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14. Kapitel.

In den Tagen, die diesem Auftritt im Konvent folgten, ging Adalbert kaum aus dem Hause. Nur abends verließ er seine Wohnung, um Luft zu schöpfen, suchte aber entlegene Straßen auf, in denen er keinem Bekannten begegnete. Kehrte er nach Hause zurück, riegelte er sein Zimmer ab und ließ auch während des Tages niemanden ein. Thurnes kam, klopfte mit mächtiger Faust und schalt mit sansculottischen Flüchen, die er sich angewöhnt hatte, als nicht aufgetan wurde. Théroigne kam, klopfte mit zärtlichem Finger, meinte, sich mit Schmeichelworten Eingang zu verschaffen; doch die Türe tat sich nicht auf. Er wollte keinen Menschen sehen, keinen sprechen, nicht den Freund und nicht die Liebste, deren Meinung er kannte. Aber auch die träge Masse der Unbekannten auf der Straße war ihm zuwider, die nach dem kurzen, künstlich geschürten Aufflackern der Leidenschaft schon wieder gemächlich den Alltagsgeschäften nachging, als wäre nichts geschehen. Was bedeutete es auch für sie, ob in irgendeinem Gefängnis fünfzig Menschen mehr oder weniger saßen und wer diese Menschen waren! Seit vier Jahren hatte man dies Volk an so viel Gewalttat, Greuel und Blut gewöhnt, daß es nur noch die Achsel zuckte, wenn es von neuen Opfern der Guillotine hörte. Adalbert aber wußte, daß der Untergang der Girondisten noch eine ganz andere, schreckliche Bedeutung hatte. Er war ihnen weder als Partei noch als Persönlichkeiten besonders zugeneigt gewesen, hatte den Bruch in ihren Anschauungen, die zu gleicher Zeit eine Idealrepublik und unumschränkte Macht forderten, früh und scharf erkannt und sich von ihnen abgewandt, weil ihm ihre Halbheit, die sie allmählich zu einer farblosen Partei der Mitte machte, zuwider war. Nun aber schwiegen alle Einwände und alle persönlichen Abneigungen, denn nun stand klar und unwiderleglich Gewalttat da, Vergewaltigung, wie sie schlimmer in früheren Zeiten kein französischer »Tyrann« über die Parlamente verhängt hatte. Auch Ludwig XV. hatte Parlamentsmitglieder verhaften, ihre Sitzungen suspendieren lasten, aber niemals hätte er es wagen dürfen, sie zu ächten oder ihr Haupt dem Henker zu übergeben. Das Volk wäre ihm in den Arm gefallen, dasselbe Volk, das gestern in den Konventsaal gestürmt war und den Sturz der Girondisten erzwungen hatte. So also sah die Freiheit der Republik aus! Wer nicht wollte, wie die Linke befahl, war ein »Verräter« und büßte sein Verbrechen mit dem Tode! Freiheit, – er lachte bitter. Jean Jacques Reich, – es schien eine Fata Morgana, die mit holden Bildern den müden Wanderer lockte, um immer wieder zu entschwinden, sobald er meinte, aus dem erstickenden Grauen der Wüste in einen Palmenhain mit rauschenden Quellen zu treten. Eine Fata Morgana oder wenigstens ein Glückseiland, das weit, weit weg lag, getrennt vom Heute durch einen Ozean von Blut …

Aus diesem Ozean tauchte immer wieder ein Name, ein Mann auf, der den schrecklichen Ozean mit neuen Quellen speisen wollte. Marat, der Besessene, der soeben in seinem Blatt verkündete, daß erst dann von wirklicher Freiheit die Rede sein könne, wenn abermals zweimalhunderttausend Köpfe gefallen seien. Zweimalhunderttausend Köpfe – zweimalhunderttausend Menschen, die lebten und liebten und hofften und am Dasein hingen wie jeder andere! Zweimalhunderttausend Menschen, um die Mütter, Frauen, Kinder weinen würden, zweimalhunderttausend Menschen, die wohl keine andere Schuld auf sich geladen hatten, als daß sie in diese Schreckenszeit hineingewachsen waren. Adalbert stöhnte, schauderte. Zweimalhunderttausend Menschen … Wann endlich würde der Retter kommen, der dem Besessenen in den Arm fiel? Wo war der Brutus, der das Land von diesem Ungeheuer befreite?! Er fragte sichs, ging mit hastigen Schritten im Zimmer hin und her. Wo war der Retter? Mit einem Male blieb er stehen, hob abwehrend die Hände, als spräche einer auf ihn ein. »Nein, nein!« Hastiger, erregter noch als vorhin setzte er seinen Gang fort, doch der Unsichtbare lief neben ihm her und ließ nicht ab, ihn zu bedrängen. Der Retter, – warum sollte nicht er der Retter sein? Warum sollte nicht er den Streich führen, der das Land erlöste? Zweimalhunderttausend Menschen. – – Er ging an einen Wandschrank, öffnete ein kleines Fach, in dem ein scharfgeschliffener Dolch lag. Er nahm die Waffe, spiegelte sich einen Augenblick in ihrer blanken Klinge, prüfte ihre Schärfe, die er als zuverlässig erkannte. Ein einziger rascher Stoß ins Herz oder in die Halsader und es war geschehen. Zweimalhunderttausend Menschen. – – Was nachher kommen würde, war gleichgültig. Wer mordet, wird wieder gemordet, wenn auch mit dem Schein des Rechts und allerlei Zeremonien. Der Gedanke an den Tod schreckte ihn nicht. Mit dem Bewußtsein, eine große Tat getan zu haben, konnte man ruhig zum Richtplatz und in die Ewigkeit gehen. Er legte die Waffe wieder in das kleine Fach zurück, sah nachdenklich auf seine Hand, die den Stoß führen sollte. Diese Hand hatte Todesurteile für Mörder unterzeichnet. Diese Hand hatte Gesetze unterschrieben, die das Leben schützten. Sein Großvater war ein gewalttätiger, sein Urgroßvater ein richtiger Herr des ancien régime gewesen, und soweit er auf seine Vorväter zurückblickte, hatte jeder von ihnen sein gehöriges Teil menschlicher Schwächen und Laster mit herumgeschleppt. Aber gemordet, nein, gemordet hatte keiner! »Du sollst nicht töten!« Ein Marat durfte dies Gebot verhöhnen und in Blut ersäufen, aber nicht er, in dessen Hand, von Vorvätern behütet, Menschenleben gegeben gewesen, nicht er, dessen Seele an seiner Tat zugrunde gehen würde. Zweimalhunderttausend Menschen. – Da stand es wieder vor ihm und schrie ihm aus zweimalhunderttausend Kehlen zu, woher er denn das Recht nähme an seine Seele zu denken, wenn zweimalhunderttausend Menschen in den Tod gehen sollten, damit sie unversehrt bliebe! In jähem Entschluß straffte sich sein Herz. »Ja, ich werde es vollenden. Was liegt an mir, wenn Zweimalhunderttausend gerettet werden können?! Welch eine Vermessenheit von mir, daß ich mir einreden wollte, ich sei zu gut, von zu stolzer Art, um meine Hände in das Blut eines Ungeheuers tauchen zu dürfen! Bin ich denn mehr als die Zweimalhunderttausend, deren Geschick ich mit einem einzigen Stoß wenden kann!? Ist es nicht die Pflicht eines Bürgers, Jean Jacques' Reich zu retten, dies Reich, in dem ich doch nichts sein wollte und will, als ein Bürger unter Bürgern? Wieder nahm er den Dolch zur Hand und sein Gesicht verriet Entschlossenheit. Das Leben zu verwirken war eine Kleinigkeit neben der Größe der Tat, die vor ihm stand. Und wenn diese Tat ihn auch innerlich nicht befreite, sondern zerbrach, – was lag daran?! In diesen vier Jahren war ja schon so vieles in ihm zusammengebrochen. – – Wie er jetzt wieder sein Auge auf die schmale, blanke Klinge senkte, sah er nicht mehr sein eigenes Bild in ihr, sondern wie in einer blitzschnellen Vision das andere, das dieser Dolch zeichnen sollte. Marat, die Todeswunde in der Brust, aus der unaufhaltsam das Blut strömte, der Kopf zurückgesunken, die Lippen schon bläulich gefärbt …

Ein Pochen an der Tür schreckte ihn auf. Schnell legte er den Dolch zurück, verschloß den Schrank. Es pochte heftiger und Théroignes Stimme, bebend vor Erregung, rief:

»Wenn du da bist, öffne, ich beschwöre dich, öffne! Etwas Fürchterliches ist geschehen!«

Er ging hin, schloß auf. Sie stürmte herein, ganz blaß, mit verstörtem Gesicht, mit Augen voll Zorn und Schrecken.

»Marat ist ermordet!«

Er stand, sah sie an und fand kein Wort. Er begriff nicht gleich, daß es Wirklichkeit sein sollte, was er vorhin wie eine flüchtige Vision in der Klinge des Dolches erblickt hatte. Ein Frösteln überlief ihn und ein Schauder vor unbegreiflichen geheimnisvollen Zusammenhängen. In seine entsetzte Ratlosigkeit hinein schrie Théroigne wieder mit einer Stimme, die in Tränen erstickte:

»Marat ist ermordet!«

Nun strömte es heiß zu Adalberts Herzen. Zweimalhunderttausend Menschen waren gerettet. Und neben dem Glücksgefühl, das ihn durchdrang, war ein leiser, demütiger Dank, daß er nicht das schwerste Opfer hatte bringen müssen, das ein Mensch bringen kann: eine Tat zu tun, die ihn zermalmt. Und dann berichtete Théroigne fiebrig erregt, mit flackernden Augen, zeitweise von krampfhaftem Schluchzen unterbrochen, wie sich alles zugetragen hatte. Ein junges Weib, das aus Caen zugereist war, hatte sich bei Marat Zutritt verschafft unter dem Vorwande, daß sie ihm Nachrichten über Verschwörungspläne der flüchtigen Girondisten bringen wollte. So wichtige Nachrichten durften nicht versäumt werden, und Marat, der seit einigen Tagen krank war, empfing die Person (Charlotte Corday hieß sie), obschon er eben im Bade saß. Sie überreichte ihm einen Brief, der das angebliche Komplott verriet, und während Marat las, stieß sie ihm ein Messer so geschickt ins Herz, daß er kaum noch um Hilfe rufen konnte und in der Badewanne verblutete. Adalbert hörte ihre Worte an seinem Ohr vorüberrauschen, ohne auf Einzelheiten achtzugeben. In ihm war nur eins: »Marat ist tot – zweimalhunderttausend Menschen sind gerettet!« Ihm wars, als sähe er die Zweimalhunderttausend froh in das Leben hinausschreiten, das sie schon verwirkt hatten, als hörte er ihren Dank, und ohne auf Théroigne zu achten, sagte er:

»O, es ist wundervoll!«

Théroigne mißverstand ihn und war entsetzt.

»Wundervoll?! Du freust dich über seinen Tod?! Du kannst sagen »wundervoll«, wo unser aller Hort, der Freund der Armen, ermordet liegt? Aber natürlich, du bist ja ein feiner Herr! Du hast ja nie gewußt, was Armut ist! Dich empört es wahrscheinlich, daß kein Tyrann mehr da ist, bei dem du und deinesgleichen die erste Rolle spielen könnten!«

Sie steigerte sich in einen Zorn hinein, der sie fast besinnungslos machte. Zuletzt rief sie:

»Gestehe es doch, daß du es mit den Verrätern hältst! Daß du zu denen gehörst, die uns in die alte Sklaverei zurückführen wollen! Vielleicht bist du sogar mit dem verdammten Weib aus Caen im Einverständnis?«

Er ließ sie austoben, und als sie ruhiger geworden schien, nahm er ihre Hand und sagte gelassen:

»Höre mich an. Ich bin kein Verräter, ich habe keine größere Sehnsucht als die, endlich in wirklicher Freiheit und Einigkeit mit allen Menschen zu leben. Daß ich ein Mitverschworener der Mörderin bin, glaubst du doch selbst nicht! Aber dies eine sage ich dir: wäre sie nicht gekommen, hätte ich es getan! Und ich schäme mich in die Seele aller Männer, daß ein junges Weib uns zuvor gekommen ist … So, nun kannst du hingehen, wenn es dir gefällt, und mich als Verräter anzeigen!«

Sie stürmte davon, ohne ein Wort zu entgegnen. Er dachte nicht weiter über das Gespräch nach, sondern nur über die Tat, die da durch die Hand einer Frau geschehen war. Ob Théroigne ihn anzeigen würde oder nicht, galt ihm gleich. In der ersten Aufwallung wäre sie aus »Patriotismus« wohl fähig dazu, denn ihr Haß gegen alles, was aristokratisch war oder schien, dampfte noch glühend wie in den ersten Tagen der Revolution. Wenn sie es aber tat, dann würde sie es niemals verwinden können, das wußte er. Denn bei all ihrer Ungebärdigkeit war sie kein kleiner Mensch und allem »Patriotismus« zum Trotz hätte sie sich vor sich selber geschämt, irgendeinen Menschen zu denunzieren, geschweige denn den Mann, den sie liebte. Es kam nur darauf an, wie weit sie ihrer ersten Wut die Zügel schießen ließ … –

Nach einer Stunde stand sie wieder vor ihm. Immer noch blaß, immer noch mit verstörtem Gesicht und einer aufbegehrenden Stimme, in der aber jetzt doch eine angstvolle Bitte klang.

»Nimm das Wort zurück!«

»Welches Wort?«

»Daß ich hingehen und dich anzeigen kann! Etwas so Niedriges darfst du nie von mir sagen, nie von mir denken! Nimm es zurück!«

Er nahm sie in die Arme und küßte sie.

»Ich nehme es zurück. Ich habe es auch nie geglaubt!«

Sie wurde kühner.

»Nimm das andere auch zurück! Sage, daß du es nur gesprochen hast, um mich zu verletzen!«

»Was meinst du?«

»Daß du – daß du –«

Es schien ihr Überwindung zu kosten, den Satz zu vollenden.

»Daß ich –«

»Daß du es getan hättest, wenn das elende Weib es nicht getan hätte!«

»Nein, das nehme ich nicht zurück!«

»Nimm es zurück!«

»Niemals. Das ist ein Wort und eine Überzeugung, an denen du nicht rütteln kannst. Ich hätte es tun müssen. Da eine andere es getan hat, bin ich befreit. Hänge also dem nicht nach, was hätte geschehen müssen, und sei dankbar, daß nicht ich es zu vollenden brauchte!«

Sie entgegnete nichts mehr, aber seit jenem Tage war etwas Fremdes, Feindseliges zwischen ihnen …

*

In einer schwülen Gewitternacht wurde Marat unter düsterem Gepränge und ungeheurem Zustrom des Volkes zu Grabe getragen. Donner des Himmels und der Kanonen rollten über den Leichenzug hin, züngelnde Blitze, schwelende Fackeln und die flackernden Flammen der Pechpfannen warfen jähe Lichter und gespenstische Schatten über das phantastische Geleite. Der Leichnam, mit einem Tuch bedeckt, das nur den Kopf und die Todeswunde freiließ, wurde auf der Bettstelle Marats von zwölf Getreuen getragen. Man hatte zuerst geplant, den Oberkörper völlig zu entblößen, um die Wirkung der Wunde zu erhöhen, aber flüsternd-betreten war man von dieser Idee zurückgekommen. Der ganze Körper war ja mit einem Ausschlag überzogen, über dessen Ursprung kein Pariser Kind im Unklaren sein konnte, und so breitete man das Laken über ihn und ließ unaufhörlich Weihrauchwolken um die Leiche herwirbeln, die sich rasch zersetzte. Vier Weiber, unter ihnen Louison, trugen die Badewanne, in der er verblutet war, und auf einer Pike wurde sein blutgetränktes Hemd dem Sarge nachgeführt. Unmittelbar dahinter schritt Théroigne, ganz in schwarze Gewänder und Schleier gehüllt, die umflorte, rote Mütze auf dem Haupt und in der Hand ein umflortes Banner, auf dem zu lesen stand, »Weinet, Frauen Frankreichs, euer Befreier ist gestorben!« Adalbert hatte versucht, sie von der Teilnahme an dem Leichenzug und dem theatralischen Aufputz abzuhalten, aber ihr Widerstand war stärker gewesen als sein Willen. Er hatte sich freilich auch nicht allzustark eingesetzt, um Recht zu behalten, denn sein Interesse galt in diesen Tagen nicht dem Ermordeten, sondern der Mörderin. Er hatte versucht, zu ihr ins Gefängnis zu dringen, unbekümmert darum, ob er sich verdächtig machen würde oder nicht. Er war ja auch nicht der einzige, der sie aus der Ferne bewunderte und alles daransetzte, um ihr seine Gefühle auszusprechen, nein, die Tat dieses jungen Geschöpfes und ihre stolze Gelassenheit rissen mehr denn einen hin, der von ihr hörte, und errangen für sie Bewunderung und Hingebung, die fast ebenso fanatisch waren, wie die Verwünschungen, die Marats Freunde gegen sie ausstießen. Mit vieler Mühe und List war es Adalbert endlich gelungen, einen ihrer Gefängniswärter zu bestechen und insgeheim für einige Augenblicke zu ihr zu gelangen. Als er vor ihr stand, war er so tief erschüttert, daß er kaum ein Wort hervorbringen konnte. Sie war nicht so schön, wie die Legende ihrer Bewunderer sie gedichtet hatte, aber Adalbert meinte kaum je ein Gesicht von solcher Reinheit und Kühnheit gesehen zu haben und dunkle Augen, in denen so viel Schwärmerei und so viel stolzes Glück lagen. Nicht eine Spur von Angst vor dem Tribunal, von Bedauern, daß sie ein Leben verlassen sollte, das ihr, der kaum Fünfundzwanzigjährigen eben erst zu lächeln begann. In wenigen Worten erzählte sie Adalbert, wie alles gekommen war. Zuerst der Revolution leidenschaftlich ergeben, hatte sie sich voll Grauen abgewendet, als die Blutgerichte begannen. Dann waren girondistische Flüchtlinge in das Haus ihres Vaters, eines angesehenen Bürgers, gekommen und ihre Berichte über die Greueltaten in Paris hatten in dem jungen Mädchen den Entschluß zu ihrer Tat reifen lassen. Ganz ruhig, als hätte es nicht anders sein können, sprach sie von dem Tod, den sie gebracht hatte, und der sie erwartete, und da sie sah, daß Adalbert erbebte, als sie immer völlig ruhig, von ihrer sicheren Hinrichtung sprach, lächelte sie ein wenig und sagte:

»Ich fürchte mich nicht, ich weiß, daß meine Tat mich überleben wird! Sie sollen nicht glauben, daß ich jemals Angst haben könnte. Versprechen Sie mir, daß Sie mich sehen wollen, wenn man mich zum Richtplatz führt! Da mögen Sie sich überzeugen und es anderen sagen, die späterhin vielleicht behaupten wollen, ich sei feige gewesen, daß ich so ruhig und freudig in den Tod gegangen bin, wie ich Marats schurkisches Herz durchbohrt habe!«

Adalbert schied von ihr in tiefer Bewegung. Er versuchte, ein zweites Mal zu ihr zu dringen, aber der Gefängniswärter hatte Angst bekommen und nahm nur widerwillig einen Rosenstrauß für sie an.

Als der Tag der Hinrichtung erschien, stand Adalbert wirklich auf der Straße, die der Karren passieren mußte. Er begriff selber nicht, daß er da stand, denn er war stets in scheuem Umkreis um die Gassen herumgegangen, durch die man die Verurteilten fuhr, heute aber war es, als hätte ihm einer befohlen, dazustehen und zu warten. Strömender noch als sonst drängte sich das Volk, um das Opfer zu sehen, und Adalberts Herz zitterte, wenn er dachte, daß dies reine, große Mädchen vielleicht den wüsten und unflätigen Beschimpfungen dieser Menge standhalten müßte. Fast mehr aber noch zitterte er, wenn er sich vorstellte, daß sie nun, da sie an der letzten Stunde hielt, doch Furcht bekommen, daß Verzweiflung dies junge Gesicht durchwühlen würde, da die Sonne es zum letzten Male beschien … Da kam auch schon der schreckliche Karren, auf dem sie stand. Groß und ruhig stand sie, wie er sie im Gefängnis gesehen hatte, das kühne Antlitz erhoben, in den dunklen Augen stolzes Glück, um den Mund ein kleines, mitleidiges Lächeln, auf der Stirne den Lichtschein der Verklärung … Nichts von Angst, von Reue, von innerem Schwanken. Eingehüllt in ihre Tat wie in königlichen Purpur, stand sie ihres Rechts bewußt, eine Heldin, die sich schon aller Menschlichkeit entkleidet hatte, bis auf das stolze Leuchten der Augen und das Mitleidslächeln für ein verblendetes Volk. Adalbert entblößte sein Haupt, verneigte sich tief und blieb so, bis sie vorüber war, ohne auf das Murren zu achten, das sich um ihn her erheben wollte. In dies Murren hinein rief eine vor Erregung zitternde Männerstimme:

»Sie ist größer als Brutus!«

Adalbert, der an der Aussprache merkte, daß der Mann, der da gerufen hatte, ein Deutscher war, wandte sich um, und erkannte zu seinem Staunen Adam Lux, den Deputierten der Stadt Mainz, der erst vor kurzem die Einverleibung des alten Kurfürstentums in die neue Republik betrieben hatte! Da die Menge, von einigen Hetzern gedrängt, Lust zu haben schien, sich an Lux zu vergreifen, faßte ihn Adalbert beim Arm und zog ihn mit geschickter Wendung und raschen Schritten in eine kleine Seitengasse, in die ihnen für etliche Minuten noch Gesindel und Flüche folgten, um dann von ihnen abzulassen. Jetzt erst sah er Adalbert Lux näher an und war erschrocken über die Veränderung, die in den wenigen Monaten vorgegangen war, seit er ihn zuletzt im Klub getroffen hatte. Derb und ein wenig verwegen hatte dieser bäuerliche Autodidakt ausgesehen, der den Pflug um der Bücher und die Bücher um der neuen Republik willen verlassen hatte. Derb war das breite Gesicht gewesen, verwegen die abgestumpfte Nase und das modisch lange Haar, verträumt aber die Augen und um den Mund war ein Zug eigensinniger Beharrlichkeit gewesen, wie man ihn bei Landleuten häufig trifft. Jetzt war dies Gesicht wie ausgelöscht, wie ertrunken in Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit. Und auf Adalberts Frage, ob er sich krank fühle, antwortete er voll bitterem Spott:

»O nein, ich fühle mich ausgezeichnet wohl. Wir fühlen uns doch alle wohl, nicht wahr?! Es kann doch auch kein schöneres Leben geben als hierzulande! So, gerade so, haben wir alle es uns erträumt! Sie doch hoffentlich auch?«

Adalbert antwortete nichts. Nach einer Weile fragte er nach dem anderen Mainzer, Georg Forster.

»Dem geht es ausgezeichnet gut. Der stirbt wohl in Bälde an der Lungensucht oder an irgendetwas anderem. Es ist das Gescheiteste, was einer heutzutage tun kann. Man muß trachten, ihm Nachfolge zu leisten!«

Adalbert suchte nach irgendeinem tröstenden Wort, nach irgendeiner Hoffnung, die er diesem Verzweifelten geben könnte, aber alles was er sagen wollte, kam ihm leer vor. Und in dem hoffnungslosen Gesicht, mit dem Lux ihn anstarrte, meinte er sein eigenes Spiegelbild zu sehen …

*


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