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Das große Verbrechen war heraus. Der österreichische Gesandte schob einigen seiner Satelliten, die er Kollegen nannte, einen Pack deutscher Zeitungen hin. »Ein sicherer Herr v. Bismarck ihst niemalen etwas Feineres als Auskultator gewesen, schreibt die Poostahmtszeitung, serr ein erleuchtetes Organ. Und da lesen's bloß die Voossische und Spenersche Zeitung! Da nennen's den Herrn Kollega einen ›diplomatischen Säuglihng‹ und da steht's im schönsten Daitsch: ›Der Burscheh wärre unverschämt genug, eine Fregatte oder aihneh chirurgischhe Opperationn zu kommandierehn, wenn man ihn darum bähteh‹ 'S ihst halt a Kreuz mit so jungen Leuten. Übbrigehns ihst err auch gar nit Baron, wie man ihn tituliert, sondehrn ein simpler Edelmann.« Graf Thun wienerte mit slavischem Akzent wie immer, wenn er ärgerliche Stimmung zum Ausdruck brachte. Die liebenswürdige Beihilfe der Berliner Presse, nicht ohne mittelbare Beeinflussung von österreichischer Seite, in solcher Empfehlung ihres Landsmannes beim Bundestag genügte am Ende nicht zum Unterminieren eines so handfesten stämmigen Kerls, der breitbeinig auf seinem Posten stand. Etwas Unglaubliches war geschehen gleich in der ersten Sitzung, an der dieser neue Gesandte teilnahm. Im Kreis der deutschen Mächte rauchte nur Österreich als Präsidium. Der alte Rochow hätte es gern getan, doch wagte es nicht, die Kleinstaaten mußten sich natürlich aus Ehrfurcht das Rauchen verbeißen. Kaum überschaute Otto diese eingebürgerte Rangabstufung, als er eine lange und fette Zigarre hervorzog und Österreich um Feuer bat. Halb gelähmt vor Verblüffung reichte Thun ihm das Gewünschte, worauf Preußen auf Leben und Tod zu paffen anfing, dabei mit ruhiger Stimme, als wäre nichts geschehen, eine Bagatellsache besprechend, wie sie das übliche Tagewerk des hohen Bundestags bestimmte. Still und betreten verlief die Tagung, Österreich und Preußen rauchten sich ins Gesicht und die Kleinstaaten schmachteten nach dem Land, wo der Pfeffer wächst, dieser Tobak war ihnen zu stark.

Kaum schloß die Sitzung, als sich die Federn aller Gesandten zu einem pro memoria spitzten, das nach Aberschrift und Leitmotiv immer den gleichen Sinn hatte: Preußens Übergriffe werden bedrohlich, es will uns eine Zigarre anzünden, d. h. ein Licht aufstecken oder auch Rauch und blauen Dunst vormachen, um eine Überhebung zu verschleiern. Werden nicht rechtzeitig Maßregeln ergriffen, so wird Preußen noch mit einer Meerschaumpfeife das ganze Bundespalais vollqualmen. Die submisse Anfrage gehe dahin, ob die Kleinstaaten nicht auch Raucher sein dürften. Tief und ernst waren die Beratungen, die an den Höfen über Preußens Zigarre angestellt wurden. Doch man konnte nicht rasch zu einem Schlusse kommen. Als der Übeltäter bei späterer Gelegenheit den Bayrischen Gesandten Schrenck auf der Straße um ein Streichholz bat, erkannte dieser darin eine diplomatische Anspielung: Der Brandstifter forderte Bayern zur Mittäterschaft auf! Schrenck berichtete umgehend nach Hause, daß Not am Manne sei und daß Bayern auch rauchen müsse, um seine Würde zu wahren. Er werde sich opfern und ein Vorbild geben.

Fürs erste rauchten die beiden Großmächte allein. Thun, sehr konsterniert, wurde jedoch zusehends verbindlicher gegen einen Menschen, der sich nichts gefallen ließ und der, wenn man ihn reizte, auch zahme Bundesmitglieder mit anstecken konnte. Denn sein zugleich festes und liebenswürdiges Auftreten machte Eindruck und gewann ihm eine Partei, die zu Preußen neigte, dessen zigarrenrauchende Nichtachtung für Österreichs Majestät eine neuerwachte Stärke und Gefährlichkeit zu verraten schien.

» Ciel! Wie ergreifend!« Der erste Attaché der österreichischen Gesandtschaft, Baron Nell v. Nellenburg, führte mit elegischer Grazie sein duftendes Taschentuch zum Auge. Die Tränen kamen ihm wirklich. Man gab einen alten Ladenhüter des göttlichen Kotzebue, wo sich die Tugend erbricht, bis das Laster Appetit bekommt und sich zu Tisch setzt. Der Baron hatte viel Haare gelassen und trug eine Perücke, dafür besaß er ein Übermaß von fünfizgjährigen Gefühlen, besonders wenn er mehr Champagner trank als ihm gut war. Der zweite Attaché, Baron Brenner, zog die Augenbrauen hoch und sah den preußischen Gesandten von der Seite an, der mit ihnen die Theaterloge teilte. Doch der saß kalt und trocken da, wenig gerührt von Menschenhaß und Reue des seligen Herrn v. Kotzebue. »Man sage, wahs man will, er war doch ein großer Autor. Exzellenz interessieren sich wohl nicht für schöne Literatur?«

»Mehr für unschöne«, erwiderte der Preuße gelassen. »Geschichte und dergleichen. Eine Tragödie von Kotzebue ist eine ernste Sache, dieser Zug erinnert mich an meine früheste Jugend, ein Lustspiel ist noch ernster.«

»Exzellenz sind bei guter Laune.« Brenner lachte fein und äugelte durchs Opernglas nach einer Bürgerdame im Parkett, da ihn sein Geschmack mehr in den Mittelstand weiblicher Reize hinzog, worüber verschiedene reizvolle Mitteilungen kursierten. Das edle Mitleid eines großen schönen Vierzigers für einen gebrechlichen älteren Diplomatenkollegen bewog ihn, ernst zu erklären: »Baron Nellenburg ist selber Dichter und hat schwere häusliche Schicksale gehabt.«

»Das bedauere ich sehr«, beeilte sich Bismarck zu versichern. »Wirkliches Leid sticht so würdig ab von den Schminktöpfen der Theaterphrasen.«

Nellenburg trocknete seine Augen, putzte sein Opernglas und machte gute Miene zum bösen Spiel, das auf der Bühne weiterging. »Mögen's mich für sentimental halten, Exzellenz, aber Gemüt ist mir alles. Mein verehrter Freund Baron Brenner tut mir zu viel Ehre an, wenn er mich Dichter tauft. Ich huldige nur in Mußestunden den Musen. Mein Ideal ist Baron Nimbsch v. Strehlenau, leider einem traurigen Los verfallen.«

»Im Irrenhaus«, versetzte Brenner triftig. »Sah's voraus nach seinen subversiven Tendenzen. Ich machte allerhöchsten Orts Anzeige, als ich sein ruchloses Machwerk, ›Die Albigenser‹, las. Welche gemaihnehn Ausfälle gegen die heilige Kirche! Ich war damals nur ein junger Attaché in Italien, aber mein christliches katholisches Gefühl empörte sich. Nach der heiligen Messe beichtete ich sofort, daß ich meine Seele mit solcher Lektüre befleckte, und empfing gütige Absolution von einem hochwürdigsten Herrn. Meine Anzeige wurde zwar als Tat eines pflichttreuen Beamten huldvoll vermerkt, kam aber gottlob schon zu spät. Der hohe Bundestag hatte das Opus schon verboten.«

»Mein verehrter Freund Baron Brenner ist ultramontan, wie man zu sagen pflegt«, erläuterte Nellenburg. »Es ist wahr, daß Baron Strehlenau – – guter ungarischer Adel – – viel gesündigt hat. Doch er hat gar so viel geliebt, und ihm ist vergeben wegen so göttlich trauriger Verse. Doch pardon, Exzellenz, ich weiß nicht, ob Sie – – ich meine natürlich den großen Lenau, wie ja sein nom de plume lautet. Haben Sie von ihm gelesen?«

»Nicht, daß ich wüßte!« verneinte Otto mit eiserner Stirn. »Weltschmerz, nicht wahr? Für solche Chosen ist bei uns im Norden kein Boden.«

»Schilflieder wachsen nicht in märkischem Sand«, murmelte Nellenburg halblaut. »Der deutsche Byron! Von diesem englischen Lord werden Exzellenz ja wohl vernommen haben, leider auch ein böser Revolutionär.«

»Undeutlich ... ja ganz recht, Byron ... von dem muß ich schon mal was gelesen haben. Recht unverdaulich!« Bismarck amüsierte sich köstlich. Die beiden Kavaliere österreichischer ästhetischer Hochkultur blinzelten sich verständnisinnig zu. Ungebildeter märkischer Junker! Was kann aus Preußen Gutes kommen!

»War dieser Byron nicht in die Karbonaribewegung verwickelt?« fragte er listig. Auf einen Streich verschwanden angenehme Rührseligkeit und gutmütige Betulichkeit. Brenner fuhr mit einem Ruck herum, während Nellenburg ein mißtrauisches Auge auf den preußischen Gesandten warf.

»Ahllerdings. Exzellenz scheinen serr ein gutes Gedächtnis zu haben, wenn auch nicht für Verse.« Obwohl aristokratisch reserviert in seinen Formen, verbreitete sich Brenner, bisher in Italien beschäftigt, nicht ohne hitzige Schärfe über die abscheulichen Bestrebungen des Risorgimento, über Mazzini und Garibaldi. Nellenburg, als annonymer Pamphletist in politicis geschätzt, sekundierte seinem Genossen mit Nibelungentreue. Bismarck hörte gespannt zu und sammelte einige wertvolle Aufschlüsse ein. Doch wie wenn sie sich reuig auf diplomatischer Taktlosigkeit erwischten, brachen beide Herren plötzlich ab und empfahlen sich.

O, du mein Österreich! dachte Otto, als er nach Hause fuhr. Die Ästheten der Bleidächer Venedigs, der Zuchthaushöllen von Spielberg und Olmütz! Das sitzt auf den Trümmern von Karthago oder Capua und liest Lenau. »Der deutsche Byron!« Als ob man eine Nachtigall mit einem Adler vergliche. Ich mußte den wilden Mann machen, denn Ästhetik mit koaserlichen Kavalieren, das überleb' ich nicht. Aber wie gut sie über Italien beschlagen waren! Dieser Brenner soll seine Hand im Spiel gehabt haben bei neuen Repressivmaßregeln in Mailand. Unter der Maske zutraulicher Nonchalance lauter schlaue Faiseure. Sie öffnen einem meilenweit das goldene Weaner Herz, so was sehe ich auch sehr gern, aber nicht so dick wattiert. Die italienischen Angelegenheiten verdienen ernste Beachtung, sie nehmen das gleiche Tempo wie bei uns. Einheit vermittels Revolution mißlingt, vermittels monarchischen Staatsgedankens geht's vielleicht. Militärisch ist Österreich zu stark seit Radetzky, doch wer weiß, ob nicht Italien Anschluß an Frankreich findet! Diese Fremdherrschaft ist auf die Dauer undenkbar. Und was ist Österreichs Stellung in Deutschland? Auch Fremdherrschaft. Was ist denn Graf Thun als ein Tscheche? Schande über Schande, daß solcher Mund in deutschen Dingen das große Wort führt.

Er stieg aus seiner Equipage aus und wanderte einige Zeit im Mondschein herum. Wie kurze Spanne Zeit verfloß, seit er den ganzen Tag in Plenarsitzungen der Kammer sich abplagte und erst nachts sich Bewegung machen konnte, zwischen Opernhaus und Brandenburger Tor, Unter den Linden lustwandelnd! Hier konnte er sich frei ergehen, soviel er wollte, doch die seelische Freiheit fehlte. Nur in der Heimat wohnt das Glück. Selbst die Feindseligkeit politischer Gegner hat dort ein vertrautes landsmannschaftliches Gepräge, hier ödet mich alles fremd an. Glitzerndes Eis, drinnen Kälte, darunter Tücke, wenn man einbricht. Dies Frankfurt, wo man von deutscher Einheit zuerst gepredigt, ist heute eine gut österreichische Vasallenstadt.

*

Endlich waren Frau und Kinder da. Er hatte eine reizende Wohnung, Gallusgasse, Bockenheimer Chaussee 40, im Gartenviertel weit draußen gemietet, und Nanne begann sich häuslich einzurichten. »Ach, wie teuer hier alles ist!« klagte sie. »Und sie geben uns nicht genug für die Ausstattung. 3000 Taler haben sie dir auch vom Gehalte abgeknapst. Freilich, 1000 Taler bleibt eine schöne Menge Geld. Müssen wir wirklich repräsentieren? Ich habe solche Angst.«

»Keine Bange, du wirst dich schon rausreißen. Ich kenne doch mein tapferes Niedchen. Französisch parlierst du schon wie ein Wasserfall. Halte dich gut mit England, das ist eine gutartige Frau, und an Österreich ist auch die Frau das beste. Sie wird dir nicht sonderlich gefallen, die Gräfin ist eine Weltdame, aber anständig, gutweiblich und fromm.«

»Ja, als Katholische. Und wie steht es hier mit den reformierten Kirchen?« Otto vertiefte sich ernsthaft in dies unergründliche Thema. Mit Behagen fühlte er sich bald heimisch in den neuen vier Pfählen.

»Respekt vor unserer Villa! Sie hatte erlauchte Bewohner, zuerst Rothschild von Neapel, jüngere Linie der Dynastie, sodann den Reichsverweser Erzherzog Hansl. Ich fühle mich schon ganz reichsverweserlich, nur möcht' ich dies Deutsche Reich nicht haben um alle Rothschildschätze.«

»Was für prächtige Blumen! Bis zur Freitreppe hinauf! Ein Kamelienflor sondergleichen. Ich glaube, an 1000 Stück.«

»Ach, du weißt, daß ich Kamelien nicht mag, diese protzigen Dinger. Ausländischer Import, großgezogen auf deutschem Boden! Veilchen wären mir lieber. Ne, Kinder, hier ist Freistatt, Villa Libera. Hier soll jeder treiben, was er will, Wirt und Gäste. Die Empfangszimmer auf der Vorderseite, da stören sie uns nicht in der Häuslichkeit. Arme Nanne, wir müssen ein großes Haus machen, da hilft kein Zittern vorm Frost.«

Eine so gute Hausfrau verbreitete allgemeine Bequemlichkeit. Ein gelbtapeziertes Zimmer diente ihm als Studio, und nach jeder Mahlzeit versammelte sich die Familie um ein grünes Sofa mit einer Doppellampe. Das war seine Erholungsstunde, im übrigen hatte er es streng mit tausend Kleinigkeiten des Dienstes.

»Du scheinst aber schon eine sehr geachtete, sichere Stellung einzunehmen«, schloß Johanna befriedigt aus dem Verlauf ihrer Rundvisiten und dem Ton, mit dem ihr Gatte behandelt wurde.

»So, so. Man mußte sich's erkämpfen.« Es war noch nicht lange her, daß der arrogante Freiherr v. Holzhausen, der ein halbdutzend winziger Kleinstaaten vertrat, unverschämt werden wollte. Er äußerte sich zum Württemberger Reinhard: »Diese halbwendischen Junker von jenseits der Elbe müssen geduckt werden. Ich betrachte diesen Adel als apokryph. Unsereins hat anderen Stammbaum.« Von uraltem Frankfurter Patriziergeschlecht, sehr begütert, schwelgte der gute Mann in verblichenen Traditionen des Heiligen Römischen Reiches und fühlte sich als »reichsunmittelbar«. Österreich hatte ihm den Titel eines »Geheimrats« zu verschaffen gewußt und ihn dekoriert, hing aber den Brotkorb hoher Orden etwas höher mit der Aussicht einer weiteren Erhöhung zu österreichischem Grafentitel, wenn er sich besonders willfährig und preußenfeindlich erweise. Was er denn auch tat, und zwar skrupellos auf eigene Faust, ohne Instruktionen der Höfe abzuwarten, für die man ihn akkreditiert hatte.

»Aber der Bismarck soll doch so scharf auf Adelsrechte sein, bei unserer eigenen Sache gegen renitente Landstände hat er in Preußen gebremst«, wandte der Vertreter Kurhessens ein, Herr v. Trodt, der äußerlich mehr einen derben Nimrod als einen Diplomaten herausbiß. Er kam so selten als möglich zu Sitzungen, wo er die einfachste Aufgabe hatte: immer für Österreich zu stimmen, das seine »Instruktionen« in Kassel diktierte. »Und persönlich mag ich ihn wohl leiden, ist ein flotter, netter Kerl, der von der Jagd viel versteht.«

»Ach, lassen Sie mich mit dieser Flottheit zufrieden! Sind das die Manieren eines Staatsvertreters? Doch wie der Herr, so der Knecht. Das ganze Preußen ist nur revolutinäre Usurpation. Hat man je gehört, daß im glorreichen Heiligen Römischen Reich der Markgraf von Brandenburg eine Hauptperson spielte? Wem als der Gnade unserer erhabenen Habsburger Kaiser verdankt denn Preußen den Königstitel? Zum Dank wofür der böse Fritz den Landfrieden brach und tückisches Faustrecht gegen seine gnädigste Kaiserin Maria Theresia brauchte.«

»Nur zu wahr«, stimmte der Württemberger bei. Denn daß die süddeutschen Könige und Großherzöge aus Napoleons Rheinbund stammten, war natürlich eine gesündere Titelherkunft. »Ich wittere in diesem Bismarck den Geist der Usurpation und etwas entschieden Revolutionäres. Ich höre immer ›konservativ‹, doch jede Äußerung des Mannes hat für mich einen geradezu demokratischen Beigeschmack.«

»Daß er selbst bei sich zu Hause nichts gilt,« betonte Holzhausen gewichtig, »dafür haben wir den Beweis vor Augen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich ihn in Staatsuniform sah. Keine Orden oder so gut wie keine. Es ist ein Affront, solche verdienstlosen Leute in unsere illustre Versammlung zu schicken.« Er blies sich auf. »Ein hoher Orden gehört zur Anstandstoilette eines Gesandten. Ich käme mir vor, als ob ich nackt in einem Salon spazierte.«

Das nächste Mal, als Otto das diplomatische Nuditätenkabinett mit geziemender Ordensbebeckung vor sich hatte, raunte Holzhausen seiner Clique zu: »Jetzt werd' ich die Großmacht koramieren.« Indem er die Rettungsmedaille auf Ottos breiter Brust süffisant anstarrte, fragte er näselnd: »Pardon, was tragen Sie denn da für eine extraordinäre Dekoration? Die hab' ich noch nie gesehen.«

»Das glaub' ich gern. Ich habe manchmal die Gewohnheit, einen Menschen zu retten!« erläuterte jener mit liebenswürdigem Lächeln, doch einem so kalten Blitz der Augen, daß Holzhausen zusammenknickte und verstummte. Als er nachher spottete: »Dekoriert wie ein Feuerwehrmann!« fand er wenig Beifall. Im allgemeinen überwog das Urteil, der Preuße sei eine brave, ehrliche Haut, obschon kein großes Licht. – –

»Nicht wahr, der hohe Bundestag gleicht unserem Londoner Kanzleigerichtshof?« fragte Lady Cowley mit feinem Lächeln.

»Inwiefern? Verstehe ich die liebenswürdige Malice? Sie meinen Aufschub, Verschleppung, Zeitverlust! Die Welt ist schlecht und liebt das Strahlende zu schwärzen.« Bismarck zuckte gleichmütig die Achseln. »Zu guter Letzt haben wir doch Delegierte zur Londoner Konferenz ernannt, um zu zeigen, daß wir existieren.«

»Nicht wahr, den Grafen Beust und Baron v. d. Pforten? Aber Lord Cowley sagt,« sie sprach nach englischer Sitte von ihrem Mann in der dritten Person, »die Großstaaten Österreich und Preußen würden allein ihre Wege gehen und auf eigene Faust Verträge schließen, ohne sie dem Bundestag zu unterbreiten. Wird das nicht böses Blut machen?«

»Möglich. Karl V. soll von den Deutschen gesagt haben – ein amerikanischer Jugendfreund namens Motley hat mir's zitiert –, sie seien trunksüchtig, träumerisch und unfähig zur Intrige. Mit allem Respekt vor Seiner katholisch-spanischen Majestät möchte ich doch bezweifeln, daß er in die Tiefen unserer Seele blickte. Ich gebe zu, daß wir manchmal träumerisch sind. Bemerken Milady die stille Verzückung, womit Holzhausen die Ordenskette des Herrn v. Tallenay anstaunt. Von Neigung zu edeln Getränken spreche ich uns nicht frei. Aber da wir händelsüchtig sind, so folgen wir edeln deutschen Diplomaten nur unserer Natur, wenn wir uns gegenseitig in die Haare geraten.«

Lady Cowley lachte. » Querelle Allemande! Wir waren hier doch so schläfrig, bis Sie uns hier Ihr Pfeffer streuten. Wir gurrten so traut en famille, bis man Ihnen den Taubenschlag öffnete und ein so fremder Vogel mit sonderbarem Gefieder hereinflatterte.«

Er verbeugte sich. »Wiedehopf oder Rabe?«

Sie hob leicht ihr Lorgnon. »Ja, wer das wüßte!« Heimlich dachte sie: vielleicht ein Habicht, denn zu einem Adler langt's doch wohl nicht. »Ich kenne mich nicht aus in der Zoologie. Aber wer Sie einen Raben nennt, der bekäme es mit mir zu tun. Den würde ich auf Euer Exzellenz musikalische Stimmung verweisen, die für Nachtigallen schwärmt.«

»Vielleicht das Gesetz des Gegensatzes«, warf er trocken hin. »Aber nennen wir mich prosaischer den Hecht im Karpfenteich. Ich trübe ein wenig das Wasser.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ein Lamm sind, und die reißenden Wölfe sich über Sie beklagen? Ach, die armen Schafe! O, Pardon, was rede ich da! Wir sind hier alle weißgewaschene Lämmer, und Sie das weißeste. Was macht Ihre liebe Frau Gemahlin? Sie ist unpäßlich? Wie bedaure ich das! Empfehlen Sie mich Ihrer Exzellenz aufs herzlichste!«

Als Bismarck sich erhob und verabschiedete, dachte er: nur vor Frauen muß man sich in acht nehmen, die hören das Gras wachsen. Doch sonst fühlte er sich sicher in seiner Rolle als närrischer Brutus. Der einzige unter seinen Kollegen, dem eine deutsche Einheit am Herzen lag, Herr v. Eisendecher, Vertreter von Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg-Rudolstadt, ein lebhafter, gesprächiger und wohlmeinender Mann, setzte ihm eines Tages auseinander: »Ich möchte mich Ihnen decouvrieren, weil Sie mir Vertrauen einflößen. Sehen Sie, Preußens Streben nach nationaler Verständigung war ein Fiasko, und es konnte nicht anders sein. Die Gründe kennt jeder. Da bleibt nichts übrig, als enger Bund aller Kleinstaaten untereinander. Ich denke mir unsern Bundestag als starke Zentralgewalt, auch so kommt eine gewisse Einheit zustande.«

»Und wie denken Sie sich Österreichs Stellungnahme dazu?«

Eisendecher zuckte die Achseln. »Das gleiche könnten Sie für Preußen fragen. Die beiden Großmächte müssen eben zusehen, ob sie draußen oder drin bleiben wollen. Da sie wohl kaum gleiche Interessen haben, läge natürlich beiden daran, sich der dritten Macht stets anzubequemen. Denn Bayern, Hannover, Sachsen usw. wären vereinigt auch eine Großmacht.«

Also ein ewiges Balancieren von drei Faktoren mit verschiedener Grundlage und meist auseinandergehenden Absichten! Eine niedliche Einheit! Laut aber äußerte Otto: »Das ist tief und schön gedacht. Ich glaube fast, ich könnte mich dafür erwärmen. Und bitte schlagen Sie sich aus dem Sinn, als ob zwischen Österreich und Preußen ein Antagonismus bestände. Mein allergnädigster Herr hat nur ein Ideal: brüderliche Freundschaft mit Österreich. Dafür bin ich hier, seinen Willen zu tun.« Der andere sah ihn zweifelnd an. »Ja, wahrlich! Aber es versteht sich von selbst, daß Österreich nicht unsere eigenen Rechte verletzt und sich anmaßt, uns wie Untergebene zu behandeln. Auf diesem Punkt bin ich fest, sonst der treueste Anhänger des erlauchten Kaiserstaats.«

Bei dieser Note blieb er und überzeugte allmählich auch Thun davon, daß es sich nur um Wahrung des äußeren Ansehens handle und der burschikose preußische Junker nichts Böses im Schilde führe. In der symbolischen Zigarrensache, die so viel Rauch aufwirbelte, hatte der Präsident nicht etwa nun zwei Zigarren in jeden Mundwinkel geklemmt, um Österreichs Übergewicht darzutun, sondern vielmehr in einen sauren Apfel gebissen. Denn plötzlich erschien der bayerische Gesandte in einer Sitzung auch mit brennender Zigarre. Der Sachse Nostitz, ein wütender Raucher, fühlte sich zur gleichen Großtat gedrängt, wagte es aber nicht ohne besondere Vollmacht aus Dresden. Indessen verderben böse Beispiele gute Sitten, und bei der folgenden Sitzung schwang sich auch Hannover zu Nikotin auf. Da gab es kein Halten, die Würde Sachsens und auch Württembergs, eines Nichtrauchers, verlangte einen großen Entschluß. Rauchen oder Nichtrauchen war die große Frage. Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern des Rauchgeschicks erdulden oder, sich wappnend gegen eine See von Plagen, durch Widerstand sie enden? Nostitz verständigte sich unter vier Augen mit Thun, der gnädig Erlaubnis gewährte, und paffte los, worauf Reinhard ein langes, gelbliches Ding hervorholte und mit Todesverachtung die Hälfte des leichten Krauts in Rauch aufgehen ließ, ein Brandopfer auf dem Altar des Vaterlandes. Da ward die angeborene Farbe der Entschließung von einer Blässe angekränkelt, und Württemberg verließ wankend das Rauchkonzert. Die beiden Hessen sahen als entschlossene Nichtraucher dieser nationalen Katastrophe grimmig zu, ihr Groll gekränkter Würde verdoppelte sich gegen den preußischen Eindringling, der zu solchen Einheitsbestrebungen zwang! –

Im Familienkreis und vor Lynar, dessen weißer Pudel den Kindern ein begehrter Spielkamerad war, machte Otto kein Hehl über die Rollenverteilung im Bundestag, und knöpfte sich über die Möglichkeit auf, eine preußische Partei darin zu schaffen.

»Die zwei Hessen, Württemberg und der unsagbare Holzhausen sind unbelehrbar. Nostitz hat seine Söhne in der österreichischen Armee, hinc illae irae! Er hat viel Arbeitskraft und Erfahrung, der gescheite Mann wird uns aus persönlichen Motiven möglichst Sachsen entfremden. Schrenck der Bayer ist ein offener Charakter, gefällig, auch praktisch, aber als Jurist etwas doktrinär. Nur muß man seinen reizbaren Partikularismus schonen, das tue ich natürlich und schwatze von Bayerns großer deutscher Mission und den besonderen Vorzügen der bayerischen ›Nation‹. Der Badenser Marschall wäre nützlich, wenn er nicht einen Horror vor jeder Verantwortlichkeit und Unabhängigkeit hegte. Baden ist sich nicht schlüssig, ob es sich für Österreich oder Preußen entscheiden soll. Minder neutral beträgt sich Freiherr v. Dungern, Vertreter für Nassau und Braunschweig, eine verrückte Zusammenstellung, wohl absichtlich von Österreich ersonnen. Der Mann ist so unbedeutend, daß niemand auf ihn achtet, während der oberflächliche Wirrkopf Reinhard sich dadurch wichtig macht, daß er grundsätzlich zu spät in die Sitzungen kommt und dann noch durch Unaufmerksamkeit uns die Zeit stiehlt. Doch Dungern ist Nassauer, daher österreichisch gesinnt, und das preußisch gesinnte Braunschweig mag zusehen, wo es in seinen Händen bleibt. Dagegen hält Oertzen-Mecklenburg zu mir, und ich möchte das gleiche von Bothner sagen, der später unsern wackeren Schele für Hannover ersetzen wird, ein unabhängiger, einnehmender Charakter, der mich wacker gegen Thun unterstützt. Erfreulich ist auch die Haltung des Herrn v. Bülow, Vertreter der Schmerzenskinder Schleswig-Holstein, ein Begabter, mit dem ich gern im Leben geschäftlich beisammenbleiben möchte. Baron Fritsch für die Thüringer Herzogtümer hat den besten Willen für uns, was sich ja von einem seiner Auftraggeber, Herzog Ernst von Koburg, erwarten ließ, leider zu wenig Macht. Herr v. Scherff hat als niederländischer Gesandter für Luxemburg mehr Gewicht, ein gewissenhafter Arbeiter und unser treuer Alliierter, der nicht bloß passiv wie Eisendecher, sondern aktiv für Preußens Rechte eintritt.«

Bei näherer Kenntnis stellte sich also die Beschaffenheit des Bundestages viel günstiger heraus, als Otto anfangs annahm. Nur hatte er von den größeren sieben Kleinstaaten vier gegen sich, zwei waren neutral (Bayern und Baden), die Parteinahme der allermeisten Fürstentümer zweiten Ranges glich dies schwerlich aus.

»Kommst du denn wenigstens äußerlich gut mit den Feinden aus?« fragte Johanna.

»Gott ja! Wir stehen auf dem schönsten Grußfuß, besonders überhäufen mich die Austriaken mit lärmender Bonhomie, durch die ihre Intrigantenfratze hervorschielt. Die anderen Karikaturen von Perückendiplomaten grauer Vorzeit setzen ein offizielles Gesicht auf, wenn ich behaupte, das Wetter sei schön. Das halten sie für eine politische Anspielung. Fordern sie im Bundespalast vom Portier den Schlüssel zum Waschzimmer oder andern Örtlichkeiten, so studieren sie dabei im Spiegel, ob sie auch die ganze Kunst ihrer Würde bewahren.«

*


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