Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Versuchung

Markus erfuhr eine unermeßliche Gnade. Sein Weib gab zwei Knaben das Leben: Urban und Martin. Das geschah in der ersten Sonntagsstunde. Nach alter Gewohnheit trat 64 Markus vor die Tür und schoß zwei Schüsse in die linde, blaudunkle Frühlingsnacht. Dann stand er lange im Freien. In dieser Nacht baute sich Gott neu in ihm auf, er dachte nicht an ihn, nur an den Segen seiner Familie, seines Weibes Sixta, an die Helle seines Hofes. Vaters und Mutters Geschick fiel in ferne Schatten zurück, kein banger Zweifel lauerte diesmal in ihm. Und wie vom Blutstrom hergetragen, tief innen wohnend, seit langem schon, brach ihm eine Gottseligkeit ins Gemüt, er streckte die Hände aus, legte sie darnach vor das Gesicht und murmelte das Vaterunser. Wie man sehend werden kann nach solch einem Ereignis! Wie man plötzlich warm in der Sonne steht und sich wundert über ihr Glück! Wie man auf einmal nicht mehr begreift, woher die Unzufriedenheit vorher gekommen war, das barsche Stillschweigen, die Unfreude im Leben und das dumpfe Gefühl: So will ich das doch nicht. Ganz anders, ganz anders will ich sein.

Markus reckte sich. Bin ich nicht Bauer und muß ich nicht? Was man will, ist gleich. Jäger sein? Das steht doch dem ein guter Bauer zu sein nicht im Wege?

Er wollte jetzt auch in Freuden Sixta helfen. Sie war nicht mehr so stark, war sicher geschwächt. Er sehnte sich auf einmal, den Pflug durch schweres Ackerland zu zwingen, die Saat zu schwingen. Das hatte bisher, seit den ersten Würfen, meist der Knecht getan; denn Markus ließ im Herbst nicht ab vom Walde, wenn die Felder bereitet wurden. Er dachte an Stoffel, den Vater, sah ihn vor sich, wie er über die Äcker schritt, groß, breit, stolz, alle Kräfte eingespannt in den Dienst des Landmanns über der Erde. Und er dachte an viele Worte des Vaters, die ihm von der Sendung des Bauern in der Welt sagten, worüber Stoffel viel nachgesonnen hatte und gelesen: Wir müssen gelassen sein und fromm, das ist das Geheimnis des Bauernwesens. Der alte, uralte Pfarrer von Buchenbronn hatte dies einmal in einer Predigt den Bauern gesagt, als Mißwachs, Viehseuchen, Kindersterben die Leute schlugen, als rauschte der Zorn Gottes über ihre Seelen, wie in der Bibel über die der grausamen und sündigen Ägypter: Ihr müßt gelassen sein und fromm! Stoffel, damals auch ein Geschlagener, ein junger Mensch noch, aber verschrien und verstoßen vom Vaterhof, hatte jenes Wort tief in sich geborgen. 65 Große Stille ruhte in dieser Nacht. Markus spürte den mächtigen Schlaf der Wälder ringsum; kein Laut, kein Rauschen regte sich. Er strich dem Hund zu seinen Füßen übers Fell und ging mit ihm hinein, riegelte leise die Tür zu und betrat ohne Schuhe die große Kammer, in welcher Sixta und die Zwillinge schliefen. Er legte sich behutsam nieder. Hätte gern der Frau noch seine Heimkehr berichtet, so gut er die Worte gefunden für das, was schier wie eine Beichte klingen mußte; aber es konnte bei Tag noch geschehen, wenn die schöne Sonne ihm half, die Frau an die Wandlung ihres Mannes glauben zu machen.

*

So brach ein leuchtender Frühling an. Und Markus schritt über die Äcker wie nie. Er sah jetzt alles in neuem Lichte. Daheim lag Sixta und war sehr schwach. Sie schämte sich, daß es sie diesmal so schwer hingeworfen hatte. Sie lag und hörte, wie Markus draußen geschirrte, wie alles im Takte vor sich ging, das dumme Gelächter und hämische Streiten der Dienstboten ein Ende hatte unter den scharfen Augen des Herrn. Sie war zuweilen zu gut gewesen, zu gut für die Unarten des Gesindes. Drei Wochen schon lag Sixta. Mittags stand sie auf, setzte sich in die Sonne, war aber froh, nachmittags wieder ins Bett zu dürfen. Ganz langsam genas sie.

Markus stand oft bei ihr, und wenn sie klagte, gerade jetzt unnütz zu sein, wo das Feldgeschäft so nötig aller Hände bedürfe, sagte er: »Sei still, Mutter, ich bin ja streng dabei, es geht ohne dich jetzt einmal; wie es früher ohne mich hat gehen müssen. Denk an unsere kleinen Buben und werde ganz gesund. Eher kommst mir nicht aus der Kammer.«

Da lachte Sixta glücklich und strich über des Mannes rauhe Hand.

Von allen Höfen kamen die Bäuerinnen, der Michelsbürin am Bettzipfel zu zupfen. Der Kaffeehafen durfte nie leer stehen, und die Wendelsmutter mußte alle Mittag über den Berg hermarschieren, um aufzuwarten. Prima machte daheim alles ordentlich, die starke, fleißige Älteste im Uhrenwendelshof. Die Mutter durfte getrost davongehen. Amei seufzte oft, so gefaulenzt habe sie nie im Leben wie jetzt, nicht einmal 66 Sonntags; aber sie saß doch und nadelte unaufhörlich einen Vorrat von Strümpfen und Handschuhen zusammen, flickte Wäsche und hielt die Kinder sauber.

Simon war seit Sixtas Niederkunft ein seltsamer Kamerad. Wenn er neben Markus ging, so schienen sie ihr Wesen vertauscht zu haben. Der Simon hängte den Kopf, hinkte mühseliger als früher und sang gar nicht mehr. Wenn ihn jemand hänselte, geriet er in jähen Zorn und mußte gemieden werden. Markus behandelte ihn nicht mehr so vertraut wie vordem. Er wurde nun eher sein Knecht. Da fraß den Simon eine wehe Glut. Er begann den Bauern zu hassen, stellte sich mit Rosine und Jörg Sonntags hinter das Haus und schimpfte über die Großbauern im allgemeinen und über den kargen Lohn, über die Schinderei in Stall und Feld im besonderen. Böse Saat geht gern auf. Den Leuten, denen es nicht besser und nicht schlechter ging als den anderen Diensten auf anderen Höfen auch, kam es so vor, als würden sie besonders hinuntergedrückt. Sie werkten mürrisch, wenn auch gehorsam, Markus spürte schon den Widerstand, doch wußte er noch nicht, woher der kam.

Simon sprach immer davon, wenn er seinen bösen Kropf geleert hatte, er wolle gehen. Ja, er wolle von Hof zu Hof gehen und die Knechte aufklären: Mehr Lohn, mehr Freiheit, mehr Achtung! Wenn alle fest zusammenhielten, gäbe es so etwas wie eine Revolution, und man würde das hochmütige Herrenvolk schon Mores lehren. Ha, was sei so ein Bauer ohne die Kraft seiner Dienstboten? Ein Mehlsack ohne Mehl, schlaff und armselig, der nicht von selber stehen könne. Dann verließ er die aufgeputschten Gemüter. Er merkte einmal nicht, wie sie im Eifer des Gespräches in sinkender Nacht unters Kammerfenster der Bauersleute geraten waren. Sixta mußte alles mit anhören. Sie kannte kaum die Stimme Simons wieder, so rauh und heiser tönte sie in der düsteren Wut des Aufwieglers.

»Anzünden sollte man ihnen die Höfe, den roten Hahn auf das Dach setzen. Ausräuchern sollt' man ihren geizigen Hochmut. Verstopfen ihre Brunnen, das Vieh vergiften.«

Nach jedem Satz murmelten die andern und waren furchtsam im Banne dieser gottlosen Drohungen.

»Wird es dann besser?« fragte scheu die neugedungene, 67 blutjunge Magd Lies. Da gab ihr Simon eine Ohrfeige, daß sie aufheulend davonlief.

Die andern schalten Simon. Aber er sagte: »Sie verdient es. Sie läuft mir nach und lockt, wo sie kann. Ich will sie nicht, jetzt weiß sie es wohl.«

Rosine gab ihm recht. Knecht und Hirte drückten sich. Sixta hörte das Geräusch von Küssen und das Stöhnen harter Umarmungen. Ein Ekel griff sie an. Sie stand mühsam auf und schloß das Fenster.

Markus ruhte neben ihr ahnungslos und atmete tief, schlief tief nach der schweren Tagesarbeit. Sixta wollte ihm erst alles berichten, wenn sie mit Simon abgerechnet hatte. Mutig wollte sie vor den verwandelten Knecht hinstehen und ihm sagen, was sie erlauscht, und ihm ins Gesicht hinein sagen, wie sie ihn verachte, der im Michelshof nur Gutes genossen, dem hier eine Heimat bereitet worden sei.

Und in der Frühe erhob sie sich, obwohl sie noch nicht sollte, aber sie merkte, sie war stark genug, wieder dabei sein zu können, und ließ sich von Markus nicht mehr abhalten, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie lächelte ihn an bei seinen erst ängstlichen, dann gröberen Reden, verschloß ihm zuletzt mit einem Kuß den Mund und schob ihn zur Tür hinaus. Sie scherzte mit den Kindern, war völlig wohlauf und guten Mutes.

Simon und Rosine schafften im Stall, die junge Magd Lies schlich scheu an allen vorbei. Sie hatte ein verheultes Gesicht. Sixta rief sie her und trug ihr auf, für die großen Kinder zu sorgen, die schrecklich umhertollten in der Stube. Rosine half melken, Simon fütterte. Markus war fortgegangen mit dem Hüterbub und Andres, um Futter zu mähen. Keines der Leute sprach auch nur ein Wort. Sie fanden sich noch nicht drein, daß die Bäuerin nun wieder unter ihnen waltete, die Augen auf eine merkwürdig strenge Art offen hatte. Rosine, plump und einfältig, machte sich in die Nähe der Herrin und versperrte ihr vor Eifer ständig den Weg.

»Geh doch, Rosin, lauf mir nicht immer vor den Füßen 'rum!« wies die Bäuerin sie ab. Da rannte die dumme Magd eine volle Milchgelte um.

Nun brannte aber Sixta auf, so hatte sie noch niemand gesehen, und machte der Magd einen heftigen Krach. Mit dem 68 Gesicht in der Schürze stürzte die zur Stalltür hinaus, stolperte in ihre Kammer, raffte ihre Sachen zusammen und ging Hals über Kopf. Sie ist immer eine störrische Kuh gewesen, dachte Sixta, aber es lag nicht in ihrem Wünschen, daß sie so schnell der sonst fleißigen Magd ledig würde. Nun, die fand in dieser Zeit schon bald wieder einen Dienst, ins Elend geriet die nicht.

Simon lächelte verdrückt zu dem Auftritt, es war ein halb verlegenes, halb furchtsames Zittern um die Mundwinkel. Sixta entging das nicht. Du kommst auch dran, dachte sie, ich will dir schon die Tür weisen, du Aufwiegler! Aber Gelegenheit gab es erst am Abend. Sixta saß noch ein wenig auf dem Bänkchen vor der Tür, todmüde vom strengen, ungewohnten Tag. Sie hatte die Zwillinge gestillt und wartete nun auf Markus, der zum Jaß in die »Krone« gegangen war. Selten ließ Markus sich zum Jassen verleiten, aber der Bruder Sixtas hatte ihn abgeholt, und er schlug dem guten Menschen nicht gern eine Bitte ab. Sixta wußte, lange hielt es Markus nicht aus in der Wirtschaft. So wartete sie.

Da trat der Knecht Simon unter die Haustür, rauchte seine Pfeife und sah still in die Ferne. Sixta pochte das Herz. Sie vergaß alle Worte, die sie ihm hatte sagen wollen. Und doch fragte sie, sich bezwingend, vorsichtig: »Simon, du hast nächtens wüst getan unter unserm Kammerfenster. Ich muß dir sagen, daß ich alles gehört habe, und daß mir auch gottlob nichts entgangen ist, ich habe gespannt wie ein Häftlemacher, ich kann dir jedes Wort genau berichten.

Simon zog heftig an der Pfeife und blies dicke Wolken vor sein Gesicht. Sixta wandte den Kopf nicht mehr nach ihm hin, der schräg hinter ihr am Türpfosten lehnte. In der hereinwehenden Dämmerung hätte sie sowieso sein Gesicht nicht gesehen.

»Du brauchst nicht so stark zu paffen, Simon Gsell, ich hab' es nicht nötig, dir vom Gesicht die Bosheit abzulesen. Ich spür' sie. Wo ein schlimmer Gedanke ausgeht, ist die Luft geheim gespannt. Ich möchte nicht in deinem bösen Gewissen stecken, Simon. Ich möcht' nicht einmal daran vorbei müssen alle Tag und immer argwöhnen, es breche aus und vom arglistigen Denken strebe schlechtes Tun auf. Schon das Aussprechen dieser Dinge ist böses Tun. Willige Ohren gehören meistens zu 69 willigen Gliedern. Du verdirbst alles Gesinde. Das dulden wir nicht. Das heißt, der Bauer weiß von nichts. Er soll nicht im Jähzorn dich und sich zuschanden schlagen. Du weißt, daß du auch bündeln mußt, wie die Rosin, die dir zu Willen war. Wenn du fort bist, erzähl' ich alles dem Bauern. Du aber geh bald und von selber.«

Sixta schwieg. Der Knecht sog immer noch heftig an der Pfeife, aber sie war ausgelöscht und röchelte häßlich. Er zitterte in den Knien und fand keine Antwort. Daß seine bitteren Reden ans Ohr der Bäuerin geraten waren, peinigte ihn.

»Du hättest eine Heimat bei uns haben können«, fuhr Sixta wärmeren Tones fort, »warum führst du auch so Böses im Schild gegen uns und drohst mit dem Grausigsten, was geschehen kann?«

»Ihr wißt es, Bäuerin«, sagte Simon heiser.

Sixta zuckte im Innersten zusammen. Es fror sie im Rücken.

»Ihr wißt es, Bäuerin«, sagte Simon noch einmal hart, warf die Pfeife weg und trat nah neben die Bank. Die Frau hörte seinen schweren Atem. Sie hatte Angst.

»In Eurer Sicherheit und Vornehmheit kommt Ihr nicht darauf, daß der arme Invalid Gsell auch eine Seele im Leib hat. Ihr laßt ihn hungrig sein nach einem bißchen Liebe und Wärme. Ihr und der Bauer wollt nur Arbeit, Arbeit. Und sonst kann mit unsereinem sein, was will, der Teufel womöglich. Aber es geht jedem Findling so. Nur mich, nur mich schlug der Herrgott mit brennender Liebe zu Euch, Sixta Götz, ich weiß nicht, was ich red, bloß eine Last von der Seele und eine Glut aus dem Leib, es muß Euch gesagt sein. Tag und Nacht trug ich Verlangen nach Euch seit Monden. Und Ihr schenkt dem Finsterling Kind um Kind.«

»Ich bin sein Weib, hüte dich, Gsell.«

»Mir gleich, das Schicksal hat einen falschen Griff getan, weil wir uns so ähnlich sehen, wahrscheints.« Simon lachte rauh auf.

»Versündig dich nicht. Schweig still und geh!«

»Wie Brüder äußerlich ähnlich, das heißt, ich hinke am Bein, hatte aber ein fröhliches Gemüt, ehe der Satan es erwürgte, aber er ist ein Hinkender im Wesen, ein Krüppel, er kann ja nie gerade lachen. Nun ist's anders. Das 70 leichtsinnige Schicksal, wie die Gebildeten sagen, will den Fehler äußerlich einrenken und vertauscht unser Inneres. Ja, so was kommt vor. So hab' ich mir alles ausgedacht in letzter Zeit. Alles ist Schwindel auf der Welt. Aber du, Sixta, du bist echt, du bist gut und schön, hilf mir, Sixta – Sixta.« Er legte seine heiße schwere Hand auf der Bäuerin Achsel.

»Du hast Fieber, Simon«, sagte sie erschüttert und strich sanft die Hand weg, die willig von ihr abließ. Ein seltsamer Schrei entfuhr der Kehle des Knechtes, wütend und jammervoll zugleich, wie ein zerpreßtes, kurzes Weinen.

Da kam Markus um die Hausecke, der Hund stürzte auf ihn zu. Es war schon ziemlich dunkel. Sixta und Simon sahen erschrocken den Bauern kommen. Er blieb vor ihnen stehen, schien durch das Dunkel seine argwöhnischen Blicke zu quälen, wandte sich plötzlich rack ab und schritt an den Schweigenden vorbei in die Stube. Da stand Sixta auf, verließ den Knecht und ging auch in die Stube mit müden Füßen. Und Simon blieb allein. Er hob die Fäuste, ballte sie zornig in die Luft, ließ sie schlaff und hoffnungslos sinken. Drüben schwamm der Mond über den Rand des Waldes. Der Schiltebach glitzerte durch das lange Tal. Eulen schrien aus den alten Blitzpappeln vor dem Hofe. Simon sah sich traurig um.

»Vorbei, alles vorbei! Wenn ich mich dort aufhängte am Ast jenes knorrigen Holzapfelbaumes unterm Kammerfenster der Bauersleute? Was taugt ein Hinkender denn? Dazu mit einem zersprungenen Herzen. Richtig, das tut mir weh in der Brust, das schreit nach Tod, stumpf und hohl wie die Eulen. Aber man hängt mit allen Fasern am Leben.« Der Apfelbaumknorren krächzte leise im Nachtwind. Oder war's ein Schuh, der heimlich herschlich? Streifte ihn nicht ein Atem? Wie gezogen wendete sich Simon um und sah den Bauern Markus oben neben dem Brunnenhäuschen stehen, im Schatten. Es blitzte in seiner Hand, man sah es deutlich genug, das Mondlicht verriet das silberne Beschläg der Flinte.

Es lag fast die ganze Hoflänge zwischen ihnen. Doch die feindlichen Männer starrten sich in die Augen. Endlich regte sich Markus, warf die Büchse über die Achsel und ging fort in die Nacht, gegen den Bach hinab, über den Martinssteg und gegen den Wald empor. Simon atmete auf. Nah war die 71 Gefahr, der grausame Schuß des Todes. Er atmete tief auf, lächelte schmerzlich, er spürte es, wie glücklos er lächeln mußte, und suchte seine Kammer auf. Kurze Zeit danach hörte er den Hund leise anschlagen, er war froh, daß Markus heimkehrte. Warum, das fragte er sich nicht. Ihm war leichter zumut als die ganzen Wochen her. Er wendete morgen dem Hof den Rücken, weiß Gott, ohne Gram und Haß; denn er lebte, er lebte und lebte ein neues Leben. Und es war früher, warmer, goldener Sommer. »Leb wohl, Sixta, leb wohl, Michelshof, leb wohl, finsterer Apfelbaum, der nimmer blühen will, leb alles wohl! Der Simon Gsell fährt wieder aus. Leb wohl, Bäuerin Sixta, Siebenkindmutter, heilige stolze Frau, leb ewig wohl. Nie vergißt dich Simon, der Knecht.«

So schlief er ein und träumte, das Bett schrumpfe zusammen, er liege in der Wiege, sei eines der sieben Kinder von Markus und Sixta, lache und strample und habe einen süßen, schweren Tropfen Milch auf den Lippen, und Sixta, die Mutter, lache ihm in die Augen, singe, lache, singe.

Noch am Morgen beim Erwachen sang es ihm im Ohr, wie viele Glocken durcheinander. Er stand auf, bündelte seine Habseligkeiten, drückte die Soldatenkappe fest in die Stirn, nahm den starken, plumpen Stock, aus einer schlangenartig gewundenen Wurzel geformt, und betrat zum letztenmal die Stube.

Markus, der Bauer, saß gerüstet da. Ja so, es war Jägertag in Buchenbronn und Frühlingsmarkt. Er zählte, ohne ein unnötig Wort zu verlieren, dem Simon den Lohn hin. Sixta kam dazu, blaß im Gesicht, elend und schmal, hieß Simon noch die Mahlzeit nehmen. Das Schweigen in der Stube wurde allen zur Qual. Jedes wollte noch etwas sagen, aber die Zungen waren plump, die Lippen herb. So legten sie die Hände ineinander, Simon und Sixta. »Lebet wohl, Glück auf den Weg!« wünschte die Frau mühsam.

Markus meinte: »Wir haben wohl einen Weg.« Er irrte ab mit den Augen, da Simon ihn scharf anschaute. Aber der Knecht nickte: »Wohl, wohl.«

Sie gingen miteinander vom Hofe. Plötzlich schrie Sixta in grauenhafter Angst auf: »Markus, Markus!«

Die Männer fuhren erschreckt herum. Der Bauer hob die 72 Hand gegen sie in die Luft, als hieße das: Geh doch, geh, denk so etwas nicht, nein!

Simon lächelte wieder. Gemächlichen Schrittes verschwanden die beiden in einem Abwärtsschwung der Landstraße. Wie Brüder gehen sie nebeneinander und sind doch Feinde, dachte Sixta, schluchzte ein paarmal auf, schluchzte sich die würgende Angst von der Kehle. Dann kamen die Kinder, fragten und wünschten vieles, und der schwere Werktag einer Bauersfrau brach an.

Indessen wanderten die zwei, Bauer und Knecht, mit gemächlicher Eile dahin. Sie sprachen natürlich nicht miteinander in der ersten Zeit. Plötzlich, am großen Kreuzweg, blieb Simon Gsell stehen, sagte zu Markus, ohne ihm die Hand zu reichen: »Also lebet wohl, Michelsbauer, ich nehm' den Weg am Muhrsee vorbei. Es denkt mir nimmer, daß ich dort einmal Frösche gefangen hab'.«

Markus maß ihn mit erstaunten Blicken. Stumme Frage eilte zwischen beiden hin und her.

»Treibt dich das böse Gewissen von mir?« brachte der Bauer endlich heraus. »Du weißt, wie schlecht es ist, eines anderen Weib zu begehren. Eine Kugel, dünkt's mich, ist zu gut für solche Schlechtigkeit.« Markus fuhr brennende Röte ins Gesicht, ein Zorn blinder Art ergriff ihn, er packte die Flinte. Starrte Simon an.

»Zum zweitenmal schon«, sagte Simon ruhig, und seine Stimme zitterte nicht.

»Höhn auch noch, du Hergeloffener«, schrie Markus, und der Hund bellte wütend den Knecht an.

Aber Gsell blieb so ruhig wie zuvor. »Ich geh' jetzt, Bauer, still doch, Tyras, ich geh'; tut, wie Ihr wollt, ade.« Und wandte sich dem Waldweg zu.

Markus verharrte reglos, wie in seinem furchtbaren Zorne erstarrt, da ließ der Davonwandernde laut seine Stimme ertönen:

»Steht nur auf, ihr Schwollescher (Cheveaulegers),
ihr habt schon längst geschlafen . . .«

Markus erschlaffte, lockerte die Hände an der Büchse, wandte sich, seinen Weg weiterzugehen, allein jetzt. Ein verächtliches 73 Lächeln krümmte seinen Mund: »Er singt aus Angst, als Bub hab' ich es auch so gemacht, das ist ein letzer Mut.« Er horchte aber dem Singenden nach, lange drang die hohe, klare Stimme aus dem Seegrund her, gegen den der Simon Gsell hinabschritt, ohne sich auch nur einmal nach seinem Todfeind umzuwenden. Zuletzt tönte es noch vernehmlich her:

»Nachtigall, ich hör' dich singen,
das Herz im Leib möcht' mir zerspringen . . .«

Das Lied blieb in Markus hängen; denn als er in der grauen Dämmerung des nächsten Morgens mit wirrem, aus schwerem Rausch langsam sich windendem Kopf heimfand, brauste dieses Lied noch in ihm, er sang es rauh und unsicher. Sixta empfing ihn mit gramvollem Gesicht, horchte ängstlich seine erregten Traumreden im Anfang des Schlafes aus, aber der Name des Knechtes fiel nicht. Und als Markus im Spätmorgen wach wurde und sogleich an seine Arbeit ging, gelassen wie sonst auch, legte sich die peinvolle Erwartung in Sixtas Seele, die sich auf Allerschwerstes in furchtbaren Nachtstunden gefaßt gemacht hatte. Sie hatte das wilde Herz der Götzenhofmänner zu kennen geglaubt und eine Tragödie zwischen Bauer und Knecht befürchtet. Nun schien alles gut abgelaufen. Simon war meilenweit in die Ferne gewandert und Markus im Hofe, freien Gewissens.

Sie blieb kurz vor Mittag, als er die Wagenräder im Schopf schmierte, dicht vor ihm stehen, bereit, ihm ein zartes, warmes Wort zu sagen. Er sah auf und schaute ihr fest ins Gesicht, sekundenlang, Sixta lief es kalt und warm den Rücken hinab.

»Ja, ja, Frau«, sagte Markus dann, »ja, ja«, bückte sich nieder und schaffte weiter. Sixta wagte nicht, ihm die blonde Haarfülle aus der Stirn zu streichen, wie sie es oft tat, wenn sie sich nahe waren in der Stille. Sie ging leise von ihm weg und dachte: »Er kann noch nicht über dies alles reden, ich will geduldig warten, morgen ist Sonntag.«

Doch fiel auch am Sonntag kein Wort über das Vergangene. Morgens fuhren sie mit den großen Kindern in die Kirche. Mittags wanderten sie dann über den Ruppertsberg, die Zwillinge im vierschrötigen Korbwagen wohl verwahrt, und besuchten die Uhrenwendels, die sie mit eitel Freude empfingen. 74 Auf dem Heimweg trug Markus abwechselnd eines der kleinen Mädchen Salome und Genoveva, während Marie und Magdalen mit Andreas voraushüpften. Die schöne Abendstille über den Wäldern erfreute Sixtas dankbares Herz und gleicherweise die schöne stattliche Gelassenheit ihres Bauern, der vor ihrem Zwillingswagen herschritt auf dem schmalen Pfad, das plaudernde Eveli an der Hand und das schlaftrunkene Sälmli über der linken Schulter.

 


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