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Siebentes Kapitel.
Wellingfords Totem.

»Ich darf mich wohl kaum der Hoffnung hingeben, daß Sie noch einen Tanz für mich übrig haben,« sagte Wellingford, als die überflüssige Ceremonie der Vorstellung beendigt war.

»Ich weiß es wirklich nicht, Mr. Wellingford,« gab Alma mit einem sorglosen kleinen Emporwerfen des Kopfes zur Antwort; »aber ich fürchte fast, Sie kommen zu spät.« Einzugestehen, daß sie eben im Garderobezimmer ihres Bruders Namen neben drei Tänzen eingeschrieben hatte, welche einzufordern dieser nicht die leiseste Absicht hatte, würde natürlich mit ihrer Würde vollständig unverträglich gewesen sein.

Harold stand ratlos vor der goldgeränderten Karte, welche mit Anfangsbuchstaben in allen möglichen schrägen, geraden und rückwärts liegenden Handschriften bedeckt war, und Alma, welche mit Befriedigung sein enttäuschtes Gesicht beobachtete, nahm sich vor, ihn nach Verdienst für seine verspätete Annäherung zu bestrafen. Er hatte ihr dadurch beinahe den Abend verdorben, und das sollte ihm so leicht nicht verziehen werden.

»Soviel ich sehen kann, ist hier kein Platz mehr für mich leer, und ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß sich einer der zu den Walzern Eingeschriebenen unwohl melden oder großmütig genug sein sollte, zu meinen gunsten zurückzutreten,« sagte Wellingford betrübt.

»Das wäre zu versuchen. Mein Bruder Walther zieht das Billard gewöhnlich der Gesellschaft seiner Schwester vor, und da er sich gegenwärtig gerade nach dem Billardzimmer begeben hat, will ich es auf seine Ungnade hin wagen. Allerdings ist's auch möglich, daß er sein Engagement mit mir ganz und gar vergißt – was er nämlich immer thut, wenn es ihm so paßt.«

»Ich bezweifle, daß Kastor und Pollux eine Ahnung davon hatten, daß ihre Schwester Helena etwas Besondres wäre, bis sich die Griechen und Trojaner um sie schlugen,« entgegnete Wellingford.

»Woraus die Schlußfolgerung hervorgeht, daß auch Walther nicht eher zum Bewußtsein meines Wertes kommen wird, bis um meinetwillen zwischen seinen Freunden ein Krieg entbrennt.«

»Oder irgend ein unwürdiger Paris Sie nach seinem Königreiche entführt.«

»Dann fürchte ich, wird meinem teuren Bruder nie der richtige Begriff aufgehen, welchen Schatz er an mir besitzt.«

»Inzwischen gestatten Sie mir wohl, ihm zur rechten Einsicht behilflich zu sein, indem ich ihn dieses Walzers beraube, auf welchen er bereits jedes Anrecht verwirkt hat.«

»Ich bedaure nur, daß er nicht hier ist, um das mit anzusehen. Ihre Aufopferung wäre dann doch keine ganz vergebliche.«

»Ihre Dankbarkeit ist mir eine genügende Belohnung und außerdem würde Mr. Hampton, wie ich fürchte, vielleicht der Uneigennützigkeit meiner Beweggründe nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, denn es ist ja eine bekannte Thatsache, daß es schönen Frauen nie an Bewunderern fehlt, und nur die Brüder eine Ausnahme machen –«

»Sowie die Nebenbuhlerinnen der Saison.«

Die Musik, welche bisher nur in unbestimmten, köstlich-wirren Tönen herübergedrungen war, ging jetzt in einen klaren, fortreißenden Walzertakt über, und Alma, deren Blut bereits in demselben Tempo zu hüpfen schien, ließ sich von Wellingford genau so eng umschlingen, als die diesjährige Mode es vorschrieb. Nach Ablauf von zwei Minuten wußte sie, daß er ein vorzüglicher Tänzer war, und nach weiteren acht Minuten hatte sie die Ueberzeugung gewonnen, daß sie ohne Unterbrechung und ohne Müdigkeit bis an ihr Lebensende so fortwalzen könnte. Als der letzte Ton der Klarinette verhallt war, schien es ihr, als kenne sie ihn jetzt weit besser, und als sie dann miteinander durch die großen Gesellschaftsräume, durch die Bildersäle und die Gewächshäuser schritten, wo die tropischen Farne so köstliche lauschige Plätzchen bildeten, klang die Stimme des jungen Mädchens viel wärmer und vertrauter, als vorher.

Wellingfords Ernst bedrückte Alma nicht mehr. Sie hatte jetzt das Verständnis dafür gefunden und er erschien ihr nicht länger als »Schulmeisterei« – im Gegenteil war sie sehr geneigt, ihn als eine schöne, seltene männliche Eigenschaft zu schätzen und gelten zu lassen, denn sie hatte bald die Wahrnehmung gemacht, daß es Wellingford keineswegs an Humor fehlte. Ein impertinentes Zweiglein, das einem dornigen Pflanzenungeheuer angehörte, nestelte sich in ihre Locken, und während Harold mit Entzücken (das er natürlich nicht im mindesten verriet) bemüht war, sie davon zu befreien, bemerkte er den wundervoll feinen Schnitt ihrer Ohren und entdeckte außerdem einen so berückend schönen Nacken, daß er ihn mit Wonne geküßt haben würde, wenn er das Recht dazu gehabt hätte. Ein leichter Jasminduft, welcher ihrem Haar entströmte, trug dazu bei, die berauschende Wirkung des köstlichen Ganzen noch zu erhöhen, und die Schönheit des herrlichen Halses wurde durch seine gänzliche Nacktheit, das heißt durch den Mangel jeglichen Schmuckes, nur noch gesteigert.

Alma, welche ihren Gefährten ganz unvermerkt einer Art von Kreuzverhör unterwarf, erfuhr eine Menge wertvoller Einzelheiten über seine persönlichen Verhältnisse und belohnte seine Offenheit, indem sie ihm kleine humoristische Züge und Vorkommnisse aus ihrem eignen Leben erzählte. Sie war in so wagehalsiger Stimmung, daß sie ihm, unter Witz und Scherz, sogar ihr romanhaftes Verhältnis zu jenem Alfonso mitteilte, der sich dann als ehemaliger Sträfling entpuppt hatte, und fühlte sich sehr erleichtert, als sich fand, daß Wellingford imstande war, das gefährliche Abenteuer von der humoristischen Seite zu nehmen. Sicherlich würde es dem jungen Mädchen schwer gefallen sein, sich selbst über den Beweggrund zu diesen Mitteilungen Rechenschaft zu geben. Sie folgte dabei lediglich einem unbestimmten inneren Antriebe, einem instinktiven Gefühl, das ihr sagte, es sei besser, wenn er gleich jetzt das Schlimmste erführe, damit nach ihrer Verheiratung nichts Heimliches mehr zwischen ihnen wäre – denn diese Verheiratung schwebte ihr bereits als etwas sehr Wahrscheinliches vor, und sie würde seinen Antrag möglicherweise – natürlich nach dem schicklichen Zögern – schon heute abend angenommen haben, wenn Wellingford ihn gemacht hätte.

Solche Folgerungen sind freilich nie ganz sicher, denn wir erinnern uns an eine Menge von Fällen, in welchen junge Damen aus ihnen selbst unbekannten Gründen am Abende einen Bewerber abwiesen, den sie am andern Morgen genommen hätten, oder im Gegenteil, daß sie den Antrag eines Mannes annahmen, den sie eigentlich abweisen wollten. Alma hatte sich indessen während des kurzen Spazierganges durch die Gewächshäuser klar gemacht, daß Wellingford der einzige Mann ihrer Bekanntschaft war, dessen Charakter und Erscheinung ihr ganz zusagten, und anscheinend in Bewunderung versunken stehen bleibend, um einen riesenhaften, flammenzüngigen Kaktus zu betrachten, faßte sie den Entschluß, die Entwickelung der Sache auf feine Weise zu beschleunigen. Sie fühlte sich den Umständen so überlegen, wie sich ihnen jede schöne Frau überlegen fühlt. Das Leben lag wie ein Siegeszug vor ihr und sie hätte sich nicht vorstellen können, daß irgend etwas im stande sein sollte, ihren Willen auf die Dauer zu durchkreuzen. Um so schwerer wurde es ihr, ihren Unwillen zu bemeistern und zu verbergen, als sie in diesem wichtigen Augenblicke einen ihrer Anbeter – einen Mr. Timpson, der seine neue Jacht »Alma« getauft hatte – herbeikommen sah. Ein knabenhaftes Entzücken leuchtete, als der junge Mann ihrer ansichtig wurde, in seinen Augen auf, und Alma war nahe daran, ihre Anziehungskraft zu verwünschen

»Wie soll ich das verstehen?« rief Timpson. »Hatten Sie sich absichtlich vor mir versteckt, oder hat mich Harry Wellingford etwa durch Hexerei ganz und gar aus Ihrer Erinnerung verwischt?«

»So ist's, Dan,« entgegnete Harold lachend. »Ich spielte die Kalypso – Miß Hampton sog den Zaubertrank meiner Stimme ein – tiefes Vergessen umfing sie, und selbst der wohlklingende Name Timpson entschwand ihrem Gedächtnisse.«

»Ich habe es ja immer gesagt, daß Wellingford ein gefährlicher Charakter ist,« sagte Timpson mit schalkhaftem Ernste. »Und Sie erinnern sich, Miß Hampton, daß ich gewissermaßen für ihn verantwortlich bin, denn ich war es, der ihn vorstellte, als er damals in Newport Ihr Boot in so piratenhafter Weise enterte.«

»Ich spreche Sie von aller Verantwortlichkeit in dieser Sache los, Mr. Timpson,« gab Alma zur Antwort, indem sie seitwärts an ihrer Schleppe hinabsah. »Sie wissen, ich verkehre gern mit gefährlichen Menschen. Das einzige, was ich an einem Manne nicht aushalten kann, obgleich ich es bei Frauen verzeihe, ist harmlose Mittelmäßigkeit.«

Dabei nahm sie Timpsons Arm, um mit ihm in den Tanzsaal zurückzukehren. Aber auf halbem Wege drehte sie sich um.

»Mr. Wellingford, Sie haben mir meine Tanzkarte nicht wiedergegeben,« sagte sie.

»Verzeihen Sie nur noch einen Augenblick, ich möchte nur meine Chiffre an die Stelle des Namens Ihres Bruders schreiben, denn ich ertrage eine Vernachlässigung nicht so leicht und ergebungsvoll wie Timpson.«

Damit kritzelte er etwas auf die Karte und händigte sie dann Alma ein.

»Ist das Ihr Name, Mr. Wellingford?« fragte Alma mit plötzlichem Erröten und einem drohenden Aufblitzen ihrer schwarzen Augen.

»Es ist mein symbolisches Zeichen – mein Totem, wie es die Indianer nennen.«

Timpson warf einen neugierigen Blick auf die Karte, welche eben hinter dem Fächer verschwand, und sah, daß Wellingford ein von einem Pfeil durchbohrtes Herz darauf gezeichnet hatte.

* * *

 

Gegen zwei Uhr morgens hatte Wellingford das Glück, Alma nach ihrem Wagen zu geleiten, Walther, welcher einen Moment zurückgeblieben war, um sich eine Cigarre anzuzünden, hielt Harold, als er an ihm vorüberging, zwei Finger hin, hüllte sich dann in seinen langen englischen Ueberzieher und nahm an der Seite seiner Schwester Platz.

»Wirst du dich auch gewiß nicht erkälten, lieber Walther?« sagte Alma, sich mit spöttischer Aengstlichkeit zu ihm beugend. »Willst du nicht lieber noch einen von meinen Shawls umnehmen?«

»Nein, danke, liebes Kind,« gab er, ohne die Ironie zu bemerken, zur Antwort. »Ich fühle mich sehr behaglich.«

»Ich auch. Ich habe es so besonders gern, wenn in einem geschlossenen Wagen geraucht wird.«

»Freut mich, zu hören (paff), daß dein Geschmack mit dem meinigen (paff) so ganz übereinstimmt.«

 

Harold kam in einer Art von Verzückung nach Hause. Die Musik lag ihm noch in den Ohren, die Tanzbewegung dröhnte noch durch seine Nerven und er empfand das instinktive Verlangen, irgend etwas Erstaunliches, Ungeheuerliches zu thun. Aber in einer Dachstube ist um drei Uhr morgens die Gelegenheit zu solchen Dingen unglaublich beschränkt, und so zündete er, da er nichts Bessres vorzunehmen wußte, seine lange deutsche Pfeife an und füllte den Raum mit dicken Rauchwolken. Dabei schritt er unruhig im Zimmer auf und ab, griff in der Zerstreuung bald nach einem geschnitzten Papiermesser, bald nach einem bronzenen Leuchter oder nach irgend einem andern Gegenstande, der ihm gerade zur Hand lag, starrte diese Dinge an, als hätte er sie nie zuvor gesehen, und legte sie wieder weg, als begreife er nicht, wozu sie eigentlich bestimmt seien und welchen Zwecken sie dienten. Er vermochte weder zu Bett zu gehen noch still zu sitzen, und obwohl er im Grunde nicht das geringste Positive zu sagen gewußt hätte, empfand er das brennende Verlangen, sich jemand anzuvertrauen. Wäre sein Vater in erreichbarer Nähe gewesen, er würde ihn selbst zu dieser ungewöhnlichen Stunde aufgesucht haben. Aber da dies nicht anging und der Telegraph sich nicht für zärtliche Geständnisse eignet, so wählte Harold die einzige mögliche Form der Mitteilung, das heißt er setzte sich nieder und schrieb einen Brief an seinen Vater.

Hier dürfte denn die Zeit gekommen sein, einige Mitteilungen über diesen Vater im besondern und die Familie Wellingford im allgemeinen einzuflechten.

Ein Wellingford zu sein, war an und für sich eine Auszeichnung, welche kein Glied der Familie so leicht außer acht ließ. Die Wellingfords, alle blond und blauäugig, waren ohne Ausnahme studierte und gelehrte Leute, Richter oder Geistliche, gewesen, und würden, wenn sie in ihren dunkeln Talaren, vom sechzehnten Jahrhundert bis auf unsre Tage, in einer Reihe aufgezogen wären, eine sehr stattliche Prozession gebildet haben. Der erste Bruch mit diesen Ueberlieferungen der streng puritanischen Familie fand unsres Wissens zu Anfang dieses Jahrhunderts statt und wurde durch den Richter Jeremias Wellingford herbeigeführt, welcher, wie man sich zuflüsterte, ketzerische Bücher las, in Bezug auf die Dreieinigkeit gottlose Zweifel hegte und seinen ältesten Sohn, anstatt Gideon – die sein eigner Vater und ein halbes Dutzend von seinen Vorfahren geheißen hatte – Hugh Wellingford taufen ließ. Die unverheirateten Tanten, welche in gewissen Abständen wie unfruchtbare Zweige am Stammbaume der Familie Wellingford erschienen, kreuzten und segneten sich ob solchen lästerlichen Beginnens und würden ohne allen Zweifel Jeremias verstoßen und verleugnet haben, wenn er nicht das Haupt der Familie und als solches Gegenstand hoher Verehrung gewesen wäre – aber sie beruhigten sich doch erst dann einigermaßen, als es ihnen gelungen war, in den Familienarchiven ein früheres Beispiel ähnlicher Art aufzustöbern, wodurch der Fall des abtrünnigen Jeremias an Schrecklichkeit etwas verlor.

Möglicherweise übte der Umstand, daß Hugh Wellingford gewissermaßen als die Verkörperung dieses Bruches mit geheiligten Familienüberlieferungen gelten konnte, einen bestimmenden Einfluß auf seine Entwickelung aus. Wenigstens gab er, als er heranwuchs, seinen Tanten vielfache Gelegenheit, in der Familiengeschichte nach entschuldigenden Erklärungen für allerlei Seitensprünge und Ausschreitungen zu suchen, und wäre er nicht gar so hübsch und liebenswürdig, nicht so ganz und gar gemacht gewesen, sich von unverheirateten Tanten verziehen und verhätscheln zu lassen, sie würden ihn aufgegeben und in sein Verderben haben laufen lassen. Wie die Dinge lagen, begnügten sie sich damit, die Rolle des Chores in den griechischen Tragödien zu spielen, indem sie von Zeit zu Zeit ihr: »Wehe, wehe!« riefen und sich in allgemeinen Betrachtungen über den Helden und seine Thaten ergingen.

Von nicht-puritanischem Standpunkte betrachtet, waren Hughs Missethaten vielleicht gar nicht so himmelschreiend, wie sie seinen weiblichen Verwandten erschienen. Von Natur Feinschmecker und Lebemann, fand er keinen Gefallen am Fasten und an Kasteiungen. Er war ein gewiegter Kenner von Wein, Cigarren und schöngeistiger Litteratur, aber Kürbispastete, Bostoner Grobbrot und andre gute Dinge, für welche jeder Bürger Neuenglands sich schicklicherweise zu begeistern hat, sagten seinem Geschmacke nur wenig zu. Dagegen fanden starkriechender ausländischer Käse, Kaviar, Gänseleberpasteten und ähnliche aus der Fremde stammende Delikatessen seinen Beifall. Trotz alledem hatte er – zur äußersten Verwunderung aller seiner Verwandten, die so etwas nicht für möglich gehalten, seine Examina an der Universität mit Auszeichnung bestanden. Dann hatte er zwei Jahre in Europa verbracht und sogar den Orient bereist, allerdings, wie manche behaupten wollten, nur zu dem Zwecke, um zu erproben, wo es im Auslande die feinsten Weine, die besten Cigarren, sowie die auserlesenste Küche gäbe, und unbestritten hatte er in dieser Beziehung auf seiner Reise die umfassendsten Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt.

Nach seiner Heimkehr hatte Hugh Wellingford die Stellung eines Professors der Geologie an der Universität angenommen, die seine alma mater gewesen, und nachdem er im Laufe der Zeit dreißig Jahre alt geworden, war auch für ihn, wie für die Mehrzahl der Männer, der Augenblick gekommen, ernstlich an seine Verheiratung zu denken. Er fing nach und nach an, die Ehe als eine Art moralischer Verpflichtung zu betrachten, und kaum war diese Stimmung bekannt geworden, als alle Tanten und verheirateten Freundinnen, die sämtlich überzeugt waren, daß er einen vorzüglichen Ehemann abgeben würde, sich bemühten, ihm die glänzendsten Partien vorzuschlagen. Mochte es nun aber sein, daß diese eifrigen Freundinnen weniger darauf achteten, ob in den vorgeschlagenen jungen Damen auch die besten Ehefrauen verpuppt lagen, oder war Hugh nur zu bequem, sich der Wahl und der notwendig damit verbundenen Werbung zu unterziehen, genug, er hatte wohl ein liebenswürdiges Lächeln für die Mühe, die man sich um seinetwillen gab, rührte aber weder Hand noch Fuß, um die Angelegenheit in Gang zu bringen, und sie schritt um kein Haar breit vorwärts.

Dieser Zustand schloß indessen eine Gefahr in sich, der sich jeder Mann aussetzt, welcher wohl die Vorteile eines eignen Hausstandes und die Segnungen des Familienlebens genießen möchte, sich aber zu den erforderlichen einleitenden Schritten nicht aufzuschwingen vermag – die Gefahr, von dem ersten besten weiblichen Wesen überrumpelt und geheiratet zu werden, das entweder geneigt ist, ihn aller Präliminarien zu entbinden, oder Entschlossenheit genug besitzt, um selbst angriffsweise vorzugehen. Als Professor Wellingford eines Tages – von einer Ferienreise aus Europa zurückkehrend – eine stattliche Blondine von achtundzwanzig Jahren mitbrachte, welche das Recht hatte, sich Mrs. Wellingford zu nennen, verbreiteten sich boshafte Gerüchte, welche auf einen derartigen Vorgang hindeuteten. Die Klatschmäuler der Stadt erzählten sich, Hugh Wellingford sei in Holland oder Deutschland bei einem Spaziergange von einem wütenden Bullen angegriffen worden, Miß Brennan habe ihn gerettet, und er habe sie aus Dankbarkeit geheiratet. Nach einer andern Lesart hatten die beiden sich bei einer Bergbesteigung in den Alpen gefunden. Sie hatte das hilflose Kind gespielt, hatte großes Interesse an Versteinerungen u. s. w. an den Tag gelegt, und ihn damit gewonnen.

Aber wie dem auch sein mochte, ob er seine Ehefrau gewählt hatte, oder von ihr gewählt worden war, Professor Wellingford gab keine Veranlassung zu der Vermutung, daß er sein Schicksal beklagenswert finde. Mrs. Wellingford war, dem allgemeinen Urteile nach, zwar keine Frau, mit der sich leicht und bequem leben ließ, denn in der unbestechlichen Ehrlichkeit gegen sich und andre, die ihre stärkste Seite war, fühlte sie sich berufen, den Leuten die unangenehmsten Dinge zu sagen, aber der Professor war von so unverwüstlicher Liebenswürdigkeit, daß er des Teufels Großmutter hätte heiraten können – es würde ihr nicht gelungen sein, sich mit ihm zu zanken. Außerdem schätzte Professor Wellingford seine Frau trotz ihrer unliebenswürdigen Eigenschaften sehr hoch, und nachdem sie ihm drei Kinder geboren hatte, wovon das älteste ein Knabe war, fing er an, jene aufrichtige Ergebenheit für sie zu empfinden, welche bei Männern von mittlerem Lebensalter an die Stelle der Liebe zu treten pflegt und den besten Ersatz für dieselbe bietet.

Nur die Verschiedenheit der Meinung in Religionssachen und über die Erziehung der Kinder störte zuweilen den häuslichen Frieden. Mrs. Wellingford war eine strenggläubige Presbyterianerin, während es der Professor mit der Religion ebenso leicht nahm, wie mit allen andern Dingen, und sich auch in Glaubenssachen die kritische Prüfung vorbehielt. In Bezug auf die Kindererziehung gingen die beiden Eheleute in derselben Weise auseinander. Der Vater, welcher jede Art von Gewalt haßte, wünschte seine Sprößlinge allein durch Güte zu leiten, während die Mutter in ihrem festen Glauben an das Alte Testament die Rute für das geeignetste Instrument hielt, um ihnen die elterliche Liebe zu beweisen. Das Resultat dieses Zwiespalts war, daß die Kinder bei dem Vater Schutz gegen die Härte der Mutter suchten und bei dem weichherzigen Manne, der die Folgen nicht immer ins Auge faßte, auch fanden.

Allerdings wurde Hugh Wellingford, wie seine Freunde bemerkten, in dieser Ehe schweigsamer und sein Lachen verlor etwas von der alten Frische, aber die Familie bot ihm doch immerhin Glück genug, um ihm das Leben lebenswert erscheinen zu lassen. Besonders hatte er Freude an seinen Kindern, welche auch in andern als den elterlichen Augen als bevorzugte Geschöpfe erscheinen mußten. Der Knabe, Harold, brachte in der Mathematik und den Naturwissenschaften die glänzendsten Schulzeugnisse nach Hause, und die beiden Mädchen, Adelaide und Mabel, entwickelten sich zu so kräftigen, eigenartigen Naturen, daß ihnen diese Vorzüge vielleicht schwer verziehen worden wären, wenn die gütige Mutter Natur ihnen nicht einen ebenso reichlichen Teil von Schönheit mitgegeben hätte. Mrs. Wellingford, welche mit den Jahren immer despotischer wurde, bedurfte oft der ganzen Kraft ihrer Stimme und ihrer Lunge, um die Töchter »niederzukriegen«, wie sie es nannte. Die sprudelnde, schäumende Lebensluft widersetzte sich energisch der Zwangsjacke des Gehorsams, und wenn die beiden Mädchen auch Tage hatten, an welchen sie ernsthaft waren, und wunderbar viel lernten, so waren sie doch jeden Augenblick bereit, alles im Stiche zu lassen, wenn es galt, einen noch nicht dagewesenen Schelmenstreich auszuführen oder allerlei »unweibliche« Künste zu treiben.

Nachdem Harold seine Studien beendet, hatte ihn sein Vater nach Europa begleitet, wo sie den Sommer in der genußreichsten Weise verwendeten, indem sie Deutschland durchstreiften und in den Tiroler Alpen geologische Studien machten. Dann kehrte der Professor nach Amerika zurück, während der Sohn die Bergakademie zu Freiberg bezog und später die Universitäten in Leipzig und Berlin besuchte. Vierundzwanzig Jahre alt, kam auch er heim und zwar mit dem Diplom eines Doktors der Philosophie, und ließ sich als Bergwerksingenieur in New York nieder.

Zwischen Vater und Sohn bestand ein wirklich kameradschaftliches Verhältnis, das beide in gleicher Weise befriedigte. Der Professor hatte nicht den Ehrgeiz, in den Augen seines Sohnes als ein überlegenes Wesen dastehen zu wollen, sondern zog es vor, auf dem Fuße einer Gleichheit und Gleichberechtigung mit ihm zu verkehren, die auf Nehmen und Geben von beiden Seiten beruht. So war denn auch nichts natürlicher, als daß Harold in der Nacht nach dem Balle an seinen Vater jenen Brief schrieb, welcher diesen veranlaßte, Verse von Heinrich Heine zu citieren, was er seit nahezu fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gethan hatte. Einige Tage später fühlte sich der Professor durch sein Pflichtgefühl gedrungen, die sonderbare Epistel seiner Frau vorzulegen. Diese bemerkte sogleich, daß darin der Name der jungen Dame nicht genannt sei, und solange sie diesen nicht kenne, meinte sie, sei sie außer stande, sich ein Urteil über die Echtheit der Leidenschaft ihres Sohnes zu bilden. »Wunderlich genug, daß ich den Mangel gar nicht bemerkt habe,« äußerte der Professor. »Aber an Schnelligkeit und Schärfe der Beobachtung sind uns die Frauen ja weit überlegen.«

Es ist wohl unnütz, zu erwähnen, daß Harold es vermieden hatte, die poetische Schilderung des Eindruckes, welchen Alma auf ihn gemacht, durch innere Flecken zu verunstalten, indem er des häßlichen Geschäftes erwähnte, welches er für sie geordnet hatte. Ein ähnliches Gefühl hielt ihn am nächsten Tage ab, selbst bei ihr vorzusprechen, wie er sich eigentlich vorgenommen gehabt. Statt dessen sandte er ihr die Schmucksachen und die kleine Summe Geldes, die ihr zukam, durch einen zuverlässigen Boten und legte dem Päckchen eine kurze, durchaus geschäftsmäßig gehaltene Berechnung bei, welche auch nicht die leiseste Beimischung eines Gefühlstones enthielt. Selbstverständlich erregte diese mathematische Kürze bei Alma den höchsten Unwillen; sie steckte das Billet, nachdem sie einen flüchtigen Blick darauf geworfen, zusammengeballt in die Tasche und las es nicht eher – bis ihr Mißvergnügen sich gelegt hatte.



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