August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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3

Der Herr Pfarrer

Der Gottesdienst war zu Ende. In weihevollem Abstand kamen zuerst die Frauen aus dem Portal und unter die bereits vergilbende junge Linde; die Ledigen barhäuptig, die jungen Frauen mit gestärkten, duftig weißen »Nebelkappen« und Ziehhauben, die älteren in schwarz punktierten Hauben, rund und eng anliegend. Dann erst folgten, in strenger Ordnung, die Knaben und älteren Burschen, und zuletzt die Männer in langen, dunklen, mit breiten Metallknöpfen besetzten, kragenlosen Röcken und dreieckigen Hüten. Diese Ordnung löste sich auch nicht auf, als sich die Hälfte der Kirchgänger links in die Dorfgasse von Pleisweiler hineinwandte, während die andere auf der Landstraße die Richtung nach Oberhofen einschlug.

Den Schluß machte eine Gruppe ernster Männer, zumeist Presbyter, mit dem Geistlichen, den der schwarze Frack, die weißen Bäffchen unterm Kinn und das tiefschwarze Genfer Flormäntelchen, ein faltiger Merinostreifen auf dem Rücken, kenntlich machte, da damals der weite lutherische Chorrock noch nicht eingeführt war. Auch der Herr Schulmeister, der die Orgel geschlagen und mit der Kreide die Choralnummer angeschrieben hatte, gesellte sich zu ihnen, leicht von den andern zu unterscheiden durch den stahlblauen Rock mit hohen Achselwulsten, den schmal zulaufenden, hohen Hut, die kreidigen Hände und den weißen Nasengiebel.

»Nun, Jerg«, wandte sich der Geistliche an einen jungen Mann mit derben Zügen und von vierschrötiger Gestalt, der ebenfalls unter der Linde verharrte, und dessen rotes Gesicht vor Freude und Genugtuung glänzte. Er bringe den Mund nicht mehr zusammen, meinte einer der Kirchenvorstände. »Nun, Jerg«, sagte also der Geistliche, »der liebe Gott hat euer junges Hauswesen gesegnet? Was hat er euch denn beschert?«

»Ein Pfannenstielchen oder ein Bohnenblättchen?« erkundigte sich auch der Herr Schulmeister, während die anderen ruhig umherstanden.

»Hö, hö, hö, ein Pfannenstielchen«, lachte der junge Bauer. »Und heut' über drei Wochen soll die Taufe sein, Herr Pfarrer, wenn Sie so gut sein möchten.«

»Gern, wie soll es denn heißen?«

»Poppel, hö, hö, hö! Poppel wie der Vetter Jokeb da«, war die lachende Antwort des Glücklichen, indem er auf einen breitschulterigen, stattlichen Mann zeigte, der neben dem Pfarrer stand.

»Also auf den Namen Jakob soll es getauft werden«, sagte der Geistliche. »Mutter und Kind sind wohlauf? Nun, Jerg, da wünsche ich Glück. Der Kleine macht euch wohl Freude?«

»Ah«, fing der glückliche Vater an, »so ist noch nichts dagewesen. Schon so gescheit, so vernünftig! So was gibt's nicht wieder. So lieb!«

»Alle kleinen Kinder sind lieb!« bemerkte der stattliche Vetter Jokeb.

»Ja, aber nicht so!« wandte der junge Vater ein. »So ist noch keines auf die Welt gekommen! Wie das schon schnullt und an meinem kleinen Finger zieht und suggelt; es kriegt aber nichts raus und fängt auch gleich an zu heulen, wie ein Alter.«

»Gut, in drei Wochen wollen wir es taufen, und nun Gott befohlen!« bemerkte der Geistliche, der weiter drängte, da er noch eine Filiale zu versehen hatte.

Jetzt erst fanden die Männer Zeit, ihm ihren Dank für die schöne Predigt auszusprechen, worauf er diejenigen von Pleisweiler mit einem »Guten Appetit« entließ und in Begleitung der Presbyter die Landstraße entlang, unter den Nußbäumen hin, mit Gesprächen über die Angelegenheiten der Kirchengemeinde und über die Aussichten der Weinlese zurückwanderte.

An der Ruhebank, wo der steinerne Kreuzsockel halb versunken an der Weinbergterrasse steht und der Weg rechts nach dem stillen Dorf abzweigt, verabschiedete sich der Geistliche auch von den Männern von Oberhofen, während er einen von ihnen noch mit den Worten zurückhielt: »Seid so gut, Groß, ich habe mit Euch zu reden.«

Der, ein schlanker, junger Mann, trat an des Geistlichen Seite, um ihm mit dem Schulmeister noch das Geleit zu geben. Er war von gerader, stracker, hoher Gestalt und stolzer, stattlicher Haltung, wie man es öfters bei jenen Bauern trifft. Wie ein Freiherr trug er den Kopf in einem stehenden Kragen. Vor vierzehn Jahren hatte er als Fremder in das Dorf geheiratet, wurde hier aber, auch von der Verwandtschaft seiner Frau, als Eindringling angesehen; die reichen Bauern ließen ihn beiseite. Mißgünstig erwartete man von seiner »Lebesucht« einreißende Unordnung und Rückgang der Vermögensverhältnisse seiner Frau. Als man aber seine Tätigkeit erkannte, Haus und Feld unter ihm sichtlich gedieh, lernte man ihn anders beurteilen. Und jetzt saß der verhältnismäßig noch junge Mann bereits im Presbyterium und im Gemeinderat.

Von der Ruhebank führte die Straße durch Weingärten sanft bergan. Man kam flüchtig auf den glücklichen Vater zu sprechen, der eine Stieftochter von Groß zur Frau hatte, und meinte, nach reichlicherem Kindersegen werde Jerg sein Glück gelassener tragen. Darauf wandte sich der Geistliche plötzlich an seinen Begleiter.

»Groß, als Kirchenvorstand steht Ihr doch fest zur Union?«

»Versteht sich, Herr Pfarrer, gewiß.«

»Wie kommt's denn, daß man weder Eure Frau, noch Euer Töchterchen in der Kirche sieht? Wollt Ihr denn das Kind nicht konfirmieren lassen?«

»Ich schon, Herr Pfarrer.«

»Aber sie leidt's nicht!« ergänzte der rechts gehende Schulmeister, während er seinen auffällig weiten Nasenöffnungen geräuschvolle Prisen zuführte.

»Wie?« fuhr der Geistliche auf. »Ihr seid doch der Mann, Groß, um dafür zu sorgen, daß aus dem Hause eines Presbyters kein Ärgernis und böses Beispiel kommt.«

»Herr Pfarrer«, entgegnete der junge Kirchenälteste, »ich halt' es, wie in unserer unierten Kirche, auch in meinem Hause mit der Gewissensfreiheit, die uns durch die Unionsurkunde von Anno 1818 verbürgt ist.«

»Gewissensfreiheit ist recht schön«, versetzte der Geistliche bedenklich. »Nur darf sie nicht bis zur Gleichgültigkeit in Kirchensachen gehen.«

»Lassen wir's gut sein, Herr Pfarrer«, bemerkte Groß gelassen. »Kommt Zeit, kommt Rat. Einstweilen weich' ich gern dem Zwist im Hause aus. Mit Widersprechen kommt's leicht zum Brechen. Um es dazu kommen zu lassen, ist doch eine Ursache, ein richtiger Grund nötig.«

»Ist denn Frau Groß so unzulänglich?« fragte der Geistliche.

»Ja, sie ist ihres Kopfs!« war die lächelnde Antwort.

»Nun, ich will doch einmal mit ihr selbst sprechen, wenn sich bei der Taufe ihres Enkels Gelegenheit dazu gibt. Ich denke nicht, daß es besondere Schwierigkeiten machen wird.«

»Na, Herr Pfarrer, da werden sie die Bas Juliane kennenlernen«, sagte der Schulmeister, und wollte noch etwas hinzufügen, aber verstummte verblüfft.

Denn unerwartet trat eine stattliche Frau im halben Sonntagsstaat links aus den Reben, und mit einem etwas trockenen: »Guten Morgen, Herr Pfarrer«, gesellte sie sich der kleinen Gesellschaft bei.

»Du hast wohl gewußt, Henrich, daß ich in den Wingerten bin, und willst mich heimholen?« fragte sie Heinrich Groß.

»Nein, Frau Groß«, nahm der Geistliche das Wort, »ich forderte Ihren Mann auf, mich zu begleiten, weil ich wegen der Konfirmation Ihrer Tochter mit ihm reden wollte. Die Pfarrstunden beginnen bald. Sie wollen doch Ihre Tochter konfirmieren lassen?«

»Ja«, sagte Juliane, »meine Susel soll, wie ihre Eltern und Großeltern, im angestammten reformierten Glauben konfirmiert werden!«

»Dann ist ja alles in Ordnung, und Susanne wird mit den anderen Kindern die Pfarrstunden in Münster besuchen.«

»Das habe ich nicht gesagt, Herr Pfarrer«, sagte die Frau ruhig. »Da hab' ich noch gar manche Bedenken. Warum denn in Münster?«

»Ei, weil's der Pfarrort ist.«

»Warum ist's aber der Pfarrort?«

»Liebe Frau, das ist so von alters her. Auch die wenigen Protestanten in den Gebirgsdörfern, im ganzen Gossersweiler Tal und selbst, bis vor kurzem noch, dahinten im Reichsdörfchen, wo der Abtswald in die Weißenburger Mundat hineinragt, sind nach Klingenmünster eingepfarrt. Denn die ganze Gegend, Bergzabern und Landau nicht ausgenommen, gehörte einst dem Abt von Klingenmünster, weil König Dagobert die Landschaft seiner Stiftung schenkte, als er noch auf dem Münsterer Schloß, der Burg Landeck, residierte. Er hat damals, wie jeder weiß, auch unseren Bauern die großen Bergwälder vermacht.«

»Ja, ja, man sagt es«, meinte Juliane. »Er soll es Not gehabt haben, der alte Dagobert, da ihm die guten Bauern gegen die Stokraten beigestanden sind an der Hahndornhecke bei Frankweiler drüben selbiges Mal. Und nur die von Mörzheim haben nichts gekriegt, weil sie ihm die Jagdhunde totgeschlagen haben – selbiges Mal vor dreihundert Jahren.«

»Vor zwölfhundert Jahren, Frau Groß«, berichtigte der Geistliche. »Später stand die Landschaft unter der Fautei Landeck und Stiftschaffnerei in Münster.«

»Ob mit Willen der Leute, ist doch die Frage, Herr Pfarrer«, warf Frau Juliane gelassen ein. »Ich hab' mir sagen lassen, sie seien einmal hinüber nach Münster gezogen und hätten den faulen Pfaffen das Stift über den dicken Schädeln angesteckt.«

»Im Bauernkrieg«, gab der Geistliche zu, »taten das leichtfertige Knaben aus Oberhofen und Pleisweiler, wie die Chronik sagt; sie verfielen dafür in Pön und Buße. Da kostete es viele Schweißtropfen und manchen Taler, bis das Stift in Münster wieder aufgebaut war, Frau Groß. Nach der Reformation wurde es von Kurpfalz eingezogen. Da kamen glückliche Zeiten. All die großen steinernen Häuser mit den hohen Torbogen und Erkern in den Weinorten hier am Gebirg, wurden damals erbaut, bis der Dreißigjährige Krieg das Land zugrund richtete und vernichtete. Auch das Dörflein Weier da drunten ging damals ein, Frau Groß.«

Diese bemerkte, daß sie noch eine Bibel habe, die daher stamme. Und sie habe einmal gehört, an dem Elend sei auch eine Union schuld gewesen. Das gab der Geistliche jedoch nicht zu, während Heinrich Groß mit seiner Meinung zurückhielt. – Die Uneinigkeit zwischen Reformierten und Lutheranern, führte indes der Geistliche aus, trüge viel Schuld auch an allem späteren Elend, da auf das reiche und schöne Amt Landeck und auf die Stiftsschaffnerei Münster – als Allodialgut der berühmten Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, einer pfälzischen Prinzessin – Beschlag gelegt und den Reformierten zur Genugtuung der Lutheraner die Kirchen weggenommen wurden. Und so sei es auch nach dem Frieden geblieben, da eine fremde katholische Linie ins Land gekommen sei, welche die Verfolgung fortsetzte.

»Und die Münsterer«, warf Frau Juliane geringschätzig ein, »haben sich auch noch das Kirchengut abschwätzen lassen, und die große Kirche im Stift dazu. Aber ich wollte von allem nicht reden, wenn noch das Kirchlein auf dem Kreuzstein unsere Pfarrkirche wäre. Da ist nicht weit hin; es liegt so schön da droben über der Flur, man hat es vom Feld aus sehen, sein Glockengeläute hören können. Da hat es einem noch hingezogen. Aber nein, da müssen die Gescheiten in Münster eine neue reformierte Kirche weit hinunter in den Ort, noch unter die lutherische, hinter den Berg bauen, so daß man sie erst sieht, wenn man mit der Nase daran stößt.«

Der Geistliche war über diese Begründung der sonst so nüchtern erscheinenden Frau einigermaßen erstaunt. Allein das Kreuzkirchlein, die alte Pfarrkirche von Klingenmünster, war – in den Tagen der Mönchsherrschaft – auf schamlose Weise entweiht worden und stand zur Zeit nur noch als malerische Ruine auf dem hochgelegenen Friedhof, um bald darauf (leider!) abgebrochen und auch von dem Freund vollkommener Landschaftsbilder schwer vermißt zu werden.

»Der Druck«, entschuldigte der Geistliche, »war damals zu groß.«

»Der Leuteschinderei«, verbesserte Frau Juliane, »der faulen und feilen Wirtschaft, ich hab's erlebt, daß ihr ein Ende gemacht worden ist. Gott sei Dank! Wir haben die Ratten aus dem Nest gejagt, Herr Pfarrer, damals Anno 1792. Auch uns haben sie ein Kruzifix vor's Dorf gestellt, als sei Oberhofen nicht ganz reformiert. Aber – wir dulden keinen Bilderdienst, wir. Mir ist, als sei es gestern gewesen. In Bergzabern schon Republik, in allen Zweibrückischen Orten des Oberlandes« – und Frau Juliane deutete südostwärts über das Tal und die jenseitige Höhe hin – »überall Freiheitsbäume. Da ist's auch hier im Kurpfälzischen losgegangen. Auf unsere Kirchweih im Spätjahr sind unsere jungen Burschen heraus an die Ruhebank, haben das Kruzifix umgestürzt und den Freiheitsbaum aufgestellt, und wir Mädel haben dazu gesungen und gejuchzt.«

»So, Frau Groß, Sie waren zugegen?« fragte der Geistliche.

»Freilich, dort an der Ruhebank sind wir dabei gestanden, haben auch den Freiheitsbaum mit Bändern geputzt, unsere Nasen überall vorn dran gehabt. Dafür ist man jung, Herr Pfarrer. Und dann sind unsere Leute mit den Oberländer Bauern nach Münster. Überm Bach die Münsterer Aufrührischen mit Heugabeln und Gewehren, hüben im Stift die Pfälzer Reiter, unsere Leute grad' denen im Rücken. Da ist's drunter und drüber gegangen und all' das Stokratengeschweiß – Amtsleute, Amtskeller, Stiftsschaffner, Schreiber, Einspännler, Zöllner und andere Blutsauger – alles hat noch in selbiger Nacht aus Münster fortgemußt mit den flüchtigen Reitern zum Stift hinaus.«

»Ja, Frau Groß«, sagte der Pfarrer, »ich entsinne mich jener Tage noch wohl. Alle Orte südlich der Queich gegen das Elsaß hin schlossen sich damals sofort den republikanischen Neufranken an und begeisterten sich für die Guillotine. Unsere Landschaft heißt seitdem auch wohl die ›Hackmesserseite‹. Es waren schwere Zeiten.«

»Für den Anfang unter der Republik nicht so schlimm!« erwiderte Juliane. »Erst im folgenden Frühjahr heißt es auf einmal: Hinter Landau steckt alles voll Preußen und Kaiserlichen! Dazu sind anfangs Juni noch die Reben erfroren und gegen Barthelmä rückten gar die Rotmäntel über Münster her. Die Kopfabschneider! Kein Nagel an der Wand war vor ihnen sicher, geschweige denn unsere Behälter in den Häusern. Da hat mancher sein Geld so gut versteckt, daß er's selber nicht mehr gefunden hat. Tag für Tag hat's geknallt da von der Apfelhöh, vom Kirchberg, vom Hexenplatz, im Weitfeld und Schneeteich gegen die Freiheitsmänner in Bergzabern. Es wurde gestohlen und geplündert. Von Errungenschaften keine Rede mehr. Unsere Bauern fast samt und sonders durch Fuhrdienste zugrunde gegangen. Zum Verzweifeln!«

»Schlimme Zeit«, warf der Schulmeister ein, während Groß noch immer nicht mitredete. »Gekreuzigt, an die Nußbäume angenagelt hat man damals die Rotmäntler – drüben bei Dierbach und Freckenfeld!«

»Unsere Leute sind auch keine Lämmer«, setzte Juliane dem entgegen. »Wurst wider Wurst, nichts umsonst! sagte der Franzkaspar von Billigheim. Eines Sonntags im Herbst sagte mein Vater frühmorgens: Ans Kirchgehen ist doch nicht zu denken, holen wir drüben am Kirchberg die paar Trauben! Mit Hotten und Kübeln gehen wir also hinüber. Überm Bergwald brennt's und donnert's. Na, sagte mein Vater, da drüben geht's wieder schön zu! Und wie er's sagt, kracht's vor uns ganz fürchterlich. Unsere Aplone ist seitdem stocktaub, sag' ich Ihnen, stocktaub! Wir heim, zitternd an Arm und Bein. Ein schöner Sonntag das! Ringsum kracht's und donnert's.«

»Aber Frau Groß«, sagte der Geistliche ungeduldig, »ich muß mich kurz fassen, um noch recht zum Gottesdienst in Gleiszellen zu kommen. Nach dem zweiten Pariser Frieden reichten sich die lange geschiedenen evangelischen Christen in der Pfalz die Hand zur Union. Vierzigtausend Familienväter haben, als man Umfrage hielt, ihre Zustimmung gegeben; nur wenige, meist Lutheraner, nicht.«

»Mich hat man nicht gefragt, Herr Pfarrer, und ich habe meine Zustimmung nicht gegeben«, sagte Juliane geflissentlich ruhig und gelassen. »Ich bin reformiert getauft und will reformiert sterben.«

»Was haben Sie denn gegen die Union? Sind Sie so unduldsam?«

»Nicht im geringsten, Herr Pfarrer. Bas Marlis von Pleisweiler ist lutherisch geblieben, und doch eine ganz gute Freundin von mir.«

»Ich gebe die Hoffnung nicht auf«, betonte der Geistliche, »daß Sie sich eines Besseren besinnen und Ihre Susanne in die Pfarrstunde nach Münster schicken.«

»Schwerlich, Herr Pfarrer.«

»So soll das Mädchen nicht konfirmiert werden?«

»Das hat keine Not, Herr Pfarrer«, sagte Frau Juliane in dem seitherigen milden Ton. »Unsere Gäule würden den Winter über doch nur steif im Stall. Man läßt anspannen und fährt über Weißenburg, wo ich die Bas Marlis an der lutherischen Kirche absetze, zu unserer Freundschaft im Elsaß. Das hat keinen weiteren Anstand. Die Schwedenbauern hinterm Geisberg sind noch gut reformiert. Dort wird meine Tochter konfirmiert und braucht nicht Antworten aus dem unierten Katechismus hersagen, den doch kein Mensch versteht.«

Der Geistliche, der erwartet hatte, daß die Hartnäckige zuletzt einlenken, ihren Widerstand brechen werde, war nunmehr entschlossen, weiteres Zureden, zu dem ihm ohnehin die Zeit mangelte, für heute aufzugeben und schickte sich zum Abschied an, als Juliane die bis zuletzt aufgesparte Bemerkung fallen ließ: »Und dann hat mir ja der Herr Pfarrer damals sagen lassen, ich solle mein ungescheites Maul halten und nicht dreinreden in Kirchenangelegenheiten! Ich red' gar nichts mehr drein, Herr Pfarrer, handle aber auch nach meinem Dafürhalten.«

»Wie?« fragte der Geistliche. »Das ließ ich Ihnen nie sagen, Frau Groß. Man hat mir zu verstehen gegeben, ich würde die Gemeinde zu lange auf den Beginn des Gottesdienstes warten lassen. Hitze, Unwetter, Schnee, Glatteis würde ich nicht einmal als Hindernis geltend machen. Allein, es gibt Kirchensachen zu besprechen; man hat Zeit und Worte zu verlieren, wie eben, und kommt man dann etwas zu spät, beklagen sich die Weiber, daß ihnen die Mittagssuppe kalt werde. Da habe ich doch wohl das Recht, zu dem alten Grundsatz zu greifen, den jener Heilige dem Bild der Mutter Gottes im Dom zu Speyer zugerufen hatte, als sie fragte: Sancte Bernarde, unde tam tarde? (Warum so spät, heiliger Bernhard?) Darauf war seine Antwort: mulier taceat in ecclesia! (Das Weib hat keine Stimme in Kirchensachen.) Das ist doch keine Beleidigung?«

»Nein«, bestätigte der Herr Schulmeister, sich eine ausgiebige Prise erlaubend. »Selbst die Mutter Gottes hat sich's gesagt sein lassen und zu Herzen genommen, denn seither hat ihr Bild im Speyerer Dom kein Wort mehr gesprochen.«

»Die Mutter Gottes von Speyer kann's meinetwegen halten, wie sie will – geht mich nichts an!« sagte Juliane. »Mir hat's der Herr Doktor Flax übersetzt, ich solle in Kirchendingen mein ungescheites Maul halten. Gut, Herr Pfarrer, ich halt's, rede kein Wort, tu' nur in der Stille, was mir recht dünkt. Meine Susel geht nicht in die Pfarrstunde nach Münster!«

»Seien Sie unbesorgt, Herr Pfarrer«, sagte Heinrich Groß darauf, »wir wollen sehen. Es wird schon recht werden.«

Dann wandte sich Groß zu seiner Frau, um mit ihr, bei der Biegung der Straße, einen Fußpfad nach dem Dorf hinunter einzuschlagen, während der Schulmeister noch seinem Geistlichen unter den Kastanien des Hohlwegs über die Anhöhe das Geleit gab.


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