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Anno Domini siebenundfünfzig erreichte die politische Influenza des Königs ihre Krise mit hohen Fiebergraden und Deliriumsymptomen. Er, der in allen großen Dingen jämmerlich zu Kreuze kroch, wollte sich jetzt mit Europa schlagen wegen »seinem« Kanton Neuenburg oder richtiger Neuchâtel, da kein Mensch dort deutsch reden will. Vor fünf Jahren hatte das Londoner Protokoll zwar festgelegt, dies Stück Schweizer Erde solle bei Preußen bleiben. Doch die Eidgenossenschaft ließ sich solche Unnatur nicht aufhalsen, sondern bezog den Kanton in sich ein und erwies sich so störrig wie der Stier von Uri gegen alle Proteste und Drohungen, die zugleich das Asylrecht für die Achtundvierziger antasten wollten. Und als die an Preußen hängenden Royalisten Neuchâtels einen mißglückten Putsch versuchten, warf man sie ins Gefängnis und verklagte sie auf Leib und Leben.

Hochauf schwoll der königliche Zorn, der preußische Adler schrie durchdringend: »Das ist der alte Geist der Revolution! Die Schweizer Demokratie ist eine Pestilenz, die strenger Kur bedarf. Man muß die Pestbeulen ausbrennen. Ich mobilisiere.«

Auf einem pomphaften Diner, das Otto dem neuen russischen Gesandten Fonton geben mußte, war von nichts anderem die Rede, sofern nicht die zwanzig Nummern des Menus und die fremdartigsten Weine das befriedigte europäische Gleichgewicht dieser echten Staatsmänner auf sich zogen. Er beschwichtigte, die Sache werde sich schon beilegen. Daß Rußland dies kostspielige Diner einsteckte wie jede andere Bestechung, ohne sich zu revanchieren, daß die anderen Großmächte sich den Mund wischen und draußen auf den freundlichen Gastgeber Preußen sticheln würden, wußte er sehr gut. Mit komischem Entsetzen besah er sich nachher die leergebrannte Stätte. »Diese Geld- und Stoffverwüstung! Doch ob Christian oder Itzig, das Geschäft bringt's halt so mit sich.«

»Du wirst uns noch arm fetieren«, knauserte Johanna.

»'s langt schon. Mein Pächter in Schönhausen zahlt jetzt prompter. Preußen darf sich nicht lumpen lassen, die verdammte preußische Sparsamkeit hat uns damals in Dresden genug geschadet. Der große Schwarzenberg in seiner Salomonischen Pracht, und der kleine Manteuffel, der wie ein Kanzleidiener aussah!«

»Das tust du freilich nicht, aber du warst immer ein Verschwender«, schmollte sie.

»Bin ich auch, halte aber doch mein Gut zusammen. Zieh' ich mich auf mein Altenteil zurück als verbrauchter, abgeschliffener Staatsbeamter a. D., werden die Bengel noch nicht bankrott sein und Mariechen eine anständige Aussteuer bekommen.«

»Höher versteigen sich meine Wünsche nicht«, seufzte sie bescheiden. »Doch wir geraten noch in Schulden, wenn kein Wunder geschieht.«

»In Schulden stehen wir immer, bei Gott nämlich, der uns täglich Darlehen spendete. Und in Wundern stecken wir mitten drin,« setzte er mit gewaltigem Ernst hinzu, »z. B. daß wir geboren werden und sterben, daß wir Bäume und Gras als grün sehen, was sie gar nicht sind, weil das unsern Augen zuträglich ist, oder daß unser kleines Gehirn die Welt umfaßt. Diese ungeheuren Wunder können wir auch nicht erklären, wir haben uns nur daran gewöhnt, doch wenn ein Phänomen das gewöhnliche Geleise übertritt, ist es ein Wunder, also unwahr, abgetan. Ich aber sage dir: es werden noch Zeichen und Wunder geschehen mit Hilfe des allmächtigen Gottes, und nachher wird man sie natürlich finden, o, so natürlich!« Unsägliche Bitterkeit lag in seiner Stimme. »Ja, und was ich sagen wollte: Der grüne Lampenschirm ist defekt, und der Pfropfenzieher muß repariert werden. Es war auch ein Loch im Ärmel der einen Livree.« Was Otto manchmal für eine Sprache führte! Fromm oder gottlos? –

Friedrich Wilhelm hätte zufrieden sein sollen mit den Früchten, die jetzt aus Ottos privater Berührung mit Kaiser Louis reiften. Ein Staat gewinnt allemal, wenn ein fremder Herrscher sich überzeugt, es befinde sich dort wenigstens ein Vernünftiger, mit dem man rechnen und Geschäfte machen könne. Bei Ottos sonderbarer Schätzung von Louis' Ethik sprach wahrscheinlich das geheimnisvolle unabänderliche Gesetz der Gegenseitigkeit mit, denn Louis hatte genau die gleiche Meinung von ihm: das sei ein ganz kluger, aber durchaus nicht so gefährlicher Mann von zuverlässigem, ehrenwertem Charakter. Man hatte ihm versichert, er habe es mit dem künftigen Ministerpräsidenten zu tun, und das erfreute ihn, mit dem wollte er sich gut halten.

Louis behandelte also den strampelnden und mordioschreienden König wie ein krankes Kind, sang ihm Eiapopeialieder und bedräute die böse Schweiz mit der Rute. Die ließ sich aber nicht einschüchtern, offen durch England und insgeheim durch Österreich unterstützt. Der Zar verhielt sich gleichgültig, sein monarchisches Prinzip hatte nichts damit gemein, nur Preußen blieb der dumme Don Quichotte, der auf Einhelligkeit der Monarchen in Prinzipienfragen baut, wo doch bei allen nur der besondere staatliche Eigennutz obwaltet.

Schon zuvor ging der unglückliche Nebelschieber wieder mit der Eingebung schwanger, Otto doch noch zum Minister zu erziehen. Und zwar sollte er ausgerechnet Finanzminister werden, so bilde er sich am besten zum Ministerium des Auswärtigen vor, das dann Manteuffel mit ihm tauschen könne, immer unter dessen eigener Beibehaltung des Präsidiums. Letzterer unterbreitete Otto ernsthaft diesen Vorschlag, der mit gleichem Ernst antwortete: »In der Tat, die Unterschriften Bodelschwinghs im Finanzressort könnte ich wohl auch liefern, da dessen Tätigkeit im ganzen eine unterschreibende ist. Alles, was ich nicht verstehe, werde ich unbedingt unterschreiben. Und da der Dechant von Westminster über Lord John Russel sagt: Der Mann würde auch eine Steinoperation übernehmen, und die Presse mir dies bei meinem Gesandtendebut unter die Nase rieb, warum sollte man ihr die Gelegenheit rauben, auch jetzt schlechte Witze zu machen?«

Bald darauf ermahnte ihn der König: »Also man hat bei Ihnen nichts ausgerichtet, Sie haben uns geradezu ausgelacht? Aber wenn ich Ihnen jetzt befehle, das Portefeuille Manteuffels zu übernehmen?«

»Majestät, das kommt mir sehr unerwartetet.« Otto bekam einen tödlichen Schreck. Aber als der König mit der Faust auf den Tisch schlug:

»Und wenn Sie sich an der Erde winden, Sie sollen und müssen Minister werden!« so daß alle an der Tür Horchenden es herumtragen konnten, verschwand seine Befürchtung. Denn sowie der König die gepanzerte Faust zeigte und große Worte brauchte, wurde bestimmt nichts daraus, und er wollte bloß seine eigene Ungewißheit animieren in diesem Falle überhaupt nur Mannteuffel einschüchtern, der im Neuenburger Wahnwitz nicht recht Order parierte. »Na, Ihr geschätzter Bonaparte benahm sich ja bisher honett. Seit der Moniteur vom vorigen Dezember unsere Mäßigung und Höflichkeit lobte, hält er zu uns. Aber die geplante Konferenz in Paris schreitet nicht vor.«

»Nicht durch übeln Willen des Kaisers. Wieder bindet uns Österreich die Füße.« Der König schob schmollend die Unterlippe vor, davon mochte er nichts hören.

»Es ist eben unser Unglück, daß wir bisher nur für Mächte bündnisfähig sind, deren Interessen sich kreuzend den unsern widersprechen. Zynischer als Österreich kann man doch wirklich nicht aller Welt kundgeben, daß man ein gebotenes, natürliches Lebensinteresse darin sieht, Preußen zu ducken und sein Erstarken niederzuhalten.«

»Aber das Prinzip! Das heilige, monarchische Prinzip!« rief der arme Hohenzoller, die Augen gen Himmel, als befürchte er dessen Einfallen. »Österreich wird doch gerade in diesem Falle – es beweist in letzter Zeit gerade so löbliche Tendenzen zu antirevolutionärer Straffung der Staatsgewalt.«

»Majestät meinen die zentralistische Tendenz? Es dürfte interessieren, daß der Kaiser der Franzosen,« der König verzog bei diesem Titel das Gesicht, »mir gegenüber sein Erstaunen ausdrückte, der Habsburger Staat strenge sich an, in eine Mausefalle zu geraten, aus der herauszukommen sein, des Empereurs, eifrigstes Bestreben sei.«

»Wie das?« Friedrich Wilhelm horchte gespannt. Alles was auf Allgemeinbegriffe sich zuspitzte, berührte seine echtdeutsche metaphysische Auffassung.

»Zentralisierung sei die Wurzel alles Übels in Frankreich. Zu guter Letzt sei dabei ein Genedarmerie-Sekretär der Drehpunkt.« Diese geistreiche und tiefe Bezeichnung wiederholte Otto mit wahrem Behagen. Der sehr unfranzösische Louis Napoleon mit dem philosophischen Einschlag seiner halbgermanischen, schwerblütigen Abkunft, grundverschieden von der dantesk monumentalen Weltklarheit des korsischen Mahatma, der weder Lateiner noch Germane, sondern ein Urmensch war, rief gerade deshalb eine teilweise Verständnisinnigkeit Ottos hervor. So erklärt sich die Anziehung beider Männer, so auch die lange Täuschung des einen.

»Aber Zentralismus ist ... Absolutismus«, murmelte der König halb schamhaft.

»Demokratischer Zäsarismus«, behauptete Otto. »Ich weiß aus besten Quelle,« fuhr er rasch fort, »daß Österreich in Karlsruhe und Darmstadt Himmel und Erde in Bewegung setzt, den Durchmarsch unserer Strafexpedition nach der Schweiz zu verhindern. Auch warf ich bei dem Kollegen Ingelheim, dem österreichischen Gesandten in Hannover, einen raschen Blick, waren's auch nur Sekunden, auf eine Zirkulardepesche vom 23. Dezember an alle Mächte, die gegen unsern Einmarsch in die Schweiz Schritte zu tun empfahl.«

»Was meinen die Wiener damit?« rief der König zornrot. »Sind sie verrückt geworden? Geht es denn nicht gegen den allgemeinen Feind der Menschheit, die Revolution?«

»Man folgt nicht dem Gedankenflug Eurer Majestät«, berichtete Otto trocken. »Man meint, es ginge gegen die Schweizer Integrität. Denn für so ... edel hält man uns nicht, dann nicht Kompensationen in reichem Umfang zu nehmen, z. B. die Kantone Basel, Schaffhausen, vielleicht auch Thurgau zu annektieren.«

»Die Elenden! Wie sie die Vornehmheit eines wahrhaft hohen politischen Standpunkts verkennen! Nicht um schnöden Erwerb geht es hier, sondern um die höchsten Güter der Menschheit, Thron und Altar, um die Solidarität des göttlichen Rechts gegen demagogischen Umsturz. Verkünden Sie überall der Welt, daß Preußen nichts will als moralische Eroberungen!«

»Halten zu Gnaden, Majestät,« wandte Otto ein, Unwillen und Lachlust zugleich bemeisternd, »auch das beruhigte nicht Österreichs Eifersucht. Es mußte selber früher klein beigeben, als es Mazzinis Auslieferung vom Kanton Tessin forderte. Reüssieren nun wir, so hebt sich unser Prestige gewaltig bei allen deutschen Höfen, und wir knüpfen engere Beziehung zu Süddeutschland, wo Österreich nicht in den Hintergrund treten und die zweite Geige spielen darf.«

»Ich sehe mit Genugtuung, daß Sie auch für starkes Auftreten sind, da Sie mir die Vorteile desselben indirekt schildern.«

»Ich tue dies, weil es nicht mehr anders geht, sonst verfahren wir wieder den Wagen. Frankreich setzt sich für uns ein, und wenn wir jetzt es bei bloßen Worten beließen, würde es vor unserer Macht, ob als Freund oder Feind, wenig Achtung empfinden.«

»Ach so, zarte Rücksicht auf die Gefühle Monsieur Bonapartes!« Der König rümpfte hochmütig die Nase. »Daher weht der Wind. Das könnte mich bewegen, innezuhalten. Ich mache Ihre politischen Nouveautés nicht mit, ich dulde in meinem politischen Warenlager nur die alte bewährte Kleidung. Und wenn ich bedenke, daß die in Bonaparte verkörperte Revolution auf unserer Seite steht, und wir das altehrwürdige Österreich gegen uns haben, dann – Adieu, mein Bester, wir wollen den Fall beschlafen.«

Der kopfscheu gemachte und stutzig gewordene König, dem vor allem der auf diesem Punkt pathologisch belastete General Gerlach die bekannten doktrinären Flöhe ins Ohr setzte, beschlief die Sache so lange, bis Österreich richtig eine Konferenz der Großmächte in Paris durchsetzte, die entscheiden sollte, ob preußische Exekution zu gestatten sei oder nicht.

*

»Sieh doch, wie Bismarck sich kindisch benimmt! Da walzt er mit seiner Schwester Malle wie ein Referendar!« brummte Robert v. d. Goltz seinem Bruder, dem eleganten Frauenjäger, ins Ohr. »Jaja, in Frankfurt verlernt man den Ernst des Lebens und das Arbeiten.«

»Na höre, das möchte ich doch nicht beschreien!« lächelte dieser, sein Monokel ins Auge klemmend. »Die Arnim hat übrigens viel Rasse. Vorhin sah ich, wie er mit unserem verehrten Gastgeber tuschelte.« Es war Ball auf der französischen Gesandtschaft. »Er walzt ja gut, aber ich glaube, in Frankfurt tanzt er mit Österreich sehr niedlich Polka Masurka. Herrje, da stellt ihm Pourtalès seine Neuenburger Royalisten vor, die paar nämlich, die man in der Schweiz freigelassen hat, nachdem sie ein paar Monate brummten. Die Rädelsführer haben sie noch feste.«

»Pst, nicht so laut! Na, Bismarck ist ja verdammt kühl. Er würdigt nicht das unermeßliche Verdienst dieser verfolgten preußischen Brüder, von denen keiner ein Wort Deutsch spricht oder sprechen will. – Ah, wie geht's?« begrüßte er den Vorüberschreitenden. »Sie scheinen die Ritter ohne Furcht und Tadel recht unsanft abgewimmelt zu haben.«

»Grüß Gott, Goltz. Ja, die Leute treten mit einer Prätension auf, auf die ich den Fuß drücke.«

»Das muß unangenehm sein, Sie lebten immer auf so großem Fuß, Otto«, näselte eine aristokratische Stimme. Sein Jugendfreund, Harry Arnim, immer noch Gesandter zweiten Ranges, stand vor ihm. »Gratuliere zu Ihrem Sukzeß in Frankfurt, alter Freund. Welcher Eklat!«

»Gratuliere zu Ihrer Verlobung, Harry, mit Ihrer Kusine Sophie.«

»Ah, meine liebe Selige band mir aufs Herz, recht bald wieder zu heiraten. Das Joch der heiligen Ehe ist sanft. Doch was höre ich! Sie verschmähen die ritterliche Hingebung unserer edlen Neuchâteler? Unser Dank –«

»Müßte recht bescheiden sein. Kam da jemand mit brennendem Streichholz für meine Zigarre, steckte der ungeschickte Kerl mir das Haus an, das nenn' ich Diensteifer.«

»Aber was wird nun werden!« forschte Goltz.

»Vielleicht eine Blamage, weil wir uns nicht schnell genug entschließen.«

»Die Waffen zu erheben?«

»Ja ... mit Vorbehalt. Schlafen Sie wohl! Hoffentlich auch ich. Aber mir wohnt Meyerbeer und komponiert eine wildgewordene Musik bis spät in die Nacht. Morgen geht's heim zum Main.« Er atmete tief auf. – – –

»Daß ich dich wieder habe, mein süßes Lieb, und die Kinder! Das war wieder ein böser Berliner Saisontrubel. Malle läßt grüßen, kommt nächstens mal her. Moritz Blanckenburg ist wieder ganz auf dem Posten mit Gott für König und Vaterland, seine junge Frau Magdalenchen hat den Arm gebrochen, und er selber bricht sich fast die Zunge als Perle unserer konservativen Kammerfraktion, wenn er gegen diese demokratische Regierung donnert, die uns Gutsbesitzern zu viel Steuern abnimmt.« Er lachte, wie weit lag der Kram hinter ihm!

»Pfui, wie boshaft, Ottochen! Sei man gut! Und wo sind meine Blaukehlchen?«

»O weh, keine Gardinenpredigt! Alle Kommissionen habe ich besorgt, nur die konnt' ich nicht auftreiben. Nun, Fräulein Sauer,« wandte er sich an die Gesellschafterin oder Stütze der Hausfrau, »waren die Bengel hübsch unartig?«

»Danke, ich kann nicht klagen. Bill glaubt aber immer, daß jedes Geschenk an die Kinder ihm allein gehört.«

»Schlägt nach dem Vater«, hauchte er elegisch. »Ein Egoist wie ich! Doch hoffentlich prügelt er sich viel. Ich hasse zu artige Kinder. Das männliche Geschlecht ist da, sich zu prügeln, das weibliche, ihm die Augen auszukratzen.« –

Rechberg biederte den preußischen Kollegen nach dessen Rückkehr an: »Haben's ja recht, aber trauen's denn Ihrem neuen Spezi in Paris? Der will Sie nur aufs Glatteis locken.« Er erfand aus dem Stegreif allerlei Mordsgeschichten, wie der Empereur bis Dessau seine Fäden spinne und einen süddeutschen Sonderbund gegen Preußen gründen wolle. Das hatte er alles, auf Kavalierparole, aus wunderbaren Quellen, wobei er auch von (von Österreich arrangierten) Machinationen Palmerstons dunkel munkelte. Letzterer hatte freilich hohnlachend in London geäußert: »Preußen wird sich umsonst Kosten machen, die Schweiz wird die Gefangenen verurteilen und dann amnestieren, womit die Posse aus und Preußen um seine Kriegsauslagen betrogen ist.« Das erfuhr er aus Hannover. Spornstreichs lief Otto zu Montessuy.

»Ein kurzes Wort. Ich weiß, daß alles unwahr ist, was Rechberg mir vorschwatzte. Doch ich muß offizielle Gewißheit haben.«

Er erzählte. Montessuy lachte. »Immer der alte Kniff. Sie sollten doch Ihre Wiener Freunde nun kennen. Nicht als Gesandter, sondern als persönlicher Freund schwöre ich Ihnen, daß der Kaiser die allerbesten Absichten hat. Er mag beiläufig Sie persönlich gern und erwartet viel von Ihnen. Der Konferenz konnten wir uns nicht entziehen, zuguterletzt schmeichelt es uns ja auch, immer als Schiedsrichter Europas aufzutreten. Aber die Absicht ist gut. Lesen Sie!« Er zeigte ihm verschiedene Geheimdepeschen, da dies den Plänen Napoleons nicht zuwiderlief. »Unser Gouvernement ist ganz für Preußen.«

Otto übernahm daher gern eine geheime Mission nach Paris, wo Hatzfeld offiziell Preußens Ansprüche vertrat. Natürlich nur eine einfache Ferienreise! Johanna konnte befreundeten Gesandtinnen seine Briefe vorlesen, worin von Pferderennen, Kneipen im Palais Royal, Theater, Teuernis seidener Damenroben und allen möglichen Dingen die Rede war. Der neue Mecklenburger Bundestagsgesandte Prillwitz als Reisebegleiter bürgte auch für Friedfertigkeit der Ferienreise, da der bestimmt nicht das Pulver erfunden hatte. Sogar ein Frankfurter Bourgeois namens Christ, der bei Bismarcks verkehrte, befand sich gerade dort und gab Auskunft über einzukaufende Regenschirme. In der steifen preußischen Gesandtschaft wohnte er diesmal wohlweislich nicht, sondern im Hotel de Louvres, Rue de la Paix, ungezwungen als echter Vergnügungsreisender. An Schwester Malle schrieb er auch nur, er sei des Vagabundierens satt, und ihre Information über sein Ministerwerden, womit sie die arme Manne erschreckt habe, sei Schwindel. Er wünsche bloß, ruhig in Frankfurt am Ofen zu sitzen. Paris sei hübsch, doch man friere bei fünf Kaminen.

Nur ein Mann in Frankfurt mißtraute dieser Ferienreise und hatte Grund dazu. Denn Otto hatte ihn beauftragt, alle seine Obligationen zu verkaufen.

»Was werd'n Se das tun, Herr Beraun, Exzellenz. Sind sehr gute Papierche. Werden Hausse haben.«

»Wenn Sie wüßten, was ich weiß, würden Sie anders denken.«

»Gott gerechter! Wird sein Krieg oder Revoluschon?«

»Weiß nicht. Also es bleibt dabei: verkaufen! Und dies bleibt unter uns, verstehen Sie, sonst ist's mit unserer Freundschaft aus. Adieu, ich habe es eilig.«

Wenn Rothschild dies ernste Symptom in Frankfurt herumgeboten hätte, wäre es Otto nicht mal unlieb gewesen, damit Österreich den Ernst der Lage erführe und nicht an Spiegelfechterei glaube. Doch der weise Rothschild nahm es nicht ernst. Werd' ich mer hüten, ssu ersseugen eine Panique, was is wie eine Cholique an de Börse. Gott Abrahams, is der Herr v. Bismarck doch ä so bedaitender Mann und glaubt wärklich an de Meschuggen in Berlin, daß se diesmal werden sein helle. Nix wird werden, nix, wie immer. Nur der kute Herr v. Bismarck, und er hat auch 'ne kute Frau, 'ne fraindliche Frau, wird sein ärmer um scheene Dividendche und wird klagen wie Jeremias: Weihgeschrien, wo sind se hin, meine güldenen Gulden? – Dieser Prophet des alten Bundes kannte sich aus in der Welt, in Moses und den Propheten. – –

Otto traf den Kaiser natürlich rein »zufällig«, und zwar bei der alten Großherzogin Stephanie von Baden, Nichte Josefine Beauharnais' und adoptierte kaiserliche Prinzessin, für welche ihr Onkel, der korsische König der Könige, mehr als verwandtschaftliche Zuneigung gehegt haben sollte. Sie hatte als deutsche Fürstin sehr schwere Dinge erlebt, blieb aber wohlauf und munter in ihrer anmutigen Lebhaftigkeit, noch als alte Dame bezaubernd. Otto sang ihr Lob in allen Tönen. Auch seine alte Gönnerin, Lady Cowley, traf er hier als Gesandtin, die sich lebhaft nach seiner guten Frau erkundigte.

Übermorgen ist ihr Geburtstag, morgen ist Karfreitag. Da werde ich in die protestantische Kirche pilgern. Sie liegt recht entlegen und heißt hier Tempel statt Kirche, soll wohl was ähnliches wie Synagoge oder Judentempel im Sprachgebrauch bedeuten. Dort will ich herzlich beten, daß er ihr alle Liebe und Treue vergelte. Blaukehlchen, die sie haben möchte, kann ich ihr freilich auch aus Paris nicht mitbringen, hier gibt's nur exotische Schreihälse mit blauen Federn, aber ein Herz voll Dank und Treue.« Das sagte er so ruhig und schlicht, daß die Britin ihm gerührt die Hand drückte.

»Diese Deutschen haben ein so tiefes Gemüt«, erzählte sie ihrem Gatten.

Cowley brummte mißtrauisch: »Eben deshalb glaub' ich nicht an die Ferienreise. Der bummelt nicht nach Paris, um sich zu amüsieren. Auf dem Pferderennen war er nicht, es sei ihm zu teuer. Ich glaube, der hat hier teurere Sachen vor.«

»Das widerspricht sich doch. Der Mann ist ein Engel von einem Hausvater und beschaut sich in diesem scheußlichen Aprilwetter die Bäume am Boulevard, ob die jungen Knospen nicht Schaden leiden. Und dabei soll er ein Macchiavelli sein?!«

»Macchiavelli, meine Teure, war ein Italiener, und dieser ist ein Deutscher. Die Deutschen sind als Diplomaten unbrauchbar, doch warum sollten sie nicht mal eine besondere Spielart hervorbringen? Ein merkwürdiger Mann, unser Freund. Ich höre von Malet, er hat's immer noch mit der Biederkeit und Offenheit und erreicht damit mehr als der schlaueste Lügner. Tatsächlich erinnere ich mich nicht, daß er je die Unwahrheit sagte. Das achte Naturwunder! Ein Diplomat, der nicht zu lügen weiß! Man sollte denken, er wäre damit ein unmündiges Kind in den Händen der anderen. Good gracious! Die anderen können froh sein, wenn sie aus seinen Händen lebendig hervorgehen. Außer den Österreichern und ihrem Troß hat ihn im Grunde jeder gern. Und doch!«

»Sagte ich dir nicht immer, er sei »im Grunde« ein höchst gefährlicher Mann?«

»Das hast du gesagt, Frances, zu einer Zeit, wo man unmöglich auf so etwas schließen konnte. Das hatte keine Logik.«

»Natürlich! Die Männer buchstabieren A bis D hintereinander, und die Frauen springen von A auf F. Das ist ihr Mangel an Logik.«

Diesen Vorsprung der weiblichen Intuition haben die Frauen seit Eva gekannt. Wäre Lord Cowley ein Franzose gewesen, so hätte er seiner Dame die Hand geküßt und sie hernach »liebes Kind« genannt. (Das bringt immer die Götter zu olympischem Gelächter, wenn ein Mann die Mutter der Menschheit »liebes Kind« nennt). Sintemalen er aber ein Engländer war, nickte er vertraulich und ließ sich zu der bedeutenden Bemerkung herab: »Die Frauen sind sehr klug, indeed

Das war auch die alte Stephanie, die sofort Sonnenschein verbreitete, wenn sie einst als Fürstin in ein deutsches Damenpensionat hochgeborener Töchter trat: » Mes demoiselles, me voilà encore!« Sie wollte diesem famosen Kerl sehr wohl, den sie sofort in ihr großes mütterliches Herz schloß, und machte sich diskret unsichtbar, wenn ein leises Klopfen an einer Geheimtür den wahren Zweck der Bismarckschen Besuche ankündigte, dessen aufrichtige Verehrung sie sonst erkannte. Man wählte ihre Wohnung für Stelldicheins des Herrschers mit dem Gesandten. –

» Ça ne marche pas, mon cher monsieur!« teilte der Kaiser verdrießlich mit. Er redete grundsätzlich nie Deutsch mit Otto, obschon er es fließend sprach. Deutschreden im Doppelsinn des Wortes war überhaupt nicht nach seinem Geschmack. »Ich nehme keinen Anstand, Ihnen zu verraten, daß außer England, dessen Gesinnungen Sie ja kennen, auch Rußland sich verteufelt lau benimmt. Der neue österreichische Botschafter Hübner –«

»Pardon, Sire, ich möchte Sie vor unnötiger Indiskretion bewahren. Die gebundene Marschroute, mit der dieser Herr über preußische Interessen fortstampft, ist mir Etappe für Etappe bekannt.«

Der Kaiser lächelte halb schwermütig, halb boshaft. »Vielen Dank für diese Delikatesse! Das Ende vom Lied sehen Sie ja wohl voraus.«

Otto besann sich einen Augenblick. »Nicht ganz, Sire. Sie waren in allem die Güte selbst. Gestern unterbreitete ich den Vorschlag, ob Sie, da man uns für Durchzug in Baden Steine zwischen die Beine wirft, ihn durchs Elsaß gestatten.«

Louis strich melancholisch seinen Knebelbart, ohne zu lächeln, und hauchte wie ein verliebter Selbstmörder, der seinen letzten Odem ausstößt: »Darf ich mir die einzige Frage erlauben, ob dieser sublime, obwohl etwas phantastische Vorschlag Ihrem Kopfe entsprang?«

Otto biß sich auf die Lippen. »Gewiß nicht, Sire.«

»Damit ist alles gesagt. Meine Franzosen würden bis an die Decke springen. Doch im übrigen billige ich das Unternehmen, dies Schweizer Demokratennest zu zerstören.«

»Und doch deuteten Eure Majestät vorhin an, wenn ich recht verstand –«

»Sie haben ganz recht verstanden. Ich wäre zu allem bereit gewesen, wenn Ihre Regierung nicht zu viel Schwäche bewiese. So aber sprach heute eine Note meiner Regierung die Hoffnung aus, daß Preußen an der Pforte des Krieges einhalten werde. Ich mag nicht nachher allein auf dem Plan bleiben, während sie, für die ich mich opfere, plötzlich abfallen und sich jeder Bedingung fügen. Die Schweiz wird die Gefangenen gehen lassen, und damit ist die Affäre erledigt.«

Otto saß stumm und starr. Immer die blamierten Mitteleuropäer! Eine neue Ohrfeige! »Wir haben dann keine Wahl und unterwerfen uns der Notwendigkeit.« Doch Louis legte vertraulich seine Hand auf Ottos Arm.

» Passons là-dessus! Lassen Sie uns jetzt von Vernünftigem reden! Natürlich auf Diskretion, Offenheit gegen Offenheit. Wollen Sie?«

»Sire, ich bin bereit.«

»Sie werden nicht leugnen, daß ich Preußen viel Wohlwollen und Neigung zu intimer Freundschaft bewies. Eine Güte ist der andern wert.«

»Es kommt auf das Maß an.«

»Ich merke schon, Sie argwöhnen, daß ich nach der linksrheinischen alten Grenze strebe, ich meine«, berichtigte er eilig, »die eigentlich junge Grenze von 1793 bis 1814. Beruhigen Sie sich! Diese drei Millionen Einwohner uns anzugliedern, wäre strategisch unhaltbar, wenn wir nicht gleichzeitig Holland und Belgien unter unsere Botmäßigkeit brächten. Solchen Machtzuwachs würde Europa uns nie gönnen, eine Koalition würde es uns wieder abnehmen. Das konnte Napoleon I. wagen, nicht ich. Eine kleine Grenzberichtigung vielleicht, um unseren Nationalstolz zu sättigen –«

»Auf fremde Kosten!« entfuhr es Otto.

»Das tut man meist im Leben«, seufzte der gute Kaiser elegisch. »Ich könnte auch ohne solche kleinen Geschenke leben, die zwischen uns die Freundschaft erhielten. Mein nächster Krieg, wenn ich eines solchen bedürfte,« er richtete den verschleierten Blick fest auf Ottos unbewegtes Gesicht, »würde sich nach Süden lenken. Italien ist uns immerhin verwandt, lateinische Rasse, und hat Küsten, Möglichkeiten einer Seemacht. Wir brauchen keine Landsiege, doch wir müssen eine große Seemacht werden. So etwas kitzelt die französische Phantasie, denn es wäre etwas neues, was Napoleon I. nicht bieten konnte. Gerade weil wir keine guten Matrosen sind, wäre uns Seeherrschaft am schmeichelhaftesten. Ich denke mir das Mittelmeer als französische See, nicht ganz, aber doch beinahe. Da Rußland ähnliches planen könnte, ließ ich Zerstörung der Schwarzmeerflotte zu, obschon –« Er brach ab, und Otto ergänzte heimlich: obschon es ihm nachträglich leid tut, dem perfiden Albion diesen Spaß gegönnt zu haben, das er aber sonst in den opferreichen Krimkrieg hineinlockte, nur zu Frankreichs Vorteil. »Ich wünsche Erwerbung einiger Flottenstützpunkte in Italien, das ich in meine Klientel aufnehmen möchte. Was brauche ich dafür? Nur Preußens Einwilligung. England fürchte ich nicht, auch darf es sich mit mir nicht deshalb entzweien, denn Restauration Italiens steht ja auf seinem eigenen Programm. Rußland wird Österreichs Undank nie verzeihen und keine Hand rühren, wenn ich losschlage. Dagegen könnte Preußen mir sehr unbequem sein. Das übrige Deutschland macht mir keine Sorgen, es würde sich nie gegen Preußen auflehnen, sobald Österreich durch mich gefesselt. Es schien mir stets ein politischer Fehler, daß Preußen nicht 1805/06 sich an Frankreich anschloß, wodurch es seinen – damaligen – Untergang herbeiführte.«

Louis sprach langsam, jedes Wort betonend, als eine drohende Warnung. »Was half ihm Rußland, das durch Preußen selber vom Hauptteil Deutschlands getrennt ist? Nur Frankreich kann in Deutschlands Geschicke dreinreden.« Nur zu wahr! Jetzt kommt die Lockspeise. »Preußen muß sich arrondieren durch Hannover, wie es ja damals schon mein erhabener Onkel anbot, ich füge Schleswig-Holstein hinzu. Hierdurch erhält es auch Möglichkeit zur Seemacht zweiten Ranges, die mit uns vereint Englands maritimer Übermacht ein Gegengewicht gibt. Was sagen Sie dazu?«

»Weitausschauende Pläne, Sire. Im wesentlichen also gegen England gerichtet?«

Louis schwieg, er scheute solche plumpen Fragen. »Sie stehen auf vertrautem Fuß mit Ihrem König. Sondieren Sie ihn über Neutralität, wenn nicht mehr, falls ich Österreich angreife.«

Eine kurze Pause trat ein, dann holte Otto tief Atem und sprach mit ruhiger Bestimmtheit: »Daß Eure Majestät gerade mir Ihre Intentionen eröffnen, macht mir doppelte Freude. Denn ich sehe darin einen unendlich gütigen Beweis Ihres besonderen Vertrauens, zweitens bin ich wohl der einzige Diplomat, der dazu fähig ist, diese ganze Darlegung ein für allemal zu verschweigen

»Wie?« Louis öffnete sein schläfriges Auge mit einem unbestimmten Blick.

»Allerdings. Ich wäre ebenso töricht wie unehrenhaft, wenn ich, Sire, Ihnen verhehlen wollte, daß mein König niemals anders als ablehnend darauf antworten würde. Über die Gründe muß ich schweigen, doch dem ist so. In solchem Falle scheint mir irgendwelche Indiskretion unvermeidlich. Es liegt nicht in der menschlichen Natur, einem Freunde oder Bundesbruder, wie nun immer der König das Haus Habsburg betrachten mag, nicht vorzuhalten, welch lockende Gaben eines Versuchers man seinetwegen ausschlug. Käme dies aber aus, so würde jedes Einvernehmen zwischen Paris und Berlin gestört oder gar zerstört werden.«

»Das wäre ein Verrat.« Louis heftete einen langen Blick auf das ernste, unveränderlich ruhige Gesicht ihm gegenüber. »Sie sind kein Verräter, dafür verbürge ich mich. Ich danke für Ihren Freimut, der meine hohe Meinung von Ihnen erhöht, und weiß, Sie werden schweigen.«

... Otto schritt den breiten, neuen Boulevard Haußman entlang, getauft nach dem feilen Präfekten, einer Kreatur dieser Cloaca Maxima, eines Reiches glänzender Fäulnis. Ein Regensturm peitschte durch die Bäume und entführte ihm beinahe den Hut vom Kopfe. Seiner hohen Gestalt sahen verschiedene Kokotten mit verheißungsvollem Lächeln nach.

Führe uns nicht in Versuchung! Hebe dich weg von mir, Satanas, du bist mir ärgerlich. Uns von Frankreich etwas schenken lassen! Eher gehe der Rhein hoch mit Blut oder noch besser die Seine und Marne! Hannover, Schleswig-Holstein, wie genau man unsere Bedürfnisse kennt! Mit dir vielleicht, o Divus Caesar, durch dich niemals. – Der Wind pfiff höhnisch über die Jenabrücke.


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