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Im Frühjahr starb Sixta. Das Sterben der alten Bäuerin war still und groß in seiner Sicherheit, so wie das Leben der Frau. Es war ein Spiel der inneren Kraft.
Morgens, ohne aufzufallen, es läutete das Sonntagfrühglöckchen auf dem kleinen Zwiebelturm der Erlenmooskapelle, schritt Sixta, hochfestlich gerüstet aus dem Haus, rief Magdalen in den Stall, sie wandle auf den Michelshof, um von dort aus nach Buchenbronn in die Kirche zu fahren, wie sie es Urban schon lang versprochen habe.
Magdalen wünschte ihr, ohne genau auf die Mutter zu schauen, gute Andacht. Auch vernahm sie nicht vor lauter Melkeifer das Beben in Sixtas Stimme. Sebald, der Bauer, trat in weißen Hemdsärmeln unter die Haustür, als Sixta eben aus dem Hofe schritt. Er blickte ihr fast gedankenlos nach, dennoch fiel ihm auf, daß sie oft zurückschaute und zuweilen, während sie den sanft ansteigenden Weg zum vorderen Schiltebachtal nahm, stehenblieb, als falle ihr das Atemholen schwer. 101
»Sie wird anfangs wunderlich«, dachte Sebald bei sich, »schad drum, so eine Schwiegermutter kann man mit der Laterne suchen weit und breit und findet keine, so eine gute, freundliche Frau, die nie Streit sät oder mit mißgünstigen Augen im Hauswesen umeinander schnüffelt.«
Sein Glück blühte ihm in diesem zart verschleierten Frühjahrsmorgen besonders schön ins fröhliche Gemüt. Er wandte den Blick ab von der schwarzen Gestalt der alten Bäuerin und suchte Augenweide am heiteren, lebhaft von kleinen weißen Wölkchen getupften Himmel. Aus dem Taubenschlag unterm Walmdach der Südseite seines Hauses huben die stahlblauen Tiere ihren schön geordneten Morgenflug an.
Linus, sein ältester Bub, trat aus der Kapelle; er hatte das Glöckchen in Bewegung gesetzt. Nun wollten sie anschirren, um nach Sonnenkirch zu fahren.
Linus hatte die rechte Hand im Sack, trat vor den Vater und sah ihn an, als habe er eine wichtige Frage auf der Zunge.
Die Großmutter hatte freilich gesagt, wenn er es verheben könne, solle er vor der Kirche noch nichts zum Vater sagen, zur Mutter schon gar nicht. Aber er konnte es kaum verheben.
»Vater? –«
»Hem?«
»Vater, schauet her!«
Sebald löste langsam den Blick vom Himmel, geriet in des Buben leuchtend blaue Augen wie in einen zweiten Himmel.
»Vater, so schauet doch her?«
»Jetzt, Bub, woher hast du die Sackuhr?«
Er griff nach der braunen Knabenhand, die erst zurückzuckte, dann aber ruhig dem Vater die Kostbarkeit überließ.
Sebald wurde rot vor Schrecken, Scham und Zorn, er wähnte, Linus habe eigenmächtig von der Michelshoferin Kommode die Uhr ihres Mannes selig genommen.
Da berichtete Linus schon, die Großmutter sei auf einmal in der Kapelle neben ihm gestanden, er habe sie nicht kommen hören, und sie habe ihm die Uhr gereicht und ihm über das Haar gestrichen und gesagt, sie gehöre ihm, und daß er es dem Vater mitteilen solle, der Mutter brauche man ja noch nichts zu berichten.
»Jetzt aber auch, jetzt aber –«, stammelte Sebald, der 102 Bauer, der alles begriff, die hochfestliche Gewandung der Michelshoferin, das Verweilen mit den Blicken wie abschiednehmend beim Gehen. Sie pilgerte heim, um zu sterben! Fast schoß dem gestandenen Manne das Wasser in die Augen, doch riß er sich zusammen. Sixtas Willen wollte er achten. Er begriff so sehr die alte Frau. Sie wollte ohne Geschrei dahin, wo der Weg aus der Erdenheimat in die ewige Heimat führte.
»Gott geb ihr einen ringen Tod«, betete der Bauer für sich. Gab Linus die Uhr zurück, mahnte: »Gib Sorg drauf, bist ja groß genug dazu, die Großmutter hat dir eine Weltsfreud machen wollen. Bet fromm für sie in der Kirch. Und der Mutter verraten wir noch nichts!« Linus nickte altklug schweigend, schwang jählings die schmalen Schultern nach hinten, wie um sich größer und männlicher zu machen und sagte kühl: »Jetzet, spannen wir an.«
Das taten sie. Dabei merkte Sebald, der Bauer, daß ihm die Hände vor Zittern kaum gehorchen mochten.
*
Indessen gab sich Sixta, die Bäuerin, große Mühe, den Weg von zwanzig Minuten auf schier eine Stunde auszudehnen. Sie hatte einen ganz genau gezirkelten Plan, den sie zäh einhielt.
Es war ein so schöner Morgen, es hätte Ostersonntag sein können. Der war schon seit zwei Wochen vorbei und noch voll rauher Kälte und Schneeluft gewesen. Heut, ja heut – Auferstehung. Welt lag in Banden – Christ ist erstanden, freue, freue dich – – – –
Sixta Götz summte wahrhaftig vor sich hin. Obschon ihr Herz rasend schlug und auf einmal aussetzte, daß sie stehenbleiben mußte und meinte, es sei fertig mit ihr. Angst würgte sie, doch ging das schnell vorüber. Sixta glaubte, sie träume vom Albdrücken, wache auf und sähe den Himmel offen, frei und licht. Das Ziehen in der Herzgegend ließ zwar nicht nach, aber man vergaß das, vergaß alle Gebresten.
»Ach hier, ja, die ersten Äcker vom Michelshof. Grün und weich wie Sammet, das ist wohl Wintergerste. Ja und dort, guck, guck, jetzt haben sie da auch Frucht hingemacht. Die gedeiht sicherlich, der Boden ist seit drei Jahren geschont und 103 gedüngt mit Lupinen. Ja, der Urban versteht sein Sach.« Sixta sprach über jeden Acker, den sie streifte, ein Segenswort.
Sie schlug, um nicht auf die belebte Buchenbronner Straße zu müssen, einen schmalen Weg durch Wiesen ein. Er war feucht und vielfach von Frühjahrsquellen überrieselt. Doch das focht sie nicht an. Sie setzte Schritt vor Schritt, ganz langsam, verhielt sich nicht mehr. Sie sah den Uhrenmichelshof im Sonnenglanz liegen, und die Augen gingen ihr über. Nun setzte der Herzschlag wieder aus. »O Gott, o Gott, o Gott«, stöhnte sie, »laß mich erst heim.«
Der Schmerz verzog sich wieder. So behend sie konnte, legte Sixta noch das Stückchen Weg zurück.
Nur ein Hüterbub lungerte im Hof herum, als die alte Frau dort ankam und erfuhr, Urban und Flur und der Knecht seien in der Kirche, Martin auf der Jagd. Sie atmete auf. Nun konnte sie unbefragt und ungestört nochmal durch alle Stuben und Kammern, vor allem in der Ehrenstube still sitzen, wo es ihr immer besonders gefallen hatte.
Ach Gott, wie schön war es hier! Alles so sauber wie geschleckt; das Weibswesen, die Sohnsfrau Flur, machte ihr Sach recht. Im Schopf betrachtete sie die Maschinen. Sie billigte Urbans Errungenschaften. Sie knipste mehrmals lächelnd wie ein Kind Licht an und aus. Im Stall koste sie die Kühe. Als sie dort war, hielt sie sich merkwürdig aufrecht. »Sterni«, sagte sie leise zur ältesten Kuh. Es lag ein zärtlicher Ton drin, als sie dem großen, hellen Tier über die schwere Halswampe strich. »Sterni, bist eine saubere Kalbin gewesen, als ich aus dem Hof zog, bist gleich mir ein abgestanden Geripp geworden.« Sterni wandte den schwer gehörnten Kopf und muhte weich und leis. Sixta schritt weiter, ihre faltenreiche Tuchhippe rauschte. Sie hob den Rock ein wenig auf, um ihn nicht mit Streu zu beschmutzen. »Neue Mode, Michelshoferin, auf die alten Tag mit dem besten Zeug im Stall umeinander zu schweifen«, schalt sie sich gutmütig spöttelnd.
Hernach saß sie eine Weile unter den Bildern der Eltern ihres Mannes Markus, Stoffel und Agathe, ließ alle ihre Lieben an sich vorüberziehen, geriet ins Träumen und Grübeln.
Markus, ihr Bauer, stand auf einmal am Fenster wie früher 104 und blickte still hinaus gegen den Wald. Der Himmel leuchtete blau herein.
Jetzt wandte Markus das Gesicht in die Stube, schmal und helläugig jung wie damals in den ersten Ehejahren. Er konnte ganz selten so zart und fremd in seiner Liebe lächeln, wie er es jetzt tat. So trat er auf Sixta zu, legte ihr ein Paket in den Schoß. Ach, das war wohl jene schöne, schwarzseidene Schürze, die er ihr geschenkt an einer Weihnacht. Wie damals sagte er bloß: »Liebe Frau.«
Gott, wie schwer, wie schwer war das Paket nur, aber wie tröstlich warm das Wort: »Liebe Frau.«
Schwer, schwer – trotzdem mußte man lächeln. Sixta schlief ein.
*
Als Urban aus der Kirche heimkam, traf er Martin im Hofe, der eben den Blessings aus dem Kütschlein steigen half. Es ging laut und fröhlich zu. Sälme gab Urban die Hand. Sie allein waren gelassen still. Als erste betraten beide die Stube. Da saß die Mutter im Ofenwinkel, hochfestlich gekleidet, und schlief mit blühweißem Angesicht, auf dem ein Lächeln stand.
Sie sahen sofort, daß sie tot war, eingegangen in die letzte Heimat.
Sie falteten die Hände und standen schweigend. Martin kam herein und seufzte schwer, schwieg, und dann kam Flur, Genoveva mit den Kindern. Michael Blessing trat vor, beugte die Knie und küßte der entschlafenen Mutter die Hände, die gefaltet auf der Schürze ruhten.
Melchior, der Knecht, sprang ins Erlenmoos hinüber und sagte den Tod der Bäuerin Sixta dort an. In Hast und Tränen kamen Magdalen und Sebald und Linus mit den anderen sechs Kindern. Die Stube war voller Menschen und dennoch voller Stille, als atme niemand mehr.
»Die Sackuhr«, dachte Sebald tief erschüttert.
Die kleine Sixta, Genoveva Blessings sechstes Kind, weinte plötzlich laut hinaus und brach den Schmerzensbann in den Seelen der Traurigen. Man begab sich in die Ehrenstube, indessen die Männer den Sarg von der Bühnenkammer holten, hier stand immer einer bereit, und mit Hilfe der drei Schwestern 105 Magdalena, Genoveva und Salomea die Mutter zur ewigen Ruhe betteten.
Flur, scheu und einsam, bereitete in der Küche auf flammendem Feuer den Kaffee, um die Trauernden zu stärken.
Der Hof lag still, als wäre kein Mensch darinnen. Vergelstert hockten die Kinder bei den Großen, die jetzt, da man die tote Bäuerin in der Ehrenstube aufgebahrt, in der großen Stube sich versammelt hatten, und horchten auf die seltsam ernsten Gespräche der Erwachsenen. Es kam der Buchenbronner Doktor mit dem Pfarrer, darnach eine Amtsperson wegen der Erbschaft, darnach schon Bauern, denen die Kunde unterwegs angeflogen war: Die Michelshoferin ist tot. Schwarze Gestalten gingen bis in die Nacht hinein aus und ein im Michelshof.
Und zu Häupten der Abgeschiedenen brannten in den alten böhmischen Glasleuchtern die selbstgezogenen Wachskerzen. Die kamen auf eigene Art ins Haus. Mutter Sixta hatte sorgsam in einem Stück weißrotgewürfeltem Stoff eingewickelt ein Päckchen mitgebracht und auf die Truhe in der Ehrenstube gelegt. Als Flur einmal hinein kam, um Sälme die Rosmarinzweige zu geben, die der Toten in die klammen Finger gelegt wurden, griff sie nach dem Päckchen, mehr aus Ordnungssinn denn aus Neugierde. Da spürte sie rund und lang aneinander vorübergleitende Gegenstände darinnen, und sieh, es waren Kerzen.
Hat die Frau also an alles gedacht, was den Tod und seine Umstände betrifft.
*
Sie fuhren sie zu Grabe, und nicht ein Haus war weit und breit, das unterließ, der Bäuerin auf den letzten Weg ein Geleit zu schicken.
Über die Berge her kam ein älterer Bauer im altertümlichen, langen, schwarzen Rock mit den großen Stoffknöpfen hoch im Kreuz, trug einen schwarzen niederen Zylinder mit breitem Rand, einen blühweißen Kragen mit langen Flügelecken. Wen er überholte, als er über den Siehdichfür schritt gen Schiltebach, der bot ihm wohl den Gruß ehrend, aber scheu, hinter ihm aber wurde geflüstert. Jedermann kannte den bedeutenden Kopf des Bauern, und alle wußten, was für einen besonderen Weg er ging. Es war Flore Fleigs Vater, der Lohrenhofer. Er schritt gelassen aus, den schweren Knotenstock zum Gehen 106 benützend, der notwendig zum wandernden Bauern gehörte, weil er doch sonst nicht gewußt hätte, wo die rechte Hand bleiben sollte. Die linke lag auf dem Rücken.
Mit scharfen Blicken sah der Lohrenhofer umher, er riß förmlich die Bilder der wenig gekannten Gegend an sich, prüfte die Wälder, die Äcker, ließ sich aber nicht herbei, einmal stehenzubleiben. Nur als man von der Höhe herab den Michelshof im Grund durch eine Waldluke liegen sah, verhielt er ein wenig, sagte etwas im Selbstgespräch und stapfte dann um so sicherer wieder weiter. Als er das erste Acker- und Weidland des Michelshofes berührte, murmelt er andauernd. Er schien erregt. Schien es nur. Seinem schmalen, ledergelben, von weißen Bartraupen seitlich abgeschlossenen Gesicht merkte man nicht das geringste an. Ruhig lag jeder Muskel, die graugrünen, umbuschten Altersaugen sahen kühl über die Dinge.
Er begab sich auf die Hofstatt, mußte dort einigen Bauern seiner Sippe die Hand reichen, tat es schweigend, wie sie in Schweigen standen. Die Weiber beachtete er gar nicht.
Als er die Stube betrat, sah ihn Flur sofort. Ihr Gesicht begann heftig zu zucken, sie strich allfort an ihrer steifen, schwarzen Taffetschürze hinab und fand keinen Laut. Der Vater schritt nach kurzem Spähblick pfeilgrad auf Urban zu und glaubte, es sei Flores Mann.
»Ich bin der Lohrenbauer«, sagte er.
Urbans Miene zeigte helles Staunen. Er faßte sich jedoch sofort, reichte dem Alten rasch die Hand, drückte sie ganz gegen Brauch und Sitte und rief nach Martin.
Martin maß den Vater seiner Frau ohne Überraschung und legte die Handfläche an die seine.
Verwirrt fragte der Lohrenhofer: »Wer ist jetzt der Bauer?«
Urban begriff. Er wies auf Martin. Der gefiel dem Fremden offenbar nicht; denn er drehte sich um und schaute auf Flur. Sie stand im Ofenwinkel, gegen die Wand gekehrt und weinte lautlos, doch so stark, daß ihre Schultern bebten, als wollten sie zu beiden Seiten hinunterbrechen. Der Lohrenhofer ging hin, fuhr ihr linkisch über den Rücken.
»No, no«, sagte er, »das ist doch jetzt nicht so arg. Grein nicht so unmäßig. Wegen dir bin ich nicht hergekommen. Zur Ehr der Michelshoferin bloß, 's ist der Brauch. Und ich hab 107 ihrer Mutter selig oft Auftrag gegeben früher. Es sind lauter brave Weibsleut gewesen, alle aus dem Uhrenwendelshaus. Die Sixta vorab . . . und ich hoff, du machst ihr keine Unehr im Heimwesen.«
»Sell nit«, mischte sich Martin ein, seiner Bäuerin aufhelfend, »ein bräver Weib gibt's selten als das meinig. Macht mir es nicht scheu, Lohrenhofer, es kann der Mutter selig das Wasser schon reichen.«
»Das ist gewiß«, bekräftigte Urban, der hinzutrat, weil er mit der schwankenden Gestalt Flurs Mitleid hatte. »Wir sind allsamt gut aufgerichtet mit Flur, sie schafft und schaut nach dem Rechten. Es gibt nichts zu tadeln.«
Die beiden Brüder stellten sich fast feindselig gegen den Alten, der auf den Boden schaute und mit der Spitze seines Stockes in kurzem, leisem Takt auf die Diele trommelte. Er warf jedoch auf einmal den Kopf empor wie ein entschlossenes Roß, blitzte die Brüder scharf an mit sehr herrischem Heischen. Sie verließen die Stube, achselzuckend. Martin rief noch Flur zu, als werfe er ihr ein Rettungsseil hin: »Mach, rüst dich fertig, sie tragen jetzt die Mutter herab.«
Aber sie mußte ja das Haus hüten.
»Bist ordentlich zuweg, Vater?« fragte Flur in das Schweigen, das jetzt in die Stube hineingebrochen war.
»Wohl, und du?«
»Auch.«
»Hast Kinder?«
»Einen Bub, Fabian.«
»Hm, der blond Schößling draus im Hof?«
»Derselbig.«
»Hm, warum hast den Schwarzen genommen, nicht den Hellen?«
Flur wurde rot und blaß. Sie wurde von Trotz überfallen. Hart sagte sie, bewußt dem Vater entgegen: »Hab den Hellen nicht wöllen.«
Der Alte stieß den Stecken auf die Diele: »Oder der Helle dich nicht, du störrige Rausel. Begehr noch auf du, sei froh, daß du auf so unverdiente Weis' wieder ehrlich worden bist.«
»Geschehen ist geschehen. Vorbei ist vorbei, Vater. Ich hab 108 mich in alles geschickt. Ganz alleinig. Und – bin froh, daß du mich aufgesucht hast. Das freut mich, solang ich leb.«
Flur schluchzte wieder heiß auf. Im selben Augenblick brachen oben in der Ehrenstube die Trauergäste der Michelshofsippe auf, der Sarg wurde die Stiegen herabgetragen.
»Alsdann«, sagte der Lohrenhofer hastig, »leb wohl, bleib gesund. Ich mach mich gleich heim nach der Leich. Es langt mir, daß ich gesehen hab, du machst mir keine Unehr. Sei alles begraben! Kannst vielleicht deinem Bauern den Lohrenhof zeigen. Wenn er mag. Dem anderen Lohrenhofer geht's recht, er hat jetzt acht Kinder. Es zappelt nur so im ganzen Geviert. Adje.«
Sie legten die Handflächen aneinander, Flur lächelte, der Bauer hüstelte ein wenig, stand wortlos noch einige Zeit und ging dann aus der Stube. Flur, die aus dem Fenster schaute, sah ihn sich unter die Männer mischen. Sein Rücken war auf einmal so gekrümmt. Er sah nicht auf noch um, nur auf die geballte Hand überm Stockgriff. Wer hätt es auch gedacht, daß er der nächste war weitum, den man begrub.
Flur blieb zurück im einsamen Michelshof, aus dem man langsam mit großem Geleit die Michelshofer Altbäuerin fuhr, auf dem von Tannengewinden bekränzten Leiterwagen. Sie blieb in der Stube mittendrin lange stehen und spürte großes Herzweh. Fabian, der auch daheim bleiben mußte, schlich sich zur Mutter, preßte den Kopf in ihre Röcke und rief sie ängstlich an. Ihre Starre schien ihm unheimlich nach all dem fremden Geschehen auf dem Hof. Da war vorhin ein alter Bauer plötzlich auf ihn zugeschossen, hatte ihn streng und fest angeschaut. Hatte hart gesagt wie von Grund auf böse: »Ich bin deiner Mutter Vater, der Lohrenhofbauer. Du siehst mich nicht mehr. Ich hoff, du bist und bleibst brav für alle Zeiten. Und da –«, hatte der Bauer noch gesagt und seine Uhr vom Brusttuch genestelt, »da trag sie in Ehren.«
Er wies der Mutter die Uhr. Als Flur die Uhr sah, weinte sie laut. Sie dachte sofort an die Bäuerin Sixta, die, auch den Tod spürend, ihrem Enkelbub die Uhr geschenkt hatte. Sie ahnte, was das nun auch bei dem Vater bedeutete. Als sie sich fassen konnte, setzte sie sich an den Ofen, zog den Burschen neben sich, legte die Uhr auf ihre starr gefaltete Taffetschürze und 109 begann wie im Traum dem lauschenden Knaben von ihrer Jugend und Heimat zu erzählen.
Sie hörten später bei einbrechender Dunkelheit die Bauern heimfahren vom Leichenbegängnis, sie schafften zu Nacht in träumenden Sinnen, hockten sich wieder hin, und Flur sprach weiter. Tief in der Nacht, Fabian war an ihrer Seite eingeschlafen, hörte Flur von weitem rauhes Singen. Sie brachte Fabian rasch ins Bett. Und eben als sie wieder in die Stube trat, stolperten Urban und Martin umschlungen herein, die sich die Erschütterungen der letzten Stunden mit Wein herzhaft von der Seele gespült hatten.