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»Victoire de la beauté«

Das Pariser Friseurgeschäft, in dem ich mich seit vielen Jahren bedienen lasse, trägt den Namen »Victoire de la Beauté« (Sieg der Schönheit). Ein gutes Geschäft, ohne Rangstufe, ohne allzuviel Nickelglanz, ohne allzuviel Marmor, auch ohne amerikanische Preise. Es ist klein und gemütlich, es ist sauber, ohne durch Sauberkeit die Netzhaut zu verletzen, seine Wände sind mit einer gelben Tapete verkleidet, auf welcher rote Phantasieblumen tagaus tagein Orgien feiern, sein Fußboden ist mit purpurnem Linoleum ausgeschlagen. Es hat Sessel aus Kunstleder, welche durch einen Hebeltritt gehoben oder gesenkt werden können. Seidenpapier auf der Kopfstütze gibt es allerdings nicht. Die Kunden verlangen offenbar nicht danach. Seit ich meine weiteren Besuche davon abhängig machte, daß dieser Forderung der Sauberkeit entsprochen würde, hält man für mich eine Rolle feingerippten Papieres bereit, von der ich selbst die nötigen Blätter abtrenne. Somit war die Möglichkeit ausgeschaltet, daß ich dieses Geschäft eines Tages mit einem anderen hätte vertauschen müssen. Das wollte ich auf alle Fälle vermeiden. Denn abgesehen davon, daß ich überhaupt in den äußeren Gewohnheiten meines Lebens von Wechsel nichts wissen mag, sind die täglichen Rasten in dem Salon »Victoire de la Beauté« genau so unentbehrliche Bestandteile meines Pariser Lebens wie die regelmäßigen Besuche auf der Nationalbibliothek oder die nachdenksamen Spaziergänge am nächtigen Seine-Ufer. Wer lange in Paris lebt, vergräbt sich ein wenig in seinem Viertel: und doppelt, wenn dieses Viertel sich noch jenen besonderen Zauber zu bewahren gewußt hat, den man in seiner Jugend kennen und lieben lernte. Links neben dem Friseur-Salon liegt das Café, wo ich gerne, am Büfett stehend, meinen »Verkehrten« trinke und meinen Croissant esse. Rechts davon ist die Buchhandlung, wo ich meine Zeitungen hole, zwei Häuser weiter wohnt mein Schneider. Dann folgt der Basar, wo alle Kleinigkeiten, die man zum Leben braucht, um wenig Geld zu finden sind. An der einen benachbarten Straßenecke hält der unentbehrliche Obstverkäufer mit seinem Wagen, an der anderen der nicht minder unentbehrliche Blumenhändler. Zu allem Überfluß sind ebenfalls in nächster Nähe die Post, die Apotheke und die Wohnung eines Freundes, mit dem ich mich noch niemals auch nur eine halbe Stunde gelangweilt habe. Was Wunder, wenn ich die erzwungene Aufgabe meines Friseurgeschäftes als eine unleidliche Gleichgewichtsstörung empfunden hätte.

Ja, es ist sehr schön und ausruhend, um die Dämmerung eines arbeitsreichen Tages – und ganz besonders in den kühleren Monaten von Oktober bis April – sich in den Ledersessel sinken zu lassen und den bedienenden Händen zu überliefern. Die Luft ist gesättigt mit Essenzen, deren Düfte in der Wärme leise rauschender Gasflammen auf- und niederwallen. Schatten, die an den Milchscheiben der Ladenfenster hinhuschen, lassen erkennen, daß das Leben weitergeht, auch wenn es manchmal nur in ungewissen Bildern erkenntlich wird. Wasser, das über tiefgesenkte Häupter in die Porzellanschalen fließt, erinnert an Waldbäche in den Pyrenäen, Wattebäusche, weiße Tücher, Pinzetten und Scheren zaubern die friedlichen Genesungswochen in einer Klinik nach wohlüberstandener Operation zurück. Das Spiel der im Beruf arbeitenden Hände erlaubt unerschöpfliche Vermutungen über ihre unberufsmäßigen Fähigkeiten …

Ja, das alles ist sehr schön – und zwiefach, wenn man weiß, daß mit der nun beginnenden Reinigung die zweite, die leichtere Hälfte des Tages beginnt: das abendliche Bad, der Wechsel von Wäsche und Kleidern, die Fahrt in ein Konzert, in ein Theater oder zu einem jener Abendessen in kleinem Kreise, wie sie die Pariser Welt sich noch zu geben versteht …

Selten muß man lange warten im Salon »Victoire de la Beauté«. Zwei junge Leute sind zur Bedienung da, der eine – Monsieur Octave – ein lustiger Südfranzose (aus dem ehemals päpstlichen Avignon), der andere – Monsieur Gaston – ein schweigsamer Bretone aus der Gegend von Rennes. Nötigenfalls greift noch der Besitzer helfend ein, sofern er nicht im Damensalon beschäftigt ist.

Fünf Jahre lang – seit meinem ersten Besuch – war dieser Besitzer ein Gascogner. Ein kleiner, gütiger Mann, der sein Geschäft verstand und mit viel Milde ein ziemlich strenges Regiment führte. Seine Frau sah genau so aus, wie jene etwas üppigen, blonden Damen mit sinnlich-feuchtem Blick, gewelltem Haar und weißem Busen, die man auf Seifen- oder Parfumplakaten unter Rosen- oder Fliederbüschen abgebildet sieht. Sie trug hübsche Ringe an Händen, deren freundliche Formen sie beim Geldwechseln an der Kasse oder beim Einwickeln eines gekauften Gegenstandes nicht ohne Anmut zur Geltung zu bringen wußte. Sie hatte ungewöhnlich schöne, lange, aufwärts gebogene Wimpern, die sie ihrem sechzehnjährigen Sohne vererbt hatte. Dieser Junge besuchte eine Handelsschule, von der er manchmal erst gegen sechs Uhr nach Hause kam. Dann ließ sich sein Vater – sofern er nicht gerade mit der Herrichtung einer mühsamen Damenfrisur oder einer Dauerwelle beschäftigt war – die Hefte zeigen, nickte, je nach dem Ausfall der Zensur, mehr oder weniger freundlich – die Mutter gab dem Sohne einen Kuß auf die Wange und sagte:

– Va boire ton café au lait, mon petit, le gâteau est au four … und der Knabe verschwand durch einen rosa seidnen Vorhang, nicht ohne mit einem raschen, überhellen Kennerblick die Gäste des Herren – und Damensalons gemustert zu haben …

– Er ist unser Einziger, sagte sie eines Abends gerührt zu mir, während sie die etwas feuchten Augen mit dem Batisttuch tupfte …

– Er wird seinen Weg schon machen, Madame Pallisse, sagte ich.

– Gebe es Gott, sagte sie mit einem Blick gegen die Decke, der einem stummen Gebete glich … Paris ist ein böses Pflaster für einen so hübschen und aufgeweckten Burschen, dem heute schon die Frauen nachstellen. Wir hätten es verdient, an ihm Freude zu erleben. Denn was wir tun, geschieht für ihn …

Und es geschah bestimmt auch für diesen Kleinen, daß Herr Pallisse mit fünfundvierzig Jahren das Geschäft aufgab, in seine alte Heimatstadt zurückkehrte, wo er »Liegenschaften« besaß, und dem zukünftigen Fortpflanzer seines Namens eine Stelle bei einem Großkaufmann in Libourne verschaffte. Ich weiß nicht, ob der Sohn Pallisse mit diesem Tausch gerade sehr einverstanden war: aber er dürfte ja wohl gewußt haben, daß in Frankreich für den, der will, alle Wege nach Paris zurückführen.

Der Besitzwechsel des Geschäftes vollzog sich ganz in der Stille. Eines Morgens stand in eleganten weißen Lackbuchstaben quer über die Glasscheibe der Eingangstür geschrieben: CHARLES LEFÈVRE … Das war alles. Die Angestellten waren geblieben, das Inventar war geblieben – nur der Patron sah anders aus. Er war jung, groß, schlank, blond – von lothringischer Abstammung, wie auch seine dunkle Frau. Diese Frau war sehr schön, sehr mädchenhaft, und fast etwas schüchtern. Sie trug – ohne es zu wissen – eine ländliche Wohlerzogenheit fast wie eine stumme Anklage gegen das böse Schicksal zur Schau, das sie aus dem verschlafenen Frieden von Metz oder Diedenhofen in die Hauptstadt verpflanzt hatte.

Ihr Gatte hatte nichts von der gleichgültigen Sicherheit seines Vorgängers. Er nahm ein wenig zuviel Anteil an seinen Kunden und ließ sich vielleicht auch etwas zu oft in persönliche Gespräche mit seinen Angestellten ein …

Das verminderte den Abstand, welcher – sofern ein Geschäft vorwärts kommen soll – zwischen Patron und Gehilfen unerläßlich ist. Der Südfranzose wurde beträchtlich lebhafter als es einem Friseursalon mit gesitteter, ruhiger und neutraler Kundschaft dienlich ist, der Bretone aber wurde so wortkarg, daß er manchmal auf eine an ihn gerichtete Frage überhaupt keine Antwort gab. Als ich ihn eines Tages wegen einer solchen Nachlässigkeit zur Rede stellte, starrte er mich aus weitaufgerissenen Augen an, als ob in meinem Kopfe etwas nicht in Ordnung sei …

– Monsieur Gaston, sagte ich: ich habe Sie zwanzigmal darauf hingewiesen, daß ich mit meiner eignen Bürste frisiert zu werden wünsche und nicht mit dieser anderen da, die auf Gott weiß was für Köpfen Schlitten fährt. Können Sie nicht Ihre Gedanken etwas zusammennehmen? Sie bedienen mich jetzt sechs Jahre lang, und ich war mit Ihrer Arbeit immer sehr zufrieden. Sie sind ein ausgezeichneter Rasierer und ein noch viel ausgezeichneterer Haarschneider. Sie hatten sich ja auch über meine Erkenntlichkeit nicht zu beklagen. Sie werden mich aber zwingen, in Zukunft ausschließlich die etwas freundlicheren Dienste Ihres Kollegen in Anspruch zu nehmen, wenn Sie den simpelsten Forderungen der beruflichen Höflichkeit nicht mehr genügen.

– Ich bin mir nicht bewußt, unhöflich gewesen zu sein …

– Ich habe Sie gefragt, wo meine Bürste ist. Sie antworten nicht, sondern fahren mir im selben Augenblick mit dieser anderen, die noch von Brillantine und Haarwasser feucht ist, über den Kopf. Was soll das heißen?

– Entschuldigen Sie, sagte mißmutig und fast beleidigt Gaston. Ich werde Ihnen die Haare auswaschen und sie dann mit Ihrer Bürste glätten.

Der Besitzer des Geschäfts war in dem Durchgang erschienen, welcher Damen- und Herrensalon trennte. Er drehte eine Brennschere in der Hand, von der ein Streifen erhitzter Luft durch den Raum zog, und sah mich durch den Spiegel fragend an … Ich winkte ihm mit der Hand ab: es sei nichts. Der Südfranzose verbarg sein Gesicht hinter einer Zeitung. Gaston wusch und bürstete mir das Haar, ohne eine Silbe zu reden, und hielt mir schließlich einen ovalen Handspiegel gegen den Hinterkopf …

– Gut, sagte ich. Das nächste Mal können Sie sich hoffentlich eine Entschuldigung sparen.

Ich zahlte an der Kasse und gab Gaston sein Trinkgeld. Ich sah, daß er die Lippen bewegte, aber er brachte kein Wort des Dankes hervor … Ich schaute ihm gerade in das Gesicht, dessen Blässe mich erschreckte. Es hatte immer eine fahle, trübe Farbe aufgewiesen, ein gelbliches Grau, wie wenn die Haut nur von gestautem Blute Nahrung empfinge oder von versetzter Galle: aber ich hatte es noch niemals so leblos gesehen …

– Was ist denn heute mit Ihnen los, Monsieur Gaston? fragte ich … Sind Sie krank? Haben Sie Schmerzen?

– Vielleicht …

Wieder erschien der Besitzer:

– Ich habe ihm schon seit Monaten gesagt, er solle ausspannen … Er gönnt sich nicht einmal die Ferien, auf die er Anspruch hat …

Da zwei Kunden den Laden betraten, war das Gespräch beendet. Die beiden Gehilfen richteten die Ledersessel und begannen mit dem Einseifen. Aus dem Damensalon tönte das Surren eines Föhnrades und trieb den Geruch einer amerikanischen Zigarette gegen die Tür … Ich trat in die kühle Abendluft hinaus –

Ich hatte mir niemals besondere Gedanken über den Bretonen gemacht. Er war mir gleichgültig, wenn nicht unangenehm gewesen. Vielleicht hätte mich seine stumpfe »Nonchalance« aus dem Geschäft vertrieben, wenn nicht seine gute Arbeit erwiesen hätte, daß wenigstens ein beruflicher Ehrgeiz in ihm lebte … Nun aber war er Mitte meines Nachdenkens geworden, während ich langsam die Treppen zu meiner Wohnung hinaufging. Ja, ich begriff plötzlich gar nicht, daß ich jahrelang, fast täglich, die ewig unveränderte Dumpfheit eines menschlichen Wesens an mir verspürt hatte, ohne ihren Ursprüngen nachzugehen.

Der Zufall wollte es, daß ich am gleichen Abend beim Nachhausegehen dem Besitzer des Friseurgeschäftes und seiner Frau begegnete.

– Ich hatte gar keine Zeit mehr, mich bei Ihnen für das ungezogene Verhalten des Bretonen zu entschuldigen, sagte Herr Lefèvre … Skandal wollte ich nicht machen, weil ich gerade zwei gute Kundinnen zur Bedienung hatte – und außerdem hätte bei diesem Menschen Skandal ja gar nichts genützt.

– Im Augenblick gewiß nichts. Aber ich weiß nicht, Herr Lefèvre, ob Sie ihm selbst nicht sogar einen großen Dienst erweisen würden, wenn Sie sich ihn unter vier Augen einmal gründlich vornähmen …

– Ich sage Ihnen glatt heraus, daß ich dies nicht wage. Er ist mir unheimlich. Er ginge mir womöglich aus dem Laden und würfe sich in die Seine …

– Ich fürchte mich vor ihm, sagte Frau Lefèvre. Ich wäre glücklich, wenn ich ihn nicht mehr sähe. Wir Lothringer sind gewiß keine sehr mitteilsamen Menschen. Wir finden, daß sich das meiste Gerede gar nicht lohnt … Die verbissene Schweigsamkeit dieses Bretonen aber verbirgt böse Leidenschaften … Ich kann sie nicht mit Namen nennen: aber ich spüre, daß sie vorhanden sind …

– Ich weiß – seit heute – daß Monsieur Gaston sehr unglücklich ist, sagte ich.

– C'est ça, ergänzte Herr Lefèvre … Es muß in seiner Ehe etwas nicht in Ordnung sein …

Ich blieb offnen Mundes:

– In seiner Ehe?

– Wußten Sie denn nicht, daß er verheiratet ist? fragte erstaunt Frau Lefèvre …

– Woher sollte ich dies wissen, da er nicht einmal einen Trauring trägt! Seit wann ist er verheiratet?

– Ungefähr, seitdem wir das Geschäft übernommen haben.

– Mein Gott, wer mag die Frau sein, die dieses Wagnis auf sich genommen hat?

Obwohl niemand auf der breiten Straße zu sehen war, flüsterte Frau Lefèvre:

– Kein Mensch hat sie je zu Gesicht bekommen. Aber dem Bilde nach, das Gaston immer bei sich trägt und oft heimlich betrachtet, muß sie eine Schönheit sein … Haben Sie noch nicht bemerkt – wenn der andere Sie bedient – daß Gaston manchmal wie geistesabwesend in eine Zeitung starrt? Glauben Sie ja nicht, daß er liest! Er schaut das Bild seiner Frau an, das er auf den Text gelegt hat … Eines Tages entfiel es ihm, als er durch das plötzliche Eintreten eines Kunden aufgeschreckt wurde … Mein Mann hob es vom Boden auf …

– Woher stammt diese Frau?

Herr Lefèvre zog die Augenbrauen hoch:

– Octave behauptet, sie von Nizza her zu kennen … Von der Promenade, Sie verstehen? Er ist dem Ehepaar eines Abends zufällig in Montmorency begegnet …

– Hat Gaston Kinder?

– Nein … Wenigstens: soviel wir wissen, nicht … Die Trauung fand ohne irgendeine Feier auf dem Standesamt statt, gegen den Willen seiner Eltern. Wir nehmen an, daß diese sich von dem Sohne losgesagt haben … Äußerst ehrbare, streng katholische Handwerkersleute …

– Wie war Octave eigentlich in der Zeit vor unserer Geschäftsübernahme? fragte mich Frau Lefèvre …

– Verschlafen und verträumt. Unliebenswürdig, aber nicht unhöflich. Die Welt immer nur aus halbgeschlossenen Augen betrachtend. Etwas frischer aussehend als heute. Etwas weniger schlank. Ein Mensch mit ausgesprochen schlechten Manieren. Die Umgebung war Luft für ihn, sofern sie nicht in den Bereich seiner augenblicklichen Beschäftigung gehörte …

– Er haßt seinen Kollegen, den Südfranzosen, weil ich manchmal mit ihm scherze. Er ist beispiellos eifersüchtig, ohne es je zu zeigen …

– Ich sehe. Ich sehe alles, sagte ich zu mir selbst, als ich mich verabschiedete …

– C'est pas nous qui le changerons, lächelte Frau Lefèvre mitleidig. Destinée est destinée … Que voulez-vous?

Ich bog auf den Boulevard Raspail hinüber. Die Blätter trieben im Wind. Aus den Festsälen des Hotel Lutétia drang Tanzmusik. Mir war bei den letzten Worten der Frau Lefèvre die einzige Bemerkung eingefallen, welche jemals – in sechs langen Jahren – der Friseurgehilfe Gaston von sich aus zu mir gemacht hatte: »Finden Sie nicht auch, daß man einen Friseursalon nicht »Victoire de la Beauté« nennen sollte? »Sieg der Schönheit?« Ist die Schönheit vielleicht ondulierte Haare und polierte Fingernägel? »Für den Besitzer eines solchen Geschäftes sehr wahrscheinlich«, hatte ich erwidert … »Aber noch lange nicht für jeden Angestellten, der gezwungen ist, in einem solchen Geschäft seinen Lebensunterhalt zu verdienen …«

— — — — — — —

Zwei Monate später, kurz vor Weihnachten, fand die Tragödie ihren Abschluß: Gaston erwischte seine Frau, die schon lange heimlich in die Gewohnheiten ihres Promenadelebens zurückgefallen war, in den Armen seines südfranzösischen Kollegen und erwürgte sie mit den Händen. Dann stellte er sich der Polizei.

Seine Verteidigung hatte einer der berühmtesten Anwälte von Paris übernommen, als das »Besondere« des Falles offensichtlich geworden war. In seiner Entlastungsrede, welche dem Angeklagten eine äußerst milde Strafe eintrug, fand sich folgende Stelle:

– Warum sollte in der Seele eines noch so schlichten bretonischen Kleinbürgersohnes ein weniger verzehrender Traum von Schönheit wohnen als in der Seele eines Künstlers, der sein ganzes schöpferisches Leben in den Dienst dieses Traumes stellt, indem er ihn immer wieder von neuem gestaltet? Und warum sollte der Zusammenbruch dieses Traumes, um den sich alle Spannungen eines innerlich einsamen und unmitteilsamen Lebens aufgestaut haben, nicht jene niemals vorauszubedenkende Tat auslösen, welche – als Mindestes – die hoffnungslose Zerrüttung des eignen Gleichgewichtes verhindert? Die Tötung erfolgte nicht, weil ein Gatte sich als Gatte betrogen fühlte, sondern weil einem Menschen das Göttliche seines Lebens durch ein Götzenbild zerschlagen worden war. Fragen wir uns alle, wieviel feindliche Götzenbilder wir schon in uns vernichtet haben, und ob nicht vielleicht in diesem oder jenem Falle auch unsere Hand zugeschlagen haben würde, wenn das todgeweihte Bild gerade gegenwärtig gewesen wäre …


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