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Legende vom Mohn

Kilian

Sankt Kilian wandelt um Anger und Au,
streichelt die Ähren und segnet die Felder.
Von Sonne satt dehnt sich der blühende Gau
hin zu den Schatten der grünen Wälder,
Blüte prangt bei Blüte auf Wiese und Hang.

Sankt Kilian zieht den Glockenstrang,
und wie Tauben mit silberblitzendem Flügel
rauschen die Klänge aus seiner Hand
über die Ebene, über die Hügel
und sammeln die Menschen im weiten Land.

Kopf an Kopf, Mann, Weib und Kind
schlingt sich um Kilian ein Menschenkranz.
Über die Bauern und das Ingesind
hebt der Heilige die Monstranz,
dankt der Sonne für allen gnädigen Segen
und bittet um Wind, Wolke, Tau und Regen.

Steht auf und schreitet den Bittgang voran.
Der schlängelt sich murmelnd und summend durch enge Steige.
Hoch in den Händen trägt Sankt Kilian
die goldne Monstranz.
                              Müd weicht sein Arm aus der Neige,
und ein Tropfen spritzt über den Rand auf die schwarze Krume.

Gleich schießt aus dem Acker eine blutrote Blume.
Wieder ein Tropfen, noch einer, da zwei, dort drei!
Überall bricht es wie Blut aus den Schollen hervor.
Stocken im Zug. Staunen. Deuten ... Ein jubelnder Kinderschrei
pocht an des Heiligen andachtversunkenes Ohr
und er wendet sich langsam nach dem Zuge um.
Stutzt, schrickt zusammen, als er entlang die Felder späht,
klammert die Hände fest um das Ciborium
und sieht, soweit er schaut, den Weg mit Mohn besät.

Eine Stimme bricht hervor aus dem Wolkenriß
und befiehlt dem Heiligen: »Brich und iß!«

Die nächste Blüte Kilian in seinem Mund zerkaut.
So blutrot wie außen, so gallbitter ist innen das Kraut.
Sankt Kilian bückt sich und pflückt eine Blüte,
reckt sie über das Volk und predigt vom Blut, von der Erde
                              und von ihrer bitteren Güte.

Illustration: Rudolf Schiestl

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