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Ska, der Geier, der auf dem Horn des toten Büffels Gorgo hockte, bemerkte plötzlich eine Bewegung im nahen Dickicht. Er blickte in die Richtung des Geräusches und sah die Löwin Sabor aus dem Laub auftauchen und langsam herankommen. Ska war keineswegs erschreckt. Er mußte wohl fort, aber er konnte mit Würde davongehen. Er setzte zum Absprung an und breitete seine großen Schwingen aus, um aufzufliegen. Aber Ska flog niemals mehr. Irgend etwas packte ihn plötzlich am Nacken und hielt ihn fest. Er richtete sich wieder auf und versuchte, beim zweitenmal mit mehr Kraft, auf- und abzufliegen. Wieder fühlte er sich hinuntergezogen. Jetzt wurde er ängstlich. Das verhaßte Ding, das ihm schon so lange am Halse gebaumelt hatte, hielt ihn am Boden fest. Eine schwingende Schlaufe der goldenen Kette hatte sich am Horn von Gorgo, dem Büffel, verfangen. Ska saß fest. Er zappelte und schlug mit den Flügeln. Sabor machte halt und besah sich seine wilden Sprünge, denn Ska flatterte in einer ganz unerklärlichen Weise umher. Niemals hatte Sabor den Geier sich so benehmen sehen. Da Löwen sehr feinfühlige, mißtrauische Tiere sind, war Sabor nicht nur erstaunt, sie bekam Bedenken. Noch einen Augenblick betrachtete sie sich die unzähligen Kunstsprünge von Ska, dann machte sie kehrt und schlich im Gras davon, nicht ohne gelegentlich noch einmal knurrend zurückzusehen, als ob sie sagen wollte: Komm mir nach, wenn du es wagst! Aber der Geier Ska konnte niemand mehr folgen.
*
Sie kommen! rief der Prinz von Trohana.
Tarzan sah über die Ebene hin nach dem Feinde und erblickte von seiner größeren Augenhöhe aus auch schon den Heerhaufen von Veltopis.
Unsere Aufklärer weichen zurück, berichtete er Florensal.
Kannst du den Feind sehen? fragte dieser.
Ja.
Dann gib mir Nachricht über seine Bewegungen.
Sie kommen in mehreren langen Staffeln an, die über eine weite Front ausgebreitet sind. Die Aufklärer ziehen sich auf die Vorhut zurück, die sie aufnimmt und sich dem Angriff entgegenwirft. Wenn sie nicht schon von der ersten Staffel geworfen werden, müssen sie der zweiten weichen.
Florensal gab ein kurzes Kommando. Tausend Reiter ritten an und setzten ihre Diadets in Galopp, die dabei zwei, ja drei Schritte mit einem Satz nahmen. Geradeaus auf die Linie der Vorhut jagte die Attacke, im Galopp nach beiden Seiten aufmarschierend.
Zwei weitere Tausend marschierten auf Grund von Tarzans Angaben zur Verstärkung der Vorhut auf, denn der Gegner hatte sich in zwei Gruppen geteilt, deren eine die rechte Flanke zu umgehen suchte, während die andere die linke überflügeln wollte.
Sie gehen mit Entschiedenheit aufs Gefangenemachen aus, sagte der Prinz zu Tarzan.
Die zweite und dritte Staffel entwickelt sich geradeaus gegen das Zentrum, sagte Tarzan. Jetzt haben sie die Vortruppen erreicht und sind im Handgemenge. Florensal entsandte Meldereiter nach der Nachhut. Zur Erklärung des Verhaltens der Vorhut bemerkte er dann: Es wird für dich Zeit, zur Nachhut zurückzugehen, denn in einigen Augenblicken wirst du vom Feind umringt sein, wenn du bleibst. Auch wir geben nämlich dem Angriff nach und ziehen uns fechtend bis zur Stadt zurück. Wenn sie wirklich immer noch bis in die Stadt hineinwollen, wird das Ganze mehr ein Wettreiten als ein Gefecht sein, denn die Gangart ist viel zu scharf, um wirksamen Kampf zuzulassen. Falls sie aber diese Absicht aufgegeben haben und sich mit Gefangenen begnügen wollen, dann werden wir genug Scharmützel erleben, ehe wir bis auf das Fußvolk zurückgewichen sind. Ich zweifle allerdings, ob der Kampf dann noch weitergelangen wird.
Mit ihrer großen Überzahl werden sie sicher Gefangene machen, wir aber auch – doch rasch, zieh dich zur Stadt zurück, ehe es zu spät ist.
Ich bleibe hier, erwiderte der Affenmensch.
Aber dann werden sie dich gefangennehmen oder töten!
Affentarzan lächelte und schwang seinen buschigen Ast: Ich habe keine Angst davor, meinte er.
Weil du sie nicht kennst, entgegnete der Prinz. Du vertraust zu sehr auf deine Größe, aber bedenke, du bist doch nur ein paarmal größer als ein Minunier, und ihrer sind es dreißigtausend, die dich umwerfen werden. Das Heer von Veltopis kam wie der Wind herzu. Der Prinz konnte nur noch einen flüchtigen Versuch machen, Tarzan zum Zurückgehen zu überreden; er bewunderte den Mut seines riesigen Freundes, aber er beklagte dessen verderbliche Unüberlegtheit. Florensal hatte den fremden Gast sehr ins Herz geschlossen und würde ihn gerne gerettet haben, aber er mußte sich jetzt um die Führung seiner Truppen kümmern, denn der Feind war kurz vor dem Einbruch.
Tarzan erwartete das Herankommen der Zwerge auf ihren flinken, zähen Reittieren. Staffel auf Staffel brauste über die wellige Ebene gegen ihn heran und erinnerte ihn an die herankommenden Wogen des Ozeans. Ein Tropfen für sich war harmlos genug, aber die Masse machte daraus eine unerbittliche und schreckenerregende Zerstörungsgewalt. Der Affenmensch sah auf seinen belaubten Ast und lächelte, aber ein wenig bereute er seine Torheit bereits.
Jetzt war seine ganze Aufmerksamkeit vom Treffen der ersten zwei Staffeln gefesselt. Mann an Mann rasten die Aufklärer von Trohana und die Verstärkung von tausend Kriegern neben den Reitern von Veltopis daher. Jeder hatte sich einen Feind gesucht, den er aus dem Sattel zu stechen suchte; auf Armeslänge wurden in tollster Gangart mit den Degen allein wilde Einzelkämpfe geführt, obgleich da oder dort auch wohl einer mit gutem Erfolg seinen Speer brauchte. Ein paar reiterlose Diadets jagten vorneweg, andere suchten nach der Seite auszubrechen, brachten die dichtgedrängten Linien in Verwirrung und manches Tier mit seinem Reiter zum Stürzen. Aber meist sprengten die Reiter ihre Diadets einfach kühn über die erschreckten Tiere hinweg. Die Reitkunst der Minunier war staunenswert, die mühelose, fast unmerkliche Beherrschung der Reittiere grenzte ans Wunderbare.
Tarzan hatte vorgehabt, die Ameisenmenschen mit seinem Aste einfach aus dem Wege zu kehren, aber Freund und Feind waren so durcheinander, daß er es nicht wagte, um seine Gastgeber nicht aus dem Sattel zu werfen. Er hob seinen Ast hoch und wollte warten, bis die ersten Linien vorbei waren. Wenn dann nur noch Feinde um ihn waren, gedachte er sie beiseitezulegen und ihr Zentrum zu durchbrechen.
Er konnte die erstaunten, aber keineswegs erschrockenen Mienen der Krieger von Veltopis erkennen und hörte ihr Jauchzen, als einer im Vorbeireiten Tarzans Bein einen boshaften Stich beibrachte. Dann mit einem Male bekam er genug zu tun, um die gegen ihn anstürmenden Geschwader mit dem Zweige abzuwehren. Das gelang ihm auch leidlich, solange die ersten Reihen in aufgelöster Ordnung daherkamen. Aber jetzt stürmte die dichte Reitermasse gegen ihn an, der es gar nicht einfiel, vor ihm ihre Reihen zu öffnen. Dicht geschlossen, stürzte Staffel auf Staffel auf ihn los. Er warf seinen nutzlosen Zweig vor sich nieder, um ihren Ansturm aufzuhalten, griff mit den Händen zu, riß die Reiter aus dem Sattel und schleuderte sie auf ihre ansprengenden Kameraden; aber es kamen immer neue.
Mit ihren Diadets setzten sie über jedes Hindernis. Ein Reiter sprengte geradeaus an, traf den Riesen mit dem Kopfe so wuchtig in die Magengrube, daß ihm der Atem ausblieb, und trieb ihn damit einen Schritt zurück. Ein anderer, dann ein paar stachen nach seinen Beinen. Wieder und wieder durchbohrten die nadelscharfen Degenspitzen seine braune Haut, bis er von den Hüften bis zu den Füßen von seinem eigenen Blute rot war. Seine gegen sie nutzlosen Waffen suchte er gar nicht mehr zu benützen. Er vernichtete mit den Händen soviel er konnte, aber für jeden Gefallenen standen hundert neue bereit.
Mit grimmigem Lächeln merkte er, daß er, Tarzan der Unvergleichliche, der Herr der Dschungel, an diesen Zwergen seine Meister gefunden hatte. Er war jetzt völlig von Feinden umringt, die Krieger von Trohana hatten den Feind aufgefangen und jagten mit ihm auf die siebentausend Mann Fußvolk zu, die die Wucht dieses schrecklichen Ansturms brechen sollten. Tarzan hätte gerne diese Phase des Kampfes mit angesehen, aber er hatte mit seinen eigenen Gegnern mehr als genug zu tun.
Wieder fuhr ihm ein anspringender Reiter so kräftig gegen die Magengrube, daß er wankte. Ehe er sich erholen konnte, bekam er noch einen zweiten Stoß, und dieser streckte ihn zu Boden. Im Nu war er von Kopf bis zu Fuß buchstäblich unter Kriegern und Diadets begraben, die sich so dicht wie Ameisen auf ihn warfen. Er machte noch einen Versuch, sich zu erheben, aber dann verlor er das Bewußtsein.
*
Uhha, die Tochter des Zauberdoktors Khamis vom Stamme des Kannibalen Odebe, lag zusammengekauert auf einem Grashaufen inmitten des kleinen Dorngeheges, das in der Dschungel errichtet war. Es war Nacht, aber sie schlief nicht. Mit halbgeöffneten Lidern belauerte sie den weißen Riesen, der draußen an einem kleinen Feuer saß. Die Kleine kniff tückisch die Augen zusammen, während ihre funkelnden Blicke auf dem Manne ruhten. Jetzt hatte sie keine Furcht mehr vor ihm als etwas Übernatürlichem; nur Haß, unauslöschlicher Haß beseelte sie.
Schon längst hielt Uhha diesen Mann nicht mehr für den Flußteufel. Seine offenbare Furcht vor den großen Raubtieren und den schwarzen Menschen hatte ihr erst zu denken gegeben, dann aber hatte sie die Überzeugung gewonnen, daß ihr Entführer ein Betrüger war. Flußteufel kennen keine Angst. Sie begann sogar Zweifel zu hegen, ob dieser Bursche überhaupt Tarzan war, über den sie so viele Geschichten gehört hatte, daß sie ihn fast auch für einen Teufel hielt.
Als dann Esteban Miranda merken ließ, daß er sich vor Löwen fürchtete und daß er sich in der Dschungel nicht zurechtfand, stimmte das keineswegs mit der Vorstellung überein, die sich Uhha von dem berühmten Tarzan gemacht hatte.
Mit der Ehrfurcht verlor sie auch alle Furcht. Er war wohl stärker als sie und roh. Wenn sie ihn ärgerte, konnte und würde er ihr wehe tun. Aber er konnte ihr nur körperliches Leid zufügen und, wenn sie aus seinem Griff entwischte, nicht einmal das. Schon viele Male hatte sie sich einen Fluchtplan zurechtgemacht, aber sie hatte immer wieder mit der Ausführung gezögert, weil sie sich fürchtete, in der Dschungel allein zu bleiben. Mit der Zeit fand sie jedoch heraus, daß der weiße Mann für sie gar kein Schutz war. Ohne ihn war sie in der Tat besser daran, denn Miranda hatte die Gewohnheit, beim ersten Anzeichen von Gefahr den nächsten Baum hinaufzuklettern. Wenn die Bäume spärlich waren, befand sich Uhha beim Wettlauf um die Sicherheit sogar im Nachteil, denn der stärkere Esteban stieß sie einfach beiseite, falls sie ihm beim Davonlaufen im Wege war.
Lieber wollte sie sich allein durch die Dschungel schlagen, als noch länger in der Gesellschaft dieses Menschen bleiben, den sie gründlich verachtete und haßte. Aber ehe sie ihn verließ, mußte sie ihm noch einen Denkzettel dafür anhängen, daß er sie erst verleitet hatte, ihm zur Flucht aus dem Dorfe des Häuptlings Odebe zu helfen, und daß er sie dann auch noch zur Begleitung zwang.
Obgleich sie schon weit gewandert waren, wußte Uhha doch sicher den Weg nach Hause zu finden, und um die Nahrungssuche unterwegs war ihr nicht bange; auch den Raubtieren würde sie schon zu entgehen wissen. Nur vor Menschen hatte sie Angst. Allein von allen Geschöpfen Gottes ist es der Mensch, der von allen andern Wesen gefürchtet und gehaßt wird, und nicht nur von ihnen, sondern sogar von seinesgleichen, denn er allein hat seine Lust am Töten – er, der Erzfeigling, der von allen Geschöpfen den Tod am meisten fürchtet.
Da lag denn das kleine Negermädchen und spähte nach dem Spanier; ihre Augen funkelten vor Erregung, denn seine Beschäftigung zeigte ihr einen Weg zur Rache. Esteban Miranda hockte am Feuer und betrachtete mit gierigen Augen wieder einmal den Inhalt des Ledersäckchens, den er zum Teil in die hohle Hand geschüttet hatte. Die kleine Uhha wußte, wie hoch der weiße Mann diese glitzernden Steine schätzte, obgleich sie von deren wirklichen Wert keine Ahnung hatte. Sie wußte nicht einmal, daß das Diamanten waren. Sie verstand nur das eine, daß der Weiße die Steine liebte, daß sie ihm mehr wert waren als seine anderen Besitzstücke und daß er ihr mehr als einmal erzählt hatte, er wolle lieber sterben, als sie verlieren.
Miranda spielte lange mit den Diamanten, und die ganze Zeit über belauschte ihn Uhha. Endlich tat er sie wieder in den Sack, den er sorgfältig in sein Lendentuch einknüpfte. Dann kroch er hinter den Dornschutz, zog ein Bündel Gestrüpp vor den Eingang, um das Eindringen wilder Tiere zu verhüten, und legte sich neben Uhha auf das Graslager.
Die Kleine sann, wie sie wohl dem riesigen Tarzanspanier die Diamanten stehlen könne. Heimlich wegholen ging nicht, dazu war das Säckchen zu gut in das Lendenstück eingeknüpft; er wäre beim Herausnehmen aufgewacht. Mit Gewalt konnte das schwächliche Kind aber gegen den riesenstarken Mann erst recht nichts ausrichten. Schade, der ganze Plan mußte in Uhhas kleinem Dickschädel ebenso schnell sterben wie er geboren war.
Draußen vor dem Dorngehege flackerte das Feuer, leuchtete über das Dschungelgras hin und warf phantastische Schatten, die bald länger, bald kürzer in der Dschungelnacht tanzten. Irgend etwas bewegte sich leise und verstohlen in wenigen Schritt Entfernung vom Lager durch die üppige Vegetation. Etwas Großes mußte es sein, denn die langen Gräser bogen sich vor ihm zur Seite. Jetzt wichen sie auseinander, und ein Löwenkopf erschien, dessen gelbgrüne Augen unruhig ins Feuer starrten. Von drüben kam die Witterung von Menschen, und Numa war hungrig. Gerade dieser Löwe hatte schon einmal einen Menschen gefressen und ihn schmackhaft gefunden – außerdem war dieser von allen jagdbaren Wesen das langsamste und zur Verteidigung unfähigste. Aber Numa gefiel die Sache hier doch nicht recht; er wandte sich lieber wieder um und ging dahin, wo er hergekommen war. Vor dem Feuer hatte er zwar keine Angst. Ebensogut hätte er sich auch vor der Sonne fürchten müssen, in die er nicht einmal ohne Schmerzen blicken konnte, und Sonne und Feuer waren für Numa wohl ein und dasselbe. Seine nervöse Furcht war vielmehr von den tanzenden Schatten verursacht. Das waren ungeheure, groteske Wesen, die ihm unbekannt waren, allenthalben um ihn herumsprangen und ihn von allen Seiten bedrohten.
Aber Uhha schenkte den tanzenden Schatten keine Beachtung, und den Löwen Numa hatte sie nicht bemerkt. Sie lag regungslos und lauschte. Das Feuer flackerte nicht mehr so hoch wie vorher, und die Zeit schien auf bleiernen Füßen dahinzuschleichen. Uhha lag zwar gar nicht sehr lange, aber es schien ihr eine Ewigkeit, bis sie ihren Plan reiflich durchdacht hatte und zur Ausführung bereit war. Ein zivilisiertes Mädchen von zwölf Jahren wäre vielleicht auch darauf gekommen, nur ist es zweifelhaft, ob es ihn ausgeführt hätte. Doch Uhha war nicht zivilisiert und machte sich daher keine großen Gewissensbisse.
Des Spaniers tiefes Atmen verriet, daß er fest schlief. Uhha wartete noch etwas länger, um ganz sicher zu sein, dann faßte sie unter das Gras neben sich und brachte einen kurzen dicken Knüppel zum Vorschein. Leise und vorsichtig erhob sie sich, bis sie neben der lang ausgestreckten Gestalt des Schlafenden kniete. Nun hob sie die Waffe hoch über ihren Kopf und ließ sie heftig auf Estebans Schädel niedersausen. Sie brauchte nicht weiter zu schlagen – der eine Hieb hatte genügt. Sie hoffte, daß er nicht tot war, denn ihr Racheplan verlangte, daß er am Leben blieb und sich sagen mußte, daß ihm Uhha seine so teuren Kieselsteine gestohlen hatte. Sie nahm ihm das Messer von der Hüfte, schnitt das Lendentuch auf und nahm das Rehledersäckchen. Danach zog sie die Dornen vom Eingang weg, schlüpfte hinaus in die Nacht und verschwand in der Dschungel. Während der langen Wanderung mit dem Spanier hatte sie auch nicht ein einziges Mal die Richtung nach Hause aus den Augen verloren, und nun endlich frei geworden, wandte sie sich entschlossen und zielbewußt nach Südwesten, genau in der Richtung nach Odebes Dorf. Ein Elefantenpfad bildete eine bequeme Dschungelstraße, auf der sie flink dahinschritt, und die hellen Strahlen des Vollmonds leuchteten ihr auf dem Wege. Die Kleine fürchtete sich wohl vor der Dschungelnacht und den um diese Zeit herumstreifenden Raubtieren, aber sie mußte diese Gefahr auf sich nehmen, um eine möglichst große Entfernung zwischen sich und den Weißen zu bringen, ehe dieser wieder zur Besinnung kam und sich zu ihrer Verfolgung aufmachte.
Hundert Schritt vor ihr stand am Rande des Pfades Numa, der Löwe, im dichten Unterholz, schnüffelte und reckte die Ohren. Hier spielten keine tanzenden Schatten, die seine empfindlichen Nerven hätten erschrecken können. Nur die Witterung eines Menschen kam näher und näher. Ein junges Weibchen, das zarteste von dieser Gattung. Numa leckte sich die Lefzen und wartete. Das Mädchen kam rasch auf der Fährte daher. Jetzt war sie in gleicher Höhe mit dem Herrn der Tiere, aber der Löwe sprang nicht. Irgend etwas im Geruch und im Anblick des Menschen erweckt auch in der Brust des grimmigen Numa Furcht. Wenn er Horta, den Eber, oder Bara, die Antilope, beschleicht, empfindet er nichts, was einem derartigen Gefühl nahe käme. Nur beim Menschen, bei dem hilflosen, langsamen Menschenwesen, überfällt ihn mitten im entscheidenden Augenblick eine Unentschiedenheit.
Uhha schritt vorbei, während in zwei Schritten Entfernung ein großer hungriger Löwe jagdbereit stand. Als sie vorüber war, schlich sich Numa auf die Fährte hinaus und folgte ihr, um hinter ihr herzuschleichen, bis sich seine Unsicherheit gelegt haben würde. So zogen denn die beiden durch die Dschungelnacht – der riesige Löwe auf seinen leisen verstohlenen Tatzen und vor ihm her das kleine Negermädchen, das keine Ahnung davon hatte, daß der grimmige Tod im unsicheren Mondschein hinter ihr herschlich.