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Der 1. September war vergangen, ohne daß Cunningham und Genossen die »Maid of Athens« in Besitz genommen oder die Kaufsumme erlegt hatten. Man flüsterte sich an der Börse zu, die Gesellschaft habe um eine Stundung von vierzehn Tagen gebeten, während unter den derzeitigen Inhabern der Anteilscheine der Wunsch immer lebhafter wurde, sich ihres Besitzes baldmöglichst zu entledigen, Wellingfords zweite Reise nach Silvertown war nicht unbemerkt geblieben; man hatte dieselbe mit Palfreys Bereitwilligkeit, seinen Minenanteil zu verkaufen, in Verbindung gebracht, und obgleich die »Maid of Athens« fortfuhr, sehr hübsche Dividenden zu zahlen, verbreiteten sich dennoch fortgesetzt Gerüchte, welche ihren Ruf schädigten. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, wenn Cunningham und sein Syndikat, anstatt an die Herbeischaffung der Kaufsumme zu denken, vielmehr darüber nachgrübelten, wie sie die als Reugeld hinterlegten hunderttausend Dollar zurückbekommen könnten. Die klugen Leute verwünschten ihre Thorheit, eine wirklich im Gange befindliche Mine zu kaufen, welche einen Ruf zu verlieren hatte, anstatt einer nur erst in der Phantasie bestehenden, der sich, wenn man das nötige Geld daran wendete, so leicht ein ebenfalls nur in der Luft schwebender Ruf hätte machen lassen. In diesem kritischen Moment kam ihnen in ganz unerwarteter Weise Simon Löwenthal zu Hilfe.
Simon hatte sich, wie es schien, mit einem Teile seines Barvermögens bei einer Baugesellschaft beteiligt, die Miethäuser in der Stadtgegend errichtete, in welcher Harry Wellingford wohnte. Der Jude besuchte diese Bauten ziemlich oft und bei dieser Gelegenheit erblickte er eines Tages Wellingford, der, von Rachel begleitet, vor seiner Behausung vorfuhr. Der Anblick des sich auf Wellingfords Arm stützenden, ruhig aussteigenden Mädchens berührte ihn wie ein Donnerschlag. Wie gelähmt ließ er die beiden ins Haus treten; kaum aber hatte er sich von dem ersten starren Schrecken erholt, als er, ohne an den Aufzug zu denken, der ihn ohne Mühe in die oberen Regionen des Hauses befördert hätte, die Treppen hinaufstürmte und atemlos, in schäumender Wut in die Wohnung des vermeintlichen Entführers eindrang. Er verlangte seine Schwester zu sehen und hatte eine lange Unterredung mit ihr, in welcher er die ganze Schale seines Zornes über sie ausgoß. Er weinte, citierte Stellen des Alten Testaments, gestikulierte mit Heftigkeit, und Rachel, obwohl sein Schmerz ihr zu Herzen ging, fand kein Wort des Trostes für ihn. Ihr Verhältnis zu ihm war ein völlig andres geworden und konnte nie wieder das frühere werden. Trotz aller Vorwürfe, die sie sich selbst machte, empfand sie in Simons Gegenwart nicht mehr die frühere Demut und seine Worte verletzten sie wohl, vermochten aber nicht, sie zu zerschmettern. Sie hatte in dem Verkehr mit der Familie Wellingford gelernt, an sich selbst zu glauben, und weigerte sich dem Gebote des Bruders zu folgen, der ihr befahl, in sein Haus zurückzukehren. Vergeblich rief Simon sogar Wellingford, den er noch eben gröblich beleidigt hatte, zu Hilfe – Rachel blieb bei ihrer Weigerung.
»Das sollen ße mer beßahlen teuer, Sie und Ihr schuftiger Schwager!« schrie Simon mit drohendem Auflachen. »Weil ich bin en Jud, glauben ße, ich könnte Ihnen nichts anhaben; aber ße sollen kennen lernen Simon Löwenthal! Ihren Herrn Schwiegervater, den alten Halunken, habe ich hier in meiner Tasche« dabei schlug der Jude auf seine Brusttasche) »und wenn ße jetzt auch lachen, so werden ße 's bald genug erleben: Wer ßuletzt lacht, lacht am besten. Ich sage Ihnen, ße werden's erleben! Ich will ihn runterholen, mit 'nem einzigen Rucke aus der Luft, wie 'nen Drachen von Papier, oder mein Name is nich Simon Löwenthal.«
Wellingford machte hier, indem er die Thür öffnete, dem vor Wut schäumenden Manne bemerklich, daß man ihn, wenn er sich nicht augenblicklich entferne, in sehr beschleunigter Weise die Treppe hinab befördern werde, und Simon ging, während er, je größer die Entfernung wurde, mit um so lauterer Stimme fortfuhr, im Treppenhause hinauf zu schreien: »Die ›Maid of Athens‹ war 'ne recht saubre Sache für 'nen Millionär, um Haufen und Haufen Geld ßusammen ßu schlagen. Er hat mich gebraucht, um ßu betrügen die Leute und hat mer beßahlt fünf Percent vor den Betrug. 'n sehr geringer Preis für 'nen so guten Namen, wie Simon Löwenthal, nich wahr? Und sagen ße nur Ihrer schönen Frau Gemahlin, Mr. Wellingford, wenn ße etwa wollte besuchen ihren Herrn Vater morgen früh, so soll ße sich nur bemühen nach dem Gefängnisse, wo ße ihn sicherlich wird finden. Ha, ha, ha!«
Der Jude schien so überwältigt von dem Humor der Sache, daß er sich auf der untersten Treppe niedersetzte, krampfhaft in sich hineinlachte und abgebrochene Worte zwischen den Zähnen vor sich hinmurmelte. Plötzlich aber richtete er sich auf; eine Art ernster Würde breitete sich über seinem Wesen aus, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand belausche, zog er eine hebräische Bibel aus der Tasche und fing an, im achten Kapitel des Propheten Jeremias, vom achtzehnten Verse an zu lesen:
»Da will ich mich meiner Mühe und meines Herzeleids ergötzen.
Siehe die Tochter meines Volkes wird schreien vom fernen Lande her: Will denn der Herr nicht mehr Gott sein zu Zion? Oder soll sie keinen König mehr haben? Ja warum haben sie mich so erzürnt durch ihre Bilder und fremde, unnütze Gottesdienste?
Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen.
Mich jammert herzlich, daß mein Volk so verderbet ist, ich gräme mich und gehabe mich übel.
Ist denn keine Salbe in Gilead? Oder ist kein Arzt nicht da? Warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilet?«
Hier schlug Simon das Buch zu, indem er voll tiefen Schmerzes in seiner Muttersprache vor sich hinmurmelte: »Ist denn keine Salbe in Gilead? Ist denn keine Salbe in Gilead?« Dann streckte er die Faust drohend empor. »Ja, ja,« rief er, »es gibt eine Salbe in Gilead, so wahr als Gott der Herr geredet hat die Wahrheit!« Hastig öffnete er noch einmal das Buch und begann zu wieder zu lesen:
»Du bist mein Hammer und meine Kriegswaffe, durch dich habe ich die Heiden zerschmissen und die Königreiche zerstört.
Ich will deine Rosse und Reiter zerscheitern, ich will deine Wagen und Fuhrmänner zerschmeißen.
Ich will deine Männer und Weiber zerschmeißen; ich will deine Alten und Jungen zerschmeißen; ich will deine Jünglinge zerschmeißen; ich will den Heiden vergelten alle ihre Bosheit, die sie an Zion begangen haben, vor euren Augen, spricht der Herr!«
Nachdem Simon bis dahin gelesen, stand er auf. Sein ganzes Wesen trug den Ausdruck einer wilden Energie.
»Ich will den Heiden vergelten alle ihre Bosheit, die sie an Zion begangen haben, vor euern Augen, spricht der Herr!« Simon Löwenthal hatte die göttliche Zustimmung zu dem gefunden, was er zu thun entschlossen war.
Etwa vier Stunden später empfing Mr. Palfrey, welcher mit seiner Nachmittagscigarre in seinem kostbar ausgestatteten Bücherzimmer saß, folgenden Brief:
»Geehrter Herr! Nicht Löwenthal & Co. waren Teilhaber an der ›Maid of Athens‹, sondern Hampton & Sohn, und diese waren es auch, welche Sie so sträflich betrogen haben. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich das nicht so hingehen lassen. Ich bin im Besitz von Schriftstücken, welche den Beweis für meine Angaben liefern, und werde Ihnen dieselben vorlegen, wenn Sie wünschen. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Die Gesellschaft, welche gegenwärtig beabsichtigt, die Gruben zu kaufen, war gewillt, zwei Millionen Dollar dafür zu zahlen, aber Hampton traf für einen bonus von zweihundertfünfzigtausend Dollar mit Mr. Cunningham das Abkommen, ihm das Bergwerk für eine Million und fünfmalhunderttausend Dollar zu verschaffen.
Ich kann Ihnen auch dafür Beweise an die Hand geben, wenn Sie mich in meinem Geschäftslokale besuchen, oder mir gestatten wollen, zu Ihnen zu kommen.
Ihr gehorsamster Diener
Simon Löwenthal.
New York, 5. September 187–«.
An demselben Tage empfing Mr. Cunningham einen Brief, welcher ihn auf die radierte Stelle in dem Kontrakte aufmerksam machte, von welchem ihm Löwenthal, als Mr. Hamptons Agent, vor einigen Wochen die Abschrift zugeschickt hatte. Sollte, so fuhr der Schreiber des Briefes fort, Mr. Cunningham etwa den Wunsch hegen, den Handel rückgängig zu machen, so wäre es ein Leichtes, Hampton als Fälscher belangen zu lassen. Er, Simon, war bei der Unterschrift gegenwärtig gewesen, und erklärte sich gern bereit, zu beschwören, daß die Zahl der Anteilscheine verändert worden sei und daß man aus der Ziffer 1250 die Zahl 1175 gemacht habe. Die kleine Bestechungssumme, welche er selbst in Empfang genommen, erwähnte der Jude nicht, denn gegen ihn lag, außer der Quittung auf der Rückseite des Wechsels, den er für seine Dienste erhalten, keinerlei Beweis vor, und außerdem wußte er nur zu gut, daß er Mr. Cunningham ebensogut in der Hand gehabt hätte, wie dieser ihn. Er konnte seinen Rachedurst demnach ohne zu große Gefahr, ohne eignen Schaden befriedigen und hatte, indem er es that, das Gefühl eines würdigen Gliedes des auserwählten Volkes, welchem der Herr befohlen, die Heiden zu schädigen und zu verderben – er kam sich vor, wie ein Werkzeug der Gerechtigkeit in der Hand Jehovahs.
Mr. Cunningham, welcher die Begeisterung Simons für diese Mission nicht teilte, dagegen außerordentlich begierig war, zu erfahren, welche Gründe den Mann zu seinem unerhörten Verrat bestimmten, telegraphierte sogleich an die sechs Genossen, mit denen er sich zum Ankauf der »Maid of Athens« zusammengethan, um sie zu einer mitternächtlichen Beratung einzuberufen. Man gelangte dabei zu dem Beschlusse, daß in diesem Falle jede freundschaftliche Rücksicht fallen müsse, und daß man, sobald man sich des Vorteils über Hampton einmal versichert, nötigenfalls den äußersten Gebrauch davon machen wolle. Ließ es sich nicht anders thun, so mußte man selbst dazu schreiten, ihn der Fälschung anzuklagen. Dennoch hatten die Anwesenden kein Interesse daran, den Mann zu Grunde zu richten, und wenn sich die Möglichkeit zeigte, auf gütlichem Wege einen Ausgleich zu stande zu bringen, so waren sie bereit, diesen Weg einzuschlagen. Jedenfalls sollten am nächsten Tage die Direktoren des Bergwerkes und die Käufer desselben zu einer Beratung zusammenberufen werden, und dabei mußte sich Hamptons Schicksal entscheiden.
»Nur eins bedinge ich mir aus,« sagte ein behäbiger, sehr glatt gekämmter und rasierter Kapitalist, der für die äußersten Maßregeln gestimmt hatte, »nur eins bedinge ich mir aus, das Reugeld muß ihnen wieder aus den Zähnen gerissen werden, denn in Geldsachen hört eben die Freundschaft auf.«
Die übrigen Mitglieder des Syndikats spendeten diesem Grundsätze die lebhafteste Anerkennung, worauf sie auseinandergingen.