Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Glücksspiel

Die junge Bäuerin vom Zinken Hebsack war von der Bühne herab aus Unachtsamkeit zu Tod gestürzt, und alle Bauernpaare der Umgebung, vorab die jungen, gaben ihr das letzte Geleit. Es war kurz nach der Ernte. Ein warmer Oktobertag betörte das rauhe, fruchtentblößte Land, die Matten leuchteten lachend grün wie im Lenz; denn sie schossen seit Tagen noch einmal ins junge Gras. Markus und Sixta schritten stumm dem Kirchhof in Buchenbronn zu, trennten sich vor dem Eingang, Markus suchte die Männerreihen auf und Sixta den langen murmelnden Zug der Weiber. Der Sarg kam angefahren im stundenlangen, gemächlichen Trauerschritt der Rösser. Der junge Bauer schritt nebenher, schmal, schwarz 109 gekleidet, graurot im Gesicht vor Kummer und Hitze. Im Bernerwagen kamen die alte Mutter und die kleinen Kinder hinterhergefahren, eine Fuhre voller Jammer und Schluchzen. Vier junge Männer trugen den Sarg zu Grabe, sie wischten sich den Schweiß von der Stirn unter den schweren, schwarzen Glanzhüten, als sie der Last ledig waren. Fast jeder murmelte beim Zurücktreten in die Reihe dem Nachbarn zu: »Verdammt heiß macht's heut, bigott.«

Alle standen in praller Sonne, und es schlug zwei Uhr vom Schulhausturm. Dann winselte das Heiliggeistglöcklein, weil die Tote aus dem Heiligenbauernhof stammte, dem das Kapellchen zugehörte, dann ließ das Sterbeglöckchen der Kirche seinen merkwürdigen Dreitakt hören, auf den man, wie Wendelin Ketterer sagte, im Walzerschritt die ewige Seligkeit ertanzen mußte, wenn man sein Geblüt allzusehr auf leichten Fuß gesetzt hatte im Leben. Dann kam der Pfarrer und sagte viel Gutes über die tote Frau. Der junge Ehemann würgte am Schluchzen, sein Gesicht wurde krebsrot, er starrte wie die anderen Bauern in seinen Hut, und keine Träne sprang ihm in die Augen. Ein echter Bauer heult nicht, im Gegenteil, – nun, man wird ja später sehen, wie man den Schmerz in der Brust abtötet; denn der bohrt schon, es wird einsam sein in der Kammer, im breiten Bett. Im »Adler« lüpft so ein Witwer Schoppen um Schoppen, die ganze Freundschaft sitzt um ihn herum und schiebt ihm volle Gläser zu. Das »alt Wiib« fährt heim mit den Kindern, er auf dem Leiterwagen kommt nach, wenn es sein muß. Es gehört sich ja nicht, aber was tut er so früh daheim in den leeren Stuben, wo ihn aus allen Schattenwinkeln der Tod anglotzt? Und so trinkt er und spielt er Jaß, dann Würfel. Ein teuflisch Glücksspiel, heißt »Joseph auf dem Turme«. Erst um Pfennige, dann um Groschen, dann um Zwanzigerle und mehr. Das Spiel ist eine böse Leidenschaft auf dem Walde wie anderswo. –

Markus und Sixta kehrten auch im »Adler« an, wie es üblich war. Sie saßen still unter immer fröhlicher werdenden jungen Bauernpaaren. Rote Wangen glänzten grell aus den schwarzen Bandkappen, heitere Augen wanderten flink im Ring rum und fingen kecke Witze und knitze Blicke auf. Nach der Ernte steckt den ernstesten Bauern ein Schuß Übermut im Blut, auch ihren 110 Weibern. Man weiß, daß ausgerechnet im Heumond, wo man die Bäuerinnen am nötigsten braucht, die meisten Kinder geboren werden, aber es wohlet ihnen halt im Herbst, und sie müssen im Sommer dafür leiden.

Sixtas Blicke wanderten verstohlen über all die heiteren Gesichter, sie sah die Männer, die kaum jünger waren als Markus, vor Lebenslust glühen, sie tranken gewiß zuviel, aber Markus nippte nur und saß hölzern da. Er machte wieder die heimtückisch halbgeschlossenen Augen hin, wie so oft in letzter Zeit, und beobachtete scharf die andern. Ein Bauer trank Sixta zu, er war ein Schulkamerad von ihr. Sie hob das Glas und lachte ihn an; eine Welle Fröhlichkeit überflutete sie, weshalb sollte sie nicht lustig mitmachen? Weil der Marks ein Mucker war? Und der Lips wandte kein Auge mehr von ihr, beugte sich über den Tisch ihr entgegen, lachte und erzählte: »Weisch es noch, sellmools – weisch es noch, wie de alt Pfarrer unsereim de Doges versohlt het, wiil mir euch Maidli Hägebutze (Hagebuttenkörner) hintenab bugsiert hen, in der Christelehr?«

Sixta schetterte hellauf; sie wußte noch viel mehr.

»Herjere«, sagte sie, den stummen Markus mit ins Gespräch zu ziehen, zu ihm: »Herjere, man glaubt's kaum, die Jugend verwacht einem und steht vor einem wie ein junger Knab im Mai. 's ist alles dahin, alles, man findet nichts mehr von selbigen Zeiten als einen vertrockneten Kranz. Und manchmal ein liebes Wort aus einem Lied, wenn man hinterm Spinnrad döst.«

»Das muß so sein«, sagte Markus rauh dawider und hob nicht einmal die Augenlider.

Er lebt nur noch halber, dachte Sixta bei sich und wurde schweigsam. Lips machte, sobald die Bäuerin zu ihm hinsah, ein schalkhaft säuerliches Gesicht gegen Markus, als wolle er sie aufwiegeln: »Geh doch, laß den doch, der zählt ja nicht mit.«

Da tat es Sixta wieder leid um Markus. Sie dachte hartnäckig ein paarmal denselben Satz, fast hätte sie ihn laut ausgerufen: »Er ist besser als alle, er ist schwer und tief, aber er ist besser als alle.«

Sie ließ sich so von dem liebeschweren Trotz überwältigen, daß sie unterm Tisch zärtlich die Hand auf Markus' Knie legte; aber er zog es unwirsch weg. Er stand sogar auf und 111 sagte, ihr keinen rechten Blick gönnend: »Drüben fehlt ein Mann zum Jaß.«

In Wirklichkeit liebte doch Markus das Karteln nicht. Nun fiel der Trotz ins andere Lager ein, Sixtas Herzschlag setzte kurz aus vor Leid und Zorn, dann stürmte sie förmlich mit einem etwas groben Lachen in die Fröhlichkeit der Bauern an ihrem Tisch. Der Lips mit seinen runden, klugen Vogelaugen hatte viel gemerkt, er machte vor Nachdenklichkeit ein ernstes, altes Gesicht und sah in den sinkenden Schaum seines frischgefüllten Bierglases. Da langte Sixtas schmale, kräftigbraune Hand her: »Zeig«, sagte sie, »das Weiße trink ich alleweil noch am liebsten«, und trank das Glas ab.

»Jo, jo«, lächelte er verlegen, »das Gescheit'ste ist, wenn du den traurigen Bursch seinen Weg gehen läßt.« Er ging um den Tisch herum mit breiten, künstlich verlangsamten Schritten, schwatzte noch mit dem Seppentoni kurze Zeit und setzte sich dann neben Sixta, auf des Bauern Stuhl.

»Könntest frieren an der Seit«, sagte er verlegen.

»Jetzt weiß man's nicht, wie das zugeht, daß du noch keine Bäuerin hast«, neckte Sixta, »wenn man so durch ist im Scharwenzeln wie du.«

Der Lips war Einödbauer auf der Eschegg, einem Zinken zwischen Buchenbronn und Schiltebach. Man sagt, wo er wohne, böten sich die Hasen und die Füchse gute Nacht. Gute Sprüche: – Es war drei Vierteljahr kalt dort, und vor lauter Einsamkeit und Öde gefror einem das Wort auf der Zunge. Es gab alte Leute, welche behaupteten, früher habe man zu dem Lipsenhof »Der Totengrund« gesagt, weil dort alles, was atme, schier lebendig begraben sei. Und viele der Bäuerinnen erfaßte seit Ahnenzeiten schon im gewissen Alter Schwermut und Wahn. Aber merkwürdigerweise fehlte es den Bauern nicht an Fröhlichkeit, die Escheggmänner lärmten gern in den Wirtschaften, wenn sie alle Vierteljahr einmal sich einen Rausch holten, und steckten auch sonst voller Tänz und Schabernack. Das Hofgut war nicht sehr groß, Stücker zwanzig Kühlein hatten Platz auf dem Weidland, das übrige war Wald und Matte, besonders viel Wald. Die Escheggbauern waren seit alters her geübte Schnitzer; sie schnitten aus dem gröbsten Stück Holz Apostel, 112 Kalvarienberge heraus, zierlich und gewandt, bemalten alles schön mit Blau, Rot und Gold und überließen die Kunstwerke dem Schwenkengabriel, der damit einen schwunghaften Handel trieb über den ganzen Wald, bis ins Elsässische hinüber, bis ins Schwäbische hinein und sogar durch Uhrenhändler bis ins ferne, finstere Russenreich. Lips, der neben Sixta saß, erweiterte die Kunst der Väter noch beträchtlich; er verschmähte zwar wie diese, sein Können an Uhrgehäuse zu verschwenden, aber er schnitzte Krippenfiguren, Krippenengel, das Jesulein, Hirten, Mohrenkönige, die Ochsen, Schafe und Esel, die heiligen Tauben. Er hatte während der Kriegszeit in Frankreich in Familien, bei denen er untergebracht war, wunderbare Krippen gesehen und auch in den Kirchen genugsam die runden, lustigen Engelkinder betrachtet, daß er sie daheim nachmachen konnte. Es waren gerade Barockengel, die ihm besonders gut gefielen. Ein Student, der neben ihm den Feldzug mitmachte, hatte ihm viel Belehrendes über Gotik und Barock gesagt, über den äußerlichen und geistigen Unterschied der romanischen und der gotischen Kirchen. Lips hatte natürlich wenig davon ganz begriffen, aber doch dem gelehrten Kameraden durstig nach Wissen gelauscht und vor allem gefühlt, was er meinte, ganz innen gefühlt. So brachte er noch genug heim, um einen neuen Geist in seine Schnitzkunst zu bannen, auch lagen ihm in der Truhe einige Bilder, worauf Apostel, Engelsköpfe und andere Gestalten abgebildet waren.

So ein Kerl steckte in Lips, dem Fröhlichen. Und nun saß er neben der schönen, traurigen Michelshoferin, und sein Herz flammte ein wenig, wenn er ihr auf den vollen roten Mund sah. So ein Mädle, halt nein, so ein Weib! Und ein schiecher Kerl, wie der Markus Götz einer ist, gerät an sein Glück, ohne es zu achten und zu merken, latscht hinüber an den Tisch der Protzenbauern, die ihm doch nicht grün sind, und spielt den Lückenbüßer. Kreuzmillionen – »Theres, einen frischen!« Er bohlte das derbe Glas auf den Tisch, daß die anderen Becher hüpften.

Theres rannte wie besessen mit vollen Schoppen herum, es war die älteste Tochter des Schneiders Albiez, von der man jedoch behauptete, eigentlich sei sie dem Adlerwirt selig sein heimlicher Schandfleck; denn Marie, die frühere Magd auf 113 dem Michelshof, hatte es vor und während der Ehe nicht genau genommen mit der Sittlichkeit. Man mußte ihr aber lassen, daß sie alle ihre sechs Kinder zu nützlichen Menschen erzog, daß sie dem rappligen Albiez das Gerstel gut instand hielt, es vermehrte, wo sie konnte. Auch das Theresel war recht, ein bissel schußlig und hitzköpfig, aber hübsch und den Männern angenehm. Sixta fühlte sich höchst unbehaglich neben Lips, der anfing, täppisch zu werden mit seinen Händen und Knien. Am liebsten wäre sie jetzt heimgefahren, traute sich aber nicht, Markus darum zu fragen. Der saß wie angeklebt in der Spielgesellschaft drüben. Langsam leerte sich jetzt auch die Wirtsstube, vorab der Tisch, an dem Sixta saß. Die Bäuerinnen stupften ihre Männer zum Aufbruch, die folgten schwerfällig. Manche mußten stundenweit noch den Weg unter die Füße nehmen. Auch Lips entfernte sich auf schwankenden Beinen. Er war auf einmal still geworden, und seine sonst so heiteren blauen Augen sahen dunkel und schwermütig aus. Er ging dann ohne Gruß.

Nun befand sich Sixta allein im Herrgottswinkel, und die vier Bauern drüben am Tisch kartelten ohne Unterlaß, schwiegen völlig, wenn sie nicht eine Spielantwort herauszuzischen hatten. Theres begann hinterm Schanktisch Gläser blank zu reiben, die Adlerwirtin setzte sich eine Weile zu Sixta, doch schlief sie ein, den Kopf auf die dicken, blauroten Arme gelegt. Sixta mußte darüber lächeln. Aber gleich darauf fiel sie ein Gefühl schwerer Verlassenheit an. Sie kam sich vor wie in der Fremde, plumper Einsamkeit preisgegeben, armselig und ohne Hilfe. Die Gesichter ihrer Kinder schwebten an ihr vorüber, das der Magdalen wartete ein Weilchen vor ihrem Blick, als wolle es die Mutter um etwas fragen, schwebte vorüber mit einem stillen Zucken um den vollen Mund, als wäre es zwischen Lachen und Weinen geboren. Ach, Magdalen, nun gehst du schon in Liebesträumen, und deine Mutter ist noch nicht alt und trauert doch um ihre abgeblühte Liebe und wird noch geliebt von Männern, aber von Markus wohl nicht mehr. Von Simon Gsell und Lips?

Sie schüttelte sich. Was für fremde Dinge umspannen sie! Was biß sie im Innersten? Sixta, die kühle, sichere Bäuerin, hockte in ihrer Ecke wie ein verscheuchtes Mädchen und hatte 114 Sehnsucht, tiefe, nie gekannte Sehnsucht, zwischen sonntäglich stillen Äckern, reif in der Frucht, gegen Abend zu wandeln. Nie in ihrem Leben hatte sie das auf diese inbrünstige Weise getan, wie es ihr jetzt vorschwebte, aber das wäre besser als Gebet, besser als Kirchgang, das wäre unendliche Gnade gewesen.

Statt dessen sprangen zwei Bauern am Spieltisch auf und brüllten Markus an. Doch sie setzten sich wieder, alle warfen die Karten über einen Haufen, und Markus strich das Geld ein.

Sixta erhob sich jetzt mit ungelenken Gliedern und legte Markus die Hand auf die Achsel: »Komm, ich spann derweil ein draußen!«

»Nix damit«, sagten die Bauern, und Markus wischte die Hand von der Schulter und sagte: »Fahr, ich bleib noch.«

»Markus!«

Da fuhr er empor, daß der Stuhl umfiel, sah ihr bös ins Gesicht und verlor kein Wort. Die blonde Locke sprang ihm wie ein Horn in die Stirn.

Rasch wandte sich Sixta ab, schirrte an und fuhr allein in die Nacht hinein. Am Kreuzweg oberhalb Buchenbronn, wo es zum Muhrsee hinab, zum Hebsack hinauf, zum Schiltebachtal hinüber ging, saß ein Mann unter der Esche aus dem Boden und schluchzte bitterlich. Es war der, dessen Weib sie am Mittag begraben hatten. Betrunken hatte er vor kurzer Zeit den »Adler« verlassen, und nun mochte ihn die Nüchternheit seines Elends überfallen haben. Sixta, Haß im Herzen gegen alles, was Mann hieß, trieb die Pferde an, im Galopp an dem Gebrochenen vorüberzusprengen.

*

Die Hähne krähten schon, als endlich Markus mit schweren Füßen das Pflaster heraufkam und Sixta in die Hände lief, da sie die Milch ins Brunnenhaus zum Abkühlen stellte. Sie ging an ihm vorüber und machte strenge Augen, die so starr aussahen, als wären sie von trübem Glas.

»Dem Ochsner Fabian ist ein Kalb verkauft, das von der Sterni«, rief er ihr im Vorbeigehen zu, und betrat schon die Türschwelle. 115

»Verkauft?« klang es ihm nach, er hörte es wohl heraus, sie sagte eigentlich verspielt, aber es sollte vor den Ohren der Dienstleute verborgen bleiben.

Sixta steckte voller Zorn und Verachtung. Sie sprach selbst mit den Kindern kein Wort.

 


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