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19

Holdern hatte sein kühnes Wort über Velden's Beförderung zum Millionair durchaus nicht im Scherz gesprochen. Er hatte mit vieler Geschicklichkeit die Hebel angesetzt, um den Ankauf des Velden'schen Gutes zu ermöglichen, da es seiner günstigen Lage wegen dem Unternehmen fast unentbehrlich war. Die Gesellschaft war daher geneigt, die größten Vortheile zu bieten; in jenen Jahren schien das Geld kaum Werth zu haben, wenn es die Realisation eines kühnen Planes galt.

Holdern lag sehr viel daran, sein Ziel zu erreichen. Seine erste Anfrage bei Velden war zu seinem Staunen weniger ablehnend aufgenommen worden, als er erwartet hatte, da die Stimmung des jungen Mannes ihn zugänglicher machte für das Anerbieten, dem er unter andern Umständen keinen Gedanken geschenkt haben würde. Der Entschluß, den er in der Bitterkeit der Enttäuschung gefaßt, möglichst eine weite Entfernung zwischen sich und Helene zu legen, war durch seine Ueberweisung an eine Regierung der östlichen Provinzen verwirklicht worden.

Helenens Voraussetzung, daß Velden sich fremd und einsam dort fühlen werde, traf zu. Er fand eine Gegend, die ihm nicht zusagte, Menschen, die seiner verschlossenen Natur nicht sympathisch waren, Arbeiten, die wenig mit seiner innersten Neigung stimmten. Aber auf den Menschen wirkt das ja oft am heilsamsten, was seiner Natur am meisten widerstrebt. Velden würde auf flüchtigen Reisen wenig gelernt haben; aber ein Mal in die Fremde versetzt, verschloß er sich nicht dem, was seiner Beobachtung sich darbot. Frühzeitig hatte seine Mutter ihm das Bewußtsein gegeben, daß er anzukämpfen habe gegen die Einseitigkeit, welche edele und starke Charaktere leicht sich aneignen. Der Umgang mit Rother hatte ihn gleichfalls darauf hingewiesen. Daher unterzog er das Neue stets einer gründlichen und gewissenhaften Prüfung. Vorurtheilsfrei trat er an Land und Leute heran, deren Eigenthümlichkeiten studirend, bis die nähere Einsicht ihn nicht allein damit aussöhnte, sondern auch den eigenen Geist ihm wesentlich erweiterte.

Dem an und für sich trockenen Geschäftsgange lag er mit der Pflichttreue ob, die er allem entgegenbrachte, was ihm anvertraut war. So ward er bald von seinen Obern sehr geschätzt, indeß seine zurückhaltende aber anspruchslose Art ihm manchen Freund gewann, obschon er kaum darum warb. Der junge, wohl aussehende Cavalier, der mit einem imponirenden Ernste so viel Ritterliches verband, war bald auch der ausgesprochene Liebling der schönen Welt, besonders der ältern Damen, gegen die er vorzugsweise zuvorkommend sich bewies, während die jüngern gern gesehen hätten, daß er ihnen etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Im Ganzen that die fremde Umgebung seinem Herzen wohl, und die bittern Erinnerungen der Heimath traten vor der alltäglichen Wirksamkeit zurück.

Mit seiner Mutter stand Hermann im eifrigsten Briefwechsel, ebenso mit Rother, der indessen nur sporadisch schrieb und mitunter sehr karg in seinen Antworten war. Frau von Velden empfand des Sohnes Abwesenheit tief. Trotzdem sie an Einsamkeit gewohnt war, lastete zum ersten Mal seit langen Jahren dieselbe wieder schwer auf ihr. Der Eindruck jenes Gesprächs mit Hermann war nicht zu verwischen, und der Umgang mit Astens, der so lange Jahre ihre Freude gewesen, hatte darunter gelitten.

Helene suchte zwar ihre Liebe und Verehrung für Frau von Velden mehr wie je zu bethätigen. Frau von Velden war auch gerecht genug, anzuerkennen, daß Helene keinen Vorwurf verdiene, daß diese vielmehr aufrichtig und loyal gehandelt habe. Aber eine Mutter kann nicht mit ruhigem Blicke auf das Mädchen sehen, das dem Herzen ihres Sohnes die tiefste Wunde geschlagen. So brachte die Abreise der Familie Asten ihr eine Erleichterung.

Jedes menschliche Schaffen ist von Augenblicken unterbrochen, wo die fleißige Hand erlahmt und machtlos niedersinkt, wo der Blick nur Mißerfolg zu erkennen vermag, und der drückende Gedanke, daß alle Mühe verloren, das Gemüth umdüstert.

Noch im Herbst hatte Frau von Velden mit freudigem Stolz ihren Sohn auf die Besserung aufmerksam gemacht, die in ihren Verhältnissen eingetreten war, und auf die guten Aussichten, welche die Zukunft ihm eröffnete. Seitdem hatte sich darin nichts geändert. Aber die Hoffnung, die sie auf ihres Sohnes Verbindung mit Helene Asten gesetzt, war damals bedeutend mit in die Waagschaale gefallen; sie hatte dieselbe in Folge der von Kindheit an emporgewachsenen Neigung zwischen den beiden für unzweifelhaft gehalten, um so mehr, als Hermann der erklärte Liebling des Grafen war.

Das Zerrinnen dieser Hoffnung zerstörte Frau von Velden's Lebensplan. Sie kannte ihren Sohn und wußte, daß eine Natur wie die seine eine Herzens-Täuschung schwer überwindet; sie hielt es für möglich, daß er keine zweite Neigung mehr fassen, und für gewiß, daß er niemals dabei die vortheilhafte Seite in Betracht ziehen würde. Seinem stolzen Sinne war es selbst schwer geworden, sich sagen zu müssen, daß er Helenen nicht in gleichem Maße bieten könne, wie er empfangen würde; doch da hatte die Liebe alles überwogen. Sorgliche Mutter-Augen sehen gleich weit in die Zukunft, und so sah Frau von Velden den Sohn als stillen, in sich versenkten Mann, der in Abgeschiedenheit sein Leben vertrauerte, früh alternd, der Melancholie unterliegend, die schon so leicht, als er noch Kind war, ihre Schatten auf ihn legte. Sie malte sich aus, wie kleinliche Sorgen ihn belasten und allmälig herabziehen, wie er vielleicht gar dem Dämon seiner Vorfahren zuletzt anheim fallen würde! Dafür sollte sie gelebt und gearbeitet haben, seitdem ihr jugendlicher Fuß zuerst diesen rauhen Boden betrat? Dafür hatte sie die heimliche Thräne über ihr verfehltes Schicksal getrocknet, als sie sich über die Wiege ihres Erstgeborenen beugte und die Aufgabe, ihm eine glückliche Zukunft zu gestalten, als Ziel des Lebens sich steckte?

Durch Frau von Velden's Haar zogen sich schon hier und da silberne Streifen, und ihre anmuthigen Züge waren, wenn auch nur leicht, von der Zeit berührt; die Mitte des Lebens hatte sie überschritten. Dennoch war sie wohl nicht für die tiefe Zurückgezogenheit geschaffen, die jetzt sie umfing, besonders da derselben der eigentliche Zweck verloren gegangen, da ihr ganzes Wirken als verfehlt erschien.

Die Jugend glaubt gewöhnlich, Hoffen, Wünschen und Genießen sei nur ihr eigen, alles schweige im Menschen, wenn eine gewisse Altersgrenze überschritten sei. Aber den Menschen, besonders den geistig belebten, begleitet die Fähigkeit des Genießens meist durch das ganze Leben, wenn auch die Art und Weise wechselt, wie die Blüthen welche die verschiedenen Jahreszeiten bringen.

Auch Frau von Velden fühlte sich noch des Genießens fähig. Alle ihre Lieben waren in der Ferne. Mehr wie jemals schlug jetzt eine Kunde aus der Außenwelt an ihr Ohr. Rother berichtete aus der Fülle der Seele über alles Herrliche und Schöne, was er auf seinen Reisen sah und genoß. Astens schilderten das lebhafte, anregende Treiben der Weltstadt, selbst Hermann, so abgeschlossen er war, ließ allmälig den Genuß durchblicken, den die wechselnden Eindrücke ihm verschafften.

Wenn auch kein Gefühl des Neides in Frau von Velden's warmem Herzen aufkommen konnte, empfand sie doch eine gewisse Unruhe und Ungeduld. Sie fühlte tief, wie vielem sie entsagt hatte um des einen Gedankens willen, den sie sich zum Lebenszweck gestellt.

Ein eigenthümlicher Zug ging in jener Zeit durch die Welt. Nicht ohne Folgen blieb es, daß mit vielem Althergebrachten gebrochen, so manches, was unverletzlich geschienen, angetastet worden war, um Neues an die Stelle zu setzen. Die großartigen Erschütterungen, welche die Welt durchzuckt hatten, zitterten bei jedem einzelnen noch in verlaufenden Schwingungen. Wenn so viel sich neu gestaltet, warum am Alten so haften, besonders wenn es wie ein Ballast auf uns liegt?

Nicht sehr lange, nachdem Holdern Paris verlassen hatte, durchschritt Frau von Velden eines Nachmittags mit einer ihr sonst nicht eigenen Ruhelosigkeit ihre Gemächer. Ihre Geschäftigkeit verrieth eine innere Erregung, welche durch die wenigen Anordnungen zum Empfange eines einzelnen Gastes nicht allein hervorgerufen sein konnte. Wiederholt trat sie an's Fenster, aber nicht, weil sie etwa der Ankunft des Erwarteten sehnsüchtig entgegensah; im Gegentheil, sie hätte es vielleicht als Erleichterung empfunden, wenn der Besuch ausgeblieben wäre.

Fritz Holdern hatte um die Erlaubniß gebeten, in Burghof vorsprechen zu dürfen, da er Frau von Velden eine wichtige Mittheilung zu machen habe, und Frau von Velden wußte, welcher Art diese Mittheilung sein würde. Schon vor einiger Zeit war von Seiten einer industriellen Gesellschaft des Auslandes die Anfrage an sie gelangt, ob sie geneigt sei, unter äußerst günstigen Bedingungen sich ihres Grundbesitzes zu entäußern, welchen die Gesellschaft für eine industrielle Anlage in's Auge gefaßt habe; Baron von Holdern, einer ihrer Theilnehmer, werde in nächster Zeit, wenn sie erlaube, bei ihr eintreffen, um das Nähere zu erörtern. Frau von Velden hatte auf die Anfrage nicht verneinend geantwortet, weil sie sich einredete, daß mit Holdern, dem Bekannten und Standesgenossen, die Angelegenheit weit einfacher zu erledigen sein würde, als wenn sie mit Fremden in Verkehr treten müsse.

Sie fand sich auch darin nicht getäuscht, nachdem Holdern erschienen war. Er war Weltmann genug, um sogleich auch hier den Ton zu finden, den er anschlagen mußte. Er verfehlte überhaupt selten bei Frauen die von ihm gewünschte Wirkung, da er ihnen gegenüber eine Weichheit zu zeigen verstand, die gegen sein sonst starres Wesen Vortheilhaft abstach und aus persönlicher Theilnahme hervorzugehen schien. So wußte er sich Frau von Velden gegenüber in deren Lage hineinzuversetzen; wie schwer ihr der Gedanke fallen müsse, von einem Besitze zu scheiden, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet, der gewissermaßen neu aus ihren Händen hervorgegangen. Es lag viel feine und immerhin für Frau von Velden's Ohr süße Schmeichelei in der Weise, wie er die Behaglichkeit ihres Heims anzuerkennen wußte. Nichtsdestoweniger erkannte er bald, daß ihre augenblickliche Stimmung seinem Plane günstiger war, als er gehofft. Ohne gerade die Nachtheile eines eingeschränkten Lebens hervorzuheben, wußte er die großen Vortheile einer andern Lebenslage zur Geltung zu bringen. Seine knappe, kurze Darstellung des geschäftlichen Theils der Angelegenheit hatte viel Ueberzeugendes, und der gebotene Kaufpreis war von enormer Höhe. Frau von Velden hatte ihr ganzes Leben lang mit kleinen Zahlen zu rechnen gehabt, es war natürlich, daß eine so hohe Ziffer blendete. Sie hatte überhaupt Holdern wenig entgegenzustellen; sie mußte anerkennen, daß eine solche Summe ihr eine freiere, unabhängigere Lage sichere, als der Besitz des wenig einträglichen Gutes. Der Ankauf von neuem Grundbesitz war ja auch nicht ausgeschlossen. Frau von Velden mußte ebenfalls zugeben, daß die Lage keine vorteilhafte und das rauhe Klima der Gesundheit kaum zuträglich sei. Abgeschnitten von allem Verkehr, lag das Gut wie eine Art verlorener Posten in den Bergen, fern von allem, was das Leben verschönt und angenehm macht. Für den jungen Velden, der ohnehin schon zur Abgeschlossenheit neige, meinte Holdern, sei es doch nicht das Wünschenswerte, ihn von allem geistig anregenden Verkehr abzuschneiden.

Durch die letzte Bemerkung hatte er mit viel Geschicklichkeit Frau von Velden's empfindlichste Seite berührt. Sie konnte sich die Richtigkeit dieser Ansicht nicht verhehlen. Wenn es auch nicht in ihrer bewußten Absicht lag, auf den ihr vorgetragenen Plan einzugehen, so verfiel sie doch unwillkürlich in die Tactik des Belagerten, der sich nicht stark genug zum Widerstand fühlt und einen Punkt preisgibt, um sich auf den zweiten zurückzuziehen.

Frau von Velden sprach nur noch ihre Ueberzeugung aus, daß ihr Sohn sich gewiß nie zu dem Entschlusse verstehen würde, das altangestammte Gut aufzugeben; kein noch so großer Gewinn, keine noch so vortheilhafte Lage würde ihm diesen Besitz jemals ersetzen können. Ihr selbst sei es freilich in letzter Zeit oft schwer geworden, die von dem Besitz unzertrennlichen Lasten zu tragen. Doch …

Holdern las wohl in ihren Augen das Schwanken, daß sie ergriffen hatte, und sah mit einem gewissen Triumph, wie die hoch gehaltenen Principien vor dem Zauberschein des Goldes zu schmelzen begannen. Mit einem kaum merklichen Lächeln entnahm er seiner Tasche einen Brief, in welchem Hermann ihm über diese Angelegenheit eine Antwort ertheilte. Fast dasselbe was die Mutter mit Rücksicht auf ihn eben vorgebracht, sagte er darin in Bezug auf sie.

Holdern bat um Entschuldigung, daß er des Sohnes Vertrauen mißbrauche, meinte aber, er sehe keine Veranlassung, daß Mutter und Sohn ein Opfer brächten, daß sie beide aus Pietät einander verschwiegen, während es beiden gleich schwer werde.

Frau von Velden erbleichte, als sie die Worte las, welche Hermann's Ansicht so unumwunden aussprachen. Sie erkannte nicht sogleich die Bitterkeit des Schmerzes, der ihm diesen Entschluß eingeflößt. Die Jugend ist eben so überschäumend in ihrem Weh, wie sie es in der Freude nur zu sein vermag. Wenn Frau von Velden auch wußte, was ihrem Sohne sein Heim verleidete, hatte sie doch geglaubt, der Familienstolz des alten Stammes, seine conservativen Grundsätze würden überwiegen. Nun mußte sie sich sagen, daß auch in diesem Punkte das Ringen ihres ganzen Lebens umsonst gewesen; nur kindliche Rücksicht fesselte ihren Sohn noch an diesen Platz, nur um ihretwillen wollte er die Last ferner auf seinen Schultern tragen. Eine Last – so sagte er wirklich in diesem Briefe. Ihr tiefes Weh überwindend, faltete Frau von Velden den Brief ruhig zusammen und gab ihn dem Eigenthümer zurück.

Gemessen sagte sie dann, was bei solchen Gelegenheiten zu sagen üblich ist: sie bedürfe Zeit zur Erwägung, und sie wolle sich mit ihrem Sohne näher verständigen; seinem Wunsche werde sie aber gern nachkommen, sobald dies geschehen.

Holdern vermochte nicht ganz sich klar zu werden über den Eindruck, den jener Brief gemacht. Er bat nur, die Ueberlegung nicht allzu sehr auszudehnen; bei Industriellen sei ja das Wort, daß Zeit und Geld eines seien, immer in Geltung. Er ließ dann tactvoll die Sache auf sich beruhen und sprach von seinem letzten Aufenthalt in Paris, von seinem Verkehr im Hohenwaldau'schen Kreise. Er erzählte, daß er dort Astens getroffen, die sich dem heitern Leben der Seine-Stadt ganz ergeben hätten.

Frau von Velden erkundigte sich, ob Herbert Asten und Rother wirklich nach Paris zu kommen gedächten, oder ob der Plan aufgegeben sei; Rother habe ihr in früheren Briefen davon gesprochen, doch in der letzten Zeit nicht mehr.

Holdern wußte nur, daß gesprächsweise die Möglichkeit dieses Besuches angedeutet worden sei, knüpfte aber wie in naheliegender Ideenverbindung an, daß er Fräulein Daniella Hirsch in Paris getroffen habe. Dabei drückte er sein Erstaunen aus, daß dieselbe im Salon des Barons Hohenwaldau Aufnahme gefunden und Comtesse Helene sich so mit ihr befreundet habe.

Frau von Velden staunte gleichfalls über diese Nachricht und war nicht angenehm berührt von dem Gedanken, daß Rother mit Daniella in Paris zusammentreffen würde. Rother's vollkommenes Schweigen über alles, was Daniella betraf, war ihr schon aufgefallen, da sie wußte, wie lebhaft er im vorigen Jahre mit ihr verkehrt hatte. Alles, was sie von Daniella und ihrem ganzen Auftreten gehört, war ihren Anschauungen von weiblicher Sitte entgegen. Gefährlich konnte das Spiel sein, welches das Mädchen mit dem jungen Manne trieb; denn daß Rother ihren Ansprüchen genügen würde, war fast undenkbar, ganz abgesehen davon, daß die Kluft zu überspringen war, welche die Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses bildete. Frau von Velden hatte daher eine große Beruhigung darin gefunden, daß die Reise mit dem jungen Asten ihren Pflegesohn für längere Zeit aus dem Bereich Daniella's gebracht hatte, – und nun führte vielleicht des Schicksals Tücke die Begegnung in Paris herbei. Sie begriff nicht, wie Graf Asten diesen Verkehr gestatten könne.

Ohnehin verstimmt gegen Helene, grollte sie derselben jetzt als der Ursache dieser Verwicklung.

An Holdern stellte sie nur die Frage, ob Daniella vielleicht das Judenthum abgestreift, daß man sie in diesen Kreisen aufgenommen habe.

Holdern erklärte, er habe nicht so genaue Kenntniß von dem Gewissen der schönen Dame, um darüber urtheilen zu können; vielleicht hoffe Comtesse Asten das ersehnte Ziel zu erreichen, vielleicht aber bleibe ihrem Pflegesohne diese Aufgabe vorbehalten; nur eins sei gewiß: für den Augenblick habe Baron Hohenwaldau die Freude, eine neue originelle Erscheinung in seinem Salon zu sehen.

Frau von Velden vermied es, auf die Sache näher einzugehen. Ihre Besorgniß durch einen Scherz verdeckend, sprach sie die Befürchtung aus, sie werde Rother die Freude des Wiedersehens der schönen Künstlerin vielleicht verderben, indem sie hoffe, daß derselbe die Zeit, wo der junge Asten bei seiner Familie weile, zu einem Besuch bei ihr verwenden werde. Sie ersuchte Holdern, diesen ihren Wunsch ihrem Pflegesohne an's Herz zu legen, wenn er ihn in Paris treffe.

Holdern weigerte sich lachend, einen solchen grausamen Befehl auszuführen, weil dann der Zorn der schönen Orientalin ihm drohe. In der angenehmsten Weise fortplaudernd, theilte er manches Anregende aus der Pariser Welt mit. Er vergaß nicht, darauf hinzudeuten, wie dort so mancher geistige Genuß leicht sich biete, der beim Leben in ländlicher Abgeschiedenheit unerreichbar sei.

Die Baronin hatte seit langer Zeit die Unterhaltung mit einem Weltmanne entbehrt; so verflog die Zeit ihr rasch in Anwesenheit des Barons. Und welche Frau wird nicht in etwa durch solch' angenehmen Eindruck auch in der Beurtheilung des Charakters beeinflußt?

Holdern hatte länger geweilt, als er anfangs beabsichtigte. Frau von Velden's ruhige und sichere Art, sich zu geben, hatte ihm behagt, und die sichere Aussicht auf das Gelingen seines Planes versetzte ihn in die beste Stimmung. Es war für ein Mal seine wahre Meinung, als er sagte, er habe stets gewußt, daß mit klugen Frauen am leichtesten zu unterhandeln sei. Er bat sich aus, ihre Entscheidung bei ihr selbst entgegen nehmen zu dürfen und versprach zugleich, das Interesse seines Freundes Hermann der Gesellschaft gegenüber zu vertreten.

Seine gute Stimmung überdauerte selbst die lange Fahrt durch die bergige Gegend; sie wurde sogar gehoben durch den Anblick der weiten Holzgründe, an denen der Weg vorüberführte und die er, wie alles jetzt, nur mit dem Auge der Berechnung sah. Wenn die Besitzung Velden's, wie er nicht mehr bezweifelte, für die Gesellschaft errungen wurde, standen die bedeutendsten Vortheile für ihn in Aussicht. Außerdem, daß man schon jetzt seine Bemühungen auf das großartigste lohnte, indem das Hingeben seines Namens zur Empfehlung verschiedener Unternehmungen ihm eine große Einnahme gebracht hatte, mußte durch die Einführung der Industrie in die einsame Gegend der Werth der Grundstücke und Gebäulichkeiten um ein Bedeutendes steigen. Sein eigener Besitz mußte also auch gewinnen. Es waren ganz angenehme Träume, in denen er sich wiegte. Wenn er des Ankaufs von Burghof gedachte, brach jedoch jedesmal das schwer zu unterdrückende spöttische Lächeln wieder durch. »Humbug!« meinte er, wenn er dachte, welche Grundsätze alle man zur Schau getragen, um sie bei der ersten Aussicht auf Gewinn fallen zu lassen.

In der besten Laune kam er auf seinem Gute an. Der späten Stunde ungeachtet fand er seine Schwester noch seiner harrend. Diese Liebe, dieses stets sich gleich bleibende aufrichtige Interesse, das sich auf ihn allein concentrirte, war vielleicht das einzige, was er noch zu schätzen vermochte.

Carry Holdern lag, wie meistens, wenn sie allein war, auf ihrer Chaise-longue, heute fester noch als gewöhnlich in ihre Shawls gewickelt. Ihre scharfen Züge zeigten sehr ausgeprägt ein inneres Leiden an, das sie schon manches Jahr trug. Von Zeit zu Zeit trat es heftiger auf; aber Carry klagte niemals vor ihrem Bruder. Sie fürchtete, ihm dadurch unangenehm zu werden, und wie sie von Jugend an alles zu seiner Befriedigung gethan, that sie es noch heute. Ihre Züge verklärten sich, als er ihr nahte und mit ungewöhnlicher Herzlichkeit einen Kuß auf ihre Stirne preßte.

Das Gemach, in welchem die Geschwister sich jetzt begrüßten, trug nicht mehr das öde Gepräge wie früher. Holdern hatte eine ganze Ausstattung von Möbeln, Teppichen und Vorhängen aus Paris geschickt, und wenngleich die Fremdlinge noch etwas verloren in dem weiten Raume aussahen, war es doch schon um vieles wohnlicher geworden. Auf die Bequemlichkeit seiner Schwester hatte Fritz Holdern besonders Rücksicht genommen. Aber seitdem hatten seine Gedanken in Bezug auf die Ausstattung seines Wohnsitzes schon einen weit kühnern Flug genommen. Gold, das so rasch gewonnen wird, ist selten zum kargen Ansammeln bestimmt. Auch paßte es in den Rahmen der damaligen Speculation, gleich mit möglichstem Glanze aufzutreten. Die neue Aera wich darin eigenthümlich von der Vorsicht früherer Geldmänner ab, welche in eine gewisse strenge Kargheit ihren Stolz setzten. Mit der Aera des Gewinnes verschmolz sich die des Genusses; selbst ehe man gewonnen hatte, begann man schon zu genießen.

Holdern hatte große Pläne gemacht für den Ausbau und die Einrichtung seines Schlosses und die Verschönerung der Umgebung. Er schwelgte schon in dem Behagen, sein Stammhaus in neuem Glanze erstehen zu sehen. Ein Tropfen des unvermischten alten Blutes machte sich geltend in dem Stolze, der ihn antrieb, die alte Burg vollständig zu erneuern. Als er aber jetzt seiner Schwester, bei der er stets gewöhnt war, die lebhafteste Theilnahme für alle seine Gedanken zu finden, seine Pläne vortrug, blieb diese anfangs auffallend still und einsilbig.

Er war so damit beschäftigt, ihr darzulegen, was er alles beabsichtige, wie er vorhabe, Pariser Arbeiter herüberkommen zu lassen, und wie viel vortheilhafter das sein werde, daß er ihr Schweigen gar nicht beachtete, – bis Carry's Stimme ihn plötzlich sehr schneidend unterbrach mit der Bemerkung, ob es nicht vielleicht angemessen sei, ehe er solche Auslagen mache, ihr zu erstatten, was er von ihrem elterlichen Erbtheil ihr schulde.

Eine solche Bitterkeit klang aus den Worten, daß Holdern starr auf sie niedersah, als wage er nicht, seinem Gehör zu trauen. Aber Carry blieb in ungewöhnlicher Erregung bei ihrer Forderung. Zum erstenmal in ihrem Leben erhob sie einen Anspruch an ihn, zum erstenmal mahnte sie an das, was sie für ihn gethan! Ein greller Mißton schlug damit an Holdern's Herz; seine Schwester war das einzige Wesen, an dessen Uneigennützigkeit er geglaubt hatte.

Ihr Auftreten verletzte ihn um so mehr, als er wirklich, sich mit ihr eins fühlend, an nichts weniger gedacht hatte, als den Vortheil sich allein zuzuwenden. Carry hatte gleichberechtigt daran Theil nehmen sollen, und die Verbesserung ihrer Lage hatte ihm eben so sehr am Herzen gelegen, wie sein eigenes Genügen. Vermochte sie, die ihm im Unglück so treu beigestanden, den Anblick seines Glückes nicht zu ertragen?

Seine leidenschaftliche Natur hätte sich vielleicht zu einer schnöden Antwort hinreißen lassen, wenn nicht ein Blick auf ihr Antlitz ihm gezeigt, wie leidend sie sei. Er konnte ihr Thun nur als einen Ausbruch krankhafter Erregung betrachten.

Sein Stolz war aber so tief verletzt, daß er schweigend sich abwandte und hinausging. Einen Theil der ihm schon zu eigen gewordenen Papiere in der Hand, erschien er wieder und überreichte dieselben seiner Schwester.

Mit der Rücksichtslosigkeit eines Mannes, dem reiche Geldquellen eröffnet sind, hatte er in den Haufen gegriffen; die Papiere repräsentirten einen namhaften Werth.

»Mehr kann ich für den Augenblick nicht thun; ich werde aber deine Mahnung nicht vergessen,« sagte er kalt, für seine Willfährigkeit aber doch eine jener zärtlichen Aufwallungen erwartend, wie er sie bei seiner Schwester gewöhnt war.

Aber Carry nahm die Papiere, kaum dankend, in Empfang und begann sogleich, mit ängstlicher Hast sie durchzusehen, als müsse sie sich erst überzeugen, daß sie von Werth seien. Ihre Hand zitterte, als sie dieselben durchblätterte; ihr Blick hatte etwas Gieriges, indem er aus den Bogen ruhte. Trockenen Tones erkundigte sie sich dann nach dem Zinssatze und den Aussichten aus Steigen oder Fallen. »Es ist noch nicht alles,« sagte sie, nachdem sie einige Zeit wie nachrechnend geschwiegen. »Du kannst es allmälig abtragen – aber ehe du den Bau beginnst.« Trotz ihres sichtlichen Leidens erhob sie sich, faßte die Papiere zusammen und entfernte sich hastig, als wähne sie ihren Schatz nicht sicher, als müsse sie ihn sofort verbergen.

Verletzt trat ihr Bruder zurück und bedeckte für einen Augenblick seine Augen mit der Hand, als wolle er den Eindruck nicht aufnehmen, der sich ihm aufdrängte. Selbstsüchtig, wie er war, berührte es ihn doch eisig, das einzige selbstlose Gefühl, an das er noch geglaubt, untergehen zu sehen.

Als er jetzt das Wort »Humbug« abermals vor sich hin murmelte, war sein Antlitz noch um einen Schatten düsterer als zuvor.


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