Alfred Brehm
Brehm's Thierleben: Die Säugethiere 1
Alfred Brehm

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Fledertiere (Flatterthiere)

Noch ehe bei uns an schönen Sommertagen die Sonne zur Rüste gegangen ist, beginnt eine der merkwürdigsten Ordnungen unserer Klasse ihr eigenthümliches Leben. Aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern hervor kriecht eine düstere, nächtige Schar, welche sich bei Tage scheu zurückgezogen hatte, als dürfte sie sich im Lichte der Sonne nicht zeigen, und rüstet sich zu ihrem nächtlichen Werke. Je mehr die Dämmerung hereinbricht, um so größer wird die Anzahl dieser dunklen Gesellen, bis mit eintretender Nacht alle munter geworden sind und nun ihr Wesen treiben. Halb Säugethier, halb Vogel, stellen sie ein Bindeglied zwischen einer Klasse zur anderen dar, und dieser Halbheit entspricht auch ihr Leibesbau und ihre Lebensweise. Sie sind eben weder das eine noch das andere ganz: sie, die Fledermäuse, sind gleichsam ein Zerrbild der vollendeten Fluggestalt des Vogels, aber auch ein Zerrbild des Säugethiers.

Die geistigen Fähigkeiten der Flatterthiere sind keineswegs so gering, als man gern annehmen möchte, und strafen den auf ziemliche Geistesarmut hindeutenden Gesichtsausdruck Lügen. Ihr Gehirn ist groß und besitzt Windungen. Hierdurch ist schon angedeutet, daß ihr Verstand kein geringer sein kann. Alle Flatterthiere zeichnen sich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtnis und einige sogar durch verständige Ueberlegung aus.

Ein Beweis für das hochentwickelte Denkvermögen ist das häufige Vorkommen individueller Gewohnheiten bei Fledermäusen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte, das Weibchen eines Schmetterlings verschonte, weil sie bemerkt hatte, daß dieses viele Männchen heranlockte, welche sie nun nach und nach wegschnappen konnte. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus so weit gezähmt, daß sie ihm durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, augenblicklich auf seine Hand sich setzte, um jene zu fressen. Solche und ähnliche Aeußerungen der Hirnthätigkeit auf die breite Faulbrücke Instinkt schieben zu wollen, erscheint geradezu widersinnig.

Unter sich halten viele, vielleicht die meisten Flatterthiere gute Gemeinschaft. Einzelne Arten bilden zahlreiche Gesellschaften, welche gemeinschaftlich jagen und schlafen. Ganz ohne Streit und Kampf geht es dabei freilich nicht immer ab: eine gute Beute oder eine bequeme Schlafstelle ist genügend Ursache zur Zwietracht. Dafür versuchen Gesunde Kranken aber auch beizustehen und nach Kräften zu helfen, und zwar thun dies nicht allein die wehrhaften Flughunde, sondern ebenso kleinere Flatterthiere, beispielsweise Blattnasen. »Mein Diener«, erzählt Hensel, »kam einst auf den klugen Gedanken, mehrere lebende brasilianische Fledermäuse in hohe offene Glasgefäße zu thun und diese abends an geeigneten Orten aufzustellen. Am nächsten Morgen fanden sich in drei Gefäßen dreihundertfunfundzwanzig Fledermäuse derselben Art vor, welche sich, durch die Stimmender zuerst darin befindlichen Thiere angelockt, hineinbegeben hatten und nun wegen der glatten Wände der Gefäße ihr Gefängnis nicht verlassen konnten.« Auch diese Fledermäuse hatten sich offenbar nur aus dem Grunde zu den übrigen gesellt, um ihnen irgendwie zu helfen. Ungeachtet aller Geselligkeit der Fledermäuse einer und derselben Art, leben die Flatterthiere doch keineswegs mit allen Mitgliedern ihrer Ordnung in Frieden. Verschiedene Arten hassen sich auch wohl, und eine frißt die andere auf. Die blutsaugenden Blattnasen z. B. greifen, wie Kolenati beobachtete, die Ohrenfledermäuse an, um ihnen Blut auszusaugen, und diese fressen ihre Feinde dafür auf, handeln also vernünftiger als Menschen, welche sich von Blutsaugern ihres Geschlechtes ruhig brandschatzen lassen, ohne sie unschädlich zu machen.

Flughund

Die erste Unterabteilung und Familie wird gebildet durch die Flughunde oder fruchtfressenden Fledermäuse. Die größte aller bekannten Arten, der Kalong, fliegende Hund oder fliegende Fuchs (Pteropus edulis) [Heute: Pteropus vampyrus], lebt auf den indischen Inseln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor, wie alle seine Familienglieder entweder in größeren Wäldern oder in Hainen von Fruchtbäumen, welche alle Dörfer Java's umgeben, hier mit Vorliebe die wagerechten Aeste des Kapok (Eriadendron) und des Durian (Durio zibethinus) zu seinem Ruhesitz sich erwählend. Unter Umständen bedeckt er die Aeste so dicht, daß man sie vor Kalongs kaum noch unterscheiden kann. Gegen Abend setzt die Masse sich in Bewegung, und einer fliegt in einem gewissen Abstande hinter dem anderen her; doch kommt es auch vor, daß die Schwärme in dichterem Gedränge gemeinschaftlich einem Orte zufliegen.


Flugfuchs

Ihre Nahrung besteht aus den verschiedensten Früchten, insbesondere mehrerer Feigenarten und der Mango, denen zu Liebe sie massenhaft in die Fruchtgärten auf Java einfallen, hier oft erheblichen Schaden anrichtend. Doch begnügen sie sich keineswegs einzig und allein mit pflanzlicher Nahrung, stellen im Gegentheile auch verschiedenen Kerfen und selbst kleinen Wirbelthieren nach.

Hier und da werden Kalongs verfolgt, weniger des von ihnen verursachten Schadens halber, als um sie für die Küche zu verwenden. Der Malaie bedient sich zu ihrer Jagd in der Regel des Blasrohres, zielt auf ihre Fittige, den empfindlichsten Theil des Leibes, betäubt sie und bringt sie so in seine Gewalt; der Europäer wendet erfolgreicher das Feuergewehr an. »Ihre Zubereitung erfordert eine große Sorgfalt, da Haut und Fell einen ranzigen, stark fuchsartigen Geruch haben. Aus diesem Grunde kocht man sie meist mit viel Gewürz und Zuthaten, und so zubereitet schmecken sie in der That vortrefflich, ähnlich wie ein gut gebratener Hase.« Gefangene fügen sich rasch in den Verlust ihrer Freiheit, werden auffallend bald zahm und lassen sich auch sehr leicht erhalten.

Um so lächerlicher ist es, wenn Thierbudenbesitzer das harmlose Geschöpf heute noch in der abscheulichsten Weise verleumden. Die »Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen« in der großen »Hauptstadt der Bildung« brachte unter den übrigen wissenschaftlichen Nachrichten noch im Jahre 1858 ihrem Leserkreise die überraschende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutsauger zum ersten Male lebend in Berlin sei, und daß dieses entsetzliche Thier in der Nacht lebendes Vieh morde und Blut sauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfige des Ungeheuers aufgestellt war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieser Anzeige klüglich nicht erwähnt.

Ein Flughund, welchen ich durch eigene Beobachtung wenn auch nur in Gefangenschaft kennen gelernt habe, der Flugfuchs, wie wir ihn nennen wollen (Pteropus Edwardsi) [Heute: Pteropus giganteus] erreicht eine Länge von 28 bis 32 Centim. und klaftert zwischen 1,1 bis 1,25 Meter.
Unter allen bekannten Flughunden gelangt diese Art am häufigsten lebend nach Europa, bleibt bei geeigneter Pflege in unseren Käfigen auch geraume Zeit am Leben.

Ueber Tags hängen die Flughunde an einem ihrer Beine sich auf, bald an dem rechten, bald an dem linken, ohne dabei regelmäßig zu wechseln. Das andere Bein wird in schiefer Richtung von oben nach unten oder von hinten nach vorne über den Bauch gelegt, der Kopf auf die Brust herab, im Hängen also heraufgebogen, so daß das Genick den tiefsten Punkt des Körpers bildet und nur die gespitzten Ohren es überragen. Nachdem das Thier diese Stellung eingenommen hat, schlägt es erst den einen Fittig mit halb entfalteter Flatterhaut um den Leib, sodann den zweiten etwas mehr gebreiteten darüber und hüllt dadurch den Kopf bis zur Stirnmitte, den Leib bis auf den Rükken vollkommen ein.

Der Schlaf währt so lange als die Sonne am Himmel steht, wird aber zeitweilig unterbrochen, um irgend ein wichtiges oder unaufschiebliches Geschäft vorzunehmen. Zu den regelmäßigen Arbeiten gehört das Putzen der Flatterhaut. Es handelt sich dabei nicht allein um Reinigung, sondern, und mehr noch, um Einfetten und Geschmeidigmachen dieses wichtigen Gebildes.

Erst nach wirklich eingetretener Dunkelheit sind sie zu vollem Leben erwacht. Ihre dunklen Augen schauen hell ins Weite. Noch einmal werden alle Felder der Flughaut beleckt und geglättet, die Fittige abwechselnd gedehnt, gereckt und wieder zusammengefaltet, die Haare durch Kratzen und Lecken gekrümmt und gesäubert: nunmehr versuchen sie, in ihrem engen Gefängnisse die nöthige Bewegung sich zu verschaffen. Die Fittige bald etwas gehoben, bald wieder fast gänzlich zusammengeschlagen, klettern sie ununterbrochen auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, durchmessen alle Seiten des Käfigs, durchkriechen alle Winkel. Es sieht zum Erbarmen aus, wie sie sich abmühen, irgendwo oder wie die Möglichkeit zu entdecken, ihrer Bewegungslust Genüge zu leisten. Man möchte ihnen auch gern helfen; leider aber ist es nicht möglich, sie so unterzubringen, daß alle ihre Eigenschaften zur Geltung kommen können. Der größte Käfig wäre für sie als flatternde Säugethiere noch viel zu klein, dürfte sie sogar gefährden, weil sie in einigermaßen ausgedehntem Raume zu fliegen versuchen, an den Wänden anstoßen und sich schädigen würden. In einem größeren Raume sind sie übrigens im Stande, von ihrem hochhängenden Käfige aus wirklich zu fliegen.

Meine Gefangenen, ein Pärchen, lebten im vollsten Einverständnisse zusammen. Besondere Zärtlichkeiten erwiesen sie sich freilich nicht; Zank und Streit kamen jedoch ebenso wenig vor. Sie fraßen gleichzeitig aus einer Schüssel, tranken gemeinschaftlich aus einer Tasse und hingen friedlich dicht neben einander. Auf Gleichgültigkeit gegen Gesellschaft war dieses schöne Verhältnis nicht zurückzuführen; dazu sind die Flughunde zu leidenschaftlich. So gutmüthig sie zu sein scheinen, so willig sie sich von uns behandeln, berühren, streicheln lassen, so heftig werden sie, wenn Fremde sie muthwillig stören oder necken. Ein höchst ärgerliches Knurren verkündet dann deutlich, wie zornig sie sind. Ihre Leidenschaft äußert sich auch zuweilen ihres Gleichen gegenüber, und es ist immer gefährlich, zwei Flughunde, welche nicht durch eine längere Reise an einander gewöhnt, vielleicht zusammen gefangen genommen worden waren, in einem Gebauer unterzubringen.

Leider halten sich gefangene Flugfüchse auch bei der besten Pflege nicht allzu lange Zeit. Man kann ihnen alles ersetzen, nur die ihnen so nothwendige Flugbewegung nicht. Infolge dessen bekommen sie früher oder später Geschwüre an verschiedenen Stellen ihrer Fittige und gehen an diesen schließlich zu Grunde. Gleichwohl sollen einzelne Stücke im Londoner Thiergarten mehrere Jahre gelebt und sich fortgepflanzt haben. Auch meine Gefangenen leben nunmehr seit länger als zwei Jahren im Käfige. Ihre Geschwüre an den Flügeln haben wir durch Aetzen mit Höllenstein geheilt; seitdem scheinen sie sich sehr wohl zu befinden.

Zwergfledermaus

Von 300 mit Sicherheit unterschiedenen Fledermausarten gehören etwa 195 zu den Glattnasen.

Das kleinste Mitglied der Gruppe, das kleinste europäische Flatterthier überhaupt, ist die Zwergfledermaus (Nannugo pipistrellus) [Heute: Plpistrellus pipistrellus]. Ihre Gesammtlänge beträgt nur 6,7 Centim., wovon der Schwanz 3,1 Centim. wegnimmt; die Fittige klaftern 17 bis 18 Centim. Der in der Färbung wechselnde Pelz ist oben gelblichrostbraun, auf der Unterseite mehr gelblichbraun, das zweifarbige Haar an der Wurzel dunkler, an der Spitze fahlbräunlich. Die dickhäutigen Ohr- und Flughäute haben dunkelbraunschwarze Färbung.

Die Zwergfledermaus bewohnt fast ganz Europa und den größten Theil von Nord- und Mittelasien; ihr Verbreitungsgebiet reicht von Skandinavien und Spanien bis Japan. In Rußland und Skandinavien findet man sie, laut Blasius, noch gegen den 60. Grad nördlicher Breite. In Deutschland gibt es keine Stadt, kein Dorf, ja fast kein Hofgut, auf welchem man sie nicht anträfe, falls man einmal ihre meist sehr verborgenen Aufenthaltsorte kennen gelernt hat. Während der Tagesruhe findet man sie in verschiedenen Schlupfwinkeln unter Dächern, in Mauer- und Balkenritzen, Gewölben, in Baumlöchern, unter der Rinde alter Bäume oder unter Holzgetäfel, Bildern u. a., selbst in den Aesten dichtbelaubter Bäume, Epheuranken und an ähnlichen Orten.
Je nach der Jahreszeit kommt die Zwergfledermaus früher oder später in ihrem Jagdgebiete zum Vorscheine. Altum hat hierüber ausführliche Beobachtungen angestellt und versichert, daß ihre Pünktlichkeit im Erscheinen den Fluganfang bei gleich günstiger Witterung fast nach Minuten bestimmen läßt.


Zwergfledermaus

Der Flug der Zwergfledermaus zeichnet sich durch große Gewandtheit aus, erscheint jedoch der geringen Größe des Thieres entsprechend, wie Altum passend sich ausdrückt, kleinlich behend. Die Höhe ihres Fluges ist nach Angabe dieses Beobachters sehr verschieden. Sie jagt vorübergehend niedrig über dem Wasserspiegel kleiner Teiche umher, huscht häufiger zwischen den Stämmen von Baumgruppen hindurch und flattert, namentlich an heiteren Abenden, in einer Höhe von 15 bis 20 Meter. In der Stadt, wo sie sehr zahlreich auftritt, hält sie weit die Höhe des zweiten Stockwerks inne.

Die Fortpflanzung fällt in die ersten Monate; bisweilen begatten sich die Zwergfledermäuse schon im Monat Februar, unter ungünstigen Umständen spätestens in der ersten Hälfte des März. Im Mai bringen sie zwei, seltener nur ein einziges Junges zur Welt; Ende Juni's oder im Juni sieht man die schon wohl entwickelten Kinderchen vereint mit ihren Müttern fliegen und kann sie, auch abgesehen von der Größe, noch sehr wohl von den Alten unterscheiden.

Mehr als andere Flatterthiere wird die Zwergfledermaus von allerlei Feinden bedroht. Man findet ihre Schädelreste in den Gewöllen verschiedener Tag- und Raubvögel, und nach Koch ist es namentlich der Thurmfalke, welcher ihr nachstellt und sie jeder anderen Nahrung vorzuziehen scheint. Auch Marder, Iltis und beide Wiesel nehmen gar manche weg, und selbst die Mäuse arbeiten sich im Winter zu den Aufenthaltsorten unserer Flatterthiere durch, überfallen sie und fressen sie auf.

Blattnase

Blattnasen oder Blutsauger (Istiophora) heißen die Mitglieder der letzten Hauptabteilung. Alle hierher gehörigen Flatterthiere unterscheiden sich von den übrigen durch häutige Nasenaufsätze, deren Form mannigfachem Wechsel unterworfen ist, im wesentlichen aber aus einem mehr oder minder entwickelten Hautblatte auf der Nase besteht.

Die Blattnasen sind zahlreich über alle Erdtheile verbreitet, kommen aber nur in heißen und gemäßigten Ländern derselben vor. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Kerbthieren, zumal Abend- und Nachtschmetterlingen, Käfern, Haften, Mücken, Eintagsfliegen; wohl die meisten von ihnen aber sind Blutsauger und überfallen Vögel und Säugethiere, auch selbst den Menschen während des Schlafes. Obgleich gegenwärtig vielfache Beobachtungen über das Blutsaugen vorliegen, schwebt doch noch ein eigenthümliches Dunkel, so recht im Sinne der Vampirsage, über dieser auffallenden Thätigkeit unserer Flatterthiere.

Genaueres berichtet der Spanier Azara, welcher den Blutsauger »Mordedor«, zu Deutsch Beißer, nennt. »Zuweilen«, sagt er, »beißen sie sich in den Kamm und in die Kinnlappen der schlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszusaugen, und die Hühner sterben daran gewöhnlich, zumal wenn die Wunden, wie fast immer geschieht, sich entzünden. Ebenso beißen sie Pferde, Esel, Maulthiere und Kühe regelmäßig in die Seiten, die Schultern oder in den Hals, weil sie dort mit Leichtigkeit sich festhalten können. Dasselbe thun sie mit dem Menschen, wie ich bezeugen kann, weil ich selbst vier Mal in die Zehen gebissen worden bin, während ich unter freiem Himmel oder in Feldhäusern schlief. Die Wunde, welche sie mir beibrachten, ohne daß ich es fühlte, war rund oder länglichrund und hatte eine Linie im Durchmesser, aber so geringe Tiefe, daß sie kaum die ganze Haut durchdrang. Man erkannte sie durch aufgetriebene Ränder. Meiner Schätzung nach betrug das Blut, welches nach dem Bisse floß, etwa dritthalb Unzen. Allein bei Pferden und anderen Thieren mag diese Menge gegen drei Unzen betragen, und ich glaube, daß sie schon wegen des dicken Felles größere und tiefere Wunden an ihnen hervorbringen. Das Blut kommt nicht aus den Hohl- oder Schlagadern; denn bis dahin dringt die Wunde nicht ein, sondern bloß aus den Haargefäßen der Haut, aus denen sie es unzweifelhaft schlürfend und saugend herausziehen. Obgleich die mir beigebrachten Bisse einige Tage ein wenig schmerzten, waren sie doch von so geringer Bedeutung, daß ich weder ein Mittel dagegen anzuwenden brauchte, noch an meinem Gehen verhindert wurde. Weil sie also keine Gefahr bringen und die Thiere bloß in jenen Nächten Blut saugen, in denen ihnen andere Nahrung fehlt, fürchtet und verwahrt sich Niemand vor ihnen. Man erzählt, daß sie ihr Opfer mit den Flügeln an derjenigen Stelle, wo sie saugen wollen, fächeln, damit die Thiere nichts fühlen sollen.« Die übrigen volksthümlichen Anschauungen über den Vampir bestreitet Azara auf das nachdrücklichste.

Rengger fügt den Angaben Azara's das Nachstehende hinzu: »Ich habe wohl hundert Male die Verletzung der Maulesel, Pferde und Ochsen untersucht, ohne über die Art, wie sie hervorgebracht, zur Gewißheit zu kommen. Die beinahe trichterförmige Wunde hat gewöhnlich einen Viertelzoll im Durchmesser, zuweilen etwas mehr, und je nach dem Theile des Körpers eine Tiefe von einer bis zu zwei Linien. Sie reicht niemals durch die Haut hindurch bis auf die Muskeln. Man bemerkt an ihr keinen Eindruck von Zähnen wie bei Bißwunden, hingegen ist ihr Rand immer sehr aufgelockert und angeschwollen. Ich kann daher nicht glauben, daß die Blattnasen (Phyllostoma) und die Blattzüngler (Glossophaga) zugleich vermittels eines Bisses den Saumthieren diese Wunden beibringen, wobei übrigens jedes schlafende Thier erwachen und sich seines Feindes entledigen würde. Vielmehr vermuthe ich, daß sie erst durch Saugen mit den Lippen die Haut unempfindlich machen, wie dies durch Aufsetzen von Schröpfköpfen geschieht, und dann, wenn sie angeschwollen ist, mit den Zähnen eine kleine Oeffnung zu Stande bringen. Durch diese bohren sie nun, wie mir wahrscheinlich ist, ihre ausdehnbare, gleichfalls zum Saugen dienende Zunge allmählich in die Haut hinein, wodurch die trichterförmige Aushöhlung entsteht. Die Unmöglichkeit, daß die Fledermäuse zu gleicher Zeit saugen und ihre Flügel bewegen, ist uns durch die Beschaffenheit der letzteren vergegenwärtigt.«
An diese Berichte schließen sich am besten die eingehenden Mittheilungen Hensels an:

»Das Gebiß der meisten Blattnasen gleicht durch die Kleinheit der Schneidezähne und die Größe der Eckzähne vollkommen dem der Raubthiere, und die von ihnen herrührenden Wunden haben ganz das eben beschriebene Gepräge, wie man dies sehr leicht bei dem Fange dieser Thiere, welche sehr bissig sind, beobachten kann. Die Wunden aber, welche man an den von Blutsaugern gebissenen Pferden oder Maulthieren untersucht, sind von ganz anderer Beschaffenheit. Sie stellen eine kleine eiförmige Fläche vor, welche nur schwach vertieft ist und an Umfang etwa dem einer Linse gleicht. Die Schnittfläche ist nicht senkrecht gegen die Oberfläche der gebissenen Stelle gerichtet, wie dies bei Wunden durch Eckzähne der Fall sein würde, sondern geht ihr im ganzen parallel. Man könnte eine ähnliche Wunde hervorbringen, wenn man die Haut mit einer Greifzange etwas in die Höhe ziehen und nun, mit einem Messer wie beim Rasiren über die Haut fahrend, die hervorgehobene Stelle wegschneiden würde. Durch einen solchen Schnitt oder Biß, mit welchem immer ein Stoffverlust verbunden ist, wird eine große Anzahl seiner Hautgefäße durchschnitten, und es tritt sofort eine reichliche und lange dauernde Blutung ein. Wenn auch die Pferde am Abend oder in der Nacht von Blutsaugern gebissen wurden, so fließt nicht selten noch am nächsten Morgen das Blut in einem schmalen Streifen vom Halse der gebissenen Thiere zur Erde, oder über die Schulter und an den Vorderbeinen hinunter. Solche Wunden können nur durch große, eigenthümlich schaufelförmig gebaute und dabei scharfe Schneidezähne hervorgebracht werden. Ein solches Gebiß aber findet sich bloß bei den mit einander nahe verwandten Gattungen der Schneidflatterer (Desmodus) und Kammzahnflatterer (Diphylla). Ich habe daher die bestimmte Ueberzeugung, daß einzig und allein diese beiden Sippen unter allen Fledermäusen Blutsauger sind, und daß alle Erzählungen von anderen blutsaugenden Flatterthieren auf Irrthum oder Misverständnissen beruhen.«

Wie aus dem Nachfolgenden mit gar nicht anzuzweifelnder Sicherheit hervorgeht, ist die Folgerung Hensels irrthümlich, und würde er es jedenfalls vermieden haben, sich so bestimmt auszusprechen, hätte er sich daran erinnert, daß auch unsere europäischen, ja selbst deutschen Arten der Blattnasenfamilie erwiesenermaßen Blutsauger sind. Doch nimmt dieser Irrthum den Angaben Hensels meiner Ansicht nach nicht das geringste von ihrem Werthe.

Außer dem gewissenhaften Azara sind auch noch andere Reiseberichter von Blutsaugern gebissen und angezapft worden. »Vor einigen Jahren«, erzählt Waterton in seinen Wanderungen in Südamerika, »kam ich mit einem Schotten Tarbot an den Fluß Paumaron. Wir befestigten unsere Hängematten auf dem mit Stroh gedeckten Boden in dem Hause eines Pflanzers. Am nächsten Morgen hörte ich diesen Herrn in seiner Matte murmeln und dann und wann eine Verwünschung ausstoßen.

›Was gibts, Herr!‹ fragte ich leise, ›ist irgend etwas nicht recht –‹

›Was es gibt –‹ antwortete er verdrießlich, ›nun, die Fledermäuse haben mich zu Tode gesogen.‹

Sobald es hell genug war, ging ich an seine Hängematten und fand sie sehr mit Blut bedeckt.

›Da‹, sagte er, seine Füße vorstreckend, ›sehen Sie, wie diese höllischen Kobolde mein Lebensblut abgezapft haben.‹

Ich untersuchte seine Füße und fand, daß der Vampir seine große Zehe angebohrt hatte. Es war eine etwas geringere Wunde als die, welche von Blutegeln herrührt. Das Blut floß noch immer heraus, ich vermuthete, daß er zehn bis zwölf Unzen davon verloren haben konnte.«

Ein nicht näher bezeichneter Reisender ließ sich, wie Cassell mittheilt, von einem Vampir Blut aussaugen, um ihn dabei beobachten zu können. Der Mann hatte sich in dem großen Zimmer eines Hauses zur Ruhe niedergelegt, die Mückennetze um sein Bett aber, weil die Nacht heiß war, nicht niedergelassen. Vollkommen wach, schaute er auf die Mondstrahlen, welche durch die offenen Fenster in den Raum fielen. Da erschien ein großer Vampir in dem Zimmer. Unser Beobachter blieb vollkommen ruhig, um zu sehen, was die Fledermaus thun würde. Zuerst segelte sie geräuschlosen Fluges von einem Ende des Zimmers zum anderen; nachdem sie aber verschiedene Male den gleichen Weg gemacht hatte, flatterte sie zwischen dem Betthimmel und dem Ruhenden hin und her. Nach und nach verkürzte sie ihre Windungen, senkte sich mehr und mehr hernieder, kam dicht über ihn und bewegte sich ihre Schwingen außerordentlich schnell, jedoch ohne jedes Geräusch. Sie fächerte ihrem Opfer eine höchst angenehme Kühlung zu. Dann senkte sie sich vollends hernieder. Der Erzähler versichert, daß er den Augenblick, in welchem der Vampir in seine entblößte Brust biß, nicht bestimmen konnte, so schmerzlos war der Biß und so angenehm das Fächeln der Schwingen. Nach und nach fühlte er aber doch ein leichtes Schmerzgefühl, welches an das vom Biß eines Blutegels herrührende erinnerte, griff zu und erwürgte den Blutsauger.


Vampir


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