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Die Partie, die ich mit meiner lieben M. M. verabredet hatte, erfüllte mich mit der größten Freude, und dem Anschein nach hätte ich glücklich sein müssen. Aber ich war es nicht. Woher kam denn nun die Unruhe, die mich quälte? Woher sie kam? Von meiner unglückseligen Gewohnheit des Spielens. Diese Leidenschaft war tief in mir eingewurzelt: leben und spielen war für mich gleichbedeutend; da ich nun nicht Bank halten konnte, spielte ich im Ridotto als Ponte und verlor vormittags und abends. Dies machte mich unglücklich. Ohne Zweifel wird man mich fragen: warum spieltest du denn? Du hattest es doch nicht nötig, denn es fehlte bei dir an nichts, und du hattest soviel Geld, um jede Laune befriedigen zu können. Diese Frage würde mich in Verlegenheit bringen, wenn ich es mir nicht zum Gesetz gemacht hätte, die Wahrheit zu sagen. Nun, meine Herren Neugierigen: wenn ich trotz der fast sicheren Gewißheit des Verlierens spielte, obgleich vielleicht kein Mensch je empfindlicher gegen Spielverluste gewesen ist als ich, so geschah das, weil ich den Teufel des Geizes in mir hatte. Ich liebte das Geldausgeben, sogar die Verschwendung, aber das Herz blutete mir, wenn ich anderes Geld ausgeben mußte, als solches, das ich im Spiel gewonnen hatte. Dies war ein häßlicher Charakterfehler, lieber Leser – und ich will ihn nicht verteidigen. Wie dem auch sein möge – genug, in den vier Tagen des Wartens verlor ich alles Geld, das ich durch M. M. gewonnen hatte.
An dem heißersehnten Tage begab ich mich nach meinem Kasino, wo ich zur verabredeten Stunde M. M. und ihren Freund erscheinen sah. Sie stellte ihn mir in aller Form vor, sobald er seine Maske abgenommen hatte.
»Es drängte mich,« sagte der Gesandte, »die Bekanntschaft mit Ihnen zu erneuern, denn wie Madame mir sagt, haben wir uns in Paris gekannt.«
Bei diesen Worten sah er mich prüfend an, wie jemand, der sich an einen zu erinnern sucht, den er aus den Augen verloren hatte. Ich sagte ihm zur Aufklärung, wir hätten niemals miteinander gesprochen, er würde daher mein Gesicht wohl nicht genau genug gesehen haben, um sich noch meiner Züge erinnern zu können. »Ich hatte die Ehre, bei Herrn von Mocenigo mit Eurer Erzellenz zu speisen; aber Sie waren beständig vom preußischen Gesandten, Lord Marishal, in Anspruch genommen, und ich hatte nicht den Vorzug, auch nur einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Da Sie vier Tage darauf nach Venedig abreisen sollten, so hatten Sie es eilig, und verabschiedeten sich fast sofort nach dem Essen. Seither habe ich nicht mehr die Ehre gehabt, Sie zu sehen.«
»Jetzt besinne ich mich!« rief er; »ich erinnere mich, jemanden gefragt zu haben, oh Sie nicht der Gesandtschaftssekretär seien. Von heute an werden wir uns nicht mehr vergessen, denn die Mysterien, die uns verbinden, sind der Art, daß sie ein dauerndes inniges Verhältnis zwischen uns herstellen müssen.«
Das seltene Pärchen machte sich's schnell bequem, und bald setzten wir uns zu Tisch. Selbstverständlich übernahm ich die Aufwartung. Der Minister war ein Feinschmecker; er fand meine Weine ausgezeichnet und war erfreut, als er hörte, daß ich sie vom Grafen Algarotti bezöge. Dieser stand in dem Ruf, die besten Keller zu haben.
Mein Souper war lecker, reichlich und voller Abwechslung, und ich wartete dem schönen Paare auf wie etwa ein Privatmann, der seinen Fürsten und dessen Geliebte bei sich zu Tisch hätte. Ich sah M. M. entzückt über mein ehrerbietiges Benehmen ihr gegenüber und über meine Bemerkungen, die den Gesandten veranlaßten, mir mit größtem Interesse zuzuhören. Wenn auch der Gesprächston, einem ersten Zusammensein entsprechend, im ganzen ernst war, so schloß er doch seinen Scherz nicht aus, und auf diesem Gebiet war Herr de Bernis Franzose in der vollen Bedeutung des Wortes. Ich bin viel gereist und habe die Menschen als Individuen und als Masse gründlich studiert, aber wahre Geselligkeit habe ich nur bei den Franzosen gefunden; denn sie allein verstehen zu scherzen, und der feine und zarte Scherz, der die Unterhaltung belebt, macht den Reiz der Gesellschaft aus.
Heitere Worte begleiteten das hübsche Souper während seiner ganzen Dauer; die liebenswürdige M. M. brachte geschickt das Gespräch auf den romanhaften Zufall, durch den sie meine Bekanntschaft gemacht hatte. Hierdurch kamen wir ganz natürlich auf meine Leidenschaft für C. C. zu sprechen, und sie entwarf von dem reizenden Mädchen eine äußerst interessante Schilderung, welcher der Gesandte so aufmerksam zuhörte, wie wenn er C. C. niemals gesehen hätte. Dies gehörte zu seiner Rolle, denn er wußte nichts von meiner Kenntnis des Umstandes, daß er meine dumme nächtliche Zusammenkunft mit ihr von seinem Versteck aus belauscht hatte. Er sagte zu M. M., sie würde ihm das allergrößte Vergnügen bereitet haben, wenn sie sie zu unserem Souper mitgebracht hätte. »Ich hätte«, antwortete die schlaue Nonne, »zu vielen Gefahren mich aussetzen müssen, und das Wagnis wäre zu groß gewesen. Aber,« fuhr sie fort, indem sie sich ebenso vornehm wie liebenswürdig an mich wandte, »wenn es Ihnen Freude macht, könnte ich Sie in meinem Kasino zum Souper mit ihr zusammenbringen, denn wir schlafen in demselben Zimmer.«
Über dieses Anerbieten wunderte ich mich sehr; aber es war nicht der rechte Augenblick, mir meine Überraschung anmerken zu lassen.
»Man kann, Gnädigste,« versetzte ich, »das Vergnügen, mit Ihnen zusammen zu sein, durch keinen anderen Umstand erhöhen; doch gestehe ich, daß ich gegen einen solchen Gunstbeweis nicht unempfindlich sein würde.«
»Nun, ich werde daran denken.«
»Aber,« sagte jetzt der Gesandte, »ich glaube, wenn ich an der Partie teilnehmen soll, so würden Sie doch gut tun, es ihr vorher zu sagen.«
»Das ist nicht nötig,« sagte ich, »denn ich werde ihr schreiben, sie solle blindlings alles tun, was Madame ihr sagen werde. Ich werde mich dieser Pflicht schon morgen entledigen.«
Dann bat ich den Gesandten, einem fünfzehnjährigen Mädchen gegenüber, das noch keine Welterfahrung besitze, recht nachsichtig zu sein. Hierauf erzählte ich ihm die Geschichte der O'Morphi, die ihm sehr viel Vergnügen machte. Er bat mich, ihm ihr Bild zu zeigen, und teilte mir mit, sie sei immer noch im Hirschpark, und der König, von dem sie schon ein Kind gehabt habe, sei immer noch entzückt von ihr. Um acht Uhr[R1 Etwa um Mitternacht.] verabschiedeten meine Gäste sich sehr befriedigt, und ich blieb allein in meinem Kasino.
Am nächsten Morgen schrieb ich, um der schönen Nonne mein Versprechen zu halten, einen Brief an C. C. Daß eine vierte Person zugegen sein würde, erwähnte ich nicht. Ich gab Laura diesen Brief und ging sodann nach dem Kasino von Murano, wo die Hausbesorgerin mir folgenden Brief meiner M. M. einhändigte:
»Ich würde, mein lieber Schatz, nicht auf eine ruhige Nacht hoffen können, wenn ich nicht noch vor dem Schlafengehen meine Seele von einem Gewissensbedenken befreie, das auf ihr lastet. Vielleicht hast Du dem Plan, mit unserer Freundin selbviert zu soupieren, nur aus einfacher Höflichkeit beigestimmt. Sei aufrichtig, mein Herz, denn wenn Du die Partie nicht gerne siehst, werde ich sie in Dunst aufgehen lassen, ohne Dich im mindesten bloßzustellen. Verlaß Dich auf mich! Bist Du jedoch von Herzen damit einverstanden, so wird alles der Verabredung gemäß vor sich gehen. Glaube mir, ich liebe Deine Seele noch inniger als Dein Herz, ich wollte sagen Deine Person. Addio.«
Ihre Furcht war natürlich; aber eine falsche Scham hielt mich ab, mein Wort zurückzunehmen. M. M. kannte mich genau und packte mich als geschickte Taktikerin an meiner schwachen Seite.
Ich antwortete ihr folgendes:
»Ich hatte Deinen Brief erwartet, liebe Freundin – daran wirst Du nicht zweifeln; denn da Du mich gründlich kennst, so mußt Du wissen, daß ich auch Dich kenne. Ja, ich kenne Deinen Geist, und ich weiß, welchen Begriff Du Dir von dem meinigen machen mußt; denn durch meine Sophismen habe ich mich in Deinen Augen in meiner ganzen Schwachheit und Reizbarkeit gezeigt. Ich büße dafür, liebe Freundin, durch den Gedanken, daß ich Dir verdächtig geworden bin und daß dadurch Deine Zärtlichkeit sich ein wenig abgeschwächt haben muß. Bitte, vergiß meine Grillen, und glaube mir, daß in Zukunft meine Seele stets im Gleichklang mit der Deinen sein wird. Das verabredete Souper muß stattfinden; es wird mir ein Vergnügen sein, aber gestatte mir Dir zu sagen, daß ich meine Einwilligung mehr noch aus Dankbarkeit als aus Höflichkeit gegeben habe. C. C. ist Neuling, und es ist mir durchaus nicht unlieb, wenn sie anfängt, sich in der Welt bewegen zu lernen. In welcher Schule könnte sie besser aufgehoben sein als unter Deiner Vormundschaft. Ich lege sie Dir also ans Herz, und Du wirst mir eine Freude machen, wenn Du ihr auch fernerhin Deine freundschaftliche Fürsorge widmest und Deine Güte gegen sie noch verdoppelst – falls das überhaupt möglich ist. Ich fürchte nur, Du überredest sie, den Schleier zu nehmen; wenn dieser Fall einträte, würde ich auf ewig untröstlich sein. Dein Freund hat mich ganz und gar für sich eingenommen; er ist ein überlegener Mensch und wirklich reizend.«
Hierdurch machte ich es mir also freiwillig unmöglich, noch zurückzutreten; aber viele Gedanken ließ meine Kenntnis des Menschenherzens mir durch den Kopf gehen. Ich begriff leicht, daß ohne Zweifel der Gesandte in C. C. verliebt war, daß er sich darüber mit M. M. ausgesprochen hatte und daß diese nicht in der Lage war, seiner Liebe Hindernisse in den Weg zu legen; gewiß hatte sie als getreue Schülerin des Herrn Gesandten sich zu allem hergeben müssen, was seiner Leidenschaft förderlich sein konnte. Natürlich konnte sie ohne meine Zustimmung nichts machen, und die Geschichte war ihr zu heikel erschienen, um mir so mirnichtsdirnichts die Partie vorschlagen zu mögen. Sie gingen daher auf Vereinbarung so vor, daß sie scheinbar ohne Absicht das Gespräch darauf brachten, und daß ich aus Höflichkeit; vielleicht sogar aus Uberzeugung, den Plan billigen und ihnen auf diese Weise ins Netz gehen mußte. Der Gesandte, dessen Beruf das Intrigieren war, hatte seine Absicht vollkommen erreicht; ich hatte ganz nach Wunsch auf den Köder angebissen. Mir blieb nichts weiter übrig als gute Miene znm bösen Spiel zu machen, teils um nicht als ganz dummer Tölpel dazustehen, teils um nicht einem Manne gegenüber, der mir unerhörte Vorrechte eingeräumt hatte, als undankbar dazustehen. Die Folge dieses ganzen Ränkespiels konnte jedoch eine Abkühlung meines Gefühls gegen die eine wie gegen die andere meiner beiden Geliebten sein. M. M. hatte dies alles vollkommen richtig empfunden, als sie nach Hause gekommen war, und um sich selber zu decken und jeder Gefahr vorzubeugen, hatte sie mir schleunigst geschrieben, sie würde den Plan, wenn ich diesen nicht billigen sollte, zum Scheitern bringen, ohne mich dabei bloßzustellen; aber sie wußte zum voraus, daß ich ihr Anerbieten nicht annehmen würde. Die Eitelkeit ist eine noch stärkere Leidenschaft als die Eifersucht. Sie verbietet es einem Menschen, der nicht für dumm gelten will, sich eifersüchtig zu zeigen, besonders einem anderen gegenüber, bei dem das Fehlen dieser niedrigen Leidenschaft glänzend hervortritt.
Am nächsten Tage ging ich ziemlich früh ins Kasino und fand dort den Gesandten, der mich aufs freundschaftlichste empfing. Er sagte mir: wenn er mich in Paris gekannt hätte, würde er mich leicht bei Hofe haben einführen können, wo ich nach seiner Meinung mein Glück gemacht haben würde. Wenn ich heute zufällig daran denke, sage ich: das ist wohl möglich; aber was hätte es mir genützt? Ich wäre vielleicht wie so viele andere ein Opfer der Revolution geworden. Dies Los wäre ohne Zweifel auch ihm beschieden gewesen, wenn das Schicksal ihm nicht bestimmt hätte, im Jahre 1794 in Rom zu sterben. Er starb, wenn auch im Reichtum, so doch unglücklich; es sei denn, daß er vor dem Tode seine ganze Denkart geändert hätte; und das glaube ich nicht. Ich fragte ihn, ob es ihm in Venedig gefiele, und er antwortete mir, er müsse sich dort sehr wohl fühlen, da er sich einer ausgezeichneten Gesundheit erfreute und da er sich um teures Geld besser als irgendwo anders alle Annehmlichkeiten des Lebens verschaffen könnte. »Indessen bezweifle ich, daß man mich noch lange Zeit auf dem hiesigen Gesandtenposten lassen wird. Behalten Sie aber, bitte, dieses für sich; ich möchte M. M. nicht gerne betrüben.«
Wir waren noch in dieser gewissermaßen vertraulichen Unterhaltung begriffen, als wir M. M. und ihre junge Freundin eintreten sahen. Diese fuhr überrascht zusammen, als sie mich mit einem anderen Herrn zusammen sah. Aber ich ermutigte sie, indem ich sie auf das zärtlichste empfing, und sie beruhigte sich vollständig, als sie sah, daß der Unbekannte entzückt war, sie sein an sie gerichtetes Kompliment in gutem Französisch beantworten zu hören. Dies gab ihnen beiden Gelegenheit, dem Wissen und der Geschicklichkeit der Lehrerin, von der sie die Sprache so gut gelernt hatte, ein hohes Lob zu zollen.
C. C. war entzückend. Ihr lebhafter und doch bescheidener Blick schien mir zu sagen: du mußt mein sein! Zugleich wünschte ich sie glänzen zu sehen, und dieses doppelte Gefühl half mir eine schnöde Eifersucht überwinden, die sich ohne mein Zutun meiner bemächtigen wollte. Indem ich das Gespräch auf Themata brachte, von denen ich wußte, daß sie ihr vertraut waren, setzte ich sie in Stand, ihren natürlichen Geist zu entwickeln, und ich hatte die Genugtuung, sie glänzen zu sehen.
Mit Beifall und Schmeicheleien überschüttet, angefeuert durch den Ausdruck der Befriedigung, die sie in meinen Blicken las, erschien C. C. Herrn von Bernis als ein wahres Wunder. Und ich – merkwürdige Widersprüche des menschlichen Herzens – ich freute mich dessen und zitterte doch zugleich davor, er könnte sich in sie verlieben!
Welches Rätsel: ich arbeitete selber mit an einem Werk, um dessen willen ich jeden hätte ermorden können, der sich daran zu beteiligen wagte.
Während des Mahles, das eines Königs würdig war, überhäufte der Gesandte C. C. mit allen erdenklichen Aufmerksamkeiten. Geist, Fröhlichkeit, Anstand und guter Ton führten den Vorsitz in unserem reizenden Verein; sie schlossen jene amüsanten Bemerkungen nicht aus, mit denen der französische Geist alle Gespräche zu würzen weiß.
Ein kritischer Beobachter, der ohne uns zu kennen hätte erraten wollen, ob auch Liebe mit im Spiele wäre, hätte vielleicht so etwas vermuten, aber er hätte es niemals bestimmt behaupten können. M. M. verkehrte mit dem Gesandten nur im Ton und mit dem Benehmen einer Freundin; mir zeigte sie nur vollkommene Achtung und ihrer C. C. weiter nichts als schwesterliche Zärtlichkeit. Herr von Bernis war liebenswürdig, höflich und wohlwollend gegen M. M.; dies hinderte ihn aber nicht, fortgesetzt das größte Interesse für jede Bemerkung C. C.s an den Tag zu legen, indem er sie in ihrem günstigsten Licht erscheinen ließ und mit seinem Beifall sich jedesmal an mich wendete. Am besten spielte meine junge Freundin ihre Rolle; diese entsprach ihrer Natur; die Natur war schön, und so mußte C. C. denn wohl entzückend sein.
Wir hatten fünf köstliche Stunden verbracht. Besonders der Gesandte schien sich ausgezeichnet unterhalten zu haben. Auf M. M.s Gesicht lag der Ausdruck der Freude über ihr Werk; ich steckte die Miene des zufriedenen Kritikers auf. C. C. strahlte vor Vergnügen, daß sie uns allen gefallen hatte; vielleicht war sogar ein Fünkchen Eitelkeit dabei, weil der Gesandte sich ganz besonders mit ihr beschäftigt hatte. Sie sah mich lächelnd an, und ich verstand vollkommen die Sprache ihrer Seele: sie wollte mir sagen, daß sie durchaus den Unterschied fühlte, der zwischen dieser Gesellschaft und jener anderen bestände, wobei ihr Bruder sich so ekelhaft roh benommen hatte. Nach Mitternacht war es Zeit zum Aufbruch; Herr de Bernis übernahm es, die Komplimente zu machen. Er dankte M. M. dafür, daß sie ihm das angenehmste Souper gegeben, das er je erlebte, und nötigte sie dadurch, ihm ein gleiches für den übernächsten Tag anzubieten. So ganz obenhin fragte er mich dabei, ob es mir nicht ebensoviel Vergnügen machen würde wie ihm. Konnte er an meiner Zustimmung zweifeln? Ich glaube es nicht, zumal da ich mich für verpflichtet halten mußte, ihm gefällig zu sein. Im herzlichsten Einvernehmen trennten wir uns.
Als ich am anderen Morgen über dieses Mustersouper nachdachte, sah ich leicht ein, worauf das Ganze hinauslaufen mußte. Der Gesandte verdankte sein Glück lediglich dem schönen Geschlecht, da er im höchsten Grade die Kunst besaß, Gefühle der Liebe einzulullen. Da er von Natur sehr sinnlich war, fand er seine Rechnung dabei; denn er erregte Begierden, und dies verschaffte ihm Genüsse, wie sie seiner verfeinerten Art entsprachen. Ich sah ihn rasend verliebt in C. C., und er schien keineswegs der Mann zu sein, sich mit der Bewunderung ihrer schönen Augen zu begnügen. »Ganz gewiß hat er schon einen bestimmten Plan, dessen Ausführung M. M. wird übernehmen müssen, so aufrichtig auch ihre Liebe zu mir sein mag; sie wird sich dabei so geschickt und so fein benehmen, daß es mir wahrscheinlich an greifbaren Beweismitteln fehlen wird.« Obgleich ich keine Neigung fühlte, die Gefälligkeit weiter zu treiben, als man billigerweise von mir verlangen konnte, sah ich doch voraus, daß ich schließlich der Angeführte sein und daß meine arme C. C. einem Taschenspielerstückchen zum Opfer fallen würde. Ich konnte mich weder dazu entschließen, dies gutwillig geschehen zu lassen, noch dazu, dem Plan Hindernisse in den Weg zu legen. Auch hielt ich meine kleine Frau nicht für fähig, sich zu irgend einer Ausschreitung hinreißen zu lassen, die mir hätte mißfallen können, und darum wiegt ich mich in eine gewisse halbe Sicherheit ein, darauf vertrauend, daß es doch einige Schwierigkeiten machen würde, sie zu verführen. Dumme Einbildung! Eitelkeit und falsche Scham hinderten mich, von meinem gesunden Menschenverstand Gebrauch zu machen. Das ganze Ränkespiel versetzte mich in eine Art von Fieber, denn ich fürchtete die Folgen, und doch stachelte die Neugier mich dermaßen, daß ich selber die Entwickelung beschleunigte. Ich wußte, daß die zweite Auflage des Soupers jedenfalls nicht eine Wiederholung derselben Komödie bedeuten würde; ich sah voraus, daß es sehr beträchtliche Abänderungen geben würde.
Um es kurz zu machen – ich glaubte, meine Ehre verlange von mir, mein Verhalten nicht zu ändern. Immerhin stand es bei mir, den Ton anzugeben, und ich nahm mir vor, alle Klugheit aufzubieten, um ihre Absichten zuschanden zu machen.
Alle diese Überlegungen wiegten mich in eine halbe Zuversicht, zittern machte mich nur C. C.s Unerfahrenheit; denn mit allen Kenntnissen, die sie sich neuerdings erworben hatte, war sie doch immerhin noch Anfängerin. Sie konnte sich verpflichtet glauben, höflich zu sein, und diesen Glauben konnte man mißbrauchen. Diese Besorgnis war bald zerstreut durch mein Vertrauen zu M. M.s Zartgefühl. Sie hatte gesehen, in welcher Weise ich sechs Stunden mit dem jungen Mädchen verbrachte; sie wußte bestimmt, daß ich die Absicht hatte, sie zu heiraten: und so dünkte mich, ich dürfte sie eines so niedrigen Verrates nicht für fähig halten. Aber alle diese Überlegungen waren weiter nichts als Gedanken eines schwachen und sich vor sich selber schämenden Eifersüchtigen, und deshalb führten sie zu nichts. Ich mußte die Dinge gehen lassen und dann sehen, was zu tun wäre.
Zur verabredeten Stunde war ich im Kasino und fand meine schönen Freundinnen vor dem Feuer sitzen. »Guten Abend, meine beiden Göttinnen! Wo ist unser liebenswürdiger Franzose?«
»Er ist noch nicht gekommen,« antwortete M. M.; »aber kommen wird er ohne Zweifel.«
Ich nahm die Maske ab, setzte mich zwischen sie und gab ihnen tausend Küsse, wobei ich sorgfältig darauf achtete, keine von ihnen zu bevorzugen; obgleich sie ja beide wußten, daß ich unbestreitbare Rechte auf sie beide hatte, blieb ich doch in den Schranken einer anständigen Zurückhaltung. Ich machte ihnen tausend Komplimente über ihre gegenseitige Zuneigung und bemerkte, daß sie sehr befriedigt waren, darüber nicht erröten zu brauchen.
Länger als eine Stunde verbrachten wir mit galanten und freundschaftlichen Gesprächen, ohne daß ich mir, obwohl vor Liebe glühend, irgend eine Befriedigung meines Verlangens erlaubt hätte; denn M. M. zog mich mehr an als C. C., aber um alles in der Welt hätte ich das reizende Kind nicht kränken mögen. M. M. begann wegen des Ausbleibens des Herrn de Bernis einige Unruhe zu zeigen, da trat die Hausmeisterin ein und gab ihr einen Brief von ihm:
»Ein Kurier,« schrieb er, »der vor zwei Stunden ankam, verhindert mich heute Nacht glücklich zu sein, denn ich bin genötigt, sie mit der Beantwortung der empfangenen Depeschen zu verbringen. Ich hoffe, daß Sie nicht nur mir verzeihen, sondern mich auch beklagen werden. Darf ich hoffen, daß Sie mir für Freitag das Vergnügen bewilligen, dessen das Schicksal mich heute beraubt? Lassen Sie mich dies morgen wissen. Ich wünsche Sie in derselben Gesellschaft zu finden, die ich Sie herzlich von mir zu grüßen bitte.«
»Schade!« sagte M. M.; »aber es ist nicht seine Schuld, so werden wir zu dritt soupieren. Wirst du Freitag kommen?«
»Gewiß, mit Vergnügen. Aber was hast du denn, meine liebe C. C.? Du machst ja ein ganz trauriges Gesicht.«
»Traurig – nein. Das könnte höchstens wegen meiner Freundin sein; denn ich habe niemals einen so höflichen und zuvorkommenden Menschen gesehen.«
»Nun, es freut mich sehr, meine Liebe, daß er Eindruck auf dich gemacht hat.«
»Eindruck auf mich! Kann man denn gegen seine Vorzüge blind sein?«
»Noch besser! Aber ich bin vollkommen mit dir einverstanden. Sage mir nur, ob du ihn liebst.«
»Nun, wenn ich ihn liebte, so wäre damit noch nicht gesagt, daß ich es ihm gestehen würde. Übrigens bin ich gewiß, daß er meine Freundin liebt.«
Mit diesen Worten stand sie auf und setzte sich M. M. auf den Schoß. Sie nannte sie ihre kleine Frau und meine beiden Schönen fingen an, sich auf eine Art zu liebkosen, daß ich mich hätte totlachen mögen. Weit entfernt, sie in ihrem Spiel zu stören, trieb ich sie noch an, um den Genuß eines Schauspiels zu haben, das ich seit langer Zeit kannte.
M. M. nahm eine Mappe mit Kupferstichen, auf denen die wollüstigsten Stellungen abgebildet waren, und fragte mich mit einem bedeutungsvollen Augenzwinkern: »Ist es dir recht, wenn ich im Alkovenzimmer Feuer machen lasse?« Auf ihren Gedanken eingehend, antwortete ich: »Du wirst mir damit ein Vergnügen machen; das Bett ist ja so groß, daß wir alle drei ganz bequem darin liegen können.« Ich erriet, daß sie befürchtete, ich könnte ihren Freund im Verdacht haben, sich den Anblick unseres Trios verschaffen zu wollen ; sie wollte durch ihren Vorschlag diesen Verdacht beseitigen, ohne näher darauf einzugehen.
Der Tisch wurde vor dem Alkoven gedeckt und das Essen aufgetragen. Wir aßen mit erstaunlichem Appetit, und die Damen blieben nicht hinter mir zurück. Während M. M. ihrer Freundin zeigte, wie der Punsch zubereitet wird, betrachtete ich mit Vergnügen die Fortschritte, die C. C.s Schönheit gemacht hatte. »Dein Busen«, sagte ich zu ihr, »muß in den letzten neun Monaten vollendet schön geworden sein.«
»Er ist wie der meinige,« sagte M. M., »willst du selber darüber urteilen?«
Da ich nicht nein sagte, machte sie sich ans Werk und schnürte ihrer Freundin, die sich das ruhig gefallen ließ, und sich selber das Mieder auf. In weniger als zwei Minuten sah ich vier wetteifernde Brüste vor mir, die um den Preis des Apfels streiten konnten, wie einst die drei Göttinnen. Es wäre dem schönen Paris schwer geworden, den Preis ohne Ungerechtigkeit zu vergeben. Brauche ich zu sagen, welches Feuer dieser entzückende Anblick durch meine Adern goß? Sogleich legte ich die Académie des Dames auf den Tisch und zeigte M. M. eine der Gruppen. Sie begriff meinen Wunsch und fragte: »Was meinst du, Liebste? Sollen wir diese Gruppe in Natur darstellen?« Ein zustimmender Blick war C. C.s Antwort; sprechen tat sie nicht – sie war noch nicht so kampfgewöhnt wie ihre Lehrmeisterin. Während ich fröhlich lachte, machten meine beiden Schönen sich bereit, und bald sahen wir uns alle drei im Zustande der einfachen Natur auf dem Bett.
Zunächst blieb ich nur Zuschauer bei dem Scheinkampfe, den meine beiden Bacchantinnen miteinander ausfochten; ich freute mich ihrer Bewegungen und des Farbenkontrastes, denn die eine war blond, die andere schwarz. Bald aber war ich selber von allen Feuern der Wollust durchglüht: ich stürzte mich auf sie und ließ sie abwechselnd in Liebe und Glück ihre Seele verhauchen.
Als wir alle drei bis zur Erschöpfung ermüdet waren, forderte ich sie auf, sich mit mir der Ruhe hinzugeben, und wir schliefen, bis der Wecker rasselte, den ich vorsorglich auf vier Uhr gestellt hatte. Wir waren sicher, die zwei Stunden, die uns bis zum Scheiden noch blieben, wohl anzuwenden.
Beim Morgengrauen trennten wir uns; wir waren erschöpft und mußten zu unserer Demütigung uns dies eingestehen, aber zugleich waren wir miteinander zufrieden und voller Sehnsucht nach einer baldigen Wiederkehr der gleichen Wonnen.
Als ich am anderen Morgen an diese allzu muntere Nacht zurück- dachte, fühlte ich Gewissensbisse. Wie üblich hatte die Liebe die Vernunft über den Haufen geworfen. M. M. wollte mich überzeugen, daß sie mich liebte; darum schmückte sie ihre Liebe mit allen Tugenden, auf die meine Liebe Wert legte: Ehre, Zartgefühl und Aufrichtigkeit. Aber ihr Geist war Sklave ihres Temperaments, und dieses riß sie zu Ausschweifungen fort. Auf solche zielten alle ihre Vorbereitungen ab, und sie wartete nur auf den Augenblick, wo sie mich zu ihrem Helfershelfer machen würde. Sie streichelte den Gegenstand ihrer Liebe, um ihn schmiegsam und fügsam zu machen, weil ihr Herz von ihren Sinnen beherrscht wurde und ihr keinen Vorwurf machte. Sie suchte sich selber zu täuschen, indem sie sich nicht eingestehen wollte, daß ich mich vielleicht darüber beklagen konnte, von ihr überrumpelt worden zu sein. Aber sie wußte, daß ich dies nur tun konnte, wenn ich mich als schwächer oder weniger tapfer bekannte, und sie rechnete auf mein Schamgefühl. Ich bezweifelte nicht im geringsten, daß das Ausbleiben des Gesandten absichtlich und mit ihr verabredet gewesen war. Ja noch mehr: für mich lag es auf der Hand, daß die beiden Verschwörer vorausgesehen hatten, ich würde ihren feinen Plan durchschauen und würde, an meiner empfindlichsten Stelle gepackt, nicht weniger hochherzig erscheinen wollen als sie. Der Gesandte hatte mir zuerst eine köstliche Nacht verschafft – wie konnte es mir beifallen, ihm eine gleiche vorzuenthalten? Meine Freunde hatten ganz richtig gerechnet; so sehr sich auch mein Gefühl dagegen auflehnte, so sah ich doch, daß ich für meine Person mich ihrem Siege nicht entgegenstellen durfte. C. C. machte ihnen keine Verlegenheit; sie waren ihres Sieges über sie gewiß, sobald ich sie nicht mehr durch meine Anwesenheit störte. Dafür hatte M. M. zu sorgen, die sie völlig unter ihre Herrschaft gebracht hatte. Das arme junge Ding! Ich sah sie auf schlechten Wegen – und ich war schuld daran! Ich seufzte vor Schmerz bei dem Gedanken, daß ich bei unserer letzten Orgie die beiden Mädchen nicht geschont hatte, und was wäre geschehen, wenn sie beide gleichzeitig sich in der Lage gesehen hätten, aus dem Kloster fliehen zu müssen! Ich sah bereits, wie ich sie alle beide auf dem Halse hatte, und die Aufsicht auf so reichen Segen war nicht glänzend! Es war ein sehr wenig angenehmes Zuviel des Guten. In diesem unglückseligen Widerstreit zwischen Vernunft und Vorurteil, Natur und Gefühl konnte ich zu keinem Entschluß kommen, ob ich am Souper teilnehmen sollte, oder nicht. »Wenn ich hingehe, wird die Nacht in vollkommenstem Anstand verlaufen; aber ich werde mich lächerlich machen, werde als eifersüchtig, undankbar, ja sogar unhöflich dastehen; bleibe ich fort, so ist C. C. verloren, wenigstens für mich; denn ich fühle, daß ich sie nicht mehr lieben werde, und jedenfalls kann von Heiraten nicht mehr die Rede sein.« Ich fühlte in meiner Ratlosigkeit, daß ich das Bedürfnis hatte, mich auf etwas Gewisseres als auf Wahrscheinlichkeiten zu stützen. Ich maskierte mich und ging stracks nach dem Palast des französischen Gesandten. Ich wandte mich an den Schweizer und sagte ihm, ich hätte einen Brief für Versailles und es wäre mir sehr angenehm, ihn dem Kurier mitgeben zu können, der zurückreisen sollte, sobald er die Depeschen von Seiner Exzellenz erhalten hätte.
»Aber, mein Herr,« sagte der Schweizer, »seit zwei Monaten haben wir keinen außerordentlichen Kurier hier gehabt!«
»Wie? Es muß doch gestern einer angekommen sein!«
»Der müßte durch die Dachlucke oder den Schornstein gekommen sein; durch die Tür, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, ist keiner gekommen.«
»Aber der Herr Gesandte muß die ganze Nacht gearbeitet haben.«
»Das ist wohl möglich, aber nicht hier. Denn Seine Exzellenz hat beim spanischen Gesandten soupiert und ist erst sehr spät nach Hause gekommen.«
Ich hatte richtig geraten; ein Zweifel war nicht mehr möglich. Der Würfel war gefallen, ich konnte in Ehren nicht mehr zurücktreten. C. C. mußte sich selber ihrer Haut wehren, wenn die Sache nicht nach ihrem Geschmack war; Gewalt würde man ihr ja nicht antun.
Gegen Abend begab ich mich eigens nach Murano ins Kasino, um M. M. ein Briefchen zu schreiben. Ich bat sie, zu entschuldigen, daß eine wichtige Angelegenheit, die Herrn von Bragadino beträfe, mich verhinderte, die Nacht mit ihr und unseren beiden Freunden zu verbringen; ich bat sie, diese von mir zu grüßen und mich auch bei ihnen zu entschuldigen. Nachdem ich diese schöne Tat vollbracht hatte, fuhr ich nach Venedig zurück; um mich zu zerstreuen, ging ich in den Spielsaal und verlor die ganze Nacht hindurch.
Am dritten Tage ging ich wieder nach Murano, da ich überzeugt war, dort einen Brief von M. M. vorzufinden. Wirklich gab die Hausmeisterin mir ein Päckchen, worin ich einen Brief von meiner Nonne und einen von C.C. fand, denn zwischen ihnen war jetzt alles gemein geworden.
C. C. schrieb mir:
»Es tat uns wirklich sehr leid, lieber Freund, als wir hörten, daß wir nicht das Glück haben würden, Dich zu sehen. Eine Viertelstunde darauf kam der Freund meiner teuren M. M.; auch ihm tat es sehr leid, als er Dein Briefchen las. Wir glaubten, wir würden ein sehr trübes Souper haben; aber die hübschen Bemerkungen unseres Kavaliers machten uns lustig, und Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ausgelassen wir wurden, als wir Champagnerpunsch getrunken hatten. Unser Freund war ebenso ausgelassen wie wir, und wir verbrachten die ganze Nacht mit Trios, die uns nicht ermüdeten, sondern sehr belustigten. Ich versichere Dir, er ist ein reizender Mensch, den man liebhaben muß; aber er muß sich selber eingestehen, daß er in jeder Beziehung unter Dir steht. Sei überzeugt, daß ich Dich stets lieben werde und daß Du stets der Herr meines Herzens sein wirst.«
Trotz meinem Verdruß mußte ich über diesen Brief lachen. Aber M. M.s Brief war noch viel eigentümlicher. Er lautete: »Ich bin überzeugt, mein Herz, Du hast aus reiner Höflichkeit gelogen; aber Du hattest erraten, daß ich das erwartete. Du wolltest damit unserm Freund ein prachtvolles Gegengeschenk machen für jenes, das Du von ihm erhalten hast, indem er sich nicht widersetzte, als deine M. M. Dir ihr Herz hingab. Du besitzest es ganz und gar, mein Freund, und Du würdest es auch ganz allein besitzen, wenn es nicht so süß wäre, die Freuden der Liebe mit allen Reizen der Freundschaft zu würzen. Es hat mir leid getan, Dich nicht zu sehen; aber ich habe wohl gefühlt, daß es nicht sehr lustig für uns geworden wäre, wenn Du dabei gewesen wärst; denn unser Freund hat trotz all seinem Geist doch noch einige ihm angeborene Vorurteile. C. C.s Geist ist jetzt so frei wie der unsrige, und ich schätze mich glücklich, daß Sie diese Wohltat mir verdankt. Auch Du mußt mir Dank dafür wissen, daß ich ihre Ausbildung vollendet und sie ganz und gar Deiner würdig gemacht habe. Recht gern hätte ich Dich in dem Versteck des Kämmerchens in unserer Nähe gehabt: ich bin überzeugt, Du hättest dort köstliche Stunden verbracht. Mittwoch werde ich in Deinem Kasino in Venedig mit Dir allein und ganz Dein sein: laß mich wissen, ob Du Dich zur gewöhnlichen Stunde beim Denkmal des Helden Colleoni einfinden wirst; willst Du nicht kommen, so bestimme mir irgend einen anderen Tag, der Dir paßt.«
Ich mußte diese beiden Briefe im gleichen Ton beantworten, und trotz der Bitterkeit, die ich durch alle meine Adern strömen fühlte, mußten meine Antworten süß sein wie Honigseim. Dies kostete mir viel Überwindung; aber mir fiel zur rechten Zeit das Wort ein: Du hast's gewollt, George Dandin. Ich konnte mich nicht sträuben, die Strafe für meine Handlungen auf mich zu nehmen, und es ist mir niemals ganz klar gewesen, ob die Scham, die ich empfand, sogenannte falsche Scham war. Ich will denn auch dieses Problem ungelöst lassen.
In meinem Brief an C. C. besaß ich den Mut oder die Unverschämtheit, ihr Komplimente zu machen und sie sogar zu ermutigen, sie möchte es so machen wie M. M.; ein besseres Vorbild könnte ich ihr nicht empfehlen.
Meiner Nonne schrieb ich, sie würde mich pünktlich beim Denkmal finden; doch sagte ich ihr auch unter einer Menge von falschen Komplimenten, aus denen sie den Zustand meines Herzens hätte entnehmen können: ich bewunderte die vollendete Erziehung, welche C. C. durch sie erhalten hätte, aber ich wünschte mir Glück, nicht zur Folter des Beobachterpostens verdammt gewesen zu sein; denn ich fühlte, daß ich diese nicht hätte aushallen können.
Pünktlich war ich am Mittwoch zur Stelle, und ich brauchte nicht lange auf M. M. zu warten. Sie kam als Mann verkleidet. »Heute Abend kein Theater!« rief sie; wir wollen nach dem Ridotto gehen und unser Geld verlieren oder verdoppeln.« Sie hatte sechshundert Zechinen bei sich, ich etwa hundert. Das Glück wandte uns den Rücken, und wir verloren alles. Ich hoffte, wir würden jetzt die Spielhölle verlassen, aber sie entfernte sich für einen kurzen Augenblick und kam mit einer Börse voll Gold wieder; ihr Freund, den sie zu finden gewußt, hatte ihr dreihundert Zechinen gegeben. Dieses Geld der Liebe oder der Freundschaft brachte ihr einen Augenblick Glück, denn sie gewann alles zurück, was wir verloren hatten ; aber aus Habsucht oder Unverstand spielten wir weiter und hatten bald keinen Heller mehr.
Als wir durchaus nicht mehr weiter spielen konnten, sagte sie sofort: »Komm! Jetzt brauchen wir keine Räuber mehr zu fürchten. Auf zum Souper!«
Sie war Nonne, Freigeist, Weltdame, Spielerin und ein wunderbares Weib in allem, was sie tat. Sie hatte zwölftausend Franken verloren, und ihre Laune war so ungetrübt, wie wenn sie beträchtlich gewonnen hätte. Allerdings hatte es ihr geringe Mühe gekostet, das verlorene Geld zu bekommen.
Als wir allein waren, fand sie mich traurig und zerstreut, obgleich ich mir Mühe gab, es nicht merken zu lassen. Sie aber war genau so wie sonst: schön, glänzend, fröhlich und verliebt.
Sie glaubte mich zu erheitern, indem sie mir die Vorgänge der mit C. C. und ihrem Freunde verbrachten Nacht in allen Einzelheiten erzählte; aber sie hätte ahnen müssen, daß dies ein Mißgriff von ihr war. Aber dies ist ein Irrtum, den alle Welt begeht. Er beruht auf einer falschen Anschauung: man nimmt an, daß die anderen in der gleichen Stimmung sind, in der man sich selber befindet.
Ich war wie auf Kohlen und drehte und wand mich, um dem Thema auszuweichen und die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet zu bringen; denn die wollüstigen Einzelheiten, die sie mir mit besonderem Vergnügen beschrieb, verdrossen mich, und da Verdruß abkühlend wirkt, so fürchtete ich, ich würde vielleicht in dem bevorstehenden Liebeskampf eine traurige Figur spielen. Und wenn ein Liebender an seinen Kräften zweifelt, kann er fast immer annehmen, daß diese ihm versagen werden.
Nach dem Essen legten wir uns im Alkoven zu Bett. Die Schönheit, die körperlichen und geistigen Reize, die Anmut und das Feuer meiner herrlichen Nonne verjagten bald meine schlechte Laune und versetzten mich in die beste Stimmung. Da die Nächte schon kürzer waren, verbrachten wir die ganzen zwei Stunden, die uns zu Gebote standen, in den süßesten Liebesspielen; dann trennten wir uns zufrieden und glücklich. Vorher bat M. M. mich noch, in ihr Kasino zu gehen, dort Geld zu holen und mit ihr auf Halbpart zu spielen. Ich tat es und nahm alles Geld, das ich fand. Damit spielte ich die Martingale, indem ich stets die Sätze verdoppelte; ich gewann bis zum Ende des Karnevals täglich. Ich hatte das Glück, niemals die sechste Karte zu verlieren; und wenn mir das passiert wäre, so hätte ich kein Spielkapital mehr gehabt, denn dieser sechste Satz betrug zweitausend ZechinenDer erste Satz betrug also etwa sechzig Zechinen und Casanova riskierte in seinen sechs Sätzen ungefähr 50 000 Franken. Ein kühnes »System«.. Ich freute mich, den Schatz meiner teuren Geliebten vermehrt zu haben. Sie schrieb mir, wir müßten anstandshalber am Rosenmontag selbviert soupieren, und ich erklärte mich bereit.
Dieses Souper war zugleich mein letztes Beisammensein mit C. C. Sie war sehr vergnügt; als sie aber sah, daß ich meinen Entschluß gefaßt hatte und mich nur mit M. M. beschäftigte, machte sie es, ohne sich zu genieren, genau so wie ich und widmete sich ausschließlich ihrem neuen Liebhaber.
Ich sah voraus, daß wir ein bißchen später unfehlbar uns gegenseitig im Wege sein würden, und bat daher M. M., es so einzurichten, daß wir getrennt wären; dies machte sie denn auch ganz vortrefflich.
Nach dem Essen schlug der Gesandte vor, eine Pharaobank aufzulegen. Dieses Spiel kannten unsere Schönen nicht, denn im Ridotto wurde nur Bassette gespielt. Er ließ Karten kommen, legte hundert Doppellouisdor auf den Tisch und hielt die Bank, wobei er es so einzurichten wußte, daß C. C. die ganze Summe gewann. Es war das Nadelgeld, das er ihr schuldig zu sein glaubte. Das junge Mädchen war ganz verwirrt, sie wußte nicht, was sie mit all dem Golde anfangen sollte, und bat ihre liebe Freundin, es für sie aufzuheben, bis sie das Kloster verließe, um sich zu verheiraten.
Als das Spiel zu Ende war, sagte M. M., sie habe Kopfweh und wolle sich im Alkoven zu Bett legen; mich bat sie, ich möchte sie einschläfern. Wir ließen also den Neuverliebten freie Hand, sich miteinander zu erlustigen. Als sechs Stunden später der Wecker uns mahnte, daß es Zeit zur Trennung sei, fanden wir sie schlafend einander in den Armen liegen. Ich selber hatte eine ruhige Nacht der Liebe verbracht; ich war mit meiner M. M. zufrieden und hatte nicht einen einzigen Augenblick an C. C. gedacht.