Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.
»Was ist los?«

Mr. Cunninghams Wohnung war festlich erleuchtet. Große Körbe voll Blumen standen auf Postamenten in den Fensternischen, und auf dem kunstvoll geschnitzten Schenktische des Vorzimmers (welchen zu bewundern Mr. Cunningham seine Gäste bei jedem Besuche aufforderte) standen Weine der feinsten Marken, die ausgewähltesten Liqueure und Cigarren im Ueberfluß. Etwa fünf Minuten vor acht Uhr stellte sich Mr. Hampton ein und folgte dem ihn anmeldenden Diener auf dem Fuße. Er sah so stattlich und imposant aus, wie immer, hielt den Kopf majestätisch etwas zurückgebogen, machte aber dennoch, wenn er unter seinesgleichen auftaute, einen gutmütig behaglichen Eindruck. Seine glattrasierten Wangen und seinen Nacken bedeckte ein feines Netzwerk rötlicher Adern und die kleinen dunklen Säcke unter den Augen bewiesen, daß ihm die Umpflanzung in den New Yorker Boden nicht besonders gut bekommen war.

»Nun, mein Alter, was ist los?« fragte er, Cunninghams Hand mit außerordentlicher Freundlichkeit schüttelnd. »Möchtet ihr euch vielleicht wieder aus der Geschichte herauswickeln? Aber dazu dürften wir euch zu scharf sein, alter Bursche.«

»Na, daß ihr eine geriebene Gesellschaft seid, läßt sich kaum bestreiten,« entgegnete Cunningham mit einem lauten Auflachen, das indessen nichts weniger als lustig klang. »Aber lassen Sie uns nicht von Geschäften reden, bis wir unsern inneren Menschen etwas gestärkt haben. Ich habe da einen köstlichen alten Whiskey, über den Sie mir Ihre Meinung sagen sollen.«

Während sie noch im Vorzimmer standen, wurde ein halbes Dutzend andrer Herren angekündigt und Cunningham war, nachdem er Hampton in die Geheimnisse des Schenktisches eingeweiht, einige Minuten damit beschäftigt, die Ankommenden zu begrüßen. Eine Viertelstunde später ging die Versammlung an die Geschäfte und Cunningham wurde einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Er eröffnete die Sitzung mit dem Bedauern, Mr. Craven nicht unter den Anwesenden zu erblicken, erstens, weil derselbe ein sehr klarer Kopf sei, und zweitens, weil er sich abgeneigt gezeigt habe, die Abmachungen der Versammlung als für sich bindend zu erachten. Mr. Cunningham würde zwar, wie er versicherte, sein möglichstes thun, um nachträglich Mr. Cravens Zustimmung zu den hier gefaßten Beschlüssen zu erhalten, könne aber keine Bürgschaft dafür übernehmen, daß es ihm wirklich gelingen werde. Die auf der Tagesordnung stehende Frage war eine sehr wichtige. Die Genossenschaft, welche zusammengetreten war, um die »Maid of Athens« zu kaufen, wünschte den Handel rückgängig zu machen, und in Anbetracht gewisser Unregelmäßigkeiten von seiten der Verkäufer hegte sie die Ueberzeugung, dies auch, wenn nötig, gesetzlich erzwingen zu können.

Jetzt erhob sich eine längere Debatte, welche indessen zu keinem andern Ergebnisse führte, als daß Mr. Palfrey im Namen seiner Mitdirektoren erklärte, er sei es zufrieden, die Sache dem Handelsgericht vorzulegen, werde aber vor der Entscheidung desselben seine Einwilligung weder zur Rückzahlung des Reugeldes, noch zur Nichtigkeitserklärung des abgeschlossenen Kaufvertrags geben.

Hierauf schloß der Vorsitzende die Debatte, bat aber die Herren Palfrey, Hampton und Löwenthal, ihm eine kurze Privatunterredung zu gönnen. Währenddem reichte man Wein und Cigarren herum, und als die vier Männer in behaglichen Lehnstühlen um einen runden Tisch des Nebenzimmers saßen, begann eine freundschaftliche Besprechung. Simon zeigte heute keine Spur seiner gestrigen Aufregung, sondern blickte nur Mr. Hampton von Zeit zu Zeit höhnisch lächelnd an, während letzterer in einer gewissen nervösen Weise rauchte und nur dann und wann mit etwas besorgtem Ausdruck nach der Thür hinsah. Es hatte sich seiner eine Ahnung bemächtigt, daß Cunninghams Hindeutung auf allerlei »Unregelmäßigkeiten« im Zusammenhange mit seinem bonus stehen möchte, aber andrerseits konnte er sich nicht vorstellen, daß ein so alter, erprobter Freund dieses kleine Privatabkommen benutzen werde, um sich seinen eignen Verpflichtungen zu entziehen. Die Veränderung, welche er sich durch das Ausradieren der Ziffer in dem Kontrakte erlaubt, war seinem Gedächtnisse ganz und gar entschwunden Er hatte sich vorgenommen gehabt, Cunningham davon zu unterrichten, aber bei der Belanglosigkeit, welche ihm die Sache zu haben schien, hatte er bisher vergessen, sie zu erwähnen. Es war deshalb eine furchtbare Ueberraschung für ihn, als sein Freund das Schriftstück aus der Tasche zog und mit der größten Gelassenheit erklärte, daß er und seine Genossen, falls man den Kauf nicht rückgängig machen wolle, sich genötigt sehen würden, Mr. Hampton noch diese Nacht wegen Fälschung verhaften zu lassen. Er fürchte sogar, setzte Mr. Cunningham hinzu, daß Mr. Craven bereits einen Verhaftsbefehl erwirkt habe und jeden Augenblick mit einem Polizeibeamten erscheinen könne.

Mr. Hampton saß schweratmend und mit purpurrotem Gesicht in seinem Lehnstuhle.

»Ich – ich habe mich also in Ihnen geirrt, Cunningham,« stieß er mit rauher, trockener Stimme hervor. »Ich habe – Sie bis jetzt für meinen Freund gehalten.«

»In Geldsachen hört die Freundschaft auf,« entgegnete Cunningham. »Wo es sich um Geld und Geldeswert handelt, ist jeder sich selbst der nächste, das ist mein Motto.«

»Und damit haben ße ganz recht,« fiel Simon zustimmend ein. »Wenn mer ßuweilen will steigen 's Gefühl in die Kehle und will mer ersticken, so sage ich mer immer: ›Simon, Geschäft is Geschäft und Gefühl is Gefühl!‹«

»Mr. Palfrey,« sagte Mr. Hampton mit einer gewaltsamen Anstrengung, sich aufzuraffen, »Sie haben, wenn ich nicht irre, die Rechte studiert, Sie werden mir sagen können, ob die Veränderung dieser Ziffer, angenommen, sie wäre verändert, als – als Fälschung betrachtet werden könnte. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht die Absicht hatte, jemand zu betrügen, besonders nicht um eines so geringen Betrages willen.«

»Das Gesetz würde in diesem Falle ohne Zweifel gegen Sie sein, Mr. Hampton,« gab Palfrey kalt zur Antwort.

Hampton sprang auf und fing an, im Zimmer hin und her zu laufen.

»Nun gut,« rief er endlich, indem er breit vor Mr. Cunningham stehen blieb, »was verlangen Sie von mir? Was soll ich thun?«

»Ich verlange, daß Sie uns die Rückgabe des Reugeldes sichern und an unsrer Stelle als Käufer der Mine eintreten,« entgegnete Cunningham. »Sie sehen wohl, wir haben Sie in eine Sackgasse getrieben, und es würde Ihnen nichts nutzen, über die Bedingungen zu markten und zu feilschen.«

»Dies Verlangen kann ich nicht erfüllen,« stöhnte das Opfer, »Das hieße ganz einfach, mich zu Grunde richten.«

»Und wenn Sie unsre Bedingungen nicht annehmen, sind Sie dann nicht zu Grunde gerichtet?« fragte Cunningham gefühllos. »Mich dünkt, die Sache läuft so ziemlich auf eins hinaus.«

»Verzeihen Sie,« fiel hier Palfrey ein, »ich glaube, als beteiligte Partei habe ich hier ebenfalls ein Wort mitzureden. Wir haben den Kaufvertrag mit Ihnen, als dem Bevollmächtigten Ihrer Genossenschaft abgeschlossen, und müssen – mögen Sie die Mine späterhin verkaufen, an wen Sie wollen – darauf bestehen, daß derselbe gehalten wird. Wird die Kaufsumme bis morgen mittag nicht bezahlt, so ist Ihr Reugeld verfallen, und ich möchte Ihnen bemerklich machen, daß, indem Sie versuchen, Ihre Verpflichtungen auf Mr. Hamptons Schultern zu wälzen, Sie leicht selbst Verluste erleiden könnten und Veranlassung zu endlosen Prozessen geben würden. Ich kenne Mr. Hamptons Vermögensverhältnisse nur ganz im allgemeinen, aber wir lehnen es ab, ihn in den von Ihrer Genossenschaft abgeschlossenen Kontrakt als Käufer eintreten zu lassen.«

Cunningham wollte eben antworten, als sich ein scharfes Klopfen hören ließ. Alle fuhren empor und blickten erwartungsvoll nach der Thür. Ein Diener trat ein.

»Es ist ein Herr hier, welcher Mr. Hampton zu sprechen wünscht,« meldete er.

»Hat er seinen Namen genannt?« fragte Cunningham.

»Nein, Sir.«

»Hatte ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie, wenn jemand nach Mr. Hampton fragte, sagen sollen, er sei nicht hier?«

»Das habe ich auch gethan, Sir. Aber der Herr behauptet, er wisse bestimmt, daß Mr. Hampton hier sei.«

»So gehen Sie und sagen Sie ihm, daß er sich geirrt habe.«

Mr. Hampton sah wirklich erbarmungswürdig aus. So in einer Stunde die Früchte eines langen, arbeitsamen Lebens zu verlieren, war mehr, als er zu tragen vermochte. Seine ganze Stellung und sein Ansehen in der Gesellschaft gründete sich auf seinen Reichtum, wie sollte er den Verlust desselben überleben? Schon fühlte er, wie sich der eisige Schatten der Mißachtung langsam über ihn ausbreitete, und als sein Blick zufällig in den ihm gegenüber hängenden Spiegel fiel, glaubte er hinter sich bereits sein Ebenbild zu sehen, welches den gestreiften Anzug des Sträflings trug. Diese Gesichtstäuschung gewann für einen Moment so sehr den Anschein der Wirklichkeit, daß Hampton halb unwillkürlich auf den Spiegel zutrat, um dann mit einem Schauder zurückzufahren.

»Sagen Sie mir Ihre letzte Bedingung, Mr. Cunningham,« stieß er mit gebrochener Stimme hervor.

»Ich habe sie Ihnen bereits gesagt.«

Der Diener trat nochmals ein, um zu melden, daß der ;Herr unten darauf bestehe, Mr. Hampton, wenn auch nur für eine Minute zu sehen und zu sprechen.

Mr. Palfrey hatte sich über den Tisch zu Mr. Cunningham gebeugt und schien ihm sehr ernstliche Vorstellungen zu machen. Hampton schritt, in sich selbst versunken, im Zimmer auf und ab, schien das Muster des Teppichs aufmerksam zu studieren und rang ab und zu die Hände, daß sie in allen Gelenken knackten. Simon blickte mit einer Art katzenhafter Wachsamkeit von einem zum andern und rieb unter dem Tische seine fettigen Hände.

»Nun,« begann Mr. Cunningham endlich von neuem, »Mr. Palfrey zeigt mir die Sache in einem neuen Lichte, und um unsrer alten Freundschaft und um Ihrer Familie willen sollen Sie mit einem blauen Auge davon kommen. Es ist möglich, daß der Kauf, trotz Ihrer heimlichen Schliche, zu Recht bestehen bleibt, und da der Erwerb der ›Maid of Athens‹ immerhin kein schlechtes Geschäft ist, stellen wir Ihnen folgende Bedingungen: Sie verzichten selbstverständlich auf Ihren bonus, nehmen für Ihre Anteilscheine an Zahlungsstatt Aktien der neuen Gesellschaft und verpflichten sich, kein Stück derselben eher als bis zu Ende August des nächsten Jahres zu veräußern. Wir glauben, daß der Zustand der Grube eine Aktienauflage von drei Millionen rechtfertigt.«

Ein Kontrakt, welcher diese Bedingungen feststellte, wurde sogleich ausgefertigt und unterzeichnet, wogegen das Schriftstück mit der radierten Ziffer zerrissen und ins Feuer geworfen wurde.

»Und nun,« sagte Cunningham in der verbindlichsten, liebenswürdigsten Weise, »lassen Sie uns zusehen, was der Bote von Mr. Craven will. Der gute Mann ist jetzt ganz unschädlich und wir wollen ihm ein kleines Schmerzensgeld für die Enttäuschung zubilligen.«

Aber niemand war in der Stimmung, auf diese humoristische Wendung einzugehen. Nur Simon machte einen Versuch zu lächeln, wobei eine Reihe schwarzer, häßlicher Zähne sichtbar wurde. Hampton griff in tiefster Niedergeschlagenheit nach seinem Hute, blickte einen Moment gedankenvoll in das Innere desselben und schritt durch das Vorzimmer auf die Ausgangsthür zu. Die andern drei brannten sich frische Cigarren an und folgten ihm. Als Mr. Hampton in der Vorhalle des Hauses erschien, trat ein Herr im Gesellschaftsanzuge, mit allen Zeichen der Langeweile in seiner Haltung, auf ihn zu und zog ihn beiseite.

»Warum zum Kuckuck läßt du mich so lange warten?« sagte er ungeduldig. »Ich brauche deine Unterschrift unter ein Papier –«

» Dudu warst der Polizeibeamte!« rief Hampton rot vor Zorn.

»Polizeibeamte! Nein, ich bin niemals Polizeibeamter gewesen, obwohl ich oft genug mit solchen Leuten zu thun gehabt habe,« gab Walther mit unzerstörbarer Ruhe zur Antwort. »Meiner Meinung nach sind sie eine sehr üble Sorte von Kerls.«

»Willst du deinen Vater auch noch verspotten, du ungeratener Bube!« rief der alte Mann wütend.

»Erinnere dich, wo du bist, Vater,« entgegnete der Sohn im Tone wohlwollender Gönnerschaft. »Mache hier keinen Spektakel.«

Walther hatte auf die Herren, welche Mr. Hampton folgten, kaum geachtet. In seinem Bemühen, den Vater zu beruhigen, hatte er dessen Arm ergriffen und war eben dabei, ihn fortzuführen, als er sich plötzlich Simon Löwenthal gegenüber sah. Er hielt den Atem an und sah einen Moment tödlich erschrocken aus.

»Ah, treffe ich Sie hier?« zischte Simon bleich vor Wut und mit einem Blicke, der nichts weniger als beruhigend auf seinen Gegner wirkte.

»Was zum Teufel wollen Sie von mir?« fragte Walther im hochmütigsten Tone.

»Das will ich Ihnen gleich zeigen,« fuhr Simon in demselben zischenden Flüstertone fort, und ehe noch der junge Mann die Hand zur Abwehr erheben konnte, erhielt er einen Schlag ins Gesicht, daß ihm die Funken aus den Augen sprangen.

Walther griff, ohne die Fassung zu verlieren, in seine Brusttasche und Simon sah fast in demselben Moment die Mündung einer Pistole auf sein Gesicht gerichtet. Im gleichen Augenblicke aber wurde auch die Waffe zur Seite geschlagen und die an Simons Ohr vorüberpfeifende Kugel fuhr hinter ihm in die Wand.

»Daß Sie jetzt kein Mörder sind, Sie thörichter Mensch, das haben Sie mir zu danken,« sagte Mr. Palfrey streng. »Geben Sie mir Ihre Pistole!«

Walther sah ihn mit einiger Verwunderung an, reichte ihm aber, wenn auch halb widerwillig, den kostbar mit Perlmutter, Gold und Silber ausgelegten Revolver. Simon, der in seinem Schrecken auf den Boden niedergefallen war, erhob sich langsam und machte den Versuch, sich unbemerkt davonzuschleichen – ein Vorhaben, das ihm, da niemand ein Interesse daran hatte, ihn zu halten, auch leicht gelang.

Mr. Hampton, dessen Zorn sich inzwischen gelegt hatte, ging davon, indem er sich schwer auf den Arm seines Sohnes stützte.

»Walther, du bist ein Unglückskind,« sagte er, als sie das äußere Vestibule erreicht hatten. »Wärest du nicht gekommen, ich hätte die Falle umgangen, die sie mir gestellt hatten, und wäre nicht darin stecken geblieben«



 << zurück weiter >>