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Ich bemerkte, daß die ersten vier Logen auf beiden Seiten des Theaters von gutgekleideten hübschen Frauen ohne einen einzigen Kavalier besetzt waren. Während des ersten Zwischenaktes sah ich Herren aller Stände kavaliermäßig in diesen Logen eintreten und an die erste beste Dame galante Bemerkungen richten. Plötzlich hörte ich, wie ein Malteserritter zu der Dame, die allein in einer Loge neben der meinigen saß, die Worte sprach: »Ich komme morgen zu dir zum Frühstück.« Dies genügte mir, um völlig Bescheid zu wissen. Ich sah sie mir näher an, und da ich sie sehr appetitlich fand, sagte ich zu ihr, sobald der Ritter sich entfernt hatte: »Wollen Sie mir ein Abendessen geben?«
»Mit Vergnügen, mein guter Freund; aber man hat mich so oft angeführt, daß ich nicht auf dich warten werde, wenn du mir nicht ein Handgeld gibst.«
»Was heißt das, daß ich Ihnen ein Handgeld geben soll? Ich verstehe nicht.«
»Du bist offenbar noch neu hier.«
»Ganz neu.«
Sie lachte, rief den Malteserritter heran und sagte zu diesem: »Tu mir den Gefallen und erkläre diesem fremden Herrn, der heute Abend bei mir zu speisen wünscht, was das Wort Handgeld bedeutet.«
Der Malteserritter sagte mir mit einem sehr liebenswürdigen Lächeln, das Fräulein wünschte, daß ich ihr das Souper vorausbezahlte, damit sie sicher wäre, daß ich nicht vergessen würde, ihr diese Ehre zu erweisen. Ich dankte ihm und fragte das Fräulein, ob ein Louis genug sei. Sie bejahte, ich gab ihr das Goldstück und bat um ihre Adresse. Der Ritter sagte mir mit der größten Höflichkeit, er würde mich nach Schluß des Theaters selber hinführen. Ferner sagte er mir, die Dame sei das ausgelassenste Mädchen von Marseille. Er fragte mich, ob ich die Stadt kenne; und da ich ihm antwortete, ich sei erst an diesem Tage angekommen, wünschte er sich Glück, daß er einer der ersten wäre, die meine Bekanntschaft machten. Wir gingen die Mitte des Amphitheaters, und dort nannte er mir ein Dutzend oder mehr Mädchen, die wir zur Linken und zur Rechten sahen und die sämtlich bereit waren, den ersten besten zum Souper mitzunehmen. Sie haben alle freien Eintritt, der Theaterunternehmer findet seine Rechnung dabei; denn Frauen von gutem Ton kommen nicht in diese Logen, und die Nymphen ziehen viele Leute an. Ich bemerkte unter ihnen fünf oder sechs, die hübscher waren als die, bei der ich mich eingeladen hatte; aber ich blieb für diesen Abend bei meiner Ausgewählten und verschob es auf die nächsten Tage, mich mit den anderen bekannt zu machen.
»Ist Ihre Favorite unter diesen Schönen?« fragte ich den Ritter.
»Nein, ich liebe eine Tänzerin, die ich aushalte, und ich werde Sie mit ihr bekannt machen, denn ich bin glücklicherweise nicht eifersüchtig.«
Nach Schluß der Vorstellung führte er mich an die Tür meiner Schönen, und dort trennten wir uns, indem wir uns versprachen, uns wiederzusehen.
Ich fand die Nymphe im Hauskleide; dieses stand ihr nicht gut, und sie gefiel mir nicht. Sie gab mir ein gutes Abendessen, das sie durch geistreiche tolle Scherze erheiterte; hierdurch erhielt ich eine etwas bessere Meinung von ihr. Als wir gespeist hatten, legte sie sich zu Bett und forderte mich auf, es ebenfalls zu tun.
»Ich schlafe niemals in einem fremden Bett.«
Hierauf bot sie mir das englische Röckchen an, das der Seele Ruhe gibt; aber ich wollte es nicht nehmen, weil es von zu geringer Güte war.
»Ich habe auch feinere, aber sie kosten drei Franken das Stück, und die Händlerin verkauft sie nur dutzendweise.«
»Wenn sie schön sind, will ich das Dutzend nehmen.«
Sie klingelte, und ein reizendes junges Mädchen mit bescheidener Miene trat ein. Sie machte Eindruck auf mich, und ich sagte, als das junge Mädchen hinausgegangen war, um die schützenden Überzüge zu holen: »Du hast da eine hübsche Kammerzofe.«
»Sie ist fünfzehn Jahre alt und weigert sich dummerweise, irgend etwas mitzumachen, weil sie noch ganz unschuldig ist.«
»Gestattest du, daß ich mich davon überzeuge?«
»Du kannst ihr den Vorschlag machen, aber ich bezweifle, daß sie darauf eingeht.«
Das Mädchen kam mit dem Paket herein. Ich setzte mich in Positur und befahl ihr, mir eins anzuprobieren. Sie machte sich an die Arbeit, aber mit schmollender Miene und mit einer Art von Widerstreben, wodurch sie meine Teilnahme erregte. Da das erste nicht paßte, mußte sie ein zweites versuchen, – das ich reichlich bespritzte. Ihre Herrin fing an zu lachen; sie aber warf mir entrüstet über mein Benehmen das ganze Paket ins Gesicht und lief zornig hinaus. Da mir die weitere Lust vergangen war, so steckte ich das Paket in meine Tasche, gab der Dame zwei Louis und ging. Das Mädchen, das ich so rücksichtslos behandelt hatte, leuchtete mir an die Tür; ich glaubte die Beschimpfung wieder gut machen zu müssen, gab ihr einen Louis und bat sie um Verzeihung. Das arme Mädchen war darüber ganz verblüfft, küßte mir die Hand und bat mich, ihrer Gnädigen nichts zu sagen.
»Ich verspreche es dir, meine Liebe; aber sage mir, ist es wirklich wahr, daß du noch unberührt bist?«
»Das ist vollkommen wahr, mein Herr.«
»Ei, das ist ja ein wahres Wunder! Aber sage mir, warum hast du mir den Wunsch abgeschlagen, mich davon zu überzeugen?«
»Weil mich das empört.«
»Du wirst dich aber doch wohl dazu entschließen müssen, denn sonst wärest du ja zu nichts zu gebrauchen, so hübsch du auch bist. Willst du mich?«
»Ja, aber nicht in diesem scheußlichen Hause.«
»Aber wo denn sonst?«
»Lassen Sie sich morgen zu meiner Mutter führen, ich werde dort sein. Ihr Lohndiener weiß, wo sie wohnt.«
Als ich auf der Straße war, fragte ich den Lakaien, ob er das Mädchen kenne.
»Ja; und ich halte sie für anständig.«
»Sie werden mich morgen früh zu ihrer Mutter bringen.«
Am anderen Morgen führte er mich ans Ende der Stadt in ein armseliges Haus. Ich fand im Erdgeschoß eine alte Frau mit armen Kindern, welche ein hartes schwarzes Brot aßen.
»Was wollen Sie?« fragte sie mich.
»Ist Ihre Tochter hier?«
»Nein. Und wenn sie auch hier wäre? Halten Sie mich vielleicht für ihre Kupplerin?«
Inzwischen kam die Tochter an. Die wütende Mutter warf einen in ihrer Nähe stehenden Topf nach ihr. Glücklicherweise konnte das Mädchen dem Wurf ausweichen, aber den Klauen der alten Frau wäre sie nicht entgangen, wenn ich nicht zwischen sie getreten wäre. Die Mutter heult, die Kinder brüllen, und das arme Mädchen weint. Infolge dieses Spektakels tritt mein Lohndiener ein.
»Spitzbübin!« schreit die Mutter; »du entehrst mich! Hinaus aus meinem Hause! Ich bin nicht mehr deine Mutter.«
Ich war in großer Verlegenheit. Mein Diener bat sie, doch nicht so laut zu schreien, daß alle Nachbarn es hören könnten; aber das wütende Weib antwortete auf seine Ermahnungen nur mit den gröbsten Schimpfworten. Ich zog einen Sechsfrankentaler aus der Tasche und gab ihr den; sie warf ihn mir an den Kopf. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem Mädchen hinauszugehen. Sie hatte das arme Kind bei den Haaren gepackt, aber mein Diener hatte sie aus ihren Händen befreit.
Kaum war ich auf der Straße, so pfiff der Pöbel, der von dem Lärm herbeigezogen war, mich aus und verfolgte mich. Ohne Zweifel wäre ich in Stücke gerissen worden, wenn ich nicht in eine Kirche geflüchtet wäre, die ich erst eine Viertelstunde darauf durch eine andere Tür verließ. Nur die Flucht rettete mir das Leben; denn ich kannte die Wut der Provenzalen und hütete mich darum, auch nur ein einziges Wort auf die Schimpfreden zu erwidern, die von allen Seiten auf mich herunterhagelten. Ich bin, glaube ich, niemals in größerer Lebensgefahr gewesen als an diesem Tage.
Bevor ich noch in meinem Gasthof angekommen war, holte mein Lohndiener mit dem jungen Mädchen mich ein. Ich sagte zu ihr: »Wie konnten Sie mich in eine so entsetzliche Lage bringen, da Sie doch den wütenden Charakter Ihrer Mutter kannten?«
»Ich hoffte, sie würde vor Ihnen Respekt haben.«
»Nun beruhigen Sie sich, weinen Sie nicht mehr! Aber sagen Sie mir, wie ich Ihnen nützlich sein könnte?«
»Ich liege auf der Straße. Ehe ich in das abscheuliche Haus zurückkehre, wo ich gestern war, stürze ich mich ganz gewiß lieber ins Meer!«
»Kennen Sie,« fragte ich meinen Lohndiener, »irgendein anständiges Haus, wo ich das Mädchen unterbringen kann?«
Er antwortete nur, er kenne einen ehrenwerten Mann, der möblierte Zimmer vermiete.
»Gehen Sie voraus, ich folge Ihnen.«
Ich fand in dem Hause einen Greis, der mir Zimmer in allen Stockwerken zeigte.
»Ich brauche nur einen kleinen Winkel,« sagte das junge Mädchen. Der alte Mann führte uns nun auf den Dachboden, öffnete eine Kammer und sagte: »Dieses Kabinett kostet monatlich sechs Franken; aber die Miete muß im voraus bezahlt werden, und ich mache Sie darauf aufmerksam, daß meine Haustür stets um zehn Uhr geschlossen wird, und daß niemand die Nacht bei Ihnen zubringen darf.«
Die Kammer enthielt ein Bett mit groben Laken, zwei Stühle, ein Tischchen und eine Kommode. Ich fragte ihn, wieviel er täglich für die Verpflegung des Mädchens verlange. Er forderte zwanzig Sous und außerdem zwei Sous für die Magd, die ihr das Essen bringen und die Kammer reinhalten würde.
»Das genügt mir,« sagte das junge Mädchen, zugleich bezahlte sie die Miete für den Monat und die Kost für den Tag. Ich verabschiedete mich von ihr, indem ich ihr sagte, ich würde wiederkommen.
Während wir die Treppe hinuntergingen, fragte ich den alten Mann nach einem Zimmer für mich. Er zeigte mir ein sehr sauberes Zimmer, das einen Louis kostete; ich bezahlte es für einen Monat im voraus. Er gab mir einen Hausschlüssel, um nach meinem Belieben ein- und ausgehen zu können, und sagte: »Wenn Sie essen wollen, mein Herr, werde ich Sie ganz nach Ihrem Wunsch bedienen.«
Nachdem ich dieses gute Werk vollbracht hatte, speiste ich allein zu Mittag; hierauf ging ich in ein Café, wo ich den liebenswürdigen Malteserritter am Spieltisch traf. Sobald er mich sah, hörte er auf, steckte eine Hand voll Gold, das er gewonnen hatte, in die Tasche und begrüßte mich mit jener ausgesuchten Höflichkeit, die den Franzosen angeboren zu sein scheint. Auf seine Frage, ob ich mit meiner Schönen, bei der ich soupiert hätte, zufrieden gewesen wäre, erzählte ich ihm alles Vorgefallene. Er lachte darüber und schlug mir vor, mich zu seiner Tänzerin zu führen. Wir fanden diese unter dem Kamm ihres Friseurs, und sie empfing mich scherzend wie einen guten Bekannten. Sie interessierte mich jedoch nicht; um aber dem liebenswürdigen Malteserritter einen Gefallen zu tun, tat ich, als finde ich sie sehr hübsch.
Als der Friseur fortgegangen war, zog sie sich ohne alle Umstände an, da sie am Abend auftreten sollte. Der Ritter half ihr das Hemd wechseln; sie zog es sich ohne alle Ziererei an, doch bat sie mich vorher um Entschuldigung.
Da ich ihr daraufhin ein Kompliment machen mußte, fiel mir nichts Besseres ein, als ihr zu sagen, sie habe mich durchaus nicht beleidigt, wohl aber mich aufgeregt.
»Das glaube ich nicht!« sagte sie.
»Ganz gewiß, es ist wahr!« versetzte ich.
Sie trat an mich heran, um sich zu überzeugen, und als sie sah, wie ich sie belogen hatte, sagte sie mit einer halb schmollenden Miene:
»Sie sind ein Taugenichts!«
Es gibt in ganz Frankreich keine Stadt, wo die Kurtisanen so ausschweifend sind wie in Marseille; sie setzen nicht nur ihren Stolz darein, niemals etwas abzuschlagen, sondern sie sind die ersten, alles anzubieten.
Die Tänzerin zeigte mir eine Repetieruhr, die sie in einer Lotterie, zu zwölf Franken das Los, ausspielen wollte. Sie hatte noch zehn Lose; ich nahm ihr diese ab, und meine fünf Louis machten ihr solche Freude, daß sie mir um den Hals fiel und zum Malteserritter sagte, sie würde ihm untreu werden, sobald ich Lust hätte.
»Das freut mich außerordentlich,« sagte der Ritter. Er bat mich, bei ihr mit ihm zu soupieren, und ich nahm die Einladung an; das einzige Vergnügen jedoch, das ich mir verschaffte, bestand darin, zuzusehen, wie der Ritter seine Pflicht bei ihr erfüllte. Er stand jedoch weit hinter Dolci zurück.
Nachdem ich ihnen gute Nacht gewünscht hatte, verließ ich sie und begab mich nach dem Hause, wo ich das arme Mädchen untergebracht hatte. Die Magd führte mich in mein Zimmer, und ich fragte sie, ob ich nach dem Boden gehen könnte. Sie nahm das Licht, und ich folgte ihr. Rosalie, so hieß das junge Mädchen, erkannte meine Stimme und machte mir auf. Ich sagte der Magd, sie möchte in meinem Zimmer auf mich warten, setzte mich auf das Bett und fragte das schöne Kind: »Bist du zufrieden, meine Liebe?«
»Ich fühle mich glücklich.«
»Ich hoffe doch, du wirst so gefällig sein und mir an deiner Seite Platz machen.«
»Sie haben zu befehlen, aber ich muß Ihnen gestehen. Sie werden mich nicht so finden, wie ich Ihnen gesagt habe; denn ich habe mich bereits hingegeben, allerdings nur ein einziges Mal.«
»Du hast mir also eine Lüge gesagt?«
»Verzeihen Sie mir! Ich konnte nicht ahnen, daß Sie mich lieben würden.«
»Ich verzeihe dir gern, besonders da ich darauf gar keinen Wert lege.«
Sanft wie ein Lamm ließ sie mich alle ihre Schönheiten betrachten, die ich mit Händen und Mund verschlang. Der Gedanke, daß ich diese Schätze besitzen sollte, versetzte mein ganzes Wesen in Glut; aber ihre gehorsame Miene betrübte mich, und ich fragte sie: »Warum, reizende Rosalie, kommst du nicht meinen Wünschen entgegen?«
»Ich wage es nicht, weil ich fürchte, Sie könnten mich in Verdacht haben, daß ich mich verstelle.«
Falschheit und studierte Koketterie können wohl eine solche Antwort geben; was aber eine noch so wohl überlegte Berechnung nicht hervorbringen kann, das ist der Ton von Aufrichtigkeit und schüchterner Wahrhaftigkeit, womit das herrliche Mädchen diese Worte aussprach. Ungeduldig nach ihrem Besitz warf ich meine Kleider ab; zu meiner höchsten Überraschung aber fand ich in ihr eine vollkommene Jungfrau.
»Warum,« fragte ich sie, »hast du gesagt, du habest einen Liebhaber gehabt? Eine solche Lüge hat noch niemals ein junges Mädchen gesagt.«
»Ich habe wirklich nicht gelogen; aber es ist mir lieb, daß es Ihnen so vorkommt.«
»Erzähle mir dies.«
»Gern, denn ich wünsche mich Ihres Vertrauens würdig zu machen; die Sache verhält sich folgendermaßen: Vor zwei Monaten liebte meine Mutter mich noch, trotz ihrem aufbrausenden und trotzigen Wesen. Ich arbeitete als Näherin und verdiente täglich zwanzig bis dreißig Sous. Ich gab alles meiner Mutter. Ich hatte nie einen Liebhaber gehabt und dachte überhaupt nicht an Liebe, denn ich mußte lachen, wenn man mich wegen meiner Einsamkeit pries. Von Kindheit an war ich daran gewöhnt worden, den jungen Leuten, denen ich auf der Straße begegnete, niemals ins Gesicht zu sehen und ihnen nicht zu antworten, wenn sie irgendwelche fade Redensarten an mich richteten.
Es ist nun zwei Monate her, da kam ein recht hübscher junger Mensch, ein kleiner Kaufmann aus Genua, zu meiner Mutter, um von ihr sehr feine baumwollene Strümpfe waschen zu lassen, die von dem Seewasser ein wenig verdorben waren. Als er mich sah, lobte er meine Schönheit, doch tat er dies auf die anständigste Art von der Welt. Er gefiel mir; ohne Zweifel hatte er dies bemerkt, denn er kam jeden Abend wieder. Meine Mutter war stets zugegen; er plauderte und sah mich an, aber niemals nahm er auch nur meine Hand, um sie zu küssen. Meine Mutter sah mit großem Vergnügen, daß der junge Mann mich liebte, und schalt mich oft aus, ich wäre nicht höflich genug gegen ihn. Nach einiger Zeit mußte er mit dem kleinen Schiff, das sein Eigentum war, nach Genua fahren, um eine Warenladung dorthin zu bringen. Er hatte uns versichert, er würde im nächsten Frühjahr wiederkommen und uns dann seine Absichten kundgeben. Er hoffe, ich werde stets tugendhaft sein und vor allen Dingen mit keinem Liebhaber verkehren. Dies war vielsagend. Meine Mutter sah in ihm nunmehr den Mann, dem ich einstmals angehören würde, und ließ mich bis Mitternacht mit ihm an der Haustür plaudern. Wenn er fortging, schloß ich die Tür und legte mich neben meine Mutter, die ich stets bereits eingeschlafen fand, ins Bett. Vier oder fünf Tage vor seiner Abreise nahm er meinen Arm und lud mich ein, ihn etwa fünfzig Schritte von unserem Hause in ein Weinhaus zu begleiten und bei dem griechischen Wirt, der die ganze Nacht offen hielt, ein Glas Muskateller zu trinken. Wir blieben nur eine halbe Stunde beieinander, und bei dieser Gelegenheit gab er mir die ersten Küsse. Nach Hause kommend, fand ich meine Mutter wach; ich erzählte ihr alles, so unschuldig fand ich die ganze Sache.
Aufgeregt von der Erinnerung an die Erlebnisse der vorigen Nacht, erklärte ich mich am nächsten Tage bereit, abermals mit ihm zu gehen. Die Liebe machte weitere Fortschritte. Die Liebkosungen, die wir einander erwiesen, waren nicht mehr unschuldig; denn wir wußten wohl, daß wir weiter gegangen waren, als die Pflicht uns erlaubte. Gleichwohl verziehen wir uns, denn des Wesentlichen hatten wir uns enthalten.
In der übernächsten Nacht sollte mein Geliebter abfahren; er verabschiedete sich von meiner Mutter, und sobald diese im Bett lag, zögerte ich nicht länger, ihm den Genuß zu bewilligen, den ich ebenso sehr wünschte wie er. Wir gingen zum Griechen, aßen und tranken, und unsere erhitzten Sinne ließen die Liebe triumphieren: wir vergaßen unsere Pflicht und glaubten Wunder was Herrliches zu tun. Nach unserer Niederlage schliefen wir ein; aber als wir erwachten, da erkannten wir im hellen Licht des Tages den Fehltritt, den wir begangen hatten. Mehr traurig als froh trennten wir uns, und meine Mutter empfing mich ungefähr ebenso, wie Sie heute morgen es mit angesehen haben. Ich versicherte ihr, eine Heirat würde die Schande meines Verbrechens auslöschen; aber als sie dies Geständnis hörte, ergriff sie einen Stock und würde mich totgeschlagen haben, wenn ich nicht, mehr aus Instinkt als aus Berechnung, entflohen wäre.
Da war ich nun auf der Straße. Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte; so trat ich denn in eine Kirche ein und kniete dort, wie betäubt, im Gebet bis zum Mittag. Denken Sie sich meine Lage: ich hatte Hunger und wußte nicht, wo ich schlafen sollte; ich hatte keine anderen Kleider als die, die ich auf dem Leibe trug, und besaß keinen Heller, um mir ein Stück Brot zu kaufen. Eine Frau sprach mich auf der Straße an. Ich kannte sie und wußte, daß sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Familien, welche Dienstboten brauchten, solche zu besorgen. Ich fragte sie sofort, ob sie mir einen Dienst verschaffen könnte.
Sie antwortete: «Man hat heute ein Mädchen von mir verlangt, aber es ist bei einer Dame von schlechtem Lebenswandel, und wenn Sie diesen Platz annehmen, wird es Ihnen, hübsch wie Sie sind, schwer fallen, anständig zu bleiben.»
«Ich werde mich gegen die Ansteckung zu wehren wissen,»rief ich; «ich bin in einer Lage, alles annehmen zu müssen.»
Sie führte mich zu dem Fräulein, das mich mit Vergnügen annahm und hocherfreut war, als ich auf ihre Frage antwortete, ich hätte noch niemals etwas mit einem Mann zu tun gehabt. Es hat mir seitdem oft leid getan, diese Lüge zu ihr gesagt zu haben, denn in den acht Tagen, die ich bei dieser liederlichen Dame verbrachte, hatte ich die bittersten Beschimpfungen zu erdulden, die jemals einem anständigen Mädchen widerfahren sind. Kaum hatten die Männer, die sie besuchten, mich bemerkt und von ihr erfahren, daß ich noch Jungfer sei, so wollten sie ihre tierische Lust an mir befriedigen und boten mir Gold, aber unter der Bedingung, daß ich mich vorher untersuchen ließ. Da ich mich weigerte, so verhöhnte man mich. Aber das war noch nicht alles. Fünf- oder sechsmal täglich sah ich mich genötigt, bei den rohen Genüssen zugegen zu sein, die die Kunden sich mit meiner Herrin verschafften, und nachts, wenn ich ihnen die Treppe hinunterleuchten mußte, überschütteten sie mich mit Schmähungen, weil ich mich weigerte, ihnen für elende zwölf Sous einen ekelhaften Dienst zu leisten. Es war mir nicht mehr möglich, dieses Leben noch länger zu führen, und als Sie gestern kamen, ging ich schon mit dem Gedanken um, mich ins Wasser zu stürzen. Sie behandelten mich so überaus schmachvoll, daß ich in meinem Entschluß noch bestärkt wurde; beim Fortgehen aber benahmen Sie sich so höflich und großmütig, daß ich augenblicklich Liebe zu Ihnen faßte, denn ich hielt Sie für den Mann, den die Vorsehung dazu ausersehen hätte, mich von dem Sturz in den Abgrund zu bewahren. Ich glaubte, Ihre Erscheinung würde vielleicht meine Mutter beruhigen und Sie könnten sie überreden, mich wieder bei sich aufzunehmen, bis mein Liebhaber käme und mich heimführte. Sie haben mir diese Täuschung benommen; ich bin, wie ich sehe, in ihren Augen ganz und gar verloren. Nehmen Sie mich zu Ihrer Magd; ich werde treu nur Sie allein lieben, werde mich Ihnen ganz und gar unterwerfen, und Sie sollen niemals über mich zu klagen haben.«
Ich weiß nicht, war es Tugend, war es Schwachheit – genug, diese Erzählung des interessanten Opfers einer Sinnenverirrung und der übergroßen Strenge einer Mutter riß mich zu Tränen hin; als sie mich gerührt sah, flossen auch ihre Tränen stromweise; dies war kein Wunder, denn gewiß bedurfte ihr junges armes Herz einer Erleichterung.
«Ich glaube, meine arme Rosalie, du hast nur ein Hemd.«
»Ach das ist leider nur wahr.«
»Sei ruhig, meine Liebe, morgen wirst du alles haben, was du brauchst, und morgen Abend wirst du im zweiten Stock mit mir speisen. Ich werde für dich sorgen.«
»Sie haben also Mitleid mit mir?«
»Ich glaube, mein liebes Kind, es ist mehr Liebe als Mitleid.«
Über dieses »Das gebe Gott«, das ihr aus der innersten Seele kam, mußte ich laut lachen.
Die Magd, die seit zwei Stunden auf mich wartete, legte ihr mürrisches Gesicht in freundliche Falten, als sie den Sechs-Frankentaler sah, den ich ihr zur Entschädigung in die Hand drückte. Ich sagte zu ihr: »Sage deinem Herrn, ich werde morgen Abend mit Rosalie Fastenspeisen essen, und sage ihm, daß ich gut zu essen liebe.«
Heftig verliebt in das junge Mädchen ging ich in meinen Gasthof zurück; es war für mich eine Befriedigung, auch einmal eine wahre Geschichte aus einem schönen Munde gehört zu haben. Sie war offenbar in ihren Gefühlen so tugendhaft, daß ihr kleiner Fehltritt ihr in meinen Augen nur um so höheren Glanz verlieh. Ich faßte den Entschluß, sie niemals zu verlassen, und dieser Entschluß war aufrichtig, denn ich war in sie verliebt.
Am anderen Morgen trank ich meine Schokolade und ging dann mit dem Lohndiener aus; ich ließ mich in mehrere Kaufläden führen, wo ich alles bekommen konnte, was sie nötig hatte. Was ich aussuchte, war ohne Luxus, aber auch nicht armselig. Rosalie war erst fünfzehn Jahre alt, aber nach ihrem schlanken Wuchs, ihrem wohlgeformten Busen, den vollen, von den Grazien gerundeten Armen hätte man ihr vier Lustren geben können. Ich hatte ihre Formen so gut im Kopfe, daß die von mir gekauften Sachen ihr so gut paßten, wie wenn ihr Maß genommen worden wäre. Ich verwandte den ganzen Vormittag hierauf, und der Diener brachte ihr in einem kleinen Koffer zwei Kleider, Hauben, Unterröcke, Schnupftücher, Handschuhe, Mützen, ein Paar Pantoffeln, einen Fächer, einen Arbeitsbeutel und ein Mäntelchen. Beglückt von dem Gedanken, dem reizenden Mädchen eine Überraschung bereitet zu haben, konnte ich die Stunde des Abendessens kaum erwarten, um mich an ihrer Zufriedenheit zu weiden.
Der Malteserritter besuchte mich und lud sich ohne Umstände zum Mittagessen ein; ich nahm ihn mit Vergnügen bei mir auf. Nach der Mahlzeit überredete er mich, mit ihm ins Theater zu gehen, weil das Abonnement aufgehoben wäre und deshalb die Logen die beste Gesellschaft enthielten. Es würden keine Dirnen im Amphitheater sein, denn diese würden nur gegen Bezahlung Eintritt haben. Er stellte mich einer Dame vor, in deren Hause die gute Gesellschaft verkehrte; sie lud mich ein, sie zu besuchen. Ich entschuldigte mich mit meiner sehr nahe bevorstehenden Abreise. Nichtsdestoweniger war diese Dame eine ausgezeichnete Bekanntschaft, die mir bei meinem zweiten Besuch in Marseille sehr nützlich wurde. Es war eine Madame Audibert.
Ich wartete das Ende der Vorstellung nicht ab, sondern begab mich schon vorher an den Ort, wohin mich die Liebe rief. Es wartete meiner eine höchst angenehme Überraschung! Ich glaubte Rosalie nicht wieder zu erkennen, als ich sie vor mir sah. Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, hier ihr Bildnis zu zeichnen, wie es trotz den seither verflossenen Jahren mir im Gedächtnis geblieben ist:
Rosalie war eine pikante Brünette von mehr als mittlerer Größe. Ihr Gesicht bildete ein schönes Oval von den vollkommensten Verhältnissen. Zwei große, schwarze, schön geschnittene und hoch gewölbte Augen strahlten ein Feuer aus, das durch eine entzückende Sanftmut gemildert wurde. Schön geschwungene Augenbrauen, überreiches ebenfalls schwarzes Haar und schwarze Augen ließen die glänzende Weiße ihrer rosig angehauchten Haut noch mehr hervorstehen. Ein Grübchen auf ihrem kleinen Kinn bildete mit zwei anderen Grübchen, die das leiseste Lächeln auf ihre Wangen zauberte, ein Dreieck. Ihr kleiner Mund war mit zwei Reihen Zähnen vom schönsten Schmelz geziert; ihre Lippen vom herrlichsten Rot umspielte ein unerklärlicher Zug. Ihre Unterlippe stand ein wenig vor, wie wenn sie Küsse aufsaugen wollte. Von ihren Armen, von ihrem Busen, von ihrem tadellosen Wuchs sprach ich schon; bemerken aber muß ich noch, daß sie eine göttliche Hand hatte und den kleinsten Fuß, der sich denken läßt. Von ihren übrigen Vollkommenheiten will ich nur sagen, daß sie den bereits geschilderten entsprachen.
Um Rosalien in der ganzen Vollendung ihrer Schönheit zu sehen, mußte man sie lachen sehen; bis zu diesem Augenblick aber war sie nur traurig oder ärgerlich gewesen, und diese Stimmungen sind im allgemeinen den Frauen nicht günstig, sondern nehmen ihnen viel von ihrem Reiz. Nun aber war ihre Traurigkeit verschwunden und hatte dem Ausdruck der Dankbarkeit und der Freude Platz gemacht. Ihr schönes Gesicht fesselte die Aufmerksamkeit, weil es von sprechender Lebendigkeit war und Lust machte, zu hören, was sie sagte. Ich betrachtete sie aufmerksam und war stolz auf die Umwandlung, die mein Werk war; aber ich bemerkte, daß ich meine Überraschung verbergen mußte, damit sie nicht glaubte, daß ich unvorteilhaft von ihr dächte. Ich beeilte mich daher, ihr meine Gedanken auszusprechen, indem ich ihr versicherte, daß ich mich unsterblich lächerlich machen würde, wenn ich sie so, wie Gott sie geschaffen hätte, als Magd in meinen Dienst nehmen wollte.
»Du wirst meine Geliebte sein, teure Rosalie!« rief ich; »meine Diener werden dir die gleiche Achtung bezeigen, wie wenn du meine Frau wärest.«
Rosalie schien durch diese Worte ein neues Leben zu empfangen; sie sprach mir das innige Gefühl aus, das meine Wohltaten in ihr erregten. In ihrem überströmenden Gefühl drückte sie sich unbeholfen aus, aber gerade dieses erfüllte mich mit Freude, denn ich konnte nicht verkennen, daß sie unverstellt sprach: keine Kunst entstellte ihren Geist durch falsches Blendwerk.
Da sie in ihrer Dachstube keinen Spiegel besaß, hatte sie sich beim Ankleiden ohne einen solchen behelfen müssen, und ich sah, daß sie sich in dem großen Wandspiegel, der mein Zimmer schmückte, nicht zu betrachten wagte. Ich kannte die Schwäche aller Frauen – eine Schwäche, die die Männer ihnen sehr mit Unrecht zum Vorwurf machen, – und ermutigte sie daher, sich im Spiegel zu besehen. Sie konnte ein Lächeln der Befriedigung nicht unterdrücken und rief: »Ich komme mir vor, wie wenn ich maskiert wäre, denn noch niemals habe ich mich in solchem Putz gesehen.« Sie lobte die geschmackvolle Einfachheit ihres Kleides, und ärgerte sich, als sie daran dachte, daß ihre Mutter dieses alles sehr schlimm finden würde.
»Du mußt deine Mutter vergessen, liebes Herz! Du siehst vollkommen wie eine vornehme Dame aus, und ich werde ganz stolz sein, wenn man mich in Genua fragen wird, ob du meine Tochter seist.«
»In Genua?«
»Ja, in Genua. Du erbleichst?«
»Vor Überraschung; denn ich werde vielleicht dort einen Mann sehen, den ich noch nicht vergessen habe.«
»Willst du hier bleiben?«
»Nein, nein! Lieben Sie mich und seien Sie überzeugt, daß ich Sie allem vorziehe, und zwar aus Liebe und nicht aus Eigennutz.«
»Du wirst gerührt, lieber Engel. Komm her und laß deine Tränen von meinen Küssen trocknen!«
Erstickt von den verschiedenen Gefühlen, von denen ihr Herz voll war, warf sie sich in meine Arme und weinte lange. Ich suchte sie nicht zu trösten, denn sie hatte keinen Kummer. Indem sie weinte, folgte sie jenem Bedürfnis, das zärtlichen Herzen so natürlich ist und das die Frauen häufiger und lebhafter empfinden als die Männer. Sie weinte noch, als wir uns zu Tisch setzten. Wir hatten ein köstliches Abendessen, dem ich für sie und mich alle Ehre antat; denn sie aß nichts. Ich fragte sie infolgedessen, ob sie den Fehler habe, nicht lecker zu sein.
Sie antwortete mir: »Kein Mensch hat einen besseren Appetit als ich, und ich habe einen ausgezeichneten Magen. Sie werden dies sehen, wenn mein Herz und meine Seele sich ein bißchen an die Freude gewöhnt haben, die mir jetzt Beklemmungen macht.«
»Aber du könntest doch mindestens trinken! Dieser Wein ist ausgezeichnet. Wenn du den griechischen Muskateller vorziehst, werde ich welchen holen lassen; er wird dich an deinen Liebhaber erinnern.«
»Wenn Sie einige Rücksicht auf mich nehmen wollen, so bitte ich Sie, seien Sie so gütig und ersparen Sie mir die größte Kränkung, die Sie mir antun können.«
»Ich verspreche dir, daß dir niemals eine Kränkung von meiner Seite widerfahren soll. Es war ein schlechter Scherz: ich bitte dich dafür um Verzeihung. Es soll nicht wieder vorkommen.«
»Wenn ich Sie sehe, fühle ich Verzweiflung, daß ich Sie nicht vor ihm gekannt habe.«
»Dies Gefühl genügt mir, liebe Rosalie; es ist erhaben, weil du es nur in deiner unschuldigen Liebe geschöpft hast. Du bist schön und keusch, denn du hast nur der Liebe nachgegeben, und du hattest ja die Aussicht, die Frau jenes Mannes zu werden. Wenn ich daran denke, daß du mein bist, so erfüllt es mich mit Verzweiflung, nicht sicher zu sein, daß du mich liebst; denn ein feindlicher Genius will mir einreden, daß du mich nur deshalb duldest, weil ich das Glück gehabt habe, dir zu helfen.«
»Das ist ein sehr schlechter Genius, lieber Freund! Wenn ich Ihnen auf der Straße begegnet wäre, so hätte ich mich freilich ganz gewiß nicht wahnsinnig in Sie verliebt, aber sicherlich würden Sie mir gefallen haben. Ich fühle, daß ich Sie liebe, und zwar nicht um Ihrer Wohltaten willen; denn wenn ich reich wäre und Sie arm, so fühle ich, daß ich alles für Sie tun würde. Aber das wünsche ich durchaus nicht; denn es ist mir lieber, in Ihrer Schuld zu sein, als wenn Sie mein Schuldner wären. Dies sind meine aufrichtigen Gefühle. Erraten Sie das übrige!«
Es war Mitternacht, und wir plauderten noch immer in diesem Ton, als mein alter Wirt hereinkam und mich fragte, ob ich zufrieden sei.
»Ich bin Ihnen Dank schuldig; ich bin sehr zufrieden. Aber wer hat denn dieses köstliche Abendessen zubereitet?«
»Meine Tochter. Sie versteht sich darauf.«
»Sagen Sie ihr, ich habe es ausgezeichnet gefunden.«
»Freilich, mein Herr, aber es ist teuer.«
»Nicht teuer, guter Freund! Sie werden mit mir zufrieden sein, wie ich es mit Ihnen bin. Sorgen Sie dafür, daß ich morgen Abend ebenso gut bedient werde; denn ich hoffe, morgen wird das Fräulein sich besser fühlen und mir dann helfen, den kulinarischen Erzeugnissen Ihrer Tochter Ehre anzutun.«
»Sie wird guten Appetit im Bett haben. Vor sechzig Jahren ist es mir ebenso ergangen. Sie lachen, Fräulein?«
»Ich lache, weil ich denke, daß diese Erinnerungen Ihnen Vergnügen machen müssen.«
»Sie täuschen sich nicht; darum verzeihe ich auch jungen Leuten die kleinen Sünden, die sie aus Liebe begehen.«
»Sie sind ein weiser und guter alter Herr,« sagte ich zu ihm; »man muß für die süßeste aller Schwächen Mitgefühl haben.«
»Wenn der alte Mann weise ist,« sagte Rosalie, als der Wirt fortgegangen war »ist meine Mutter töricht.«
»Wünschest du, daß ich dich morgen ins Theater führe?«
»Ich bitte, nein! Wenn Sie es verlangen, gehorche ich Ihnen, aber es würde mir unangenehm sein. Hier in Marseille weder Theater noch Spazierengehen! Himmel, was würde man sagen! Nein, in Marseille nichts; aber sonst überall alles, was Sie wollen, und von Herzen gern.«
»Gut, meine Liebe, es soll nach deinem Willen geschehen. Aber hier ist dein Zimmer; du sollst nicht mehr in der Dachkammer wohnen, und in drei Tagen reisen wir ab.«
»Ja, du wirst mir morgen sagen, was du für deine Reise haben möchtest, denn ich wünsche, daß es dir an nichts fehlt, und ich könnte vielleicht irgend etwas vergessen; das würde mir unangenehm sein.«
»Ich brauche noch einen gefütterten Mantel, Halbstiefelchen, eine Nachtmütze und ein Gebetbuch, um in die Kirche gehen zu können.«
»Du kannst also lesen?«
»Freilich, sogar auch ganz leidlich schreiben.«
»Das freut mich außerordentlich. Indem du von mir alles verlangst, was du nur wünschen kannst, liebe Freundin, gibst du mir einen wirklichen Beweis von Liebe: denn wo das Vertrauen mangelt, da ist keine echte Liebe. Ich werde nichts vergessen; aber du hast einen so kleinen Fuß, daß es besser ist, wenn du dir die Halbstiefelchen selber besorgst.«
Unsere Unterhaltung war so angenehm; es machte mir so viel Vergnügen, ihren Geist zu beobachten, daß wir erst gegen fünf Uhr morgens zu Bett gingen. Wir verbrachten sieben köstliche Stunden in Amors und Morpheus' Armen, und als wir gegen Mittag aufstanden, waren wir innig miteinander vertraut. Sie duzte mich und sprach nicht mehr von Dankbarkeit, sondern von Liebe; sie hatte sich schon ganz in ihren gegenwärtigen Zustand hineingefunden und lachte über ihr vergangenes Elend.
Alle Augenblicke küßte sie mich, nannte mich ihr Kind, ihr Glück; und da im Leben nichts wirklich ist als die Gegenwart, so genoß ich des Augenblicks, in ihren Liebkosungen schwelgend, und wies jeden Gedanken an die entsetzliche Zukunft von mir, die keine andere sichere Aussicht bietet als auf den Tod, ultima linea rerum.
Die zweite Nacht, die ich mit dem schönen Mädchen verbrachte, war noch viel süßer als die erste; denn da sie mit gutem Appetit gegessen und herzhaft, wenn auch mit Maß, getrunken hatte, so war sie viel empfänglicher für Verfeinerungen des Genusses und ergab sich mit größerem Feuer allen Wollüsten, die die Liebe eingibt und ausführt.
Ich schenkte ihr eine schöne Uhr und ein goldenes Webeschiffchen, um sich zu ihrer Unterhaltung Schnur darauf zu bereiten.
»Ich wünschte ein solches,« sagte sie zu mir, »aber ich würde niemals gewagt haben, dich darum zu bitten.«
Ich antwortete ihr: eine solche Furcht, mir durch eine Bitte um Sachen, die sie gerne haben möchte, zu mißfallen, lasse mich doch an ihrer Liebe zweifeln. Da stürzte sie sich in meine Arme und versprach mir unter den zärtlichsten Küssen, in Zukunft würde sie nicht mehr die geringste Zurückhaltung zeigen.
Es machte mir bereits Vergnügen, das junge Mädchen zu erziehen, und ich fühlte, daß sie vollkommen werden würde, wenn durch die Erziehung ihr Geist sich entwickelte. Am vierten Tage sagte ich ihr, sie möchte sich bereit halten, in meinen Wagen zu steigen, sobald ich sie abholte. Ich hatte weder zu Costa noch zu Leduc ein Wort von ihr gesagt, aber Rosalie wußte, daß ich zwei Bediente hatte; ich hatte ihr erzählt, daß ich mir auf der Reise oft das Vergnügen machte, sie schwatzen zu lassen, um über ihre plumpen Dummheiten zu lachen.
»Du, meine Liebe,« hatte ich zu ihr gesagt, »benimm dich sehr zurückhaltend gegen sie; laß ihnen niemals etwas durchgehen, vor allem nicht die geringste Vertraulichkeit! Befiehl ihnen als Herrin, aber ohne Hochmut, und du wirst Gehorsam und Achtung finden. Sollten sie sich jemals dir gegenüber vergessen, sei es worin es sei, so verlange ich, daß du mir dies ohne Erbarmen sofort mitteilst.«
Ich fuhr von dem Gasthof zu den »Dreizehn Kantonen« mit vier Postpferden ab; Leduc und Costa saßen auf dem Kutschbock, und der Lohndiener, den ich freigebig beschenkt hatte, führte uns vor Rosalies Haus. Ich stieg aus dem Wagen und dankte dem nachsichtigen Greis, der sein Bedauern aussprach, eine so liebenswürdige Mieterin abreisen zu sehen. Dann ließ ich sie einsteigen, setzte mich neben sie, und befahl den Postillonen, nach Toulouse zu fahren, denn ich hatte Lust, vor meiner Rückkehr nach Italien diesen schönen Seehafen zu besichtigen. Um fünf Uhr kamen wir an.
Beim Nachtessen benahm meine Rosalie sich mit der ganzen Würde einer Hausfrau, die an den Ton der guten Gesellschaft gewöhnt ist. Ich sah, daß Leduc in seiner Eigenschaft als Kammerdiener dem Costa ihre besondere Bedienung zuweisen wollte; aber ich brachte ihn davon ab, indem ich, ohne ihn anzusehen, zu meiner Freundin sagte, er werde die Ehre haben, sie zu bedienen, denn er frisiere wie der beste Pariser Friseur. Diese Schmeichelei versüßte ihm die bittere Pille; er fügte sich mit guter Miene, indem er mit einer tiefen Verbeugung sagte, er hoffe das Glück zu haben, Madame zufriedenzustellen.
Am anderen Morgen gingen wir aus, um den Hafen zu besehen. Der Kommandant, dessen Bekanntschaft wir durch einen glücklichen Zufall machten, erwies uns die Ehre, uns als Führer und Cicerone zu bedienen. Er bot Rosalien seinen Arm und behandelte sie mit großer Achtung; sie verdiente diese durch ihre gute Haltung und durch die vernünftigen Fragen, die sie stellte. Beim Mittagessen, an welchem auf meine Einladung auch der Kommandant teilnahm, sprach Rosalie wenig, aber stets treffend; sie ging mit großer Anmut auf die höflichen Komplimente unseres Gastes ein, der ein ebenso liebenswürdiger wie gebildeter Offizier war.
Am Nachmittag zeigte er uns das Arsenal; da er sich zu revanchieren wünschte, konnte ich seine Einladung zum Abendessen nicht ablehnen. Es war keine Rede davon, Rosalie vorzustellen, denn der Kommandant beeilte sich, uns seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn vorzustellen. Ich sah mit großem Vergnügen, daß meine Freundin sich gegen Damen noch besser benahm als gegen Herren. Sie hatte ein natürliches Gefühl für das Schickliche. Die Damen erwiesen ihr tausend Freundlichkeiten, die sie mit edlem und gefühlvollem Anstand entgegennahm; ihr ganzes Wesen trug den Ausdruck jener Bescheidenheit und anziehenden Sanftmut, die das Kennzeichen einer guten Erziehung sind.
Ich wurde für den folgenden Tag zum Mittagessen eingeladen, da ich jedoch mit dem Gesehenen zufrieden war, so verabschiedete ich mich, um am nächsten Tage zu reisen.
Als ich ihr im Gasthof gesagt hatte, ich sei vollkommen mit ihr zufrieden, fiel sie mir voller Freude um den Hals und rief: »Ich hatte fortwährend Angst, man möchte mich fragen, wer ich eigentlich sei.«
»Fürchte nichts, liebe Freundin; in Frankreich wird man in guter Gesellschaft niemals so dumme Fragen an dich richten.«
»Aber wenn man mich nun doch gefragt hätte, wie hätte ich antworten sollen?«
»Ausweichend.«
»Was heißt das?«
»Eine ausweichende Antwort dient dazu, sich aus der Verlegenheit zu ziehen, ohne die Neugier der Indiskreten zu befriedigen.«
»Aber wie macht man denn das?«
»Du würdest zum Beispiel sagen: bitte fragen Sie den Herrn danach.«
»Ich verstehe jetzt. Aber benehme ich mich nicht unhöflich, wenn ich einer Frage ausweiche?«
»Allerdings, aber immerhin weniger unhöflich als diejenigen, die sich eine solche unangebrachte Frage gestatten.«
»Was würdest du antworten, wenn man an dich selber eine solche Frage richtete?«
»Dies käme auf den Grad der Achtung an, die ich der die Frage stellenden Person entgegenbrächte. Wenn ich die Wahrheit nicht sagen wollte, so weiß ich, daß es mir an einer Ausrede nicht fehlen würde. Übrigens bin ich dir dankbar, liebes Herz, daß du mit deinen Fragen bei mir Belehrung suchst. Frage mich nur immer; du wirst mich stets bereit finden, dir zu antworten, denn ich wünsche zu deiner Bildung beizutragen. Ich liebe dich und wünsche, daß du glänzest. Nun aber wollen wir zu Bett gehen, denn wir müssen morgen in aller Frühe nach Antibes abreisen, und die Liebe soll dich für das Vergnügen belohnen, das du mir heute bereitet hast.«
In Antibes mietete ich eine Feluke zur Überfahrt nach Genua, und da ich die Absicht hatte, auf demselben Wege aus Italien zurückzureisen, so brachte ich meinen Wagen in einer Remise unter, wofür ich monatlich eine Kleinigkeit bezahlte. Bei Tagesanbruch fuhren wir mit gutem Winde ab; als aber später das Meer unruhig wurde, hatte Rosalie eine Todesangst, und ich ließ daher die Feluke in den Hafen von Villefranche hineinrudern. Um ein gutes Nachtlager zu haben, nahm ich dort einen Wagen nach Nizza. Des schlechten Wetters wegen mußten wir drei Tage hier bleiben, und ich hielt mich für verpflichtet, dem Kommandanten, einem alten Offizier namens Peterson, meine Aufwartung zu machen.
Er empfing mich sehr freundlich; nachdem wir die üblichen höflichen Redensarten ausgetauscht hatten, fragte er mich: »Kennen Sie einen Russen, der sich Karl Iwanoff nennen läßt?«
»Ich habe in Grenoble Gelegenheit gehabt, ihn einmal zu sehen.«
»Man sagt, er sei aus Sibirien entflohen und sei der jüngere Sohn des Herzogs Biron von Kurland.«
»Das hat man mir auch gesagt; aber ich habe keinen Beweis dafür gesehen.«
»Er befindet sich in Genua, wo ein Bankier, wie man sagt, Auftrag hat, ihm zwanzigtausend Taler zu geben. Trotzdem hat er hier keinen Menschen gefunden, der ihm auch nur einen Sou hätte geben wollen; um die Stadt von seiner listigen Anwesenheit zu befreien, habe ich ihn schließlich auf meine Kosten nach Genua geschickt.«
Es war mir sehr angenehm, daß er vor meiner Ankunft abgereist war.
Ein früherer Offizier Ramini, der im selben Gasthof mit mir wohnte, fragte mich, ob ich ein Paket besorgen wolle, das der spanische Konsul Herr de Saint-Pierre nach Genua an den Marchese Grimaldi zu schicken habe. Dies war jener Herr, den ich kürzlich in Avignon gesehen hatte; ich übernahm daher den Auftrag mit Freuden.
»Haben Sie,« fuhr hierauf der Offizier fort, »in Avignon eine Madame Stuard gekannt, die hier in Nizza etwa vierzehn Tage mit ihrem angeblichen Gatten gewohnt hat? Die armen Leutchen hatten keinen Heller; und die Frau, eine vollendete Schönheit, bezauberte alle Welt durch ihre Reize, gönnte aber niemandem ein Wort oder einen Blick.«
»Ich habe sie gesehen und auch persönlich gekannt; aber sie ist nicht mehr dort. Ich selber habe ihr das Geld gegeben, um ihre Reise fortsetzen zu können. Aber wie haben sie Nizza ohne Geld verlassen können?«
»Das weiß kein Mensch. Sie ist in einem Wagen abgereist, und der Wirt ist bezahlt worden. Marchese Grimaldi hat mir gesagt, sie habe hundert Louis zurückgewiesen, die er ihr habe geben wollen, und einem Venetianer, den er kenne, sei es nicht besser ergangen als ihm. Vielleicht sind Sie dieser Venetianer?«
»Ja, ich bin's. Und trotzdem habe ich ihr Geld gegeben.«
Am Abend suchte Herr Peterson mich auf; Rosalie bezauberte ihn durch ihre Liebenswürdigkeit. Ich verfehlte nicht, ihr auch zu diesem neuen Erfolge Glück zu wünschen.
Nizza ist der Sitz der Langenweile, und die Mücken sind dort eine fürchterliche Plage für die Fremden, denn die Insekten ziehen diese den Einheimischen vor. Indessen unterhielt ich mich ganz gut dank einer kleinen Pharaobank, die im Kaffeehaus gehalten wurde und an welcher Rosalie, die ich zum Spielen genötigt hatte, etwa zwanzig Piemonteser Pistolen gewann. Sie steckte ihren kleinen Schatz in eine Börse und sagte mir, dieser Besitz mache sie sehr glücklich, denn sie habe gern etwas Geld besitzen wollen. Ich schalt sie aus, daß sie mir dies nicht gesagt, und machte ihr Vorwürfe darüber, daß sie ihr Versprechen nicht gehalten hätte.
»Ich brauchte das Geld nicht,« antwortete sie mir; »ich fühle, daß ich es wünschte, ohne mir dessen bewußt zu sein.«
Unser Friede war bald geschlossen.
So schloß das junge Mädchen sich immer enger an mich an, und ich dachte, daß sie mir bis an das Ende meines Lebens angehören würde, daß ich zufrieden mit ihr leben und nicht mehr das Bedürfnis empfinden würde, von einer Schönen zur anderen zu eilen. Mein Schicksal hatte es anders mit mir beschlossen, und gegen das Schicksal läßt sich nichts machen.
Als das Wetter wieder schön geworden war, schifften wir uns mit Einbruch der Nacht ein und kamen am nächsten Tage in aller Frühe in Genua an, das ich niemals zuvor gesehen hatte. Ich stieg im Gasthof »San Martino« ab und nahm dort anstandshalber zwei Zimmer, aber zwei aneinanderstoßende. Am nächsten Tage schickte ich das Paket an Herrn von Grimaldi; und etwas später gab ich eine Karte in seinem Palazzo ab.
Ich ließ mich von einem Lohndiener zu einem Leinengeschäft führen und kaufte Leinwand, um Rosalie zu beschäftigen, welche Wäsche nötig hatte. Dies machte ihr das größte Vergnügen.
Wir saßen noch bei Tisch, als man mir den Marchese Grimaldi meldete; er umarmte mich und dankte mir, daß ich mich mit dem Paket bemüht hätte. Hierauf fragte er mich nach Neuigkeiten von Frau Stuard. Als ich ihm die Geschichte erzählt hatte, lachte er und sagte mir, er wüßte nicht recht, was er an meiner Stelle getan haben würde.
Da er meine Rosalie mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, sagte ich ihm, sie sei ein junges Mädchen, das ebenso interessant durch seine Sittsamkeit wie durch seine Schönheit sei. »Ich möchte ihr eine Kammerfrau besorgen, die das Wäschenähen verstände, die auf landesübliche Art gekleidet mit ihr ausgehen könnte, und die vor allen Dingen italienisch spräche, damit sie es von ihr lernen kann; denn ich wünsche sie in Florenz, Rom und Neapel vorstellen zu können.«
»Warum,« antwortete mir der Marchese, »wollen Sie Genua des Vergnügens berauben, sie zu feiern? Ich erbiete mich, sie unter jedem beliebigen von Ihnen gewünschten Namen vorzustellen, wenn das Fräulein damit einverstanden ist.«
»Sie hat ihre Gründe, hier das Inkognito zu bewahren.«
»Das genügt. Gedenken Sie sich hier längere Zeit aufzuhalten?«
»Höchstens einen Monat, und unser Vergnügen wird sich darauf beschränken, uns die Stadt und ihre Umgebung anzusehen und das Theater zu besuchen. Hiermit werden wir noch die Freuden der Tafel verbinden, denn ich hoffe den Genuß zu haben, alle Tage Champignons zu essen, die hier besser sind als auf der ganzen Welt.«
»Das ist ein entzückender Plan; ich selber könnte Ihnen keinen besseren vorschlagen. Ich werde mich bemühen, mein gnädiges Fräulein, ein passendes Mädchen für Sie zu finden.«
»Sie, mein Herr? Womit soll ich soviel Güte verdienen?«
»Sie flößen mir eine so große Teilnahme ein, gnädiges Fräulein, da ich in Ihnen eine Marseillerin zu entdecken glaube.«
Rosalie errötete; sie wußte nicht, daß sie mit dem R schnarrte und daß man daran ihre Heimat erraten konnte. Ich beseitigte ihre Verlegenheit, indem ich ihr dies sagte.
Ich fragte den Marchese, wie ich mir das Journal des Savants, den Mercure de France und alle anderen derartigen Zeitschriften verschaffen könne. Er versprach, mir einen Mann zu schicken, der alle meine literarischen Wünsche befriedigen würde. Er fügte hinzu, wenn ich ihm gestatten wolle, mir etwas von seiner ausgezeichneten Schokolade zu schenken, so werde er zum Frühstück zu uns kommen. Ich antwortete ihm, Gast und Geschenk seien uns gleich angenehm.
Nachdem der Marchese fortgegangen war, bat Rosalie mich, sie zu einer Modistin zu führen. »Ich brauche,« sagte sie, »Bänder und allerlei Kleinigkeiten; aber ich will sie von meinem eigenen Gelde bezahlen, und ich will darum handeln, ohne daß du dich hineinmischest.«
»Mache es ganz wie du willst, meine Liebe! Nachher wollen wir ins Theater gehen.«
Die Modistin, zu der wir gingen, war eine Französin. Rosalie war reizend. Sie tat wichtig und spielte die Kennerin; sie ließ sich Hüte von der neuesten Mode vorlegen, feilschte um den Preis und gab fünf oder sechs Louis auf durchaus vornehme Weise aus. Beim Hinausgehen sagte ich zu ihr, man habe mich für ihren Lakaien gehalten, und ich wolle mich dafür rächen. Mit diesen Worten ließ ich sie bei einem Juwelier eintreten und kaufte ihr schöne Schnallen von Straß, schöne Ohrbommeln und ein schönes Halsband, ohne daß sie ein Wort dazu sagen durfte; nachdem ich bezahlt hatte, was man von mir verlangt hatte, verließen wir den Laden.
»Lieber Freund,« sagte sie zu mir, »was du gekauft hast, ist schön, aber du wirfst dein Geld weg, denn wenn du gehandelt hättest, würdest du mindestens vier Louis gespart haben.«
»Das kann wohl sein, liebes Herz; aber feilschen kann ich nicht.«
Ich führte sie ins Theater; da sie aber die Sprache nicht verstand, langweilte sie sich so sehr, daß sie nach dem ersten Akt mich bat, ich möchte sie doch nach Hause bringen; diesen Wunsch erfüllte ich ihr gerne. Ich fand im Gasthof ein Kistchen mit vierundzwanzig Pfund Schokolade, die Herr von Grimaldi geschickt hatte. Costa, der seine Geschicklichkeit, die Schokolade auf spanische Art zuzubereiten, gerühmt hatte, erhielt den Auftrag, am nächsten Morgen drei Tassen für uns zurecht zu machen.
Um neun Uhr kam der Marchese mit einem Händler, dem ich ausgezeichnete chinesische Baumwollstoffe abkaufte. Ich gab sie Rosalien, um sich zwei Mazzera machen zu lassen, eine Art Kapuzmantel, den die Frauen in Genua auf ihren Spaziergängen in der Stadt tragen, wie sie in Venedig den Cendal und in Madrid die Mantilla tragen.
Ich dankte Herrn von Grimaldi vielmals für seine schöne Schokolade die wir ausgezeichnet fanden. Costa war ganz stolz über das Lob, das der Marchese ihm aussprach. Nach dem Frühstück meldete Leduc mir eine Frau, deren Name mir unbekannt war. Der Marchese sagte mir jedoch: »Es ist die Mutter der Kammerjungfer, die ich für das gnädige Fräulein besorgt habe.«
Ich ließ sie eintreten und sah eine gutgekleidete Frau mit einem Fräulein von zwanzig bis vierundzwanzig Jahren, die mir sofort sehr hübsch vorkam. Die Mutter sprach dem Marchese ihren Dank aus und stellte ihre Tochter Rosalien vor, indem sie ihre guten Eigenschaften im einzelnen schilderte und die Versicherung gab, ihre Tochter werde sie gut bedienen und sie könne in allen Ehren mit ihr ausgehen.
»Meine Tochter spricht französisch, und Sie werden in ihr ein anständiges, treues und dienstwilliges Mädchen finden.«
Hierauf sagte sie ihr, wieviel Lohn sie monatlich bei einer Dame gehabt hätte, bei der sie früher in Diensten gewesen wäre, und bat sie schließlich, ihre Tochter nicht mit den Bedienten essen zu lassen. Das Mädchen hieß Veronika. Rosalie bewilligte alle ihre Wünsche und sagte ihr, es würde sie freuen, wenn sie sähe, daß sie sich Achtung zu verschaffen wüßte; dies gelänge am besten dadurch, daß man sich achtungswert machte. Veronika küßte ihr die Hand, die Mutter entfernte sich, und Rosalie führte sie in ihr Zimmer, um sie unter ihrer Leitung die Näharbeit beginnen zu lassen.
Ich sprach dem Herrn Marchese meinen besonders lebhaften Dank aus; denn es schien mir offenbar, daß er eine Kammerjungfer dieser Art viel mehr für mich als für meine Freundin ausgesucht hatte. Ich sagte ihm, ich würde nicht verfehlen, ihm meine Aufwartung zu machen, und er antwortete mir, er würde mich stets mit dem größten Vergnügen sehen, und ich würde ihn am leichtesten in seinem Kasino in Sampierdarena finden, wo er oft die Nacht zubrächte.