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Achtzehntes Kapitel.
Goldne Jugend.

Walther Hampton hatte das höchste Ziel seines Ehrgeizes erreicht: es war ihm gelungen, sich zum anerkannten Führer der »goldnen Jugend« New Yorks emporzuschwingen. Er gab das Geld mit einer Unbesorgtheit und einem Leichtsinn aus, die allgemeine Bewunderung erregten, und seine Mittel schienen unbeschränkt. Er veranstaltete Bälle bei Delmonico, wobei im Cotillon jede Dame einen echten Schmuckgegenstand empfing, bewirtete in- und ausländische Berühmtheiten mit Diners, deren einzelne Gänge am andern Morgen in allen Zeitungen besprochen wurden, und versammelte, gleich einem Magnaten der alten Zeit, um seine Person einen Schweif von Schleppträgern und Schildknappen, welche es als eine Ehre betrachteten, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden und seine Befehle und Aufträge auszuführen. Walther war in seiner Weise ein ebenso angesehener Mann, wie der Präsident der Vereinigten Staaten, und die Zeitungen berichteten über sein Thun und Lassen mit derselben peinlichen Genauigkeit, wie über jeden Schritt des Staatsoberhauptes. Ueber die Dinge, welche während eines Ausfluges im vergangenen Herbste an Bord seiner Jacht vorgegangen sein sollten, waren die anstößigsten Gerüchte im Umlauf – aber obwohl man diese Gerüchte für wahr hielt, thaten sie seltsamerweise der gesellschaftlichen Stellung Walthers allem Anschein nach keinen Eintrag. Als sein Schwager ihm Vorstellungen darum machte, lächelte Walther schläfrig und entgegnete: »Ich werde im nächsten Jahre eines Schiffskaplans bedürfen – man hat mir gesagt, daß ein solcher durchaus zur vollständigen Ausrüstung eines Fahrzeugs gehört. Wollen Sie die Stelle annehmen, so will ich Ihnen mehr Gehalt zahlen, als Ihnen Ihre lumpige Zeitung in drei Jahren einbringt.«

Als Wellingford diese Antwort seiner Frau mitteilte, auf deren Veranlassung er eigentlich mit Walther gesprochen hatte, vermochte sie sich eines Lächelns nicht zu erwehren, und Harry ging mit einem Gefühl der Kränkung davon, denn es war ihm nicht entgangen, daß Alma auf seine Kosten gelacht hatte. Wie seltsam, daß Männer, deren Leben ein lasterhaftes und vollständig unnützes ist, gerade von denen, die sie in der Theorie um ihrer Unsittlichkeit willen verdammen, so mild beurteilt, ja bewundert werden!

In eine Gegend von New York war Walthers schlechter Ruf bis dahin nicht gedrungen, und zwar gerade in die nicht, wo diese Gerüchte den größten Eindruck hervorgebracht haben würden. Löwenthal hatte seine frühere Wohnung verlassen und sich – in der Empfindung, daß seine finanziellen Umstände es rätlich erscheinen ließen, wenigstens den Anschein der Anständigkeit anzunehmen– in einer der öden, hallenden Straßen jenseits des Parks, in einem einfachen, kahl und streng aussehenden Hause eingemietet. Wäre er ein Amerikaner mit demselben Einkommen und denselben Aussichten gewesen, er würde sich am Madisonplatze oder in der vornehmen fünften Avenue niedergelassen haben; aber Simon war von Natur kein sanguinischer Mann und außerdem wollte in letzter Zeit sein Soll und Haben beim Himmel nicht recht stimmen. Natürlich hatte er die ihm zukommenden Werke der Barmherzigkeit in keiner Weise verabsäumt, ja, er hatte Jehovah, seinem Gotte, durch die Vermittelung der Synagoge auf gelegentliche Abrechnung einige Vorauszahlungen gemacht; aber alles das beruhigte seine Seele nicht ganz, und so fanden Rachels Vorstellungen, in eine bessre Stadtgegend zu übersiedeln, bei ihm ein williges Ohr, ein um so willigeres Ohr, als dieses Sühnopfer – wie er sich überlegte – eigentlich mit seinen Wünschen übereinstimmte und seinem weltlichen Stolze schmeichelte. In der That war seine Lage eine so verwickelte, daß ein kühler, mathematischer Kopf dazu gehörte, den aus diesem Labyrinth wieder hinaus führenden Weg deutlich zu erkennen. Nur eins war ihr ganz klar, er durfte dem Herrn Zebaoth nicht länger zumuten, sich für die großen Summen, welche Simon in Bergwerksspekulationen gewonnen hatte, mit den bisherigen kleinen Almosen und Gaben von zehn Dollar abfinden zu lassen.

Von allen diesen Gedanken in Anspruch genommen, achtete Simon wenig auf die Veränderungen, welche allmählich mit Rachel vorgingen. Er bemerkte wohl, daß sie bei der Auswahl ihrer Kleider und Hüte sorgfältiger zu Werke ging als sonst, glaubte ein- oder zweimal wahrzunehmen, daß sich in ihrem Gesange eine größere Leidenschaftlichkeit ausspreche, und zog daraus den weisen Schluß, das sie durch irgend etwas einen inneren Anstoß empfangen haben müsse. Aber was kam darauf an? Junge Mädchen sind ja so leicht erregt! Simon hatte kein Verständnis für zartere Empfindungen und würde es unter seiner Würde gefunden haben, sich um Dinge zu kümmern, die etwa ein Weiberherz beschäftigten und beunruhigten.

Rachels Schönheit schien sich seit dem Sommer erst ganz entfaltet und voll entwickelt zu haben. Sie trug den Kopf aufrechter und trat mit größerer Sicherheit auf als früher. Die anspruchslose Strenge und Einfachheit ihrer Kleidung war einem graziöseren Schnitt, einer weicheren, schmiegsameren Eleganz gewichen, und an die Stelle der früheren heiteren Ruhe war eine fieberhafte Erregung getreten, welche mit Anfällen von Kleinmut wechselte. Das junge Mädchen schien immer jemand zu erwarten. Sie eilte ans Fenster, sobald sich der Hufschlag eines Pferdes oder das Rollen eines Wagens vernehmen ließ, und wenn sie, wie es zuweilen geschah, einen Reiter erblickte, dem in respektvoller Entfernung ein Diener mit grünen Maroquin-Aufschlägen an den Reitstiefeln folgte, dann schlug ihr Herz fast hörbar und das helle Blut schoß ihr in die Wangen.

In der That besuchte dieser Reiter, von dem man in New York mehr sprach, als von irgend einer andern Berühmtheit, die stille, öde Straße jenseits des Parkes ziemlich oft; aber er kam stets vormittags, wenn die Kinder in der Schule waren und Simon sich in seinem Büreau befand. Was er bei diesen Besuchen sprach, würde einem unparteiischen, unbefangenen Zuhörer kaum als besonders bemerkenswert oder in irgend welcher Weise bedeutend erschienen sein; dessenungeachtet gelang es Rachel, in den abgerissenen, schläfrigen Bemerkungen einen Schatz von Witz und tiefem Sinn zu entdecken. Jedenfalls machte das Verhältnis zwischen den beiden schnelle Fortschritte und erreichte, ehe noch viele Monate vergangen waren, jenes Stadium, in welchem die bloße kühle Höflichkeit nur noch als trügerisches Blendwerk erscheint und beide Teile es lächerlich fänden, wenn sie sich stellen wollten, als wüßten sie nicht, welche Gefühle sie füreinander hegen. In diesem Stadium pflegt nach und nach die steife Förmlichkeit zu verschwinden; man wagt hin und wieder, versuchsweise, eine vertraulichere Anrede, welcher natürlich die Bitte um Entschuldigung folgt – und zärtlichere Anspielungen, die sich immer weniger zurückdrängen lassen, finden ein nur zu williges Gehör. Alle schützenden Bollwerke, mit welchen die Gesellschaft das junge Mädchen umgibt, wurden in dieser Zeit fast unbemerkt eins nach dem andern niedergebrochen, bis Rachel einer Leidenschaft gegenüberstand, die so mächtig war, daß kaum eine Hoffnung blieb, sie durch die Vernunft zu besiegen. Die junge Jüdin, obgleich aller Weltklugheit und Vernünftelei fremd, war keineswegs eine schwache Natur, die sich durch Schmeicheleien und fortgesetzte Aufmerksamkeiten hatte bethören lassen. Aber in ihren Augen erschien Walther als ein wunderbarer Mensch, als der glänzende Bote aus einer höheren, bessern Welt, und sie liebte ihn mit einer Kraft und Innigkeit, die zu begreifen er schwerlich imstande war, ja von der er wohl kaum eine Ahnung hatte.

Er wußte wohl, daß Rachel ihm »gut war«, und gestand mit einer Art humoristischen Mitleids mit sich selbst, daß auch er »gehörig in sie verschossen« sei – aber es war ja eine alte Geschichte, daß die Frauen ihr Herz an ihn verloren, und die Erkenntnis, wieweit sich Rachels hingebende Liebe von der Dutzendneigung der übrigen unterschied, lag ihm sehr fern. Die Augen sollten ihm darüber bald geöffnet werden. Während er meinte, es mit einer unsrer gewöhnlichen modernen Salonpassionen zu thun zu haben, sollte er zu seiner Bestürzung erfahren, daß er mit dem Wirbelwind gespielt hatte und daß er, wie Goethes Zauberlehrling, die Geister, die er gerufen, nicht mehr zu bannen vermochte. Rachel war zu exaltiert, wie er es nannte, und deshalb, trotz ihrer berückenden Schönheit, zuweilen unbequem.

Walthers Aerger war deshalb vielleicht nicht so groß wie er es unter andern Umständen gewesen sein würde, als ihn eines Tages sein Schwager auf das Verhältnis zu Rachel anredete und ihm drohte, Löwenthal davon zu unterrichten, wenn er selbst nicht Vernunft annehmen und der Sache ein Ende machen sollte. Harry hatte, wie sich herausstellte, seine Kenntnis einem bloßen Zufalle zu verdanken, war aber seiner in Ueberzeugung nicht mehr irre zu machen. Er hat eines Morgens in der Nähe der Löwenthalschen Wohnung etwas zu thun gehabt und bei dieser Gelegenheit Walthers Reitknecht gesehen, der Potiphar am Zügel hielt, und er da die Pferde wie die Livree genau kannte, nutzte alles Ableugnen nichts. Walther beschloß also, die Angelegenheit so leicht als möglich zu behandeln, und versprach Harry, wenn ihn dies beruhigen könne, seine Besuche bei Miß Löwenthal einzustellen.

Natürlich teilte er den Vorgang Rachel in ganz andrer Fassung mit. Er sagte ihr, daß nur die Befürchtung, sein und ihr Glück zu zerstören, ihn bewegen könne, seine Besuche eine Zeitlang aufzugeben, und da sie völlig unfähig war, seine wahren Beweggründe zu durchschauen, so willigte sie, wenn auch widerstrebend, in die vorübergehende Trennung.



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