlichkeit gedrungen wäre; er ärgerte sich, daß er aus dem Sattel gehoben worden war, bevor er noch mit seinem Ritt fertig war; er erinnerte sich, daß er vor dem Hause der Pazienza meinem Lakaien begegnet war, und erriet, daß dieser mir Meldung gemacht haben müsse. Als er ihm eines Tages auf der Straße begegnete, machte er ihm Vorwürfe, daß er ihn ausspioniert habe; der unverschämte Bediente antwortete ihm ganz frech, er sei nur seinem Herrn Rechenschaft schuldig: es sei seine Pflicht, mir in allen Dingen zu dienen. Der Chevalier prügelte ihn mit seinem Stock, und der Lakai beklagte sich, um sich zu rächen, beim Vikar, der den Chevalier vorladen ließ, um ihn nach den Beweggründen seiner Handlungsweise zu befragen. Ville-Follet erzählte ihm die Geschichte mit allen Einzelheiten, denn er hatte nichts zu befürchten.
Der Chevalier Raiberti ging zur Pazienza und sagte ihr, daß ihre Pensionärin künftighin weder von ihm noch von mir unterstützt werden würde. Sie empfing ihn sehr schlecht, er wollte aber von allen Entschuldigungsreden der Frau nichts hören. Am Abend war der Chevalier bei mir zum Essen, um mir über seinen Besuch Bericht zu erstatten; er sagte mir, er habe beim Hinausgehen einen Polizeigefreiten getroffen, der offenbar der Frau eine Vorladung überbracht habe, vor dem Grafen d'Aglié zu erscheinen.
Am nächsten Tage erhielt ich in dem Augenblick, wo ich auf den Ball des Herrn von Chauvelin gehen wollte, zu meiner großen Überraschung einen Brief vom Grafen d'Aglié, der mich sehr höflich bat, bei ihm vorzusprechen, da er mir etwas mitzuteilen habe. Ohne Zögern befahl ich meinen Trägern, mich nach der Wohnung des hohen Herrn zu bringen.
Herr d'Aglié empfing mich sehr höflich unter vier Augen; er bot mir einen Stuhl an und hielt mir dann eine lange pathetische Rede, um mich zu überzeugen, daß meine Ehre erfordere, den kleinen Seitensprung meiner Schönen großmütig zu vergessen.
»Herr Graf, das ist gerade meine Absicht; denn ich bin entschlossen, in meinem Leben niemals mehr zur Corticelli zu gehen und mich mit ihr weder im Guten noch im Bösen zu beschäftigen; übrigens bin ich der ganz ergebenste Diener des Herrn Chevalier de Ville-Follet.«
»Ah, ich sehe, Sie sind ärgerlich. Hören Sie, um dieser Geschichte willen dürfen Sie sich nicht von ihr lossagen. Ich werde Ihnen in bezug auf die Pazienza eine angemessene Genugtuung verschaffen, und für das junge Mädchen werde ich eine gute Pension in einer anständigen Familie besorgen, für die ich bürgen kann und bei der Sie sie in voller Freiheit besuchen können.«
»Herr Graf, Ihre Güte rührt mich tief und erfüllt mich mit der größten Dankbarkeit; aber ich verachte die Pazienza zu sehr, um von einem solchen Weibe eine Genugtuung zu verlangen. Die Corticelli und ihre Mutter sind zwei Spitzbübinnen, die mir zu viele Unannehmlichkeiten verursacht haben und die ich durchaus nicht mehr sehen will.«
»Sie müssen aber doch zugeben, daß Sie nicht das Recht hatten, in einem Hause, wo Sie nicht der Herr waren, gewaltsam in ein verschlossenes Zimmer einzudringen.«
»Ich gestehe, dieses Recht hatte ich allerdings nicht, obgleich ich bezahlte; aber wenn ich mir dieses Recht nicht angemaßt hätte, würde ich nicht den sicheren Beweis für die Untreue eines Mädchens erlangt haben, das ich unterhielt, ohne über sie verfügen zu können, und das ich gewiß nicht zu unterhalten brauchte, damit sie einem anderen Kunden zur Verfügung stände.«
»Die Corticelli behauptet, sie habe keine Verpflichtungen gegen Sie, sondern Sie seien im Gegenteil ihr Schuldner. Sie behauptet sogar, die Diamantenbommeln, die Sie einer anderen Tänzerin gegeben haben, gehören ihr und seien ein Geschenk von der Frau Marquise d'Urfé, die ich die Ehre habe zu kennen.«
»Die Corticelli lügt, Herr Graf. Da Sie die Frau Marquise d'Urfé kennen, die in diesem Augenblick in Lyon ist, so haben Sie doch die Güte, ihr zu schreiben: wenn die edle Dame Ihnen antwortet, ich sei der elenden Person irgend etwas schuldig, so verlassen Sie sich darauf, daß ich meine Pflicht tun werde. Ich habe bei angesehenen Bankiers hier am Ort hunderttausend Franken stehen. Diese decken zur Genüge den Wert der Girandolen, über die ich anderweitig verfügt habe.«
»Ich bedauere das Vorgefallene recht sehr.«
»Und ich bin sehr erfreut darüber; denn ich werde dadurch eine unangenehme Last los.«
Hierauf machten wir uns gegenseitig eine tiefe Verbeugung, und ich entfernte mich.
Auf dem Ball beim franzosischen Botschafter sprach man so viel von dieser Geschichte, daß ich schließlich der Sache überdrüssig wurde und auf keine Frage mehr antwortete. Man war im allgemeinen der Ansicht, die Geschichte sei doch nur eine Kleinigkeit, aus der ich mir nichts machen dürfe, wenn ich mich nicht entehren wolle. Ich glaubte jedoch mit Recht, allein Richter über meine Ehre zu sein, und legte auf das Urteil anderer geringen Wert. Der Chevalier de Ville-Follet sagte mir: Wenn ich wegen dieser Läpperei mich von der Corticelli lossagte, so würde er sich für verpflichtet halten, mir Genugtuung zu geben. Ich antwortete ihm, indem ich ihm die Hand schüttelte: »Mein lieber Chevalier, es genügt, wenn Sie keine von mir verlangen.«
Er verstand mich und sagte kein Wort mehr. Seine Schwester dagegen, die Marquise de Prié, setzte mir sehr heftig zu, nachdem sie einen Kontertanz mit mir getanzt hatte. Sie war schön, und es stand lediglich bei ihr, den Sieg zu erringen; glücklicherweise dachte sie nicht daran, oder sie erriet nicht, wie sehr ich ihren Reizen Gerechtigkeit widerfahren ließ, und so erlangte sie nichts.
Frau von St.-Giles, die in Turin Regen und Sonnenschein machte und eine Art Oberaufsicht über alle Kulissenintrigen führte, und um deren Protektion alle Künstlerinnen sich bemühten, ließ mich zu sich bestellen. Die Aufforderung wurde mir durch einen Lakaien in Livree überbracht; ich erriet, um was es sich handelte, und ging ohne Umstände im Morgenrock zu ihr. Sie empfing mich sehr höflich und sprach in außerordentlich liebenswürdigem Tone von der Angelegenheit; aber sie gefiel mir nicht, und ich antwortete ihr ziemlich kurz angebunden, ich finde durchaus keinen Geschmack mehr an der Corticelli und überließe sie daher bereitwillig dem galanten Chevalier, mit dem ich sie auf frischer Tat ertappt hätte. Sie entfernte sich mit den Worten, ich würde es bereuen, denn sie würde eine kleine Geschichte veröffentlichen, die sie bereits gelesen hätte, und die mir keine Ehre machte. Ich antwortete ihr, es sei meine Gewohnheit, niemals etwas zu bereuen; ich hätte keine Furcht, und Drohungen machten keinen Eindruck auf mich. Hierauf entfernte ich mich.
Ich dachte kaum noch an diese Klatschgeschichte, als mir etwa acht Tage später ein Manuskript zuging, das eine Art Geschichte des zwischen der Corticelli, Frau von Urfé und mir Vorgefallenen enthielt; aber diese Geschichte war schlecht geschrieben, voll von allerlei dummen Albernheiten und so ungeschickt entworfen, daß man sie unmöglich zu Ende lesen konnte, ohne sich zu langweilen. Sie interessierte mich denn auch nicht im geringsten, und vierzehn Tage später verließ ich Turin, ohne mich in irgend einer Weise darum bekümmert zu haben. Ich sah die Corticelli erst sechs Monate nach dieser Geschichte in Paris wieder, wie ich später erzählen werde.
Am Tage nach dem Ball des Herrn de Chauvelin waren meine liebe Agata, ihre Mutter, Dupré und seine Frau mit meiner Gesellschaft bei mir zum Essen. Es war Sache der Mutter, es so einzurichten, daß Agata die Ohrgehänge mit gutem Recht erwarb; ich war völlig bereit, das Opfer zu bringen, und überließ der liebenswürdigen Priesterin die Zeremonie dieser Handlung. Ich wußte, daß es so kommen würde, und sie führte in der Tat während der Mahlzeit geschickt eine Gelegenheit herbei, indem sie sagte, man behaupte in Turin allgemein, ich hätte ihrer Tochter ein Paar Ohrringe geschenkt, die fünfhundert Louis wert wären und nach der Behauptung der Corticelli dieser gehörten.
»Ich weiß nicht,« fügte sie hinzu, »ob die Ohrringe echt sind, und ebensowenig, ob sie der Corticelli gehören. Aber ich weiß, daß es falsch ist, wenn man behauptet, meine Agata habe sie von dem Herrn geschenkt erhalten.«
Ich zog die Ohrbommeln aus der Tasche und sagte: »Nun wird man nicht mehr daran zweifeln können.«
Hierauf hängte ich dem jungen Mädchen die Girandolen ein und fuhr fort: »Meine reizende Agata, ich mache Ihnen dieses Geschenk in Gegenwart der ganzen Gesellschaft und beweise dadurch, daß die Ohrringe bis zu diesem Augenblick mir gehört haben.«
Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall, und das junge Mädchen ließ mich voller Dankbarkeit in ihren Augen lesen, daß sie mir mit ihrer ganzen Person dankbar sein würde.
Wir sprachen hierauf über den Fall Corticelli-Ville-Follet und von den Bemühungen, die mich veranlassen sollten, sie noch weiterhin auszuhalten. Der Chevalier Raiberti sagte, an meiner Stelle würde er der Frau von St.-Giles und sogar dem Vikar angeboten haben, das Kostgeld für das Mädchen noch weiter zu bezahlen, aber ausdrücklich nur als Almosen, und die Summe bei ihr oder bei ihm niederzulegen.
»Dazu bin ich gerne bereit,« antwortete ich ihm, »und Sie können auf mein Wort rechnen.«
Der wackere Mann ging schon am nächsten Tage zu Frau von St.-Giles, um die Geschichte in Ordnung zu bringen, und ich übergab ihm das nötige Geld. Trotz dieser guten Handlung erschien das unglückselige Manuskript, wovon ich vorhin sprach; es schadete mir jedoch in keiner Weise, wie ich bereits gesagt habe. Der Vikar ließ die Corticelli in das Haus bringen, wo Redegonda wohnte; Dame Pazienza blieb unbehelligt.
Nach dem Essen zogen wir alle, außer dem Chevalier Raiberti, Dominos an und gingen zusammen auf den Opernball. Diesen verließ ich sehr bald heimlich mit Agata. Ich führte sie in meine Wohnung, und sie gewährte mir alles, was die Liebe wünschen kann. Von diesem Augenblick an war aller Zwang geschwunden; sie war meine anerkannte Geliebte, und wir waren stolz darauf, einander anzugehören, denn wir liebten uns. Die Soupers, die ich in meinem Hause gab, hatten mir völlige Freiheit verschafft, so daß der Vikar unsere Liebe nicht hindern konnte, obgleich sie ihm ganz genau bekannt war, denn das Spioniersystem war in Turin gut organisiert. Die Vorsehung bediente sich meiner, um Agatas Glück zu machen. Man wird vielleicht sagen, sie hätte sich einen Weg wählen können, der nach der landläufigen Ansicht moralischer gewesen wäre. Aber warum will man die Wege der Vorsehung in den engen Kreis unserer Vorurteile, unserer Sitten und unserer von der Gesellschaft herausgebildeten Anstandsregeln einschließen? Die Vorsehung hat ihre natürlichen Wege, die uns nur deshalb dunkel erscheinen, weil wir uns von der Natur entfernt haben. Jedenfalls wird der Leser – wenn ich es nicht vorher müde werde, diese Erinnerungen fortzusetzen – in fünf oder sechs Jahren sehen, daß Agata sich ihres Glückes würdig zeigte. Doch zurück zu unserer Geschichte!
Wir fanden unsere Genüsse so süß, wir verbrachten so glückliche Nächte und so angenehme Tage, Agata war so zärtlich, und ich war so verliebt, daß wir uns ganz gewiß noch lange nicht freiwillig getrennt haben würden, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das mich veranlaßte, Turin viel früher zu verlassen, als ich beabsichtigt hatte; denn ich wollte eigentlich erst während der Fastenzeit nach Mailand gehen, um die spanische Gräfin zu besuchen, die ich mir als ein Naturwunder vorstellte. Der Mann der Spanierin hatte die Angelegenheit, die ihn in Turin festhielt, zu einem glücklichen Ende gebracht. Er war unter Tränen der Dankbarkeit abgereist; denn er hätte Turin nicht verlassen und nach Mailand reisen können, wenn ich ihm nicht das Geld zur Bezahlung seiner kleinen Schulden und zur Reise gegeben hätte. So verbündet das Laster sich oft mit der Tugend oder verkleidet sich als solche; aber einerlei! ich betrog mich selber und blieb freiwillig in meiner Täuschung gefangen. Ich bin niemals blind gegen meine Fehler gewesen: ich war mein ganzes Leben lang ein richtiger Wüstling, und ich war nicht immer zartfühlend in der Wahl der Mittel, die ich anwandte, um meine Leidenschaften zu befriedigen; aber mitten in meinem lasterhaften Lebenswandel war ich stets ein leidenschaftlicher Freund der Tugend. Dies gestehe ich mit Vergnügen zu. Besonders die Wohltätigkeit hat stets Reiz für mich gehabt, und ich habe niemals versäumt, sie auszuüben, sobald sich die Gelegenheit bot; es sei denn, daß ich durch Rachsucht zurückgehalten worden wäre, denn dieses Laster hat stets alle meine guten und schlechten Eigenschaften überragt.
Lord Percy, von dem ich bereits sprach, war in meine Agata verliebt; er ging ihr überall nach; er wartete auf sie hinter den Kulissen, war bei allen Proben anwesend und machte ihr jeden Tag Besuche, obgleich seine Wirtin, eine Duenna von der Art der Pazienza, ihn niemals allein ließ. Er sparte nicht mit den größten Verführungsmitteln: reichen Geschenken; aber Agata hatte diese stets zurückgewiesen und ihrer Wächterin ausdrücklich verboten, von dem, was der junge Engländer ihr schenkte, etwas anzunehmen. Agata war zufrieden und empfand keine Neigung für ihn; sie erzählte mir alles, und wir lachten darüber. Da ich sicher war, das Herz des reizenden Mädchens zu besitzen, so sah ich Percys Bemühungen ohne Ärger und Eifersucht; im Gegenteil sie schmeichelten meiner Eitelkeit, denn dieser verschmähte Liebhaber verlieh meinem Glück noch höheren Glanz. Die ganze Stadt wußte, daß Agata mir treu war, und schließlich war auch Percy so überzeugt davon, daß er einsah, er könnte nur dadurch zu seinem Ziel gelangen, daß er sich um meine Freundschaft bewürbe und mich auf seine Seite brächte.
In dieser Absicht kam er, kühn und offen wie ein Engländer, eines Morgens zu mir und lud sich bei mir zum Frühstück ein. Ich nahm ihn nach französischer Sitte auf, das heißt, mit ungezwungener und freimütiger Höflichkeit, die ihm sofort alle Verlegenheit benahm.
In seiner Denkweise ganz und gar Engländer, glaubte er mir schon bei diesem ersten Zusammentreffen seine Leidenschaft für Agata erklären und mir einen Tausch vorschlagen zu können, über den ich herzlich lachen mußte, der mich aber nicht beleidigte, da ich wußte, daß ein derartiger Vorschlag ganz den englischen Sitten entsprach.
»Ich weiß,« sagte er zu mir, »daß Sie schon seit langer Zeit die schöne Tänzerin Redegonda lieben, und daß Sie vergeblich versucht haben, sie zu bekommen. Ich biete sie Ihnen im Tausch für Agata an; sagen Sie mir, was Sie obendrein haben wollen.«
»Sie sind ebenso liebenswürdig wie scherzhaft, mein lieber Lord; aber Sie werden zugeben, man müßte ein geschickter Mathematiker sein, um den Mehrwert meiner Agata auszurechnen. Redegonda hat ihre Verdienste, sie hat mir Neugier eingeflößt; aber wie könnte man sie mit Agata vergleichen!«
»Das weiß ich; darum biete ich Ihnen auch so viel als Zugabe an, wie Sie verlangen.«
Percy war Besitzer eines ungeheuren Vermögens, und er war ein leidenschaftlicher Mensch. Ich hätte von ihm fünfundzwanzigtausend Guineen als Draufgeld verlangen können, oder vielmehr als Tauschgeld; denn aus Redegonda machte ich mir nichts; ich bin überzeugt, er würde frohen Herzens dem Geschäft zugestimmt haben. Ich tat es nicht und habe dies niemals bereut. Sogar heute noch, wo hunderttausend Franken mir als ein Schatz erscheinen würden, wünsche ich mir zu meinem Zartgefühl Glück.
Nachdem wir während des Frühstücks viel gelacht hatten, sagte ich ihm, er flöße mir Freundschaft ein und es könne daher wohl sein, daß ich die Sache möglich fände; vor allen Dingen aber müßten wir uns überzeugen, daß die Waren mit dem Wechsel des Besitzers einverstanden wären:
Si come amor si regga a questa guisa
Che vender la sua donna o permutarla
Possa l'amante, nè a ragion si attristi,
Se quando una ne perde una n'acquisti.
Da es der Liebe eigen ist, daß du
Dein Liebchen tauschen kannst, ja gar verkaufen –
So wahre dir nur deines Herzens Ruh:
Kriegst du 'ne neue, laß die alte laufen!
»Der Einwilligung Redegondas bin ich sicher«, sagte Percy.
»Das ist ja sehr schön; ich dagegen bin durchaus nicht sicher, daß Agata einverstanden ist.«
»Zweifeln Sie nicht daran!«
»Ich zweifle im Gegenteil sehr daran. Welchen Grund haben Sie für Ihre Meinung?«
»Sie wird vernünftig sein.«
»Sie liebt mich.«
»Aber Redegonda liebt mich auch.«
»Das ist sehr wohl möglich; aber glauben Sie, daß sie auch mich liebt?«
»Das weiß ich nicht, aber sie wird Sie lieben.«
»Haben Sie sie darüber befragt?«
»Nein, aber das ist ganz einerlei; das werde ich schon machen. Für jetzt handelt es sich nur darum, mir zu sagen, ob mein Plan Ihnen gefällt und welches Draufgeld Sie verlangen, denn Ihre Agata ist mehr wert als meine Redegonda.«
»Ich bin entzückt, daß Sie meiner Geliebten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Vom Draufgeld werden wir übrigens später sprechen. Gestatten Sie, daß ich zunächst meine Geliebte befrage; morgen früh werde ich Ihnen persönlich meine Antwort überbringen.«
Diesel Plan ergötzte mich. Obwohl ich leidenschaftlich in Agata verliebt war, so kannte ich doch die Unbeständigkeit meiner Natur, und bezweifelte nicht, daß ein neuer Gegenstand, wäre er auch weniger schön als sie, sie bald in Vergessenheit bringen würde. Ich beschloß, die Geschichte zu einem guten Ende zu führen, wenn ich dies auf eine für das junge Mädchen vorteilhafte Art tun könnte.
Überraschend war für mich, daß es dem jungen Lord gelungen war, Redegonda in seinen Besitz zu bringen, deren Mutter sich gegen mich so halsstarrig gezeigt hatte; aber ich wußte, daß Frauen oft nach Launen handeln, und dies erklärte mir das Rätsel.
Am Abend kam Agata wie gewöhnlich zu mir; sie lachte herzlich, als ich ihr über den Vorschlag des Lord Percy berichtete.
»Sage mir, meine Liebe, ob du diesem Tausch zustimmen würdest?«
»Ich werde alles tun, was du willst, und wenn du bei der Entschädigung, die er dir anbietet, deine Rechnung findest, so rate ich dir, den Vorschlag anzunehmen.«
An dem Ton, womit Agata diese Worte sprach, erkannte ich deutlich, daß sie scherzte; trotzdem hätte ich eine andere Antwort gewünscht: eine Weigerung, die meinem Selbstgefühl geschmeichelt haben würde. Ich war folglich nicht zufrieden. Ich wurde ernst, und Agata wurde nachdenklich.
»Wir werden ja sehen,« sagte ich zu ihr, »welchen Ausgang die Sache nehmen wird.«
Am nächsten Morgen ging ich zu meinem Engländer zum Frühstück und sagte ihm, Agata nehme den Vorschlag an; ich wolle jedoch überzeugt sein, daß Redegonda ihn ebenfalls annehme.
»Das ist nicht mehr als recht und billig.«
»Ich muß wissen, wie wir es anfangen, miteinander zu reden.«
»Ich schlage vor, daß wir alle vier, gut maskiert, den ersten Ball im Carignan-Theater besuchen; wir werden ihn verlassen, um miteinander in einem mir gehörenden Hause zu Nacht zu essen, und dort werden wir den Handel abschließen.«
Die Partie fand der Verabredung gemäß statt. Sobald wir uns auf dem Ball am vereinbarten Zeichen erkannt hatten, verließen wir den Saal. Der Wagen des Lords erwartete uns vor der Tür; wir stiegen alle vier ein und fuhren nach einem Hause, das ich kannte. Ich trat in einen Saal ein, und das erste, worauf mein Blick fiel, war die Corticelli. Entrüstet über dieses Vorgehen rief ich Percy beiseite und sagte ihm, es sei eines Edelmannes unwürdig, mir einen solchen Streich zu spielen. Er antwortete mir lachend, er habe mir ein Vergnügen zu machen geglaubt, indem er sie mir als Draufgeld gäbe, denn nach seiner Schätzung sei Agata zwei hübsche Mädchen wert. Ich fand die Antwort spaßhaft, und sie mäßigte meinen Zorn.
»Sie sind ein Narr!« sagte ich zu ihm; zugleich ergriff ich Agatas Hand, und wir verließen das Haus, ohne auf seine Worte zu hören. Ich lehnte es ab, mich seines Wagens zu bedienen, sondern nahm Tragstühle; statt wieder auf den Ball zu gehen, führte ich meine Geliebte in meine Wohnung, und wir verbrachten eine köstliche Nacht in den Wonnen der Liebe.