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Sechzehntes Kapitel.
Die Elfennacht

Eines Tages, als die große Sonne schon rot und feierlich am Abendhimmel stand und die Schleier der Heide mit ihrem goldenen Glanz entzündete, kam aus dem Walddunkel ein seltsames Tier dahergeflogen, machte halt auf der Wiese und fragte nach dem Elfen.

Das war zum mindesten ein Ereignis, denn die Tiere der Waldwiese mußten sich nach dieser Frage sagen, daß es ferne und fremde Gegenden gab, in welchen man vom Elfen etwas wußte, wahrscheinlich, ohne daß er sie jemals aufgesucht hatte. Es kam hinzu, daß der geflügelte Bote Bewunderung erregte, es war niemals zuvor ein ähnliches Tier auf der Wiese gesehen worden. Auf den ersten Blick hätte man glauben können, es sei eine Libelle, denn die Fremde hatte wie diese schönen glitzernden Tiere durchsichtige Flügel und einen langen schmalen Leib, auch waren es vier Flügel an der Zahl und ähnlich geformt, wie die der Libellen, aber auf jedem von ihnen befand sich ein großer dunkler Fleck von tiefem Blau. Vom gleichen schimmernden Blau war der schmale Körper, und die klugen großen Augen schauten ernst, beinahe schwermütig aus dem Gesicht. Es war, als käme dieses seltsame Geschöpf nicht aus Bereichen der Tagesklarheit, sondern als sei es ein wunderbarer Nachtvogel der kühlen Stunden, in denen am Himmel der Mond herrscht.

Zwei Schmetterlinge, ein Pfauenauge und ein Schwalbenschwanz, entdeckten den fremden Boten zuerst, und rasch verbreitete sich die Nachricht unter den Tieren der Waldwiese, daß die Botschaft des Ankömmlings den Elfen anging. Die Bienen machten sich auf den Weg, ihn zu suchen, denn in der Nähe war er nirgends zu sehen.

»Wie ist es denn?« fragte das Pfauenauge, »können Sie uns nicht erzählen, was Sie dem Elfen zu sagen haben? Wir werden es schon ausrichten.«

Die Fremde schüttelte den Kopf. »Das geht nicht,« sagte sie, »ich muß ihn selber sprechen, ich komme von der Elfenkönigin.«

Das Pfauenauge erschrak. Es hatte sich inzwischen eine ganze Reihe der Waldwiesenleute angesammelt, und nun wichen sie alle scheu ein wenig zurück, man sah deutlich, wie diese Nachricht alle überraschte, denn wer kannte die Macht der Elfenkönigin nicht. Es war eine Weile totenstill, man hörte den Bach plätschern, und das Lindenrauschen füllte die abendlich durchleuchtete Luft unter den großen dunklen Zweigen. Die Blumen in der Nähe, die schon an ihren Schlummer dachten, horchten auf und hoben ihre Köpfchen in die Abendstille. Wer hatte nicht von der Elfenkönigin gehört! Wollte sie nun den Elfen, der ihnen allen lieb geworden war, fortrufen und aufs neue in ihr Reich bannen, daß er ihrer Gemeinschaft entzogen werden sollte?

»Sagen Sie uns, was geschehen wird«, bat ein Grashüpfer, aber die Fremde schüttelte den Kopf, besorgt sah sie sich um. »Werden die Bienen den Elfen finden?« fragte sie.

Der Schmetterling nickte. »Die Bienen finden alles, was sie wollen; wissen Sie nicht, daß die Bienen darin groß sind?«

»Doch, doch,« lautete die Antwort, »aber es eilt, der Abend wird bald hereinbrechen, und es ist weit bis zu den Moorseen.«

»Es ist mitten im Juli,« sagte eine Ameise geheimnisvoll, »von den Glühwürmchen weiß ich, daß einmal im Jahr zur Sommerzeit bei Vollmond die Elfenkönigin in der Waldtiefe Hof hält. Es wird schon etwas Wahres an dieser Botschaft sein.«

Eine Grasmücke kam herzugeflattert, und die geflügelten Tiere stoben auseinander, aber die Fremde blieb ruhig sitzen. »Ich reise im Elfenfrieden«, sagte sie ruhig, und die Grasmücke ließ sich neben ihr nieder, ohne ihr ein Leid zu tun, ja ohne ihr zu nahe zu kommen. Die Waldelfen sind ein mächtiges Volk, selbst die größten Tiere gehorchen ihrem Willen, denn es gibt vielerlei geheimnisvolle Künste und manchen Zauberbann, den die Elfenkönigin verhängen kann. Ach, viele Wunder walten im tiefen Wald, aber eines der größten werde ich nun erzählen.

Als nach einer Weile der Elf kam, von zwei Bienen geführt, die ihm voranflogen, grüßte die Fremde ihn tief und ehrfürchtig, und sie sprachen eine ganze Weile allein miteinander, während die anderen Tiere neugierig und erwartungsvoll im Umkreis verharrten.

Der Ausdruck des Elfengesichts wurde nachdenklich und immer trauriger, er sah vor sich nieder und sann, es schien als ob die Botschaft des blaugeflügelten Waldboten ihm tief ins Herz sank. Zum Schluß nickte er langsam, grüßte die Fremde freundlich zum Abschied und sah ihr nach, als sie schnurgerade und windesschnell mit leisem Schwirren davonflog, um bald zwischen den Stämmen der Kiefern in der Dämmerung zu verschwinden.

Li, das Eichhorn, das seine Erwartung nicht mehr zurückhalten konnte, trat nun zuerst an den Elfen heran.

»Willst du uns verlassen, Lieber?« fragte es rasch und ängstlich.

Da kam auch Uku auf einen niedrigen Ast herabgeflogen, und der Elf wandte sich an sie:

»Uku, ich muß in dieser Nacht zur Elfenkönigin.«

Die Eule machte ein betroffenes Gesicht und sah schräg vor sich nieder, man erkannte deutlich, daß diese Nachricht sie nicht erfreute, und es schien, als wüßte sie, was sich mit dieser nächtlichen Begegnung verbinden könnte. Endlich sah sie auf und dem Elfen gerade ins Gesicht, der sich neben sie auf den Lindenast gesetzt hatte:

»Die Elfenkönigin ist großmächtig, eine Herrscherin im Wald und über die Heide,« sagte sie, »sie wird dir die Freiheit zurückgeben, nach der du Verlangen trägst.«

»Ja, sie wird mir helfen wollen«, antwortete der Elf. Seine Gedanken schienen nicht bei seinen Worten zu sein, er legte seine Hand auf die Brust und sah mit großen Augen in die Sonne, die jetzt dicht am Rand der Erde stand und wie eine feurige Kugel glühte.

»Willst du uns verlassen?« fragte nun auch Uku. Ihr war wie allen Tieren umher plötzlich bang ums Herz, alle erinnerten sich dessen, daß der Elf aus fernen Regionen einer geheimnisvollen Welt zu ihnen gekommen, und daß er im Grunde nicht ihresgleichen war. Sie hatten es längst vergessen, so lieb war er ihnen geworden, und hatte er nicht immer alles mit ihnen geteilt, was sie beschäftigte, freute oder bekümmerte? Nun erschreckte se der Gedanke, daß er fortfliegen möchte, zurück in sein Elfenreich und se zurücklassen.

Da sagte Uku plötzlich:

»So sollen wir denn allein den Herbst erwarten, die Trauer des Welkens und eins unseren Tod; ach Elfenkind, vergiß uns nicht in deiner hellen Heimat.«

Da kam eine seltsame Ruhlosigkeit über den Elfen, seine Augen schimmerten in einem kühlen, fremden Licht, er verließ seinen Platz neben Uku und flog zum Bach nieder. Dort nahm er das glitzernde Wasser in seine Hand, hob es auf und sagte:

»Ein Elf befiehlt dir gehorsam zu sein,
Silber im Wasser, werde mein!«

Und während das Wasser aus seinen zarten Fingern niederrann, geschah das Wunder, daß ein klarer Silberschimmer in seiner Hand zurückblieb, und er legte ihn über seine hellen Flügel. In diesem Glänzen trat er nun zu den winzigen Wasserperlen, die von einer Bachwelle an einem Schilfhalm zurückgeblieben waren, hob seine Hand und sagte zu ihnen:

»Ein Elf befiehlt euch gehorsam zu sein,
reiht euch zur glitzernden Kette ein!«

Und wieder geschah, was er befahl, und als er diesen reinen Schmuck um seinen Hals legte, war seine Pracht überirdisch zu schauen, die Verwunderung der Waldwiesenleute nahm kein Ende, aber sie fürchteten sich, denn er wurde ihnen immer fremder. Sie erlebten, daß er Wunder über Wunder tat und sich für den Gang zu seiner Königin immer herrlicher schmückte, aber zugleich sahen sie, daß sein Angesicht immer trauriger wurde.

Als er sich umwandte, um ihnen einen letzten Gruß zuzuwinken, war die Sonne herabgesunken, nur ein schmales goldenes Halbrund ihrer Scheibe war noch zu sehen. Da hob der Elf zum letztenmal seine Hand, wie gebannt durch das feurige Himmelsgold, wandte sich an die Sonne im Abend und rief:

»Ein Elf befiehlt dir gehorsam zu sein,
gib mir Gold aus deinem Schein!«

Aber es blieb nach seinen Worten totenstill umher, und nichts geschah. Lautlos sank fern die Sonne völlig unter den Horizont, und nun vernahm man umher das leise Seufzen, in welchem alle Geschöpfe sich der hereinbrechenden Nacht ergaben. Ein sanftes Rauschen erhob und pflanzte sich fort, und in diesem Wehen stand bestürzt das Elfenkind in seinem Silberglanz, und eine Träne nach der anderen rann über sein blasses Gesicht und tropfte ins Moos. »O, die Sonne,« schluchzte es, »sie ist meinem Ruf nicht gefolgt, ihr Gold ist nicht für mich!«

Keines der Tiere umher wagte sich zu rühren. Nach den Beweisen seiner Macht, nach allen Wundern, die eben noch der Elf getan hatte, erschütterte alle seine Ohnmacht und sein Schmerz darüber, daß die Sonne ihn nicht hörte, aber wie erschraken sie, als er nun plötzlich den herrlichen Perlenschmuck von seinem Halse nahm und rasch und mit Eifer das schimmernde Bachsilber von den Flügeln streifte. Allen Schmuck, den durch wunderbaren Zauber die Natur ihm gehorsam verliehen, und den er sich angetan hatte, streifte er ab; und nun, als er ihnen wie einst, nur in seinem schlichten Kleid, mit den hellen Flügeln und dem Goldhaar erschien, sahen sie, daß er sich auf seine Knie sinken ließ, und indem er flehentlich seine Hände zum Abendhimmel hob, rief er:

»Goldene Sonne, ein Elfenkind
möchte nicht mehr sein, als alle sind.
Sieh, ich gab meine irdische Zier,
gib mir dein himmlisches Gold dafür.«

Kaum waren die Worte im Abendwind verklungen, als hoch aus dem Gipfel der Linde ein feines Klingen erscholl, das von einem Glänzen begleitet wurde, und von Zweig zu Zweig rieselte es golden durch die Blätter nieder und legte sich dem knienden Elfenkind um Stirn und Schläfen und über sein helles Haar. Alle erkannten, daß es das letzte Gold der Abendsonne aus dem Wipfel der Linde war, und das Glück und das Entzücken der Waldwiesenleute kannte keine Grenzen. Es brach ein Jubel aus, der nicht enden wollte, alle Angst und Sorge wich aus den Herzen, und aus den Zügen des Elfen war alle Traurigkeit verschwunden. Nie war er den Tieren der Waldwiese schöner erschienen, das Fremdartige und Seltsame, das noch eben alle an dem Elfenkind in heimliche Scheu versetzt hatte, hielt sie nun nicht mehr gebannt, und alle glaubten es, als Uku rief:

»Leb' wohl auf deinem Weg ins Nachtland der Elfenkönigin, du wirst nun sicher zu uns zurückkehren!«

* * *

Als der Elf dahinflog, leuchtete eine Weile noch der festliche Abendhimmel durch die Stämme, erst in den Tannen wurde es dunkel, und bald darauf, wenn eine Lichtung kam, schimmerten die ersten Sterne im kühlen Blau der Höhe. Es dauerte nicht lange, und der Mond ging auf, man sah es am blassen Schimmer hoch in den Kronen der Bäume. Die Fledermäuse jagten in den Waldlichtungen, und hin und wieder erscholl der Ruf der Eulen.

Es war ein weiter Weg für den Elfen, feierlich rauschte der Wald durch sein Herz, das bang und zuversichtlich zugleich pochte, von Furcht und Hoffnung gewiegt. Es war in der Natur umher ganz mondhell geworden, als er am Ort seiner Bestimmung angelangt war. Am Stamm einer uralten Eiche, dicht über dem Boden im Buschwerk kreisten eine Schar von Glühkäfern in seltsamen Ornamenten durch die Luft, als zögen sie geheimnisvolle Linien oder Kreise, die ganze Umgebung wurde auf diese Art in eine schimmernde Dämmerung getaucht, in welcher die Blätter seltsam glommen, als brennte irgendwo ein verborgenes grünliches Licht. Der Elf erkannte diese Wahrzeichen, er ließ sich bis dicht vor die großen Wurzeln der Eiche ins Moos nieder und rief die Glühkäfer an. Sofort löschten alle bis aus einen ihr Licht, nun sah man die Silberstreifen vom Mond durch die Zweige fallen, erwartungsvoll schien alles auf ein Ereignis zu harren. Der Glühkäfer kam nahe an den Elfen heran, aber als er sich vor ihm auf der Baumwurzel niederließ, erschrak er heftig.

»Was hast du für Licht auf den Haaren und auf deiner Stirn,« rief er, »du erschrickst mich. Lösch dein Licht!«

»Ich kann es nicht,« sagte der Elf, »zeig' mir den Weg zur Königin.«

»Du bist der Waldwiesenelf, der von der Herrscherin erwartet wird?«

Der Elf nickte. Auf ein Zeichen des Käfers flammten die Lichter aller anderen wieder auf, und es wurde unter der Wurzel der Eingang zu einer Höhle sichtbar. Die kleinen Wesen dienten scheu und gehorsam jedem Wink der Elfen.

»Der Mondtanz auf der Wiese ist schon beendet,« sagte ein Käfer zum Elfen, als er neben ihm dahinflog, »alle erwarten dich im silbernen Saal. Es darf kein Elf mit dir sprechen, bevor es nicht die Königin getan hat.«

Den Elfen ergriff mit heimlicher Macht der alte Zauber seines Heimatreichs, alles, was er seit der Nacht durchlebt hatte, in der er seiner Blume entstiegen war, erschien ihm plötzlich wie ein glühender Sonnentraum, in Gold und Grün und Wärme verwoben. Seine Hände zitterten, und er rief das Losungswort der Elfen vor dem Tor am Ende des Gangs mit bebender Stimme.

Die nächtlichen Tore taten sich auf, ein Himmel von Licht und Glanz umfing den Elfen, als ob er in ein wogendes Meer von fließendem Silber untertauchte. Geblendet hielt er inne, während sich lautlos das Tor hinter ihm schloß, das die dunkle irdische Nacht vom Elfenreich trennte. Er sah über weite Gärten hin, die von Silber und durchschimmerndem Grün flammten und so hell waren, wie den Augen die Scheibe des Vollmonds erscheint, wenn sie weit aufgeschlagen mitten hineinsehen. Es ergriff ihn eine tiefe Rührung, die er nicht zu überwinden vermochte, es war die Gewalt der Heimat, die Einzug in sein Gemüt hielt. Sie ist die mächtigste aller Erinnerungen, schon viele Wesen sind ihr immer aufs neue erlegen und haben ihr das Opfer dessen gebracht, was die weite Welt sie gelehrt hat.

Ein hoher Gesang schreckte den Elfen aus seiner Traumbefangenheit empor, er hob seine Augen und sah vor sich den Thron der Elfenkönigin. Über ihrem blonden Scheitel, aus dem ein Kronenreif aus Diamanten erglänzte, so rein und durchscheinend wie das Quellwasser der Waldtiefe, wölbte sich ein strahlender Baldachin, und zur Rechten und Linken ihres Throns, der aus Silber war, standen in weißen Reihen ungezählte Scharen von Blumenelfen, und alle hatten ihre Augen auf den Ankömmling gerichtet. Von ihren Lippen erscholl der Gesang, der die grüne Silberluft umher erfüllte, wie buntes Licht eine kristallene Kugel. Unwillkürlich ergriff die selige Schönheit des Gesangs den Elfen, und indem er sich tief verneigte, sang er mit den anderen das alte Elfenlied, den Gruß der Königin:

»Du Lob des Lichts in mir,
du Leuchten, das ich bin!
In tiefer Demut deine Zier,
ewige Königin.«

Als das Lied verklungen war, wurde es umher so still, als wäre der strahlende Lichtraum ein Bild, nur ein ganz leises, kaum vernehmbares Rauschen ging von den vielen Flügeln aus, als zöge ein heimlicher Windzug über eine Winterlandschaft, deren Bäume im Rauhreifglitzern. Da erklang die Stimme der Elfenkönigin, und ihre Lichtaugen ruhten auf den Zügen des Elfen wie zwei Sterne:

»So bist du meinem Rufe gefolgt und zu mir gekommen, du verlorenes Kind? Ich will dich nicht fragen, ob es ein Unglück oder eine Schuld gewesen ist, die dich aus unserem Reich verbannt hat, aber du sollst heute wissen, daß meine Macht groß genug ist, dir deine alte Freiheit wieder zu erwirken, und du darfst in unsere Gemeinschaft und in deine alten Elfenrechte zurückkehren, wenn du allem absagen willst, was dich in der vergänglichen Welt der Menschen, Tiere und Pflanzen gefesselt hat, und wenn du deine Schuld von Herzen bereuen kannst.«

Es ging eine frohe Bewegung durch die Reihen der Elfen, alle schienen beglückt zu sein, daß einer der Ihren, den der Tag der Erde ihnen geraubt hatte, wieder in ihr Zauberreich zurückkehren sollte. Aber die feine Stirn der Königin umwölkte sich plötzlich unter dem Licht ihrer Krone, und sie sagte:

»Kommst du ungeschmückt zu deiner Königin?«

Da merkte der Elf, daß der Schein auf seiner Stirn erloschen war, seit er das Elfenlied gesungen hatte, und die seltsame Trauer, die sein Gemüt bewegte, nahm zu. Ihn ergriff jählings ein Heimweh nach dem warmen grünen Erdenreich der Sonne, und er begriff zum erstenmal die Bedeutung des alten Gesetzes des Elfenvolks, daß kein Elf die Sonne sehen durfte.

Es schien, als ob die Königin seine Gedanken erriete, sie sagte ernst und mit feierlicher Stimme:

»Dein Geschick hat dich in das Bereich der Sonne verschlagen, und du hast erfahren, wie gefährlich ihre Macht ist. Es ist nur einem Wunder zu danken, daß du nicht gestorben bist, aber fast so schlimm wie der Tod ist die böse Wirkung der Sonne, die die Elfen ihr ewiges Lichtreich vergessen macht und sie zum vergänglichen Geschick der sterblichen Wesen verzaubert. Aber meine Macht ist größer; hast du gehört, daß ich dich erlösen will? Bevor du aber nun aufs neue in unsere Gemeinschaft aufgenommen wirst, sollst du uns erzählen, wie es gekommen ist, daß du in deiner ersten Erdennacht am Morgen den Aufgang der Sonne nicht rechtzeitig gewahr geworden bist.«

Da hob der Elf seinen Kopf, den er in unverstandener Traurigkeit gesenkt gehalten hatte, solange die Königin sprach, und begann seine Geschichte von der Biene zu erzählen, die er in der Sommernacht zu den Menschen geführt hatte. Es war unbeschreiblich still umher, während er sprach, denn die Elfen wissen nur wenig von den Menschen, es kommt nur alle hundert Jahre vor, daß ein Elf mit den Menschen in nähere Berührung tritt, deshalb sind sie sehr begierig, etwas zu erfahren. Vor der Sonne und den Menschen haben alle Elfen eine große Scheu.

Der Elf erzählte zu Beginn nur langsam und schüchtern, aber je länger er sprach, um so fester und klarer wurde seine Stimme, und als er zum Schluß kam, erhob sie sich zu einem Jubeln, so daß alle mit pochenden Herzen lauschten und nicht begriffen, woher die Freude stammte, die aus den Worten des Elfen strahlte.

Es war lange still, nachdem er seine Geschichte beendet hatte, endlich fragte die Königin erstaunt und besorgt:

»Du sagst uns, die beiden Menschen seien glücklich gewesen, ich will es dir gerne glauben, aber wie kommt es, daß du darüber die aufgehende Sonne am Himmel nicht gewahr geworden bist? Das blendende Feuer der gewaltigen Sonne muß doch deine Sinne schon mit Angst erfüllt haben, als es sich am Horizont ankündigte, und da wäre es für dich noch Zeit gewesen.«

Der Elf erhob seine Arme, und seine Augen glänzten:

»Wie soll ich es dir beschreiben, mächtige Königin,« sagte er mit zitternder Stimme, »seit ich die Augen der beiden Menschen gesehen hatte, die sich im Glück ihrer Liebe umschlungen hielten, war mir ums Herz, als sei die ganze Erde hell. Ich habe geglaubt, das Licht käme aus ihren Herzen geströmt, wirklich … und als ich dann aufschaute und die Morgensonne erblickte, war mir in meiner Verwirrung zumut, als käme alles Glück von ihrem Licht, und ich konnte nicht wie früher glauben, daß sie gefährlich und schrecklich sei. Ich vernahm um mich her die Stimmen der erwachenden Blumen und Tiere, und aus aller Mund klang der gleiche frohe Glaube.«

Da sprang die Königin auf und schlug vor ihrer Stirn die Hände zusammen vor Zorn und Trauer.

»Armes, verführtes Kind!« rief sie, »was hast du gegen das unvergängliche Dasein der Elfen eingetauscht! Weißt du denn nicht, daß alle Wesen, die der Sonne vertrauen, sterben müssen?«

Erschrocken über den Zorn der Königin trat der Elf ein wenig zurück.

»Das macht ja nichts …« antwortete er schüchtern.

Es war wirklich so, als sollte in dieser Nacht im Reich der Elfen ein Wunder nach dem anderen geschehen. Die Königin stand plötzlich merkwürdig still, sie schien ihre ganze Sorge vergessen zu haben, und indem sie sich langsam mit großen Augen vorbeugte, sagte sie in höchstem Erstaunen:

»Wie, ist es wahr, du weinst? Seit wann kann ein Elf weinen?«

»Ich weiß nicht,« antwortete der Elf leise, »ich kann es …«

Da raffte die Königin sich erschrocken auf, und indem sie ihre ganze Kraft zusammennahm, sagte sie:

»Wie frei und herrlich war dein Leben vor deiner unseligen Schuld! Dir war Schönheit und Macht verliehen, und du hast im hellen Flügelkleid die Irdischen beglücken können, nach deiner Wahl. Schmerzen und alles Ungemach der sterblichen Wesen sind dir fremd und fern geblieben, und dein Tod war nur ein liebreicher Traum des Vergessens, durch den du in unser Reich zurückkehrtest, um einst aufs neue als Blumenelf aus einem reinen Kelch zu steigen, so hell und einsam wie das Licht aus den Sternen bricht, oder wie ein Quell aus den Felswänden. Dein Wort tat Wunder, alle Wesen der Schöpfung dienten dir und segneten dich. Die Erde nahm dich auf, um dich aufs neue zu erlösen; weißt du das alles nicht mehr?«

Da rief der Elf laut:

»Die Erde kann nicht erlösen, nie die Erde!«

»Was soll dich denn erlösen, du Törichter«, entgegnete bestürzt die Königin. »So alt das Geschlecht der Menschen ist, solange sind Herzeleid und Klage von ihnen aufgestiegen, solange haben Erniedrigung und Schmach ihre Liebe begleitet, solange sind sie den bitteren Tod gestorben, der ins ewige Dunkel führt. In der Sonne vergessen sie ihr Geschick, in derselben Sonne, die nun auch dein Gemüt und deine Sinne verführt hat. Und ergeht es den übrigen Geschöpfen im Licht anders? Ihr Seufzen steigt wie Nebel vom Erdgrund, sobald die Sonne am Horizont gesunken ist, ach, und wieviel Tränen hat auch die Sonne selbst gesehen, die sie nicht hat stillen können! Dies alles weißt du, und was du erfahren hast, wird dir nur die Wahrheit meiner Worte bestätigen, und so frage ich dich nun, willst du zu uns zurückkehren und in deine alte Freiheit?«

Da antwortete ihr der Elf:

»Ich kann es nicht mehr.« Und als die Königin sich erhob und sagte: »So werde ich dir helfen,« legte der Elf die Hand auf seine Brust und sagte deutlich: »Ich will es nicht mehr.« Und als hätte sein Entschluß ihm Kraft verliehen, fuhr er mit leiser Stimme, aber ruhig und gefaßt fort:

»Was du über die Erde, die Sonne und ihre Geschöpfe gesagt hast, Königin, das ist wahr, aber du und alle aus deinem Reich, ihr kennt nur das Ungemach der Irdischen, aber ihr kennt ihr Glück nicht. Ich kann es dir mit Worten nicht sagen, dies Glück, das jetzt auch mein Teil geworden ist, und von dem ich mich nicht mehr trennen will. Wohl ist der Tod das dunkle Geschick der Irdischen, aber im Licht der Sonne, die alles blühen macht, blüht auch aus den Herzen der Sterblichen eine helle Blume der Freude. Ihr Name ist Liebe, der Grund, auf dem sie allein gedeihen kann, ist das Herz in seiner Freiheit.«

»Das Herz?« sagte die Königin mit blassen Lippen. Es war so still umher, daß ihre Frage wie ein Traumruf in ruhiger Nacht erklang, es war, als wagte niemand zu atmen. Da fuhr der Elf mit leiser Stimme fort, die vor Ergriffenheit zitterte:

»Ich kann das Herz nicht schildern, aber sein Reich ist unendlich, weit und klar. Seine Allmacht ist stärker als die Gedanken, seine Wärme gnädiger als das Sonnenlicht, und tausend und tausend Jahre haben seine Fülle nicht ändern noch trüben können. Alle Schwachheit des vergänglichen Geschlechts der Irdischen ist nur eine arme, zeitliche Befangenheit gegen seine helle und unzerstörbare Freiheit, und immer und immer wieder blüht aus seinem Grund die Liebe empor. Nur das Herz kann erlösen, Königin. Draußen, in der goldenen Gemeinschaft der Sonne, blüht es auf, was gilt den Gesegneten, die es in ihrer Brust bergen, noch das zeitliche Elend oder der Tod? Wie immer wieder die Sonne mächtig wird und die Erneuerungen des Frühlings erschafft, so wird in den Herzen immer wieder die Liebe aufbrechen, das macht die Fremdesten zu Brüdern, die Einsamen zu fröhlichen Gefährten und schließt die Verlassenen in eine unaussprechliche Gemeinschaft der Hoffnung ein. Das ist es, was ich erfahren habe, seit ich die Sonne und ihr Bereich kenne, aber ich weiß wohl, daß ich es nicht erklären und benennen kann. Es ist eine himmlische Ungeduld in mir voll Seligkeit, das Herz pocht und pocht, erst seit ich weinen kann, höre ich seinen Schlag. Es klingt warm, voll Angst, bald ist mir, als versänke es in Dunkelheit, dann wieder vermag ich sein Strahlen nicht zu fassen, und ich weiß, es wird blühen! Ich weiß es, wenn ich die Knospen auf den Wiesen sehe, oder den Vogelgesang höre, das Lachen der Menschen oder ihre Klage. »Es wird alles, alles gut,« pocht das Herz, »du sollst noch viel Größeres erfahren!«

Der Elf schwieg, und wie beschämt von seiner eigenen Kühnheit senkte er sein Haupt, und ein schüchternes Lächeln kam in seinen Zügen auf, ein wehmütiges Lächeln der Zuversicht. Ach dies Lächeln! Könnte ich es mit meinem Geist erfassen und über eure Herzen ausschütten, wie Gott seinen Sonnenschein über die blühende Frühlingserde strömen läßt, für den Preis meines Lebens, ich täte es!

Kaum hatte der Elf seine Worte beendet, noch ging wie eine Woge das Erstaunen aller durch den Saal, da geschah das Wunder, daß sich in seinem Haar und um seine Stirn ein sanftes Glühen erhob, das, obgleich es milde und freundlich war, doch stärker erstrahlte als alles Licht des funkelnden Saals.

»Die Sonne!« schrie die Königin laut und sprang in hellem Entsetzen empor, »die Sonne!« Sie erhob ihre Hände und rief ein gewaltiges Zauberwort, unter dessen Klang der Saal erbebte, und das magische Licht ihrer alten Welt und mit ihr der unterirdische Raum und das Heer der erschrockenen Elfen versanken in grausige Erdtiefe, abgelegener und ferner, als die Sinne ermessen können. Es wehte kühl und traurig aus der Finsternis über den Elfen hin, und er vernahm aus der Nacht, die ihn umgab, eine dumpfe Klage, wie sie zuweilen vor dem hereinbrechenden Föhn schaurig über die Eisdecke der Gebirgsseen hinhallt. –

Am hereinbrechenden Morgen weckte das Tageslicht der Erde den Elfen. Er fand sich unter Farren im Moos liegen, zwischen den großen Wurzeln des Baums, der den Eingang zum Elfenreich hütete. Er richtete sich mit Taumeln auf und sah voll tiefen Erstaunens in das Morgenrot, das zwischen den Stämmen leuchtete. So war er nun dem alten Heimatreich für immer entrückt, sein Zauber hatte die Gewalt über ihn verloren, und es war ihm nach seinem Willen geschehen, nun unter den Sterblichen der Erdoberfläche ein Vergänglicher zu sein, wie die anderen alle.

Als die Sonne ihr funkelndes Strahlengold über die heitere Landschaft ergoß, als die fernen Seen aufblitzten wie silberne Himmelreiche, im Morgenrauschen der Wälder verloren, als die ersten Stimmen der erwachenden Tiere ihn begrüßten und der Tau seine Stirn kühlte, zog ein froher Mut in sein Herz ein. Mit Singen erhob er seine Flügel und flog durch den Morgenglanz der erfrischten Welt auf die Waldwiese zurück, zu den Pflanzen und Tieren, den Freunden seines Lebens.


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