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Der böse Mann

Der Schulweg, den die drei Turnachkinder zu machen hatten, war eine ganze kleine Reise, und sie erlebten da alles mögliche. Am Morgen freilich musste es schnell gehen. Hans, dessen Klasse viermal um sieben Uhr begann, hatte also meistens schon vor sechs aufzustehen. Das tat er auch pünktlich. Nicht ein einziges Mal war er von der Seeweid zu spät in die Schule gekommen. Marianne und Lotti mussten erst eine Stunde später fertig sein. Doch weil die zu zweit waren, ging das viel schwerer. Man lachte und schwatzte zusammen, und oft konnte man die Frühstücksmilch nur schnell noch stehend hinuntertrinken, was Mama nicht gut fand. Marianne war die Vernünftigere. Sie mahnte zuletzt immer:

»Vorwärts, Lotti! Wo hast du deinen Schultornister? So! und das Rechenbüchlein willst du gewiss da lassen! Nimm dein Neunuhrbrot! Du machst doch immer so langsam! Jetzt lauf' ich – ohne dich –!«

In die Nachmittagsschule kamen die Kinder meistens auf eine ganz feine und bequeme Art: Wenn es heiss war, liess sich Papa durch den Schiffmann Steppinger vom Kornplatz in die Seeweid zum Essen fahren, und der Steppinger nahm dann in seinem Schiff, das ein breites Verdeck hatte, die Kinder um halb zwei in die Stadt zurück. Auf dem See draussen wehte immer ein wenig frische Luft, Und es war herrlich, so im ruhigen, festen Takte der Ruder dahinzufahren. Man konnte, wenn man wollte, da auch noch schnell die Aufgaben überlesen; Marianne versuchte es hin und wieder. Aber Lotti, die an der Seite sass und die Hand in das helle Wasser tauchte, neckte die Schwester und spritzte sie ins Gesicht.

»Das erfrischt dich!« sagte sie das eine Mal, und das andere Mal: »Es ist nur, damit du nicht einschläfst!«

Wenn es aber regnete, war der Schulweg auch wieder lustig. Schon das gab einen Spass, dass man den grossen Regenkragen überhing und die Kapuze über den Kopf sog.

»Nun sind wir zwei von den sieben Zwergen im Schneewittchen!« lachte dann Lotti und hüpfte herum wie ein übermütiges Bergmännchen. Aber Marianne war schon in ihren Überschuhen; die waren prächtig; man konnte mit ihnen durch alle Pfützen patschen und blieb doch trocken. So ging es munter unter den triefenden Birnbäumen hinauf und die nassen Wege entlang bis in die Stadt zum Hause der Grossmama, das an der Kronengasse ganz nah beim Schulhaus stand. Da wurde fest angeläutet, und alsbald streckte Friederike, Grossmamas Köchin, den Kopf zum Fenster hinaus.

»Guten Tag, Friederike, guten Tag!« riefen die Kinder hinauf. »Mama lässt Grossmama grüssen, und ob wir alle drei statt heimzugehen zu ihr zum Mittagessen kommen dürften, weil es so regne?«

»Ja wohl, ja wohl!« sagte Friederike, die wusste, dass Grossmama nie nein sagte. »Was befehlen denn die Herrschaften zu Mittag?«

Dann riefen die Kinder alles hinauf, was sie gerne assen, und es gab einen ellenlangen Speisezettel, wie Friederike sagte.

»Behüte, behüte!« wehrte sie zuletzt. »Da dürft ihr gar nicht in die Schule, sondern müsst beide heraufkommen und mir helfen, sonst werd' ich bis zwölf Uhr nicht fertig!«

Marianne und Lotti aber liefen vergnügt die Kronengasse hinauf. Friederike kochte wahrscheinlich nicht gerade das Bestellte; aber etwas Gutes gab es bei Grossmama immer.

Wenn man auf dem Hinweg zur Schule immer etwas eilen musste, so ging es auf der Heimkehr um so gemütlicher. Zuerst, durch die Gassen der Stadt, war man immer noch mit einer ganzen Reihe von Schulkindern zusammen; dann sagte eines an dieser Ecke Adieu, ein anderes an jener, und schliesslich blieben die Turnachkinder allein übrig in der breiten Strasse, die zur Stadt hinaus führte. Es standen da wenig Häuser mehr; zwischen ihnen lagen weite Gärten und unbebaute Plätze. Bei einem grossen Hofe blieb Lotti regelmässig stehen; es waren da eine Menge Hühner, gewöhnliche und ausländische mit seltsamen Büscheln auf dem Kopfe und Federgamaschen an den Beinen. Dazwischen stolzierte ein grosser Truthahn, der einen langen blutroten Lappen über dem Schnabel hin und her schwenkte und mit seinen weiss und bräunlichen Schwanzfedern ein Rad schlagen konnte. Lotti fürchtete sich ein wenig vor dem Truthahn und behauptete, er möge sie in ihrem buntkarrierten Kleid nicht ausstehen. Aber sie fand es doch sehr lustig, jedesmal ein paar Schritte in den Hof hineinzugehen, bis das Tier steif und mit ärgerlich aufgepusteten Federn auf sie zukam. Dann lief sie eilig davon.

Marianne hatte in der Nähe auch einen Bekannten, mit dem sie aber auf freundlicherem Fusse stand als Lotti mit ihrem Truthahn. Jeden tag hielt vor einer kleinen Wirtschaft ein Milchwagen mit einem alten Schimmel. Der Milchmann ass und trank in der Wirtschaft, und der Schimmel musste draussen warten. Er sah sehr müde aus und hängte traurig den Kopf. Einmal strich ihm Marianne behutsam über die Nase und zog den Rest von ihrem Neunuhrbrot aus der Tasche. Sie streckte es dem Pferde etwas ungeschickt hin; denn sie fürchtete sich vor den langen Zähnen. Da kam ein Dienstmädchen vorbei und zeigte ihr, wie sie das Brot auf die flache Hand legen müsse.

Als Marianne weiterging, sah der Schimmel ihr nach. Am nächsten Morgen dachte Marianne schon in der Schule an ihren neuen Freund und sparte fast das ganze Brot für ihn. Und nun bekam der Schimmel jeden Tag sein Frühstück, ein paarmal sogar einige Stücke Zucker, die Mama für ihn spendete. Er kannte Marianne und schnupperte nach ihrer Hand, wenn sie zu ihm kam.

Einmal war es zwischen elf und zwölf Uhr sehr heiss. Der arme Schimmel stand in der hellen Sonne am Gartenzaun angebunden; den Kopf hatte er tief zur Erde gesenkt. Marianne hatte grosses Mitleid mit ihrem Freund. Papa hatte kürzlich erzählt, dass die Pferde auch leiden unter der grossen Hitze.

»Wenn ich nur einen Schirm hätte!« dachte sie und zog ihre Schürze aus und hielt sie über den Kopf des Schimmels, damit er ein wenig Schatten habe. Zehn Schritte weiter hing eine prächtige dichte Linde aus einem Garten über die Strasse. Aber Marianne konnte doch nicht das Pferd mit dem Wagen bis dahin führen.

»Hoho –! was hat denn die kleine Jungfer mit meinem Schimmel zu schaffen?« rief plötzlich ein Mann aus dem offenen Fenster der Wirtschaft heraus.

Marianne erschrak; aber dann fasste sie sich ein Herz.

»Herr Bodenweiler«, sagte sie höflich – sie hatte hinten an dem Milchwagen gelesen, dass der Milchmann Samuel Bodenweiler heisse und von Walkhofen war – »Herr Bodenweiler, wollten Sie nicht so gut sein und das Pferd an den Schatten dort stellen? Die Sonne brennt ihm so auf den Kopf.«

Der Wirt sah nun auch heraus, lachte und sagte etwas zu dem Milchmann, was Marianne nicht verstand. Der schaute zuerst ärgerlich drein; aber dann kam er doch, um sein Pferd am Zaum zu nehmen.

»Meinetwegen!« sagte er und führte es unter die Linde.

Marianne hatte grosse Freude, als sie am nächsten heissen Tag ihren alten weissen Freund wieder unter dem Baume traf.

Wenn sich Lotti von ihrem Truthahn und Marianne von dem Schimmel getrennt hatten, fanden sie etwas weiter draussen den Hans gewöhnlich vor der Schmiede an der Neugasse oder sehr oft drinnen, wo das Feuer aufloderte und der Blasbalg brauste, wo das glühende Eisen im Wasser zischte und die Hammerschläge dröhnten. Das war alles so wild und schön anzusehen. Wenn Hans nur einmal hätte einen Hammer in die Hand nehmen dürfen, um zu versuchen, wie stark sein Arm sei! Er dachte an den Heldenknaben Siegfried, der in der Höhle des Zwerges sich sein Schwert selbst schmiedete. Wenn er nicht so ganz fest im Sinn gehabt hätte, Arzt zu werden wie Onkel Doktor, so wäre er am liebsten ein Schmied geworden. Lotti und Marianne standen meistens auch noch ein Weilchen vor dem sprühenden Feuer, bis es von dem nahen Kirchturm halb zwölf schlug oder gar drei Viertel. Dann fingen alle drei an zu laufen und kamen rasch hinaus, wo ein schmaler Fussweg abzweigte und an Kornfeldern vorbei zur Seeweid führte. »Die Kornfelder«, sagte Hans einmal, »sind unsere Uhr, nicht für den Tag, aber fürs Jahr. Sie zeigen genau, welche Zeit es ist.«

Er hatte recht. Im Frühling, wenn die Familie Turnach in die Seeweid zog, sahen die Kornäcker aus wie schöner, dichter Rasen. Dann wuchsen die Halme hoch und höher, und man sah die Ähren daran. Bald waren diese ganz lang und um und um mit graugrünen Staubbeuteln behängt. Zuerst standen die Ähren gerade auf; wenn sie aber anfingen sich zu neigen und gelber zu werden, dann wussten die Kinder, dass die Sommerferien kamen. War das Korn geschnitten, so dass man nur mehr Stoppeln und bald darauf die gepflügte braune Erde sah, so ging's wieder in die Schule. Dann eines Tages waren da auf einmal in langen Reihen Rüben gepflanzt. Die wuchsen auch rasch und sahen rötlich weiss hervor. Das hiess: Nun kommen die langen Abende, wo es kühl wird und man früher ins Zimmer muss. Und wenn die Rüben so gross waren, dass man sie zu Lampen aushöhlen konnte, dann gab es Herbstferien, und man zog aus der Seeweid zurück in die Stadt.

Auch die Wiesen wechselten mit jedem Monat ihr Aussehen. Am lustigsten war's, wenn sie gemäht waren und das Heu in grossen Haufen lag. Dann konnte man quer über die untere Wiese laufen und auf die kürzeste Weise nach Hause kommen. Am Abend zwar eilte es den Kindern gar nicht so sehr. Sie warfen ihre Schultornister hin und rannten über die Heuhaufen weg. Sie machten Nester, Höhlen und Wälle und begruben einander in dem raschelnden Heu, das so schön nach Sommer roch. Der Knecht Jakob zankte manchmal, wenn die Kinder die schönen Haufen zerstörten. Dann holten sie Rechen und machten alles wieder in Ordnung, bis Sophie mit dem Schwesterlein im Wagen vor dem Hause erschien und hinüber rief: »Die drei Heuer sollen nun endlich heimkommen und ihre Milch trinken!«

Letztes Jahr waren die Turnachkinder wie alle Leute manchmal von der Landstrasse ab schräg über einen mit Unkraut bewachsenen Platz gegangen, um auf den unteren Weg zur Seeweid zu kommen. Jetzt war der Platz umzäunt, und man musste einen Umweg machen, der die Turnachkinder ärgerte. An dem Platze stand eine kleine alte Scheune, vor welcher oft ein Mann mit einem gelben strengen Gesicht und grauschwarzem Bart arbeitete. Hans hatte gesehen, dass er einmal einen Knaben, der über den Lattenzaun gestiegen war, böse geschüttelt und gezankt hatte. Seither hassten ihn die Turnachkinder und nannten ihn den bösen Mann.

An einem Abend standen Hans und Lotti an dem Zaun; der böse Mann war nicht zu sehen. Sie hatten grosse Lust, über den Platz zu laufen; aber sie wagten es doch nicht.

»Es würde ihm und seiner wüsten Wiese da gar nichts schaden«, brummte Hans; »aber er mag andern Leuten nur nichts gönnen.«

»Wenn ich ihn wieder sehe, so rufe ich: ›Sie sind ein böser Mann!‹ und springe fort!« sagte Lotti, die manchmal ein wenig unartig war.

Da nahm Hans aus seiner Heftmappe ein weisses Blatt und schrieb mit grosser Schrift darauf: »Sie sind ein böser Mann, weil Sie einen nicht mehr über den Platz gehen lassen.«

Er schob das Blatt, so weit er konnte, unter dem Lattenzaune durch und beschwerte es mit einem Stein; wenn der böse Mann aus der Scheune kam, konnte er das Blatt sehen.

Dann gingen Hans und Lotti heim. Als sie Marianne am Abend erzählten, was sie getan hatten, fand diese es nicht sehr nett. Hans hatte denn auch immer ein etwas schlechtes Gewissen, so oft er in den nächsten Tagen an das Blatt dachte.

Am Dienstag darauf war es schon in der letzten Schulstunde zwischen drei und vier Uhr ganz dunkel geworden; die Schüler in Hansens Klasse, die an der Wand sassen, konnten kaum mehr lesen. Als Hans auf die Strasse kam, sah er, dass ein Gewitter heranzog; man hörte schon ein fernes dumpfes Donnerrollen. Hans ging an Mariannens und Lottis Schulhaus vorbei und trieb die beiden Schwestern an, so rasch als möglich mit ihm nach Haus zu gehen. Die drei liefen und liefen und waren schon ziemlich weit draussen, als sie die ersten Tropfen spürten.

In der Nähe der Schmiede war ein kleiner Bäckerladen. Die Bäckersfrau stand eben vor der Türe, um an den Himmel zu sehen.

»Kinder, Kinder!« rief sie; »ihr kommt nimmer heim! Wartet lieber bei mir das Wetter ab!«

Lotti wäre gerne hinein zu der freundlichen Frau. Es roch da so gemütlich mach frischem Brot, und die Bäckerin hatte ihr einmal eine kleine Salzbretzel geschenkt. Aber Hans lief zu, und Lotti rannte hinterdrein, so schnell sie konnte in dem starken Wind, der zu blasen anfing.

Da fuhr ein greller Blitzstrahl über den schwarzen Himmel hin, und fast zu gleicher Zeit krachte der Donner ganz furchtbar. Lotti schrie, und Hans fasste sie an der Hand, damit sie besser vorwärts komme; denn jetzt begann es auch zu regnen. Nein, das war mehr als Regen; das war, wie wenn es in Strömen vom Himmel heruntergösse! Und dazu Blitz auf Blitz und Donnerschlag auf Donnerschlag. Die Kinder waren wie betäubt und wussten gar nicht mehr, wohin sie liefen. Da – vor ihnen war etwas wie ein Haus und ein Dach. Schnell drauf zu! Sie drückten sich alle drei an die Wand. Es war kein rechter Schutz vor dem Regen; aber sie konnten doch wieder Atem schöpfen.

»Marianne, Lotti –!« sagte Hans, der sich den Regen aus den Augen gewischt und umhergesehen hatte, »wisst ihr, wo wir sind –? Das ist die Scheune des bösen Mannes! Wir können nicht da bleiben!«

Aber Lotti fing an zu weinen; sie wollte nicht wieder in den Gewittersturm hinaus.

»Lotti!« mahnte Hans, »denk' doch an das mit dem Blatt Papier. Der böse Mann weiss jedenfalls, dass wir es geschrieben haben. Wenn er uns jetzt da findet –«

Im selben Augenblick ging die Türe auf, an die die Kinder sich angelehnt hatten. Der böse Mann sah heraus und zog, ohne ein Wort zu sagen, die drei zur Türe herein und machte zu, ehe sie wussten, was ihnen geschah. Es war, wie wenn ein Riese sie in einen dunkeln Sack geschoben hätte. Lotti zitterte vor Angst und fasste Marianne am Arm. Dem Hans war auch gar nicht gut zu Mute.

»Wenn ich nur das nicht geschrieben hätte!« dachte er. Natürlich hatte der böse Mann sie da hereingeholt, um sie zu strafen. Vielleicht würde er sie schlagen, vielleicht einsperren bis in die Nacht ...

Neben dem bösen Manne stand noch ein anderer mit einer Axt auf der Schulter. Die beiden Männer sprachen halblaut miteinander, und das war sehr unheimlich. Nach einer Weile machte der mit der Axt die Türe ein wenig auf; aber er hielt sie in der Hand; es war an kein Fliehen zu denken.

Jetzt ging der böse Mann nach hinten; es war so dunkel dort, dass man nicht sehen konnte, was er tat.

»Er holt gewiss einen Stock«, sagte sich Hans, und sein Herz klopfte stark.

Als aber der Mann auf Marianne und Lotti zuging, da trat Hans einen Schritt heraus und stellte sich vor die Schwestern.

»Ich will ihm sagen«, dachte er, »dass ich allein das Blatt geschrieben habe, und dass er Marianne und Lotti nichts tun darf. Lotti hat zwar auch unartig von ihm geredet; aber sie ist noch klein. Er soll mich allein schlagen –«

Doch der böse Mann hatte keinen Stock in der Hand.

»Mach' nur die Türe wieder auf, Göhringer!« rief er zu dem mit der Axt, und die Kinder sahen, dass er beide Hände voll Haselnüsse hatte.

»Da!« sagte er, indem er jedem einen Teil gab, »und nun lauft heim, der Regen hat fast aufgehört. Ihr seid ja tropfnass!«

Die Kinder waren so verwirrt, dass sie zu grüssen und zu danken vergassen. Ohne zu sprechen gingen sie auf dem Weg hintereinander her. Dann fing Lotti an:

»Siehst du, Hans! Nun war das ganz falsch! Er ist gar nicht böse. Mir hat er elf Haselnüsse gegeben. Wie viel hast du, Marianne? Und ich hab' solche Angst gehabt. Und du hast dich auch gefürchtet, Hans! Ich hab's ganz gut gemerkt!«

»Hans«, sagte Marianne, »wenn er nur den Zettel nicht gefunden hat! Das ist gewiss schrecklich, wenn man so etwas liest. Einmal hat Klara Wienig in der Schule der Rosa Schurmann geschrieben, sie möge mich nicht leiden, und das Briefchen habe ich gefunden, weil die Rosa Schurmann neben mir sitzt. Da war ich den ganzen Tag traurig.«

Hans gab keine Antwort; er schämte sich zu sehr. Am Abend aber erzählte er der Mama die ganze Geschichte. Wenn man etwas Dummes oder Böses gemacht hatte, war es doch immer am besten, mit Mama darüber zu sprechen. Sie tadelte einen manchmal streng und strafte auch etwa; aber nachher war einem wieder leichter.

»Unartig und auch recht dumm!« sagte Mama, als sie alles gehört hatte. »Es ist gut, dass du die Angst in der Scheune ausgestanden hast. Das hat dir gehört und auch dem Lotti. Natürlich war es nur das böse Gewissen, das dich quälte; das hat dir eingeflüstert, der Mann werde euch einsperren und schlagen. Sonst wärest du gar nicht auf den Gedanken gekommen, sondern hättest gleich gemerkt, das der Mann euch bloss herein holte wegen dem Unwetter. Was du auf das Papier geschrieben hast, war sehr ungezogen. Wie könnt ihr so schnell bereit sein, von einem Menschen zu sagen – er ist böse! oder: Ich hasse ihn! Jedenfalls habt ihr dem Manne Unrecht getan.«

»Aber es war nicht nett, dass er einen nicht mehr über den Platz gehen liess«, meinte Lotti.

»Dafür wird er seine Gründe haben, Lotti. Und wer weiss, wie manchmal der Bube, den er jenesmal schüttelte, ihn geärgert hat!«

»Mama, wenn du wüsstest, was für ein böses Gesicht der Mann immer gemacht hat!« sagte Lotti.

»Er ist vielleicht krank oder hat irgend eine Sorge. Nicht alle Leute haben es so gut wie ihr und mögen den ganzen Tag lachen. Ihr könnt nicht immer verstehen, warum einer ein ernsthaftes oder finsteres Gesicht macht; seid nur stets selber freundlich gegen jedermann und denkt freundlich von ihm.«

Am andern Abend und am darauf folgenden warteten die Turnachkinder lange vor der Scheune, um den Mann zu sehen. Am dritten stand er wirklich vor seiner Türe.

Hans ging auf ihn zu, etwas zaghaft; aber er hatte sich's fest vorgenommen.

»Guten Abend, Herr –!« Hans hustete ein wenig, weil er den Namen nicht wusste. »Guten Abend. Wir haben am Dienstag ganz vergessen zu danken für die Haselnüsse und auch, dass Sie uns haben unterstehen lassen.«

»Schon recht, schon recht!« sagte der Mann. »Das ist ja nicht der Rede wert.«

Hans war aber noch nicht fertig: »Und es tut mir sehr leid, wenn Sie etwa das Blatt gefunden haben, wo ich das – es war – ich –« Hans wurde sehr verlegen und kam nicht mehr weiter.

Der Mann verstand ihn auch offenbar nicht.

»Was willst du? Ein Blatt? Hast du eins verloren? Ich habe keins gefunden.« Damit nickte er den Kindern zu und wendete sich zur Scheune zurück.

Wie war Hans froh! Das fatale Blatt hatte ihm immer noch im Sinn gelegen.

»Nie, nie mehr tu' ich so etwas!« sagte er zu den Schwestern.

Als sie aber ein Dutzend Schritte gegangen waren, drehte sich das kecke, kleine Lotti noch einmal um und rief: »Die Haselnüsse waren sehr gut! Ich hatte gar keine taube und Hans auch nicht und Marianne bloss eine einzige!«

Da lachte der Mann ein wenig. Alle drei Kinder hatten deutlich gesehen, dass er gelacht hatte.

Er hiess nun bei den Turnachkindern der Haselnussmann, und jedesmal, wenn sie ihn bei der Scheune sahen, nickten die Mädchen, und Hans zog höflich seinen Hut ab.


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