Otto Julius Bierbaum
Studenten-Beichten
Otto Julius Bierbaum

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Letzte Musterung

Ein früherer Korpsbruder von mir, gerade der, dem ich am wenigsten »so was« zugetraut hätte, sandte mir kürzlich die Anzeige von seinem bestandenen Assessorexamen (das hätte ich ihm schon zugetraut) und folgende Aufzeichnungen unter dem obengenannten Titel:

»Und noch einmal ruhte Graf Adolars braunes Auge auf dem bunten Tande der Vergangenheit, noch einmal drückte er seine vollen Lippen auf die Zeichen entschwundener Liebe, dann reckte er entschlossen seine edle Gestalt hoch auf, seufzte tief und ließ das Packet in die Gluten des Kamines versinken . . .«

Das ist der Held eines deutschen Jungfrauenromans, der da seine vergangenen Liebschaften noch einmal sortiert. Oh du schöner, oh du süßer deutscher Jungfernroman!

Da spielen himmelblaue und rosarote Bänder eine gar rührsame Rolle, und in die große fettaugenarme Bettelsuppe der braven Lügensentimentalitat fällt manch ein blondes, schwarzes und braunes Lottchen-, Bettchen-, Nettchen-Härchen, wie sie bei sothanen Romanangelegenheiten massenhaft herumfliegen . . .

Mach' Dich nicht lustig über so nette Dinge, alter Junge, scherze nicht, Freunderl, und guck in Deine eigene braune Kassette.

Kassette, – komisch, wie man die Worte manchmal verwegen wählt. Aber gleichviel, wenn auch niemals, (ich kann's beschwören: gar niemals) Geld darin gewesen ist: das braune, alte Ding mit dem gelben Vorlegeschloß hat doch von Anbeginn Kassette bei mir geheißen. Es soll von meinem Großvater herstammen, der Bergmann gewesen ist, und unten hineingeklebt prangt auch ein Bild von dem Alten: ein pockennarbiger, eckiger Kopf, spärliche Haare über die Glatze weg zur Stirn hereingestrichen, die Nase wuchtig ins Vorland stoßend, gewaltige Kiefern, riesige schaufelige Ohren und zwei große, weit offene, wasserblaue, gutmütige Kinderaugen.

Oh gräulicher Mißbrauch des großväterlichen Konterfeis! Diese alte, braune Kassette mit dem großvatergeschmückten Boden war von jeher die Schatulle meiner Geheimnisse. In ihr lagen, das tugendmahnende Großvatergesicht mit den weitschauenden Kinderaugen verdeckend, meine ersten Gedichte, als ich noch Schüler war und mich meiner musischen Extravaganzen in der Öffentlichkeit schämte, – in ihr baute sich später in dichten Schichten der süße, langsam nur wachsende Baumkuchen meiner verliebten Korrespondenz auf. Wahrlich, wahrlich, die Enkel tanzen auf den Gräbern ihrer Vorvordern, und nichts ist der Jugend heilig, zumal, wenn sie verliebt ist . . .

Aber heute will ich die Schmach von Deinem Antlitz nehmen, alter Ahne, von nun an sollst Du wieder Deinen beschaulichen, wasserblauen Blick unbehindert nach oben wenden können, nach dem Deckel mit den ungefüge eingeritzten, aber famosen Versen:

»Hab ich lieb, so hab ich not,
Meid ich lieb, so bin ich tot,
Nun ee ich lieb durch leid wolt lan,
Ee will ich lieb in leiden han.«

Ee will ich lieb in leiden han, – ach ja! Merkwürdig, was für ein Duft in der Kassette (zu komisch der Name für einen Liebesbriefkasten) steckt, – ich weiß nicht, ist das bloß Einbildung, Halluzination der Nase, oder ist es wirklich so, – die ganze lustige, leidige, verrückte, entzückte, verliebte, verlumpte, alberne, selige – die ganze, ganze Vergangenheit in der Liebe riecht mir daraus entgegen. Das läßt sich nun freilich nicht schildern; das ist so fein, so kribbelnd, so umschwellend die Sinne, so hinaufkitzelnd ins Gehirn und so hinabwärmend ins Herz, so ganz unsagbar innig unbegreiflich, – ach, das ist so mild und voll berauschend, daß ich nur genießen, genießen, genießen mag, einsaugen den Blütenduft mitsamt dem Staub der Samenfäden und dann, die Blume fallen lassend, hintüber den Kopf gebogen, schlafen, schlafen und träumen . . .

Aber nein! Brutal hineingegriffen, heraus mit dem ganzen Packet; guck dem Alten da unten in die Augen, dann zu den Kasten und das Schloß davor, und hin mit dem Baumkuchen in den Ofen! –

Hopla! Nicht gar so eilig. Eile mit Weile. »De mußt niche su der Quäre sin, kleenes Ungeziefer, immer hibsch bee a bee, Juhlejus!« sagte der Alte da unten, wenn ich mit den Stiefeln in die Pfütze wollte. Also langsam und mit Gefühl. Halt Dir die Nase zu, Freunderl, und laß Dir den alten Liebesdunst nicht in den Kopf steigen, oder kannst Du's nicht, so laß das Weibsenzeug noch länger dem alten Großvater auf der Nase herumliegen und warte, bis Du verständig geworden bist. – – Na? – – –? – Na ja, dann also los!

Krrr krrr klapp, – zu den Deckel, und da liegt die Bescheerung.

Ich glaube, die krumme Käthe liegt oben drauf. Hm . . . Drei Stück. Dickes Kartonpapier. Eins rot, eins blau, eins grün. Goldener Rand. Die Buchstaben laufen wie hungrige Spinnen immer nach der obersten, rechten Ecke. Tinte: lila, – natürlich. Merkwürdig, was das Mädel für Orthographie im Leibe gehabt hat. Aber noch mehr Liebe. Sie hat mich einmal so an sich gepreßt, daß ich »au!« geschrieen habe. Man konnte dem kleinen Kerl solche Klammerkraft gar nicht zutrauen; drei Käse hoch und schmal wie eine Dresdener Dreiersemmel. Der Vergleich ist nicht so hergestohlen, wie er aussieht, denn zu der krummen Käthe Zeiten durchbummelte ich Dresden, und ich sah jeden Morgen eine Dresdener Dreiersemmel und jeden Abend Käthe mit der krummen Nase.

Ach! Dresden ist ein treffliches Nest für Verliebte, und die Dresdnerinnen können gar nicht genug gepriesen werden in puncto puncti. D. h. die Dresdner Liebe ist eine ganz besondere Art. Es gibt da an der Elbe ein Wort, das heißt »gutmuhmig«. Die Dresdner Liebe ist die Liebe der »Gutmuhmigkeit«; Schnäbelei ist dort stark ausgebildet; das Händedrücken, das Füßeangeln, der feuchte, feurige Blick, dann den Arm um die Taille und angeschmiegt ganz fest bis zum Herzschlaghören, und zu guter Letzt Küsse, Küsse, Küsse, – das geht bis in die Puppen, wie man dort mit weicherem B sagt. Aber mit dem letzten Schmatz haben sich die guten Dresdnerinnen auch schon ganz ausgegeben. Dann hängen sie im Arme wie welke Butterblumen und genießen die Wonne allzu billig erkaufter süßer Erschlaffung.

Kleine, krumme Käthe! Das einzige Energische an Dir war der kühne Nasenschwung, nach dem ich Deine ganze Persönlichkeit getauft habe; fahre hin in die Glut, die Du leider nicht besaßest. Hätte ich ein Schälchen Blümchenkaffee zur Hand, ich würde Deine Briefe in ihm zerweichen lassen, denn, ehrlich gestanden, Du bist des stolzen, prasselnden Feuers nicht ganz würdig, – aber trotzdem, Du wandelnder Lindenduft mit der Sehnsucht nach Kaffeekuchen, ich werde mit stetem Vergnügen auch fernerhin an Dich denken, an Dein liebes Lispeln in weichsten Lauten und an Dein kleines Feuerchen, das immer zu schnell »alle« war. –

Erst der rote, dann der grüne, dann der blaue, – Herr Gott, wehrt sich das dicke Kartonpapier! Gerade wie die krumme Käthe . . .

Na nu, wer kommt denn jetzt? das ist ja ein ganzer Pack und in allen Farben. Alle Wetter, – da steckt Hitze drin. Nochmal eine Katharina, aber diesmal lacht ein derberer Dialekt aus dem Namen mit einem fidelen Schluß-i heraus: Kathi! Himmel Sakra, ist das eine Orthographie: »I bin scho dreimal da gwest, aber Du bist fortganga« – so hebt der eine Brief an. Ach Du gutes Herz! Wie wirst Du mich dann beim Kopfe genommen haben mit Deinen derben, roten Kellnerinnenhänden! Ach, wie wir zusammen auf der Rottmannshöhe waren und ganz allein auf dem Dache des Hotels standen, und der Racker durchaus aufs Wasserreservoir klettern wollte, der Aussicht wegen, damit sie die Alpen und ich ihre Waden besser sehen könne. Kathi! Kathi! – Ob sie sich noch an den Waldspaziergang nach Höllriegelsreuth erinnert? Durchaus wollte sie den »Kohlrabnapostel« sehen, der »nacket umananderlauft.« Aber es war wahrlich nicht nötig, denn uns selber war ganz heidnisch nackt zu mute. In dem grünen Frühlingsschleier des Buchenwaldes verfingen wir uns, wie weiland Aphrodite mit ihrem verliebten Kriegsgotte im Liebesnetze, und gäbe es Olympier im Walde von Höllriegelsreuth, sie hätten Grund gehabt zu homerischem Gelächter, – wahrhaftig. Denke ich jetzt an diese Kathi zurück, so geht ein frischer, rascher Zug durch mein Herz, und ich höre singen:

So lang der alte Peter, der Petersturm noch steht,
So lang die grüne Isar durch d'Münchner Stadt noch geht . . .

und die beiden Maßkrugtürme der Frauenkirche seh ich vor mir, diese wundervollen Abbilder der breitbeinigen Münchner Gemütlichkeit.

Nun aber weiter. Ein ganzer Ballen mit der Aufschrift »Kellnerinnen«. Nein, so was! War ich wirklich so ein Sumpfhuhn? Und wie ich hineinsehe, merke ich, daß ich just das Gegenteil war, – unglaublich, ein halbes Dutzend zweifelhafter Heben habe ich platonisch verehrt. Später machte ich die Beobachtung, daß das vielen jungen Studenten (in Norddeutschland) so geht, die, eben von der Schule gekommen, das Weib zuerst in der Kellnerin kennen lernen und anschmachten. Den Briefen merkt man meine blöde Unschuld an und die Geschäftsschlauheit der Schreiberinnen. Hauptsächlich sind es Benachrichtigungen vom Wechsel der Stelle. Komisch rätselhaft zuweilen.

Mein Dicker!

Ganz kurz will ich Dir mitteilen, daß ich nicht mehr im Reichsgericht bin. Bitte komme zu mir nach Kamerun im Gewandgäßchen. Nettes Lokal. Die dicke Bertha, die, wo immer lateinische Verse sagt, ist auch da. Bring auch Deine Chorbrüder mit zur Exkneippe.

Einen Heuwagen voll Grüße von Deinem Säckchen

Anna.

P. S. Ist der besoffene Schwammerling aus Halle wieder da? Und was macht Euer neuer Fuchs, der blonde, schüchterne? Na, den müßt ihr noch tüchtig zieh'n!

Säckchen.

Andere Briefe zeigen Säckchens Wanderung von Kamerun nach Sansibar, von Sansibar nach Sofia, von Sofia nach Angra Pequena. Dort blieb sie für mich verschollen.

Dieses Leipziger Kellnerinnenpacket wirkt ganz anders auf mich als die Briefe Kathis, des Kellnermadls von München. Stickige Luft voll schlechtem, beißendem Cigarrenrauch und versetzt mit dem scharfen Mensurparfum Jodoform; deutsche Studentenfäuste dreschen Skattrümpfe auf bierbetümpelte Tische oder stürzen den ledernen Knobelbecher; die Mädel, wenn sie nicht gerade Bier bringen, setzen sich zu den Stammgästen und »hakschen«, wie der Sachse mit einem Sonderwort für schweinigeln sagt. Und immer sitzt inmitten diesem jammerhaften Stumpfsinn, mitten in dieser dickfaulen Atmosphäre von geistlosem Müßiggang und Brutalität irgend einer der berühmten jungen Idealisten, der, eben aus dem Brutkasten des Gymnasiums herausgelassen, die nassen Schalen noch hinter den Ohren, nichts hört und sieht von alle dem, weil er nichts hört und sieht, als etwa den angenehm weichen Tonfall einer dieser Mädchenstimmen und ein paar dunkle, liebesfeuerheiße Augen oder ähnliche »Faktoren der Imagination«.

Oh Du alter Großvaterkopf da unten auf dem Grunde der Kassette der Geheimnisse: siehe, Dein Enkel war auch einer von diesen grünen Eseln, und wahrhaftig, er war einer der grünsten. Hat er nicht einmal seinen Abiturientenexamen-Frack samt schwarzer Hose und Weste versetzt, nur um so einem dreifach durch alle Grade der Raffiniertheit destillierten Kellnerinnenlasterluderchen eine Bonbonniere zum Geburtstag zu schenken? Natürlich legte er ein Gedicht auf die Pralinées, und natürlich steckte »sie« die Bonbons irgend einem praktischen Realisten in den schnurrbartumspitzten Mund. Oh mein Großvater, wälze, wälze, wälze Dich im Grabe!

Indes, die Schule der Bumskneipe hat auch mich von dieser groteskesten Abart des schon an sich grotesken deutschen »Idealismus« geheilt. Ich sehe das an einem weiteren Konvolut von Briefen aus der Leipziger Zeit. »Das Aas« steht darüber.

»Das Aas?« – ich muß lachen, wenn ich daran denke, denn so bin ich doch noch niemals zum Narren gehalten worden, als von ihr, die sich selber und »Allem, was sie liebte«, diesen Kosenamen beilegte; von der »kleinen Anna«. Sie war ein reizender Racker, der Typus der Leipziger Confektioneuse, das richtige Studentenmädel. Hauptsächlich mochte sie die Korpsstudenten, und von den Korps erfreute sich besonders meines ihrer Gunst. Das war schon beinahe das diplomatische Princip von der meistbegünstigten Nation, das sie in dieser Hinsicht pflegte. Hervorragend treu konnte sie natürlich nicht sein unter solchen Umständen, schon deshalb nicht, weil jedhalbjährlich neue Füchse kamen, und ach, gerade nach grünem Gemüse hatte sie so gesunden Appetit. Das Hauptfeld ihrer Thätigkeit war der »Schloßkellerschwof«, der Sonntagstanz der Studenten in Reudnitz. Ihre Briefe sind hauptsächlich Aufforderungen, dahin zu kommen. Sie pflegte in diesem Zusammenhange einen Stil von vieler Energie.

Mein süßes Aas!

Du kommst doch morgen in den Schloßkeller? Dein Korpsbruder P. hat mir zwar gestern gesagt, Du mußt mit nach Halle, er will schon dafür sorgen, daß Du mitmußt, aber laß Dir nur nichts vorschwatzen und komm in den Schloßkeller. Überhaupt P.! das ist auch ein Rechter. Was bildet sich denn der ein? Mich hat er gewiß auch schlecht gemacht bei Dir. Na, wahr ist es doch nicht. Mit dem Doktor soll ich noch verkehren? Das ist doch gemein, so was zu behaupten! Als wie wenn ich gar kein Ehrgefühl hätte! Und der kleine Dicke ist ein Bekannter von meiner Schwester. Was kann ich denn davor? Also Du kommst natürlich in den Schloßkeller, aber zeitig, nicht wie das letzte Mal um 9 Uhr erst, wo ich mich schrecklich gemopst habe vorher.

Es hat Dich furchtbar lieb

Dein kleines Rabenaas.

NB. Wegen dem Dicken kannst Du meine Schwester selber fragen. In Eile. Ich muß noch aufwaschen.

Anna.

Es dauerte nicht lange, und sie hatte einen Anderen »furchtbar lieb«. Auf die Dauer wär's auch zuviel gewesen mit ihr.

Ins Feuer, ins Feuer, kleine Anna!

Jetzt kommt so einige Dutzendware. Darunter Alice, die Mondscheinheilige, von der im Korps die Redensart ging: »Sie rempelt mit Versen und kneift dann«. Ja, sie war eine idealistische Dichterin und in ihrem »Busen« brannte ein heiliges Feuer. Ihre Gedichte waren so gräßlich schön, daß sie im Druck Furore gemacht haben würden, aber Alice sang nur im Verborgenen, auf rosa-rot note-paper mit einer Lilie als Wasserzeichen. »Holder Jüngling« nannte sie mich in ihren seufzenden Versen und eines ihrer schönen Gedichte endigte mit der infamen dichterischen Freiheit:

». . . . im Auge mir die Thränen stehen,
Seh' Deine blonden Locken ich im Abendwinde wehen.«

– ich war damals kurz geschoren. Original fahre hin in Deiner Pracht! Friß, Feuer, den Blaustrumpf, der statt des Buchs der Liebe eine Poetik im Herzen hatte. Ich muß wahrlich lachen, wie das Lilienpapier zusammenschrumpelt. Knick, kß, kß, st. Wo mag Alice jetzt die Harfe beklimpern?

Da, hinter dem lyrischen Rosarot knalldickes Royal red, armstämmig derb, aber elegant. Hollah! Wer ist's? Sonderbar, – sollte ich mich auf dies brutal vornehme Rot nicht besinnen können? Ich wende die Briefe in der Hand hin und her, ich greife sie tastend ab, ja, ich beschnobere sie, – Donner und Wetter: was ist denn das für ein molkiger, warmer Geruch? Ja, ja, ich kenn' ihn. Irgendwo einmal ist eine Wolke von ihm mir entgegengeschwollen, breit, dick . . . Ja, und ein paar glühende Augen hinter dieser Wolke, und dann ein paar üppige, weiße Brüste . . . Wo aber, wo? . . . Ah! »Josépha« mit dem ungeheuren accent aigu, die mich an ihrer Brust zusammenquetschte wie einen schwindsüchtigen Frosch, die mich »fraß vor Liebe«, und vor der ich floh, wie Joseph einsten in Ägypterland, denn ihrer Liebe Brünste, diese ewig wabernde Lohe nie zu sättigenden Begehrens, waren mir unheimlich, der ich damals an vergißmeinnichtiger, gretchenhafter Minnigkeit noch süßeste Freude hatte. Meine Rolle war auch etwas kläglich. Sie benutzte mich als Blitzableiter für die elektrischen Knatterentladungen ihres glutschwangeren Herzens, das sich nach irgend einem Wladimir wütend abzappelte. Eine Geruchserinnerung ist mir geblieben und ein stickiges Gefühl der Blamiertheit und des Widerwillens. Herunter mit dem dicken königlichen Rot. Es fällt gerade so faul in die Flammen, wie sie in die Chaiselongue zu fallen pflegte, indem sie sagte: »Komm' her, mein Liebling (Libblingue). Ach, was dicken Arme hast Du!« Pfui Teufel! Weg! Weg! Weg!

Und nun, Du Packet, von blauseidenem Band umschnürt, – dich erkenne ich gleich und nehme dich, und küsse dich ab (Adolar, Du bist gerächt) und bin vergnügt, vergnügt, vergnügt! Es bimmeln alle Glocken und Glöckelchen unschuldiger, herzschwellender Seligkeit, Vergißmeinnicht, das blasse Blumenseelchen, blüht, und kleine Veilchen duften, und der Himmel ist schwärmerisch blau und durchflockt von niedlichen Schäfchenwolken, auf denen Amoretten mit rosaroten Hinterbäckchen reiten.

Das war die Zeit, da ich mein und ihr Herz malte in Gestalt eines roten Radi, drumherum geschlungen eine Guirlande mit der Bandschleife: Martha!

Martha! Gott, wenn ich daran denke! Mitten im Lärm und Qualm Berlins sind wir zwei auf Rosendüften gewandelt und haben nichts gesehen als ein himmelblaues, leuchtendes, lachendes Glück in unseren Augen und nichts gehört als das Klimperliedchen unserer Zärtlichkeit: Du, Du, Du nur allein, Du, Du, Du sollst es sein!

Liebe? Na ja, wie soll man sie nennen, diese dumme Glückseligkeit? Säuseln, Schwärmen, mit kleinen Glöckchen bimmeln, unbeschreibliche Süßigkeiten und Duftigkeiten atmen und, ach! so selig, selig seufzen, wenn man beieinander war.

Ja: das war meine Jugendeselei, meine närrische Unschuld, mein erster, linder Sturm und Drang in bebender Ahnung . . . Natürlich hatte sie blaue Augen und einen blonden, etwas unfertigen Mozartzopf, und natürlich roch sie nach Butterbemmen, denn sie war ein Backfisch. Backfisch mit der Notenmappe. Backfisch mit den schlenkernd eckigen Bewegungen. Backfisch mit dem ruckweisen Kopfwenden. Backfisch mit den kolossalen Geographiekenntnissen. Backfisch mit dem noch nicht völlig damenhaft langen Kleide. Backfisch mit den abenteuerlichen Romanreminiscenzen (einmal wollte sie durchaus mit mir nach den kanarischen Inseln durchbrennen: sie wußte ja, wo sie liegen!). Backfisch mit der Sehnsucht nach Apfelkuchen mit Schlagsahne. Backfisch mit den pfiffigen Stubbsnäschen, das nach verbotenen Früchten schnobert. Backfisch mit den unmotivierten Schmollanfällen. Backfisch mit den apfelroten Backen, den lustigen Lippen, den schalkischen Augen, den werdenden Psychebrüsten, den grübchenreichen, hie und da ein ganz, ganz kleinwenig schmutzigen Fingerchen . . . Backfisch! Backfisch!

Noch weiß ich genau, wie ich sie kennen lernte. Oben vom Verdecke des rumpelnden Omnibus herunter geschah's, der eben an der »Schule für Töchter der höheren Stände« vorüberfuhr, als dieser Zwitscherkäfig seine Vögel freiließ. Sie guckte rauf, und ich guckte runter, und sofort spannen sich die Glitzerfäden herüber und hinüber. Schleunigst kletterte ich die gewundene Leiter herab, und der Himmel weiß, mit welchen Bemühungen ich dabei nach Grazie rang. Sehr fix machte sich die Kleine von ihrer Begleiterin los und sehr fix war ich hinterdrein und dann an der Herzensseite, und sehr fix hatte ich meinen Korb weg, so süß ich auch stammelte: Geehrtes Fräulein! Aber nein: Das erste Mal geht sowas durchaus nicht. Oh nein: erst abfallen lassen, – diese Kunst ist ihnen angeboren, allen, allen. Dafür später, im Thiergarten, am Goldfischteich, bis uns die dumme und neidische Rosa Meyer beinahe verklatscht hätte (aber sie hatte natürlich selber irgend einen Sekundaner vom französischen Gymnasium), und das schönste: bei Kroll, wenn die Eltern dabei waren, die garnichts merkten. – –

Die Briefchen der Kleinen, wahrhaftig: ich verbrenne sie ungern, so frisch und lustig sind sie, voll rührender Dummheit. Aber weg auch mit ihnen.

Schnell hat sie die Flamme gefressen, und wie sie sich wenden in braunen, brüchigen Röllchen, muß ich denken: Wer hat Dich wohl gepflückt, Du kleine Martha? Bei welchem deutschen Assessor oder Fabrikbesitzer oder Leutnant duftest Du in der guten Stube, Du kleines mildes Veilchen? Mögest Du's gut haben, mein erster Schatz.

Und nun schneller im Vernichten! Schneller, schneller zumal mit den ernsten Blättern, darauf meine Sünde steht, mein böses Abwenden und Losreißen.

Schneller, schneller . . . mein Blick fürchtet sich . . . Gott, wie wenig Lustiges ist dabei und wie viel Bitteres. That ich denn immer weh, wenn mich die Sehnsucht in den dürren Armen hatte? . . .

Ich nahm es wohl immer zu ernst und zu herrisch zugleich, und, ja, meine tiefste Liebe, das ist's, blieb immer unausgesprochen in der That. Zu viel Verse habe ich gemacht, das sehe ich nun ein, und in den Versen, freilich, war viel Glück für mich, dafür verdarb das Genießen.

Seh' ich es recht an, dieses Auto-da-fé, so ist es wohl gut, daß ich meine Kassette leerte und ihn verbrannte, den Inhalt voller »Liebe«. Denn das Rechte war nicht daran, auch nicht in dem Ernsten, darüber ich kein Wort sagte.

Ob sie denn tot ist, meine Liebe? Ach, so lange war ich kalt und ohne Narrheit . . . Hab' ich mein Gut verthan bei all zu vielen, und meinen Schatz verworfen unter die Menge?

Ein schwermütiges, wundervoll rührendes Volkslied, mir aufgeschrieben von einer lieben, zarten Hand, als ich einsam viele Wochen in einem oberbayrischen Dorfe lebte, soll zuletzt zu Asche werden, aber hier will ich mir's aufschreiben zur Erinnerung, denn die, welche mir's schrieb, war die letzte, zu der sich mein Sehnen hob. Aber wo war die Flamme denn hin in diesem Sehnen? Warum war es so herbstlich matt und voll Unglauben?

Ja das alte Volkslied soll hier stehen.

Vevi nannte das Lied:

                Der arme Knabe.

Es reist ein Knab ins fremde Land,
Derweil ward ihm sein Herzallerliebstene krank,
So krank, so krank bis in den Tod,
Drei Tag, drei Nacht sprach sie kein Wort.
Als das der Knabe inne wur',
Verließ er sogleich all sein Hab und Gut,
Und reist zu seiner Herzallerliebstene zu.
Grüß Dich Gott Herztausende mein,
Was machstu hier im Bettelein.
Grüß Dich Gott Herztausender mein,
Mir wird's heißen bald ins Grab hinein.
O nein, o nein, es ist nicht so,
Unser Lieben und Getreu soll noch länger sein.
Bringt mir geschwind ein Kerzenlicht,
Mein Schätzchen stirbt, das niemand siecht,
Sie ist schon kalt und nimmer warm,
Sie ist verschieden in meinen Arm.
Holt mir geschwind ein altenes Weib,
Die mir mein Schätzchen zum Grabe g'leit,
Ein altenes Weib und sechs junge Knaben,
Die mir mein Schätzchen zur Grabstätt tragen.
Sechs junge Knaben sind schon bereit,
In Gold und Silber und Trauerenkleid,
Jetzt hab' ich gemeint, ich hab' eine Freid,
Jetzt muß ich tragen ein schwarzenes Kleid,
Ein schwarzenes Kleid und noch viel mehr,
Jetzt nimmt der Traurigkeit kein Ende nimmermehr.

Nun, alter Ahne, bist Du frei von Deines Enkels Liebe. Aber ich sage Dir: Wenn ich nicht bald neue Liebeslast auf meinem Herzen fühle und Dir sie auf Dein Bildnis legen kann, so will ich alle altenen Weiber der Welt zusammenrufen, daß sie mich zur Grabstätt g'leit'n und ich will mich begraben lassen, – ob von jungen Knaben oder jungen Mädchen: das soll mir gleich sein.

* * *


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