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Es kommt Besuch in die Seeweid und führt sich schlecht auf.

Die Turnachkinder waren aus der Nachmittagschule heimgekommen und sassen im Kirschbaum an der Seemauer, Hans hoch oben rittlings, Marianne und Lotti nebeneinander auf einem der untern dicken Äste. Es war nicht leicht gewesen, hinaufzukommen. Hans allerdings war im Hui auf seinem Platze angelangt; aber Marianne und Lotti konnten nicht recht klettern.

»Es ist wirklich eine Schande!« hatte Hans hinunter gerufen. »Ihr müsst es jetzt dann ordentlich lernen. Man kann ja gar nichts anfangen mit euch.«

Lotti hatte den Stamm mit ihren kleinen Armen umschlungen und versucht, sich hinaufzuziehen; aber sie war mit den Füssen immer auf dem Boden geblieben.

»Steigt auf die Mauer und von da auf das Gartentor«, hatte Hans geraten. »Dann geht es am Ende; aber es ist keine rechte Art, um auf einen Baum zu kommen!«

Von dem hohen gemauerten Pfosten des Tores waren Marianne und Lotti denn auch glücklich auf den untersten Ast gelangt und von da auf den zweiten. Nun sassen sie vergnügt im Grünen; ringsum und über ihnen hingen die prächtigsten dunkelroten Kirschen. Herr Turnach hatte diesen Kirschbaum und den hintersten in der Allee von Frau Völklein, der die Seeweid gehörte, gemietet, so wie auch ein paar Birn- und Apfelbäume, eine Reihe Johannisbeerbüsche und den Haselstrauch in der Gartenecke. Heute durften die Kinder zum erstenmal Kirschen pflücken und essen nach Herzenslust.

»Hat's bei euch auch so viele?« rief Hans hinunter. »Ich mache die Augen zu, greife hinauf und habe gleich ein halbes Dutzend in der Hand.«

Lotti streckte ihren Kopf durch die Blätter.

»Da sieh!« Sie hatte an jeder Seite zwei oder drei Ohrhänger, so viel als ihre kleinen Ohren nur halten konnten, prachtvolle, dunkelrote Doppelkirschen.

Plötzlich rief Hans, der von seinem Aste auf einen noch höheren geklettert war:

»Marianne, Lotti! seht ihr nichts? dort oben an der Strasse –?«

Die beiden guckten um; aber sie konnten nicht so weit sehen.

»Hans, du solltest fragen: ›Schwester, siehst du nichts?‹ Dann rufe ich zurück: ›Eine Staubwolke – aber ach, es sind nur Schafe.‹ Dann ist es gerade wie im Blaubart«, sagte Lotti, die immer ihre Märchen im Kopfe hatte.

»Ach, Lotti«, erwiderte Marianne, »das passt aber jetzt gar nicht. Die Frau vom Blaubart war ja in Todesangst, weil der böse Mann sie umbringen wollte, und hoffte immer, dass ihre Brüder kommen und sie retten würden. Wir hier sind ganz zufrieden und wollen niemand.«

»Es ist ein Wagen!« rief Hans. »Er kommt zu uns herunter!«

»Hört«, sagte Marianne, »wir bleiben ruhig auf unserm Baum sitzen. Vielleicht kommt bloss Besuch zu Mama.«

Nun vernahm man vom Wege her schon ein lautes Rollen und Traben.

»Nein, nein, es ist nicht bloss Besuch für Mama!« meldete Hans wieder. »Es sind Kinder drin – Buben, glaub' ich.«

Er glitt rasch am Stamm herab, an den Schwestern vorbei. Im Nu war er auf dem Boden und rannte davon.

»Wir wollen doch auch gehen!« meinte Lotti und hängte sich an den untersten Ast. Die Füsse waren noch ein gutes Stück über der Erde; aber mutig liess sie los und – plumps! lag sie unten. Es tat nicht gerade wohl; doch sie stand rasch auf und lief Hans nach. Sie war zu neugierig, zu sehen, was alles aus dem Wagen steigen werde. Marianne liess nun die Kirschen auch, und die beiden kamen eben im rechten Moment auf den Platz vor dem Hause.

Zuerst stieg aus dem Wagen, der kribbelkrabbelvoll war, eine Dame in hellfarbigem Kleid, die auf Frau Turnach zueilte, um sie zu umarmen und zu küssen. Ihr folgte eine andere Dame, ebenfalls sehr schön angezogen. Hinterdrein aber kletterten mit grossem Geschrei ein, zwei, drei, vier kleine Buben heraus mit schwarzen Haaren und bräunlichen Gesichtern. Sie hatten weisse Kleider an und brennrote Halsschleifen und rannten wie kleine Ziegen, die man aus dem Stall gelassen, nach allen Seiten, bis vom Bock herunter ein seltsames Frauenwesen stieg, das die vier Bübchen zusammenzuholen versuchte.

Eine Negerin war das, eine wirkliche Negerin mit ganz schwarzem Gesicht, aus dem die Zähne und das Weisse der Augen wunderlich herausblitzten. Ihr schwarzes Haar war kraus wie Wolle und ihre Nase sehr breit. Sie trug ein gelb und weiss gestreiftes Kleid und in den Ohren grosse rote Ringe.

Die Turnachkinder standen starr. So etwas hatten sie noch nie gesehen.

»Sie ist aus Afrika«, flüsterte Hans, der in der Völkerkunde gut Bescheid wusste, den Schwestern zu, »oder aus Amerika, wo auch viele Neger leben. Die Neger sind ein sehr wildes Volk. Manche Stämme schlachten Menschen –«

»Und essen sie auf –?« fragte Lotti leise, als sie plötzlich einen Stoss bekam von einem der kleinen Buben. Offenbar wollte er auf diese Weise die Bekanntschaft einleiten. Lotti streckte ihm freundlich die Hand hin; da schossen auch die andern Buben auf die Turnachkinder ein, zupften sie und schrien durcheinander in einer fremden Sprache.

Marianne sah Mama an; aber diese war ganz in Anspruch genommen von den beiden Damen, die dem Hause zugingen. Nur schnell konnte sie den Kindern zurufen:

»Seid recht artig und vernünftig! Es ist die Frau von Papas Vetter Hermann aus Martinique mit ihren Buben und ihrer Schwester. Nehmt die vier ein wenig mit. Verstehen könnt ihr euch nicht, denn sie sprechen nur französisch; aber zeigt ihnen etwas, vielleicht die Kaninchen, bis Sophie den Tee gerichtet hat.«

Hans nahm an jede Hand einen der kleinen Vettern, und Marianne suchte die andern zwei einzufangen.

»Kommt, kommt!« rief sie.

»Ggommt, ggommmt!« machten die Bürschchen nach, liefen herzu und entwischten nach rechts und links in die Wiese, die schon wieder so hoch stand, dass man eigentlich nicht mehr hinein durfte.

Aber die kleinen Kobolde fuhren unbekümmert in dem Gras herum, warfen sich zu Boden und rissen lange Stengel aus, mit denen sie einander schlugen.

»Nicht, nicht –!« wehrte Hans.

»Niggt, niggt!« lachten die wilden Vetterchen, und die Negerin lachte auch, dass man alle ihre zweiunddreissig Zähne sah. Dann redete sie laut auf die kleinen Buben ein.

»Wie man nur eine so fremde Sprache so schnell sprechen kann!« dachten die Turnachkinder. Aus all dem Gerede verstanden sie nur, dass der grösste der Vettern Tatschi hiess, der zweite Muschi und die kleinen, welche Zwillinge waren, Tutu und Gogo.

»Haben wohl alle Leute auf Martinique solch komische Namen?« sagte Marianne.

Übrigens konnte die Negerin rufen, so viel sie wollte; Tatschi, Muschi, Tutu und Gogo hörten nicht auf sie.

»Kommt, wir rennen drauf los; dann laufen sie uns gewiss nach!« schlug Hans vor.

Und richtig, hinter den drei Turnachkindern, die den Weg zur Scheune nahmen, sprangen auch die vier Vetterchen mit grossem Hallo.

Jakob stand mit der Heugabel im Futtergang, als die Horde hereinbrach, gefolgt von der Negerin.

»Herrschaft!« sagte er und liess vor Überraschung die Heugabel fallen. »Die ist ja schwarz wie –« er schluckte und sah unverwandt auf die Fremde.

»Du, Jakob«, sagte Lotti leise, »sie ist ganz freundlich; aber vielleicht ist sie doch eine Menschenfresserin!«

»Wir wollen's nicht hoffen!« meinte Jakob. »Zähne genug hätte sie allerdings! Herrschaft – was ist das für eine! Und woher kommen denn die vier Panduren da –?«

»Es sind unsere Vetterchen; aber wir können nicht mit ihnen reden«, erklärte Lotti.

Inzwischen hatte Marianne die kleinen Gäste zu den Kaninchen geführt. Sie nahm ihren weissen Liebling mit dem blauen Band heraus und gab ihn dem Tutu auf den Arm. Der aber riss das Tier an den Ohren und packte es so fest um den Hals, dass es kaum mehr schnaufen konnte. Marianne wollte es dem Tutu wegnehmen; da rannte er schreiend davon und in die Hände seines Bruders Tatschi, der das arme Kaninchen so heftig in den Verschlag zurückwarf, dass Marianne aufschrie. Nun kam auch noch Muschi mit einem Stecken und stiess damit zwischen die Kaninchen. Tatschi aber klatschte in die Hände, indem er immer etwas wie »Schassee, schassee!«, rief.

Hans war empört. »Seid freundlich!« hatte Mama gesagt. Aber es war wirklich fast nicht möglich. Und die Negerin stand immer bloss da und lachte –!

Da legte sich Jakob ins Mittel.

»Halt, Musjeh, nix schassee hier!« sagte er, packte den bösen Muschi mit einem festen Griff und stellte ihn unter die Türe.

Der kleine Bub ballte die Fäuste; aber Jakob sah ihn gemütlich an, wie wenn er sagen wollte. »Du Tröpflein, du!«

Muschi lief hinaus; Tatschi, Tutu und Gogo liefen ihm nach, und das Vergnügen begann nun nebenan. Die kleinen Bursche entdeckten die Leiter, die, an der Mauer festgemacht, zum Heuboden führte. Einer hinter dem andern kletterte hinauf, und die Turnachkinder kamen auch nach. Nun ging da oben ein wilder Tumult an: man bewarf sich gegenseitig mit Heu und begrub einander darin. Die Turnachkinder machten mit, und es wäre so weit ganz lustig gewesen, wenn nicht die Vetterchen aus Martinique alle Augenblicke angefangen hätten, sich zu prügeln und zu stossen.

Auf einmal schienen sie genug von dem Heuboden zu haben, und man kletterte wieder die Leiter hinunter.

»Wir könnten ihnen jetzt noch den Hühnerhof zeigen«, sagte Hans zu Marianne. »Aber natürlich nur von aussen. Hinein lassen darf man die nicht.«

Als jedoch alle miteinander die Scheune verlassen wollten, ertönte vom Heuboden her ein entsetzliches Geschrei. Gogo war noch oben; er stand neben der Leiter und getraute sich offenbar nicht, sie wieder zu betreten. Ein paarmal fasste er die oberste Sprosse und streckte den Fuss aus, zog ihn aber immer wieder weinend zurück. Je mehr die Negerin und Muschi ihm zuredeten, desto lauter weinte er.

Hans kletterte hinauf, um zu helfen; aber der dumme Kleine war nun schon so ausser sich, dass er heulend weglief, sich ins Heu warf und mit den Füssen nach Hans schlug.

Es hätte noch wer weiss wie lang gehen können, wenn nicht Jakob hinter Hans heraufgekommen wäre und unversehens den zappelnden Gogo unter den Arm genommen hätte, um ihn hinunterzubringen.

»So«, sagte Jakob zu Hans, »jetzt macht aber, dass ihr mir zum Stall hinauskommt. Es wird einem ja ganz wirblig im Kopf.«

»Ja, sie sind grässlich«, erwiderte Hans. »Und man kann gar nichts zu ihnen sagen. Weisst du nicht vielleicht, wie das heisst: Seid nicht so unartig! Du hast doch gesagt, deine Schwester sei ein Jahr in Frankreich gewesen.«

»Ja«, sagte Jakob, »das ist schon sehr lange her. Du musst sehen, wie du mit ihnen zurecht kommst. Wenn sie's zu arg treiben, so hau' dem Grössten einmal eins auf. Das wird ungefähr in allen Sprachen das gleiche bedeuten. Die schwarze Person mit der wollenen Perücke ist scheint's nur zum Ansehen da. Die müsste mir anders hinter die Bürschlein her, potz Wetter!«

Als die ganze Schar gegen das Haus hinunter lief, stand Sophie da und rief zum Tee.

Die beiden Damen sassen schon bei Mama an dem grossen Tisch im Garten. Alle Kinder, die fremden wie die eigenen, wurden von den Damen gestreichelt und geküsst.

»So, Hans«, flüsterte Lotti schnell, die wusste, dass Hans die Zärtlichkeiten nicht liebte, »jetzt hast du auch einen Kuss bekommen.«

Hans konnte ihr in der Eile nur einen kleinen Puff geben.

Auf dem Tische stand neben dem Tee Butterbrot, Zwieback, Eingemachtes und der Rest von dem Hefekuchen, den Grossmama gestern gebracht hatte; Sophie hatte ihn schön in Scheiben geschnitten.

Nun war es ganz schrecklich zu sehen, wie die vier kleinen Buben sich benahmen, nicht viel besser als vorhin im Stall. Der eine wollte keinen Tee, der andere kein Butterbrot. Gogo goss sofort seine Tasse auf das Tischtuch aus. Tatschi langte über den ganzen Tisch nach dem Zwieback, nahm gleich drei Stücke und fing an mit den Brocken nach Marianne zu werfen. Tutu aber riss beständig die Serviette weg, die ihm die hinten stehende Negerin umbinden wollte, und beschmierte sich ganz mit dem Eingemachten.

»Mama«, fragte Marianne, die der Mutter eine leere Teetasse reichte, »heisst ›mong scheri‹ unartiger Bub?«

Sie hatte von dem, was Frau Hermann zu Tutu sagte, zwei Worte aufgeschnappt.

»Nein, das heisst ›mein Liebling‹«, antwortete Mama und lächelte ein wenig.

Marianne wunderte sich sehr. Aber Mama hatte weiter keine Zeit für sie. Es war gut, dass man sich mit Hans und Lotti durch allerlei Zeichen mit Mund und Augen etwas verständigen konnte über das Betragen der kleinen Vettern.

Werner war bei Balbine und dem Schwesterlein in der Buchenlaube geblieben. Man hätte am Teetisch nicht auch noch auf ihn acht geben können. Es ging sowieso zu wie im Kriege.

Endlich, nachdem der Zwieback, das Eingemachte und der Hefenkuchen aufgegessen waren, stürmten die vier kleinen Wilden wieder hinaus.

»Sophie, komm du mit«, sagte Hans an der Türe. »Wir können sie kaum im Zaum halten, und die Negerin tut gar nichts.«

Es war doppelt nötig, dass die Schutzmannschaft jetzt verstärkt wurde; denn Tatschi und Muschi waren zum See hinuntergerannt und hatten das Schiff entdeckt. Mit einem Jubelgeschrei sprangen sie hinein und griffen nach den Rudern.

»Man kann ihnen ja das Vergnügen machen und ein paar Züge hin- und herfahren hier, wo's nicht tief ist«, sagte Sophie.

Sie ordnete an, dass Marianne sich mit den Zwillingen auf die Bank setze, und bedeutete den Kleinen mit möglichst strengem Gesicht und aufgehobenem Finger, sie müssten sich ganz still halten.

Die Negerin blieb auf der Mauer zurück; sie schien kein Verlangen nach einer Kahnfahrt zu haben, und Lotti stand auch bei ihr. Es waren gerade genug Leute im Schiff.

Hans versuchte auf der zweiten Bank, den Tatschi zu bezähmen. Mit Muschi aber hatte Sophie einen schweren Stand; wie sie ihn auch zwingen wollte, sich zu setzen, immer wieder wollte er ihr das Ruder entreissen und sah sie mit seinen wilden Augen an. Sophie sagte gar nichts; aber sie war offenbar der Meinung Jakobs: Als es ihr zu arg wurde, gab sie dem Tatschi einen tüchtigen Klaps auf die Hand. Der stiess ein paar wütende Worte aus und riss dem Muschi den Stecken, den dieser aus der Scheune mitgenommen, weg. Sophie hatte sich gebückt, um das Ruder aufzunehmen, und sah also nicht, dass der schlimme Bursche zum Schlage gegen sie ausholte. Hans aber fuhr blitzschnell dazwischen und streckte den Arm aus, so dass der Stecken ihn traf. Au – es tat gehörig weh. Hans biss die Zähne zusammen; bevor er sich jedoch besinnen konnte, ob er diesen Tatschi nicht recht gehörig durchhauen wolle, war Marianne, die sonst so gutmütige Marianne, über die Bank gesprungen, um Tatschi zu packen und mit böser Stimme auf ihn einzureden:

»Du böser, unartiger Bub du! Warum hast du meinen Bruder so geschlagen? Und die Sophie hättest du beinahe an den Kopf getroffen!«

In ihrer Erregung vergass sie ganz, dass der kleine Vetter ja nichts verstand. Tatschi, der doch etwas erschrocken war über seine Missetat, sah Marianne verblüfft an und wand sich, um loszukommen. Aber Marianne hielt fest und schüttelte ihn wacker.

»Wart' nur, wir sagen es der Mama, dass sie es deiner Mama erzähle. Ihr seid überhaupt schrecklich; man sollte euch –«

Sie verstummte, weil von der Spitze des Schiffes ein fürchterlicher Schrei kam.

Gogo und Tutu, kaum dass Marianne sie gelassen, waren beide auf die Schiffkette losgefahren, die sie schon immer im Auge gehabt hatten. Jeder riss an der Kette; Gogo erklomm den Brettersitz in der Spitze des Schiffes; da vorn war ja die Kette angemacht; Tutu stieg nach, stiess ihn, und – kopfüber schossen die beiden ins Wasser.

Die Negerin brach in ein gellendes Jammergeschrei aus und lief herbei, Lotti ihr voraus geraden Wegs ins Wasser hinein. Aber schon hatte Sophie den Tutu erwischt, während Marianne den Gogo gefasst hatte und hielt, bis Hans half, ihn völlig herauszuziehen.

Die beiden kleinen Wichte schnappten, pusteten und spuckten, dass es fürchterlich war. Dann fingen sie wie auf Kommando zu brüllen an.

»Nun, Gottlob! sie haben den Atem wieder!« sagte Sophie. »Aber jetzt muss man sehen, wie man euch trocken bringt. Aussehen tut ihr schauderhaft.«

Ja, tropfnass waren die beiden Bübchen. Das Wasser lief ihnen aus den Haaren übers Gesicht, und die weissen Kleidchen, die schon vorher im Stall und durch das Eingemachte ziemlich gelitten hatten, waren jetzt wie durch den Schmutz gezogen; denn das Wasser hatte so nah am Lande wenig Tiefe gehabt; die beiden waren schön auf den schlammigen Grund gekommen.

Die Negerin nahm den heulenden Gogo auf den Arm; Sophie zog den ebenfalls heulenden Tutu an der Hand hinter sich her. So ging's unter Gefolge der andern Kinder dem Hause zu.

Nun musste sich's gerade fügen, dass Frau Turnach mit den fremden Damen aus der Türe trat. Madame Hermann schrie laut auf und ihre Schwester auch. Frau Turnach wendete sich erschrocken zu Sophie.

»Frau Turnach«, sagte diese, »sie sind ein bisschen ins Wasser gefallen; aber es hat ihnen nichts getan. Wir ziehen sie schnell aus und reiben sie trocken.«

Unter vielem französischem und deutschem Reden und Wehklagen ging's dann in die Schlafstube. Tatschi, Muschi und die Turnachkinder liess man draussen.

Die fünf standen und schauten einander ziemlich feindselig an.

»Ich will das unzerreissbare Bilderbuch von Werner für sie holen«, sagte Marianne. »Herumführen tun wir sie nicht mehr; sonst gibt es wieder etwas.«

Tatschi und Muschi blätterten in dem Buche; die Turnachkinder sahen schweigend zu.

Nach einer Weile erhob sich drinnen ein neuer Lärm. Die Türe ging auf, und Tutu und Gogo wurden von Sophie, gegen die sie sich mit aller Kraft sträubten, hinausgeschoben.

Tatschi und Muschi lachten laut auf und klatschten in die Hände, als sie die kleinen Brüder sahen. Diese waren nämlich ganz verwandelt. Statt ihrer Höschen und Jacken hatten sie Röckchen an, die dem kleinen Werner gehörten, der eine das blaue, der andere das rote mit den weissen Punkten. Gogo trug zudem Werners neue Schuhe, während Tutu in Lottis braunen wie in kleinen Schiffen ging.

Die kleinen Bursche zerrten an den Röckchen und schrien auf die Negerin ein, während die Grossen lachten.

»Was sagen sie denn immer, Mama?« fragte Marianne.

»Sie wollen ihre Höschen wieder haben. Sie sagen, sie seien keine kleinen Mädchen und wollen keine Röckchen tragen.«

Das fanden nun auch die Turnachkinder sehr komisch, und Tatschi und Muschi tanzten wie zwei Wilde um die »kleinen Mädchen«.

»Mama, Mama!« rief während dessen immer eine Stimme aus der hintern Stube. Es war Werner, den Balbine die ganze Zeit bei sich behalten hatte, der nun aber den Lärm hörte und sich nicht mehr halten liess. Mama öffnete die Türe.

Werners erster Blick fiel auf die zwei fremden kleinen Buben in dem blauen und dem roten Kleid. Das waren ja seine Röckchen! Er lief auf die beiden zu.

»Das – das gehört mir!« rief er böse und riss nun seinerseits an Tutus und Gogos Ärmel. So waren die drei Kerlchen ja eigentlich einer Meinung, nämlich dass die Kleider herunter sollten. Trotzdem schlug Tutu dem Werner auf die Hand, und dieser schlug wieder und traf auch den Gogo. Alle drei packten einander zeternd, und man hatte die grösste Mühe, sie aus einander zu lösen.

»Sie sollen nicht meine Röckchen haben!« schluchzte Werner. »Hu, hu –! ausziehen, ausziehen – die gehören mir!«

»O, was für einen unfreundlichen kleinen Buben hab' ich, der den Vetterchen nicht einmal seine Kleidchen leihen will!« mahnte Mama. »Sieh, die armen Bursche sind ins Wasser gefallen; so mussten wir ihnen etwas Trockenes anziehen. Morgen schicken sie dir alles wieder.«

Aber Werner liess sich nicht beruhigen, und Tutu mit Gogo schrien ebenfalls weiter. Es war ein solches Getümmel, dass einem Hören und Sehen verging und man es als eine wirkliche Erlösung empfand, als vom Wege her Räderrollen hörbar wurde.

»Der Wagen, der Wagen!«

Die Kinder liefen hinaus. Es ging an ein Suchen der Hüte, Tücher und Schirme, und eine gute Weile verstrich, bis endlich gross und klein eingepackt war. Tatschi und Muschi prügelten sich noch ein wenig um den Platz neben dem Kutscher.

Die Familie Turnach stand an dem Wagen; nur den kleinen Werner hatte Mama an der Haustüre hingestellt; dort konnte er weiter weinen, was er auch redlich tat, besonders als er sah, dass die kleinen Buben nun gar mit seinem blauen und seinem roten Röcklein davonfuhren.

»So! das wäre überstanden!« sagte Sophie. Mama lächelte und ging dann mit ihr ins Haus zurück; denn da gab es gehörig aufzuräumen.

»Holla, Hans!« tönte die frische Stimme von Fritz Völklein herunter. »Was war denn heute bei euch los? Das ging zu wie während der Zerstörung von Troja, Schlachtgetöse und Gebrüll ohne Ende!«

»Ja, es war ganz greulich!« rief Hans hinauf. »Komm noch ein wenig mit uns auf die Seemauer; dann erzählen wir dir.«

»Ja, Fritz, komm!« riefen auch die Mädchen. »Wenn du wüsstest, wie die getan haben! Ganz wie Wilde! Es sind eine Art Vetterchen von uns, und Mama sagt, sie seien eigentlich Weisse wie wir. Nur die Negerin stamme aus Afrika. Die hatte Zähne, Fritz! und Haar wie Wolle ...«

Fritz Völklein setzte sich mit den Turnachkindern auf die Seemauer und hörte ihnen zu. Alle Augenblicke brach er in ein lautes Lachen aus.

»Nein, das war wirklich arg!« rief er. »Da seid ihr ja die reinsten Tugendhelden daneben! Nicht wahr, Lotti?«

Es war gut, dass man heute wegen der Unordnung, die die Gäste verursacht hatten, später zu Abend ass. Die Kinder hatten zu erzählen und zu erzählen, bis das Halbachtuhr-Dampfschiff aus der Stadt daherrauschte.


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