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In diesem Zustand voll ängstlicher Erwartung und Verzweiflung befand ich mich, als zwei Sbirren mir mein Bett brachten. Sie entfernten sich sofort wieder, um das übrige zu holen; aber es vergingen mehr als zwei Stunden, bevor ich jemanden wiedersah, obgleich die Tür meines neuen Gefängnisses offen geblieben war. Diese Verzögerung war nicht natürlich, und ich machte mir eine Menge Gedanken darüber; doch konnte ich zu einer festen Meinung nicht kommen. Ich wußte nur, daß ich alles zu befürchten hatte, und diese Gewißheit veranlaßte mich, alles aufzubieten, um in einen Zustand von Ruhe zu gelangen, der mich zum Widerstand gegen jedes Mißgeschick waffnete.
Außer den Bleikammern und dem Quattro besitzen die Staatsinquisitoren noch neunzehn fürchterliche Gefängnisse. Sie befinden sich im Dogenpalast selber, unter der Erde, und sind entsetzliche Löcher für solche Unglückliche, die man nicht zum Tode verurteilen will, obgleich ihre Verbrechen sie einer solchen Strafe würdig erscheinen lassen.
Alle Richter und Herrscher der Erde haben stets gewissen Verbrechern eine große Gnade zu erweisen geglaubt, indem sie ihnen das Leben lassen, während ihre Handlungen den Tod verdient hätten. Aber oft tritt an die Stelle dieses augenblicklichen Todesschmerzes eine Lage, die nur ein unaufhörliches Leiden und darum schlimmer als der Tod ist. Vom religiösen und philosophischen Standpunkt aus kann man diese Strafumwandlungen nur dann als eine Gnade betrachten, wenn auch der Unglückliche, dem sie zuteil werden, sie als solche ansieht; aber der Verbrecher wird sehr selten befragt, und so artet die angebliche Gnade oft in eine wahre Ungerechtigkeit aus.
Diese unterirdischen Gefängnisse sind wahre Gräber; aber man nennt sie die Brunnen, weil in ihnen stets das Meerwasser zwei Fuß hoch steht; dieses dringt durch dasselbe Gitter ein, wodurch sie ein wenig Licht empfangen. Das Gitterfenster ist nur einen Quadratfuß hoch. Wenn der unglückliche Gefangene, der in diesen schmutzigen Kloaken zu leben verdammt ist, nicht beständig ein Salzwasserbad nehmen will, muß er den ganzen Tag auf einem Gestell sitzen, worauf ein Strohsack liegt und das ihm auch als Speiseschrank dient. Am Morgen gibt man ihm einen Krug Wasser, eine dünne Suppe und eine Portion Kommißbrot, das er sofort essen muß, wenn es nicht die Beute der großen Wasserratten werden soll, von denen diese entsetzlichen Höhlen wimmeln. Für gewöhnlich sind die Unglücklichen, die man in die Brunnen sperrt, auf Lebenszeit verurteilt, und zuweilen kommt es vor, daß einer ein hohes Alter erreicht. Ein Verbrecher, der in dem Brunnen starb, während ich unter den Bleidächern war, hatte siebenunddreißig Jahre dort unten verbracht, und er war vierundvierzig alt gewesen, als er gefangen gesetzt wurde. Da er überzeugt sein mußte, den Tod verdient zu haben, so hat er vielleicht die Umwandlung der Strafe als eine Gnade angesehen; denn es gibt Menschen, die nur den Tod fürchten. Er hieß Béguelin und war aus Frankreich gebürtig. Er hatte während des letzten Türkenkrieges im Jahre 1716 als Kapitän bei den Truppen der Republik gedient und stand unter dem Befehl des Marschalls Grafen Schulenburg, der den Großvezier nötigte, die Belagerung von Korfu aufzuheben. Béguelin diente dem Marschall als Spion: als Türke verkleidet ging er in das Lager der Moslin; zugleich aber bediente er auch den Großvezier. Er wurde dieser doppelten Spionage überführt, und gewiß erwies man ihm eine Gnade, indem man ihn in die Brunnen schickte, um dort zu sterben. Er hat da unten nur hungern und sich langweilen können; aber mit seinem gemeinen Charakter hat er sich vielleicht oft das Wort wiederholt: Dum vita superest bene est – wenn nur das Leben bleibt, ist alles gut.
Ich sah auf dem Spielberge in Mähren noch viel fürchterlichere Kerker; in diese brachte man aus Barmherzigkeit Verbrecher, die zum Tode verurteilt waren, und niemals hat es einer ein Jahr lang darin aushalten können. Welche Barmherzigkeit!
Während ich diese zwei tödlich langen Stunden wartete, kamen mir die düstersten Gedanken, und ich stellte mir alles mögliche Unglück vor. Natürlich bildete ich mir auch ein, man würde mich in eins dieser schrecklichen Löcher werfen, in denen der Unglückliche sich nur von trügerischen Hoffnungen nährt und ebenso unvernünftigen panischen Schrecken erliegt. Das Tribunal, das über die höchsten Höhen und über die tiefsten Tiefen des Palastes verfügt, war wohl imstande, jemanden, der dem Fegefeuer zu entrinnen versucht hatte, nunmehr in die Hölle zu schicken.
Endlich hörte ich einige Schritte, und bald sah ich Lorenzo vor mir. Sein Gesicht war ganz verzerrt vor Zorn; er schäumte vor Wut und fluchte auf Gott und alle Heiligen. Er befahl mir, ihm die Hacke und die Werkzeuge herauszugeben, mittels deren ich den Fußboden durchbrochen hätte, und ihm den Sbirren zu nennen, der sie mir geliefert hätte. Ich antwortete ihm ganz kaltblütig und ohne mich zu rühren, ich wisse nicht, von wem er spreche. Auf diese Antwort hin befahl er, mich zu durchsuchen; ich stand aber mit entschlossenem Gesicht auf, zog mich selber ganz nackt aus und rief den Halunken drohend zu: »Tut was eures Amtes ist! Aber keiner unterstehe sich, mich anzurühren!«
Man durchsuchte meine Matratzen, schüttete den Strohsack aus und befühlte die Polster meines Lehnstuhls; man fand nichts.
»Sie wollen mir nicht sagen, wo die Werkzeuge sind, mit denen Sie das Loch gemacht haben; aber man wird Mittel finden, Sie zum Sprechen zu bringen!«
»Wenn es wahr ist, daß ich irgendwo ein Loch gemacht habe, so werde ich sagen, daß Ihr selber mir die Werkzeuge dazu gegeben habt und daß ich Euch alles zurückgegeben habe.«
Diese Drohung rief bei den Knechten, die bei ihm waren und die er wahrscheinlich durch irgendwelche Bemerkungen geärgert hatte, ein beifälliges Lächeln hervor. Er stampfte mit dem Fuß, raufte sich die Haare und lief wie ein Besessener zur Tür hinaus. Seine Leute kamen wieder und brachten mir alle meine Sachen, mit Ausnahme meines Steines und meiner Lampe. Nachdem er mein Gefängnis geschlossen hatte, machte er die beiden Fenster zu, durch die ich ein wenig Luft empfing. So fand ich mich in engen Raum eingesperrt, wo ich von nirgendsher auch nur ein bißchen Luft erhalten konnte. Dies nahm ich mir aber nicht stark zu Herzen, denn ich gestehe, daß ich der Meinung war, noch gut davon gekommen zu sein. Lorenzo war ein alter erfahrener Gefängniswärter; trotzdem kam er glücklicherweise nicht auf den Gedanken, meinen Lehnstuhl umzudrehen. So besaß ich denn immer noch meinen Spieß und dankte dafür der Vorsehung; denn ich glaubte ihn immer noch als das Werkzeug des Glücks betrachten zu dürfen, das mir früher oder später meine Freiheit verschaffen würde.
Ich konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, teils wegen der Hitze, teils wegen der gehabten Aufregung. Mit Tagesanbruch kam Lorenzo und brachte mir ungenießbaren Wein, dazu Wasser, das kein Mensch trinken konnte. Dementsprechend war auch alles übrige: der Salat war vertrocknet, das Fleisch stank, und das Brot war härter als Schiffszwieback. Er ließ mein Zimmer nicht reinigen, und als ich ihn bat, die Fenster zu öffnen, stellte er sich taub; aber ein Sbirre klopfte mit einer Eisenstange überall gegen die Wände und auf den Fußboden, ganz besonders unter dem Bett. Ich sah das alles mit unerschütterlichem Gesicht mir an; dabei entging es mir nicht, daß der Sbirre nicht gegen die Decke klopfte, und ich sagte zu mir selber, auf diesem Wege werde ich die Hölle hier verlassen. Um jedoch diesen Plan ausführen zu können, mußte ich abwarten, daß Umstände einträten, die nicht von mir abhingen; denn ich durfte nichts machen, was Lorenzos Blicken ausgesetzt war. Das Gefängnis war ganz neu; die kleinste Schramme wäre sofort von meinen Wächtern bemerkt worden.
Ich verbrachte einen fürchterlichen Tag, denn die Hitze war erstickend wie in einem Backofen, und außerdem waren die mir verabreichten Nahrungsmittel völlig ungenießbar. Das Schwitzen und der Mangel an Nahrung machten mich so schwach, daß ich weder lesen, noch umhergehen konnte. Am nächsten Tage bekam ich ebensolches Essen; vor dem fauligen Geruch des Kalbfleisches, das der Kerl mir brachte, wich ich entsetzt zurück. »Hast du,« rief ich, »Befehl erhalten, mich an Hunger und Hitze sterben zu lassen?« Er antwortete nicht und schloß meinen Kerker wieder zu. Am dritten Tage die gleiche Behandlung. Ich verlangte Bleistift und Papier, um dem Sekretär zu schreiben; keine Antwort.
Verzweifelt aß ich meine Suppe und etwas Brot in Cyperwein getunkt. Ich beschloß, Kräfte zu sammeln, um mich am nächsten Tag an Lorenzo rächen zu können. Ich wollte ihm meinen Spieß durch die Kehle stoßen. In meiner Wut schien mir kein anderer Entschluß möglich zu sein. Die Nacht beruhigte mich, und als am andern Morgen der Henkersknecht erschien, begnügte ich mich damit, ihm zu sagen, ich würde ihn töten, sobald ich wieder frei wäre. Er lachte nur ob meiner Drohung und ging wiederum hinaus, ohne den Mund aufzutun.
Ich begann zu glauben, er handle so auf Befehl des Sekretärs, dem er wahrscheinlich alles gemeldet hatte. Ich wußte nicht, was ich machen sollte: meine Geduld kämpfte mit meiner Verzweiflung. Meine Lage war fürchterlich, ich fühlte mich an Erschöpfung zugrunde gehen. Am achten Tage endlich übermannte mich die Wut: mit Donnerstimme nannte ich ihn in Gegenwart der Sbirren einen niederträchtigen Henker und befahl ihm, mir Rechnung über mein Geld abzugeben. Er antwortete mir kurz angebunden, ich würde die Abrechnung am nächsten Tage bekommen. Als er gehen wollte, ergriff ich den Kübel und tat, wie wenn ich ihn auf den Korridor ausgießen wollte. Er kam mir jedoch zuvor und befahl einem der Sbirren, mir den Kübel abzunehmen. Um den Geruch zu vertreiben, der sich unterdessen im Korridor verbreitet hatte, öffnete er ein Fenster, das er aber wieder schloß, sobald die Sache besorgt war, und ich blieb trotz meinem Geschrei in der Pestluft. Ich glaubte, daß ich diesen ekelhaften, aber unumgänglich notwendigen Dienst den Beleidigungen verdankte, die ich ihm gesagt hatte, und beschloß daher, ihn am nächsten Tage noch schlechter zu behandeln. Aber meine Wut legte sich, sobald ich ihn sah, denn bevor er mir meine Rechnung vorlegte, übergab er mir einen Korb voll Zitronen, den Herr von Bragadino mir schickte, und eine große Flasche mit Wasser, das gut zu sein schien; dazu ein sehr appetitliches gebratenes Huhn. Außerdem öffnete einer von den Sbirren die beiden Fenster. Als er mir meine Rechnung vorlegte, warf ich nur einen Blick auf die Gesamtsumme und sagte ihm, er solle den Rest seiner Frau geben mit Ausnahme einer Zechine. Diese befahl ich ihm den Sbirren zu geben, die mit ihm meine Aufwartung besorgten. Diese kleine Freigebigkeit gewann mir die Herzen der armen Teufel, die sich sehr eifrig bei mir bedankten.
Sobald Lorenzo mit mir allein war, fing er an zu sprechen: »Sie haben mir bereits gesagt, daß Sie von mir selber die Werkzeuge erhalten haben, die Sie brauchten, um das Riesenloch zu machen. Danach bin ich also nicht mehr neugierig; aber würden Sie wohl die Gnade haben, mir zu sagen, wer Ihnen die notwendigen Bestandteile verschafft hat, um eine Lampe zu machen?«
»Ihr selber.«
»Oho; da bin ich paff! Was Sie da sagen, ist sehr kühn, aber nicht gescheit.«
»Ich lüge nicht. Ihr selber habt mir mit Euren Händen alles gegeben, was ich brauchte: Öl, Feuerstein, Schwefelfäden, das übrige besaß ich schon.«
»Sie haben recht; aber könnten Sie mich ebenso leicht auch davon überzeugen, daß ich Ihnen die Werkzeuge geliefert habe, um das Loch zu machen?«
»Ganz gewiß; denn ich habe alles nur von Euch erhalten.«
»Barmherzigkeit! Was höre ich da? Sagen Sie mir doch, wann ich Ihnen eine Hacke gegeben habe!«
»Ich werde Euch alles sagen und ich werde die Wahrheit sagen, aber es wird nur in Gegenwart des Sekretärs geschehen.«
»Ich will gar nichts mehr wissen, ich glaube Ihnen alles. Ich bitte Sie, schweigen Sie! Bedenken Sie, ich bin ein armer Mann und habe Kinder.« Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf und ging hinaus.
Ich wünschte mir von ganzem Herzen Glück, daß ich ein Mittel gefunden hatte, den Spitzbuben in Furcht zu setzen, dem ich nach dem Willen des Schicksals das Leben kosten sollte. Ich sah, daß sein eigenes Interesse ihn nötigte, seinen Herren kein Wort von dem Vorgefallenen zu sagen.
Ich hatte Lorenzo befohlen, mir Maffeis Werke zu kaufen. Diese Ausgabe wurmte ihn, aber er wagte mir dies nicht offen herauszusagen, sondern fragte mich, warum ich denn immer noch neue Bücher brauchte, da ich schon so viele besäße.
»Ich habe alles gelesen und brauche Neues.«
»Ich werde Ihnen von einem der Gefangenen Bücher leihen lassen, wenn Sie ihm dafür die Ihrigen leihen wollen. Auf diese Weise sparen Sie Ihr Geld.«
»Es sind vielleicht Romane, und die liebe ich nicht.«
»Es sind wissenschaftliche Bücher; wenn Sie vielleicht glauben, Sie seien der einzige gute Kopf hier oben, so irren Sie sich.«
»Nun, mir soll es recht sein; wir werden sehen. Da habt Ihr ein Buch, das ich auf gut Glück herleihe. Bringt mir dafür ein anderes.«
Ich hatte ihm das Rationarium von Petau gegeben; vier Minuten später brachte er mir dafür den ersten Band von Wolff. Dies war mir recht angenehm; ich sagte ihm, ich wolle auf den Maffei verzichten, und darüber freute er sich sehr.
Mich erfreute weniger das Lesen dieser gelehrten Bücher, als die günstige Gelegenheit, eine Korrespondenz mit einem anderen anknüpfen zu können, der mir bei meinem Fluchtplan, den ich bereits im Kopf entworfen hatte, behilflich sein konnte. Sobald Lorenzo hinaus war, schlug ich das Buch auf und war außerordentlich erfreut, als ich auf einem Blatte eine Umschreibung des Senecaschen Wortes: calamitiosus est animus futuri anxius – unglücklich die Seele, die sich um künftige Sorgen quält, in sechs guten Versen fand. Ich machte sofort ebenfalls sechs, und um diese niederschreiben zu können, ersann ich folgendes Mittel: Ich hatte den Nagel. meines kleinen Fingers wachsen lassen, um ihn als Ohrlöffel benützen zu können; ich schnitt ihn spitz zu, so daß er als Feder dienen konnte. Tinte hatte ich nicht, und ich wollte mich schon in den Finger stechen, um mit meinem Blut zu schreiben, als mir plötzlich einfiel, daß ich statt Tinte auch Maulbeerensaft benutzen könnte, und solchen hatte ich. Außer den sechs Versen schrieb ich das Verzeichnis der Bücher auf, die ich besaß, und legte es in den Rücken des gleichen Buches. Man muß wissen, daß in Italien die Bücher gewöhnlich in Pergament gebunden sind und zwar so, daß beim Öffnen der Rücken eine Tasche bildet. Unter den Rückentitel schrieb ich: latet – hier ist etwas versteckt. Ich war ungeduldig, eine Antwort zu erhalten; als daher Lorenzo am anderen Morgen erschien, sagte ich ihm, ich hätte das Buch gelesen und bäte die Person, mir ein anderes zu schicken. Einen Augenblick darauf hatte ich den zweiten Band in Händen.
Kaum war ich allein, so schlug ich den Band auf und fand darin auf einem losen Blatt folgende Worte in lateinischer Sprache: »Wir sind zu zweien in demselben Gefängnis, und es macht uns den größten Spaß, zu sehen, daß die Unwissenheit eines habsüchtigen Kerkermeisters uns ein Vorrecht verschafft, das an diesem Ort beispiellos ist. Ich, der Schreiber dieses, bin Marino Balbi, venetianischer Nobile und Mitglied des Somaskenordens; mein Genosse ist der Graf Andrea Asquino ans Udine, der Hauptstadt des Friauls. Ich teile Ihnen in seinem Namen mit, daß alle Bücher, die er besitzt und deren Verzeichnis Sie im Rücken des Buches finden werden, Ihnen zu Diensten stehen; aber wir machen Sie darauf aufmerksam, mein Herr, daß wir außerordentlich vorsichtig sein müssen, um unseren Verkehr vor Lorenzo geheim zu halten.«
Es war nicht eben zu verwundern, daß wir in der Lage, worin wir uns befanden, auf den gleichen Gedanken verfielen, nämlich uns gegenseitig das Verzeichnis unseres kleinen Büchervorrats mitzuteilen, und daß wir dafür den Rücken des Buches wählten: diesen Gedanken gab uns der gesunde Menschenverstand ein; aber ich fand es eigentümlich, daß er auf einem losen Blatt Vorsicht empfahl. Es schien unmöglich zu sein, daß Lorenzo nicht das Buch öffnete; dann hätte er das Blatt gesehen, und da er es nicht lesen konnte, hätte er es in die Tasche gesteckt, um sich von irgendeinem den Inhalt sagen zu lassen. So wäre alles schon im ersten Anfang entdeckt worden. Dies ließ mich darauf schließen, daß mein Korrespondent ein recht unbesonnener Mensch sein müßte.
Nachdem ich das Bücherverzeichnis gelesen hatte schrieb ich, wer ich wäre, wie man mich verhaftet hätte, daß ich nicht wüßte, für welches Verbrechen man mich strafte, und daß ich hoffte, mich bald frei zu sehen. Balbi schrieb mir einen sechzehn Seiten langen Brief; der Graf Asquino schrieb nichts. Der Mönch erzählte mir all sein Mißgeschick: Seit vier Jahren saß er gefangen, und zwar weil er die Gunst von drei jungen Mädchen genossen hatte; er hatte von ihnen drei Kinder gehabt, die er aus Gutmütigkeit auf seinen Namen hatte taufen lassen. Das erstemal war er mit einer Strafpredigt seines Oberen davongekommen. Das zweitemal hatte man ihm eine scharfe Strafe angedroht, und das drittemal endlich hatte man ihn einsperren lassen. Der Vater Prior seines Klosters schickte ihm jeden Morgen sein Essen. Er sagte mir in seinem Brief, der Prior und das Tribunal seien Tyrannen, denn sie hätten keine Gewalt über sein Gewissen; er sei überzeugt gewesen, daß die drei Kinder von ihm seien, darum habe er als anständiger Mann sie nicht des Vorteils berauben dürfen, den ihnen vielleicht sein Name bringen könnte. Weiter sagte er mir, er habe nicht umhin gekonnt, seine Kinder öffentlich anzuerkennen, damit sie nicht verleumderischerweise anderen Vätern zugeschrieben würden, denn dies hätte dem guten Ruf der drei anständigen Mädchen geschadet, von denen er diese Kinder gehabt hätte; außerdem hätte er nicht die Stimme der Natur ersticken können, die zugunsten der unschuldigen Geschöpfe gesprochen hätte. Er schloß mit den Worten: »Es ist keine Gefahr vorhanden, daß mein Prior in denselben Fehler verfällt; denn seine Zärtlichkeit betätigt sich nur seinen Schülern gegenüber.«
Der Brief genügte, um mich den Mann kennen zu lehren. Ein sonderbarer Kauz, sinnlich, in falschen Vorstellungen befangen, boshaft, dumm, unvorsichtig, undankbar – so zeigte er sich schon in diesem ersten Brief; denn nachdem er mir gesagt hatte, er würde sich ohne den siebenzigjährigen Grafen Asquino, welcher Bücher und Geld besäße, sehr unglücklich befinden, schrieb er zwei ganze Seiten voll, um mir Böses von ihm zu sagen und mir die Fehler und Lächerlichkeiten des alten Mannes zu schildern. Als freier Mann würde ich einem Menschen von diesem Charakter nicht geantwortet haben; aber unter den Bleidächern mußte ich mir alles zunutze machen. Ich fand im Rücken des Buches Bleistift, Federn und Papier, so daß ich nunmehr ganz bequem schreiben konnte. Er schrieb mir auch genaue Mitteilungen über alle Gefangenen, die sich damals unter den Bleidächern befanden oder während seiner vierjährigen Haft dort gewesen waren. Er sagte mir, der Gefängnisknecht Niccolo kaufe ihm im geheimen alles, was er wünsche, nenne ihm die Namen der Gefangenen und erzähle ihm, was er von ihnen wisse. Zum Beweise berichtete er mir alles, was er über mein Loch erfahren hatte: Man habe mich aus meinem Gefängnis herausgenommen, um den Patrizier Priuli dort unterzubringen. Lorenzo habe zwei Stunden dazu gebraucht, den von mir angerichteten Schaden wieder auszubessern; er habe dem Tischler, dem Schlosser und allen Wächtern bei Todesstrafe verboten, ein Wort davon zu sagen. »Noch einen Tag,« hatte der Wächter gesagt, »und Casanova wäre auf sinnreiche Art entflohen, Lorenzo aber wäre an den Galgen gekommen; denn obwohl er sich beim Anblick des Loches sehr erstaunt stellte, ist es doch nicht zweifelhaft, daß nur er die erforderlichen Werkzeuge geliefert haben kann, um eine so schwierige Arbeit auszuführen. Niccolo hat mir ferner gesagt,« fuhr mein Korrespondent fort, »daß Herr von Bragadino ihm tausend Zechinen versprochen hat, wenn er Ihnen bei einer Flucht behilflich sein kann. Lorenzo aber weiß dies und hofft sich die Belohnung ohne Gefahr verdienen zu können, indem er durch seine Frau Ihre Befreiung bei Herrn Diedo erwirkt. Von den Wächtern wagt keiner über den Vorfall zu sprechen, weil jeder befürchtet, Lorenzo würde, wenn es ihm gelänge, sich auszureden, sich dadurch rächen, daß er ihn wegjagen ließe.« Der Mönch bat mich, ihm die ganze Geschichte ausführlich zu erzählen und ihm zu sagen, wie ich mir die Werkzeuge verschafft hätte; auf seine Verschwiegenheit könne ich rechnen.
An seiner Neugier zweifelte ich nicht, wohl aber sehr an seiner Verschwiegenheit, zumal schon aus seiner Bitte hervorging, daß er ein höchst indiskreter Mensch war. Indessen glaubte ich ihn gut behandeln zu müssen, denn er schien mir der Mann zu sein, alle meine Anordnungen auszuführen, um mir bei der Wiedererlangung meiner Freiheit zu helfen. Daher antwortete ich ihm. Plötzlich aber kam mir ein Verdacht, der mich veranlaßte, das von mir Geschriebene vorläufig nicht abzuschicken. Es fiel mir nämlich ein, dieser Briefwechsel könnte vielleicht ein Kniff von Lorenzo sein, um auf diese Weise zu erfahren, von wem ich die Werkzeuge erhalten und wo ich sie gelassen hätte. Um seinen Wunsch zu erfüllen, ohne mich bloßzustellen, schrieb ich ihm, ich hätte das Loch mit Hilfe eines starken Messers gemacht, das ich besäße, und das ich oben auf das Gesimse des Korridorfensters gelegt hätte. Mehr als drei Tage vergingen; ich war beruhigt, denn Lorenzo unterließ es, auf dem Gesimse nachzusuchen, was er unfehlbar getan haben würde, wenn er den Brief aufgefangen hätte. Übrigens schrieb Pater Balbi mir, er wisse, daß ich wohl ein solches Messer besitzen könne; denn Lorenzo habe ihm erzählt, daß man mich vor der Einsperrung nicht durchsucht habe. Lorenzo hätte keinen Befehl dazu empfangen; und dieser Umstand würde ihn vielleicht gerettet haben, wenn mir meine Flucht gelungen wäre; denn er behauptete: wenn er jemanden aus den Händen des Sbirrenführers erhielte, müßte er annehmen, daß er bereits durchsucht wäre. Messer-Grande seinerseits würde gesagt haben: er hätte mich aus meinem Bett steigen sehen und wäre daher sicher gewesen, daß ich keine Waffen bei mir haben konnte. Durch diesen Widerstreit wären sie vielleicht alle beide mit heiler Haut davon gekommen. Zum Schluß bat der Mönch mich, ich möchte ihm durch Niccolo, dem ich vertrauen könnte, mein Messer schicken.
Die Leichtfertigkeit des Mönches schien mir unbegreiflich. Ich schrieb ihm, ich hätte durchaus keine Neigung, mich dem Niccolo anzuvertrauen, und mein Geheimnis wäre so wichtig, daß ich es nicht zu Papier bringen könnte. Seine Briefe machten mir immerhin Spaß. In einem derselben teilte er mir mit, warum Graf Asquino unter den Bleidächern war. Es war eigentümlich, daß man ihn trotz seinem unbehilflichen körperlichen Zustand dort behielt, denn er war ungeheuer dick und konnte sich kaum bewegen, da ein gebrochenes Bein schlecht wieder angeheilt war. Der Graf, der nicht reich war, übte in Udine den Advokatenberuf aus; kraft dieses Berufes verteidigte er im Stadtrat den Bauernstand gegen den Adel, der ihm mit gewohnter Anmaßung das Stimmrecht in den Provinzialversammlungen bestreiten wollte. Die Ansprüche der Bauern störten den öffentlichen Frieden und um sie durch das Recht des Stärkeren zur Vernunft zu bringen, wandten die Adeligen sich an die Staatsinquisitoren, und diese befahlen dem gräflichen Advokaten, die Vertretung seiner Klienten niederzulegen. Der Graf antwortete, das Stadtrecht ermächtige ihn, die Verfassung zu verteidigen, und verweigerte den Gehorsam. Die Inquisitoren ließen ihn trotz dem Stadtrecht verhaften, und seit fünf Jahren atmete er die heilsame Luft der Bleigefängnisse. Er bekam wie ich täglich fünfzig Soldi, durfte aber über sein Geld verfügen. Der Mönch, der niemals einen Heller hatte, sagte mir viel Böses über den Geiz seines Kameraden. Er teilte mir ferner mit, daß in dem Gefängnis jenseits des Saales zwei Edelleute aus den Sieben Gemeinden säßen, die sich ebenfalls wegen Ungehorsams in Haft befänden; einer von diesen wäre wahnsinnig geworden und würde in Ketten gehalten. Endlich schrieb er mir noch, daß in einem anderen Gefängnis zwei Notare säßen.
Nachdem mein Verdacht gänzlich geschwunden war, hielt ich folgendes Selbstgespräch:
Ich will um jeden Preis mir die Freiheit verschaffen. Der Spieß den ich besitze, ist ausgezeichnet; aber es ist mir unmöglich, mich desselben zu bedienen, weil jeden Morgen mein ganzes Gefängnis, mit Ausnahme der Decke, mit einer Eisenstange abgeklopft wird. Will ich also aus meinem Gefängnisse herauskommen, so muß es auf dem Wege der Decke geschehen. Dazu brauche ich aber ein Loch und ein solches kann ich von unten her nicht durchbrechen, und in einem Tage läßt sich diese Arbeit nicht machen. Ich brauche einen Gehilfen, und dieser kann dann mit mir entfliehen.
Die Wahl konnte mich nicht in Verlegenheit bringen, denn sie konnte nur auf den Mönch fallen. Er war achtunddreißig Jahre alt, und wenn er auch nicht eben übermäßig klug war, so dachte ich doch, die Freiheitsliebe, das erste Bedürfnis des Menschen, würde ihm so viel Entschlossenheit leihen, daß er meine Befehle ausführen würde. Zunächst mußte ich mich entschließen, ihm alles anzuvertrauen, dann aber galt es ein Mittel auszudenken, um ihm meinen Spieß zuzustellen. Dies waren zwei schwierige Punkte.
Vor allen Dingen fragte ich ihn, ob er die Freiheit zu erlangen wünsche und ob er bereit sei, alles zu unternehmen, um sie sich mit mir zu verschaffen. Er antwortete mir, sein Kamerad und er seien zu allem bereit, um ihre Ketten zu brechen; aber er fügte hinzu, es sei zwecklos, sich mit unausführbaren Fluchtplänen den Kopf zu zerbrechen. Er füllte vier lange Seiten mit einer Aufzählung der Gründe, die nach seinem armen Verstand die Ausführung unmöglich machten; der unglückliche Mensch sah nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. Ich antwortete ihm, die allgemeinen Schwierigkeiten beschäftigten mich nicht; beim Entwerfen meines Planes hätte ich nur an die besonderen Schwierigkeiten gedacht, und diese würden sich überwinden lassen. Zum Schluß gab ich ihm mein Ehrenwort, ihn frei zu machen, wenn er sich verpflichten wollte, alle meine Vorschriften buchstäblich auszuführen.
Das versprach er mir.
Ich teilte ihm nun mit, daß ich einen zwanzig Zoll langen Spieß besäße; mit diesem müßte er die Decke seines Gefängnisses durchbrechen und hierauf ein Loch in der Mauer machen, die uns voneinander trennte. Durch dieses Loch würde er auf den Boden über meinem Gefängnis gelangen; er würde die Decke durchbrechen und mir dann helfen, durch das Loch hindurch zu kommen.
»Wenn wir so weit sind, ist Ihre Arbeit getan und die meinige beginnt: Ich werde Sie und den Grafen Asquino befreien.«
Er antwortete mir: wenn er mich aus meiner Zelle befreit hätte, so wäre ich gleichwohl immer noch im Gefängnis, und unsere Lage würde sich von der jetzigen nur dadurch unterscheiden, daß wir etwas mehr Platz hätten; wir würde ganz einfach uns auf den Dachböden befinden, und diese wären durch drei starke Türen verschlossen.
»Dies weiß ich alles, mein ehrwürdiger Vater,« antwortete ich ihm; »aber wir werden auch nicht durch die Türen entfliehen. Mein Plan ist fertig, und ich bin des Erfolges gewiß. Ich verlange von Ihnen nur, daß Sie alles genau ausführen und sich aller Einwendungen enthalten. Denken Sie nur darüber nach, wie ich Ihnen am besten unser Befreiungswerkzeug zustellen kann, ohne daß der Überbringer Verdacht schöpft. Lassen Sie einstweilen durch den Kerkermeister vierzig oder fünfzig Heiligenbilder kaufen, die so groß sind, daß Sie damit die ganze Oberfläche Ihres Gefängnisses tapezieren können. Diese religiösen Bilder werden Lorenzo keinen Verdacht einflößen. Ihnen werden sie dazu dienen, das Loch zu verkleben, das Sie durch die Decke brechen müssen. Sie werden dazu mehrere Tage nötig haben, Lorenzo wird aber morgens nicht sehen können, was Sie am Tage vorher gemacht haben, denn Sie werden es mit einem Bilde zudecken. Wenn Sie mich fragen, warum ich es nicht selber mache, so antworte ich Ihnen: ich kann es nicht, weil unser Kerkermeister Verdacht auf mich hat; und dieser Grund wird Ihnen ohne Zweifel triftig erscheinen.«
Obwohl ich den Mönch gebeten hatte, über ein Mittel nachzudenken, wie ich ihm am besten den Spieß schicken könnte, so beschäftigte ich mich doch unaufhörlich auch selber damit, ein solches zu finden. Und da kam mir ein glücklicher Gedanke, den ich sofort erfaßte. Ich sagte Lorenzo, er solle mir eine grade eben erschienene Foliobibel kaufen; es war die Vulgata mit der Übersetzung der Septuaginta. Ich hoffte, meinen Spieß im Rücken des großen Bandes verbergen und so dem Mönch schicken zu können; aber als ich das Buch bekam, sah ich, daß mein Spieß um zwei Zoll zu lang war.
Mein Korrespondent hatte mir schon geschrieben, sein Gefängnis sei mit den Bildern austapeziert; ich hatte ihm meine Idee mit der Bibel mitgeteilt, und daß mir die Länge des Spießes Schwierigkeiten mache. Glücklich, auch einmal seinen Geist leuchten lassen zu können, verspottete er mich wegen der Dürre meiner Phantasie und schrieb mir: ich brauche doch einfach nur den Spieß in meinen Fuchspelz eingewickelt zu schicken. Lorenzo habe ihnen von dem schönen Pelz erzählt, und es werde gar keinen Verdacht erregen, wenn Graf Asquino den Wunsch äußere, sich ihn einmal anzusehen, weil er einen gleichen kaufen wolle. »Sie brauchen ihn mir nur zusammengefaltet zu schicken; Lorenzo wird ihn nicht öffnen.«
Ich war vom Gegenteil fest überzeugt, schon deshalb, weil ein zusammengelegter Pelz viel unbequemer zu tragen ist. Um ihn jedoch nicht zu entmutigen und ihn zugleich zu überzeugen, daß ich nicht so leichtsinnig sei wie er, schrieb ich ihm, er solle den Pelz nur holen lassen. Lorenzo bat mich darum, ich gab ihm den Pelz zusammengelegt, aber ohne den Spieß und eine Viertelstunde darauf brachte er ihn mir zurück mit dem Bescheid, die Herren hätten ihn sehr schön gefunden.
Der Mönch schrieb mir einen sehr wehleidigen Brief, worin er sich schuldig bekannte, mir einen schlechten Rat gegeben zu haben, aber er meinte, ich hätte diesen nicht befolgen sollen. Der Spieß wäre verloren, denn Lorenzo hätte den Pelz offen über dem Arm getragen. Durch dieses Unglück wäre aber jede Hoffnung vernichtet. Ich tröstete ihn, indem ich ihn über seinen Irrtum aufklärte, und bat ihn, in Zukunft weniger kühn in seinen Ratschlägen zu sein. Es mußte etwas geschehen, und ich entschloß mich daher, meinen Spieß doch unter dem Schutz der Bibel zu schicken. Dabei war allerdings eine Vorrichtung nötig, um den Träger des Riesenbuches zu verhindern, den Spieß zu entdecken. Ich machte nun folgendes:
Ich sagte Lorenzo, zur Feier des Michaelistages wolle ich Makkaroni mit Käse essen; um dem Herrn, der mir freundlicherweise seine Bücher leihe, eine Anerkennung seiner Liebenswürdigkeit zu geben, wolle ich auch ihm eine große Schüssel Makkaroni schicken, und zwar wolle ich diese selber zubereiten. Lorenzo sagte mir, der Herr Graf wünsche das große Buch zu lesen, das drei Zechinen gekostet habe; dies war zwischen uns verabredet worden.
»Sehr schön; ich werde es ihm zusammen mit den Makkaroni schicken; bringt mir nur die größte Schüssel, die Ihr im Hause habt, denn ich will die Sache im großen veranstalten.«
Er versprach mir, er wolle mich nach Wunsch bedienen. Ich wickelte meinen Spieß in Papier und brachte ihn so im Rücken der Bibel unter, daß er auf beiden Seiten genau gleich weit hervorragte. Wenn ich nun auf die Bibel eine große Schüssel Makkaroni mit viel zerlassener Butter stellte, war ich sicher, daß Lorenzo die Enden des Spießes nicht würde sehen können; denn er mußte seine Blicke auf den Rand der Schüssel heften, um keine Butter über das Buch zu gießen. Ich setzte den Pater Balbi von allem in Kenntnis, indem ich ihm besonders empfahl, beim Abnehmen des Buches nicht ungeschickt zu sein und vor allen Dingen die beiden Gegenstände gleichzeitig zu nehmen, und nicht etwa eins nach dem anderen.
Am Michaelistage kam Lorenzo früher als gewöhnlich mit einer Wärmpfanne voll von ganz heißen Makkaroni und mit allen erforderlichen Zutaten, um sie zurecht zu machen. Ich ließ ein großes Stück Butter zergehen, legte die Makkaroni auf die Schüssel und goß diese bis an den Rand mit Butter voll. Die Schüssel war riesig groß, viel größer als das Buch, worauf ich sie gestellt hatte. Dies alles vollzog sich an der Tür meines Gefängnisses; Lorenzo stand draußen auf dem Korridor.
Sobald alles fertig war, hob ich forgfältig Bibel und Schüssel hoch, und zwar so, daß der Rücken des Buches dem Träger zugewandt war. Dann sagte ich Lorenzo, er solle seine Arme ausstrecken, solle sich in acht nehmen, daß keine Butter auf das Buch laufe, und solle das ganze schnell hintragen. Während ich ihm die beträchtliche Last auf die Arme legte, sah ich ihm fest auf die Augen und bemerkte mit dem größten Vergnügen, daß er seine Blicke nicht von der Butter abwandte, die er zu verschütten fürchtete. Er sagte mir, es wäre doch besser, erst die Schüssel hinzutragen; er würde dann zurückkommen und auch das Buch holen; aber ich antwortete ihm, dadurch würde das Geschenk an Wert verlieren, und es müßte alles zusammen gehen. Hierauf beklagte er sich, ich hätte zuviel Butter an die Makkaroni getan, und er sagte mir, indem er eine komische Grimasse schnitt: wenn er Butter verschüttete, so wäre er für den Schaden nicht verantwortlich.
Sobald ich die Bibel auf den Armen des Kerls sah, fühlte ich mich des Erfolges gewiß; denn die Enden des Spießes waren nicht zu bemerken, wenn der Träger nicht eine starke Bewegung nach der Seite machte, und ich sah keinen Grund, warum er seine Augen von der Schüssel, die er doch im Gleichgewicht halten mußte, hätte abwenden sollen. Ich folgte ihm mit den Augen, bis ich ihn in den Vorraum des anderen Gefängnisses eintreten sah. Der Mönch schneuzte sich dreimal und gab mir dadurch das verabredete Zeichen, daß alles glücklich vonstatten gegangen war. Dies wurde mir von Lorenzo gleich darauf bestätigt.
Pater Balbi ging nun sofort an die Arbeit und machte in acht Tagen ein hinreichend großes Loch; dieses verbarg er hinter einem Heiligenbild, das er mit Brotkrume anheftete. Am achten Oktober schrieb er mir, er habe die ganze Nacht an der Mauer gearbeitet, die unsere beiden Gefängnisse trennten, habe aber nur einen einzigen Stein ausbrechen können. Er übertrieb die Schwierigkeit, die Ziegel loszubrechen, die durch einen sehr festen Zement verkittet waren; aber er versprach mir, die Arbeit fortzusetzen, obwohl wir dadurch unsere Lage nur verschlimmern würden. Ich antwortete ihm, ich sei des Gegenteiles gewiß, er solle mir dies glauben und ausharren. Leider war ich ganz und gar nicht sicher; aber ich mußte so handeln oder alles aufgeben. Ich wollte heraus aus der Hölle, in der mich die entsetzlichste Tyrannei gefangen hielt; weiter wußte ich nichts. Nur vorwärts! hieß es für mich; ich war entschlossen, meinen Plan durchzusetzen und erst abzulassen, wenn ich auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieße. Ich hatte in dem großen Buch der Erfahrung gelesen und hatte daraus gelernt, daß man bei großen Unternehmungen nicht zuviel bedenken darf, sondern daß man sie frisch ausführen und dabei auch darauf rechnen muß, daß bei jedem menschlichen Vorhaben das Glück das letzte Wort spricht. Hätte ich dem Pater Balbi diese hohen Geheimnisse der Moralphilosophie mitgeteilt, so hätte er mich für verrückt erklärt.
Seine Arbeit war nur in der ersten Nacht schwierig, je weiter er vordrang, desto leichter wurde sie, und schließlich hatte er sechsunddreißig Ziegel ausgehoben.
Am sechzehnten Oktober um zehn Uhr morgens hörte ich in dem Augenblick, wo ich gerade damit beschäftigt war, eine horazische Ode zu übertragen, über meinem Kopf ein Stampfen und drei leise Schläge. Dies war das verabredete Zeichen, um uns zu vergewissern, daß wir uns nicht geirrt hatten. Er arbeitete bis zum Abend und schrieb mir am nächsten Tage: wenn meine Decke nur zwei Bretter dick wäre, würde er am selben Tage mit der Arbeit fertig sein. Er gab mir die Versicherung, er würde darauf achten, daß das Loch kreisrund würde, wie ich gewünscht hatte, und daß er die Decke nicht beschädige. Dies war vor allen Dingen notwendig, denn das kleinste Loch in der Decke würde uns verraten haben. Er schrieb mir, er werde das Loch so machen, daß zur Vollendung der Arbeit dann nur eine Viertelstunde nötig sein werde. Ich setzte fest, daß ich am übernächsten Tage mein Gefängnis verlassen wollte, um es niemals wieder zu betreten; denn mit einem Kameraden fühlte ich mich gewiß, daß ich in drei oder vier Stunden ein Loch durch das Dach des Dogenpalast brechen könnte; von dort aus mußte ich dann alle Mittel benutzen, die mir der Zufall darbieten würde, um auf die ebene Erde zu gelangen. Aber ich war noch nicht so weit; mein böses Geschick hielt noch mehr als eine Schwierigkeit für mich bereit, die es zu überwinden galt. An demselben Tage, einem Montag, um zwei Uhr nachmittags hörte ich, während Pater Balbi an der Arbeit war, die Türe des neben meinem Gefängnis liegenden Saales sich öffnen. Ich fühlte all mein Blut zu Eis erstarren; doch hatte ich noch Geistesgegenwart genug, um durch zwei Schläge das verabredete Alarmzeichen zu geben, auf welches hin Pater Balbi schnell durch das Loch in der Wand kriechen, in seinen Kerker zurückkehren und alles in Ordnung bringen sollte. Weniger als eine Minute später schloß Lorenzo mein Gefängnis auf und bat mich um Verzeihung, daß er mir ein sehr schlechtes Subjekt zur Gesellschaft brächte. Dies war ein Mann von vierzig bis fünfzig Jahren: klein, mager, häßlich, schlecht gekleidet und mit einer schwarzen runden Perücke auf dem Kopf. Während ich ihn betrachtete, wurden ihm von zwei Sbirren die Fesseln abgenommen. Ich konnte nicht daran zweifeln, daß der Mann ein Halunke war; denn Lorenzo hatte ihn in seiner Gegenwart als solchen bezeichnet, ohne daß diese Worte einen sichtbaren Eindruck auf ihn machten. Ich antwortete ihm: »Es steht dem Tribunal vollständig frei, zu tun, was es will.« Lorenzo ließ ihm einen Strohsack bringen und sagte ihm, das Tribunal bewillige ihm zehn Soldi für den Tag; hierauf schloß er uns zusammen ein.
Ganz untröstlich über diesen bösen Streich des Schicksals, sah ich mir den Schuft an, den schon sein gemeines Gesicht als solchen verrriet. Ich war gerade im Begriff ihn zum Sprechen zu bringen, als er von selber anfing, indem er sich dafür bedankte, daß ich ihm hätte einen Strohsack geben lassen. Da ich die Absicht hatte, ihn für mich zu gewinnen, sagte ich ihm, er könne mit mir essen; er küßte mir die Hand und fragte mich, ob er trotzdem die zehn Soldi bekommen könnte, die das Tribunal ihm angewiesen hätte; ich bejahte dies. Hierauf warf er sich auf die Knie, zog einen riesigen Rosenkranz aus der Tasche und sah sich in allen Ecken des Gefängnisses um.
»Was sucht Ihr?«
»Sie werden mir verzeihen, Herr – aber ich suche irgendein Bild der heiligen Jungfrau, denn ich bin Christ. Wenn doch nur ein armseliges, kleines Kruzifix hier wäre; denn ich habe es niemals so nötig gehabt, mich dem heiligen Franz von Assisi zu empfehlen, dessen Namen ich unwürdigerweise trage.«
Ich konnte mir kaum das Lachen verhalten; nicht wegen seiner christlichen Frömmigkeit – denn in Gewissens- und Glaubenssachen hat kein Mensch das Recht sich einzumischen – sondern wegen seiner eigentümlichen Ausdrucksweise. Ich sah, daß er mich für einen Juden hielt. Und um ihm seinen Irrtum zu benehmen, gab ich ihm schnell das Gebet der heiligen Jungfrau. Er küßte ihr darauf befindliches Bild, gab mir aber das Blatt zurück und sagte mir in bescheidenem Tone, sein Vater, der Galerenaufseher gewesen sei, habe es verabsäumt, ihn lesen lernen zu lassen. Er fügte hinzu, er sei Anhänger des heiligen Rosenkranzes, und erzählte mir eine Menge von Wundergeschichten, die ich mit einer Engelsgeduld anhörte. Er bat mich, ihm zu gestatten, daß er seinen Rosenkranz bete und dabei das Bild der Jungfrau ansehe. Als er damit fertig war, fragte ich ihn, ob er zu Mittag gegessen habe; er antwortete, er sei halbtot vor Hunger. Ich gab ihm alles, was ich hatte, und er verschlang es förmlich. Dazu trank er allen meinen Wein aus, und als er betrunken war, fing er an zu weinen und allen möglichen Unsinn zu schwatzen. Ich fragte ihn nach der Ursache seines Unglücks, und er erzählte mir folgendes:
»Meine einzige Leidenschaft war stets der Ruhm Gottes und unserer heiligen Republik und pünktliche Befolgung ihrer Gesetze. Ich war stets aufmerksam auf die Übeltaten der Schelme, deren Gewerbe es ist, Leute zu betrügen, die Gebote des Staates zu übertreten und ihre Handlungen im Verborgenen zu begehen. Darum habe ich beständig getrachtet, ihre Geheimnisse zu entdecken, und habe stets alles, was ich entdecken konnte, getreulich dem Messer-Grande hinterbracht. Allerdings hat man mich stets dafür bezahlt; aber das Geld, das man mir gab, machte mir niemals soviel Freude wie die Genugtuung, die ich darüber empfand, etwas zum Ruhme des allerseligsten San Marco beitragen zu können. Stets lachte ich über das Vorurteil der Leute, die im Gewerbe eines Spions eine Schande sehen wollen. Dieser Name hat einen schlechten Klang nur in den Ohren solcher, die die Regierung nicht lieben; denn der Spion ist ein Freund des Staatswohles, eine Geißel der Verbrecher und ein treuer Untertan seines Fürsten. Wenn es galt, meinen Eifer auf die Probe zu stellen, hat das Gefühl der Freundschaft, das bei anderen Leuten vielleicht mitspricht, auf mich niemals den geringsten Einfluß geübt, noch weniger die sogenannte Dankbarkeit. Oft habe ich Verschwiegenheit geschworen, um irgend jemandem ein wichtiges Geheimnis zu entlocken, das ich dann gewissenhaft sofort hinterbracht habe. Dies konnte ich mit gutem Gewissen tun; denn mein Beichtvater, ein frommer Jesuit, hatte mir versichert, ich könnte das Geheimnis angeben, nicht nur deshalb, weil ich nicht die Absicht gehabt hätte, es zu bewahren, sondern auch, weil kein Eid bindend wäre, wenn es sich um das öffentliche Wohl handelte. Ich fühle, ich würde in meinem Eifer meinen eigenen Vater verraten und die Stimme der Natur zum Schweigen gebracht haben. Vor drei Wochen bemerkte ich, daß auf der kleinen Insel Isola, wo ich wohnte, zwischen vier oder fünf angesehenen Personen des Städtchens ein verdächtiger Verkehr stattfand. Ich wußte, daß sie mit der Regierung unzufrieden waren, weil die vornehmsten unter ihnen wegen einer entdeckten und beschlagnahmten Schmuggelware eine Gefängnisstrafe erlitten hatten. Der erste Kaplan, ein gebürtiger österreichischer Untertan, gehörte mit zur Verschwörung. Sie trafen sich abends im Wirtshaus in einem Zimmer, worin auch ein Bett stand; dort zechten und plauderten sie, bis sie nach Hause gingen. Entschlossen, die von ihnen geplante Verschwörung zu entdecken, faßte ich mir Mut und versteckte mich eines Tages, als ich sicher war von keinem Menschen gesehen werden zu können, unter dem Bett. Gegen Abend kamen meine Leute und begannen sofort ihr Gespräch. Sie sagten unter anderem, die Stadt Isola gehöre nicht zur Gerichtsbarkeit des heiligen Markus, sondern vielmehr zu der des Fürstentums Triest; denn sie könne keinesfalls als zum venetianischen Istrien gehörend angesehen werden. Der Kaplan sagte zum Leiter der Verschwörung, einem gewissen Pietro Paolo, wenn er und die anderen eine Schrift unterzeichnen wollten, so würde er persönlich zum kaiserlichen Botschafter gehen, und die Kaiserin würde nicht nur die Stadt in Besitz nehmen, sondern obendrein ihnen eine Belohnung bewilligen. Alle erklärten sich bereit, und der Kaplan erbot sich, am nächsten Tage die Schrift mitzubringen und dann sofort nach Venedig abzureisen, um sie dem Botschafter zu übergeben.
Ich beschloß diesen niederträchtigen Plan zu vereiteln, obgleich einer der Verschworenen mein Gevatter war und infolge dieser geistlichen Verwandtschaft mir näher stand, wie wenn er mein leiblicher Bruder gewesen wäre.
Als die Verschwörer fortgegangen waren, hatte ich Zeit genug, mich in Sicherheit zu bringen. Ich hielt es nicht für notwendig, mich noch ein zweites Mal zu verstecken und dadurch einer Gefahr auszusetzen, denn ich hatte genug entdeckt. Ich segelte noch in derselben Nacht ab und kam am nächsten Vormittag an. Ich ließ mir die Namen der sechs Rebellen aufschreiben, brachte sie dem Sekretär des Tribunals und erzählte ihnm alles, was ich gehört hatte. Er befahl mir, am nächsten Morgen in aller Frühe zu Messer-Grande zu gehen; dieser würde mir einen Menschen mitgeben, mit dem ich nach Isola zurückfahren sollte; ich müßte ihm den Kaplan zeigen, der wahrscheinlich noch nicht abgereist sein würde. Hierauf sollte ich mich um nichts mehr kümmern.
Ich führte seinen Befehl aus und zeigte dem mir von Messer- Grande mitgegebenen Mann den Kaplan; dann ging ich meinen Geschäften nach.
Nach dem Essen ließ mein Gevatter mich rufen, um ihn zu rasieren, denn ich bin Barbier; und als ich meine Arbeit getan hatte, gab er mir ein ausgezeichnetes Glas Refosco mit einigen Scheiben Wurst und jauste mit mir in guter Freundschaft. Da fiel es mir auf die Seele, daß er mein Gevatter war; unter echten Tränen ergriff ich seinen Arm und riet ihm, den Umgang mit dem Kaplan zu meiden und vor allen Dingen die bewußte Schrift nicht zu unterzeichnen. Er sagte mir, er sei mit dem Kaplan nicht mehr befreundet als mit irgendeinem anderen und schwor, auch er wisse nicht, von was für einer Schrift ich sprechen wolle, worauf ich ihm lachend sagte, ich hätte nur gescherzt. Ich ärgerte mich, einer augenblicklichen Rührung nachgegeben und dadurch einen so großen Fehler begangen zu haben. Am anderen Tage war weder der Mann noch der Kaplan zu sehen; acht Tage darauf fuhr ich nach Venedig und besuchte Messer-Grande, der mich ohne Umstände einsperren ließ; und so bin ich nun hier bei Ihnen, teurer Meister. Ich danke dem heiligen Franziskus, daß ich mich in der Gesellschaft eines guten Christen befinde, der hier aus Gründen sitzt, die ich nicht zu wissen brauche, denn ich bin nicht neugierig. Mein Name ist Soradaci, und meine Frau ist eine Legrenzi, Tochter eines Sekretärs des Rates der Zehn, die sich über das Vorurteil hinweggesetzt und mich der ganzen Welt zum Trotz geheiratet hat. Sie wird in Verzweiflung sein, da sie nicht weiß, was aus mir geworden ist; ich hoffe aber nur wenige Tage hier oben zu sein, denn ich kann hier wohl nur sein, weil der Sekretär mich zu seiner Bequemlichkeit hat einsperren lassen, um mich nach seinem Gutdünken jederzeit verhören zu können.«
Ich schauderte bei dem Gedanken, mit welchem Ungeheuer ich zusammen war, aber ich fühlte zugleich, daß ich mich in einer heiklen Lage befand und ihn schonen mußte. Darum heuchelte ich wie ein Jesuit gefühlvolle Teilnahme, beklagte ihn, pries seine Vaterlandsliebe und prophezeite ihm, er werde in wenigen Tagen wieder frei sein. Ein paar Augenblicke später schlief er ein, und ich machte mir seinen Schlaf zunutze, um dem Vater Balbi alles zu erzählen und ihm klar zu machen, daß wir unbedingt unsere Arbeit unterbrechen müßten, um sie erst bei günstigerer Gelegenheit wieder aufzunehmen. Am nächsten Tage befahl ich Lorenzo, mir ein hölzernes Kruzifix, ein Bild der heiligen Jungfrau und das Porträt des heiligen Franziskus zu kaufen und mir zwei Flaschen Weihwasser mitzubringen. Soradaci verlangte von ihm seine zehn Soldi, und Lorenzo gab ihm mit verächtlicher Miene zwanzig. Ich trug ihm auf, mir in Zukunft viermal so viel Wein zu kaufen, dazu Knoblauch und Salz, Leckerbissen für meinen greulichen Kameraden. Als der Kerkermeister fort war, zog ich geschickt Balbis neuesten Brief aus dem Buch. Er schilderte mir darin sein Entsetzen. Er hatte geglaubt, alles sei verloren, und er wiederholte immer von neuem, welches Glück wir gehabt hätten, daß Lorenzo den Soradaci zu mir gebracht hätte. »Denn«, schrieb er, »wenn er ihn in unser Gefängnis gebracht hätte, würde er mich nicht gefunden haben, und dann wären vielleicht zum Lohn für unseren Fluchtversuch die Brunnen unser Los gewesen.«
Aus Soradacis Erzählung ging für mich unzweifelhaft hervor, daß man ihn verhören würde; denn es schien mir klar zu sein, daß der Sekretär ihn nur deshalb eingesperrt hatte, weil er ihn in Verdacht der Verleumdung hatte. Ich entschloß mich nun, ihm zwei Briefe anzuvertrauen, die mir, wenn sie bestellt wurden, weder nützen noch schaden konnten, die aber zu meinen Gunsten wirken mußten, wenn der Verräter, woran ich nicht zweifelte, sie dem Sekretär auslieferte, um ihm einen Beweis seiner Treue abzulegen.
Ich verbrachte zwei Stunden damit, diese beiden Briefe mit Bleistift zu schreiben. Am nächsten Tage brachte Lorenzo mir das Kruzifix, die beiden Bilder und das Weihwasser. Ich gab meinem Halunken tüchtig zu essen und sagte ihm dann: »Ich erwarte von Euch einen Dienst, wovon mein Glück abhängt; ich rechne auf Eure Freundschaft und auf Euren Mut; hier sind zwei Briefe, die ich Euch zu bestellen bitte, sobald Ihr in Freiheit seid. Mein Glück hängt von Eurer Treue ab; Ihr müßt diese Briefe verstecken, denn wenn man sie bei Eurer Freilassung in Eurem Besitz fände, wären wir alle beide verloren. Ihr müßt mir bei diesem Kruzifix und bei diesen Heiligenbildern schwören, daß Ihr mich nicht verraten werdet.«
»Ich bin bereit, Herr, alles zu schwören, was Sie verlangen; ich bin Ihnen zu sehr zu Dank verpflichtet, als daß ich Sie verraten könnte.«
Hierauf vergoß er reichliche Tränen, jammerte und wehklagte, er wäre ein unglücklicher Mensch, daß ich ihn im Verdacht haben könnte, einen Herrn verraten zu wollen, für den er sein Leben hingeben würde. Ich wußte, was ich davon zu halten hatte, aber ich spielte meine Komödie weiter. Ich gab ihm ein Hemd und eine Mütze, entblößte meinen Kopf und besprengte unsern Kerker und ihn selber lange reichlich mit Weihwasser. Dann ließ ich ihn unter sinnlosen Beschwörungen, die aber gerade darum seine Seele in Schrecken setzen mußten, einen furchtbaren Eid schwören. Nachdem er sich mittels dieser possenhaften Zeremonie eidlich verpflichtet hatte, meine Briefe an ihre Adresse zu bestellen, gab ich sie ihm. Er selber schlug vor, sie in das Rückenfutter seiner Weste einzunähen; ich ließ ihn gewähren.
Ich war fest überzeugt, daß er bei der ersten Gelegenheit dem Sekretär meine Briefe ausliefern würde; darum hatte ich sie mit aller Kunst so abgefaßt, daß ihr Stil nicht meine List verraten konnte; sie konnte mir nur die Achtung des Tribunals und vielleicht dessen Gnade eintragen. Der eine war an Herrn von Bragadino überschrieben, der andere an Herrn Grimani. Ich sagte ihnen, sie möchten sich nicht über mein Schicksal beunruhigen, denn ich hätte allen Grund zur Hoffnung auf baldige Befreiung; wenn ich herauskäme, würden sie finden, daß die Strafe nur zu meinem Besten gewesen wäre; denn in ganz Venedig wäre kein Mensch, der der Besserung mehr bedürftig gewesen wäre als ich.
Ich bat Herrn von Bragadino, mir Pelzstiefel für den Winter zu schicken, denn mein jetziges Gefängnis wäre so hoch, daß ich aufrecht stehen und darin herumgehen könne.
Ich hütete mich wohl, den Soradaci ahnen zu lassen, daß meine Briefe so unschuldiger Natur waren; denn dann hätte er Lust bekommen können, eine anständige Handlung zu begehen und sie an ihre Adresse zu bestellen, und das wünschte ich durchaus nicht. Im nächsten Kapitel, lieber Leser, wirst du sehen, ob ein Eid auf die schwarze Seele meines gräßlichen Kameraden irgendwelche Wirkung üben konnte und wie sich das alte Wort bewährte: In vino veritas – im Wein ist Wahrheit. Der gemeine Mensch hatte sich in seiner Erzählung genau so geschildert, wie er war.