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Redoute im Konzerthaus. Unter der Devise "Deutschland In Not" war bei enormem Entree das ganze reiche Wien zusammengetrommelt worden, um für die hungernden, frierenden, verzweifelten Bundesbrüder zu – tanzen.
Ein kleiner Teil dessen, was dieses Faschingsfest den Besuchern an Entree, Wagen, Toilettenaufwand, Champagner, Blumen und Souper kostete, hätte genügt, um hunderttausend arme Berliner einen Monat zu ernähren, aber der Mensch ist eben so beschaffen, daß er lieber eine Million auf einem Wohltätigkeitsfest ausgibt, als hunderttausend Kronen direkt zu schenken.
Herr und Frau Rosenow saßen in Ihrer Loge und Herr Rosenow gab seinem Unmut darüber Ausdruck, daß Regina ununterbrochen mit seinem Privatsekretär Egon Stirner tanzte.
"Ich versteh‘ die Regi gar nicht! Die vornehmsten und reichsten Männer sind glücklich, wenn sie mit ihnen spricht, und ausgerechnet mit dem Stirner muß sie sich verbandeln! Er ist ja ein sehr tüchtiger und intelligenter Mensch, der es noch zu etwas bringen kann, aber eine Partie ist es nicht. Natürlich möchte es dem Schnorrer passen, unsere Regi zu bekommen! Seitdem er mit Krieglacher Holz hineingefallen ist, hat er wieder den größten Dalles und jeden Moment kommt er um Vorschuß."
"Jonas," sagte Frau Rosenow tadelnd, "sei nicht übermütig! Wie du mich in Bielitz geheiratet hast, warst du auch ein Schnorrer, erinnere dich nur, daß du nicht einmal auf einen Frack gehabt hast. Und heute bist du ein reicher Mann, so reich, daß Regi sich nehmen kann, wen sie will. Mir gefällt der Egon Stirner sehr gut, und wenn unser Kind ihn liebt, werd‘ ich nicht dulden, daß du ihr Herz brichst!"
Die letzten Worte hatte Frau Rosenow mit so erhobener Stimme gesprochen, daß ihr Gatte sich beeilte, sie zu beschwichtigen:
"Heute sind eben andere Zeiten! Übrigens wissen wir noch gar nichts, und Regi ist gottlob so ein kluges Mädchen, daß sie selbst schon das Richtige tun wird."
In der Nebenloge, in der man die Unterhaltung der Rosenows zum Teil mit angehört hatte, tauschten drei von den fünf anwesenden Personen geflüsterte Bemerkungen miteinander aus. In der Loge saßen Frau Christens, Otto Demel, der Polizeibeamte Horak und die beiden italienischen Jurwelenhändler Pietro Fosci und Ludo Barga.
Horak hatte die beiden Herren hierhergeführt weil ihm diese Redoute die beste Gelegenheit schien, Egon Stirner als jenen Erwin Reiner identifizieren zu lassen, der den Schmuck der ermordeten Frau Lia Leid in Genua verkauft hatte.
Indessen, während sich die Insassen der einen Loge mit Regina, die der anderen mit Stirner befaßten, tanzten die beiden im Gewühl des Parterres. Nun war der "Tango milonga" zu Ende und Egon führte seine Dame zu dem Champagnerbüfett, wo er sich einen kleinen Tisch hatte reservieren lassen.
"Regina," begann Stirner, "hast du noch immer nicht den Mut, dich vor deinen Eltern zu mir zu bekennen?"
"Mut? Dazu gehört wenig Mut, mein Lieber! Aber du weißt ja, daß es mir nicht leicht wird, meine Freiheit und Ungebundenheit aufzugeben. Und daß ich mich nur dann an einen Mann binden will, wenn ich fühle, daß es geschehen muß, weil ich ihn nicht entbehren kann."
"Und weißt du das trotz dieser wilden, herrlichen sieben Tage am Semmering noch immer nicht? Bist du dort nicht in meinen Armen restlos glücklich gewesen? Hast du nicht empfunden, daß wir auch physisch zueinander gehören – –?"
Regina errötete leicht.
"Ja, mein Lieber, das leugne ich ja gar nicht. Aber warum so ungeduldig? Können wir uns nicht auch in Wien ohne offizielle Bindung angehören? Ist nicht gerade die Heimlichkeit unseres Verhältnisses herrlich und erhöht es nicht den Reiz und die Lust jeder Umarmung, wenn wir wissen, daß sie zeitlich begrenzt sein muß und nicht verraten werden darf?"
Stirner preßte die Hand Reginas, daß sie leise auf schrie.
"Nein, Regina, ich leide in den Stunden der Einsamkeit, in den Nächten, die ich ohne dich verbringen muß, Höllenqualen, ich sehne mich so sehr nach dir, daß ich nicht schlafen kann, daß meine Nerven vibrieren. Du fürchtest, deine Freiheit zu verlieren? Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du an meiner Seite alle Freiheit haben wirst, die du wirst haben wollen? Ich sage das in der eisernen Überzeugung, daß du dich nie von mir weg zu einem anderen sehnen wirst. Und sollte es einmal doch der Fall sein – nun, ich bin nicht der Mann, der ein Weib zwingt, ihm anzugehören, wenn es nicht will.
Und noch etwas, Regina. Ganz aufrichtig, offen und frei: Ich will nicht länger der Privatsekretär deines Vaters sein! Ich will zeigen, was ich kann, wenn mir große Kapitalien zur Verfügung stehen, ich will nicht nur dich, sondern auch dein Geld, deine Milliarden, um mich über diese kleinen Geier und Haifische hinweg an die Spitze zu schwingen. Regina, du weißt ja nicht, wieviel Stärke und Willen in mir, heute noch gebändigt, vorhanden ist!"
Regina sah ihn warm an, ein leiser Schauer lief durch ihren schlanken Leib, sie atmete tief auf und sagte:
"Immer wieder nimmt mich gerade deine Aufrichtigkeit gefangen! Komm, Egon, wir wollen in die Loge gehen. Ich bin neugierig, was für ein Gesicht der Papa schneiden wird, wenn ich mich als keusche Braut des Herrn Egon Stirner vorstelle."
Frau Christens beugte sich nervös zu Josef Horak zurück.
"Sollte das, was geschehen muß, nicht gleich geschehen? Die Rosenows sind mir eben nicht sehr sympathisch, aber ich habe keinen Grund, ihnen eine so furchtbare Kränkung anzutun, wie es geschehen würde, wenn ihre Tochter schon offiziell zu Stirner gehören sollte. Stellen Sie sich nur diesen Skandal vor! Und ich habe eine Ahnung, daß sich so etwas heute vorbereitet!"
Demel stimmte ihr zu und Horak sagte zögernd:
"Gut, wir können ja mit unseren Gästen sofort hinuntergehen und nach Stirner fahnden. Haben die Herren ihn identifiziert, dann rufe ich ihn beiseite und verhafte ihn."
Aber es sollte zu dieser Lösung nicht kommen. Eben in diesem Augenblick betrat das Paar die Loge, Regina beugte sich zu ihrem Vater, dann zu ihrer Mutter, küßte beide auf die Stirn und sagte so laut, daß man es nebenan deutlich hören konnte:
"Liebe Eltern, ich habe mich mit Egon verlobt." Mama Rosenow traten Tränen in die Augen und sie hätte am liebsten eine theatralische Szene aufgeführt, wenn nicht Papa Rosenow aufgesprungen wäre und mit hochrotem Kopf erklärt hätte:
"Das muß ich mir ausbitten! Hab‘ ich meine Einwilligung gegeben? Das ist ein starkes Stück, Herr Stirner, um nicht zu sagen, daß es eine Chu-, ich meine eine Frechheit ist!"
Egon stand blaß und wortlos da, Regina lächelte nur spöttisch. Mama Rosenow aber verlor Haltung und Würde, versank tief in gute Bielitzer Tradition und schluchzte.
"Jonasleben, ich hab‘ dir gesagt, ich laß mein Kind von dir nicht mißhandeln! Wenn sie ihn liebt, so soll sie ihn nehmen, wir können es uns doch gottlob leisten!"
Regina sah, wie man in den beiden benachbarten Logen aufmerksam wurde und sie machte der Szene ein rasches Ende, indem sie dem erregten Vater die Stirn streichelte und so leise, daß nur er, Mama und Egon es hören konnten, sagte:
"Lieber Papa, rege dich nicht auf, es hat keinen Zweck. Die Frau Egons bin ich schon längst, damals, als ich auf dem Semmering war, geworden, wenn auch ohne eine offizielle Verständigung. Wenn du also einen Skandal vermeiden willst, so mußt du schon gute Miene zu einem Spiel machen, das für uns beide wenigstens durchaus kein böses ist." – – –
Herr Generaldirektor Rosenow bewies, daß er, wie sich das bei den Aktionärversammlungen schon so oft gezeigt hatte, jeder Situation gewachsen war. Nur einen Augenblick war er so verblüfft und entsetzt, daß er nicht sprechen konnte, dann stand er auf, schlug mit der rechten Hand Stirner kräftig auf die Schulter und sagte:
"Lieber Sohn, daß du ein Gauner bist, habe ich eigentlich mir immer schon gedacht! Und jetzt Champagner her, damit wir auf das Wohl des Brautpaares trinken. Frau, hör‘ auf zu flennen, du hast schon ein ganzes Farbenkastel im Gesicht."
Horak, Demel und Frau Christens, denen kein Wort entgangen war, tauschten blitzschnell Bemerkungen aus. Fosci und Barga nickten lebhaft und versicherten auf italienisch, daß dieser schlanke Herr im Frack identisch mit jenem Erwin Reiner sei. Horak sprang auf, wollte, um das Äußerste zu verhindern, Egon Stirner sofort verhaften, aber es war zu spät. Ein den Rosenows bekanntes Ehepaar war in die Loge getreten, hörte die Nachricht von der Verlobung, gratulierte rasch und begab sich dann in den Saal, um die Kunde von dem Ereignis zu verbreiten. Und einige Minuten später konnte ein Reporter der "Morgentrompete" knapp vor Blattschluß telephonisch die Nachricht übermitteln, daß sich auf der Redoute "Deutschland in Not" das einzige Kind des Billionärs und Präsidenten der Mitteleuropäischen Kreditbank, Jonas Rosenow, Fräulein Regina Rosenow, die zu den ersten Schönheiten Wiens gehört, mit dem Privatsekretär ihres Vaters, Herrn Egon Stlrner, verlobt habe.
Nach kurzer Überlegung änderte nun Horak seinen Plan. Ein Skandal im Ballsaal mußte unbedingt vermieden werden, die Verhaftung Stirners konnte später erfolgen.
In Begleitung zweier Detektivs fuhr Horak um vier Uhr morgens in einem Autotaxi dem Automobil nach, das die Rosenows nach ihrem Palais in der Pötzleinsdorfer Allee brachte. Egon Stirner war mitgefahren, stieg aber am Schottentor aus, um sich nach seiner Junggesellenwohnung in der Florianigasse zu begeben.
Nachdenklich sah er dem dahinsausenden Auto seiner Schwiegereltern nach, als drei Männer auf ihn zutraten, von denen der eine, den er als den Gutsbesitzer Hort zu kennen glaubte, ihn am Arm faßte, und mit lauter Stimme, die im fahlen Wintermorgen seltsam hohl und schauerlich klang, sagte:
"Herr Egon Stirner, ich erkläre Sie als des Mordes an Frau Lia Leid dringend verdächtig für verhaftet."