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Mit stiller Ironie betrachtete Otto die Selbstbenennung seines Gasthofs, wo er wieder einkehrte: »Römischer Kaiser«. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ging von den Staufen auf die Habsburger über, und wenn längst das Wesen schwand und sie die Bürde niederlegten, so bewahren sie in Gedanken den Titel. Sie pflegen auch noch verwandtschaftliche Beziehung zu Spanien, trotz der gewechselten Dynastie, als lebte noch das Reich Karls V., und sind des Papstes liebste Schildgarde. Ein katholischer Islam.

Nun ja, auf der Karte nahm sich die Zentralmacht Deutschland-Österreich stattlich aus, einst sogar Holland und Schweiz, bis zur Jahrhundertwende Belgien in Händen, so daß weder Türken noch Franzosen als Eroberer auf die Dauer diesem Block gewachsen waren. Auch die Französische Revolution und Napoleon selber hätten uns nie niedergeworfen, wenn alle Deutschen und besonders Preußen fest zu Österreich standen, das sich erstaunlich anstrengte, und daß wir nachher nur mit russischer Hilfe Meister gingen, schadete unberechenbar. Aber wie konnte man von uns Norddeutschen erwarten, wir sollten uns für dies erzkatholische Erzhaus erwärmen, das uns den Dreißigjährigen und Siebenjährigen Krieg bescherte? Schreit nicht ewig die Zerstörung von Magdeburg zum Himmel, hausten die Panduren nicht in Berlin ärger als die Russen? Was hat denn Österreich je beachtet als seine Hausinteressen? Deutschland war ihm nicht mal ein Stiefkind. Für den richtigen Austriaken hört Deutschland in Dresden und München auf, alles übrige ist ihm Fremdland. Die schwarz-gelbe Herrlichkeit in deutschen Gauen unterscheidet sich wenig von der Fremdherrschaft in Italien. Wir sind unterworfenes Ausland, nichts weiter, und wäre nicht Preußen, hätte Österreich längst wieder alle Deutschen für seine Selbstsucht ausgenützt. O, die Sünden dieses Reiches sind schwer, und alle Schuld rächt sich auf Erden. Wer weiß, ob dieser junge Kaiser, sehr unschuldig daran und gewiß von bestem Willen, nicht ausbaden muß, was eine lange Reihe von Ahnen verfehlt!

Anderseits, wenn man dies unnatürliche Zwinggebilde erst auf seine natürlichen Grenzen zurückdämmt, darf man ihm geschichtliches Verdienst nicht absprechen. Zu guter Letzt verbreitete Österreich noch deutsche Kultur bis in den fernen Osten und bleibt so ein Mandatar des gesamten Deutschtums. Es hält mit eisernem Reif, der wohl rostet, doch durch jahrhundertelange Gewohnheit sich den Völkern wie ein unzertrennlicher Teil ihres Körpers anpaßte, Slaven und Madjaren im deutschen Bannkreis, die sonst anderswohin gravitieren möchten. Nein, die Existenz des Donaustaates antasten und ihn zu sehr schwächen, wäre Selbstmord für uns. Und es hat ja auch sonst mancherlei Vorzüge. Nur 'raus muß es aus Deutschland, darüber bin ich mir klar. – Ach Gott, ich träume und zukünftle hier, und noch läßt rein gar nichts Verwirklichung hoffen. Ich werde nicht mehr erleben, das gelobte Land zu schauen, aber Gott nehme meinen guten Willen für die Tat. Einmal kommt es doch, wie ich's voraussehe, nur mahlen Gottes Mühlen zu langsam! – –

Die Wiener Presse, von oben her »suggeriert«, wunderte sich, warum Preußen nicht einen älteren erfahreneren Diplomaten schickte, um Aussöhnung mit Österreich herbeizuführen. Auch bohrten ihn die Damen des Meyendorffer Salons mit der so bewährten Wiener Naivität an: »Ei, Exzellenz sollen ja ein arg halsstarriger Herr sein. Die Männer sind manchmal so blöd. Wenn's was Hübsches zustand bringen, dann ihst Ihre Reputation gesihchert. Denken's an Ihre Frau Gemahlin, was die für a Freud' haben wird, wenn's große Karriere machen. Und, wissen's, Dekorationen sein's auch net zu verachtehn. Großkreuz von hohen Orden kommt manchmal wie die gebratenen Tauben im Schlaraffenland.«

Doch Otto lächelte nur. Erstens wollte er nicht Botschafter in Wien werden, was dann unausbleiblich der Fall gewesen wäre, zweitens könnten ihn sämtliche Orden der Welt nicht veranlassen, von seiner Pflicht nur nagelgroß abzuweichen. Freilich konnte die Wetterfahne in Berlin sich drehen und er lief Gefahr, eines Tages zu hören: Dieser starre Prinzipienreiter hat jeden Ausgleich verdorben. Na, dann hat er ihn verdorben und zieht sich wie der Römer Fabricius vor Versuchungen und Drohungen des Pyrrhus ins Landleben zurück. Die eigene Scholle kann man mir nicht nehmen.

Neulich hatte der hannoversche Gesandte ihn vertraulich gefragt, ob's denn wahr sei, daß er Manteuffels Nachfolger werde. Er klärte Graf Platen auf, dahin gehe nicht sein Ehrgeiz. Wohl vermute er, der König wolle ihn mal später zu seinem Minister erziehen, aber er selbst wünsche noch zehn Jahre lang als Gesandter die Welt zu studieren, und dann allerdings zehn Jahre lang Minister zu spielen, »womöglich mit Ruhm«. Und dann wolle er als Landwirt das alles verdauen und Obstbäume einsetzen. »Wie mein Onkel in Templin bei Potsdam.« Wenig ahnte er, daß Adolf Platen ihn für eine so wichtige Person hielt, dies halb im Scherz geführte Gespräch brühwarm nach Hannover zu berichten.

»Wir müssen rekapitulieren«, begann Graf Buol stockend und zögernd, er hatte sich erst letzthin gründlicher informiert. »Anno 1834 hat Preußen 18 deutsche Staaten und später noch manche anderen in einen Zollverein gesammelt. Es war der liebste Wunsch meines berühmten Vorgängers, Fürst Schwarzenberg, diese kommerzielle Union auf den Bundestag zu übertragen.«

»Ohne jede rechtliche Basis«, unterbrach Bismarck kühl. »Preußen betrachtet den Bund als eine reine Polizei- und Militärinstitution. Jede Ausdehnung über solche Funktionen hinaus ist widerrechtlich.«

»Wir wollen uns um akademische Rechtsfragen nicht streiten. Jedenfalls wünschte Österreich eine andere Zolliga zu veranstalten nach dem Muster des hannoverschen Steuervereins. Dieser schloß Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Lippe in sich. Indessen erzielte Preußen im September vorigen Jahres eine Fusion damit, ohne seine sonstigen Zollvereinsmitglieder zu unterrichten. Sie werden gestehen, daß diese heimliche und selbstherrliche Art besonders die süddeutschen Staaten aigrieren mußte.«

»Ich gebe gar nichts zu. Preußen als Präsident war in seinem Recht, und wenn sich einige Überempfindliche dabei übergangen fühlten, so erkennen wir Österreich das Recht nicht zu, deshalb einen großen Indianerkriegsrat nach Wien zu berufen, bei dem keineswegs die Friedenspfeife geraucht werden sollte.«

»Ich möchte Euer Exzellenz bitten, solche tudesken Vergleiche zu unterlassen. Die sogenannte ›Darmstadt-Koalition‹ hatte gute Gründe, die Vorschläge unseres Kabinetts anzuhören.«

»Politisch möglichenfalls, in deren Sinn verstanden. Kommerziell aber nicht, im Gegenteil. Und die öffentliche Meinung des Volkes war überall zugunsten Preußens.«

»Wie Euer Exzellenz sie zu bearbeiten beliebten«, flocht Buol giftig ein. »Die entsprechenden Informationen durch Graf Thun liegen uns vor. Sie taten das Menschenmögliche, die süddeutsche Presse zu beeinflussen.«

»Ich schmeichle mir«, bekräftigte Otto trocken. Ging er doch so weit, einen Gegenseitigkeitsverband der gelehrten und statistischen Vereine von Berlin mit denen von München, Stuttgart, Karlsruhe durchzusetzen und so »intellektuelle Sympathie« für Preußen zu erwecken.

»Nun, das Ende war also, daß die ›Darmstädter‹ einen vollständigen Zollverein wünschen auf Basis eines Präliminarvertrages mit Österreich. Wir sind dazu bereit, Sie lehnen ab.«

»Gewiß, wir verlangen völlige Zollunion aller deutschen Länder auf Basis unseres Einverständnisses mit Hannover, bevor wir in einen separaten Handelsvertrag mit Ihnen eintreten. Und wir werden diesen Boden behaupten.«

»Wozu dann eigentlich Ihre mission extraordinaire

»Um uns separat mit Ihnen auseinanderzusetzen. Wir sind nicht abgeneigt zu einem besonderen Handelsvertrag zwischen Österreich und Preußen, der sich nachher auf ganz Deutschland übertragen kann.«

»Jesus-Maria, nicht abgeneigt! Wir können warten.«

»Wir auch. Um offen zu sein: es fehlt an den gleichartigen Unterlagen, der Verbrauch ist schon in der deutschen Zollgemeinschaft verschieden und nur gutwillige nationale Einheit verbürgt die kommerzielle. Wo steckt aber diese zusammengehörige Freundlichkeit zwischen Ungarn und Galizien und vollends zwischen diesen und uns? Ich wüßte nicht wo.«

»Nun, ich glaube, die staatlichen Interessen – –«, hob Buol hochtrabend an, doch Otto unterbrach ihn:

»Pardon, das gilt hier nicht. Bei Geldsachen hört die Staatlichkeit auf, nicht nur die Gemütlichkeit. Österreich lebt von eigenen Produkten, nicht von importierten.«

»Das sollte doch gerade zugunsten der Zollgemeinschaft für Preußen sprechen, und die Ziffern sagen so aus.«

»Ein Irrtum. Sie würden uns mit Ihrem Überfluß billiger Lebensmittel überschwemmen und so die deutsche Landwirtschaft erdrücken. Dagegen bedarf mindestens Transleithanien so gut wie nicht unsern Export von Industrie und Handwerkswaren. Übrigens kann ich nicht umhin zu bemerken, daß die nichtdeutschen Beamten – – und das sind die meisten Ihrer Douane – – mir kein Vertrauen zu ihrer Redlichkeit einflößen.«

Buol sprang auf. »Das ist eine Beleidigung der k. k. Beamtenschaft.«

Otto blieb ruhig sitzen. »Nur meine unmaßgebliche Privatmeinung. Es kommt ja auch gar nicht darauf an, wie Sie dies auffassen, sondern was meine Regierung denkt. Zu einem eigenen Handelsvertrag wären wir trotz alledem erbötig gewesen, nicht aber dazu, wider besseres Wissen die Aufnahme Österreichs in den deutschen Zollbund zu genehmigen. Da Euer Exzellenz unser Entgegenkommen falsch verstehen, so hat weitere Diskussion keinen Zweck.«

Als Otto aus dem Audienzsaal trat, fand er die Gesandten aller deutschen Kleinstaaten im Vorzimmer versammelt, die ihn mit Fragen umdrängten. »Ich kann Ihre Neugier nicht befriedigen, meine Herren«, fertigte er brüsk ab, woraus man richtig entnahm: er will nicht. Aber aus dem Durcheinanderreden entnahm er, daß ihre Regierungen die Haltung Buols nicht billigen würden.

So geschah es, Preußen blieb kommerzieller Sieger. Und Bismarck hatte nichts eiligeres zu tun, als Manteuffel zur Verfolgung des Sieges aufzufordern. »Die Koalitionsminister wie Beust-Sachsen und Dallwigk-Hessen-Darmstadt müssen hinaus,« äußerte er zu Lynar, »um die volle Bedeutung unseres Sieges der öffentlichen Meinung einzuprägen und unseren Einfluß in Deutschland zu verstärken.«

Doch der träge und jeder scharfen Initiative abgeneigte Manteuffel unterschlug nicht nur diesen Wunsch, sondern bezeigte ihm bei seiner Rückkehr nach Berlin eine merkliche Erkältung. Entstellungen des Platenschen Rapports, von Hannover verbreitet, gaben dem Minister die falsche Überzeugung, man arbeite gegen ihn und wolle seinen Sturz.

»Sie bereden ja wohl Ihre negativ erfolgreiche Mission mit General v. Gerlach, Ihrem besonderen Freunde«, betonte der Premier kalt und bitter. »Da wird Seine Majestät der König gewiß den richtigsten Eindruck empfangen, ohne daß ich mich bemühen muß.«

Verdutzt und geärgert erwiderte Otto: »Ich nehme an, daß auch Sie die Dinge richtig darstellen. Graf Arnim ist genesen und eine etwaige höchstenorts bestehende Absicht, mich an seine Stelle zu setzen, damit hinfällig, was ich begrüße.«

»Sie wollen sich dort nicht binden, ich verstehe.«

»Ich verstehe nur so viel, daß ich persona ingrata in Wien bin und bleiben werde. Man würde dort keine Mittel unversucht lassen, mich durch Hofklatsch in Berlin zu diskreditieren, was von Wien aus leichter wäre als aus Frankfurt.«

Manteuffel sah ihn zweifelhaft an, ob er die Wahrheit rede. Aber Otto erkannte so viel, daß er in seinem alten Vertrauten und Vorgesetzten von jetzt ab ein feindliches Element vor sich habe.

*

In Frankfurt lebte der Flottenkrakehl wieder auf. Bald standen sich die scheinbar beerdigten drei Parteien früherer Jahre gegenüber: das Großdeutschland Österreichs, in dem es die Suprematie begehrte, »die beschränkte Union« im preußischen Sinne, die »Trias« der Mittelstaaten. Als Preußen den Nordweststaaten vorschlug, sie sollten einen Flottenbund mit ihm bilden, zerschlug sich die Sache. Der blinde König von Hannover, zu schwach es allein zu unternehmen, wollte es aus Eifersucht auch nicht unter Preußens Ägide. »Ach, lassen Sie mich zufrieden, verehrter Freund«, lehnte v. Schele ab, der als Minister nach Hannover ausschied und seinen Nachfolger Bothner vorstellte. »Führte Neptun selber den Vorsitz, so wollten wir doch nichts damit zu tun haben.«

Zuletzt sank das ohnehin spärliche Nationalgefühl des Bundestages so tief, daß er, um nur ja keine blutige Zwietracht aufkommen zu lassen, die Flotte dem Hammer des Auktionators überlieferte. »Ein Bremer Apotheker hat Marinevorräte mit Beschlag belegt als Äquivalent für neunzig Taler, seine Löhnung für Ausmerzung von Tintenflecken. Tinte überall, selbst auf den deutschen Schiffen, das scheint das nationale schwarze Blut, das einzig vergossen wird«, seufzte Otto düster. Die Reichsflotte endete unter dem Hammer eines gewissen Hannibal Fischer.

»'s gefällt mir hier so goar net«, klagte der neue bayrische Gesandte Schrenk. »Mir schwant Malheur von neuem Disput über den neuen Empereur.« Der verschlagene Louis setzte sich richtig die Kaiserkrone auf, und der englische Gesandte setzte den preußischen sofort in Kenntnis:

»Die Regierung Ihrer Britannischen Majestät hat das Kaiserreich anerkannt.«

»Ohne sich mit dem europäischen Konzert ins Einvernehmen zu setzen?«

Lord Cowley zuckte die Achseln. »Die britische Regierung tut, was sie für gut findet, mein lieber Herr v. Bismarck, und tut nichts unüberlegt.«

Das geht offenbar gegen Rußland, das den Usurpator niemals anerkennt. Ein Bund der Westmächte kann uns Ungelegenheiten bereiten. Was tun? In unanständiger Hast sich beim neuen Frankreich anbiedern? Scheint Österreich willens dazu? Wir müssen uns diesmal unbedingt mit ihm verständigen.

Auf dem Heimweg rief ihn Scherff an: » Quid novi ex Francia? Wissen Sie schon, das Herzogtum Nassau und Frankfurt haben die französische Regierung beglückwünscht.«

»Eine Insolenz!« brauste Otto auf. »Der elende Parvenü mit dem gekauften Freiherrntitel, der jetzt Frankfurt vertritt, rächt sich für mein Schneiden seiner werten Person, und Nassau war immer rheinbundschwanger. Nicht mal dem Ausland stellen wir eine vereinte Front entgegen.« Ruhig fügte er hinzu: »Ich setzte mich sofort mit Thun in Verbindung.«

Auf die Andeutung, der Zar werde außer sich sein, enthüllte sich wieder mal Österreichs Ranküne gegen den einstigen Retter. Hieß doch das politische Testament Schwarzenbergs: »Wir werden die Welt durch unsern Undank in Erstaunen setzen.« Mit wohlwollendem Lächeln, Macchiavellis würdig, klärte Thun ihn auf: »Ich bin abberufen, liebster Kollege, und bis mein Nachfolger eintrifft, werden Sie die Präsidentschaft führen. Ihnen also liegt ob, in Ihrer staatsmännischen Weisheit die verschiedenen divergierenden Bächlein der Meinungen in den richtigen Kanal zu leiten. Ach, mein Leberleiden zwingt mich schon lange zur Ruhe und Mäßigung, und ich wandere nach Karlsbad, indes Sie, liebe Exzellenz, die Lösung des etwas peinlichen Dilemmas im Namen Deutschlands leiten. Bonne chance!«

Eine echt österreichische Hinterlist. Ob die Anerkennung Napoleons oder das Gegenteil den Deutschen mißfiel, in jedem Falle hatte jetzt Preußen die Verantwortung zu tragen, während die Donaumacht außerhalb des Bundestags mit Frankreich verhandelte. Die Gesandtschaftsbeamten Zittelmann, Kelchner, Wenzel – letzterer ein Faktotum aus Rochows Zeit – bekamen strenge Arbeit, denn ihr Oberer ließ sich Tag und Nacht keine Ruhe, um vor allem den Berliner Hof zu überzeugen, daß sich gegen schleunige Anerkennung des Pariser Gewalthabers nichts machen lasse. Otto sah ein, daß Österreich sicher dem Empereur zulächeln werde. Preußen durfte nicht allein draußen bleiben, bloß für die schönen Augen des Zaren. Ein französisches Journal, das in Frankfurt erschien, nannte als angeblichen Eigentümer den Baron Vrintz, Schwager des österreichischen Ministerpräsidenten. Das Reptilblättchen schwelgte sofort in begeisterten Verzückungen für Kaiser Louis. Unverzüglich begab sich Otto zu Vrintz und gratulierte ihm: »Sie haben also direkte Beziehungen zu dem Kaiser in Paris.«

»Was denken Sie von mir!« rief der naive Baron mit tugendhafter Entrüstung. »Wie würde ich bestellte Arbeit solcher Art aufnehmen!«

»Hm, Sie werden nicht leugnen, daß es den Anschein hat. Ich sende heut nach Berlin ein Exemplar –«

»Dann bitte ich Sie, solchen Kommentar zu unterlassen!« rief Vrintz ängstlich. »Um Ihnen den Ungrund Ihres Argwohns darzutun, die Artikel stammen aus Wien.«

»Ah, ich danke Ihnen, Sie haben mein Mißtrauen zerstreut.« Nun wußte er, was er wissen wollte, und als bei einer nächsten Sitzung die französische Frage angeschnitten wurde, eilte er spornstreichs nach Hause und erstieg in seinem Garten eine Leiter, von wo er das Haus des französischen Gesandten, sehr in seiner Nähe gelegen, beobachten konnte. Es dauerte nicht lange, daß der Württemberger Reinhard das Haus Tallenays verließ. Bald darauf stieg auf dem Bockenheimer Bahnhof der hessische Minister Dalwigk aus, ein erbitterter Feind Preußens und Welschgänger, begab sich zu Tallenay und fuhr bald wieder mit dem Zug nach Darmstadt ab. Wie ist dieser Versuch zu erklären? fragt der Lehrer in der Physikstunde.

Manteuffel erwies sich plötzlich als »Bonapartist«. Er begünstigte die Broschüre eines von ihm entdeckten und besoldeten literarischen Klopffechters, namens Rhino Quehl, worin der Staatsstreich als Sieg über das Revolutionsprinzip angehimmelt wurde. Die Unentwegten der konservativen Partei erschraken darüber und blieben bei der ziemlich richtigen Auffassung, daß »Bonaparte«, wie der brave Gerlach bis an sein seliges Ende den Empereur betitelte, die fleischgewordene Revolution sei wie einst sein sogenannter Onkel. Viele andere Konservative begrüßten aber in ihrer völligen Grundsatzlosigkeit und kindlichen politischen Unreife den furchtbaren Tyrannen als einen famos schneidigen Burschen, der mal dem Bürgerpack Mores lehrte, d. h. sie fielen auf den gleichen Zauber herein, der einst dem großen Napoleon die warme Anerkennung aller Dynastien gewann, weil er »den Abgrund der Revolution geschlossen« habe. Daß dies unter Organisierung aller wahren Revolutionserbschaft geschah, und daß auch heut der gekrönte Abenteurer als Schirmherr des »freiheitlichen Liberalismus« auftreten werde, daß so die seit dem Pariser Frieden so sehr zusammengeschrumpfte Macht Frankreichs auf einmal auferstehen und der gewandte kaiserliche Hochstapler sich auf lange den Beifall seiner ehrgierigen Nation sichern werde, verkannte Otto natürlich nicht. Aber fürs erste galt es, Frankreich als Hebel gegen Österreich zu benutzen. Daß der völlig prinzipienlose, ewig unzuverlässige, uferlos im Strom der Ereignisse schwimmende Manteuffel keineswegs von solcher praktischen Erkenntnis geleitet wurde, dies zu erklären blieb der Zukunft vorbehalten.

Otto depeschierte lang und breit nach Berlin und gewann Boden für selbstständigen Schritt beider Großmächte, ihre Gesandten in Paris zu re-akkreditieren, in der milde ausgedrückten Voraussetzung, der neue »Herr Bruder« werde den Frieden und die bestehenden Verträge achten. Auf einem großen Staatsdiner, das Otto den »kaiserlichen« Gesandten gab, merkte man freilich bei den Vertretern der Kleinstaaten eine gewisse Verstimmung, daß die Großmächte, ohne sie irgendwie zu Rate zu ziehen, sich mit Paris verständigten. Otto hatte vorgestellt, daß z. B. der blinde König von Hannover sich in seinem Welfendünkel widersetzen werde, so daß die Verhandlung am Bundestag sich zu lange hinziehen würde.

»31 Uniformen hab' ich zu Tisch gehabt, dies Galadiner müßten Sie mir von Rechts wegen ersetzen, verehrtester Freund!« empfing er scherzend den neuen Präsidialgesandten Freiherrn Prokesch v. Osten, der endlich den unleidlichen Thun ablöste. Letzterer trat jedoch letzthin im Privatverkehr Otto gemütlich näher, seine schöne Frau nahm sich Johannas freundlich an, obschon sie, eine geborene Gräfin Lamberg, eine geborene Puttkamer nur zum allerkleinsten Adel rechnete und als große Dame die ländliche Unerfahrenheit einer pommerschen Landpomeranze bemitleidete. »Pommersche Gänsebrust!« hatte der zynische Thun anfangs gewitzelt, doch die schlichte Würde und Ruhe der norddeutschen jungen Frau nahm für sie ein, und da die hohen Thun-Hohensteins sie patronisierten, so eroberte sie sich eine unauffällige, aber angesehene Stellung in der Gesellschaft. Frau v. Eisendecher, ziemlich tonangebend, wollte nur noch »Nelly« von ihr genannt werden.

So sahen Bismarcks das gräfliche Paar nicht ohne Trauer scheiden. Den Prokesch kannte Otto schon als früheren Botschafter in Berlin zur Olmützer Zeit, das bedeutete nichts Gutes. Er erwarb sich seine Sporen im Orient und zog sich dort jene Neigung zur Hinterhältigkeit zu, die einst Gneisenau am Seapoygeneral Wellington bemerkte.

Diese Entente cordiale über Napoleon den Kleinen zerfiel im folgenden Jahre sehr bald. Die ultrareaktionären Regierungen Süd- und Mitteldeutschlands hatten schon im August vor anderthalb Jahren ein äußerst strenges Programm aufgestellt, wie der Drachen der Demokratie in seine Schlupflöcher zu verfolgen sei. Die Hauptwaffe sollte ein verschärftes Preßgesetz werden. Zu aller Erstaunen widersprach der Pressefeind Bismarck.

»Sie vergleichen doch selbst Ihre liberalen Zeitungen daheim mit einem vergifteten Brunnen«, hielt ihm Oertzen etwas pikiert vor.

»Solange sie nur Gift hatten, heut haben sie auch Balsam, ihre deutschpatriotische Gesinnung.« Vor seinen vertrauten Untergebenen setzte er auseinander, sich auf dem grünen Sofa an Nanne anlehnend und die Kinder auf dem Schoß: »Nur eine freie Presse kann Österreichs Übergriffe bekämpfen. Wir wollen nicht Sklaven der Demagogie, aber auch nicht fügsame Schüler der Austriaken sein. Bemerken Sie diese neue Perfidie! Preußen soll entweder einen Beschluß des Bundestags ablehnen oder umgekehrt durch dessen Annahme einen neuen Konflikt mit unseren Kammern heraufbeschwören. Unser eigenes Preßgesetz zu ändern, würde die ganze Nation in Harnisch bringen, und sollen wir bei heimischer Gesetzgebung das Volk einfach den Willen der Kleinstaatsouveräne ausliefern? Nichtsda!« Er sprach schon lange vom Volk als einem mitzählenden Faktor, was ihm früher in seiner Parteiwut nie einfiel.

»Aber eine diktatorische Presse –« warf der Legationsrat Zittelmann ein.

»Ist mir das kleinere Übel neben einem dominierenden Österreich. Ich werde Ihnen nachher eine lange Depesche an Manteuffel diktieren. Wir stehen gottlob anders da, als die kleinen Herrschaften, die keine Konzessionen machen dürfen, weil sie weder Autorität noch Zuneigung bei ihren Untertanen besitzen. Der König von Preußen wäre noch Herr im Lande, selbst wenn das ganze stehende Heer aufgelöst würde. Wir können uns den Luxus eines viel größeren Freiheitszumaßes gestatten, als sonst in Deutschland möglich wäre. Erinnern Sie sich der neulichen Debatten in der sächsischen Kammer?«

»Über den Bundestag, die so großes Aufsehen in ganz Deutschland machten?«

»Ja, aber viel größer wäre der Eindruck in der preußischen Kammer gewesen. Preußen sollte freie Diskussion gestatten über die deutsche Frage, den Bundestag, dessen Schwierigkeitsmaschinerie und die undeutsche Mache unserer Gegner, dann würden ein paar Parlamentsreden genügen, um unserer schnöden Majorität den Mund zu schließen. Die Entstellungen bezahlter Skribenten können nicht eher zertrümmert werden, ehe nicht die preußische Presse des ganze Material über diesen sogenannten Deutschen Bund bekommt und die äußerste Freiheit, sich ungescheut auszusprechen. Die uns nötige Bundespolitik kann nur gestärkt werden durch breite Publizität. Sonst würde man die ekeln Mysterien dieses »Bundes« nie aus den Schleiern lügnerischer Zeitungsgewebe ans Tageslicht ziehen.«

»Die ich rief, die Geister ...« zitierte Lynar halblaut. Doch dieser Zauberlehrling fürchtete sich weder vor Geistern noch Zauberern: »Mir gleich. Später würden wir schon damit aufräumen, doch zurzeit ist jede Waffe recht.« Er setzte wirklich durch, daß der Bundestag sich dem preußischen Preßgesetz anbequemte. Einschreiten gegen verdächtige geheime Gesellschaften nahm er nur deshalb zur Unterlage des Ausgleichs in der Pressesache, weil jedes Carbonari-Treiben ihm dem deutschen Charakter zuwiderlaufend erschien. Garibaldi und Mazzini würden bei uns nur Unheil stiften. Als die unerhörte Sprache der radikalen Braunschweiger Presse einige Jahre später vor den Bundestag kam, empfahl er Unterdrückung mit dem naiven Zusatz: »Braunschweigs Haltung letzthin war nicht der Art, um uns Rücksicht aufzuerlegen.« So völlig war ihm alles jetzt der auswärtigen Staatspolitik untergeordnet, daß ein preußenfreundliches Braunschweig von ihm nie etwas zu fürchten gehabt hätte. Wie sehr der konservative Parteimann in ihm abstarb und wie seine Feinde nicht so ganz fehlgingen, wenn sie ihn der Begünstigung demokratischer Bestrebungen bezichtigten – er begünstigte nicht, aber ließ im nationalen Interesse gewähren –, das zeigte alsbald die Lippesche Frage.

»Der Fürst von Lippe hat seinen Landtag aufgelöst und die Verfassung aufgehoben«, teilte ihm Scherff im März zuerst mit.

»Auf Österreichs Antrieb. Eine Eselei! Da wird man zu tun bekommen.« Schneller als ihm lieb war, denn sogleich erschien bei ihm ein Assessor Petri aus Lippe, der im Namen des Landtags seinen Schutz erbat. »Wir reichen einen Protest beim Bundestag ein und rechnen auf dero Protektion. Deutschen Patrioten blieb nicht unbekannt, daß Ew. Exzellenz, was immer Ihre früheren Meinungen gewesen sein mögen, für die Sache des Rechts und der liberalen Entwicklung eingenommen sind. Dero Verteidigung der Preßfreiheit fand in allen deutschen Gauen freudigen Anklang.«

»Ihr Vertrauen ehrt mich. Ich glaube, Sie können auf mich zählen.« Gleich darauf schrieb ihm der Fürst zu Lippe und bat um seinen Beistand. Er werde seinen Staatsrat Fischer als Dolmetsch seiner Gesinnung senden und sei ja auch des österreichischen Schutzes versichert. (Thun befand sich noch in Frankfurt in angeblich leidendem Urlaubszustand bis Ende des vorigen Jahres. Otto ließ ihm durch Frau Nanne aus Blankenburg am Harz, wo er eine Hofjagd mitmachte und ein eigenhändig vom König geschossenes Wildschwein als Geschenk nach Hause schickte, die freudige Botschaft vermitteln, Thun werde als Botschafter nach Berlin versetzt werden. Er fiel also die Treppe hinauf, sein entschiedener Mißerfolg in Frankfurt wurde ihm nachgesehen wegen seines Feuereifers, Preußen zu schädigen.) Aber Prokesch entpuppte sich in seiner ganzen Pracht. Otto war überrascht von so viel Staatskunst. Dem Bundestag beliebte nämlich gar nicht, dem deutschen Volke ein solches Odium zu geben wie brutalen Verfassungsbruch über Nacht (zu langsamem, schleichendem bereit genug) und zeigte sofort unverkennbare Mißbilligung, am lautesten Österreich. Das sei ja ein Skandal, so was dürfe man nicht dulden. Unstreitig spekulierte Prokesch darauf, daß Bismarck, den er nur als reaktionären Ultra kannte, sich des Fürsten annehmen und dadurch alle Achtung der Liberalen verscherzen werde.

Als er dem apoplektisch dicken Staatsrat Fischer die Lage auseinandersetzte, rief dieser: »Unmöglich! Herr v. Prokesch hat uns ja selber diese Richtung gewiesen.«

»Jawohl, ein Doppelspiel, ein durchsichtiges. Er hat Sie verlockt, um andere in schiefe Lage zu bringen. Sie waren ihm nur ein Stein im Schachbrett.« Die Enthüllung einer solchen Tücke, deren getäuschtes Opfer er gewesen, versetzte den dicken Fischer in solche Wut, daß er infolge zu heftiger Invektiven und Drohbewegungen apoplektisch zusammenbrach und die Chaiselongue mit ihm, so daß er auf dem Fußboden alle Viere von sich streckte.

»Man möchte an der Menschheit verzweifeln«, ächzte er, nachdem er sich erholt. »Was raten nun Ew. Exzellenz?«

»Daß Sie sofort liberale Konzessionen machen, ehe noch das Verdikt gegen Sie ergeht, damit Sie im voraus die geliebten Untertanen besänftigen. Begreifen Sie?«

»Vollkommen. Ich reise sofort. Der Fürst wird Ihnen das nie vergessen.« –

Der unverzagte Prokesch kam bald mit einer neuen Falle. Das Großherzogtum Hessen zeigte sich tiefgekränkt über das englische Asylrecht für politische Flüchtlinge. Es verlangte eine Note an England wegen Mißbrauch des Asyls. Da es sich allermeist um preußische Flüchtlinge handelte, so hoffte Prokesch, Bismarck werde auf den Köder anbeißen. Dieser lachte herzlich im Familienkreise: »Wieder der bekannte Pater Lamormain. Wär' nicht der Einfall usw. Wohl ausgesonnen! sagt Schillers Wallenstein, dem wir ja auch den schönen Spruch verdanken: Dank vom Haus Österreich! Dieser praktisch fühlende Staat würde uns nicht den kleinsten Gegendienst leisten, vielmehr öffentlich behaupten, ihm lägen solche Scherze fern. Ich werde ihm heimleuchten.« Er erklärte daher in der Versammlung: »Preußen hat nichts zu fürchten von der Agitation solcher zweifelhaften Charaktere im Ausland, ein Kleinstaat wie Hessen aber, den dies konkret gar nichts angeht, hat nicht europäische Fragen in seine Hände zu nehmen, ohne vorher die leitenden Mächte zu konsultieren. Ich lehne jede Beteiligung an dieser inopportunen Sache ab.« Damit fiel sie durch zum Ärger der feindlichen Koterie. Otto erinnerte sich lachend der Puritaner, die Bärenkämpfe verboten, nicht um den Bär zu schonen, sondern um das Vergnügen der Zuschauer zu verkürzen. England beleidigen zu Österreichs Wohlgefallen, ein verflucht kitzlicher Spaß!

Jetzt warf sich Prokesch auf die Geschäftsordnung des Bundestags als auf ein Mittel, Preußen zu demütigen. Zwischen dem Präsidenten und dem preußischen Vizepräsidenten entspann sich eine unablässige Fehde über die Kompentenzrechte des permanenten Präsidiums. Prokesch wollte den herausfordernden Autokraten spielen, wozu seine jähzornige Reizbarkeit beitrug, doch seine Heftigkeit, die bis zum Schütteln geballter Fäuste ausreifte, zerschellte völlig an der kalten Festigkeit des preußischen Rebellen.

»Leute mit so cholerischem Temperament und so unzähmbaren Nerven gehören nicht auf den Präsidentenstuhl«, äußerte er mit beleidigender Ruhe im Kreis der Bundestagsleute. »Das trägt nicht zum freundschaftlichen, versöhnlichen Ton bei, den man bei uns erwartet.« Da fast alle Mitglieder unter Prokeschs Vergewaltigung litten und Otto in Formfragen auch für die Kleinstaaten eine Lanze brach, so drückten deren Vertreter ihm oft die Hand mit schweigender Dankbarkeit. Doch die Furcht vor der k. k. Rache trieb sie immer wieder von seiner Seite weg. – –

Während der Bevollmächtigte am Bundestag als einziger preußischer Politiker mit ehrlicher, fieberhafter Arbeit in Ehren und sauer sein Diplomatenbrot erwarb, balgten sich sämtliche übrigen politischen und diplomatischen Müßiggänger um die Machtfrage, wer am lautesten schreien könne. Manteuffel hatte sich die Literatur Quehl und Konstantin Frantz verschrieben, um mit der Feder seine Staatskunst herauszustreichen. Dies schien dem Kreuzzeitungs-Wagener ein unlauterer Wettbewerb, da nur sein Blatt das Recht hatte, Gesetze zu diktieren. Er blieb der Leibjournalist der hochgeborenen Kamarilla um den König, unter der drei so erlauchte Namen wie Graf Stolberg, Graf zu Dohna, Graf v. d. Gröben glänzten. Ihr Haupt blieb der alte General Gerlach, dem der begabte Flügeladjutant Edwin v. Manteuffel sekundierte. Diese Herrschaften zogen zwar mit dem Ministerpräsidenten am selben Seil gegen liberale Koterien um den Thronfolger, lebten aber in häufiger Meinungsverschiedenheit. Als Sündenbock sollte der bewußte Quehl herhalten. Neid und Wut trieben aber Wagener zu maßlosen Ausfällen auf Manteuffel selber. Dieser, durch den gleichfalls gereizten Polizeipräsidenten Hinckeldey unterstützt, mit dessen anrüchigem Gebaren er jetzt sein Wesen trieb, rächte sich durch Verfolgung und Konfiszierung des regierenden Blattes, brachte Wagener beinahe ins Gefängnis, dafür Quehl in eine allgemeine politische Zensorstellung. Er überwies ihm königliche Gelder, mit deren Hilfe und seiner eigenen geschickten Feder er gegen die andern Minister Westfalen und Raumer die ganze Presse bearbeitete.

»Nun ist unser guter Rauch ja auch tot«, klagte Gerlach, als ihn Otto in Sanssouci aufsuchte. »Sie sind gottlob noch jung, sonst würde der gesunde Menschenverstand ganz aussterben. Der p. p. Quehl läßt jetzt hochgestellte Beamte auf sein Sofa sitzen, die ihm die Cour schneiden, und prahlt ihnen vor, auch der Thronfolger sei mit ihm ein Herz und eine Seele. Reden Sie mit Seiner Majestät, reden Sie mit Manteuffel!« Letzterer zog sich als zürnender Achilles auf sein Gut Drahnsdorf zurück, weil der König gegen ihn unangenehm wurde und ihn unhöflich bewitzelte, was sonst nicht seine Art war. Denn die wahre königliche Tugend der Höflichkeit vergaß er kaum je im höchsten Unwillen, und nur seine launenhafte Selbstherrlichkeit hinderte ihn, Anhänglichkeit zu erwerben. Der Satz »the King can do no wrong« ist auch so eine englische Heuchelei, denn in den Reibungen der Wirklichkeit geht diese Unantastbarkeit in die Brüche, die Näherstehenden beurteilen den Monarchen wie jeden andern Privatmann. So katzbalgten die Königstreuen sich gegenseitig munter, ohne sich im geringsten um die peinliche Stimmung des Gebieters zu kümmern. Der Fall Quehl stand jedenfalls für alle Berliner Politiker allein auf der Tagesordnung. Wenn Otto aus Frankfurt, wo doch wenigstens wirkliche Politik gemacht wurde, in dies Allerheiligste der Monarchie hinabstieg, bedrückte ihn ein seelischer Armeleutegeruch wie Kellerluft. Eine Heidenangst stand er aus, der König wolle ihn mal wieder als Ministerprätendenten ausspielen, etwas Unangenehmes, wenn nichts daraus wird, aber hier noch unangenehmer, wenn etwas daraus geworden wäre. Um Manteuffel zu stützen, schaffte er ihm Quehl vom Halse, dem er ins Gewissen redete, er solle für sein materielles Fortkommen sorgen und die »hohe« Politik an den Nagel hängen. Das Geneneralkonsulat in Kopenhagen mit starker Gehaltsaufbesserung stopfte für immer diesen beredten Mund, während leider andere Patrioten weiterhungerten, da es doch nicht so viele Konsuln gibt als Patrioten.

»Ich würde mir Pourtalés als Minister anschaffen, teuerster Bismarck«, gestand der König, »doch der hat 30 000 Taler Revenüen zu viel, eine ergiebige Quelle des Ungehorsams.« Dieser nicht mal dem eigenen Willen Gehorchende hielt jede nur bedingte Unterwerfung für Felonie. »Ich habe jetzt, mein treuer Freund und Manne, eine große Idee. Mein Freund Bunsen, dieser von Gedanken schwangere klare Geist, teilt die Welt in protestantisch-konstitutionelle und jesuitisch-revolutionär-absolutistische Staaten. Mir scheint da etwas englische Färbung unterzulaufen. Doch urgesund ist Bunsens Drängen auf ein Oberhaus nach englischem Muster.« Diese gräßliche Bunsensche Faselei mußte Otto mit eiserner Miene anhören. »Räudige Schafe der Rechten und stänkrige Böcke der Linken wollen mir opponieren, Sie aber, teuerster Bismarck, müssen die Leute Räson lehren.« »Das wird schwer halten, Majestät, mein Einfluß auf die Fraktion hat keine Basis mehr, die Fraktionsleitung mißbilligt meine Bestrebungen in Frankfurt.«

In der Tat stieß er bei den Fraktionsleitern Ludwig v. Gerlach und Professor Stahl, seinen einstmaligen Genossen, auf schlecht verhehlte Unfreundlichkeit. »Sie können nicht verlangen, daß ich als Vortragender Rat über die deutschen Angelegenheiten, die ich genauer kenne als Sie, mich der Gesamtleitung unterordne. Ihre Anschauung über unser Verhältnis zu Österreich läuft der meinen zuwider.«

»Dann treten Sie aus der Fraktion aus!« rief Gerlach hochempört. »Wir müssen einheitliche, absolute Gesamtleitung beanspruchen. Sie neigen zum Bonapartismus, wie ich fürchte, und sind eine Pilatusnatur mit dem Spruche: Was ist Wahrheit! Unsere Wege werden sich trennen und wir als Gegner enden.« Stahl sprach nicht so scharf, aber bekümmert. Daß dies von ihnen ausgebrütete Ei klüger sein wolle als so hervorragende Hennen, schien den Herren ein Sakrilegium.

Aus dem Parisschub wurde nichts, das Projekt begraben, mehr aus Widerspruchsgeist als Einsicht. Das war Otto nicht unlieb, aber die Fraktionskomiteesitzung machte ihm klar, wie riesig er diesen Leuten über den Kopf wuchs.

Höchst ungelegen kam ihm auch die Manie seines Königs, den Schweizer Kanton Neuchâtel als Augapfel seiner Krone anzuschwärmen, obschon es in der Natur der Dinge lag, daß ein so entfernter Besitz innerhalb des helvetischen Staatswesens nicht behauptet werden konnte. Nicht genug damit, verlangte Baden eine Züchtigung der Schweiz wegen ihrer trotzigen Gastfreundschaft für verfemte Achtundvierziger durch militärische Besetzung ihrer Rheinkantone. Otto riet aufs heftigste ab. »Frankreich unter seinem neuen Regiment wäre nur zu froh, einen Streit vom Zaune zu brechen. Kriegsprovokation von seiten Deutschlands wäre ihm willkommen.«

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