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Wie es in den Ferien bei Regenwetter geht.

Am zweiten Ferientag hatten Marianne und Lotti zu bügeln; Hans half Jakob beim Kaninchenstall. Am Nachmittag unternahm man die Fahrt zu Mischa. Das Vergnügen wurde zwar zuerst etwas gestört; denn der kleine Werner, als er die alte Frau Zritschek mit der Hakennase sah und die Hand geben sollte, fing an zu weinen und steckte den Kopf hinter Marianne:

»Ich – ich will die Frau nicht sehen –! ich – ich will heim –«

Marianne versuchte umsonst, ihn zu beruhigen.

»Es ist schrecklich!« sagte Hans leise zu Lotti. »Man hat nur Schande mit ihm. Hätten wir ihn doch nicht mitgenommen!«

Da fing Mischa an, auf sein Sohlleder zu klopfen und dazu mit seiner sanften Stimme zu sprechen:

»Wenn der ganz kleine Herr mir helfen will die Nägel einschlagen –? So – immer so –«

Werner horchte auf. Dann ging er zwei Schritte auf Mischa zu, der ihm freundlich den Hammer hinstreckte.

Jetzt war das Spiel gewonnen. Werner begann munter zu hämmern und war gar nicht mehr von Mischa wegzubringen. Als Marianne ihn endlich an der Hand nahm, erklärte er: »Morgen komm' ich wieder!« und gab der Frau Zritschek einen zutraulichen Patsch zum Abschied. –

Für den Mittwoch war das Klaregg in Aussicht genommen. Aber in der Nacht schlug das Wetter plötzlich um. Hans hörte beim Erwachen ein starkes Rauschen. Er sah hinaus: Es regnete, was es konnte. Die Blätter des Birnbaums trieften. Der Himmel war grau, der See grau.

Hans kam aber doch lustig pfeifend die Treppe herunter. Er dachte an den Garten, den sie nun auf Mamas grossem Gläserbrett anlegen wollten. Als jedoch die Kinder beim Frühstück lebhaft von dem Garten sprachen, kam Mama hinzu:

»Wie wär's, Marianne und Lotti, wenn ihr zuerst einmal etwa eine Stunde fleissig stricktet? Hans kann mir zwei Stränge Wolle abwickeln und nachher die kleine Mappe leimen, die ich längst gern hätte.«

Hans brachte sofort den Haspel:

»Bitte, bitte, die Wolle, Mama, damit ich nachher bald das Moos holen kann –!«

Lotti seufzte ein wenig. Sie hatte für Werner einen Strumpf in Arbeit, der gar nicht vom Fleck wollte. Es war ein Glück, dass wenigstens das Garn zweifarbig war; immer kam nach einem weissen Ringel wieder ein blauer. Aber es dauerte fruchtbar lang, bis so ein Streifen fertig war. An einer einzigen Masche gab es vier Dinge zu tun, wie Grossmama sie gelehrt hatte: Einstechen, Umschlagen, Herausziehen und Fallenlassen. Und eine Masche war so wenig.

»Marianne, kann ein grosser Mensch wohl ausrechnen, wie viele Maschen ein Strumpf hat?« fragte Lotti.

Marianne zuckte nur mit den Achseln; sie war gerade am Abnehmen; da musste man aufpassen.

Lotti wickelte das Garn ein wenig auf, um zu sehen, wie weit das Blau noch gehe. Dann schüttelte sie ihren Knäuel. Zu allerinnerst steckte ein Schächtelchen mit einem Geldstück. Grossmama hatte das so gewickelt. Lotti hätte gern gewusst, ob ein Fünfer oder ein Zehner drin sei; es klapperte ziemlich stark.

»Ja, Lotti, auf die Art kommt es nicht heraus!« sagte Sophie, als sie durchs Zimmer ging. »Am vernünftigsten ist, du strickst nacheinander fort und schaust den Knäuel gar nicht an. Wieviel Gänge hast du denn auf?«

»Sechs«, antwortete Lotti etwas kläglich.

»Siehst du, da musst du schon fest dran sein, sonst laufen dir Hans und Marianne davon!«

Da setzte sich Lotti auf ihrem Stuhl zurecht und fing eifrig an, in die Maschen zu stechen. Es wäre doch schrecklich gewesen, wenn sie nicht hätte mit den andern im Kapuzenkragen durch den Regen zur Scheune hinaufrennen können, wo zwischen den Steinen das Moos wuchs.

Die Turnachkinder arbeiteten den ganzen Tag an ihrem Garten. Am Abend war er fertig und so schön, dass jedermann kommen musste, um ihn zu besichtigen. Frau Völklein und Grite wurden besonders heruntergeholt. Auch Jakob wurde gebeten. Er erklärte zwar, er gehe nicht gern in eine rechte Stube mit seinen Stallstiefeln.

»Du musst sie nur fest abputzen«, rief Lotti, welche nicht nachgab.

Als er dann wirklich im Zimmer vor dem Garten stand, konnte er seiner Verwunderung zuerst gar keinen Ausdruck geben.

»Aber nein, aber nein!« sagte er, den Kopf schüttelnd. »Man würde es nicht glauben! So etwas Künstliches! nein, nein –!«

Der Garten war auch geradezu grossartig. Das ganze grosse Brett war mit sammetfeinem dunkelgrünem Moos bedeckt, das den Rasen vorstellte. Nach allen Richtungen schlängelten sich die sandbestreuten Wege. In der Mitte hatte Hans von Erde einen Hügel gebildet und gleichfalls mit Moos bedeckt. Auf dem Hügel aber hatte er einen niedlichen Pavillon gebaut aus feingespaltenem Schindelholz. Der Pavillon war von zarten grünen Ranken umsponnen. An den Wegen und in den Rasenplätzen waren buschige Zweige als Bäume eingepflanzt und als Sträuchergruppen verwendet. Davor sah man Bänkchen, auf denen Mariannes und Lottis Papierpüppchen sassen. An einer Seite war ein freier Sandplatz; da stand eine Schaukel und eine Wippe, ebenfalls aus Holz geschnitzt. Hinten im Garten befand sich Lottis kleiner Pumpbrunnen. In der andern Ecke aber hatte Marianne einen dichten Grasbüschel so geschickt gebunden, dass er wie eine Trauerweide über einen kleinen Steinblock fiel, der ein Denkmal vorstellte.

Diesen Teil des Gartens nannte Frau Völklein romantisch und über alle Massen schön und setzte sich mit ihrem Strickzeug daneben, um den Anblick recht zu geniessen.

Als am andern Morgen das Wetter auch noch trüb und nass war, erklärte Mama, dass nun die allerhöchste Zeit sei, einmal an die Tanten zu schreiben.

»Aber sauber. Erst ein Entwurf und dann ordentlich abschreiben.«

»Muss ich auch, Mama?« fragte Lotti. »Wir haben noch gar nicht alle Worte gehabt.«

»Ja, Lotti, probier's auch. Die Tante Emma weiss ganz gut, was ein Kind in der zweiten Klasse kann.«

Die Kinder sassen alle drei um den Tisch. Marianne und Lotti nagten an den Bleistiften. Ein Brief, das war wie eine Aufgabe in der Schule. Hans ging flink dran und hatte schon neun Linien, während die Schwestern noch nicht über »Meine liebe Tante« hinaus waren.

»Grässlich«, sagte Hans, als er aufsah. »Ihr fangt ja gar nicht an!«

»Ach du!« erwiderte Marianne. »Tu du nicht so stolz! Du bist auch ein Jahr und zwei Monate älter als ich. Wenn ich nur einen Anfang hätte, dann könnte ich gut weiterfahren.«

»Gib dein Blatt; ich helf' dir!« sagte Hans, und Marianne reichte ihm das Blatt herüber.

Aber sie wurde böse, als sie es wieder erhielt und darauf las: »Meine liebe Tante, ich möchte Dir einen Brief schreiben; aber ich weiss keinen Anfang. Weisst Du vielleicht einen?«

Gerade kam Mama, und Marianne wollte über Hans klagen; doch Mama lachte.

»Marianne, man muss Spass verstehen.«

»Hörst du!« triumphierte Hans. »Man soll überhaupt nicht lang einen Anfang suchen, hat Herr Altschmid gesagt, sondern frisch drangehen, wie wenn man ins Wasser springt. Siehst du, so –«

Damit stand Hans schon auf dem Stuhl und hielt die Arme hoch über dem Kopf wie ein Schwimmer.

»So, jetzt hab' ich dir wieder einen Anfang gezeigt!«

Währenddessen war Lotti ein Gedanke gekommen:

»Mama, kann ich gleich anfangen: ›Liebe Tante, gestern haben wir einen schönen Garten gemacht‹?«

»Natürlich!«

Da schrieb Lotti vergnügt, und Marianne nahm sich auch zusammen und erzählte von der Puppenwäsche und dass das Schwesterlein nicht ganz wohl gewesen sei und dass sie einen dicken, schönen Frosch im Aquarium hätten, der Alexius heisse. Als ihr Brief fertig war, sagte Mama sogar, er sei recht nett.

»Und jetzt dürfen wir nach dem Essen malen, Mama?« fragte Marianne.

»Aber wir haben gar keine Bilderbogen!« meinte Lotti.

»Dann zeichnet ihr euch selber etwas und malt es«, schlug Mama vor.

Nun konnten die Kinder kaum warten bis nach Tisch. Sie holten Wassergläser und ihre Malkästchen, und Mama gab jedem aus ihrem alten Zeichnungsbuch zwei schöne Blätter.

Dann fingen die drei an zu arbeiten, dass es eine Freude war. Keines stöhnte, keines nagte am Bleistift oder fragte um einen Anfang.

Es war ganz still im Zimmer. Man hörte nur den kleinen Werner, der am Boden aus Bauhölzchen einen Turm errichtete, ihn mit grossem Gepolter zusammenwarf und wieder aufbaute.

»Zum Glück lässt er uns in Ruhe«, sagte Hans, während er den Pinsel ausschwenkte, so dass das Wasser ganz gelb wurde. »Ich habe noch viel zu tun. Immer fällt einem wieder etwas ein, was her muss.«

»Weiss –?« sprach Marianne vor sich hin, »weiss kann man auf weissem Papier nicht malen. Das muss ich leer lassen und ringsum ein wenig grau oder blau malen. So –«

Lotti hätte gern gewusst, was das Weisse auf Mariannes Bild bedeute; aber sie hatte keine Zeit, hinüberzusehen. Ihr lief gerade die blaue Farbe in die rote nebenan. Sie wischte und wischte. Plötzlich aber entstand das schönste Violett, und Lotti strich erfreut mit dieser neuen Farbe das ganze Kleid an, das sie in Arbeit hatte.

Endlich hielt Marianne ihr Bild vor sich hin.

»Fertig!« sagte sie und stand auf, um Lottis Gemälde zu sehen.

Dieses stellte eine Obstfrau vor in grünem Kleid. Sie sass unter einem Schirm; vor sich hatte sie einen grossen Korb mit gelben und einen mit roten Äpfeln. Bei den Körben stand ein Mädchen mit einem Schultornister und einem gelben Hute. Das Kleid des Mädchens war violett.

Auf Mariannes Blatt war ein Weihnachtsbaum zu sehen mit vielen Lichtern, die einen runden, gelben Schein warfen. Alle Zweige hingen voll bunter Kugeln und Sterne und brauner Lebkuchen. Der Tisch nebenan war mit einem weissen Tuch gedeckt und mit Geschenken beladen; obenan sass eine rosa gekleidete Puppe.

»So, jetzt könnt ihr mein Bild ansehen!« rief Hans. »Es ist aus der deutschen Sage. Es ist Barbarossa, wie er im Kyffhäuserberg schläft.«

Marianne und Lotti bewunderten Hansens Kunstwerk. Auf einem Throne sass Kaiser Barbarossa mit purpurnem Mantel und goldener Krone. Hans besass in seiner Malschachtel ein Näpfchen Gold.

»Ihr müsst den Bart des Kaisers besonders ansehen!« ermahnte Hans. »Er ist durch den Tisch gewachsen. Seht, da reicht er bis zum Boden. Das war schwer zu machen! Hier ist Barbarossas Zwerg –« Hans deutete auf ein graubraunes Wesen, das neben dem Throne stand.

»Wie schad'! da sind dir schwarze Flecken hingekommen«, sagte Lotti, indem sie auf die Seiten des Bildes zeigte.

»Flecken –?« Hans war empört. »Das sind doch keine Flecken! Das sind ja die Raben, die um den Kyffhäuser fliegen. So lange sie fliegen, muss der Kaiser verzaubert schlafen.«

Hans griff nach seinem Pinsel und malte die Flügel der Raben etwas länger.

»Wer jetzt nicht sieht, dass es Raben sind –!«

Da ging die Türe auf und Onkel Alfred trat ein.

»Guten Tag, Spatzen! Was ist denn da los? Kunstausstellung? Zeigt her – wundervoll! Famos, Lotti! Das ist wohl eine Strassenszene in Peking? In der Mitte der violette Chinese ist sehr gut –«

Onkel Alfred betrachtete Lottis Bild mit ernsthaftem Gesicht.

Aber Lotti traute dem Gesicht nicht.

»Ach, Onkel, du lachst einen immer aus! Es ist gar nicht in Peking –«

»Was auslachen! – Ich lache nicht. Ich schäme mich. Nie brächte ich solche Kompositionen zustande! Luise!« rief er ins andere Zimmer hinüber. »Luise, glückliche Mutter dieser Wunderkinder! Du weisst wohl gar nicht, was du besitzest!«

Man hörte Mama drüben lachen.

»Lauter junge Talente«, fuhr Onkel Alfred fort, »die man ermutigen, die man in irgend einer Weise fördern muss! Halt – eine Idee – eine prachtvolle Idee –«

Er griff in die Tasche. Die Kinder sahen ihn erwartungsvoll an. Etwas Lustiges gab es immer, wenn Onkel Alfred so anfing.

»Kinder, das schickt euch Grossmama –« Er hielt ein Päckchen Schokolade in die Höhe. »Ihr werdet es verschmähen, diese Schokolade so ohne allen Witz und Sinn zu verzehren. Ihr werdet einstimmen, wenn ich einen Wettbewerb vorschlage, einen Wettbewerb mit Preisen –«

»Ja, einen Wettbewerb, Onkel!« rief Lotti, überzeugt, dass ein Wettbewerb etwas Schönes sei.

Und so war es auch: Die Kinder mussten sich noch einmal zum Zeichnen und Malen hinsetzen, und der Onkel wollte ihnen allen die gleiche Aufgabe stellen.

»Eine Aufgabe –«, Onkel Alfred sann nach. »Ach, die gibt sich ja hier von selbst: Ihr seid Seekinder; ihr zeichnet den See.«

»Soll ein Dampfschiff drauf sein? Und kleine Schiffe? Oder eine Badeanstalt? Darf man auch vom Land etwas zeichnen? Oder, Onkel, etwas, das früher am See war –?« So riefen alle drei Kinder durcheinander. Der Onkel streckte abwehrend die Hände aus.

»Silentium! Das heisst auf Deutsch: Spatzen, haltet euere Schnäbel! Alles dürft ihr zeichnen, was auf, in, über, unter und an dem See ist. Es herrscht völlige Freiheit. Nun die Preise –« Er machte das Päckchen auf.

»Drei, sechs, acht, zwölf – zwölf Tafeln. Das beste Bild erhält den ersten Preis, bestehend aus fünf Tafeln; als zweiten Preis setzen wir drei Tafeln. Das dritte Bild erhält eine Ehrenerwähnung.«

»Wie viel Schokolade ist das?« fragte Lotti.

»Ja, das ist eigentlich keine Schokolade, bloss Lob. Doch wir können ja eine Ausnahme machen. Also zwei Tafeln zur Ehrenerwähnung.«

»Und die letzten zwei Tafeln?« fragte Marianne. Werner stand neben ihr und hörte zu. Er verstand bloss, dass es sich um Schokolade handelte.

»Bitte, mir auch, Onkel Alfred!« rief er.

»Ja, was meinst du, Werner! Wir bekommen sie nicht nur so –! Wir müssen zeichnen dafür«, erklärte Hans.

»Ich will auch zeichnen«, sagte Werner.

Die Kinder lachten.

Aber Onkel Alfred riss ein Blatt aus seinem Notizbuch.

»Warum nicht? Warum diesen strebsamen Jüngling ausschliessen? Kinder, es wird grossartig. Vier Bewerber! Ich sehe, dass ich auch noch etwas tun muss –« Er zog den Geldbeutel heraus.

»Hier lege ich zum ersten Preis einen Zehner, zum zweiten einen Fünfer –«

»Und zur Ehrenerwähnung?« fragte Lotti.

»Die scheint dir sehr am Herzen zu liegen, Lotti. Zur Ehrenerwähnung – einen Zweier. Aber den hab' ich nicht! Lotti, lauf in die Küche zu Balbine, ob sie mir einen Zweier leihe.«

Marianne und Hans liefen hinter Lotti drein.

»Da«, riefen sie, als sie wieder hereinkamen. »Balbine will den Zweier schenken. Sie sagte, sie sei auch sehr für Kunst!«

»Schön, sehr schön von Balbine! Nun vorwärts, Kinder! Ich habe mit eurer Mama etwas zu besprechen und lasse euch. Arbeitet mit Begeisterung, guckt einander nicht auf die Blätter und leckt nicht am Pinsel! In einer halben Stunde sollt ihr fertig sein. Dann legt ihr die Blätter hin und geht hinaus. Ich darf natürlich nicht wissen, von wem jedes Blatt ist.«

Onkel Alfred verliess die Kinder. Wieder wurde es sehr still im Zimmer. Man hörte die Fliegen summen am Fenster.

Nach einer halben Stunde klopfte Hans an Mamas Türe.

»Wir sind fertig, Onkel! Wir bleiben in der Küche, bis du uns rufst.«

Die Kinder standen um Balbine herum, die Kartoffeln schälte und sich erzählen liess, was gemalt worden war. Sie sagte, sie hätte als Kind auch gerne zeichnen wollen; aber sie habe immer Brot austragen und Gänse hüten müssen.

Lotti ging ein paarmal an die Wohnzimmertüre, um zu horchen.

»Marianne«, flüsterte sie, »es ist ganz feierlich. Man bekommt fast Herzklopfen.«

Da machte Onkel Alfred die Türe auf und rief die Kinder herein.

»Bitte, Balbine«, sagte er, zur Küche gewendet, »wollen Sie nicht auch eintreten? Ich habe mit Freuden gehört, dass Sie warmen Anteil an der Kunst nehmen.«

Balbine rieb sich die Hände ab und band die bessere Schürze um.

Mama stand am Tisch vor den vier Bildern. Das vom Wernermann konnte man zwar wirklich nicht ein Bild nennen. Es war bloss ein Gekritzel und eine Reihe von Nullen mit angesetzten Strichen. Werner behauptete, das seien Soldaten.

Hans zeigte Balbine sein Bild und erklärte es. Er hatte eine Pfahlbaueransiedlung dargestellt. – In der Mitte sah man auf Pfählen eine braune Holzhütte und eine Treppe, die ins Wasser führte. Ein Mann zog sein Netz heraus; eine Frau mit roter Halskette und blauem Rock stand daneben. Von links fuhr ein Kahn mit Männern herbei, die einen erlegten Hirsch brachten; man konnte das grosse Geweih erkennen.

»Ich glaube, Hans, du bekommst den ersten Preis«, sagte Marianne, die das Blatt auch betrachtete.

Auf Lottis Bild war ein Dampfschiff zu sehen mit rot-weisser Flagge, vielen Fenstern und einem sehr langen Kamin. Dahinter fuhr ein grosses Steinschiff und hart daneben ein Boot mit dreieckigem Segel. Und wo Lotti sonst noch Platz gefunden, da hatte sie kleine bunte Schiffchen angebracht mit Fähnchen und Rudersleuten und Damen.

Mariannes Bild war einfacher: Links eine graue Mauer, drüber ein Apfelbaum – gerade wie's draussen in Wirklichkeit war. Da stand auch im Wasser der grüne Schilf; jenseits erhob sich der Berg, und dahinter war der Himmel ein wenig rotgelb. Auch auf dem Wasser war ein rotgelber Schein. Auf der Mauer sassen vier Kinder; man sah sie bloss von hinten; aber man konnte sie alle erkennen: Hans an seiner blauen Mütze, Marianne am langen Zopf, Lotti am kurzen braunen Haar, und den kleinen Werner an seiner weiss und blau gestreiften Schürze.

Nun stellte sich Onkel Alfred an den Tisch und hielt eine kleine Rede von Kunst und von einem Maler, der Raffael geheissen habe. Dann räusperte er sich und sah auf die Bilder.

»Jetzt kommt's!« flüsterte Lotti und kniff Hans in den Arm, so dass er sie gerne gepufft hätte, wenn der Augenblick nicht so spannend gewesen wäre.

»Das Preisgericht«, fuhr Onkel Alfred fort, »das Preisgericht, bestehend aus der Mutter und dem Onkel dieser jungen Künstler, hat entschieden, dass der erste Preis, also die fünf Schokoladetafeln und der Zehner dem Bilde ›Abend auf der Seemauer‹ zufällt –«

Alle blickten Marianne an. Sie wurde rot vor Überraschung und Freude. Auch Hans hatte rote Backen bekommen vor lauter Erstaunen, dass sein Bild nicht als das beste erklärt wurde.

»Den zweiten Preis, bestehend aus drei Tafeln und einem Fünfer, erhält –«

Es wurde Hans ganz beklommen zu Mut.

»Erhält das Gemälde ›Pfahlbauer, von der Jagd heimkehrend‹ –«

Hans atmete auf; er hätte sich doch zu arg schämen müssen, wenn sein Bild zuletzt gekommen wäre.

»Das dritte Bild, das wir ›Fröhliche Schiffahrt‹ nennen wollen –«

»Das bin ich, Onkel!«, rief Lotti. »Ich hab' immer gedacht, dass ich die Ehrenerwähnung bekomme!«

»Silentium!« mahnte der Onkel. »Lotti, du hast noch keinen Begriff von parlamentarischem Anstand –«

Aber nun drangen die Kinder auf den Onkel ein, um ihre Preise in Empfang zu nehmen. Und da auch Papa eintrat, dem man alles zeigen und erzählen musste, gab es einen grossen Tumult, in welchem man eine Weile den kleinen Werner gar nicht geachtete, der immerfort schrie:

»Onkel, Onkel! Ich hab' auch ein Bild gemacht! Ich hab' Soldaten gemacht!«

Schliesslich packte er den Onkel am Rockzipfel; das half.

Der Onkel griff an die Stirne, als ob er sehr erschrocken wäre über seine Vergesslichkeit.

»Werner –! Wie ist's möglich! Wie konnt' ich dich übersehen –! Gewiss, auch in dir steckt ein Künstler! Dein Bild ist so wunderbar, dass es ausser allem Wettbewerb steht!« Er nahm den Kleinen und hielt ihn hoch in die Luft.

»Jedenfalls erhältst du den Rest der Schokolade und einen Kuss! – So, Kinder, seid ihr alle zufrieden? Es war eine furchtbar verantwortungsvolle Aufgabe!«

Als Balbine endlich mit dem Essen fertig war – sie hatte sich bei der Gemäldeausstellung und der Preisverteilung etwas verspätet – setzte man sich vergnügt zu Tisch. Papa hatte alle drei Bilder hübsch gefunden; aber der Marianne klopfte er für ihr Blatt mit der Seemauer besonders freundlich auf die Schulter. –

Balbine behandelte Marianne, seitdem diese so ausgezeichnet worden war, fast mit ein wenig Respekt.

»Lotti«, sagte sie oft, wenn mittags der Tisch gedeckt werden sollte, »tu du's! Marianne hat andere Talente.«


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