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»Na, nu bist du also Kammergerichts-Auskultator!« Der alte Herr v. Bismarck zündete sich eine neue Pfeife an, als ob er das Kalumet der Indianer vor jeder Beratung rauchen wolle. Denn es fand eine Art Familienrat statt, was aus Otto werden solle. Da waren Mutter, Bruder, Schwester. Bruder Bernhard schlug mehr nach dem behäbigen biedern jovialen Papa, die begabte Schwester Malwine nach der klugen ehrgeizigen Mama. »Besondere Konnexionen haben wir nicht, viel Chancen für rasches Avancieren hast du nicht.«

»Nun, einige Beziehungen hätte ich doch!« flocht Frau v. Bismarck ein. »Mein Vater hat als Kabinettsrat unter drei Königen gedient, und ich bin am Ende doch in Hofkreisen aufgewachsen.«

»Na ja, Majestät geruhen dich ›Minchen‹ zu nennen, weil ihr als Kinder mitsammen spieltet«, lachte der Alte. »Aber mein seliger Schwiegerpapa stand im Geruch von starkem Liberalismus, und da weht doch jetzt ein ganz anderer Wind.«

»Ich bin stolz darauf,« versetzte die stattliche Dame, »daß der große Freiherr v. Stein den Vater als rechtschaffenen erzliberalen Beamten bezeichnete. Ich hoffe, meine Kinder werden dem Andenken ihres Großvaters Ehre machen und in gleichen Bahnen wandeln. Nichts ist so vulgär und ungebildet als Junkerei. Das merke dir, Otto, und vergiß nicht: deine Mutter ist bürgerlich.«

»Na, verjunkern soll der Junge nich!« rief der Herr v. Bismarck und schlug sich auf die Schenkel. »So was wie Standesvorurteile jibt's nich bei uns. Versteht ihr, Kinder, dann hätt' ich ja auch Muttern nicht geheiratet, als die Verwandtschaft über Mesalliance schrie. Natürlich, Order muß pariert werden, Disziplin muß sein, darin bin ich alter Offizier, nur aber kein fauler Dünkel auf Geburtstitel. Wenn ich schon so was höre! Ach wat, geboren sind wir alle. Aber, um praktisch zu reden, der Adel hat nun mal seine Vorteile für den Staatsdienst.«

»Jawohl,« fiel Mama eifrig ein, »und weil Otto so begabt ist, ist mein Ideal, daß er in die Diplomatie eintritt.«

»Dazu gehören Moneten«, machte der Alte bedenklich. »Und daran haben wir Bismarcks keinen Überfluß. Otto muß eben die gewöhnliche Laufbahn durchmachen, bis er zu höheren Stellen aufsteigt.«

Der junge Bismarck schnitt ein saures Gesicht. »Das dauert sehr lange. Von Mamas Vorfahren her und vom Großvater mag ich wohl Sitzfleisch geerbt haben, doch in deiner Linie, Papa, waren wir alle Landwirte und Soldaten.«

»Um Gottes willen, nur nicht Soldat!« Frau v. Bismarck schüttelte unmutig den Kopf. »Das ist die schlechteste Karriere in Friedenszeiten.«

»Das stimmt«, seufzte der Vater. »Und wir werden wohl keine Kriege mehr erleben, auch Otto nicht. Heut im Zeitalter der Aufklärung und Liberalität«, betonte er wichtig, »wird alles vernünftig im Frieden geregelt. Und is wohl auch gut so. Übrigens hast du ja schon ein teures Geld verstudiert und willst doch wohl nicht umsatteln. Da bleibt nichts übrig als Eile mit Weile, langsam und fleißig als Jurist oder Beamter zu höheren Staffeln aufklettern.«

»Hat man nicht Vorbilder an Leuten wie Pommer-Esche und Delbrück?« mischte der Bruder sich ein. »Solche musterhafte Beamten bringen es immer zu hohen Ehren. Mama dachte auch schon an Arbeit für Otto im Ressort des Deutschen Zollvereins.«

»Und Mutter kann Otto doch an Minister Ancillon empfehlen, den sie von Großvater her kennt«, gab die kluge Schwester dem Gespräch eine praktische Richtung.

»Das werde ich tun, obschon – Ancillon hat so merkwürdige Ansichten. Neulich hat er den Fürsten Felix Lichnowski als feinsten Typ eines Diplomaten empfohlen, er, der ehemalige evangelische Theologe, und Lichnowski hat katholische Neigungen und etwas freie Sitten. Freilich ist er politisch aufgeklärt und liberal wie alle Gebildeten, und das ist die Hauptsache. Nur nicht reaktionär! Ich hoffe nie zu erleben, daß meine Kinder den veralteten überwundenen Standpunkten zuneigen. Nur nicht gegen den Zeitgeist sich auflehnen!«

»Na, der pp. Zeitgeist is ooch jrade nich mein Schwarm!« Der Alte zuckte die Achseln. »Aber wahr is: man muß mit den Wölfen heulen. Verstehst de, Otto, bleibe du man königlich-preußisch bis in die Knochen, aber dabei sei vor allem ein humaner liberaler Kerl, der all seine Nebenmenschen achtet und sich nicht faulen Zauber einbildet wie die Junker von anno dunnemals. Die Bescherung haben wir erlebt bei Jena. Fortschritt muß sein, das Volk muß seine Rechte haben, das verlangt die höhere Bildung; alle höheren Beamten und Militärs sind dafür eingenommen.«

»Gewiß«, schloß Frau v. Bismarck feierlich die Unterhaltung. »Der selige Freiherr v. Stein, Fürst Hardenberg, die Feldmarschälle Gneisenau, Boyen und Grolman leuchten noch heut als heilige Vorbilder. Eine gewisse dunkle Strömung am Hofe, die Seine Majestät den König unheilvoll beeinflußte –«

»O Gott, Mutter!« flehte Bruder Bernhard ängstlich. »Wenn man dich hörte! Du sprichst wie ein Demagoge, und Otto ist ohnehin schon so furchtbar liberal!«

»Maul halten, Junge!« wies ihn der Alte unwirsch zurecht. »Die hochselige Demagogenhetze ist so ziemlich vorüber. Das gute Recht zum Räsonieren darf man keinem deutschen Mann verkürzen, diese Turner und Studenten waren 'n bißchen grün, aber ehrliche Kerls, die nichts Böses im Schilde führten. Und ich sage mit Mutter: Otto, mach' was du willst, nur werde mir kein muffiger Reaktionär! Das führt heut nur auf den Holzweg, wo man den Hals bricht.«

*

Der Auskultator Otto v. Bismarck machte also dem Minister Ancillon seine Aufwartung, der ihn ziemlich kühl empfing. »Ihre verehrte Frau Mutter empfiehlt Sie mir mit dem Wunsche, Sie in die diplomatische Laufbahn einzuführen. Wie steht es mit den Sprachen?«

»Ich spreche ziemlich perfekt Französisch und Englisch.«

»Das ist ja gut. Oft gibt Kenntnis des Französischen, besonders in schriftlichem Stil, den Ausschlag. Doch, ehrlich gestanden, unser preußischer Landadel hat seine Schwächen, die für diplomatischen Dienst nicht taugen, besonders der märkische. Eine gewisse Lust am Frondieren muß wohl noch aus den Zeiten der Quitzows stammen. Man kritisiert recht unbefangen, hat aber selbst die empfindlichste Epidermis und sträubt sich als Edelmann, Standesgenossen als gebietende Vorgesetzte über sich zu sehen.«

»Gestatten Exzellenz, beim Militär –«

»Das ist ganz was anderes. Daran ist man seit Friedrich Wilhelm I. gewöhnt, und da kann man auf der langen Stufenleiter wenigstens die eigenen Untergebenen rüffeln, wenn man von oben her einen Schnauzer erhält. Das fällt in der Diplomatie fort. Außerdem, in der Armee darf man so preußisch-provinziell sein wie möglich, da ist's eher ein Vorzug, doch als Diplomaten braucht man sozusagen Europäer. Und Sie werden mir zugeben, mein junger Freund, daß unsere Junker sich nicht gerade einer internationalen Bildung befleißigen. Offen heraus gesagt, es fehlt an weltmännischem Schliff, an Verständnis für außerpreußische Verhältnisse. Sie wollen etwas sagen?«

»Ich wollte mir die Frage erlauben, ob es damit zusammenhängt, daß man so selten in der Rangliste höherer Staatsmänner altpreußischen Namen begegnet?«

»Aber ja! Abkömmlinge auswärtiger Diplomaten sind erwünscht, die haben mehr höfische Gewandtheit und, savez-vous, weniger angeborene blöde Untertänigkeit gegenüber dem eigenen Hofe. Das macht unsicher. Ferner läßt sich nicht verkennen, daß standesherrliche Abstammung den Diplomaten ziert. Ein hochtönender Titel wirkt immer. Auch ausländische Namen sind begehrt. Ich erinnere an die Grafen Oriola und Perponcher, an Herrn v. Savigny.« Sein eigener Name hatte ja auch den richtigen Refugié-Anklang. »Sie lächeln, Herr Auskultator?«

»O ich meinte nur – vor Jena hatten wir ja auch den Marchese Luchesini. Der hat uns herrlich weit gebracht.«

»Hm, nun ja!« Der Minister nahm eine Prise. »Aber er schrieb so gut Französisch, das ist unschätzbar, solange alle Gesandtschaftsberichte ad regem französisch sein müssen. Schon wieder bemerkte ich bei Ihnen ein Lächeln?«

»Exzellenz halten zu Gnaden, aber Hotelportiers parlieren mit gleicher Leichtigkeit. Sicherheit im Französischen und hohe Geburt ersetzen doch wohl nicht politische Befähigung. Ich meine unmaßgeblich: wenn ein tüchtiger Staatsmann ein kerniges Deutsch mit der Welt redete, würde man ihn sehr gut verstehen.«

»Ach, das sind so jugendliche Illusionen!« rief Ancillon ärgerlich. »Ja ja, ich merke auch bei Ihnen das Besserwissen, wie ich es bei preußischen Edelleuten im Amte perhorresziere. Eh bien, ich will Ihnen was sagen: machen Sie zuerst Ihr Assessorexamen, dann werden wir Sie vielleicht bei den Geschäften des Zollvereins unterbringen, und so könnten Sie wohl allmählich in unsere deutschen Gesandtschaften eintreten, etwa in Hannover, da Sie ja in Göttingen studierten. Mit Aussicht auf größere europäische Posten in Paris, London, Petersburg, Wien kann ich Ihrer jugendlichen Zuversicht nicht schmeicheln. Derlei wird Ihnen wohl ewig verschlossen bleiben, dazu braucht man Grandseigneurs von hohem Rang, großem Vermögen und internationaler Salontournüre. Gott befohlen, Herr Auskultator, und grüßen Sie von mir Ihre verehrte Frau Mutter!«

Der Minister winkte mit der Hand, die Audienz war zu Ende. Nachdenklich schritt der Jüngling die Treppe hinunter und pfiff ein Reiterlied durch die Stockzähne. Zum Teufel, ja! Blütenträume reifen selten, Bäume wachsen nicht in den Himmel, der nicht voll Geigen hängt. Man muß schlecht und recht auf hergebrachten Gleisen wandern, und wird einem der Schneckengang zuwider, kann man ja immer noch austreten.

*

»Herr Rat verzeihen, aber ich kann mit der Sache nicht fertig werden!« Der zwanzigjährige Auskultator hatte nun vier Monate am Kriminalgericht protokolliert, wobei die Untersuchungen des Jahres 1835 sich besonders geeignet zeigten, die Moralität eines so jungen Menschen zu fördern. Homosexualität blühte schon damals bis in sehr hohe Kreise hinauf, und die umfangreichen Akten eines solchen Monstre-Prozesses wurden zuletzt vom Justizministerium eingefordert und nicht zurückgegeben. »Was wollen Sie! Seine Durchlaucht Fürst Wittgenstein sind, wie man sagt, gegen öffentliches Aufdecken dieser traurigen Dinge!« raunte der Rat v. Brauchitsch seinem jungen Auskultator zu, dessen schnelle und leserliche Schreibart zumeist in den Protokollen prangte. Verschleppt und niedergeschlagen, das läßt tief blicken, pfui Teufel! dachte der durchaus keusche und geradezu antierotische Jüngling, dessen gesunde Bärenkraft wohl dem Bacchus, doch gar nicht der Venus huldigte. Und nun, zur Behandlung von Zivilsachen ans Stadtgericht befördert, bekam er ausgerechnet für Ehescheidungen ein Dezernat unter Leitung des ewig schlaftrunkenen Rates Prätorius, den er diesmal wieder aus der Siesta in seinem Amtszimmer weckte. Der alte Herr sah ihn böse an. »Achjottedoch, die Herren vom Adel sollten doch lieber beim Militär bleiben!« Die bürgerlichen Beamten empfanden fast alle einen zeitgemäßen Haß gegen alle Junker, wie er seit den Befreiungskriegen in der gesamten Bürgerschaft herrschte und bei jeder Gelegenheit unangenehm hervorbrach. »Es ist verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man sich nicht ein bißchen zu helfen weiß.« Im Terminszimmer lispelte Rat Prätorius das hadernde Ehepaar an, ohne daß dieses Vernunft annahm, und diktierte dann hochtrabend: »Nachdem die dem Gebiete der Moral und Religion entnommenen Gründe erfolglos blieben, wurde weiterverhandelt.« Worauf er den Referendar anschnauzte: »Nun merken Sie sich künftig, wie man das macht.«

Solche fehlschlagenden Sühneversuche und Scheidungsklagen mochten freilich die Menschenkenntnis bereichern, nicht aber die lebensfreudige Stimmung. Bei Bagatellprozessen mit Vernehmung von Zeugen beauftragt, vermehrte der junge Herr seine juristische Schulung durch kräftige Entladungen seiner Ungeduld. »Herr, nehmen Sie sich in acht!« donnerte er einen ungebärdigen Zeugen an, »oder ich lasse Sie hinauswerfen!« »Herr Referendar,« berichtigte der Richter hinter seinem hölzernen Gitter, »das Hinauswerfen ist meine Sache!« Worauf jener das Kreuzverhör mit der Drohung fortsetzte: »Ich werde Sie durch Herrn Stadtgerichtsrat hinauswerfen lassen!« Gelächter des Publikums, Stirnrunzeln des Richters, doch das unverfrorene Machtgefühl des jugendlichen Juristen ließ sich nicht bändigen, seine Stentorstimme erfüllte den Raum. –

Um die unbefriedigende Langeweile seiner dienstlichen Tätigkeit zu würzen, machte Otto viele Besuche in vornehmen Häusern und ging oft in Gesellschaft, ohne aber Geschmack daran zu gewinnen.

»Wie hast du dich amüsiert?« frug seine Schwester, die leidenschaftlich tanzte und auch dem Kokettieren nicht abhold schien, nachdem er beim russischen Gesandten Ribeaupierre seinen ersten Eintritt in die »große Welt« gemacht. »Middling«, antwortete er gähnend. »Die grand monde ist ziemlich klein.« »Tu' doch nicht so blasiert! Sind die russischen Herrschaften nicht lieb?« »Ja. So 'ne Mischung von Juchtenleder und Pariser Parfüm. Ein ganz exotischer Duft, wenigstens was Apartes in unserer zivilisierten Hausbackenheit und bombastischen Politesse. Gute Manieren haben bloß Engländer und Russen.« Seine gesellschaftlichen Sitten hatte er gut abgeschliffen und bewegte sich auf dem Parkett als eleganter Tänzer, doch blieb ihm dabei jede erotische Regung fern, weder Ausschweifung noch sentimentale Jugendeselei verlockten ihn. Seine Leidenschaften gingen nach ganz anderer männlicher Richtung. In den Ferien, schon zu seiner Gymnasialzeit, bildete er sich auf dem Pommerngute Kniephof zum sicheren Schützen und tollkühnen Reiter aus, so daß sein würdiger Vater, der alte Rittmeister, seine helle Freude daran hatte. »Der sitzt im Sattel wie Pluvenal, Stallmeister des vierzehnten Louis, oder wie Hilmar Cura, der Friedrich dem Großen das Reiten lehrte.« Wie ein englischer Squire haßte Junker Otto das Stadtleben.

»Ach reden Sie nich, Harry!« fuhr er einen guten Bekannten an, den jungen Grafen Harry Arnim, mit dem er seit Kinderjahren liiert war. »Für Süßholzraspler wie Sie mag dies allens ganz nett sein. Sie scharmuzieren mit die Damens, davon nährt sich Ihre schöne Seele. Unsereins, ein simpler, nüchterner Landmann, will was zu präpeln haben, wenn er bis 3 Uhr nachts tanzen soll. Ist das eine Art, die Gäste verhungern zu lassen!« Es war auf dem Ball eines kleinstaatlichen Gesandten, der es für vornehm hielt, Bälle ohne Speise und Trank zu arrangieren. »Ich lebe nicht von Luft und Liebe, sondern von Butterbrot! So here goes!« Er zog plötzlich eine riesige Butterstulle hervor, drückte mimisch die Leiden eines leeren Magens aus und verzehrte diese Selbstbeköstigung mit feierlichem Nachdruck inmitten des Saales, worauf er auf französisch Abschied nahm.

» Fic donc, mon cher«, lispelte der junge Arnim, ein sehr schöner Jüngling von romantischem Äußeren, Ladiesman bis zur Fußzehe. »Man wird Sie nie mehr einladen.«

»Wenn schon! Ich bin es satt, satter als von einem Butterbrot, die ewige Medisance mit anzuhören. Lauter böswillige Impotenz, viel scheinbare, doch keine wirklich gute Erziehung, Knixe und Reverenzen, doch keine Politesse du coeur, wie wir sie bei uns auf dem Lande pflegen. Ne, Mahlzeit!«

» Il est absolument fou!« murmelte der geschniegelte Graf Harry, indem er sich aufs neue mit unvermindertem Eifer in den ungefütterten Balltrubel stürzte.

Auf einem Hofball, zu dem er als Altadeliger Eintritt erhielt, erschien der junge Jurist aber doch. Neben ihm stand ein Kollege, Auskultator v. Schack, ein Mecklenburger von gleicher Körperlänge. Beide standen sechs Fuß in ihren Schuhen. Soeben machte eine ähnlich hohe Gestalt die Runde. Man hatte Maskenkostüme gewünscht, und dieser hohe Herr wählte die Tracht des Kurfürsten Friedrich I., des Gründers der Hohenzollerndynastie. »Prinz Wilhelm!« murmelten die Umstehenden, als der schöne Mann die Reihen durchschritt und etwas Cour abhielt, liebenswürdige und wohlwollende Begrüßungen und Bemerkungen austauschend. Die mittelalterliche Ausstaffierung stand ihm über die Maßen gut, sein offenes männliches Gesicht trug einen freundlich gewinnenden Ausdruck. Da stachen ihm die zwei baumlangen Juristen ins Auge, deren Auskultatoruniform über ihren Stand nicht in Zweifel ließ. Etwas in der Miene Jung-Bismarcks fiel ihm auf. Er grüßte huldvoll auf dessen tiefe Verbeugung.

»Ihr Name? – Ah, von den Bismarcks! Eine sehr alte gute Familie. Na, die Justiz scheint ihre Rekruten nach Gardemaß anzuwerben. Warum nicht Soldat?«

»Königl. Hoheit verzeihen – das Avancement ist dort zur Zeit sehr ungünstig und schwierig.«

»Das ist wahr. Brillant ist die Karriere nicht. Aber bei der Justiz geht's auch langsam. Ich hoffe Sie mal wiederzusehen, Herr v. Bismarck.«

Otto sah ihm nach: wär' wohl ein rüder Quitzow gewesen, ein rechtes Rauhbein, doch dem Hohenzoller hätt' ich jede Burg geöffnet.

*

Nach Aachen versetzt, fuhr er die rheinische Bergstraße hinauf und machte in Wiesbaden Station. Auf der Promenade im Kurgarten hob er einen Fächer auf, der einer vornehm aussehenden Engländerin entfiel, und beantwortete ihr kühlhöfliches » Thank you« mit einem Kompliment in englischer Sprache. Sie stutzte, und seine weltmännische Keckheit gefiel ihr. »Sie sprechen gut englisch, Sir. Das trifft man selten hierzulande. In England glaubt man, alle Deutschen sprächen Englisch, aber ich finde das nur bei Hoteliers und sonstigen Angestellten. In der guten Gesellschaft kennt man nur Französisch.« »Das ist Pflicht, das Englische nur Liebhaberei.« »Ah! Lieben Sie das Englische?« »Wie sollte ich nicht!« verbeugte er sich mit einem vielsagenden Blick. »Sie sind gewiß ein Gentlemann von guter Familie? Aber gewiß, das sieht man.« Sie prüfte seine Erscheinung sehr ungeniert durch ein Lorgnon, worauf er sich in aller Form vorstellte. Sie nickte huldvoll. »Ich bin Miß Russel und dies ist meine Nichte, Isabella Loraine.« Ein schönes Mädchen neben ihr errötete leicht und ergänzte: »Tante und ich sind auf der Durchreise hier, wir gehen nach Italien, wo Lord Russel uns erwartet. Waren Sie schon dort?« »Noch nicht, das sparen wir Deutschen uns für unsere Hochzeitsreise auf«, lachte er, sich tief verbeugend. »Darf ich die Damen eine Strecke begleiten?« Es wurde eine sehr lange Strecke. Die englischen Damen fanden sichtliches Vergnügen an ihm, verabredeten einen Ausflug in den Taunus und beglückten ihren Kavalier mit vieler Liebenswürdigkeit. Isabella Loraine ließ sich auch erweichen, am Piano mit süßer Stimme falsch zu singen. Man wurde gefährlich sentimental bei britischen Volksliedern.

»O'r the blue mountain, over the white seafoam
Come thou, beloved one, to thy lonely home!«

klang die schwermütige Weise, und Otto malte sich aus, wie er so gern über Berg und Meer zu einer so blonden Dame seines Herzens in das einsame Heim einer altenglischen Burg im Tudorstil einziehen möchte, in die Kemenate ihres jungfräulichen Herzens. Doch er fiel aus allen Himmeln, als Miß Russel gnädig bemerkte: »Wie schade, daß Sie kein Brite sind! Es muß doch peinlich sein, nicht einer großen Nation anzugehören!« Er bekam einen roten Kopf. »Erlauben Sie, der Zahl nach dürfte die deutsche Nation wohl die größte sein, die russische ausgenommen.« »O Himmel ja, auch die chinesische ausgenommen!« flötete sie herablassend. »Das mein' ich natürlich nicht. Aber wir Engländer und die Franzosen waren doch immer die ersten in der Welt.« »Immer? Ich bitt' um Verzeihung.« »Oh!« Sie rümpfte die Nase und brach spitz ab: »Ein deutscher Baron wird uns wohl nicht über englische Geschichte belehren. Komm herein, Isabella, die Terrasse wird kühl, und wir wollen den Herrn nicht länger aufhalten.« Miß Loraine sagte nichts und warf ihm flüchtig einen zarten Blick zu. Doch der Flirt ging zu Ende, und sie nahm das wohltuende Bewußtsein mit, im Herzen dieses armen stattlichen Foreigners eine unauslöschliche Flamme entzündet zu haben. Bei Tische ließ sie mal ihre Serviette absichtlich fallen und verlangte sein Taschentuch, und als er es verblüfft der Gebieterin reichen wollte, drückte sie ihm hastig die Hand durchs Taschentuch, in das sie hineingriff unter dem Vorwand, sich die Finger abzuwischen. Als die Damen abreisten, gütig und herablassend beim Abschied, begriff er, was ein englischer oder amerikanischer Flirt »ohne weiteren Zweck« bedeutet und nun gar einem untergeordneten Ausländer gegenüber. Also wir Deutschen sind Menschen zweiter Klasse, während jedes englische Männchen und Weibchen von uns mit Ehrfurcht umworben wird! Um seine Herzenswunde zu verbeißen, becherte und würfelte er mit Offizieren im Kursaal auf Leben und Tod bis zum Morgengrauen. Aber da war er geheilt, sein patriotischer Ärger erstickte die grüne Jugendeselei.

*


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