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Siebzehntes Kapitel.
Walther spielt den Sultan.

Das Verhältnis Almas zu ihrer Familie war, seitdem sie sich mit Wellingford verheiratet, ein nichts weniger als herzliches gewesen. Man hatte zwar die üblichen Anstandsbesuche ausgetauscht, und Mr. Hampton hatte der Tochter seine Pferde und Wagen zur Verfügung gestellt, so oft sie derselben bedürfe; aber Alma hatte nur ein- oder zweimal davon Gebrauch gemacht. Walther befand sich niemals recht wohl in der Gesellschaft seines Schwagers, denn Wellingford ließ sich nicht begönnern, und ebensowenig brachte die elegante äußere Erscheinung Walthers jemals den gewünschten Eindruck auf ihn hervor. So setzte es denn ebenso Harry wie Alma in Erstaunen, als der junge Mann, der eine eigne Jacht und ein eignes, elegantes Landhäuschen in Newport besaß, diesen einfachen Winkel Neuenglands anziehend genug fand, um alle Vorbereitungen zu einem längeren Aufenthalt zu treffen. Sie würden diese Laune gern der wieder erwachten Neigung für die Schwester zugeschrieben haben, und Harry, welcher steif und fest behauptete, seine Frau sei seit ihrer Verheiratung nur noch zehnmal schöner geworden, hätte sich auch ohne weiteres mit dieser schmeichelhaften Erklärung beruhigt, wenn Alma nicht doch etwas zweifelhaft geblieben wäre. Daß weder Harry noch Alma an Rachel dachten, welche Walther freilich nur ganz oberflächlich zu beachten schien, und vor welcher er sich bei der Vorstellung nur flüchtig und herablassend verbeugte, spricht allerdings nicht gerade für die Klugheit der beiden.

Walther starrte das junge Mädchen zuweilen durch sein Augenglas an, als ob sie ein Gegenstand von künstlerischem oder wissenschaftlichem Interesse sei, und beehrte die kleinen Löwenthals mitunter, wenn sie ihm, bezaubert von seiner Pracht und Herrlichkeit, schüchtern nahe kamen, mit einem halb scherzhaften Fußtritt und der Ermahnung sich »davon zu machen«; aber weder Alma noch Wellingford waren Menschenkenner genug, um auf die Vermutung zu kommen, daß dies vielleicht der sicherste Weg war, die Neigung eines jungen Mädchens zu gewinnen. Im Gegenteil waren sie drauf und dran, Walther wegen dieser Behandlung Rachels und der kleinen Löwenthals Vorstellungen zu machen, gaben diese Absicht aber auf, als Walther, auf Almas Vorschlag hin, einwilligte, Rachel zu ihren täglichen Spazierfahrten einzuladen. Allerdings fuhr er fort, die Knaben zu behandeln, als seien sie unreine Tiere. Er wischte stets seine Rockärmel oder sein Beinkleid ab, wenn sie ihn zufällig berührt hatten, aber er machte doch, um seiner Schwester willen, sichtliche Anstrengungen, gegen Miß Löwenthal höflich zu sein, und man konnte nicht von ihm verlangen, daß er seine ganze hochmütige Art so schnell änderte. Indessen zeigte sich bereits nach Verlauf von kaum einer Woche, daß in diesem Falle die Selbstüberwindung weniger Heldenmut erforderte, als Walthers Verwandte vielleicht vorausgesetzt hatten.

Sie konnten die Augen nicht vor der Thatsache verschließen, daß die beiden jungen Leute einander rasch näher kamen. Sobald Walther einen Wunsch aussprach – oder, wie es seine Gewohnheit war, nur halb aussprach – stand Rachel mit dem Gehorsam einer der biblischen Frauen auf, um demselben nachzukommen. Gewöhnlich verlangte er am eifrigsten danach, daß sie ihm etwas vorsingen möge, und sie that es, indem sie sich selbst auf einem alten klirrenden Klavier begleitete, das im Wohnzimmer stand. Er lag dann draußen vor den offenen Fenstern in seiner Hängematte, rauchte, schlenkerte mit dem einen Beine und schlug zu Ende jedes Liedes, um seinen Beifall auszudrücken, die Absätze zusammen. Selbst wenn er aufs Geratewohl einen Befehl aussprach, der ebensogut seiner Schwester, wie Ephraim oder Mardochai gelten konnte, pflegte Rachel in ihrem Bestreben, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, in ihrer ruhigen und doch behenden Weise den andern zuvorzukommen – und, so wenig es ihm zur Ehre gereichte, daß er einer Dame erlaubte, seine Pferde zu bestellen, seine Cigarren herbeizuholen oder seinen Diener zu rufen, so stand dem jungen Manne dies träge Wesen doch so gut zu Gesicht und alles hatte einen so humoristischen Anstrich, daß man ihm nichts übelnehmen konnte. Wenn er zu einem der kleinen Löwenthals in scherzhaft befehlendem Tone sagte: »Sklave, bringe mir meine Hausschuhe!« oder: »Da, Leibzwerg, trage die Reitpeitsche in mein Zimmer, sonst kriegst du sie zu kosten!« so fand Rachel darin nichts Beleidigendes für sich und ihre Neffen, ja, letztere betrachteten es offenbar als eine Gunst, wenn Walther, der große Herr, sie beachtete, gleichviel, ob dies in der verächtlichsten Weise geschah.

Weniger erbaut von diesen Manieren war Alma, die seit ihrer Verheiratung mit den Sultanslaunen der Männer noch weniger Nachsicht hatte, als vorher. Ihrer Meinung nach lag darin eine Umkehr der natürlichen Ordnung der Schöpfung und als Walther einst in müßiger, übermütiger Laune auf die meisten Vorsetzeblätter mehrerer ihrer gelehrten Bücher geschrieben hatte: »Mrs. Alma O. Wellingford von ihrem väterlichen Freunde und Gönner Walther Hampton«, riß ihr vollends die Geduld und sie sagte ihm rund heraus ihre Meinung.

Dessenungeachtet fand auch sie es ungleich leichter, sich seinen Launen zu fügen, als sich dagegen aufzulehnen, ja sie nahm sogar lachend die Aufforderung an, seine schon sehr ansehnliche Sammlung türkischer Pantoffeln, gestickter Cigarrentaschen und ausgenähter bunter Schlafröcke durch eine Beisteuer zu vermehren. Alma hatte bis dahin nicht begriffen, wie es zuging, daß jede junge Dame, welche Walther mit seiner Bekanntschaft beehrte, so beeifert war, etwas für ihn zu arbeiten. Für Harry hatte das, außer ihr selbst, keine einzige gethan und sogar sie hatte es, obgleich sie ihren Mann liebte, langweilig gefunden, ihm ein Rauchkäppchen zu sticken. Freilich war der arme Harry ein schlechter Kenner weiblicher Handarbeiten, während Walther als scharfer und sachkundiger Richter galt. Der gute Harry, obwohl ihm alles gefiel, was Alma anzog, war nicht im stande, den Unterschied zwischen Taffet, Atlas, Musselin und Kattun herauszufinden, während Walther über einen ganzen Ballsaal hinweg echte Spitzen von nachgemachten und venetianische Erzeugnisse von Brüsseler Arbeit zu unterscheiden wußte.

In der zweiten Woche nach seiner Ankunft machte Walther Rachel den Vorschlag, ihr Reitunterricht zu geben. Alma, welche eine vorzügliche und geübte Reiterin war, brachte eine Stunde damit zu, ihr eignes Reitkleid dem jungen Mädchen anlegen zu helfen, ihr Haar in entsprechender Weise zu ordnen und ihre in diesem Kostüm noch mehr hervortretende Schönheit laut zu bewundern. Selbst Walther öffnete seine Augen einmal ganz, als er Rachel in den Sattel hob, ihr die Zügel in die Hand legte und ihr die Führung derselben erklärte. Als er sah, mit welchem Eifer das junge Mädchen diesen Anweisungen lauschte, stahl sich ein Lächeln über sein Gesicht. Es machte ihm Freude, so ernst genommen zu werden, und es kam ihm vor, als habe er nie etwas so Reizendes gesehen, wie den aufmerksamen, unterwürfigen Blick, mit dem ihn Rachel ohne einen Schatten von Koketterie, in voller Selbstvergessenheit ansah und jedes Wort auffing, das von seinen Lippen fiel.

Dann setzten sich die geschmeidigen, prachtvollen Tiere in einen leichten Trab, welcher die Unterhaltung nicht hinderte, und Alma, die vor dem Hause saß, sah den beider Reitern nach, welche, von einer Staubwolke umgeben, bald hinter einem Hügel oder in einer Vertiefung des Weges verschwanden, bald wieder auf einer Höhe erschienen und sich in scharfen Umrissen gegen den hellen Horizont abzeichneten, bis sie dieselben gänzlich aus den Augen verlor.

Walther und seine schöne Begleiterin waren indessen von der Straße abgewichen und auf einen berasten Weg eingebogen, welcher zu beiden Seiten von einzeln stehenden Eichen und Tannen, Ueberbleibseln des Urwaldes, eingefaßt war, zwischen denen sich ziemlich dichtes, aus Nadelholzgestrüpp und blühenden Lorbeerbüschen bestehendes Unterholz ausbreitete. Auf diese Umgebung achtend, hatte Rachel ihre Aufmerksamkeit von dem Pferde abgewendet, welches im Schritt, schnaubend und den Kopf schüttelnd, langsam vorwärts ging. Die Zweige streiften seine Flanken und die Reiter mußten sich zuweilen bücken, um nicht mit den überhängenden Aesten in Berührung zu kommen.

»Achten Sie auf Ihr Pferd,« sagte Walther matt und schläfrig. »Sehen Sie denn nicht, daß es sich unartig benimmt?«

»Nein,« entgegnete Rachel. »Aufrichtig gestanden, ich weiß nicht, was die Pferdeetikette gebietet oder erlaubt!«

«Pferdeetikette! Ha, ha, ha! Ein ziemlich guter Witz, wissen Sie,« rief Walther, indem er sein prachtvolles Tier liebkosend auf den Hals klopfte. »Wenn ich je ein Buch schriebe – was ich wahrscheinlich niemals thun werde –so sollte es eins über die gute Lebensart bei Pferden sein. Ich versichere Sie, daß sich Potiphar dies Benehmen nicht erlauben würde, wenn ich sie ritte. Aber das Tier ist in mancher Beziehung wie ich; es macht sich nichts aus jungen Mädchen – macht sich wenigstens nicht genug aus ihnen, um sich deshalb irgend welche Mühe zu geben.«

Rachel wurde glühend rot und blickte zu Boden. Es fiel ihr nicht ein, zu entgegnen, er möge, ehe er sich um die guten Manieren eines Pferdes kümmere, erst selbst gute Manieren lernen. Statt dessen hatte er die Genugthuung, sich an der Kränkung zu weiden, die er ihr zugefügt, und als Rachel nach kurzem Schweigen wieder aufblickte, fragte sie mit rührender Kindlichkeit: »Und warum mögen Sie die jungen Mädchen nicht, Mr. Hampton?«

»Nun, wissen Sie,« gab er von oben herab zur Antwort, indem er seinen Hut abnahm und die Innenseite mit einem seidenen Taschentuche abwischte, »wissen Sie, man kann mit Frauenzimmern nicht reden, wie man mit seinen Kameraden redet – 's ist so verwünscht schwer, sich mit jungen Mädchen zu unterhalten.«

»Finden Sie es so schwer, sich mit mir zu unterhalten?«

»Nein, das kann ich gerade nicht sagen. Aber wissen Sie, Sie sind auch mehr wie ein junger Mann. Das heißt – ah – ich will damit nicht gesagt haben, daß Sie etwas – ah – Männliches hätten, aber Sie sind doch mehr wie ein hübscher, angenehmer junger Bursche, wissen Sie!«

»Nein, das wußte ich wirklich nicht,« entgegnete Rachel mit einem schüchternen Versuche, zu lachen. »Sie müssen bedenken, daß ich noch sehr wenig von der Welt und den Menschen gesehen habe und nicht weiß, was man von einer Frau in der Gesellschaft verlangt. Ich weiß nur, daß sie sanft und gehorsam sein soll.«

»Nun, beim Zeus, wenn Sie das wissen, besitzen Sie mehr Weisheit, als ich Ihnen zugetraut hätte. Es gibt heutzutage wenig Frauen, die so klug sind. Die meisten sind so weit in der Bildung vorgeschritten, daß sie das Wort gehorchen aus dem Katechismus der ehelichen Pflichten ausgestrichen haben, und nach wenigen Jahren werden sie, wenn es so weiter geht, wahrscheinlich darauf bestehen, daß der Mann in der Kirche gelobt – ah – ihnen gehorsam zu sein.«

Rachel lauschte diesen weisen Reden in Demut und kam zu der Ueberzeugung, daß Walther ein sehr kluger und geistig bedeutender Mensch sei. In der That war er im Vergleich zu den Männern, die sie bisher gekannt, eine blendende Erscheinung; es fiel ihr schwer, die Blicke von seinem hübschen, schläfrigen Gesicht abzuwenden und die Bewunderung zu verbergen, welche in ihren Augen aufleuchtete, wenn er sie einer Anrede würdigte. Auf einem schönen Rasen, von einem eleganten jungen Manne begleitet, im Sonnenschein durch Wälder und Wiesen zu reiten, ein solches Phantasiebild war ihr wohl früher zuweilen in müßigen Stunden gekommen und schon der bloße Gedanke war ihr wie ein Blick ins Paradies erschienen. Ihre strenggläubige jüdische Erziehung hatte sie gelehrt, mit unbedingter Ehrfurcht zu dem Manne wie zu einem hoch über ihr und ihrer Beurteilung stehenden Wesen aufzublicken, und Walthers hochmütige, herablassende Art, welche eine Amerikanerin zum Zorne gereizt oder den jungen Mann in ihren Augen lächerlich gemacht hätte, erschien Rachel als ganz natürlich für ein so überlegenes Geschöpf.

Hätte man andrerseits Walther nach der Ursache seines Interesses für das junge Mädchen gefragt, so würde er in Verlegenheit gekommen sein, eine genügende Antwort zu finden. Aber er war auch nicht dazu gemacht, sich über seine Einfälle Rechenschaft zu geben, sondern begnügte sich damit, denselben zu gehorchen. Daß Rachel »ein verwünscht hübsches Ding« war, ließ sich nicht bestreiten, da Walther aber schon manches hübsche Exemplar der Gattung gesehen hatte, so mußte die Ursache seines Wohlgefallens wohl tiefer liegen. Hätte er gern derartige Vergleiche gemacht, so würde er vielleicht gesagt haben, daß sie ihn an das Bild erinnerte, welches er sich in seiner Knabenphantasie von Rebekka am Brunnen, wie sie Elieser den Krug zum Trinken reichte, gebildet hatte. Es war etwas von der lieblichen, großzügigen Einfachheit dieser Gestalt in Rachel, und die gehaltene Demut, die sie in Gegenwart von Männern zeigte, erinnerte unwillkürlich an die Frauen des patriarchalischen Zeitalters. Indessen blieb es doch zweifelhaft, ob Walther, selbst wenn er in der heiligen Schrift besser bewundert gewesen wäre, diesen alttestamentarischen Duft für einen genügenden Grund gehalten hätte, sich zu verlieben. Er wußte nur – obgleich er nie weiter darüber grübelte – daß er in Rachels Gegenwart sich selbst am besten gefiel, und daß ihm, wenn sie da war, die Welt schöner erschien, als sonst. Andern jungen Damen gegenüber beschlich ihn oft die Empfindung, als hätten sie im geheimen eine keineswegs schmeichelhafte Meinung von ihm und könnten, sobald er den Rücken gewendet, in ein schallendes Gelächter ausbrechen. In Bezug auf Rachel kam ihm diese Befürchtung nie. Ihre Bewunderung war eine aufrichtige, rückhaltlose und bildete in ihrer gleichzeitigen unterwürfigen Anspruchslosigkeit eine Atmosphäre, in der er sich mit Wonne bewegte.

Nachdem die beiden etwa eine Stunde geritten, erreichten sie die Höhe eines bewaldeten Abhanges, von wo aus sie auf einen klaren Strom hinabblickten, der in mannigfachen Windungen den Weg zur See verfolgte. Unweit der Stelle, an der sie ihn erreichten, standen noch die Bogen und Pfeiler einer bedeckten Brücke; aber ein augenfällig angebrachter Anschlag unterrichtete das Publikum, daß dieselbe nur noch für Fußgänger sicher sei. Daneben lag ein großes, flaches Fährboot und darauf stand ein alter, verwitterter Mann – Charon, der Schiffer über den Styx hätte so aussehen können – welcher eine lange Angelrute in der Hand hielt und eine Fliege auf dem Wasser tanzen ließ.

»Hallo, alte Wasserratte!« schrie Walther, der instinktiv voraussetzte, daß der Alte taub sei, »wollt Ihr uns übersetzen und dann drüben warten, bis wir zurückkommen?«

Der Fährmann zog mit großer Gelassenheit eine zappelnde Forelle aus dem Wasser, rief dann ein junges Mädchen herbei, das etwas weiter unten ebenfalls mit Angeln beschäftigt war, und steckte gemächlich die langen Ruder in die Ruderlöcher.

»'s is heute 'ne dumme Geschichte damit,« bemerkte er phlegmatisch. »Der lange Regen is schuld.«

»Woran ist der lange Regen schuld?« fragte Walther, der Potiphars Zügel ergriffen hatte und das Tier durch liebkosende Worte zu bewegen suchte, auf die Fähre zu gehen.

»Was ist heute 'ne dumme Geschichte. Wollen die Forellen nicht beißen?«

»Nein, ich meine von wegen der Ueberfahrt,« gab der Bootsmann ruhig zur Antwort. »'s is heute gefährlich.«

Inzwischen war es Walther gelungen, beide Pferde auf das Fahrzeug zu bringen; er redete ihnen noch immer beruhigend zu und das flache Boot setzte sich in Bewegung. Der alte Mann ruderte in ruhigem, stetigem Zuge. Aber das junge Mädchen, das mehr auf Walther als auf das Boot achtete, erfüllte ihre Pflicht schlecht. Durch ihre Schuld drehte sich die Fähre plötzlich und Potiphar, Rachels Roß, bäumte sich, vor Schreck schnaubend, hoch auf. Walther bemächtigte sich mit raschem Griffe des Zügels und redete dem Tiere in beruhigender Weise zu; aber fast in demselben Augenblicke faßte eine stärkere Strömung das Fahrzeug; dasselbe begann heftig zu schwanken und das Pferd, von panischem Schrecken ergriffen, bäumte sich noch einmal hoch auf und setzte, ehe Walther es in seine Gewalt zu bekommen vermochte, mit seiner Reiterin in die Flut.

»Ziehen Sie Ihren Fuß aus dem Steigbügel und halten Sie sich fest an das Tier!« rief Walther mit einer Fassung, die man bewundernswürdig hätte nennen müssen, wenn sein eignes Leben in Gefahr gewesen wäre. Und zu dem Fährmann gewendet fuhr er fort: »Lassen Sie das Boot nachtreiben und wir werden sie bald eingeholt haben!«

Aber es fand sich, daß dies schwerer gethan war, als gesagt. Die Wirbel und scharfen Windungen des Flusses ließen keine Berechnung zu, und selbst wenn man das eine oder andre Mal das schwimmende Pferd erreichte und sich des Zügels bemächtigte, war man doch nicht im stande, es auf die Fähre zu ziehen, sondern mußte es, wenn man es nicht in Gefahr bringen wollte, sich zu überschlagen, wieder loslassen. Potiphar hielt, von der Strömung fortgerissen, offenbar nur noch mit der äußersten Anstrengung den Kopf über Wasser.

Rachel, welche bei dem Sprunge des Tieres den Hut verloren hatte und beinahe aus dem Sattel geschleudert worden wäre, besaß dennoch Geistesgegenwart genug, sich an das schwimmende Pferd zu klammern. Was Walther ihr zurief, hörte sie nicht, nur das Gurgeln und Brausen des Wassers drang an ihr Ohr. Es war ihr gelungen, den Fuß aus dem Bügel zu befreien, aber die Strömung zog mit solcher Gewalt an dem langen Rocke ihres Reitkleides, daß sie aller ihrer Kräfte bedurfte, um sich am Sattelknopfe festzuhalten. Sie fühlte nicht mehr die Kälte des Wassers, in der ihr im ersten Augenblick die Glieder zu erstarren schienen, ihre ganze Energie war in dem verzweifelten Kampfe ums Leben erwacht und sie empfand nichts mehr, als den Willen zu leben. Sie sah wohl, daß das Fährboot hinter ihr her kam, aber es schien ihr, als schwimme sie viel schneller als dieses, als vergrößere sich die Entfernung zwischen ihm und ihr zusehends. Einigemal machte sie den Versuch, laut zu rufen, aber Brust und Kehle waren ihr wie zugeschnürt und sie war unfähig, einen Ton hervorzubringen. Durch das Brausen und Rauschen des Wassers hindurch vernahm sie allerdings Walthers Stimme, aber nur noch undeutlich. Dieselbe war ihr bald näher, bald ferner, bis sie sich endlich im ungewissen Raume verlor. Rachels Hände erstarrten und fingen an, sich von dem krampfhaft festgehaltenen Sattelknopf zu lösen – starke Arme schienen sich aus dem Grunde nach ihr auszustrecken und sie in die wirbelnden Wellen hinabzuziehen – schon empfand sie schaudernd, wie die kalte Tiefe unter ihr sich öffnete – da, gerade in dem Moment, als die Kälte ihr bis ans Herz drang, schlugen die Worte an ihr Ohr: »Um Gottes willen, halten Sie fest, sonst sind Sie verloren. Ich habe genug mit den Pferden zu thun.«

Rachel machte eine neue Anstrengung, sich der Erstarrung zu entreißen, die sich ihrer bemächtigte. Mit aller ihr noch zu Gebote stehenden Kraft klammerte sie sich an das Tier, bis sie fühlte, wie sich ein Paar Arme um ihren Leib schlangen und ihr gleich darauf die Berührung von warmem Sand mit ihrer Wange sowie das Schnauben der sich schüttelnden Pferde zum halben Bewußtsein kam. Das Nächste, was sie empfand, war, daß jemand zu ihr sprach, während man sie aufrichtete und ihr eine brennende Flüssigkeit einflößte.

»Das bringt jeden wieder auf die Beine, man muß so 'was immer bei sich haben,« sagte die Stimme,

Rachel öffnete die Augen und erblickte Walther, der sich, mit einer in Juchten eingenähten Branntweinflasche in der Hand, über sie beugte. Seine Weste, sein Hemd und sein Haar waren naß, sein Schnurrbart schien ebenfalls etwas gelitten zu haben, aber seine Haltung war unverändert ruhig.

Seine Stimme klang kühl und geschäftsmäßig und war von keinem Schatten einer Erregung getrübt. Als er wieder ein wenig Farbe in Rachels Wangen aufsteigen sah, legte er sie sanft auf den Sand nieder, nahm selbst einen Schluck aus der Flasche und schraubte dann den Pfropfen langsam fest.

»Habe den Stoff selbst eingeführt,« bemerkte er, und steckte die Flasche in die Brusttasche seines Rockes »Beziehe meine Getränke aus erster Quelle. Was man hier von den Händlern kauft, ist abscheuliches Zeug.«

Rachel, welche nach der Seite hin nur sehr beschränkte Erfahrungen besaß, wußte nicht recht, was sie antworten sollte. Sie konnte sich nicht denken, daß ihr Retter, den sie so gern mit allen Eigenschaften eines Helden geschmückt hätte, in diesem Augenblicke ernstlich von der Güte seines Branntweins sprechen sollte. Viel wahrscheinlicher erschien es ihr, daß er verlegen war, vielleicht weil er ihre Dankbarkeit fürchtete, und daß er seine Aufregung unter diesen gleichgültigen Worten verbarg. Die Nachmittagssonne sandte ihre Strahlen auf sie herab, eine köstliche Wärme ergoß sich durch ihre Glieder und sie hob den Kopf, um ihn eine Weile in der aufgestützten Hand ruhen zu lassen und den Dampf zu beobachten, welcher von ihren nassen Kleidern aufstieg. Sie empfand die Notwendigkeit, Walther in Anerkennung seines Heldenmutes einige Worte zu sagen, aber seiner Haltung gegenüber war es außerordentlich schwer, Ausdrücke zu finden, die nicht dumm oder sentimental klangen, und Rachel war daher ihrem Pferde sehr dankbar, als dies ihr noch etwas Zeit zur Ueberlegung verschaffte, indem es die Aufmerksamkeit seines Herrn in Anspruch nahm. Potiphar hatte sich nämlich in den Sand gelegt und stand eben im Begriff, sich, ohne Berücksichtigung des Sattels, auf den Rücken zu werfen und behaglich zu wälzen, als Walther hinzusprang, das Tier am Zügel faßte und dadurch zwang, diese gymnastischen Uebungen noch ein wenig aufzuschieben.

»Sie werden vielleicht nicht glauben, daß Sie ein sehr kostbares Leben gerettet haben –« begann sie. Dann hielt sie inne, denn weiter konnte sie unmöglich gehen, ehe er ihr mit einem Worte der Ermutigung entgegengekommen war.

Walther, der bis jetzt Potiphars Nacken geklopft und die Füße des Tieres mit dem Auge eines Kenners geprüft hatte, bemerkte, was man von ihm verlangte.

»Kein kostbares Leben?« fragte er mit leichter Erregung »Na, das Tier kostet mich bare viertausendachthundert Dollar, den Sattel noch gar nicht mitgerechnet.« Dabei schnippte er mit den Fingerspitzen einige Pferdehaare von seinem Handschuh. »Was den Sprung ins Wasser betrifft,« fuhr Walther fort, indem er das Gehäuse seiner Jagduhr öffnete, um zu sehen, ob Wasser in dieselbe eingedrungen sei, »so ließ mir Potiphar keine Wahl. Es war eine dumme Geschichte und ich fürchte, Sie werden sich meiner Führung nicht so leicht wieder anvertrauen.«

»Ihre Führung war nicht schuld,« murmelte Rachel, während sie nach der andern Seite des Flusses hinüber sah, als erblicke sie dort irgend etwas Interessantes. Daß er nur an das Pferd gedacht haben sollte, während sie in Lebensgefahr schwebte, konnte sie bei aller Bescheidenheit in der eignen Wertschätzung nicht glauben, und je länger sie darüber nachdachte, je mehr war sie geneigt, Walthers Kaltblütigkeit als bloße Maske anzusehen. Er schämte sich gewiß seines Heldenmutes, fürchtete einen gefühlvollen Auftritt und legte deshalb von vornherein einen Dämpfer auf ihre etwas überströmende Empfindung. Sie konnte das wohl verstehen und Walther sank durch seinen Gleichmut nicht in ihrer Achtung.

»Ich fürchte, Sie sind gehörig erschöpft und müde,« sagte er, als er ihr nach kurzer Rast wieder in den Sattel half. »Aber wir müssen uns beeilen, denn wenn wir nicht vor Sonnenuntergang zu Hause sind, werden Sie sich erkälten.«

Sie war ihm im Herzen dankbar für die Rücksicht auf ihr Wohl, die sich in diesen Worten aussprach, unterdrückte aber jede Antwort. Sie wollte die Befürchtung nicht rechtfertigen, welche ihn, wie sie glaubte, zu seinem sonderbaren Benehmen veranlaßte.

Beide sprachen auf dem Heimwege nur wenig. Sobald sie aus dem Holze heraus waren, gab Walther seinem Pferde die Sporen und Potiphar blieb nicht hinter ihm zurück. Der Wind blies ziemlich heftig, Rachel atmete die köstliche Luft in tiefen Zügen. Ein wildes Entzücken, das sie bis dahin nicht gekannt, bemächtigte sich ihrer, und als sie vor der Farm »Zum alten Mann« hielten, mußte sie ihre wirren Gedanken erst wieder sammeln. Welch ein schöner, glückseliger Tag war dies gewesen!

Am nächsten Morgen verließ Walther die Farm, um anderswo auf neue Eroberungen auszugehen.



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