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Alte Freunde

Drei Tage lang reisten die sechs genau nach Osten, erst am vierten Tage schlugen sie eine südliche Richtung ein. Ein großes Waldgebiet in der Ferne am südlichen Horizont zog sich im Bogen nach Osten herum. Dort im Südwesten lag Trohana. Für ihre ermüdeten Diadets waren es immer noch zwei gute Tagesreisen. Tarzan vergegenwärtigte sich mit Staunen, wie wenig Ruhe die kleinen Tiere bekamen. Nachts ließ man sie wohl laufen, um zu grasen, aber er kannte die Lebensgewohnheit der Raubtiere und wußte daher, daß die kleinen Antilopen Nacht für Nacht den größten Teil der Zeit in unruhiger Wachsamkeit oder auf Flucht zubrachten. Trotzdem kamen sie jeden Morgen wieder zum Lager zurück und erwarteten ihre Herren. Daß sie nicht durchgingen oder ausblieben, hatte zwei Gründe. Seit undenklichen Zeiten wurden sie immer nur in den Dombauten der Minunier gezüchtet und kannten daher gar kein anderes Leben als das bei ihren Herren, auf die sie wegen Futter und Pflege angewiesen waren. Aber auch die außerordentlich gütige Behandlung und Liebe, die die Minunier ihren schönen Reittieren angedeihen ließen, gewann ihnen die Anhänglichkeit und das Vertrauen der kleinen Geschöpfe in solchem Maße, daß die Diadets sich nur in der Nähe von Menschen wohlfühlten.

Am Nachmittag des vierten Tages lenkte Talaskar plötzlich die Aufmerksamkeit der anderen auf eine kleine in weiter Ferne hinter ihnen auftauchende Staubwolke. Lange Zeit beobachteten alle mit Spannung, wie sie wuchs und näherkam.

Es werden die langerwarteten Verfolger sein, sagte Zoanthro.

Vielleicht sind es Leute von Trohana, meinte Florensal.

Mögen sie sein, wer sie wollen, sie sind uns weit an Zahl überlegen, erklärte Dschansara, laßt uns auf alle Fälle ein Versteck suchen, bis wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.

Wir können den Wald erreichen, ehe sie uns einholen, sagte Oratharc, und im Walde können wir ihnen, falls nötig, entgehen.

Aber ich fürchte mich vor dem Walde, klagte Dschansara.

Uns bleibt keine andere Wahl, sagte Zoanthro, ich zweifle aber, ob wir den Wald vor ihnen erreichen werden. Vorwärts, wir müssen uns sputen!

Tarzan war noch nie im Leben so rasch auf dem Rücken eines Tieres dahingetragen worden. Die Diadets setzten in gewaltigen Sprüngen dahin, aber gleichwohl löste sich die Staubwolke hinter ihnen in ein Dutzend einzelner Krieger auf, gegen die ihre vier Klingen nicht aufkommen konnten. Die einzige Hoffnung beruhte auf der Aussicht, den Wald vor den Verfolgern zu erreichen. Bald schien es zu glücken, bald schien es unmöglich.

Der eben noch so ferne Wald flog beinahe zwischen dem kleinen Gehörn des anmutigen Reittiers auf Tarzan zu, gleichwohl holte der Feind im Rücken auf. Es waren Verfolger von Veltopis – sie waren schon so nahe, daß man sie an der Helmzier erkennen konnte – und sie hatten auch ihre Beute erkannt, denn sie riefen den Flüchtlingen laut zu, anzuhalten, und nannten sogar einige von ihnen beim Namen.

Einer der Verfolger preschte rascher vor als die anderen und kam dicht hinter Zoanthro, der Seite an Seite mit Tarzan den Beschluß machte. Einen Sprung vor Zoanthro ritt Dschansara. Sie war es, die der Bursche laut anrief.

Prinzessin! rief der Mann. Der König verzeiht euch allen, wenn ihr uns die Sklaven ausliefert. Ergebt euch, und alles wird verziehen.

Affentarzan hörte es und fragte sich im stillen, was die drei anderen von Veltopis wohl tun würden. Die Versuchung war groß. Wäre Talaskar nicht gewesen, dann hätte er den anderen womöglich geraten, zurückzubleiben. Aber er wollte nicht zugeben, daß das kleine Sklavenmädchen geopfert wurde. Er zog sein Schwert und fiel etwas hinter Zoanthro zurück, der indessen keine Ahnung vom Grunde dafür hatte.

Ergebt euch und alles ist vergeben! rief der Verfolger nochmals.

Niemals! rief Zoanthro.

Niemals! echote Dschansara.

Dann kommen die Folgen auf euer Haupt! rief der Herold, und weiter jagten sie, Verfolger und Verfolgte, auf den dunklen Wald zu, von dessen Rand aus trotzige Augen die wilde Hetze beobachteten, während rote Zungen bereits im Vorgefühl über die Lippen fuhren. Tarzan hörte mit Erleichterung die gleiche Antwort von Zoanthro wie von Dschansara, die sich beide als liebenswerte Gesellschafter und gute Kameraden erwiesen hatten. Dschansaras Benehmen hatte sich seit der Teilnahme an der Flucht völlig geändert. Sie war nicht länger die verwöhnte Tochter eines Tyrannen. Sie war jetzt ein Weib, das in neugefundener Liebe sein Glück suchte oder eine alte Liebe neu entdeckt hatte, denn sie gestand Zoanthro immer wieder, sie wisse nun, daß sie stets nur ihn geliebt habe. Sie bemühte sich sogar, ihren tückischen Angriff auf Talaskar wieder gutzumachen. Ihre tolle Schwäche für Tarzan sah sie jetzt im rechten Lichte. Weil man ihn ihr nicht gelassen hatte, wollte sie ihn erst recht haben, und aus purem Trotz gegen ihren Vater, den sie verabscheute, hätte sie ihn zu ihrem Gemahl gemacht.

Die sechs spornten ihre müden Tiere nochmals an. Der Wald war ja so nahe! Ach, wenn er doch schon erreicht wäre! Dort war ein Krieger so gut wie drei, und der Kampf war aussichtsreicher, denn unter den Bäumen konnten jene zwölf nicht geschlossen angreifen, und man konnte sie durch geschicktes Manövrieren voneinander trennen.

Ha, es gelang! Mit lautem Jauchzen spornte Oratharc sein Tier zum Sprunge in den Schatten der ersten Bäume, die anderen stimmten ihm im ersten Augenblick voll Freude bei, dann starb der Ton auf ihren Lippen, denn sie sahen, wie eine Riesenhand herniederreichte und Oratharc aus dem Sattel riß. Sie wollten ihre Tiere herumreißen, aber es war zu spät. Sie befanden sich bereits ein Stück im Walde drin und waren mitten in eine Horde der scheußlichen Kolols geraten. Einer nach dem anderen wurden sie von den Diadets gerissen, während die Verfolger, die wohl den Vorgang bemerkt haben mußten, ihre Tiere herumwarfen und davonjagten.

Talaskar, die sich unter dem Griff eines Alaliweibes wand, rief Florensal noch zu: Gottbefohlen, dies ist das Ende, aber ich sterbe in deiner Nähe und bin froher als je im Leben, ehe du nach Veltopis kamst.

Gott sei mit dir, Talaskar, antwortete er. Im Leben wagte ich es nicht zu sagen, im Tode bekenne ich meine Liebe. Liebtest du mich?

Mit ganzem Herzen! Die beiden schienen zu vergessen, daß es noch andere außer ihnen gab. Im Sterben fühlten sie sich in ihrer Liebe allein.

Tarzan war in die Hand eines männlichen Alali geraten und wunderte sich trotz des drohenden Todes darüber, daß hier eine große Horde männlicher und weiblicher Alali zusammen jagte. Dann fielen ihm auch die Waffen der Männer auf. Das waren nicht die schweren Keulen und die Wurfsteine der Weiber. Diese hier führten lange, gerade Speere und Bogen und Pfeile.

Aber jetzt hob ihn das Geschöpf, das ihn gepackt hatte, hoch und hielt ihn prüfend vor das Gesicht. Da begegnete Tarzan einem erstaunten Blick des Wiedererkennens in den tierischen Augen und sah sich einem Bekannten gegenüber. Der Riese war sein Zögling Taug, Waras Sohn. Tarzan wartete nicht erst die Möglichkeit ab, daß sich ihr beiderseitiges Verhältnis geändert haben könnte. Er erinnerte sich der hündischen Ergebenheit, die ihm das Geschöpf sonst bewiesen hatte, und stellte sie gleich auf die Probe.

Setze mich auf den Boden, bedeutete er ihm energisch durch Zeichen, befiehl deinen Leuten, auch alle meine Gefährten niederzusetzen. Laß ihnen nichts tun!

Ohne Zaudern stellte das ungefüge Geschöpf Tarzan sachte auf den Boden und bedeutete den übrigen, mit ihren Gefangenen das gleiche zu tun. Die Männer folgten sofort dem Befehl, und die Weiber alle bis auf eine, die noch zögerte. Doch Waras Sohn sprang mit einem Satz auf sie los und hob seinen Speer wie einen Peitschenstiel; da kauerte sich das Weib voll Angst hin und setzte Talaskar nieder.

Voller Stolz erklärte der neugebackene Häuptling Tarzan, so gut er konnte, welch großer Umschwung bei den Alali vor sich gegangen war, seit der Affenmensch den Männern Waffen gegeben hatte, und welchen Vorteil deren Gebrauch den Männern seiner Art brachte. Jetzt besaß jeder Mann ein Weib, das für ihn kochte – manche, die Stärkeren, hatten sogar mehrere.

Um Tarzan zu unterhalten und ihm zu zeigen, was für große Fortschritte die Zivilisation im Lande der Kolols bereits gemacht hatte, packte er ein Weib bei den Haaren, riß sie an sich und schlug ihr mit der Faust auf den Kopf, worauf sie vor ihm auf die Knie fiel, seine Beine umfaßte und ihn mit einem Liebe und Bewunderung verratenden Blick ansah.

In jener Nacht schliefen die sechs inmitten der ungeheuren Kolols im Freien, am nächsten Tage brachen sie dann nach Trohana auf. Tarzan hatte sich entschlossen, so lange dort zu bleiben, bis er seine normale Größe wiedererlangen würde. Dann wollte er einen entschiedenen Versuch machen, sich den Weg nach seiner Heimat durch den Dornenwald zu bahnen.

Die Kolols gaben ihnen einen Stück Weges bis auf die Steppe hinaus das Geleit, und Männer und Frauen suchten Tarzan in ihrer rohen, ungeschlachten Weise ihre Dankbarkeit zu beweisen für die Änderung, die er in ihrem Kulturzustand herbeigeführt, und das neue Glück, das er ihnen erschlossen hatte.

Zwei Tage später näherten sich die sechs Flüchtlinge der Stadt Trohana. Sie waren noch weit von der Stadt ab, als sie schon von den Posten erspäht wurden, und alsbald ritt ihnen eine Abteilung Krieger entgegen, denn in Minunien ist es immer geraten, sich einen Besucher vorher anzusehen, ehe man ihn zu nahe ans Haus läßt.

Als die Krieger Florensal und Tarzan erkannten, jauchzten sie vor Freude, und einige von ihnen galoppierten wie der Wind nach der Stadt voraus, um die Freudenbotschaft zu verbreiten.

Die Flüchtlinge wurden gleich in den Thronsaal vor Drohahkis geführt, wo der edle Fürst seinen Sohn in die Arme schloß und vor Freude, daß er ihm wiedergegeben war, weinte. Auch Tarzan wurde nicht vergessen, obgleich es einige Zeit dauerte, ehe der König und alle anderen Bewohner von Trohana sich daran gewöhnen konnten, daß dieser Mann, der nicht größer als sie selbst war, Tarzan sein sollte, der erst vor ein paar Wochen als turmhoher Riese unter ihnen geweilt hatte.

Drohahkis rief Tarzan vor seinen Thron und machte ihn dort vor allen Edlen und Kriegern von Trohana zum Zertol, zum Fürsten, beschenkte ihn mit Diadets und Reichtümern und wies ihm eine seinem Range entsprechende Wohnung an. Ja, er bat ihn, doch immer bei ihm zu bleiben.

Dschansara, Zoanthro und Oratharc erhielten alsbald ihre Freiheit und die Erlaubnis, in Trohana zu bleiben. Dann zog Florensal Talaskar an die Stufen des Thrones. Zum Schlusse, sagte er, erbitte ich noch für mich selbst eine Gnade, Drohahkis. Als Zertolosto bin ich nach Brauch verpflichtet, eine zur Gefangenen gemachte Prinzessin aus einer anderen Stadt zu ehelichen. Doch ich habe hier in diesem Sklavenmädchen die Frau gefunden, die ich liebe. Laß mich darum auf meine Ansprüche auf den Thron verzichten und gib mir dafür sie. Talaskar hob ihre Hand, wie um Einspruch zu erheben, aber Florensal ließ sie nicht zu Worte kommen. Da erhob sich Drohahkis, stieg die Stufen seines Thrones herab, nahm Talaskar an der Hand und führte sie zu einem Platze neben dem Throne. Dann sagte er:

Du bist nur durch Herkommen verpflichtet, eine Prinzessin zu ehelichen, Florensal. Aber Herkommen ist kein Gesetz. Ein Angehöriger von Trohana kann ehelichen, wen er will.

Selbst wenn er durch Gesetz gebunden wäre, eine Prinzessin zu nehmen, fiel Talaskar ein, dann dürfte er mich freien, denn ich bin die Tochter des Talaskhago, dem König von Mandala. Meine Mutter fiel wenige Monate vor meiner Geburt in die Gefangenschaft, und ich kam in eben jenem Verließ zur Welt, in dem mich Florensal fand. Meine Mutter hatte mich angewiesen, nie einen anderen als einen Prinzen zu ehelichen, lieber zu sterben. Aber ich hätte ihre Weisung vergessen, auch wenn Florensal nur der Sohn eines Sklaven gewesen wäre. Nicht im Traume ahnte ich, daß er der Sohn eines Königs sei, bis zu jener Nacht, in der wir aus Veltopis entwichen. Aber schon lange zuvor hatte ich ihm mein Herz geschenkt, obgleich er das nicht wußte.

Wochen vergingen, und immer noch zeigte sich an Tarzan keine Veränderung. Er war ganz zufrieden mit dem Leben bei den Minuniern, aber er bekam Sehnsucht nach den Seinen, vor allem nach seinem Weibe, das sich um ihn grämte. So entschloß er sich denn, sich, wie er war, auf den Weg zu machen, den Dornwald zu durchwandern und dabei auf sein gutes Glück zu vertrauen. Vielleicht bekam er auf dem weiten Wege seine alte Gestalt wieder.

Seine Freunde suchten ihn davon abzubringen, aber er blieb bei seinem Entschlusse und brach schließlich in der Richtung nach Südosten auf, wo, wie er glaubte, die Stelle war, an der er das Land von Minunien betreten hatte. Ein Kamak, eine Abteilung von tausend berittenen Kriegern begleitete ihn bis an den großen Wald, wo er nach einigen Tagen seinen Zögling Taug fand. Die Minunier sagten ihm nunmehr Lebewohl; als er sie auf ihren anmutigen Reittieren abziehen sah, saß ihm etwas im Halse, das er nur bei den wenigen Gelegenheiten spürte, wenn er Heimweh hatte.

Waras Sohn und sein wildes Gefolge brachten Tarzan bis an den Rand des Dornwaldes. Weiter konnten sie nicht mit ihm gehen. Noch einmal winkte er ihnen zum Abschied zu, dann verschwand er unter dem Dorngestrüpp. Zwei Tage lang verfolgte Tarzan, der immer noch nicht größer war als ein Minunier, seinen Weg durch den Dornenwald. Er traf dabei auf kleinere Tiere, die zwar für ihn in seinem Zustand groß genug waren, um gefährlich zu sein, aber er konnte mit ihnen allen fertig werden. Nachts suchte er sich die Höhle eines größeren Tieres. Vögel und Vogeleier bildeten derweil seine Nahrung.

In der zweiten Nacht erwachte er mit einem Gefühl zunehmender Übelkeit. Eine Vorahnung bevorstehender Gefahr befiel ihn. In der Höhle, die er sich für diese Nacht ausgesucht hatte, war es finster wie im Grabe. Plötzlich kam ihm mit erdrückender Wucht der Gedanke, daß er vielleicht vor dem Augenblick stehe, in dem er seine alte Größe wiedererlangen würde. Wenn dieses Ereignis eintrat, während er in der engen Höhle lag, dann drohte ihm sicherer Tod. Er mußte zerquetscht, erwürgt oder erstickt zugleich sein, ehe er zum Bewußtsein kam.

Schon fühlte er sich so schwindelig wie kurz vor einer Ohnmacht. Er erhob sich auf die Knie und kroch den steilen Gang hinauf, der an die Oberfläche führte. Dann und wann stolperte er, da, plötzlich umwehte ihn ein frischer Hauch der Nachtluft. Er raffte sich wankend auf. Er war draußen! Er war im Freien!

Hinter sich hörte er ein leises Knurren. Er packte sein Schwert und stürzte unter den Dornbäumen entlang vorwärts. Wie weit er gelangte, in welche Richtung er ging, wußte er nicht. Es war immer noch finster, als er stolperte und bewußtlos zu Boden sank.


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