Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Kampf

Halles Kontor lag in der Rue François Mirron, hinter dem Rathause. Es war ein altes Haus aus Ludwig XVI. Zeit, mit einem Wappenschild über dem Tor, allegorischen Skulpturen in dem stattlichen Treppenhaus und einem kreisrunden Hof, der von Stall- und Wagenremisen eingeschlossen wurde, die jetzt als Garagen und Werkstätten dienten. Nach Legrands Tod war das alles eingerichtet worden.

Im ersten Stockwerk lagen die Bureauräume, Halles Arbeitszimmer, ein kleiner Salon, den Adele zu ihrem Vergnügen genau im Stil des Hauses eingerichtet hatte, und zwei Schlafzimmer, die Halle und Adele benutzten, wenn sie in der Oper oder in Gesellschaft gewesen waren und keine Lust hatten, den weiten Weg zu ihrer Villa an der Marne hinauszufahren. Auch wenn Halle bis spät in die Nacht hinein gearbeitet hatte, blieb er gern in der Stadt, um morgens desto länger schlafen zu können. Es war sein Ehrgeiz, mit Beginn der Bureauzeit an seinem Schreibtisch zu sitzen, wie spät er auch abends zu Bett gegangen war.

Adele pflegte gegen halb ein Uhr zur Stadt zu kommen, um ihn zum Lunch abzuholen. Sie aßen in dem großen Duval Central beim Palais Royal; Halle ging dann wieder ins Bureau, während Adele Einkäufe und Besuche machte und wieder nach Hause fuhr.

In der großen Villa erwarteten sie keine Kinder. Obgleich sie den Haushalt mit Lust und Liebe führte und an der Tätigkeit ihres Mannes Anteil nahm, konnte es doch in den Stunden der Dämmerung geschehen, daß die Einsamkeit schwer auf ihr lag. Dann ging sie von Zimmer zu Zimmer in ihrem schönen Heim, vom Wintergarten in die Treibhäuser, von den Treibhäusern in den Garten, mit seinem tiefliegenden Rosenparterre, um den Springbrunnen, durch die verschlungenen Wege längs der prachtvoll gehaltenen Rasen, hinunter bis zum Flusse, wo die kleine Brücke zu einer Insel führte, die Halle gekauft hatte.

Sie betrachtete den Sonnenuntergang zwischen den schlanken Pappeln auf dem anderen Ufer des Flusses und dachte, wie ganz anders ihr Leben sich gestaltet, als sie es sich in ihren Mädchentagen ausgemalt hatte.

In ihr war beständig eine heimliche Angst, die sie kaum sich selbst, geschweige denn ihm eingestand –

In einigen Jahren war sie Vierzig. Voller war sie geworden, das aber kleidete sie nur. Ihre Stirn war noch ebenso klar, ihre Augen tief und wechselvoll in ihrem Spiel. Ein graues Haar, das sich hier und dort zeigte, wurde vorsichtig entfernt. Sie fühlte sich sowohl körperlich als auch geistig kräftiger als je. Und dennoch –

Das Herz, das sie damals auf dem Jagdwege empfing, war das Herz eines Knaben gewesen; es gab, was es in seiner Unschuld zu geben vermochte, nicht mehr; sie beide bewahrten die Erinnerung an diese rührende und reine Liebe; vielleicht hinderte gerade sie die unbedingte und rücksichtslose Liebe, die sie als ganz junges Mädchen erlebt und verloren hatte. Aber sie hatte sich nun einmal damit begnügt und konnte sich nicht mehr vorstellen, daß sie den Platz, den sie in Halles geschäftigem Leben ausfüllte, hergeben sollte. Daß der Platz mit jeder Stufe, die er höher stieg, kleiner wurde, sah sie wohl; darum wachte sie neidisch darüber, daß ihr alles das blieb, was seine Tätigkeit übrigließ, und war ihm bei seiner Arbeit ein treuer Ratgeber, dessen klaren Blick er nicht entbehren konnte.

Wenn er aber endlich sein Ziel erreicht, wenn er genug hatte, wenn er innehielt und nach ihr griff, würden ihm dann die sechs Jahre, die sie vor ihm voraushatte, nicht in die Augen fallen?

Es war ihre heimliche Angst, daß dann eine andere Frau, jung wie er selbst, die durch keine Erinnerungen geheiligt wurde, den Platz in seinem Herzen einnehmen würde, den sie nur halb ausfüllte, so daß ihr nur Freundschaft und Erinnerung blieben.

Ach, hätte sie ein Kind, dem sie ihre Muttergefühle geben könnte, dann hätte jeder sein Teil, und alles wäre gut. – –

Als Halle von der entscheidenden Konferenz bei Leroy Frères, dem Geschäft, das von nun an Legrand & Cie. gehörte, zum Bureau zurückkam, stand Adeles Auto vor der Tür, und daneben hielt noch ein anderes, ein glänzend grünlackierter Wagen, mit roten Nelken vor den Fenstern. Als Halle in den Torweg trat, sah er eine Dame, die mit Renard, dem alten Portier sprach, der vor seiner Loge stand. Als sie Halles ansichtig wurde, raffte sie ihren eleganten grauen Pelzmantel zusammen und nickte dem Portier zu. Rotblondes Haar unter einem Pelzbarett mit wehender Straußfeder, ein weißes Gesicht, glatt und klar, ein roter Mund, zart gezeichnete Brauen – das Ganze wirkte wie ein Stück zerbrechliches Porzellan, in Pelz gewickelt. Die emailleblauen Augen sandten ihm einen interessierten Blick, indem sie auf ihren hohen Wildlederstiefeln, die die feinen Gelenke umschlossen, an ihm vorbeischwebte, wahrend die kleine schmale Hand, die von Brillanten blitzte, den Mantel zusammenhielt, als ob sie im Sturm draußen sei. Sie ging etwas zögernd, Halle aber grüßte nur höflich und eilte an ihr vorbei.

Das also war »La blonde Egyptienne«, und draußen hielt ihr Auto. Halle kannte sie von den Theaterplakaten her, von Reklameabbildungen – und aus Didiers Kontobuch, wo ihr Name als der vornehmste, heimliche Agent der Firma eingetragen war.

Halle hatte Legrands Idee verwirklicht. Ein Stab von Frauen – von Varietédivas wie »La blonde« bis herab zu den zweifelhaften Existenzen der Vorstadttheater – bekamen ihren Verbrauch an Toilettenartikeln gratis von der Firma und mußten dafür die Marken vorführen, die Prospekte verteilen, überall das Lob der Fabrikate singen. Herr Didier, der Prokurist, sorgte bei seiner ausgebreiteten Damenbekanntschaft für immer neue Zufuhr; er führte die Listen, hielt die persönliche Verbindung aufrecht und wachte ebenso eifersüchtig über sein Monopol wie Legrand seinerzeit über seinem.

Keine neue Agentin wurde angenommen, ohne daß sie den Wunsch äußerte, dem Chef vorgestellt zu werden. Anfangs hatte Halle sie alle ohne Unterschied empfangen. Und es war recht interessant, denn er lernte in einem halben Jahr mehr von Frauen und Frauenschicksalen als andere in ihrem ganzen Leben. Er erzählte Adele alles, und sie war mit Interesse dabei. Als sie aber den Ekel und die Verachtung sah, die diese Bekanntschaften bei ihm hinterließen, überredete sie ihn, nur noch diejenigen Damen zu empfangen, die einen Namen hatten und nicht abgewiesen werden konnten. Als das Geschäft an Umfang und Ansehen wuchs, konnte er sich um die einzelnen Abteilungen nicht mehr kümmern, und als er bei einer Gelegenheit bemerkte – bei dem Besuch einer ganz jungen sympathischen Dame –, daß nicht nur Sorge um ihn Adele beunruhigte, sondern auch eine ganz persönliche Angst, die sie bisher gut verborgen hatte, da beschloß er, Adeles wegen, jede persönliche Berührung mit Agentinnen auszuschalten, und Didier mußte jeden Wunsch einer persönlichen Bekanntschaft mit dem Chef von vornherein ablehnen. Halle legte den Feldzugsplan fest, nach außen aber trat Didier als der Entscheidende auf und fühlte sich wie ein Fisch in seinem Element.

Den Plan für den Start der neuen Marke hatte Didier ausgeheckt, die Sache sollte auf folgende Weise vor sich gehen:

»La blonde« sollte in einigen Tagen in einem neuen Ausstattungsstück als Kleopatra im Colisée auftreten. Dabei sollte sie den Duft von »La glorieuse« zu den Orchesterplätzen aussenden, wo die Presse und tonangebenden Leute ihre Plätze hatten, und gleichzeitig sollte das neue Parfüm aus verborgenen Quellen unter der Decke und an den Logenwänden bis in die entferntesten Winkel des mächtigen Lokals ausgesandt werden. Für das Programm hatte ein tüchtiger Reklamekünstler nach Didiers Angaben ein prachtvolles Bild gezeichnet, auf dem das neue Parfüm als ein Symbol für Kleopatra und Kleopatra als Symbol für die neue Marke »La glorieuse« dargestellt war, und dieses Doppelsymbol sollte in einer Apotheose von »La blonde Egyptienne«, als Verkörperung für beide, vereinigt werden.

Didier hat nach ihr geschickt, um ihr die Skizze zu dem Programm zu zeigen, dachte Halle bei sich, indem er die alte Treppe mit dem geschnitzten Geländer hinaufeilte. Hätte er sie vielleicht doch ansprechen, sich ihr vorstellen und einige anerkennende Worte sagen sollen, es handelte sich hier ja um einen Hauptcoup, den sie ausführen wollten. Aber es war gegen sein Prinzip, und Didier würde es auch als einen Eingriff in seine persönlichen Rechte betrachten.

Halle ließ sich keine Zeit, in sein Privatkontor zu gehen – daß Adele auf ihn wartete, hatte er ganz vergessen –, sondern eilte gleich über den Gang in Didiers Zimmer.

Auf dem großen Tisch des Prokuristen lagen die Zeitungen ausgebreitet, und bevor Halle noch guten Morgen gesagt hatte, reichte Didier ihm ein Telegramm, das soeben von dem Agenten in Kalkutta eingegangen war und worin er mitteilte, daß alle Schiffe mit Ladungen, die nicht für englische Absender bestimmt waren, bis auf weiteres von der Regierung zurückgehalten wurden.

So weit war es also gekommen: Der Aufruhr in Tongking, von den Japanern heimlich gestützt, hatte sich über das ganze südöstliche Asien verbreitet.

Didier stand vor dem altmodischen Kamin und biß sich in seinen kleinen, gestutzten Schnurrbart, während Halle berichtete, daß er mit der Firma Leroy nun endgültig abgeschlossen und im Vorbeifahren im Kolonialministerium soeben vorgefragt habe, inwiefern zu befürchten sei, daß die kostbaren, in den betreffenden Fahrwassern sich befindenden Ladungen zurückgehalten werden könnten.

Der Hauptkassierer, Herr Lejeune, saß an dem hohen, schloßartigen Fenster und strich sich seine stattlichen Koteletten, während seine kleinen blutunterlaufenen Augen melancholisch zu dem Flügel, der als Speicher benutzt wurde, hinüberstarrten.

Der Laborant, Herr Goguenard, den Halle aus der stillen Werkstatt der oberen Etage hatte rufen lassen, kam lautlos herein und setzte sich auf den nächsten Stuhl. Er war ein kleiner ausgedörrter Gelehrter, mit gelber Haut, die sich über die Backenknochen strammte, und dunklen, unnatürlich glänzenden Augen hinter einer Hornbrille.

Halle fragte Goguenard, wieviel von der neuen Marke mit dem noch vorhandenen Vorrat hergestellt werden könnte.

Als habe er diese Frage erwartet, zog der Laborant einen Zettel aus der Tasche und sagte mit seiner trockenen, leidenschaftslosen Stimme eine Reihe Zahlen her. Halle bewunderte ihn wegen seiner wortknappen Einstellung: Der Gelehrte, der seine Zahlen und Berechnungen gibt, weiter nichts. Ein wohltuender Gegensatz zu Didiers sprunghaftem, temperamentvollem Vortrag; man spürte, daß der Prokurist zwischen Frauen lebte und atmete.

»Für vierzehn Tage also,« sagte Halle, »bei einer Tagesproduktion wie bisher. Habe ich Sie recht verstanden?«

Goguenard machte einen Überschlag und nickte.

»Und wenn wir den ganz großen Erfolg erzielen?«

Halle sah in Didiers kleine unruhig flackernde Iltisaugen. Der Prokurist glättete sein blankfrisiertes Haar mit seiner weißen Hand, die wie eine Frauenhand gepflegt war. Nach einem Augenblick der Überlegung sagte er:

»Dann müssen wir täglich mindestens das Dreifache wie bisher herstellen.«

»Rufen Sie bei Leroy an,« sagte Halle, »und lassen Sie sich sagen, wieviel Moschus sie noch vorrätig haben.«

Didier telephonierte.

Während sie auf den Bescheid warteten, las Halle die Zeitung.

Die erste Seite wurde von Telegrammüberschriften beherrscht, von Bildern des Vizekönigs in Indien, der Festung in Kalkutta, führenden indischen Aufrührern, Männern mit festen Blicken in sanften Gesichtern, die ebensowenig von ihrer Gesinnung verrieten wie der weite Brahmanenmantel von ihrer Gestalt. Auf einer anderen Seite stand etwas über die Generalprobe des neuen Ausstattungsstückes, und ein Bild von La blonde war dabei, in der Rolle der Kleopatra – kein Wort über das Parfüm. Am Morgen nach der Premiere aber würden sämtliche Pariser Zeitungen eine Riesenanzeige und eine Wiedergabe des Programmes bringen: die Presse war bereits für den blendenden Erfolg gewonnen.

Die Antwort, die von Leroy kam, war wenig ermutigend. Didier und Goguenard rechneten, und Halle überlegte hin und her, während er im Zimmer auf und ab schritt.

»Es gibt nur eine Lösung,« sagte er zu Goguenard, »Sie müssen den Zusatz an Moschus herabsetzen. Das Publikum wird nichts davon erfahren, bevor es die verminderte Haltbarkeit des Parfüms bemerkt, also erst nach einiger Zeit. Setzen wir den Zusatz auf ein Drittel herab, dann können wir das Dreifache herstellen und Zeit gewinnen, bis dahin sind die Ladungen dann vielleicht eingetroffen. Ist die Marke erst eingeführt und kommen Klagen von den Detailhändlern, können wir uns immer damit entschuldigen, daß ein Fehler bei der Herstellung vorgekommen ist, dem wir bereits abgeholfen haben. Kommt Zeit, kommt Rat.«

Didier meinte, es sei gefährlich, die Ware zu verschlechtern, bevor sie gut eingeführt sei. Mayer & Fils würden schon dafür sorgen, daß die Minderwertigkeit bekannt würde.

»Sie haben recht,« sagte Halle, »wir müssen mit der weniger haltbaren Ware anfangen, und wenn wir die neue Moschuszufuhr bekommen, können wir den Zusatz verstärken. Ein hübsches Beispiel« – Halle rieb sich vergnügt die Hände –, »wir machen unsere Ware besser, anstatt geringer, wobei wir an Terrain gewinnen. Das wird Mayer & Fils über alle Maßen ärgern. Die ersten Posten werden ja erst übermorgen verschickt?«

Didier nickte.

»Dann ist noch Zeit, den nächsten Posten mit weniger Moschuszusatz herzustellen und statt dessen zu versenden, nicht, Goguenard?«

Der Laborant überlegte, rechnete, rückte an seiner Hornbrille und sagte zögernd zu dem ungeduldig wartenden Halle:

»Der halbe Posten – aber –«

»Das genügt für den Anfang, und Sie produzieren weiter, während wir die erste, die bessere Partie liegen lassen. Es wird schon gehen. Aber strengste Diskretion, dafür stehen Sie mir ein, meine Herren?« fügte er hinzu, während er erst dem einen, dann dem anderen einen festen Blick zuwarf. »Geben Sie auf La blonde acht, Didier, sie scheint mir eine feine Nase zu haben!«

Didier nickte mit einem reservierten Lächeln, das war sein Gebiet.

»Was sie auch sagt oder verlangt, Sie gehen auf nichts ein.«

»Selbstverständlich!« Didier biß sich ärgerlich in seinen Schnurrbart.

»Ja, aber –« begann Goguenard.

Gleichzeitig rückte Lejeune von seinem Fensterplatz an den Konferenztisch, auch er hatte einen Beitrag zu geben.

»Vielleicht zeigt es sich,« sagte er auf seine gewichtige Art, »daß die Marke sich auch mit dem verminderten Zusatz durchsetzt. Dann haben wir an der Produktion ungefähr zehn Prozent gespart, die wir dem Nettogewinn gutschreiben können.«

»Famos!« sagte Halle und legte seine Hand anerkennend auf die runde Schulter des Kassierers.

Der Kassierer wandte seine blutunterlaufenen Augen von Halle ab, um sie auf Didier zu heften. »Da sehen Sie, man soll den Kassierer nicht unterschätzen,« sagte dieser Blick. Und er zog sich würdevoll zu seinem Platz am Fenster zurück.

»Ja, aber –« begann Goguenard wieder. Vergeblich hatte er Halles Blick festzuhalten versucht, endlich war es ihm geglückt.

»Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß seinerzeit auf Ihren eigenen Wunsch der Zusatz an Moschus erhöht wurde. Bei meinem ursprünglichen Präparat –«

»Auf meinen Wunsch –?«

Halle sah erstaunt in Goguenards strahlende Augen. Dann erinnerte er sich, wie »La glorieuse« entstanden war – – –

Vor ungefähr einem halben Jahre war Adeles Tante in Lyon gestorben, und es zeigte sich, daß das alte Parfümrezept aus Großmutters Zeit nicht in den Schubladen der Alten zu finden war. Adele war sehr traurig darüber, Halle aber hatte sie getröstet: Goguenard, der Größte in seinem Fach, würde das Parfüm sicher analysieren und auch ohne Rezept herstellen können. Er ließ sich von Adele den Rest aus ihrer Flasche geben und nahm ihn mit ins Bureau. Bald darauf war Goguenard mit Herrn Didier zu ihm gekommen. Der Prokurist hatte das Präparat probiert und war sich gleich darüber klar, daß es das beste sei, was das Laboratorium je hergestellt hatte. Goguenard hatte ihm nicht gesagt, daß es dasselbe wäre, das er für Frau Adele hergestellt hatte. Didier war begeistert, er meinte, dies Parfüm würde ein Vermögen einbringen, man müsse es nur ganz groß herausbringen, und er hatte sich eine Reklame ausgedacht, die vor ihnen noch niemand probiert hatte: die Marke sollte von der Bühne herunter lanciert werden. Er hatte den aufgehenden Stern »La blonde Egyptienne« als die Richtige ausersehen und wollte es übernehmen, ihr eine passende Rolle in einem Zugstück zu verschaffen. Teuer würde es werden, das Geld aber würde hundertfach zurückfließen.

Halle fand die Idee vortrefflich, prüfte den Kostenanschlag und nahm ihn an. Dann ergriff er die Probeflasche, die Goguenard auf den Tisch gestellt hatte, nahm den Glasstöpsel ab, atmete den Duft – und wurde plötzlich ernst –

Ah, dieser Duft – er hatte ihn seit so vielen Jahren um sich gehabt, daß er ihn gar nicht mehr spürte, jetzt aber erschien er ihm wie ein Wesen, das von Adele losgerissen war.

Wie hoch hatte sein Herz geschlagen, wenn er diesem Duft zu Hause auf dem Jagdweg, im Entree begegnete und er ihm erzählte, daß sie nah sei.

Und im Garten des Luxembourg, als der Wind ihm den Duft wie eine Liebkosung zugetragen hatte und er begriff, daß sie in sein Leben zurückgekehrt war.

Die glückliche Zeit in den kleinen Zimmern auf Montparnasse, das Frühjahr draußen auf dem runden Platz, wo sie zusammen aßen, – hatte ihnen je eine Mahlzeit wieder so gut geschmeckt?

Was führten sie denn jetzt eigentlich für ein Zusammenleben? Eine hastige Stunde in einem öffentlichen Restaurant, eine Stunde beim Mittagessen in ihrem Heim, und beständig lag etwas auf seinem Arbeitstisch, das erledigt werden mußte, bevor er zu Bett gehen konnte. Die Tage vergingen mit Konferenzen, Diktat, Telephongesprächen, – was Ruhe forderte, mußte zu Hause erledigt werden.

Halle entsann sich eines Morgens, als er auf ihrem Bettrand gesessen und sie sich abgewandt und geweint hatte, weil er der Welt einen Teil ihres Wesens preisgeben wollte.

»Herr Goguenard,« hatte er gesagt, »geben Sie der Mischung die doppelte Portion Moschus, dann wird sie vollwichtiger und haltbarer werden.«

Goguenard hatte seine strahlenden Augen auf ihn geheftet.

»Dadurch wird der Charakter des Parfüms verändert.«

»Es wird schon gehen –« Halle hatte sich erhoben. Die Konferenz war beendigt, die Sache entschieden –

 

»Sie haben recht,« sagte Halle, »jetzt entsinne ich mich. Sie bekommen also doch noch Ihren Willen; denn es gefiel Ihnen ja nicht, daß ich Ihnen ins Handwerk pfuschte –«

»Ja, ja, gestehen Sie es nur!« Halle legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter. »Wir setzen also den Zusatz an Moschus herab, das ist die einzige Lösung. Im übrigen müssen wir abwarten.« – – –

Als Halle schließlich in sein Privatkontor kam, war Adele fort.

»Habe zwei Stunden gewartet!« stand mit eiliger Schrift auf seinem Block.

Er konnte an der Schrift sehen, daß sie verstimmt war.

Er ärgerte sich; es war immer die alte Geschichte: wenn etwas Unerwartetes geschah, was besprochen und entschieden werden mußte, konnte er es nie aufschieben. Er hatte keine Geduld, die Sachen der Reihe nach vorzunehmen; das wußten auch alle im Geschäft. Für den ordnungsliebenden Lejeune war es ein ewiger Kummer, daß er vor Überfällen nie sicher war. Didier dagegen, der selbst eine ungeduldige Seele war, verstand diese Eigenschaft und schätzte sie, denn es paßte ihm, daß er nie zu warten brauchte, sondern den Chef zu jeder Zeit in einer wichtigen Angelegenheit aufsuchen konnte.

Es wurde ein langer Arbeitstag; abgesehen von der Viertelstunde, die Halle seinem Frühstück opferte, das er sich aus einem benachbarten Restaurant holen ließ, war er ununterbrochen von acht Uhr morgens im Gange gewesen – und erst jetzt, die Uhr schlug gerade sieben, stand er von seinem Schreibtisch auf.

Er war müde, mochte nicht mehr. Er zog die Gardine beiseite und öffnete das Fenster.

Die kalte Luft verscheuchte den Druck von seiner Stirn.

Das Geschäft war geschlossen, alle Fenster waren dunkel. Nur aus der Portierloge fiel ein Lichtschein über den Hof.

Halle schloß das Fenster und zog den Vorhang zu. Da schnurrte es am Haustelephon.

»Hier ist eine Dame,« hörte er die asthmatische Stimme des alten Renard, »die sich nicht abweisen läßt.«

»Warum haben Sie ihr nicht gesagt, daß ich nicht mehr da bin?«

»Ich habe es ihr gesagt, aber sie kennt Ihr Auto und hat es im Hof halten sehen, sie verlangt, daß ich sie melden und sagen solle, es wäre im Interesse der Firma – – Die Schauspielerin ist es,« fügte er flüsternd hinzu, »die ›La blonde‹ genannt wird.«

Der Blick heute vormittag, ihr zögernder Gang, sie schien etwas von ihm zu wollen, hatte aber wohl Adelens Auto gesehen und es bis jetzt aufgeschoben –

»Schicken Sie sie herauf,« seufzte er, »aber sagen Sie ihr, daß ich nur ein paar Minuten Zeit habe; ich bin um acht Uhr zum Mittagessen geladen.« – –

La blonde Egyptienne stieg zu Halles Privatkontor hinauf.

Er erwartete sie in der offenen Tür und spürte ihren Duft, der vor ihr die Treppe hinaufeilte, hörte das intime Rascheln ihres Kleides, bevor er sie selbst zu Gesicht bekam.

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen,« Halle beugte sich galant über die zart behandschuhte Hand, »ich bedaure nur, daß meine Zeit so knapp bemessen ist. Bitte nehmen Sie Platz.«

Sie sah ihn zum erstenmal ohne Mantel und Hut. Das aschblonde Haar mit dem hübschen, natürlichen Fall, der feste Blick der hellen Augen, der schmale Mund und das energische Kinn, die ganze lässige Eleganz, mit der er tief zurückgelehnt im Lehnstuhl saß, das eine Bein über das andere geschlagen, die schmalen Hände langgestreckt über den Armlehnen –

»Ich bin einer großen Versuchung ausgesetzt gewesen,« begann sie mit einem Lächeln, das zwischen Ernst und Scherz schwankte, »aber ich habe gekämpft und gesiegt, – und jetzt bin ich zu Ihnen gekommen.«

Sie hielt inne, und ihr Blick verweilte sanft auf seinem Mund, als ob sie auf Antwort warte.

Halle nickte und lächelte.

Ein Herr von der Presse, ein guter Freund, habe sie mit einem angesehenen Geschäftsmann zusammengeführt, der schon lange den Wunsch gehabt hatte, sie kennenzulernen. Sie hatten gestern zusammen in der Passage bei Noel-Peters gespeist.

La blonde benutzte die Gelegenheit, um einzuschieben, daß sie diskrete, am liebsten etwas altmodische Restaurants vorzöge; Leute, die sich mit ihr »zeigen« wollten, hätten kein Interesse für sie. Ob Monsieur nicht auch ihrer Meinung sei –?

Halle nickte.

Ein sehr liebenswürdiger, distinguierter Herr. Den Namen nannte er nicht. Beim Dessert aber wurde es ihr klar, daß der Herr die erste Kraft bei Mayer & Fils sei.

Halle horchte auf.

Vom Restaurant war man in die Wohnung des Journalisten gefahren, der eine halbe Stunde später telephonisch von seiner Redaktion abgerufen wurde. La blonde und Herr Dupuy versprachen auf ihn zu warten. Sie machten es sich in der schönen Junggesellenwohnung behaglich. Er unterhielt sie von »Kleopatra«, neckte sie mit Didier, und plötzlich war es herausgekommen, daß er ganz genau über die neue Marke, die sie von der Bühne aus lancieren sollte, Bescheid wußte.

Was Legrand & Co. ihr auch böte, Mayer & Fils würden sie überbieten, hatte Herr Dupuy gesagt. Sie war die ganze Zeit natürlich sehr zurückhaltend gewesen, da aber behauptete er, daß »La glorieuse« ein Fiasko werden würde. Er vertraute ihr an, daß es mit Legrands Erfolgen zu Ende sei. Ihre Vorräte an Moschus seien aufgebraucht, sie würde sehen, daß man in einer, höchstens zwei Wochen dort die Produktion einstellen müsse; er wußte ganz bestimmt, aus dem Ministerium, daß keine Schiffsladung aus dem Osten mehr eintreffen würde.

Die blauen Augen ruhten mit einer Schärfe in Halles, die niemand dieser weichen Emaille zugetraut hätte. Halle aber hatte sich hart gemacht, er wußte, worauf es ankam.

Herr Dupuy meinte, daß sie sich vorsehen und sein Angebot genau überlegen solle – ein zweites Mal würde man nicht an sie herantreten.

»Und worauf ging dieses Angebot aus?« fragte Halle freundlich, während sein Blick stark und hell in dem ihren ruhte.

»Daß ich Legrand laufen lassen«, lächelte La blonde, »und auf Mayer & Fils schwören sollte.«

»Es scheint,« sagte Halle treuherzig, »daß es für Herrn Dupuys Firma von geringerer Bedeutung ist, ob neue Moschussendungen eintreffen oder nicht?«

La blonde glaubte, daß er sie ausforschen wollte.

»Davon war nicht die Rede,« sagte sie nach einem Augenblick der Überlegung.

»Das glaube ich gern,« lachte Halle, »denn ich kann Ihnen anvertrauen, daß er seinen Bedarf durch uns bezieht – allerdings auf Umwegen. Darum, wenn wir stillgelegt werden, entgeht auch er seinem Schicksal nicht. Und damit, dünkt mich, fällt jede Grundlage für ein vorteilhaftes Angebot seinerseits fort.«

La blonde nickte interessiert und beugte sich vor.

Halle vergaß ganz, daß es eine umworbene Primadonna war, bekannt wegen der merkwürdigen Zauberei ihrer Augen, die ihm dort im Schein der roten Lampe gegenübersaß und die Macht ihrer Augen gebrauchte, um einen Kampf mit ihm auszufechten.

»Daran dachte ich auch gleich«, erzählte sie offen, »und sagte es ihm. – – – Da aber rückte er mit seinem Geheimnis heraus –«

Sie machte eine Pause –

Jeder Nerv an ihm war gespannt, aber keine Linie verzog sich um seinen festgeschlossenen Mund, während er ihrem Blick standhielt.

»Würde es Sie sehr interessieren, dieses Geheimnis zu erfahren?«

»Wenn Sie, gnädige Frau, Interesse daran haben, es mir mitzuteilen.«

»Sonst nicht?«

»Vielleicht kenne ich schon das Geheimnis Ihres Gewährsmannes.«

»Sie sind nicht ehrlich gegen mich,« sagte sie mit kindlich weinerlicher Stimme.

»Wenn Sie mir etwas sagen können, was ich noch nicht weiß, werde ich Sie nicht um den Preis betrügen,« gab er schnell zurück. Noch zögerte sie einen Augenblick, dann nickte sie.

»Ich verlasse mich auf Sie.«

Sie schob eine Weile an ihren Ringen, ließ sie in dem roten Licht blitzen, dann sah sie auf und fragte mit einem Lächeln:

»Wissen Sie, was Desmer ist?«

Desmer – das Wort hatte genügt. Sollte es wirklich geglückt sein –?

Er senkte seine Augenlider, spürte ihre Augen auf sich gerichtet, – wußte nicht, ob sie ihm seine Erregung angemerkt hatte. Darauf preßte er die Lippen zusammen, als ob er nach dem anstrengenden Tag ein Gähnen unterdrückte, schlug die Augen zu ihr auf und sagte munter:

»Muß ein Parfümfabrikant nicht wissen, was Desmer ist?«

La blonde aber hatte verstanden; sie zeigte es ihm mit einem Lächeln und fuhr jetzt ohne Umschweife fort.

Mayer & Fils hatten vorausgesehen, wie die Lage im Osten sich entwickeln würde. Gab es keinen Moschus mehr, mußte man versuchen, sich auf andere Weise zu helfen; außer ihrem Laboranten hatten sie noch einen jungen Chemiker angestellt, der nichts anderes zu tun hatte, als mit Desmer zu experimentieren, damit er, gereinigt und veredelt, den viel teureren Moschus ersetzen konnte, auch für die feinsten Marken, eine Aufgabe, an der man im Fach seit Jahren vergeblich gearbeitet hatte; für die billigen Marken hatte man schon lange Desmer verwendet. Jetzt endlich waren die Versuche geglückt, das Rezept war gefunden und bereits bei einer neuen Marke verwandt worden, die man sofort nach dem Erscheinen von »La glorieuse« auf den Markt bringen wollte; man würde aus Legrands Reklame Nutzen ziehen und, falls La glorieuse ein Mißerfolg wurde, ohne sonderliche Unkosten den Platz desselben einnehmen. La blonde mußte zugeben, daß die Essenz prachtvoll sei, etwas Rohes oder Unreines konnte man ihr nicht anmerken. Und vor allen Dingen, sie konnte um ein Drittel billiger als La glorieuse verkauft werden.

Halle hatte schweigend zugehört. Er saß hochaufgerichtet da, die Hände zusammengepreßt, den Blick in dem ihren. Er sah, daß sie noch mehr zu sagen hatte, sie hatte ihren Preis noch nicht genannt.

»Nun, habe ich Ihnen etwas Neues erzählen können?« fragte sie und lächelte nervös.

Freilich war es etwas Neues, die schlimmste Neuigkeit, die man ihm erzählen konnte. Wenn die Ladung jetzt auch kommen und der Moschus wieder reichlich werden würde, konnte man nicht mehr im Preise konkurrieren, wenn es tatsächlich gelungen war, Desmer brauchbar zu machen; das mußte er wissen, um jeden Preis. Er überlegte, wie man die Sache am besten angreifen konnte, während er die Augen fest auf sie gerichtet hielt, ohne sie zu sehen.

Der Blick wurde ihr unheimlich, sie sah sich unwillkürlich nach der Tür um.

»Vielleicht kann ich Ihnen helfen?« flüsterte sie, ganz berauscht von der Wirkung, die ihre Worte gehabt hatten, und einen Preis witternd, von dem sie nicht geträumt hatte.

Halle erwachte aus seinen Gedanken. Er sah den Emailleblick, der jetzt einen roten Schimmer bekommen hatte, vielleicht war es auch nur der Schein der roten Lampe, er sah, wie die zarten Nasenflügel bebten und die geöffneten Lippen zitterten, als ob in ihrem Gemüt etwas Grausames und Lüsternes vor sich gehe.

»Herr Dupuy zeigte mir ein Stück Papier,« fuhr sie flüsternd fort. »›Sehen Sie,‹ sagte er zu mir, ›dieses kleine Rezept bedeutet Gewinn und Verlust von Vermögen.‹«

Wollte sie es stehlen –? Wollte sie ihm anbieten, es mit ihrem Körper zu kaufen, und es dann an ihn verkaufen? – War es eine Chance –?

»Da läutete das Telephon. Halle sprang auf und trat an den Schreibtisch.

»Hallo!« – keine Antwort.

Während er mit dem Hörer in der Hand wartend dastand, betrachtete er das rote Haar, das Lächeln auf dem Porzellangesicht, die weißen Finger, die an den blitzenden Ringen drehten, wie in einem grausamen und lüsternen Spiel, – und im selben Augenblick wurde ihm klar, was er im Begriff war zu tun.

»Ich danke Ihnen, gnädige Frau,« sagte er ruhig, »aber Sie können mir nicht helfen.«

Ihre Augen blitzten ihm entgegen; aber sie beherrschte sich und lachte wieder kurz und hart auf. Darauf bückte sie sich nach ihrer Tasche, die auf die Erde herabgeglitten war, öffnete sie und nahm ein kleines Flakon heraus.

»Und dies?«

Sie sah mit einem nachgiebigen, kindlichen Lächeln zu ihm auf.

Halle wußte sofort, daß es Mayers Marke war. Er hatte auf der Zunge, sie zu fragen, wie sie in den Besitz derselben gekommen sei, bedachte sich dann aber eines Besseren.

Sie las seine Gedanken und bemerkte ganz harmlos:

»Er hat sie mir selbst gegeben.«

»Gestatten Sie?« fragte Halle und streckte seine Hand nach der Flasche aus.

Sie blickte ihm in die Augen.

»Riechen, aber nicht berühren!« sagte sie mit einem kindlichen Lächeln, nahm den Glasstöpsel ab und hielt ihm die Flasche unter die Nase.

Ihr Ärmel glitt bis an die Schulter zurück, der weiße, schlanke, runde Arm wollte, daß seine Hand ihn umfassen, festhalten sollte, und der Blick, der schimmernd und blau in dem seinen ruhte, gab deutlich zu verstehen, daß sie noch mehr zu geben bereit sei –

Halle aber griff nicht um das zarte Handgelenk mit dem Smaragdarmband, er dachte nur an das, was in der Flasche war, sog den Duft ein, einmal, zweimal –

»Diese Flasche kaufe ich,« sagte er. »Nennen Sie mir den Preis! Und auch die Neuigkeit versprach ich ja zu honorieren,« fügte er mit einem Lächeln hinzu.

So hatte sie es sich nicht gedacht; doch verbarg sie ihre Enttäuschung, sprang auf und stand einen Augenblick vor ihm, als ob sie ihre weißen Arme um seinen aufrechten Nacken schlingen wollte.

Er sah ihr in die Augen, bis sie den Kopf beugte, ihm die Flasche reichte und ihren Preis nannte.

Halle ging zum Schreibtisch, zündete die Lampe an und schrieb einen Scheck aus.

Indem er ihn ihr reichte, sagte er höflich:

»Wie Sie sehen, gnädige Frau, habe ich den Scheck ›Akonto Abrechnung‹ ausgeschrieben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich mich niemals an unser kleines Zusammensein erinnern werde, das ohne Zeugen stattgefunden hat, so groß das Vergnügen, Sie kennenzulernen, auch war!« – –

Halle rief zu Hause an, um Adele von dem Besuch zu erzählen.

Sie war in die Oper gefahren.

Aha, sie wollte ihn strafen, weil er sie vernachlässigt hatte.

Auch gut! dachte er und machte sich hart – es fiel ihm nicht mehr so schwer. Darauf gab er Bescheid, daß er in der Stadt bleiben würde.

Sie konnte natürlich nicht wissen, was ihn bedrohte, – aber es war nicht das erstemal, daß sie ihn mit dergleichen Kleinigkeiten quälte. – Daß sie sich gekränkt fühlte, weil er sie im Drange der Geschäfte vergaß, sie, die Überlegene, das sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich – –

Er hielt in seiner Wanderung inne. War es nicht, als ob sie dort im Halbdunkel der Tür stand und ihn mit einem langen, traurigen Blick ansah? Er streckte die Arme nach ihr aus, wollte sie zurückhalten –

Es kann ja nicht anders sein, sie lächelte wehmütig, du hast es ja selbst so gewollt –

Es durchrieselte ihn kalt.

Übermüdung des Gehirns, dachte er und schüttelte es von sich ab.

 

Ein junger Mann kam herein und meldete Halle, daß ein fremder Herr und eine fremde Dame daseien, die ihn begrüßen wollten. Damit überreichte er Halle zwei Visitenkarten.

»Peter Smarth« stand auf der einen, »Vertreter und Reisender des Drogengeschäftes und der Chemischen Fabrik A. Dam, Jagdweg, Kopenhagen.«

»Frau Minna Smarth geborene Hvilding« stand auf der anderen.

Halle schob die Akten von Leroy beiseite. –

Es waren schon mehrere Jahre her, seit Halle etwas vom Jagdweg gehört hatte; damals hatte Onkel Per ihm mitgeteilt, daß die beiden alten Schwestern Hanne und Mine im Laufe eines halben Jahres gestorben waren. »Unzertrennlich im Leben,« schrieb Per, »und getreu bis in den Tod.« In demselben Briefe hatte er erzählt, daß Jonas einen leichten Schlaganfall gehabt hätte, Tante Nette aber sei so munter wie immer; trotz ihrer Jahre führe sie den Hausstand für ihren Mann und für ihn, Per; er habe nämlich seine Junggesellenwohnung und seine »langjährige, unvergleichlich geduldige Haushälterin« verlassen und sei in Hannes und Mines Zimmer gezogen. Jensen war in dem Stift für unverheiratete Handwerkertöchter ausgenommen worden, und Nette hätte keine andere Hilfe, wollte keine haben, als eine Morgenfrau. Von Harald Hvilding erzählte er, daß er sich als Geschäftsmann etabliert habe. Er käme gut voran, und Minna, die sich »aus bestimmten Gründen häufig auf dem Jagdwege sehen ließ«, sei in seinem Geschäft angestellt. »Smarth, der geborene Sörensen,« wie Per schrieb, »hatte dem Namen keine Schande gemacht. Er hatte sich in dem A. Damschen Staat, der seit Onkel Adams Ableben einen erfreulichen Aufschwung genommen hatte – was Nette und Jonas zum Quartaltermin zugute käme –, immer mehr heraufgearbeitet.« Smarth nennt sich jetzt Vertreter und hat sein Privatkontor in Nettes alter Wohnstube, wenn er nicht für die Firma auf Reisen ist.

Halle hatte einen Augenblick bei Minnas »aus bestimmten Gründen« verweilt und sich gedacht, daß Per diskret damit andeuten wollte, daß sie mit ihrem bescheidenen Gehalt nicht auskam und sich hin und wieder Pers Freigebigkeit zunutze machte. In seinem jährlichen Geburtstagsbrief aber, einige Zeit darauf, hatte Ib von einem Besuch erzählt, den er in Kopenhagen gemacht hatte; Tante Nette hatte ihm anvertraut, sie sei dahintergekommen, daß bereits seit Jahren eine Beziehung zwischen Minna und Smarth bestehe. Tante Nette war anfangs gerührt gewesen, daß Minna, statt Per anzupumpen, französische Stunden gab; ihr erster Schüler war Smarth gewesen. Und jetzt zeigte es sich, daß es nur ein Vorwand gewesen war, um diesen – pfui – Smarth auf seinem Zimmer zu besuchen. Und dabei hatte Tante Nette sich bestrebt, eine passende Partie für die Mutterlose zu finden, hatte sie bald mit diesem, bald mit jenem jungen Mann aus guter Familie zusammengeführt. Tante Nette war so empört, daß sie Minna nicht mehr bei sich sehen wollte.

Wäre Halle den beiden auf der Straße begegnet, er hätte keinen von ihnen wiedererkannt.

»Guten Tag, Halle.«

Derselbe schlaffe Druck der kleinen weichen Hand, dasselbe Haltlose über der ganzen Erscheinung – und dennoch welch eine Veränderung!

Sie war stärker geworden. Die durchsichtige Bluse zeigte die üppige Rundung der Schultern; die Brust wölbte sich voll unter dem nackten, mattweißen Hals, mit den feinen Schattenlinien. Die Hüften waren breit und beweglich. Die Lippen, rot, voll, etwas geöffnet, – und wie war das Lächeln wissend, während es träge auf ihren Lippen verweilte! Die starke Sinnlichkeit, von der ihre ganze Person geprägt war – sogar die Stimme war girrend und dunkel im Tonfall geworden –, machte einen starken Eindruck auf Halle.

Halle betrachtete den jungen Mann, der so sicher auf seinen Füßen stand, mit dem angenehmen Lächeln, dem blonden Haar, das von Pomade glänzte und nicht mehr hochgekämmt, sondern zu einer zierlichen Frisur gescheitelt war. Das Gesicht war nicht mehr eckig, es hatte eine behagliche Rundung bekommen, die Augen waren klar, mit einem wäßrigen Blick; eine kleine englische Schnurrbartbürste schmückte seine Oberlippe.

War dieser ansehnliche Herr in dem gutgearbeiteten Jackettanzug, der grauen Weste, der weinrot gemusterten Krawatte mit der Perlennadel, den schön gebügelten Beinkleidern, Lackstiefeln und grauen Gamaschen wirklich der ehemalige Verwalter?

Halle erfaßte mit einem Blick, welche Verschiebung zwischen diesen beiden Gefährten seiner Jugendjahre vor sich gegangen war, ob nun das heimliche Liebesverhältnis oder das Eheleben daran schuld waren: sie geistig versimpelt durch seine grobe Männernatur – er körperlich und sozial verfeinert durch ihre weibliche Kultur.

Arme Minna!

Als ob sie Halles Mitleid spürte, schmiegte sie sich an Smarths Arm und sagte lächelnd:

»Weißt du, Halle, es ist eigentlich unsere Hochzeitsreise.«

»Ja,« lachte Smarth und streichelte die Hand, die auf seinem Arm lag, als ob er sagen wollte: dieses köstliche Ding gehört mir; aber was hat sie mich auch gekostet!

»Ja,« lachte er, »als wir voriges Jahr heirateten, hatte ich keine Zeit zu reisen, versprach aber, sie bei erster Gelegenheit mitzunehmen – und jetzt sind wir hier.«

Smarth machte seinen Arm behutsam von ihrer Hand frei, betrachtete Halle mit ehrerbietiger Bewunderung und sagte: »Darf ich Sie vor allen Dingen zu der ungewöhnlichen Position beglückwünschen, die Sie sich geschaffen haben, Herr Halfdann.«

Er blickte sich um, in dem Zimmer mit den hohen, schloßartigen Fenstern, den Deckenornamenten und den alten Malereien über der Tür, und darauf warf er einen Blick durch das Fenster auf den großen runden Hof:

»Es ist ja der reine Palast!« Und er fügte hinzu:

»Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen einst in meinem kleinen Zimmer neben dem Speicher weissagte: Sie werden es weit bringen, Herr Halfdann, Sie mit Ihrer Begabung.«

Ganz so war es wohl nicht – Halle erinnerte sich dessen noch recht gut.

»Und Sie erst!« Halle gab ihm seine Schmeichelei zurück, »Sie haben sich die Prinzessin und das halbe Königreich errungen!«

»Ja, die Prinzessin,« lachte Minna.

Aber ihre Stimme klang etwas unnatürlich, wie es Halle schien.

»Die Prinzessin, ja,« sagte Smarth und streckte seine große Hand nach ihr aus.

»Wie geht es Adele,« fragte Minna, »ich habe mich oft nach ihr gesehnt.«

»Es geht ihr gut. Sie pflegt mich sonst zum Frühstück abzuholen, heute aber kommt sie nicht, weil sie um vier Uhr eine Verabredung hat. Haben Sie übrigens schon gefrühstückt?« beeilte Halle sich hinzuzufügen.

»Wir haben im Hotel gegessen, wir wohnen im Grand,« sagte Smarth und schob seine Brust vor.

»Ich hätte Lust, Adele zu überraschen, wie weit wohnt ihr von hier?« fragte Minna.

»Zwanzig Minuten mit dem Auto.«

»Ja, tu das, mein Kind!« sagte Smarth und streckte wieder seine Hand nach ihr aus; es konnte Befehl oder Bitte oder nur eine Zärtlichkeit bedeuten, je nachdem.

Halle begriff sofort, daß es eine Verabredung war. Smarth wollte mit ihm allein sein.

»Sie wird sich sicher sehr freuen,« sagte Halle, »vor halb vier Uhr wird sie nicht von zu Hause fortfahren.« Er sah zur Garage hinüber: »Du kannst mein Auto benutzen, es hält dort unten.«

»Gott, Halle!« sagte Minna mit ehrlicher Bewunderung, »habt ihr jeder euer Auto?«

»Natürlich!« sagte Smarth und schob wieder seine Brust vor.

»Gut, dann fahre ich zu ihr.«

In der Tür drehte Minna sich um und ließ ihre braunen Augen auf Halle und Smarth ruhen. Verglich sie die beiden, wie sie dort standen und ungefähr gleich groß waren: den Anbeter ihrer Kinderjahre und ihn, der ihr Liebhaber gewesen, seit sie in ihrem neunzehnten Jahr mutterlos und arm geworden war?

»Ich werde Bescheid geben,« sagte Halle und ging an das Haustelephon.

»Du darfst Adele nicht telephonieren,« bat Minna. »Es soll eine Überraschung sein.« .

Smarth schüttelte lächelnd sein frisiertes Haupt; und Halle gab dem Portier Bescheid.

»Auf Wiedersehen!«

Halle wartete, bis er hörte, daß das Auto durch den Torweg gefahren war, darauf bot er Smarth Platz im Sessel vor dem Kamin, nahm selbst am Schreibtisch Platz und sagte mit seinem alten Knabenlächeln:

»Na, Smarth, da wir nun auf gewisse Weise verschwägert sind: was haben Sie auf dem Herzen?«

Smarth sah erstaunt auf. Dann lächelte auch er auf seine alte Weise und sagte: »Das sieht Ihnen ähnlich, Halfdann, immer gleich mit der Tür ins Haus fallen! Ja, Sie haben richtig geraten, ich habe etwas auf dem Herzen, etwas, was auch für Sie Interesse haben kann. Das war nämlich auch mein Gedanke: da wir ja verwandt sind und in derselben Branche arbeiten – das darf ich wohl behaupten –, so sind Sie der rechte Mann, auch weil Minna, wie Sie wohl wissen, Frau Assess... hm! – Tante Nettes Anteil erben soll.«

Halle mußte unwillkürlich lächeln.

»Ja,« Smarth lächelte auch und schüttelte sein frisiertes Haupt, »die alte Dame liebt mich ja nicht, und ich kann wohl sagen –«

»Minna soll also Tante Nettes Anteil an dem Damschen Geschäft erben,« nahm Halle den Faden auf, damit Smarth sich nicht in Weitschweifigkeiten verlieren sollte: da lagen ja noch alle Akten von Leroy und warteten auf ihn – »das wußte ich nicht. Und nun?«

»Dam ist ein gutes Geschäft geworden,« sagte Smarth, streckte seinen Kopf vor und heftete seine wasserblauen Augen nachdenklich auf Halle, »wollen Sie das Geschäft nicht kaufen, Halfdann! Das wollte ich Ihnen in alter Vertraulichkeit persönlich sagen. Es ist billig zu haben, ich weiß es, ich habe es nämlich an der Hand. Ich will Ihnen sagen,« er sah sich im Zimmer um und dämpfte seine Stimme, »ich habe entdeckt, daß der Prokurist nicht ganz reine Hände hat. Verstehen Sie. Und darum hat er mir ein Angebot gemacht, das er dem Geschäftskonsortium gegenüber vertreten will, wenn ich die Geschichte ruhen lasse, Sie verstehen –«

Halle nickte. Oh, er verstand, – wie es Smarth ähnlich sah!

»Ich habe nicht soviel Geld zur Verfügung – noch nicht,« fügte er hinzu und schob die Brust vor, wie es seine Gewohnheit geworden war.

»Aber ich dachte gleich an Sie und Ihre ungewöhnliche Position und daß wir durch unsere Verwandtschaft und Minnas Anteil sozusagen gemeinsame Interessen haben.«

»Freilich, freilich,« Halle nickte wohlwollend, »es würde mir schon Spaß machen, das alte Familienaktiv zu übernehmen. Ich aber sitze ja hier in Paris fest, wer sollte es für mich führen?«

Halle sah Smarth lächelnd an.

Smarth gab ihm seinen Blick lächelnd zurück und rieb sich vergnügt die Knie – Halle kannte diese Bewegung noch aus seiner Verwalterzeit.

»Kein anderer als ich,« sagte Smarth schelmisch, »Minnas Mann, Peter Smarth.«

Halle betrachtete ihn. Der Bursche war tüchtig. Er hatte sich tatsächlich aus Nichts etwas aufgebaut. Alles, was er besaß, war mit seiner Schiffskiste untergegangen, und nun saß er hier und verhandelte über das Geschäft, in das er vor siebzehn Jahren eingetreten war, ohne Vorkenntnisse, aus Gnade, mit halbem Gehalt.

Halle bekam eine Idee, er ging ein paarmal durchs Zimmer, stellte sich dann vor Smarth auf, der sich ebenfalls erhoben hatte, wie es einem gebildeten Manne geziemt.

»Sagen Sie mal,« Halle sah ihm fest in die Augen, »können Sie fremde Sprachen?«

»Fremde Sprachen?« Smarth zögerte, wo wollte Halle hinaus? »Fremde Sprachen,« wiederholte er, »ich spreche perfekt Englisch, haben Sie vergessen, daß ich fünf Jahre in den Vereinigten Staaten war?«

»Und Sie waren auch in Mexiko, nicht wahr?«

»Ja.«

»Können Sie Hitze vertragen?«

»Ich?« Smarth wurde immer verdutzter, »ja freilich, aber – –«

»Möchten Sie reisen?«

»Ich reise für mein Leben gern, darum bin ich Reisender bei Dam geworden. Immer auf demselben Stuhl sitzen, das halte ich nicht aus, und dabei kommt man nicht vorwärts.«

»Nein, natürlich. Aber wie war es mit den Sprachen?«

»Wenn man Reisender ist –?« sagte Smarth etwas gekränkt.

»Gut – Englisch und Deutsch, wie aber ist es mit Französisch?«

Smarth warf den Kopf in den Nacken und schob die Brust vor.

»Sieht es Smarth ähnlich, eine Chance nicht zu benutzen?«

Halle sah ihn fragend an.

»Sehen Sie, es war nicht ganz leicht für Minna und mich, weil Tante Nette immer dagegen war; darum kam sie zu mir ins Kontor, um mir französische Stunden zu geben: sie wollte etwas neben dem bescheidenen Gehalt verdienen, das sie in dem Geschäft ihres Vaters bekam, sagte sie, und das wurde von Tante Nette anerkannt. Na, Sie kennen ja die Frauen, ich aber sorgte dafür, daß nicht nur gekost wurde, und nachdem ein paar Jahre vergangen waren, sprach Peter Smarth ebenso gut Französisch wie Minna.«

»Ausgezeichnet!« Halle rieb sich die Hände.

»Sie sind doch noch ganz der alte,« konnte Smarth sich nicht enthalten zu sagen, »so pflegten Sie sich damals auch die Hände zu reiben, wenn Ihnen etwas gelungen war.«

Halle nickte und verwandte kein Auge von ihm.

»Was verdienen Sie bei Dam?«

Smarth nannte den Betrag.

»Hören Sie zu,« Halle faßte den seidenen Aufschlag seines Rockes, »ich habe Gebrauch für einen Mann wie Sie. Ich zahle Ihnen das Doppelte, vorläufig für ein Jahr. Es handelt sich um einen selbständigen Reiseposten. Wenn Sie das erledigen, was wir von Ihnen erwarten, dann werde ich Ihnen eine leitende Stellung bei mir geben und Ihnen doppelt soviel zahlen, wie Sie jetzt verdienen. Und können wir uns nicht vertragen, dann kaufe ich Dam und setze Sie als Geschäftsführer ein.«

Smarth versuchte mit starren Augen zu ergründen, was dahinterlag. Sein Instinkt aber sagte ihm, daß dies eine Vertrauenssache sei, der man mit Vertrauen begegnen müsse, falls er sich in den Augen des anderen nicht herabsetzen wollte. Er schob seine Brust vor, reichte seine große Hand hin und sagte, wie der eine Biedermann zum anderen zu sprechen pflegt:

»Hier meine Hand, Halfdann. Ihr Angebot nimmt Peter Smarth unbesehen an.«

Halle erzählte ihm, was geschehen war –und wie er diesen selben Morgen im »Jardin des plantes« – er kannte den Garten genau von seinen Studienjahren – gewesen war und, im Interesse eines heimlichen Plans, sich den Tierwärter gesichert hatte, der für die kleinen Raubtiere, unter denen die Desmerkatzen wegen ihres durchdringenden Geruches sich von weitem bemerkbar machten, zu sorgen hatte. Der Betreffende war jung, mißvergnügt, geldgierig, – und Halle hatte ihn gekauft. Jacques Berton war schon im Bureau gewesen und hatte Vertrag bekommen. Dieser Mann sollte Smarth auf der Reise nach Abessinien begleiten.

Smarth war gleich im Bilde; das war etwas für ihn. Konnte Minna so lange bei Adele bleiben?

Als er von La blonde und den übrigen Agenten hörte, die die Firma unter den leichtlebigen Pariser Frauen hatte, funkelten seine Augen.

»Donnerwetter!« sagte er, »und was für Mädchen laufen hier in Paris 'rum!« Er hatte gestern abend, als Minna nach der Reise zeitig zu Bett gegangen war, noch einen kleinen Bummel über den Boulevard gemacht.

Halle führte Smarth zu Didier und stellte ihn als den Mann vor, den sie gebrauchen konnten. Einen Mann, den niemand in Paris kannte, das Geheimnis war also gesichert

Halle lud Smarth ein, am selben Abend an der Premiere von Kleopatra teilzunehmen; er konnte mit Didier in der vergitterten Loge sitzen. Halle selbst hatte keine Zeit. Leroys Akten warteten ja.

Didier versprach, daß er Smarth in der Pause mit auf die Bühne nehmen wollte, um ihm La blonde vorzustellen. Smarth war im siebenten Himmel und schob unablässig seine Brust vor.

Es traf sich so günstig, daß Adele bald darauf telephonierte, daß Minna bei ihr essen wollte, um ihr zu helfen, die Damen des Komitees zu unterhalten. So wurde denn verabredet, daß man Smarths Engagement mit einem Mittagessen bei Noel-Peters feiern wollte, bevor die Herren zur Premiere fuhren und Halle sich an die Bearbeitung von Leroys Akten machte, die morgen früh an den Rechtsanwalt gehen sollten.

 

Adele hatte ihren Mann nicht gesehen, seit er an jenem Morgen von der Villa direkt zu Leroy gefahren war. Sie war zeitiger als gewöhnlich ins Bureau gefahren, um etwas von seiner alten Arbeitsstätte zu hören, die so viele Erinnerungen für sie beide barg. Da hatte sie das elegante, grünlackierte Auto vor dem Torweg halten sehen, und der Portier hatte ihr gesagt, daß es der Wagen von La blonde sei.

Während sie in Halles Privatkontor saß und wartete, stieg der Verdacht in ihr auf, daß er die Schauspielerin bei Didier getroffen und deswegen sie und das Frühstück vergessen habe.

Sie schob den Verdacht mit Verachtung von sich, der Gedanke aber meldete sich immer wieder, so daß sie schließlich die bitteren Worte auf seinen Block schrieb, und der Gedanke verfolgte sie den ganzen Tag.

Sie ging rastlos durch ihre Zimmer, in der Erwartung, daß Halle telephonieren und sich entschuldigen würde; aber er telephonierte nicht.

Sie versuchte sich zu ruhigem Nachdenken zu sammeln, aber es gewährte ihr keinen Trost. Wenn auch die Eifersucht, die ja im Grunde aus der Luft gegriffen war, unwürdig schien, so blieb doch die Frage zurück, die sich nicht ohne weiteres abweisen ließ:

War die Zeit vorbei, wo Halle nichts von Wichtigkeit vornehmen konnte, ohne es mit ihr zu besprechen? Die glücklichen Tage, als sie jede Sorge, jeden Sieg zusammen durchlebten – waren sie wirklich vorbei? Es betrübte und verletzte sie, daß er zwei Tage, nachdem er etwas so Wichtiges wie den Besuch bei Leroy vorgenommen, die Resultate noch nicht mit ihr besprochen hatte. Bedeutete das nicht, daß er ihrer Hilfe nicht mehr bedurfte? Wenn dem aber wirklich so war, konnte sie es ihm übelnehmen, daß er ihr über den Kopf gewachsen war?

In ihren einsamen Stunden kämpfte sie mit der aufsteigenden Bitterkeit. Wieder und wieder ging sie ans Telephon, um ihn zu bitten, ihr zu sagen, was ihn so stark in Anspruch nähme. Ihr Stolz aber hielt sie jedesmal davon zurück. Wenn er sie entbehren konnte, dann konnte sie auch ohne ihn fertig werden. Das wollte sie ihm zeigen, und darum entschloß sie sich, in die Oper zu fahren. Nun konnte er allein essen und mit all dem einbrennen, was er auf dem Herzen hatte. Wer schon im Theater bereute sie ihre Handlung, sehnte sich nach Hause, verlangte danach, ihn an sich zu drücken und alles zu vergessen. Als sie nach Hause kam, hatte der Diener den telephonischen Bescheid auszurichten, daß der Herr in der Stadt bliebe.

Wieder überkam sie die heimliche Angst, Müdigkeit nach dem bewegten Tage hatte sie widerstandslos gemacht. Vielleicht saß La blonde jetzt auf ihrem Platz, sie meinte das rotblonde Haar im Schein der roten Lampe auf dem Kamin zu sehen.

Spät in der Nacht schlief sie ein.

Sie erwachte mit Kopfschmerzen, das war Halles Schuld. Sie kannte ihn: jetzt würde er bereut haben und zeitig anrufen, um zu fragen, wann sie zur Stadt käme, damit er ihr berichten könne – Halle aber telephonierte nicht.

Sie begann sich allen Ernstes zu sorgen; trotzte er, dann wollte sie dasselbe tun. Es war ein Kampf, in dem sie und nicht er gewinnen durfte. Denn wenn er nicht zu ihr kam, weil er nicht anders konnte, dann war alles verloren.

Nicht auf Höflichkeit, nicht auf Mitleid oder Rücksicht legte sie Wert, sondern sie mußte und wollte wissen, ob sie ihm noch notwendig sei, nicht nur mit ihrem Verstand und Willen, sondern auch als Frau, – oder ob der dunkle Lag bereits gekommen, wo sie in seinem Leben überflüssig geworden war. Zuerst überflüssig, dann eine Last.

Adele saß grübelnd vor dem Spiegel: es waren doch noch dieselben Züge, dieselben Augen, die er einst geliebt hatte! So saß sie, bis die Tränen zu rinnen begannen, und sie fühlte, daß, wenn erst Bitterkeit ihr Gemüt ergriff, die Zeit gekommen war, wo die Jahre ihre Merkmale in ihr Gesicht graben würden.

Nein, sie sprang auf und badete ihre Augen. Sie setzte sich ans Klavier – ging ins Treibhaus zu ihren lieben Orchideen – sie kämpfte, bis schließlich Gleichgewicht in ihr Gemüt zurückkehrte.

Sie mußte siegen, sonst war alles verloren. Es traf sich gut, daß sie zur Einweihung des Waisenhauses fahren sollte, dann würden sie auch heute nicht zusammen frühstücken. Das war eine neue Probe, für die er sie nicht verantwortlich machen konnte, der Tag der Einweihung war ja schon seit langem festgesetzt. Nachher wollte sie das Komitee zum Essen einladen; das war nur eine Höflichkeit, eine Pflicht fast, die er ihr nicht als Herausforderung deuten konnte.

Sie telephonierte. Als sie hörte, daß er in Geschäften unterwegs sei, begnügte sie sich damit, ihm einen Bescheid zu hinterlassen, wie er es gestern getan hatte, anstatt ihn bitten zu lassen, bei ihr anzutelephonieren.

Plötzlich stand Minna in ihrem Zimmer – und mit ihr die alten lieben Erinnerungen – –

Am nächsten Morgen stand Adele zeitig auf. Sie frühstückte in ihrem Zimmer vor dem großen Fenster, das auf die Terrasse hinausging, wo die schlanken Tujas standen. Sie liebte diesen Platz, von wo sie über die hochstämmigen Rosen zu den großen grünen Rasen mit den anmutigen Gebüschen hinübersehen konnte, bis zur Insel mit ihrem Kranz von jungen Platanen, ja, ganz hinüber bis zu den hohen, dunklen Pappeln, die den Horizont hinter der Sportbahn auf der anderen Seite des Flusses abschlossen.

Der Diener brachte die Morgenzeitung, und ihr Blick fiel gleich auf eine ganzseitige, farbige Anzeige mit der Überschrift » La glorieuse«.

La blonde als Kleopatra war darauf abgebildet, mit einem prachtvollen Diadem auf ihrem rotblonden Haar, das lose über die nackten Schultern fiel. Die Brust halb entblößt, hob sie die nackten Arme und hielt eine ägyptische Opferschale über das Haupt des knienden Antonius. Aus der Räucherwolke, die sich aus der Opferschale erhob, ringelten sich wie Schlangen, die Kleopatras und Antonius' Körper umwickelten, und über den Text, ganz bis an den Rand der Zeitung hingezogen, die Worte » La glorieuse«.

Das Bild fesselte sie, obgleich ihr Herz sich dabei zusammenkrampfte. Eine glänzende Reklame war es, ein Vermögen wert; sie kannte Paris zur Genüge, um zu wissen, daß alle Welt dies sehen müsse.

Sie überflog die Kritiken: Unerhört kühne Toiletten – wundervolle Dekorationen, und als Clou die neue Idee, daß Kleopatras Parfüm » La glorieuse«, das sie über Antonius' Haupt ausgießt, bis Roms Herrscher bezaubert zu ihren Füßen liegt, – daß diese betörende Mischung von Frauenaroma und geheimnisvollen Essenzen sich nicht nur von der Bühne über das Parkett, sondern durch irgendeinen sinnreichen Mechanismus über den mächtigen Raum bis in die entferntesten Ecken ergießt. »Wahrlich,« so schloß die Kritik, »die Siegerin war La blonde, die Ehre aber gebührt Legrand in der Höhe.«

Da Minna ungeduldig danach verlangte, zu ihrem Mann ins Hotel zurückzukommen – auf Herrn Smarth war wohl kein rechter Verlaß? – fuhr Adele zeitiger zur Stadt, als es sonst ihre Gewohnheit war. Sie setzte Minna beim Hotel ab, nachdem sie verabredet hatten, daß sie und Smarth eine Stunde später ins Bureau kommen sollten, damit sie zu vieren frühstücken konnten. Darauf fuhr sie weiter zur Rue François Mirron.

Halle erkannte schon ihre Schritte im Vorzimmer. Eine Woge der Freude stieg in ihm auf. Er sprang auf, lief ihr entgegen und faßte ihre Hände.

»Meinen besten Glückwunsch!«

Dieser fremde Klang –

Er sah erstaunt auf, begegnete ihrem kühlen Blick, und das Lächeln verschwand von seinem Gesicht, er ließ ihre Hände los.

»Du bist in diesen Tagen wohl sehr beschäftigt gewesen,« sagte sie, als spräche sie von Wind und Wetter.

»Ja, ich habe alle Hände voll zu tun gehabt,« sagte er so ruhig wie möglich.

Darauf begann er im Zimmer auf und ab zu gehen, erzählte nachlässig von dem Abkommen mit Leroy, bevor er es aber selbst wußte, war er auf dem Wege der Gewohnheit und erzählte ihr von allem, vom Kontrakt mit Leroy, von den Schwierigkeiten der Ladung, der Flasche von Mayer & Fils – und von Smarth, der ihm wie vom Himmel gesandt worden sei! –

Anfangs hatte Adele gleichgültig zugehört, dann aber wurde sie mitgerissen und nahm Anteil wie sonst.

Er fühlte bis in die Fingerspitzen hinein, daß es die alte Adele sei, die dort stand und ihn zu sich zwingen wollte: er sollte zuerst die Arme nach ihr ausstrecken, dann wollte sie sich übergeben – aber früher nicht, nein, nicht früher, er mußte den ersten Schritt tun.

Oh, es war ein Kampf. Halle aber hatte nichts gutzumachen. Hatte sie ihn nicht plötzlich alleingelassen, in dem heißesten Kampf, den er noch zu bestehen gehabt hatte. Er konnte den Ton nicht vergessen, in dem sie gesagt hatte: »Du bist in diesen Tagen wohl sehr beschäftigt gewesen?« Sie mußte zuerst nachgeben, darauf beruhte ihr ganzes zukünftiges Zusammenleben.

Es ist vorbei, flüsterte eine Stimme in ihr, ich habe keine Macht mehr über ihn.

Da schnarrte das Haustelephon. Renard meldete Minna und Smarth.

Während sie in der Rue Montesquieu frühstückten, sagte Minna, sie wolle gern ins Kasino; sie habe gehört, daß man dort das gewagteste Leben von Parks zu sehen bekomme – und es sei ja doch ihre Hochzeitsreise.

Adele war nie dort gewesen, Halle nur ein einziges Mal, mit ausländischen Geschäftsfreunden.

»Das ist ein Lokal für Fremde,« sagte er lachend, »wir Pariser gehen nie dorthin.«

Warum aber nicht? Und Halle bestimmte, daß sie heute abend hingehen, vorher aber in einem richtigen Boulevard-Restaurant zu Mittag essen wollten. – –

Adele fuhr nach Hause, um sich für den Abend auszuruhen. Sie hatte sich in ihrem Zimmer auf den Diwan gelegt, als der Diener ihr einen Brief brachte.

Sie nahm den Brief, drehte ihn hin und her und musterte die Handschrift. Woher kannte sie sie?

»Liebe gnädige Frau,« ihr Blick suchte die Unterschrift, und sie fuhr in die Höhe –

»Liebe gnädige Frau –

Erinnern Sie sich noch des armen Studenten, dem Sie jeden Morgen auf Ihrem Wege zur Ecole de médecine begegneten? Erinnern Sie sich noch des Tages, als es stürmte und er Sie ansprach und bat, ob er die schwere Notentasche für Sie tragen dürfe? Erinnern Sie sich der Zeit, die darauf folgte, des strahlenden Frühlings, der jubelnden Freude? – – Und erinnern Sie sich auch noch des Abschiedes, als die Familie verlangte, daß Sie die große Stadt und Ihr heimliches Glück verlassen sollten, erinnern Sie sich, als er auf Ihrem Bettrand saß, Ihre Hände in den seinen, und zum letztenmal die Süße Ihres Wesens atmete, den Duft, der seinen Weg nicht mehr verschönen sollte, und erinnern Sie sich des Versprechens, das diese beiden jungen Menschen sich in der letzten Stunde gaben: daß die Erinnerung an die Tage ihrer Liebe ihnen heilig sein und durch nichts verwischt werden sollte?

Schon lange hatte ich Ihre Spur verloren, wußte nur, daß Sie ins Ausland gereist waren. Da las ich zufällig in einer ärztlichen Zeitschrift Ihren Namen, eine kurze Notiz von einem Waisenhaus, das unter Ihrer Protektion gegründet werden sollte. Daraus sah ich, mit wem Sie verheiratet sind, und als ich einige Tage später in der Zeitung las, daß Legrand & Co. an dem Ausstattungsstück interessiert seien, das im Colisée mit La blonde Premiere haben würde, ging ich hin, in der Hoffnung, einen Schimmer von Ihnen zu erhaschen.

Ich sah Sie nicht, auch ihn nicht, das Gitter der Direktionsloge verdeckte Sie wohl. Ich sah Sie nicht, plötzlich aber, zum erstenmal nach achtzehn Jahren, fühlte ich Ihr Wesen in der Luft um mich herum – ich erkannte es sofort –

In dem Augenblick, als die Frau auf der Bühne den Inhalt ihrer Schale über das Parkett wogen ließ und das ganze Theater gleichzeitig aus verborgenen Quellen mit einem Duft gefüllt wurde, der einst Ihnen allein gehörte, da hatte ich das Gefühl, daß Sie, Adele, einem lüsternen Haufen preisgegeben würden, und ich saß allein in der johlenden Menge, mit meiner köstlichen Erinnerung, die man mir besudelt hatte!

Wie konnten Sie so etwas zugeben? Nur die bittere Not könnte so etwas erklären. Sie aber sind ja reich. Eines ist gewiß: Ob Sie Ihre Einwilligung gegeben haben oder nicht, der Mann, der Ihnen dies angetan hat, liebt Sie nicht, wie die Adele, die ich gekannt habe, es verdient. Mag er sich an eine Frau wie La blonde halten – Ihrer ist er nicht würdig.

Entweder ist die Adele, die ich geliebt habe, nicht mehr, oder sie ist unglücklich – in beiden Fällen bin ich Ihr tiefbetrübter

Antoine Cadet.«

 

Adele telephonierte Minna, um ihr zu sagen, daß sie nicht auf sie warten sollten; ihre Kopfschmerzen seien viel schlimmer geworden. Sie ließ sich das Essen auf ihrem Zimmer servieren. Nachdem sie gegessen hatte, stand sie auf und kleidete sich an. Darauf fuhr sie zur Stadt und sagte unterwegs dem Chauffeur, daß er sie statt zum Kasino zum Colisée fahren solle. – –

In einem Zwischenakt telephonierte Halle nach Hause und erfuhr, daß Adele ins Theater gefahren sei. Sie suchten alle drei mit ihren Operngläsern, Adele war nirgends zu entdecken. Da fiel es Halle ein, daß heute abend in der Großen Oper ihre Lieblingsoper » Manon Lescaut« gegeben wurde, sollte sie vielleicht dorthin gefahren sein?

Nach der Vorstellung fuhren sie, wie vereinbart, zu einem Nachtrestaurant, wo sie zu Abend essen und dem Tanz zusehen wollten. Halle rief wieder zu Hause an und erfuhr, daß die gnädige Frau schon nach Hause gekommen sei, sich ganz wohlfühle und bereits zu Bett gegangen wäre.

Die Uhr war halb drei, als Halle in die Rue François Mirron kam, nachdem er Minna und Smarth ins Hotel begleitet hatte.

Er stand eine halbe Stunde später als gewöhnlich auf. Während er sich ankleidete, telephonierte er nach Hause.

Die Zofe kam ans Telephon. Jeanne sollte ausrichten, daß Madame bereits um elf Uhr zur Stadt käme; sie habe etwas Wichtiges mit Monsieur zu besprechen. Sie hoffe, daß diese Zeit ihm passe. – –

Adele blieb in der Tür stehen – ihr Herz begann plötzlich so heftig zu schlagen, daß sie stehenbleiben mußte, um sich zu beruhigen.

Halle saß am Schreibtisch, den Rücken ihr zugewandt –

Er hörte sie und sprang auf –

Der Ausdruck in ihrem Gesicht –?

Sie ging langsam auf den Kamin zu, drehte sich dann schnell zu ihm um und sagte:

» La glorieuse« – sie zögerte, um ihrer Stimme Herr zu werden – »ist ja mein Parfüm.«

»Nein,« sagte er, und das Beben ihrer Stimme trieb ihm das Blut in die Backen.

Sie ging ganz nah an ihn heran, ihre Lippen bebten –

»Doch,« flüsterte sie.

»Nein,« wiederholte er und hielt ihrem Blick stand.

»Du lügst.«

Es war wie ein Schlag ins Gesicht.

Das Blut stieg ihm gewaltsam zu Kopfe.

»Warum willst du es leugnen?« sagte sie mit ihrer gewohnten Stimme, »ich bin selbst dort gewesen.«

»Du? Minna und die Damen des Komitees haben doch bei dir gesessen.«

»Gestern war ich da.«

Aha! Jetzt verstand er: die Kopfschmerzen und ihre schnelle Heilung waren nur Komödie gewesen.

»Und es gefällt dir nicht?«

» Mein Parfüm!« ihre Stimme bebte wieder, »als ob ich entkleidet und einer lüsternen Menge für Geld preisgegeben würde! Ich – mein eigenstes Ich –«

Die Stimme versagte ihr, ihre Brust wogte, sie biß sich in die Lippe und schluckte die Tränen hinunter.

»Ich wiederhole –« Er versuchte wieder ihre Hand zu fassen, sie aber wich ihm aus.

Er ging ans Haustelephon.

»Ich lasse Herrn Goguenard bitten, sofort zu mir zu kommen.«

Goguenard klopfte an, kam leise herein und schloß die Tür lautlos hinter sich.

»Du wirst dich erinnern,« sagte Halle zu Adele, »daß Herr Goguenard vor einem halben Jahr dein Rezept analysierte und dir neuen Vorrat verschaffte – und Sie, Goguenard, werden sich erinnern, daß Sie einige Monate später ein Präparat lieferten, das diesem Parfüm sehr ähnelte – schön. Dann werden Sie sich auch wohl daran erinnern, daß ich Ihnen den Auftrag gab, es durch größeren Moschuszusatz zu verändern.«

»Ja.« Der Japaner nickte, suchte aber gleichzeitig Halles Blick, als ob er noch etwas zu sagen habe.

Halle wandte sich an Adele –

»Hoffentlich gibst du zu, daß damit bewiesen ist –«

Der Japaner räusperte sich.

»Darf ich daran erinnern,« begann er und blickte Halle zögernd an –

»Woran?«

»Als wir erfuhren, daß die Moschuszufuhr stockte –« Er zögerte wieder.

»Was da –?«

»Da trugen Sie mir auf, den Moschuszusatz zu verringern – dadurch wurde das Präparat zu seinem ursprünglichen Charakter zurückgeführt.«

Halle überlegte einen Augenblick. Darauf beugte er den Kopf und machte eine Bewegung, als bäte er Adele um Verzeihung.

»Das hatte ich ganz vergessen.« Und er fügte entschuldigend hinzu:

»Ich habe soviel im Kopf gehabt.«

Adele schien ihn nicht zu hören und sagte, an den Japaner gewandt:

»Herr Goguenard, sorgen Sie bitte dafür, daß es bei diesem einen Mißverständnis bleibt, daß nichts mehr von dem Parfüm ausgeschickt wird, bevor es verändert ist.«

Goguenard warf seinem Chef einen vorsichtigen Blick zu.

»Adele,« sagte Halle ernst, »das ist unmöglich.« – Er ging ans Haustelephon und bat Didier zu sich.

Der Prokurist kam, begrüßte galant die Frau seines Chefs und wandte sich Halle zu.

»Sagen Sie mir, Didier, wie weit sind wir mit dem Versand der neuen Marke?«

» La glorieuse ist bereits gestern an sämtliche Pariser Geschäfte geliefert worden. Morgen wird es keine Firma in ganz Frankreich geben, die nicht versorgt ist, und die Sendungen an das Ausland sind heute morgen mit der Post expediert worden.«

»Dann müssen sie zurückgerufen werden!«

Adele sagte es, ihre Stimme aber war nicht zu erkennen.

Didier sperrte vor Verblüfftheit den Mund auf.

Halle sah ihren Kampf und machte den Herren ein Zeichen, daß sie sich entfernen sollten.

Kaum war die Tür hinter ihnen geschlossen, als Halle seinen Arm um sie legte.

»Adele –« bat er.

Sie richtete ihre flammenden Augen auf ihn. So hatte er sie noch nie gesehen.

»Du hast wohl vergessen, daß ich dich schon einmal vor vielen Jahren gewarnt habe!«

»Mich gewarnt?« –

Da brach ihm die Geduld, und fieberhaft stieß er heraus:

»Hast du denn überhaupt eine Ahnung, was du verlangst? Einen Riesenerfolg in ein Fiasko verwandeln! Und welchen Grund sollten wir angeben?«

Mitten in der Heftigkeit wurde er vom Schmerz überfallen, aber sein Zorn wurde dadurch nur größer, denn in der Aufregung vermochte er die beiden Gefühle nicht voneinander zu unterscheiden.

»Ich begreife – früher teilten wir alles gemeinsam, jetzt bin ich allein. Gut, ich werde es zu tragen wissen. Ich stehe in einem Kampf wie noch nie. Was du gedankenlos verlangst, das versuchen Mayer & Fils auf andere Weise zu erreichen. Wenn du deinen Willen bekämst, würdest du meinen Ruin verursachen. Ich habe um den Reichtum gekämpft, Gott weiß, was er mich gekostet hat. Und ich sollte dies alles, das ganze Resultat meiner Jugend von mir werfen, der törichten Laune einer eigensinnigen, gedankenlosen Frau wegen? Nein! – Ich war einst weich, das Leben aber hat mich gelehrt hart zu sein, und wirst du mir ein Hindernis, dann wirst auch du diese Härte zu spüren bekommen. Jetzt warne ich dich

Sie stand gebeugt, als ob sie auf etwas in sich selbst lauschte.

Und plötzlich begriff er, als ob jemand es ihm ins Ohr flüsterte –

Kinderlos – keine Jugend mehr – jetzt bin ich auch als Mitarbeiterin abgesetzt!

Er sah es, und jeder Zorn war verschwunden.

Sie nickte langsam, als ob sie sagen wollte: Ich habe gehört – weiter nichts. Seltsam lautlos glitt sie zur Tür.

Und die Tür schloß sich hinter ihr.


 << zurück weiter >>