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An Pfingsten fuhr Markus in die Kirche. Kurz hinter dem Schwenkhof, der dem Fuhrhalter und Boten Gabriel Schwenk gehörte, holte er ein Mädchen ein, das sehr eilig ausschritt; denn es war spät daran für die Kirche. Es blieb aber stehen und trat auf den Wasen, um vom aufspritzenden Kot der Hufe und Räder nicht getroffen zu werden. Markus zog die Zügel an und rief, sie könne mitfahren. Das Mädchen lachte leise und schüttelte den Kopf: »Bin nur Magd.«
Das Lebtag freilich, wenn ein Großbauer mit einer Magd neben sich in der Kalesche zur Kirche führe!
Die Rösser zogen an und trabten weiter. Markus dachte: »Wer nicht will, der hat gehabt.«
An einer Kurve hielt er aber wieder und wartete. Das Mädchen rannte, daß die Röcke rauschten, den Schauben (Kittel) trug sie überm Arm, und sie war in blühweißen Hemdsärmeln. Sie stutzte, als sie das Fuhrwerk sah, und wollte dann vorübereilen. Markus trat ihr aber in den Weg, faßte sie am bloßen Arm und zwang sie aufzusteigen. Sie wehrte sich nicht. Ihr feuerrotes Gesicht blaßte langsam ab, und ihre Brust beruhigte sich. Markus ließ die Pferde traben. 9
»Wer bist du?« fragte er das Mädchen.
»Die Magd vom Schwenkengabriel, Sixta Ketterer.«
»Uhrenwendels Tochter?«
»Ja, die sechste vom Uhrenmacher Wendelin Ketterer.«
»Ihr habt viel Kinder?«
»O ja, man kann sie fast nicht zählen, zwölf sind's.«
»Und knapp im Futter?«
»Wir wurden immer satt«, sagte sie stolz und warf den Kopf zurück.
Sie waren jetzt nahezu am ersten Haus von Buchenbronn und wohl die letzten Kirchfahrer. Die Glocken läuteten zusammen. Man sah die gerade Straße vor bis auf den Kirchplatz, der dunkel voller Menschen stand. Sixta sprang plötzlich auf, fiel den Pferden in die Zügel, daß der Wagen hielt, sagte ihren Dank und stieg rasch ab. Markus schaute ihr stierend nach, als sie so schnell wie möglich davonlief. Dann fuhr er langsam bis zum »Adler«, schirrte ab, träumend, ging aber nicht in die Kirche, sondern in die Wirtsstube und bestellte ein Glas vom Besten.
Die Glocken läuteten den Gottesdienst aus. Da stand der Markus schon gerüstet neben dem Fuhrwerk, und nach dem Vaterunser zuckte er die Geißel und schwenkte auf die Straße hinaus, langsamen Schrittes heimwärts. Die Sixta wollte er abpassen, sie lag ihm im Sinne. Er stellte die Ohren wie ein Gaul und lauschte nach hinten. Leichtfüßig eilte jemand hinterdrein, aber es war eine andere. Lachend kamen mehrere. Wie sie vorüber wollten, erstaunt über den langsamen Gang des Doppelgespanns, entdeckte er Sixta dabei, die ihn nicht anschaute: aber ihr Gesicht war rot. Markus knipfte mit der Peitsche und sauste an ihnen vorüber. Er hatte eine Bestellung an den Boten ersonnen, kehrte im Schwenkenhof an und unterhielt sich mit Gabriels Weib, das im Garten stand und handgewebtes Linnen goß, damit es bleichte.
»Schönes Linnen«, lobte Markus.
»Sixta gehört es, unserer Magd.«
»Oh, des Uhrenwendels Tochter?«
»Eben die.«
»Fleißig?«
»Wohl, wohl, schaffig und brav.« 10
»Sie wird heiraten wollen«, entgegnete Markus mit einer Kopfbewegung auf das Linnen.
»Wenn's Gotts Will ist, noch nicht bald«, meinte die Bäuerin, »ich tät sie arg vermissen. Aber sie wird auch nicht, es ist kein Schatz noch um den Weg, und sie ist erst siebzehn Jahre alt.«
Markus wußte genug, wußte alles. Er raste davon wie besessen und kam mit triefenden Gäulen heim, riß die Büchse vom Nagel, ging in den Wald und schoß ins Blaue . . .
*
Sixta, die Magd, wurde sein Weib. Man hat dem jungen Paar seitens der Großbauern ringsum nicht viel Butter auf das Brot gegeben; denn eine Magd zu ehelichen, galt nicht für vornehm, und gerade Markus hätte darauf sehen müssen, eine ansehnliche Bauerntochter auf den Uhrenmichelshof zu bringen, gerade weil seine Mutter schon den Knecht genommen hatte, wenn auch der Stoffel Götz ein gescheiter und besonderer Mann gewesen, dem man sogar die Vogtswürde anvertraute. Freilich, das war ein Fehlgriff; denn die Herrlichkeit des Vogtes Stoffel dauerte nicht lang, er schwang damals zu sehr den eisernen Besen wider die harten Bauernschädel, und sie standen wie eine Mauer gegen ihn auf. Er zog den Vogtsrock aus, weil er zu stolz und zu ungeschickt war, auf Umwegen zu seinem Ziel zu kommen.
Nun konnte man sehen, daß Knechtsblut doch Knechtsblut blieb, und daß der Sohn den gleichen eigensinnigen Kopf hatte wie der Vater.
Sixta saß eines Abends, kurz nach dem Auftritt beim Kirchgang, auf der Haustürschwelle im Schwenkenhof und gab einem jungen Böckchen, das die Mutter verloren hatte, die Flasche. Es war Samstagabend. Da kam Markus Götz den Weg herab, betrat den Hof und sah ihr unverwandt zu. Sixta zitterten Hand und Flasche. Das Böckchen bläkste verwöhnt. Als Sixta aufstand, die Schürze glatt strich und endlich, da sie vergebens auf eine Anrede des Burschen gewartet, fragte: »Was ist Euer Begehr, Michelsbauer?«, riß dieser ihre Hand an sich und rief halblaut: »Dich begehr' ich!«
Sixta, rasch gefaßt, versuchte nicht, dem wilden Burschen die Hand zu entreißen, aber sie sah ihn so fest an, daß er sie 11 wie im Banne freigeben mußte. Da trat sie einen Schritt zurück und sagte: »Bin nur Magd«, wandte sich und ging ins Haus.
Am nächsten Mittag jedoch hielt die Kalesche des Bauern vor dem Schwenkenhof. Sixta stand im Garten und schnitt sich Pfingstnägele ab. Sie wurde blutrot und wandte den Blick ab. Die Schwenkenbäuerin trat unter das Fenster und machte ein erstauntes Gesicht; denn der Marks klinkte kurzerhand das Gartentörchen auf und sprach zur Magd ein paar Worte, welche die Bäuerin nicht verstand. Er ergriff des Mädchens Arm, das nur schwach widerstrebte, und zog es aus dem Garten. Sonderbar sah das aus, wie der Bursch am hellichten Tag mit Sixta umging. Er hob sie auf und warf sie schier auf den Kutschensitz. Die Peitsche knallte, die Rösser schossen davon wie besessen, und Sixta schaute nur ganz hilflos zurück nach der Bäuerin Fenster.
Der Jungbauer sprach fast nichts unterwegs. Das Herz klopfte ihm bis in den Hals hinauf. Er ließ die Pferde ausgreifen und brachte im Nu die halbe Stunde bis zum Uhrenwendelshof hinter sich, wo er anhielt und Sixta aus dem Wagen half mit derselben Derbheit wie vorher beim Aufsteigen. Aber Sixta mußte ihn anlächeln: denn in seinen Augen stand die Angst, die ein gefangenes Tier hat. Er sah ihre Güte und nahm sie zarter an der Hand, sie in ihre elterliche Stube zu führen, wo man um den Tisch herum saß. Die Mutter und die Mädchen flochten Stroh, der Vater spielte Jaß mit den Söhnen, kleine Kinder stritten sich um ein paar messingene Uhrenrädchen. Als das Paar hereinkam, hielten alle inne in ihrem Treiben und starrten, als erscheine ihnen ein Wunder.
Marks trat auf den Uhrenwendel zu und sagte: »Ich bitt' euch, Vater und Mutter von Sixta, gebt mir euere Tochter zum Weib, ich brauch' eine Bäuerin.«
Da schlug Sixta mit der freien Hand die Schürze vor die Augen.
»Schon recht, schon recht«, sagte Wendel und stand hinterm Tisch auf. Er war ein kleiner Mann, schmalschultrig und zierlich. Seine weißen Uhrenmachersfinger glitten unruhig über die Tischplatte, er war verlegen und fand keine Antwort.
»Frau«, rief er der Mutter zu, »Frau!«
Die Frau wollte aufstehen, aber zwei kleine Kinder 12 klammerten sich um ihre Knie und fingen jämmerlich an zu plärren. Sie hatten noch vor Fremden Angst. Ein großes Mädchen riß sie an sich und trug sie hinaus. Alle Geschwister Sixtas gingen aus der Stube, ohne daß man sah, daß der Vater ihnen einen Wink gegeben.
Die Mutter, klein und von behender Fülle, wischte über einen blitzsauberen Stuhl mit der Schürze und sagte zu Markus: »Sitzet!«
Er schüttelte den Kopf: »Nicht eher, als bis ich Antwort habe.«
Der Vater faßte Sixta scharf ins Auge und fragte: »Pressiert's?«
Sixta schwieg gekränkt und verstört. Sie wollte ihre Hand aus der des Burschen befreien, aber der hielt fest.
»Ich habe Sixta heute zum erstenmal an der Hand«, sagte Markus mit klarer Stimme, »und frag' noch einmal, ob ihr mir sie gebt.«
»Seid ihr zwei denn einig?« fragte Wendel zurück und schaute verschüchtert sein Weib an.
Sixta begann zu weinen. Da erlöste die Mutter alle, indem sie mahnte: »Quäl die jungen Leut' nicht so, Vater, und gib deinen Segen.«
»Schon recht, schon recht«, wandte sich Wendel dem Paare zu, sah aber verlegen an Markus vorbei und sagte: »Ihr werdet ja wissen, was Ihr tut, Michelshofer. Und daß Sixta armer Leute Kind ist, aber ehrbar, fleißig und guten Gemütes, das wird Euch auch nicht fremd geblieben sein. Achtet sie nur nie als Magd, auch wenn sie es bisher war. Ist sie Euere Bäuerin, achtet sie als das. Mehr mag ich Euch nicht dreinreden. Es kann ein großes Glück für die Sixta sein, Großbäuerin zu werden, wir wollen das hoffen. Jetzt sitzet nieder!«
Sie setzten sich nieder. Die Wendelskinder füllten wieder die Stube, aber sie verhielten sich still und befangen auf der Ofenbank, indes der Wendelin und sein Weib dem jungen Paar auftischten, was das Haus zu bieten hatte: Speck, Wildkirschengeist und Roggenbrot. In der Dämmerung fuhr Markus seine Sixta, die fiebrig und vor Aufregung müde neben ihm saß, in den Schwenkenhof zurück. Viel Worte gab es wieder nicht zwischen ihnen. Der Markus legte ihr nur ab und zu die Hand auf das 13 Knie. Sixta schluchzte einmal heiß auf. Da fragte Markus: »Ist es schwer, mir gut zu sein?«
»Nein, ach nein«, brachte sie heraus, »nur so schnell ist alles gekommen, daß man Angst hat, es bleibt nicht so mit dem Glück.«
»Ein Glück ist's für dich, Sixta, ein Glück ganz innen?«
Sie nickte. Da riß er sie an sich. Die Gäule rasten am lockeren Zügel den abschüssigen Weg hinab.
Von Stund an ging die Kunde von Markus und Sixta in alle vier Winde aus dem Wald. Man erinnerte sich an alles, was den Michelshof betraf, man besprach tagelang die Sippen der beiden und deutete am Glück und Unglück der Zukunft des jungen Paares herum.
Die Hochzeit wurde bald gefeiert, und weil die Hütte des Uhrenmachers zu klein war für alle Gäste – Markus hielt ein großes Fest –, ließen es sich die Schwenkengabriels nicht nehmen, ihrem Patenkind und ihrer getreuen Magd Sixta das Hochzeitsmahl in ihren großen Stuben zu richten wie einem eigenen Kind, besonders da nie eines in ihrer Erbwiege gelegen hatte. Gabriel putzte seine acht Rösser auf wie die Jucker vor dem Sechserzug der Fürsten von Fürstenberg, die einen reichen Waldbestand ringsum hatten und deren Sitz nicht allzu weit entfernt vom Walde, in der Baarebene lag. Als Stoffel, der Vater von Markus, noch Vogt war, lud er einmal stolz die fürstliche Jagdgesellschaft in sein eigenes Jagdgebiet ein, den Michelshof und den Götzenwald, die voller Wild steckten und in Birkenlichtungen und lockerem Randgehölz prachtvolle Auerhähne bargen und leicht erreichbare Balzplätze. Der Fürst nahm an und schenkte hernach dem großzügigen Vogt eine silberbeschlagene, englische Flinte, die dem Markus, sooft er sie betrachtete, so gefiel, daß er ihretwegen zum Dieb geworden wäre, hätte der Vater ihm nicht rechtzeitig gesagt: »Probier sie, sie ist dein.« Stoffel liebte es nicht, auf Tiere zu schießen, er war durchaus Bauer.
Diese Flinte ließ Markus nicht einmal als Hochzeiter daheim. Er nahm sie mit zum Brauthause, und sie lag neben ihm im Wagen, als er zur Trauung fuhr.
»Tu sie weg«, bat ihn Sixta, die eine echte Frauenangst vor allen Waffen hatte. Aber Markus lachte nur und sagte: »14 Bisher war sie mein einziger Schatz, nun habe ich dich noch dabei, kann mir's noch fehlen?«
»Verred dich nicht«, wies ihn da Sixtas Mutter zurecht, der plötzlich weh ums Herz wurde, »was man beschreit, ändert sich gern.«
Sie dachte an die schmerzensreiche Bäuerin Agathe, die Mutter des Markus, von der man raunte, sie habe einen Fluch in das Geschlecht der Michelshofer getragen. Sixta bezwang sich. Sie wollte keinen Schatten über diesen Tag fallen lassen, in Stolz und Freude ihr Glück zeigen vor den Leuten: Hört ihr's denn? Die Glocken läuten durch alle Täler, Sixta, die Magd, wird Bäuerin; die blutjunge Sixta wird das Weib des schönen Markus Götz, dem alle Blicke folgen, wenn er vorübergeht!
Wie lang schon hatte sich ihr Herz bewegt, wenn sie ihn aus der Ferne anschaute? Niemand ahnte es, sie selber schalt sich drum, sie machte sich auch keinen Kummer; denn des Burschen Auge war ihr nie begegnet, er wußte nicht, daß sie war, bis zu jenem Tag, da sie zu spät auf den Kirchweg ging.
»Großer Gott, wir loben dich«, sang es in Sixta, und ihre Brust war schier zu klein für dieses Klingen und Singen. Jetzt tat ihr der Kopf nicht mehr weh unter dem schweren Schäppel, am Anfang hatte sie geglaubt, Flammen sprühten aus ihrem Haupte, so heiß fieberte die gequälte Haut unter dem straff gezerrten Haar. Auch das Mieder saß zu fest, es galt nicht für schön, die Brust hoch zu tragen, dafür mußten die Hüften von der dünnen Mitte aus in mächtigem Schwunge in die Runde wachsen, ein Wulst aus Watte und ein enges Gefältel der Hippe (des Rocks) am Bund sorgten dafür. Die Frauen gewöhnten sich daran, sie trugen so üppig auch nur das Fest- und Kirchenkleid. Beim Einsteigen blieb Sixta an einem der Perlen- und Silbergehänge, die die Schürze zierten, hängen, so daß der Kettenbogen zerriß. Das bedeutete nichts Gutes, doch Sixta merkte es nicht einmal, nur die Schwenkenbäuerin. Erst später, als die Ehe von Markus und Sixta von sich reden machte, fiel ihr dieser Umstand wieder ein. Sonst verlief das Fest in Glanz und Würde, wenn auch die Bauern nicht so höflich und freundlich zu den jungen Leuten waren wie sonst bei einer echten Großbauernhochzeit.
Ehe Markus seine Bäuerin über die Schwelle des 15 Michelshofes trug, feuerte er die silberbeschlagene Flinte ab: »Alle bösen Geister sind nun verscheucht«, sagte er zu Sixta, »die schwarze, fremde Katze auf unserer Gartenmauer ist verschwunden.«
Sixta lachte, sie war nicht abergläubisch, die dunkle Katze auf der Mauer konnte doch nichts dafür, daß sie einem Brautpaar über den Weg lief. Sie fragte deshalb Markus neckend: »He du, hab' ich jetzt eine alte Hex oder einen jungen Mann geehelicht?«
»Werd's dir zeigen«, jauchzte Markus.