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»Wie machten Sie diese schöne Bekanntschaft?« fragte ich den Gesandten.
»Vor sechs Monaten«, antwortete er mir, »stand ich mit unserem Konsul, Herrn Smith, den ich begleitet hatte, um uns irgendeine Zeremonie anzusehen, vor der Klosterpforte. Wir sprachen über zehn oder zwölf Nonnen, die bei uns vorübergegangen waren, und bei dieser Gelegenheit sagte ich zu ihm: ›Ich würde gerne fünfhundert Zechinen ausgeben, um einige Stunden mit der Mutter M. M. verbringen zu können.‹ – Der Graf Capucefalo hörte mich, sagte aber nichts. Herr Smith sagte mir, man könne sie nur am Sprechgitter sehen, wie der französische Gesandte, der ihr häufig Besuche mache. Am nächsten Tage kam Capucefalo zu mir und sagte mir, wenn ich im Ernst gesprochen habe, so sei er sicher, daß er mir an irgendeinem von mir zu bestimmenden Orte eine Liebesnacht mit der Nonne verschaffen könne, nur müsse sie sich darauf verlassen können, daß die Sache geheim bleiben werde. ›Ich habe soeben mit ihr gesprochen, und als ich Ihren Namen nannte, antwortete sie mir, sie habe Sie neben Herrn Smith stehen sehen und wolle gerne mit Ihnen soupieren, und zwar mehr aus Neigung als wegen der fünfhundert Zechinen. Ich bin der einzige, dem sie sich anvertraut, und ich bin es, der sie nach Venedig zum Kasino des französischen Botschafters begleitet, so oft sie diesen besuchen will. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß Sie angeführt werden, denn Sie übergeben ihr selber die Summe erst dann, wenn Sie sie in ihrem Besitz haben‹.«
Mit diesen Worten zog er ihr Bildnis aus der Tasche und zeigte es mir. Es ist dieses hier. Ich kaufte es ihm selber vierzehn Tage nach unserm Gespräch ab; das war zwei Tage, nachdem ich eine ganze Nacht mit dem reizenden Weibe verbracht zu haben glaubte. Die Schöne da kam maskiert, als Nonne gekleidet, und ich war so dumm und glaubte, einen Schatz zu besitzen. Mich ärgert nur, daß ich die Gaunerei nicht schon daran merkte, daß ich ihr Haar sah; denn ich wußte, daß die Nonnen ihre Haare kurzgeschnitten tragen müssen. Aber als ich das Frauenzimmer darauf aufmerksam machte, sagte sie mir, es stände ihnen frei, sie unter der Haube zu tragen, und ich war so dumm, es ihr zu glauben.«
Ich wußte, daß in diesem Punkt Murray nicht getäuscht worden war, aber ich hielt mich nicht für verpflichtet, in diesem Augenblick meinen Engländer darauf aufmerksam zu machen.
Murray hatte mir das Bild gegeben; ich hielt es in der Hand und verglich es mit dem Gesicht, das ich vor meinen Augen hatte. Die Schöne des Bildes war mit entblößtem Busen dargestellt, und als ich laut die Bemerkung machte, die Maler behandelten diese Partie immer nach Gutdünken, benutzte das schamlose Weib die Gelegenheit, um mir zu zeigen, daß die Kopie getreu sei. Ich wandte ihr den Rücken mit einem Ausdruck der Verachtung, der sie empfindlich hätte kränken müssen, wenn solche Geschöpfe überhaupt eines Gefühls von Scham fähig wären. Ich mußte unwillkürlich lachen, durch meine Beobachtungen während dieser Nacht zu finden, daß der alte Satz: Zwei Gegenstände, die einem dritten gleich sind, sind unter sich gleich, nicht immer richtig ist. Denn das Porträt ähnelte meiner M. M. sowohl wie der unwürdigen Kurtisane, die sich ihren Namen beilegte, und trotzdem hatten die beiden Frauen gar keine Ähnlichkeit miteinander. Ich teilte Murray meine Beobachtung mit, und er gab mir recht. Über dieses Thema philosophierten wir eine volle Stunde lang. Als wir gelegentlich erfuhren, daß M. M.s Stellvertreterin Innocencia hieß, bekamen wir Lust, einmal zu untersuchen, wie dieser Name zu ihrem Gewerbe paßte. Wir fragen sie daher, wie der Schelm es fertig gebracht hätte, sie zum Spielen der von ihr angenommenen Rolle zu veranlassen. Sie erzählte uns folgendes:
»Seit zwei Jahren kenne ich den Grafen Capucefalo, und seine Bekanntschaft ist mir nützlich gewesen, er hat mir zwar selber kein Geld gegeben, aber ich habe viel an Leuten verdient, die er mit mir bekannt gemacht hat. Im Spätherbst vorigen Jahres sagte er mir eines Tages: wenn ich imstande wäre, in Kleidern, die er mir verschaffen würde, eine Nonne vorzustellen und als solche eine ganze Nacht mit einem Engländer zu verbringen, könnte ich hundert Zechinen verdienen. »Du hast nichts zu befürchten,« sagte er mir, »denn ich werde dich selber nach dem Kasino bringen, wo der Freier auf dich wartet, und werde dich gegen Morgen abholen, um dich nach deinem vorgeblichen Kloster zurückzubringen.« Er zeigte mir, wie ich mich zu benehmen hätte, und belehrte mich darüber, was ich zu antworten hätte, wenn mein Liebhaber mich über das Klosterleben ausfragen sollte. Nun, meine Herren, der Streich gefiel mir. Ich mußte im voraus darüber lachen und antwortete ihm, ich sei bereit. Wollen Sie übrigens bedenken, daß keine Frau meines Gewerbes der Versuchung widerstehen kann, hundert Zechinen zu verdienen. Ich fand die Geschichte ebenso spaßhaft wie gewinnbringend und forderte ihn daher auf, die nötigen Schritte zu tun, indem ich ihm zugleich versprach, ich würde meine Rolle ausgezeichnet spielen. Der Handel wurde abgemacht, und der Graf gab mir nun seine Instruktionen für das zu erwartende Gespräch. Er sagte mir, der Engländer würde natürlich nur von meinem Kloster sprechen und würde außerdem wohl Andeutungen über meine anderen Liebhaber machen; hierauf dürfte ich nicht eingehen, sondern müßte ihm lachend antworten, ich wüßte nicht, von wem er spräche; ich könnte ihm sogar sagen, ich wäre nur eine verkleidete Nonne, und ihm mit scherzhaften Bemerkungen auch meine Haare zeigen. »Er wird trotzdem dich für eine Nonne halten, und sogar für die Nonne, die er liebt; denn er wird überzeugt sein, daß du keine andere sein kannst.«
Der Spaß leuchtete mir ein, und ich dachte nicht einen Augenblick daran, mich nach dem Namen der Nonne zu erkundigen, die ich vorstellen sollte, oder nach dem Namen des Klosters, dem ich angeblich angehörte. Das einzige, was mich interessierte, war der Lohn von hundert Zechinen. Darum habe ich, obwohl ich mit Ihnen eine reizende Nacht verbrachte und obwohl Sie nach meiner Meinung mehr verdienen bezahlt zu werden als selber zu bezahlen – darum, sage ich, habe ich mich nicht einmal erkundigt, wie Sie heißen oder wer Sie sind, und ich weiß dies selbst in diesem Augenblick noch nicht. Sie wissen, wie ich die Nacht verbracht habe; ich sagte Ihnen schon, daß ich sie köstlich fand, und ich versichere Ihnen, der Gedanke, mit Ihnen eine gleiche verbringen zu dürfen, machte mich glücklich. Sie haben mir fünfhundert Zechinen gegeben, aber ich mußte mich mit hundert begnügen, wie Capucefalo es mir vorher gesagt hatte; die anderen vierhundert nahm er für sich. Wie er mir sagte, wollten Sie mir für die heutige Nacht nur hundert geben, und damit war ich auch zufrieden. Sie haben alles entdeckt. Das tut mir leid, aber ich fürchte nichts; denn ich kann mich maskieren, wie ich will, und ich kann es nicht verhindern, wenn Leute, welche Lust auf mich haben, mich für eine Heilige halten. Wenn ihnen das Spaß macht – mir ist es einerlei. Sie haben Waffen bei mir gefunden; aber es ist jedem Menschen erlaubt, solche zu seiner eignen Verteidigung bei sich zu tragen. Ich finde mich in keiner Beziehung schuldig.«
»Kennst du mich?« fragte ich sie.
»Nein; ich sehe Sie jedoch oft unter meinen Fenstern vorbeigehen. Ich wohne in San Rocco, an der Brücke.«
Die im Tone der Selbstverständlichkeit vorgetragene Erzählung des Frauenzimmers überzeugte uns, daß sie einfach ihr Gewerbe als durchtriebene Dirne ausgeübt hatte; Capucefalo aber schien uns, trotz seinem Grafentitel, den Schandpfahl verdient zu haben. Das Mädchen mußte zehn Jahre älter sein als M. M. Sie war hübsch; aber sie war blond, und meine schöne Nonne hatte Haare von herrlichem aschfarbigem Hellbraun; außerdem war M. M. mindestens um drei Zoll größer.
Nach Mitternacht setzten wir uns zu Tisch und taten mit dem besten Appetit dem ausgezeichneten Imbiß, den meine Tonina für uns zurechtgestellt hatte, alle Ehre an. Wir waren so grausam, dem unglücklichen Frauenzimmer nicht einmal ein Glas Wein anzubieten; aber wir glaubten nicht anders handeln zu dürfen. Bei unseren Tischgesprächen machte mein fröhlicher Brite allerlei geistreiche Bemerkungen über meinen Eifer, ihn zu überzeugen, daß er nicht M. M.s Gunst genossen hätte. »Es wäre unnatürlich, daß Sie so großes Interesse an der Sache zeigten, wenn Sie nicht selber in die göttliche Nonne verliebt wären.«
Ich antwortete ihm:
»Wenn ich verliebt wäre, so wäre ich sehr zu bedauern, denn ich würde ja auf das schreckliche Sprechzimmer beschränkt sein.«
»Ich würde gerne monatlich hundert Guineen zahlen,« sagte er zu mir, »um den Vorzug zu erlangen, ihr Besuche am Sprechgitter machen zu dürfen.«
Bei diesen Worten gab er mir die hundert Zechinen, um die wir gewettet hatten. Er dankte mir dafür, daß ich sie ihm abgewonnen hätte, und ich steckte sie tapfer in meine Tasche.
Zwei Stunden nach Mitternacht hörten wir leise an die Straßentür pochen. »Da kommt der Freund,« sagte ich; »seien Sie vernünftig; Sie können sich darauf verlassen, er wird alles gestehen.«
Capucefalo tritt ein; er sieht Murray und die Schöne, bemerkt jedoch die Anwesenheit eines dritten erst, als er hört, daß der Schlüssel in der Tür zum Vorzimmer umgedreht wird. Da sieht er sich um und erblickt mich.
Er kannte mich und sagte, ohne aus der Fassung zu geraten: »Ah! Sie sind es; nun meinetwegen. Sie fühlen die Notwendigkeit der Geheimhaltung.«
Murray lachte und sagte ihm ruhig, er möchte sich setzen. Er hielt die Pistolen der Schönen in den Händen und fragte ihn, wohin er sie vor Tagesanbruch noch führen würde.
»Nach ihrer Wohnung.«
»Vielleicht auch nicht; denn es ist sehr wohl möglich, daß Sie alle beide von hier aus ins Gefängnis kommen.«
»Nein, das fürchte ich nicht; die Geschichte würde zuviel Lärm machen, und die Lacher würden nicht auf Ihrer Seite sein. Vorwärts,« sagte er zu seiner Genossin, »zieh dich an und komm mit!«
Der Gesandte blieb ruhig und kalt wie ein Engländer; er schenkte ihm ein Glas Chambertin ein, und der Halunke leerte es auf seine Gesundheit. Murray sah an seinem Finger einen schönen Brillantring; er lobte diesen und sagte, er möchte ihn gerne einmal sehen. Mit diesen Worten zog er den Ring herunter, prüfte ihn, fand ihn vollkommen und fragte den Grafen, wieviel er wert sei. Capucefalo antwortete etwas verlegen, er habe ihm vierhundert Zechinen gekostet. »Für diesen Preis behalte ich ihn,« sagte der Gesandte und steckte den Ring in die Tasche, der andere senkte den Kopf; Murray lachte über seine Bescheidenheit und sagte der Dirne, sie möchte sich anziehen und sich mit ihrem würdigen Spießgesellen entfernen.
In einem Augenblick war sie fertig; beide machten eine tiefe Verbeugung und gingen.
»Adieu, Nonnenkuppler!« rief der Gesandte ihm nach. Der Graf antwortete nicht.
Als sie hinaus waren, umarmte ich Murray. Ich machte ihm ein Kompliment über seine Mäßigung und dankte ihm dafür; denn ein Skandal hätte nur drei Unschuldige in Ungelegenheit bringen können.
»Seien Sie unbesorgt,« sagte er; »die Schuldigen werden ihre Strafe erhalten, ohne daß jemand eine Ahnung von der Ursache hat.« Ich ließ nun Tonina heraufkommen; der Engländer bot ihr ein Glas Wein an; aber sie dankte dafür bescheiden und mit großer Anmut. Murray sah sie mit flammenden Augen an; dann entfernte er sich, indem er mir in den wärmsten Worten seinen Dank aussprach.
Die Geduld und die Selbstbeherrschung meiner armen Tonina waren auf eine harte Probe gestellt worden, und sie hatte Grund zur Annahme, daß ich ihr untreu gewesen sei; ich bewies ihr aber, daß ich mich geschont und für sie frischgehalten hatte. Wir blieben sechs Stunden im Bett, und als wir aufstanden, waren wir beide glücklich.
Gleich nach dem Essen ging ich zu meiner edlen M. M. und erzählte ihr die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten. Sie hörte sie mit einer fast gierigen Aufmerksamkeit an, und auf ihrem Gesicht malten sich die verschiedenen Empfindungen, die sie dabei hatte. Mit großem Vergnügen erfuhr sie, daß die Maske, die mich in das Sprechzimmer begleitet hatte, der englische Gesandte war, aber sie bekundete die edelste Verachtung, als ich ihr sagte, er würde gerne monatlich hundert Guineen geben, um ihr Besuche machen und sich mit ihr im Sprechzimmer am Gitter unterhalten zu dürfen. Sie war ärgerlich auf ihn, daß er sich hatte einbilden können, sie in seinem Besitz gehabt zu haben, und daß er wirklich geglaubt hatte, das Bild, das er besaß, wäre das ihrige; denn nach ihrer Meinung hatte es nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihr. Sie sagte mir mit einem feinen Lächeln, ich hätte ganz gewiß die falsche Nonne nicht meiner Kleinen gezeigt, denn diese hätte sich etwas Falsches dabei denken können.
»Du weißt also, daß ich eine junge Magd habe.«
»Ja, noch dazu eine sehr hübsche, Lauras Tochter. Wenn du sie liebst, ist mir das ganz recht, wie auch deiner C. C. Ich hoffe, du wirst es mir ermöglichen, sie einmal zu sehen; C. C. kennt sie schon.«
Ich sah, daß ich mich nicht ausreden konnte, weil sie zuviel wußte; darum erzählte ich ihr kurz entschlossen ganz genau die Geschichte meiner neuen Liebschaft. Sie sprach mir ganz offen ihre Freude darüber aus, die gewiß nicht erheuchelt war. Als ich fortgehen wollte, sagte sie mir, ihre Ehre verlange, daß sie den Grafen Capucefalo ermorden lasse; der Elende habe sie so tödlich beleidigt, daß sie ihm nicht verzeihen könne. Um sie zu beruhigen, versprach ich ihr, ich würde selber für unsere gemeinsame Rache sorgen, wenn der Gesandte nicht im Laufe einer Woche mit dem Menschen fertig würde.
Etwa um diese Zeit starb der Prokurator Bragadino, der Bruder meines Beschützers. Hierdurch wurde dieser sehr reich. Mit ihm mußte seine Familie erlöschen, und um dies zu verhindern, bekam eine Frau, die seine Geliebte gewesen war und ihm einen natürlichen Sohn geschenkt hatte, Lust, von ihm geheiratet zu werden. Durch diese Heirat wäre der Sohn legimitiert worden und hätte das Geschlecht fortpflanzen können. Der Senat hätte gegen Bezahlung einer kleinen Summe der Frau das Bürgerrecht zuerkannt, und alles wäre in Ordnung gewesen. Sie schrieb mir ein Briefchen, ich möchte doch einmal bei ihr vorkommen. Ich war neugierig, was wohl eine Frau von mir wünschen konnte, die ich weder von Adam noch von Eva her kannte, und wollte gerade hingehen, als Herr von Bragadino mich rufen ließ. Er bat mich, Paralis zu fragen, ob er in einer gewissen Angelegenheit den Rat des Herrn de la Haye befolgen solle; er habe diesem versprochen, mir nichts davon zu sagen, aber dem Orakel müsse sie ja trotzdem bekannt sein. Natürlich fiel das Orakel gegen den Jesuiten aus; es antwortete ihm, er dürfe nur seinem eigenen Gefühl folgen. Nachdem ich das besorgt hatte, begab ich mich zu der Dame.
Sie weihte mich sofort in alles ein und stellte mir ihren Sohn vor. Sie sagte, wenn die Heirat zustande käme, würde man mir eine notarielle Verschreibung machen, wonach ich nach dem Tode des Herrn von Bragadino ein Landgut erhalten würde, das jährlich fünftausend Dukaten Kurant einbrächte.
Natürlich erriet ich, daß es sich um dieselbe Angelegenheit handelte, welche de la Haye Herrn von Bragadino vorgeschlagen hatte; ohne Zögern antwortete ich ihr, ich könnte mich in diese Sache nicht einmischen, weil de la Haye sich vor mir damit beschäftigt hatte. Hiermit empfahl ich mich.
Ich mußte es sonderbar finden, daß der Jesuit unaufhörlich hinter meinem Rücken Ränke spann, um meine alten Freunde zu verheiraten; denn vor zwei Jahren hätte er Herrn Dandolo verheiratet, wenn ich mich nicht dem widersetzt hätte. Mir war es vollkommen gleichgültig, ob die Familie Bragadino erlosch; dagegen lag mir das Leben meines Wohltäters sehr am Herzen, und ich war überzeugt, daß diese Heirat es bedeutend abgekürzt haben würde; denn er war damals dreiundsechzig Jahre alt und hatte einen gefährlichen Schlaganfall überstanden.
Zum Essen hatte Lady Murray mich eingeladen – die Engländerinnen behalten den Titel Lady, wenn sie Töchter von Lords sind.
Nach der Mahlzeit sagte der Gesandte mir, er habe Herrn Cavalli die ganze Geschichte von der falschen Nonne mitgeteilt, und der Sekretär der Staatsinquisition habe ihm gestern gesagt, es sei alles zu seiner Zufriedenheit erledigt worden. Graf Capucefalo sei nach seiner Heimat Kephalonien geschickt worden, und es sei ihm verboten, nach Venedig zurückzukehren; die Kurtisane sei verschwunden.
Das Schöne oder vielmehr das Schreckliche bei diesem einfachen Verfahren ist, daß kein Mensch je den Grund erfährt, so daß die furchtbarste Willkür den Unschuldigen wie den Schuldigen treffen kann. M. M. war entzückt über diesen Ausgang, über den ich mich noch mehr freute als sie; denn es wäre mir unangenehm gewesen, meine Hände an diesem elenden Grafen besudeln zu müssen.
Es gibt im Menschenleben Perioden, die man die fastes und die nefastes des Lebens nennen könnte. Ich habe dies auf meiner langen Laufbahn bestätigt gefunden, und ich war vielleicht besser als irgendein anderer Mensch in der Lage, die Wahrheit dieser Beobachtung zu erkennen. Ich hatte eine ziemlich lange Glücksperiode gehabt: lange hatte mich das Glück im Spiel begünstigt; ich war glücklich in meinen Beziehungen zu meinen Mitmenschen, und in bezug auf Liebe blieb mir nichts zu wünschen übrig. Jetzt aber begann sich die Kehrseite der Medaille zu zeigen. Die Liebe begünstigte mich noch, aber das Glück im Spiel hatte sich gänzlich von mir losgesagt, und bald, lieber Leser, wirst du sehen, daß die Menschen mich nicht besser behandelten als die blinde Göttin. Das Schicksal hat seine Phasen wie der Mond, das Gute folgt auf das Böse wie das Unglück auf das Glück.
Ich spielte immer noch meine Martingale, aber so unglücklich, daß ich bald keine Zechine mehr hatte. Da ich auf gemeinsame Rechnung mit M. M. spielte, mußte ich ihr Rechenschaft über den Stand meiner Finanzen ablegen.
Auf ihr Drängen verkaufte ich nach und nach alle ihre Diamanten. Den Erlös verlor ich wieder; sie behielt für sich nur fünfhundert Zechinen für den Fall der Not zurück. Von Entführung war keine Rede mehr; denn wie hätten wir uns mittellos durch die Welt schlagen sollen? Ich spielte immer noch, aber nur in bescheidenem Maße, indem ich kleinen Spielern die Bank hielt. So wartete ich in bescheidenen Verhältnissen auf einen Umschwung des Glücks.
Der englische Gesandte hatte mich in seinem Kasino mit der berühmten Fanny Murray soupieren lassen; dafür lud er eines Tages sich selber zu einem Souper in meinem Kasino auf Murano ein, das ich nur noch Toninas wegen beibehalten hatte. Ich tat ihm den Gefallen, ohne jedoch seine Großmut nachzuahmen. Er fand meine kleine Geliebte lustig und höflich, doch hielt sie sich in den Grenzen des Anstandes, womit sie ihm durchaus keinen Gefallen tat. Am nächsten Tage schrieb er mir folgendes: »Ich bin sterblich verliebt in Ihre Tonina. Wenn Sie mir sie abtreten wollen, bin ich bereit, sie auf folgende Weise zu versorgen: Ich gebe ihr eine Wohnung mit einer vollständigen Einrichtung, unter der Bedingung, daß ich sie dort besuchen kann, so oft es mir gefällt, und daß sie mir alle Rechte eines glücklichen Liebhabers einräumt. Ich halte ihr eine Zofe und eine Köchin und gebe ihr monatlich dreißig Zechinen für einen Tisch von zwei Personen; die Weine werde ich außerdem selber liefern. Ferner setze ich ihr eine Jahresrente von zweihundert Dukaten Kurant auf Lebenszeit aus, worüber sie verfügen kann, wenn sie ein Jahr mit mir gelebt hat. Ich lasse Ihnen acht Tage Zeit, lieber Freund, um mir Ihre Antwort mitzuteilen.«
Ich antwortete ihm sofort, ich würde ihm in drei Tagen mitteilen, ob sein Vorschlag angenommen werden könnte; denn Tonina hätte eine Mutter, vor der sie große Ehrfurcht hätte und ohne deren Einwilligung sie wohl nichts tun würde ; übrigens wäre allem Anschein nach das junge Mädchen schwanger.
Die Sache war für Tonina wichtig; ich liebte sie, aber schließlich wußte ich sehr gut, daß wir nicht unser ganzes Leben lang zusammen bleiben würden, und ich sah keine Möglichkeit, ihr eine solche Versorgung zu geben, wie sie ihr jetzt angeboten wurde. Ich schwankte daher keinen Augenblick, sondern fuhr noch am selben Tage nach Murano und sagte ihr alles.
»Du willst mich also verlassen!« rief sie weinend.
»Ich liebe dich, meine liebe Freundin, und gerade mein Vorschlag müßte dich davon überzeugen.«
»Nein! ich kann nicht zweien angehören.«
»Du wirst nur deinem neuen Liebhaber angehören, liebes Herz. Bedenke, es trägt dir eine stattliche Mitgift ein, durch die du eine gute Heirat machen kannst. Mir ist es, so lieb ich dich auch habe, ganz unmöglich, dich ebensogut zu versorgen.«
»Laß mich heute weinen und nachdenken, und komm morgen abend zu mir zum Essen.«
Ich erschien pünktlich, und sie sagte zu mir: »Ich finde, dein Engländer ist ein sehr schöner Mann, und wenn er venezianisch spricht, kann ich mir das Lachen nicht verhalten. Wenn meine Mutter einverstanden wäre, könnte ich ihn vielleicht lieben. Sollten wir nicht zueinander passen, so können wir uns ja nach Ablauf eines Jahres trennen, und ich habe dann ein Jahrgeld von zweihundert Dukaten.«
»Ich freue mich, daß du die Sache so richtig beurteilst. Sprich mit deiner Mutter darüber.«
»Das wage ich nicht, lieber Freund; solche Dinge sind zwischen Mutter und Tochter zu heikel zu behandeln; sprich du lieber mit ihr.«
»Gern.«
Ich hatte Laura nicht gesehen, seitdem sie mir ihre Tochter gegeben hatte. Sie brauchte keine Bedenkzeit, sondern sagte mir sofort hocherfreut, dank einem solchen Abkommen könnte ihre Tochter sie im Alter unterstützen; sie würde dann von Murano fortziehen, denn sie hätte keine Lust mehr zu dienen. Sie zeigte mir hundertdreißig Zechinen, die Tonina sich in meinem Dienst gespart und ihr zum Aufbewahren gegeben hatte.
Toninas jüngere Schwester, Barberina, kam herein und küßte mir die Hand. Ich fand sie reizend und gab ihr alles Silbergeld, das ich bei mir hatte. Ich sagte Laura, daß ich sie in meiner Wohnung erwartete; sie kam denn auch sehr bald mir nach und gab ihrer Tochter ihren Segen. Sie empfahl sie der heiligen Katharina und sagte ihr, sie bäte nur um drei Lire täglich, damit sie nach Venedig ziehen und dort mit ihrer Familie leben konnte.
Tonina fiel ihr um den Hals und versprach ihr dies.
Nachdem diese wichtige Sache zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt war, besuchte ich M. M., die mir das Vergnügen machte, mit C. C. ins Sprechzimmer zu kommen. Ich fand sie traurig, aber schöner denn je. Sie war in Trauer, aber dies hinderte sie nicht, zärtlich zu sein. Sie konnte nur eine Viertelstunde im Sprechzimmer bleiben, weil sie fürchtete, beobachtet zu werden, denn es war ihr immer noch verboten, ihr Zimmer zu verlassen. Ich erzählte M. M., daß Tonina nach Venedig ziehen und mit Murray zusammenleben würde.
»Das tut mir leid,« sagte sie; »denn jetzt, wo Tonina dich nicht mehr nach Murano zieht, werde ich dich noch weniger oft sehen als bisher.«
Ich versprach ihr, ich würde sie stets fleißig besuchen. Aber was sind Versprechungen! Es nahte schon die Zeit, da wir für ewig getrennt werden sollten.
Am selben Abend ging ich zu meinem Freund Murray und brachte ihm die gute Nachricht. Er umarmte mich in überströmender Freude und bat mich, am übernächsten Tag in seinem Kasino zu soupieren und Tonina mitzubringen, um sie ihm in aller Form zu übergeben. Natürlich erfüllte ich seinen Wunsch; denn da die Sache einmal entschieden war, wünschte ich sie bald beendigt zu sehen. Er übergab ihr in meiner Gegenwart die lebenslängliche Leibrente von zweihundert venezianischen Dukaten in Form einer Anweisung auf die Bäckerzunft. Kraft einer zweiten Urkunde verschrieb er ihr die ganze Einrichtung der Wohnung, die er ihr besorgt hatte, als ihr Eigentum, unter der Bedingung, daß sie ein Jahr lang mit ihm leben müßte. Die Vorschriften, die er ihr für ihr Verhalten gab, waren sehr liberal; er erlaubte ihr, mich als Freund zu empfangen und ihre Mutter und Schwestern zu besuchen, so oft sie Lust hätte. Tonina fiel ihm um den Hals, versicherte ihn ihrer Dankbarkeit und versprach ihm, alles aufzubieten, um ihm zu gefallen. Auf mich zeigend fügte sie hinzu: »Herrn Casanova werde ich empfangen – aber nur als Freundin; mehr wird er nicht verlangen.« Während dieser in ihrer Art wirklich rührenden Szene hielt sie mit Mühe ihre Tränen zurück; ich aber besaß nicht die Kraft, die meinigen zu verbergen. Sie machte durch Murray ihr Glück, aber ich war nicht lange Zeuge desselben. Warum, das werde ich später erzählen.
Drei Tage darauf kam Laura zu mir; sie erzählte mir, sie sei bereits nach Venedig gezogen, und bat mich, sie zu ihrer Tochter zu begleiten. Ich verdankte der guten Frau zu viel, um ihr diesen Gefallen abschlagen zu können, und ging daher auf der Stelle mit ihr. Tonina dankte dem lieben Gott und dankte auch mir; ihre Mutter stimmte ein; denn sie wußte nicht recht, ob der liebe Gott für sie mehr getan hatte oder ich. Tonina sprach sich sehr lobend über Murray aus und machte mir keine Vorwürfe darüber, daß ich sie nicht besucht hätte; dies gefiel mir sehr. Als ich gehen wollte, bat Laura mich, sie in meiner Gondel mitzunehmen. Da wir bei dem Hause vorbeifahren mußten, wo sie sich eingemietet hatte, so bat sie mich, ihr das Vergnügen zu machen und einen Augenblick bei ihr einzutreten. Ich erfüllte ihren Wunsch, weil ich sie nicht gerne durch einen abschlägigen Bescheid kränken wollte. Zu meiner Ehre muß ich sagen, daß ich es nur aus Gefälligkeit tat und dabei gar nicht daran dachte, ich würde Barberina wiedersehen.
Das junge Mädchen war ebenso hübsch wie ihre Schwester, obgleich in einer anderen Art. Sie fing an, mich neugierig zu machen. Auf dieser Schwäche beruht durchweg die Unbeständigkeit eines Mannes, der an ein lasterhaftes Leben gewöhnt ist. Wenn alle Frauen den gleichen Gesichtsausdruck, den gleichen Charakter und die gleiche Denk- und Ausdrucksweise hätten, so würden die Männer nicht nur niemals unbeständig, sondern überhaupt niemals verliebt sein. Man würde instinktmäßig sich eine Frau nehmen und bis zu ihrem Tode sich nur an sie halten; dann aber würde die ganze Einrichtung unserer Welt anders sein als jetzt. Das Neue ist der Tyrann unserer Seele. Wir wissen wohl, daß das, was wir nicht gesehen haben, ungefähr ebenso ist, wie das, was wir gesehen haben; aber wir sind neugierig, wir wollen uns davon überzeugen, und zu diesem Ende machen wir so viele Umstände, wie wenn wir bestimmt wüßten, daß wir etwas ganz Unvergleichliches finden würden.
Die junge Barberina betrachtete mich als einen alten Bekannten, denn ihre Mutter hatte sie daran gewöhnt, mir die Hand zu küssen, sooft ich sie besuchte. Sie hatte sich mehr als einmal in meiner Gegenwart entkleidet, ohne zu denken, daß mich dies aufregen könnte; sie wußte, daß ihre Schwester und damit auch ihre ganze Familie durch mich ihr Glück gemacht hatte; natürlich hielt sie sich auch für hübscher als Tonina, weil sie eine weißere Haut und schöne schwarze Augen hatte. Sie hatte Lust, ihre Schwester zu ersetzen, und sie begriff, daß sie mich überrumpeln mußte, wenn ihr dies gelingen sollte. Ihr junger Verstand sagte ihr, daß ich mich niemals in sie verlieben könnte, wenn ich niemals zu ihr käme. Sie wußte, daß sie mich mit Sturm nehmen mußte, und da schien ihr das beste Mittel zu sein, bei passender Gelegenheit mir so weit entgegenzukommen, daß ihre Eroberung mir gar keine Mühe kostete. Alle diese Gedanken hatte sie aus sich selber; denn ich bin überzeugt, daß sie nicht von ihrer Mutter abgerichtet worden war. Laura war eine von jenen Müttern, deren es auf der Welt und besonders in Italien mehr als eine gibt: sie zog gerne ihren Nutzen aus der natürlichen Betriebsamkeit ihrer Töchter, aber sie würde niemals daran gedacht haben, sie auf den Pfad des Lasters zu bringen. Weiter ging ihre Tugend nicht.
Nachdem ich ihre beiden Zimmer und die kleine Küche besichtigt und die Sauberkeit bewundert hatte, von der alles glänzte, fragte die kleine Barberina mich, ob ich nicht auch ihr Gärtchen ansehen wollte. Ich erwiderte, dies wollte ich gerne tun; denn in Venedig ist ein Garten eine Seltenheit. Ihre Mutter sagte ihr, sie sollte mir Feigen anbieten, wenn reife da wären.
Das Gärtchen war etwa dreißig Fuß im Geviert groß, und es wuchs darin weiter nichts als Salat und ein sehr schöner Feigenbaum. Dieser trug jedoch wenig Früchte, und ich sagte zu ihr, ich sähe überhaupt keine.
»Ich sehe welche oben in der Spitze,« sagte Barberina zu mir, »und wenn Sie mir die Leiter halten wollen, werde ich sie pflücken.«
»Gut, tu das; die Leiter will ich schon halten.« Leichtfüßig steigt sie hinauf; um aber einige etwas zu weit entfernte Feigen erreichen zu können, streckt sie den Arm aus und biegt sich zur Seite, indem sie sich mit der anderen Hand an der Leiter festhält.
»Meine liebe Barberina, wenn du wüßtest, was ich sehe!«
»Was Sie bei meiner Schwester oft gesehen haben.«
»Das stimmt; aber du bist hübscher als sie.«
Die Kleine antwortete nicht, aber sie tat, wie wenn sie eine Feige nicht erreichen könnte, und setzte den einen Fuß auf einen höheren Zweig, wodurch sie mir den verführerischsten Anblick bot. Ich war hingerissen! Barberina bemerkte es und beeilte sich keineswegs. Endlich half ich ihr beim Heruntersteigen; dabei verirrte sich meine Hand, und ich fragte sie, ob die Frucht, die ich hielte, schon gepflückt wäre. Sie sah mich mit einem sanften Lächeln an und ließ mir soviel Zeit wie ich wollte, um mich zu überzeugen, daß sie vollkommen Jungfrau war. Schon war ich besiegt; ich empfing sie in meinen Armen, preßte sie verliebt an meine Brust und drückte auf ihre Lippen einen feurigen Kuß, den sie herzlich erwiderte.
»Willst du, liebes Kind, mir schenken, was ich eben in der Hand hielt?«
»Meine Mutter geht morgen nach Murano und bleibt den ganzen Tag dort; wenn Sie kommen, werde ich Ihnen nichts versagen.«
Wenn ein noch unschuldiger Mund eine solche natürliche Sprache spricht, dann muß der Mann, an den sie gerichtet ist, glücklich sein; denn Begierden sind nur Qualen, sind tatsächliche Schmerzen, und nur darum ist uns der Genuß so wert, weil er uns von diesen Schmerzen erlöst. Dies beweist, daß diejenigen, denen ein wenig Widerstand lieber ist als ein sofortiges Eingehen auf ihre Wünsche, unrecht haben; allerdings ist allzu große Gefälligkeit oft ein Zeichen von Verderbtheit, und diese lieben die Männer nicht, so verderbt sie auch selber sein mögen.
Wir gingen ins Haus zurück; ich umarmte Barberina in Gegenwart ihrer Mutter und sagte dieser, sie hätte in ihr ein wahres Juwel; über dieses Kompliment lachte sie vor Freuden. Ich gab dem reizenden Mädchen zehn Zechinen und entfernte mich sehr befriedigt; zugleich aber mit dem Schicksal hadernd, daß es mir nicht erlaubte, der reizenden Barberina sofort ein gleiches Los bieten zu können, wie ihrer Schwester.
Tonina hatte mir gesagt, ich müßte anstandshalber doch wenigstens einmal bei ihr soupieren; ich ging an demselben Abend hin und fand dort Rhigellini und Murray. Das Souper war sehr nett, und ich bewunderte das vollkommene Einverständnis, das bereits unter dem neuen Liebespaar herrschte.
»Ich mache Ihnen mein Kompliment,« sagte ich zu dem Gesandten, »daß Sie einen gewissen Geschmack verloren haben.«
»Wenn ich etwas dergleichen verloren hätte, so würde dies mir sehr leid tun ; denn da müßte ich annehmen, daß ich im Niedergang wäre.«
»Aber sie liebten doch früher der Liebe zu opfern, ohne ihre Geheimnisse zu verschleiern.«
»Nicht ich liebte dies, sondern Ancilla, und da mir ihre Lust ebenso teuer war wie die meinige, so fügte ich mich gerne ihrem Geschmack.«
»Ihre Antwort freut mich; denn ich gestehe Ihnen, es würde mir Uberwindung kosten, Ihren Liebeskämpfen mit Tonina zuzusehen.« Ich erwähnte gesprächsweise, daß ich keine Wohnung mehr in Murano hätte, und Righellini sagte mir, wenn ich wollte, könnte er mir eine sehr hübsche und billige an den Fondamenta Nuove beschaffen.
Dieser Stadtteil liegt nach Norden und ist ebenso angenehm im Sommer wie unangenehm im Winter. Da er Murano gegenüberliegt, wohin ich jede Woche ein paarmal fahren mußte, so sagte ich dem Doktor, ich wollte mir die Wohnung gerne einmal ansehen.
Gegen Mitternacht verabschiedete ich mich von dem reichen und glücklichen Engländer. Da ich den nächsten Tag mit meiner neuen Eroberung verbringen wollte, so ging ich gleich zu Bett, um frisch zu sein und mich leistungsfähig zeigen zu können.
Ziemlich früh ging ich zu Barberina; sie empfing mich mit den Worten: »Meine Mutter kommt erst heute abend wieder, und mein Bruder ißt in der Schule zu Mittag. Wir werden also vollkommen ungestört sein. Hier habe ich ein gebratenes Huhn, Schinken, Käse und zwei Flaschen Scoppolo; wir essen aus dem Stegreif, sobald Sie Lust haben.«
»Ich bin erstaunt, reizende Freundin; wie hast du dir ein so gutes Essen verschaffen können?«
»Wir verdanken es meiner Mutter; ihr gebührt alles Lob.«
»Du hast ihr also gesagt, was wir machen wollen?«
»O nein! Doch nicht ganz! Denn ich weiß es ja selber nicht. Aber ich habe ihr gesagt, Sie würden mich besuchen, und habe ihr zugleich die zehn Zechinen gegeben.«
»Und was hat dir deine Mutter gesagt?«
»Sie hat gesagt, es wäre ihr gar nicht unlieb, wenn Sie mich ebenso lieben würden, wie Sie meine Schwester geliebt haben.«
»Ich will dich noch mehr lieben, obgleich ich jene sehr lieb habe.«
»Sie haben sie lieb? Warum haben Sie sie denn verlassen?«
»Ich habe sie nicht verlassen; ich habe ja erst gestern bei ihr soupiert; nur leben wir nicht mehr als Liebespaar zusammen. Ich habe sie einem reichen Freunde abgetreten, der ihr Glück gemacht hat.«
»Das ist ja sehr schön; ich verstehe es nur nicht ganz recht. Sagen Sie, bitte, Tonina, daß ich jetzt ihre Stelle einnehme. Und dann wäre es mir sehr lieb, wenn Sie ihr noch sagen wollten, Sie seien ganz gewiß, daß Sie der erste Mann seien, den ich geliebt habe.«
»Und wenn sie sich über diese Nachricht ärgert?«
»O, um so besser! Werden Sie mir das Vergnügen machen? Es ist das erste, worum ich Sie bitte.«
»Ich verspreche es dir.«
Nach diesem Gespräch frühstückten wir, dann gingen wir in vollkommener Eintracht zu Bett. Es war mehr, wie wenn wir dem Hymen, als wie wenn wir dem Amor unser Opfer brächten.
Barberina kannte das Spiel noch nicht; ihre Ekstasen, ihre frischen und naiven Gedanken, die sie mir ungeschminkt mitteilte, ihre Unerfahrenheit oder vielmehr Unbeholfenheit entzückten mich. Mir war es, als berührte ich zum erstenmal den kostbaren Baum der Erkenntnis und als hätte ich niemals eine so saftige Frucht genossen. Meine kleine Nymphe würde sich geschämt haben, mich merken zu lassen, daß der erste Dorn ihr Schmerz bereitete; um mich zu überzeugen, daß sie nur die Rose genösse, überbot sie sich in Beteuerungen, daß sie die höchste Lust empfände. Dabei übertrieb sie jedenfalls, denn der erste Versuch ist doch stets mehr oder weniger schmerzhaft. Sie war noch nicht ganz erwachsen: die Rosen ihrer Brüste waren erst kaum sichtbare Knospen, und vollkommen reif war sie nur in ihrem Herzen.
Nachdem mehr als ein Sturm tapfer unternommen und ausgehalten war, standen wir auf, um zu essen. Als wir dadurch neue Kräfte gewonnen hatten, bestiegen wir wieder den Altar der Liebe und weihten uns ihrem süßen Dienst, bis es Abend war. Als Laura nach Hause kam, fand sie uns angezogen und durchaus befriedigt. Ich schenkte noch Barberina zwanzig Zechinen, schwur ihr ewige Liebe und ging. Sicherlich hatte ich damals nicht die Absicht, meinen Schwüren untreu zu werden; aber die Ereignisse, die das Schicksal für mich in seinem Schoße trug, ließen sich nicht mit jenen Versprechungen vereinigen, die in einem Augenblick der Leidenschaft unwillkürlich meinem Munde entflossen waren.
Am nächsten Morgen holte Righellini mich ab, um mir die Wohnung zu zeigen, von der er mir gesprochen hatte. Sie gefiel mir. Ich mietete sie sofort und bezahlte den Zins für das erste Viertejahr voraus. Das Haus gehörte einer Witwe, die zwei Töchter hatte. Der ältesten war gerade zur Ader gelassen worden. Righellini war ihr Arzt; er behandelte sie seit neun Monaten, ohne sie heilen zu können. Da er ihr seinen Besuch machen wollte, trat ich mit ihm ein; ich glaubte mich einer schönen Wachsstatue gegenüber zu befinden und rief in meiner Überraschung: »Sie ist schön – aber der Bildhauer müßte ihr Farben verleihen.« Die Statue antwortete darauf mit einem Lächeln, das göttlich gewesen wäre, wenn es auf Rosenlippen erschienen wäre.
»Ihre Blässe«, sagte Righellini zu mir, braucht Sie nicht zu erstaunen; man hat ihr heute zum hundertundvierten Male die Ader geöffnet.«
Ich machte eine sehr begreifliche Gebärde der Überraschung.
Das schöne Mädchen war achtzehn Jahre alt, und die Natur hatte sie noch nicht mit der Wohltat der monatlichen Reinigung begabt; infolgedessen fühlte sie sich jede Woche drei- oder viermal dem Tode nahe, und das einzige Mittel, ihr Erleichterung zu verschaffen, bestand darin, daß man ihr die Ader öffnete.
»Ich will sie aufs Land schicken,« sagte der Doktor; »dort werden eine reinere und schönere Luft und besonders mehr Bewegung besser wirken, als hier alle Arzneien.«
Ich bat mir mein Bett noch für denselben Abend zurechtzumachen und entfernte mich mit Righellini. Er sagte mir, das einzige wirklich wirksame Heilmittel für das Mädchen wäre ein kräftiger Liebhaber.
»Aber mein lieber Doktor, könnten denn Sie nicht auch ihr Apotheker sein, wie Sie ihr Arzt sind?«
»Dieses Spiel wäre für mich zu riskant; denn ich könnte mich genötigt sehen, sie zu heiraten, und vor dem Heiraten habe ich Angst wie vor dem Feuer.«
Zum Heiraten hatte ich zwar ebensowenig Lust wie mein Freund, der Doktor, aber ich war dem Feuer eben schon zu nahe gekommen. Im nächsten Kapitel wird der Leser sehen, wie ich das Wunder bewirkte, das der schönen Bleichsüchtigen die Farben der Gesundheit wieder schenkte.