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So köstlich die Aufgabe wäre, einen pfälzischen Hochzeitsschmaus zu schildern, die Schmackhaftigkeit der Braten und weingetränkten gewürzigen Soßen, der mit Kastanien gefällten Hühner und Kalbsbrüste, der Kuchen und durch die Jahreszeit gebotenen Eierspeisen, so kann man doch füglich darauf hinweisen, daß der Pfälzer Küche bereits durch Riehls kulturhistorische Feder ein Denkmal gesetzt worden ist. Manche Herrentafel auf der rechten Rheinseite würde den Vergleich kaum aushalten. Es genüge also die Versicherung, daß die »Kochfrau« große Lobsprüche und manches geheime Trinkgeld schon jetzt erntete, und daß Julianes Antlitz vor Genugtuung glänzte, so oft sie ihren Ehrenplatz neben dem Herrn Pfarrer wieder einnahm.
Die Großmutter war nicht an der Tafel; sie zog es vor, heute im Bett zu bleiben und so der zartesten Bissen und Aufmerksamkeiten gewiß zu sein, da besonders auch Bas Philippine darauf bedacht war, der lieben, guten, alten Frau gelegentlich das Beste zuzusenden. Indes wurde auch im Hof und im Kelterhaus reichlich verzehrt und an arme Leute gegeben, da die alte Aplone kaum damit fertig werden konnte, allen Herumstehenden das für sie bestimmte Labsal zu reichen, während die Mägde des Vetter Jokeb und des Vetter Balzer am Pumpbrunnen emsig Teller, Schüsseln und Tassen scheuern halfen. Auch in der Werkstatt aßen und tranken die Knechte, Mägde und ledige Burschen, die am Schießen beteiligt gewesen, recht tüchtig. Hier machte besonders Hanjerg mit seiner Käthrine die Honneurs.
Daß dabei der Stumpe, der Knecht des Hochzeiters, nicht zu kurz kam, läßt sich denken. Er leistete Großes im Spektakelmachen.
An der Tafel im Haus klangen die Gläser und man trank zum sechstenmal zu Ehren des Brautpaares, als ein Mann in gelblichbrauner Tuchkleidung mit einem großen ledernen Ranzen auf dem Rücken halb unter die Tür trat. Es war der Kantonsbote von Annweiler, der zweimal in der Woche von dem Landkommissariatssitz Bergzabern zurückkehrte und die Briefschaften, Zeitungen und amtlichen Zirkulare für die am Wege liegenden Ortschaften besorgte. Da er gehört hatte, daß der Herr Pfarrer auf dem Hochzeitsfest war, wollte er ihm hier gleich die Zeitungen abliefern. Natürlich wurde er genötigt, wenigstens auf kurze Weile Platz zu nehmen, da jeder zufällig Einkehrende heute als Gast willkommen war.
»Aber«, rief ihm der Doktor Flaccus zu, der sich unterdes ebenfalls auf eine Viertelstunde eingefunden hatte, »warum bringen Sie uns nicht mehr Siebenpfeiffers Westboten und Dr. Wirths Tribüne?«
»Geht nicht, beileibe nicht«, war die Antwort. »Ist streng verboten. »
»Warum nicht?« hieß es von mehreren Seiten. »Wer kann Ihnen verbieten, den Leuten ihre Zeitung zu bringen!«
»Strengstens von der Regierung untersagt bei Strafe der Entlassung. Geht nicht, beileibe nicht!«
»Na, wir kriegen die Blätter doch!«
»Wenn sie den bestellten Extraboten nicht durch den Gendarmen abgejagt werden«, meinte der Kantonsbote, indem er sich ein Stück Braten schmecken ließ. »Die Regierung schreitet jetzt streng ein; nach Homburg hat sie die Gendarmerie und Chevauxlegers ausrücken, die Tür von Dr. Wirths Haus erbrechen und die Druckerei versiegeln lassen.«
»Das darf ja doch nicht seine« sagte der Schwager des Bräutigams. »Das darf die Bürgerschaft nicht leiden!«
»Es hat auch großen Spektakel gegeben. Dem Landkommissär in Homburg sind in der Nacht alle Fenster eingeschmissen worden – Steine, so groß! Bis in die Schlafzimmer sind sie geflogen. Auch einen Freiheitsbaum haben sie aufstellen wollen! Wir leben in einer Zeit!« berichtete der Bote mit einiger Beklommenheit.
»Das hat man gehört«, meinte ein anderer der Hochzeitsgäste. »Aber was soll daraus werden?«
»Freiheitsbäume sind auch sonst im Lande aufgestellt worden«, berichtete ferner der Bote achselzuckend. »In Zweibrücken und im ganzen Westrich ist alles in Aufregung. Der Wirth ist aber wahrscheinlich schon arretiert, die anderen Herausgeber der Tribüne aus dem Lande geschafft, Siebenpfeiffers Blatt unterdrückt.«
»Na, da soll doch ein heilig Kreuz-Donnerwetter«, fluchte einer der Gäste, worauf ihm der Pfarrer sanft die Hand auf den Arm legte mit der Bitte, nicht zu fluchen.
»Ich fluch ja nicht, Herr Pfarrer«, sagte der Mann verwundert.
»Heilig Kreuz-Donnerwetter ist nicht geflucht?« wiederholte der Geistliche, sich im Kreise umschauend.
»Ach nein, Herr Pfarrer«, erklärte Vetter Jokeb beschwichtigend und würdevoll den Kopf schüttelnd, »eigentlich geflucht ist das nicht!«
»Nun, dann möcht' ich wissen, was es ist!«
»Ebbe ein Seufzer!« warf Vetter Ebbe mit zitterndem Haupte ein.
»Eine Herzerleichterung!« meinte der Bräutigam, sich umsehend, ob man ihm recht gebe.
Plötzlich drang ein Hilferuf aus dem Hofe, so daß mehrere Männer an die Fenster eilten, um zu sehen, was es gebe. Im Nebenhaus streckte die Großmutter den Kopf zum Fenster heraus und schrie wie besessen.
»Was gibt's denn?« rief man ihr vom Hofe aus zu.
»Da will mich einer in die Luft sprengen! Bürgerhilf!«
Mehrere Hochzeitsgäste eilten in den Hof. Inzwischen war unter großem Spektakel der Stumpe über die Treppe des Nebenhauses heruntergepoltert, eine zersprungene Schweinsblase in der Hand, von der er hoch und teuer versicherte, sie sei ihm von selbst vor der Tür der Großmutterstube losgegangen, und da sei er vor Schreck die Treppe heruntergefallen.
»Was tust du denn mit einer Schweinsblase vor der Großmutterstube?« fragte der Kronenwirt, während Juliane ihre Schwiegermutter beruhigte. »Ich will dir was sagen, Stumpe, mach' dich auf den Weg in die Stadt, kauf' beim Eisenhändler Striegel und Kamm, richt' einen schönen Gruß von mir und dem langen Jung von Kapellen aus und – er wisse schon. Verstanden?«
»Jawohl«, sagte der Stumpe, während er zum Pferdestall ging, seinen blauen Kittel überwarf, eine lederne Tasche umhängte und sich sofort auf den Weg machte.
»So verläuft er doch den ersten Rausch, meinst nicht?« wandte sich der Bräutigam an den hinter ihm stehenden Schwager, mit dem er eine Weile leise redete.
An der Tafel schien indes ein Stillstand eingetreten zu sein. Während die Kinder Wein und Kuchen in die befreundeten und verwandten Häuser trugen, damit auch die Daheimgebliebenen etwas von der Hochzeit hatten, ergriffen verschiedene Hochzeitsgäste die Gelegenheit, sich in der freien Luft zu ergehen. Die Anwesenheit des Pfarrers drückte etwas auf die Stimmung an der Tafel, wo keiner der gewohnten Hochzeitsscherze bis jetzt hatte Platz greifen wollen.
Schorsch hatte sich in den Hof begeben, nicht so heiteren Sinnes wie die Burschen von Oberhofen, die ihn umgaben. Sie hatten seiner nicht vergessen, kannten den wohl, der damals mit seinen Kameraden Kehraus gemacht hatte. Groll trugen sie ihm nicht nach, und wäre er selbst heute an der Seite Susels vor dem Bürgermeister und dem Altar in der Kirche gestanden. Denn mit dem »Verspruch«, wenn die Sache in Richtigkeit gekommen, hört alle Feindseligkeit gegen fremde Freier auf; man rechnet auch hier mit vollendeten Tatsachen. Die Oberhofener Burschen kamen dem »Münsterer« sogar mit unverhohlener Achtung entgegen.
Doch Schorsch schien nicht in der hierfür empfänglichen Stimmung. Er überließ sich eigenen Gedanken, als er nun über den sauber gekehrten Hof schlenderte.
Dieser Besitz hätte sein Eigen werden können, dies alles – und sie dazu, die Tochter dieses Hauses. Ach, Susel! Sie war doch ein reizendes Weibchen! Und ihn hatte sie geliebt, ihn allein – und nun auf ihn verzichtet. Ja! Nun war sie für ihn verloren – für immer, weil er nicht die Kraft hatte; die Hindernisse wegzuräumen. – War er nun wirklich und völlig aus ihrem Herzen gerissen? Wie traurig hatte sie ihn noch vorm Altar in der Kirche angeschaut! Aber, sie hatte schließlich doch ja gesagt und füglich zugestimmt, so wie alle anderen es auch tun.
Ob er jetzt wirklich Reue fühlte? Vielleicht wußte er es selber nicht! Dem glücklichen Kronenwirt und auch dessen junger Angetrauten gegenüber tat er nicht dergleichen. Wenn er sich auch nicht besonders lustig vor der Hochzeitsgesellschaft gezeigt hatte, so doch auch nicht gerade trübe, nur etwas schweigsam. Da er nun beim Umherwandeln Blicke in den Pferdestall, Kuhstall, ins Kelterhaus, in die Scheuer warf, mutete es ihn seltsam an – als sei er es, der hier nun schalten und walten dürfe in den wohlbestellten Räumen, anordnen und schaffen als Herr und Eigentümer dieses schönen Heimwesens. Und diese Anwandlung war für den Moment eine so lebhafte, daß er alles darüber vergessen hatte, bis er in der halbdunklen Scheuer plötzlich auf Stoffel stieß. Derselbe trat ihm mit einiger Hast entgegen, erstaunt und nicht eben höflich fragend: »Was suchst du da?«
»Dich!« sagte Schorsch gereizt. »Dich suche ich«, und er zog den Widerstrebenden vollends ins Dunkel der Scheuer.
»Was willst du?« fragte Stoffel, bis auf die klumpige Nasenspitze erbleichend. »Jetzt habe ich nichts mehr gegen dich.«
»Aber ich gegen dich, Tropf.«
»Ich will meine Ruhe haben. Laß' mich, oder es geht dir noch schlimmer, als am Hollerstock.«
Und damit war seine freie Hand bereits in die Tasche gefahren, um ein Messer herauszuholen. Aber, bevor er es öffnen konnte, hatte ihn Schorsch schon an der Gurgel und drückte ihn mit so ungestümer Gewalt über die niedere Barrenwand zurück, daß er rücklings völlig kraftlos überhing und, nur durch seines Gegners Faust in der Schwebe gehalten, unfähig sich zu wehren.
Schorsch hielt ihn eine Weile so in der Schwebe, um ihm seine Lage zum Bewußtsein kommen zu lassen, entwand ihm dann das Messer, schüttelte den Wehrlosen nochmals derb durch und schleuderte ihn seitwärts in eine Scheuerecke. Gelassen trat Schorsch durchs Scheuertor in den Hof hinaus, wo die Hochzeitsgäste umherstanden, während eben der Herr Pfarrer sich von dem jungen Paar und der Hausfrau verabschiedete, um den angespannten Wagen zu besteigen. Schorsch sah von allem nur die Braut, die in ihrem vollen Hochzeitsschmuck unter der Haustüre stand, um der Abfahrt des Geistlichen beizuwohnen – und im selben Augenblick sah auch sie her, mit einem geheimnisvollen, hoffnungsfreudigen Ausdruck, der freilich sofort wieder erlosch und tiefer Blässe und Niedergeschlagenheit Platz machte.